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„Andalusier, Aragonier, Kastilier, Galicier haben das Gefühl, dass es große Unterschiede zwischen ihnen gibt, sie sich jedoch noch viel stärker von Ausländern unterscheiden.“
Spanien hat 47 Millionen Einwohner. Im Vergleich dazu leben 55 Millionen in England, 61 Millionen in Italien, 67 Millionen in Frankreich, 82 Millionen in Deutschland und 323 Millionen in den USA.
Spanien ist fast eineinhalb Mal so groß wie Deutschland, würde aber locker in die Grenzen Frankreichs passen und hätte dann sogar noch Platz für Irland.
Die Spanier scheren sich nicht viel darum, was andere Nationen über sie denken und sie sind nicht besonders patriotisch. Alte Sprichwörter wie „Der Rauch meines eigenen Landes scheint heller als das Feuer der anderen“ oder „Wenn Gott nicht Gott wäre, wäre er der König Spaniens“ haben sie schon lange eingemottet.
Spanier kennen die Farben ihrer Flagge, weil sie meinen, das Rot stehe für das Blut eines Stiers und das Gelb für den Sand, in dem dieser das Zeitliche segnet. Sie finden den Stier als Symbol ihres Landes recht passend, denn sie sind ergriffen von der Tradition und der Dramatik, die der Konflikt zwischen Mensch und Tier hervorbringt. Als Symbol hilft er zudem, große Mengen Brandy und das ein oder andere Strandtuch zu verkaufen.
Wenn Nationalismus Vergnügen bereitet, sind die Spanier leidenschaftlich nationalistisch und erinnern sich gern daran, wie viel Spaß sie 1992 hatten, als sie, zu ihrer eigenen Überraschung, erfolgreich die Olympischen Spiele in Barcelona organisierten. Bis dahin hatten sie sich nie wirklich für Leichtathletik, Schwimmen oder Fechten interessiert. Doch nun wurde ihnen bewusst, dass es durchaus Spaß machen kann, von der zuschauenden Welt fürs Rennen und Springen angefeuert zu werden. Als die Spiele vorbei waren, haben sie das Interesse aber schnell wieder verloren.
Bekanntermaßen intensiviert sich der Stolz auf das von den eigenen Landsleuten im Fußball Erreichte während der Weltmeisterschaften. Wenn die eigene Mannschaft aber früh rausfliegt, wenden Spanier ihre Loyalität ohne großes Bedauern irgendeinem anderen Land zu, das einen Spieler in seinen Reihen hat, der durch sein Auftreten Vitalität und Begeisterung verspricht – normalerweise ein südamerikanisches Land.
Wurde ein spanischer Film nominiert, bleiben sie an den Fernsehern kleben, um die Oscarverleihung anzuschauen. Nicht so sehr, weil sie möchten, dass er gewinnt, sondern weil es ein guter Vorwand ist, die ganze Nacht lang aufzubleiben. In Spanien ist der Tag für siestas und die Nacht für fiestas.
Spanier sind sich anderer Nationalitäten nur bewusst, wenn sie deren Land besucht haben und dort Spaß hatten. Sie haben keine hohe Meinung von Leuten aus Ländern, in denen sie sich gelangweilt haben. Da die Mehrheit der Spanier es nicht geschafft hat, in Großbritannien irgendeine Art von Nachtleben zu entdecken und sie sich einfach nicht für den Geschmack schalen, lauwarmen Bieres erwärmen können, tendieren sie dazu, die Briten zu ignorieren und diese als ziemlich langweilig und lahm abzutun.
Brasilianer dagegen werden hochgeschätzt, weil sie die Nacht durchtrinken und -tanzen und nie zu Bett gehen. Den Rest scheren die Spanier eigentlich über einen Kamm. Österreicher, Chinesen, Holländer, Franzosen, Deutsche, Italiener, Japaner – sie alle sind extranjeros (Ausländer). Dies ist trotz des Slangworts guiri für Menschen aus Ländern, die reicher sind als Spanien, kein Stigma. Auch wenn es heißt, sie sprächen guirigay oder Kauderwelsch, die Sprache, die die meisten Ausländer zu sprechen scheinen.
Alles in allem reagieren Spanier auf den Einzelnen und beurteilen diesen und nicht die Masse. Was zählt, ist, ob jemand unterhaltsam ist.
Die Spanier gelten als laut und unzuverlässig, kommen vermeintlich immer zu spät zu Besprechungen, falls sie überhaupt kommen, und scheinen außer am Nachmittag niemals zu schlafen. Am schlimmsten ist aber, dass Beschwerden sie kalt lassen und sie offensichtlich dazu fähig sind, jegliche Form von Kritik zu ignorieren.
Die Einwohner Andalusiens (der größten Region) sind am lebhaftesten, sie tanzen die aufregendsten Tänze, spielen die spannendste Musik und produzieren die farbenfrohesten Kostüme. Deswegen preisen Urlaubsveranstalter, obwohl es so nicht der Realität entspricht, dies als das wahre Spanien an.
Der Mythos des spanischen Mannes als Inbegriff des unverbesserlichen Machos hält sich hartnäckig – launisch, wortkarg und schnell bereit, sein Messer zu zücken, um seinen männlichen Stolz und seine Ehre bei auch nur dem Hauch einer vermeintlichen Beleidigung zu verteidigen. Außerdem heißt es, die Spanier seien faul oder vergnügten sich ständig bei fiestas oder siestas. Tatsächlich arbeiten sie mehr Stunden pro Jahr als beispielsweise die Deutschen. Wenn sie weniger produktiv sind als Nordeuropäer, dann liegt das eher an der chronischen Desorganisation als am Müßiggang.
Es wird behauptet, Spanien sei nicht so sehr ein Land als vielmehr eine Idee. In Wirklichkeit ist es eine Ansammlung mächtiger regionaler Territorien und Identitäten. Dieser Umstand verkompliziert sich noch durch die verschiedenen Regionalsprachen. Diktator Franco (der von 1939 bis 1975 über Spanien herrschte) versuchte, andere Sprachen als das castellano (die Sprache, die Deutschsprachige normalerweise als Spanisch oder Kastilisch bezeichnen und die in ganz Spanien verstanden wird) zu unterdrücken. Doch dies machte die Menschen nur noch entschlossener, diese zu sprechen, und sorgte somit ungewollt für einen Auftrieb der Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien und im Baskenland. Er hätte daran denken sollen, dass Spaniern etwas zu verbieten der beste Weg ist, um sie dazu zu bringen, genau das zu tun.
Im Baskenland, welches auf Baskisch Euskadi heißt, sind die Straßenschilder auf Baskisch, es gibt eine eigene baskische Polizei, es werden eigene baskische Steuern erhoben und eingezogen, eigene baskische Schulen betrieben, es gibt einen eigenen baskischen Fernsehsender und man unterhielt sogar eine eigene Terrorgruppe, die ETA – Euskadi Ta Askatasuna (Euskadi und Freiheit).
In Katalonien, mit seiner Hauptstadt Barcelona, besteht man darauf, Katalanisch zu sprechen und kann zu Spaniern, die den Fehler machen, einen Katalanen auf Spanisch anzusprechen, recht rüde werden. In Valencia und auf den Balearen plaudern die Einheimischen in einer eigenen Variante des Katalanischen und in Galicien sprechen sie Galicisch.
Die Galicier werden von allen für durchtrieben, introvertiert (zumindest nach spanischen Maßstäben) und unwillig gehalten, sich selbst zu irgendetwas zu verpflichten. Das geht so weit, dass behauptet wird, bei der Begegnung mit einem Galicier auf einer Treppe könne man nicht sagen, ob dieser gerade hinauf- oder hinuntergeht.
Es gibt in Spanien 17 Regionen, alle haben ihre eigene Hauptstadt, Flagge und Legislative und viele spielen mit dem Gedanken, eine eigene Sprache zu sprechen. Reist man allerdings weiter nach Süden, strahlt die Sonne dankenswerterweise heißer, die siestas werden länger und die Begeisterung, neue Wörterbücher zu publizieren, schwindet.
Die Einwohner der meisten Regionen – Andalusier, Aragonier, Kastilier, Galicier – haben das Gefühl, dass es große Unterschiede zwischen ihnen gibt, sie sich jedoch noch viel stärker von Ausländern unterscheiden. Sie ziehen es vielleicht vor, ihre regionale statt der nationalen Flagge zu schwenken, weil ihnen die Farben besser gefallen, aber weiter reicht ihr regionaler Patriotismus nicht.
Eine Ausnahme (abgesehen von den Basken) gibt es aber: Fragt man einen Katalanen, ob er ein Nationalist oder in irgendeiner Form patriotisch sei, so wird er mit heißblütiger Zustimmung antworten. Er wird sich dabei aber nicht auf Spanien als sein Land beziehen, sondern auf Katalonien.
Spanien hat sich sehr schnell von einem Land mit sehr wenigen Einwanderern – 1992 waren es rund 500.000 – in ein Land mit ziemlich vielen verwandelt: 5,85 Millionen im Jahr 2015. Seit der weltweiten Wirtschaftskrise, die Spanien besonders hart traf, sind zwar viele Ausländer in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Aber viele Marokkaner, Rumänen, Bolivianer, Chinesen, Peruaner, Bulgaren und andere sind in Spanien geblieben.
Spanier äußern sich oft geringschätzend über Nordafrikaner, die sie moros (Mauren) nennen und über spanische gitanos (Zigeuner), auch wenn sie sich selbst zugestehen, Zigeunermusik faszinierend zu finden. Im Großen und Ganzen aber haben sie sich recht gut an ihre neue multi-ethnische Gesellschaft angepasst. Nur sehr wenige Politiker lassen sich dazu herab, die Nöte des Landes auf die Präsenz der Einwanderer zu schieben. Wie sollte man schließlich jemandem auch einen Vorwurf daraus machen, in Spanien leben zu wollen? Wie schon in einem Schulbuch aus den 1960er-Jahren geschrieben steht: „Spanien ist ein Land, das von Gott auserwählt wurde. Darum ist es das Zentrum der Welt und darum wollen alle Ausländer hier wohnen."
Die Spanier halten sich selbst, wenn sie überhaupt darüber nachdenken (was bezweifelt werden darf), für gern gesehene Leute in einer Welt, in der viele das nicht sind.
Alle Spanier wissen, dass das Leben in Spanien angenehmer ist als irgendwo sonst in der Welt. Und dieses Kriterium ist das wichtigste.
Jeder, der versucht, die Spanier zu verstehen, muss zuallererst erkennen, dass sie nichts für wichtig erachten, außer das absolute Vergnügen. Bereitet irgendetwas kein Vergnügen, wird es ignoriert.
Sie können grenzenlose Energien entwickeln, wenn es darum geht, dieses Bedürfnis nach Vergnügung zu befriedigen, und so führt ihre beeindruckende Fähigkeit, Spaß zu haben, dazu, dass jedwede unerwartete Form von Unterhaltung Vorrang vor allem anderen erhält. Das hat zur Folge, dass sie ständig ihre Meinung ändern. Planung spielt in ihrem Leben keine Rolle. Das Einzige, was bei den Spaniern vorhersehbar scheint, ist ihre Unberechenbarkeit.
Besucht man das Land, kann man sich also nicht nach dem alten Spruch „Bist du in Spanien, verhalte dich wie die Spanier“ richten, weil niemand weiß, was sie als nächstes tun werden.
Spanier sind nicht ehrgeizig, neidisch oder einfach zu beeindrucken. Als Antwort auf alle möglichen Fragen werden sie wahrscheinlich nur mit den Schultern zucken, um damit anzuzeigen, dass sie die Antwort nicht wissen oder diese unwichtig ist, oder beides. Zum Beispiel:
„Welcher politischen Partei stehen Sie nahe?“ – Schulterzucken.
„Wie oft waren Sie verheiratet?“ – Schulterzucken.
„Möchten Sie gern ein Bier oder einen Kaffee?“ – Schulterzucken.
Diese Einstellung kann ziemlich nervig sein, etwa wenn man einen Bahnangestellten fragt, wann der nächste Zug nach Madrid fährt.
Zeit ist für Spanier, wie sollte es anders sein, grundsätzlich bedeutungslos, weil diese eine Begrenzung der Freiheit suggeriert. Und eine Begrenzung der Freiheit bedeutet eine Einschränkung von Vergnügen. Um zu verhindern, sich zeitlich allzu genau festlegen zu müssen, werden Minuten normalerweise zugunsten der nächsten Viertelstunde ignoriert. Es gibt sogar ein eigenes Wort (madrugada), welches alle Stunden zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung bezeichnen kann. Das unerlässliche Wort, um keine allzu genauen Zeitangaben machen zu müssen, lautet mañana (gewöhnlich einhergehend mit einem Schulterzucken). Mañana