So sind sie, die

Australier

Ken Hunt
Mike Taylor

Inhalt

Nationalgefühl & Identität

Charakter

Verhaltensweisen

Glaubens- & Wertvorstellungen

Umgangsformen

Obsessionen

Die Regierung

Freizeit & Vergnügen

Sinn für Humor

Gesundheit & Hygiene

Essen & Trinken

Sitten & Bräuche

Verbrechen & Strafe

Geschäftsleben

Systeme

Kultur

Sprache

Die Autoren

Legt man eine Karte Australiens über die von Europa (natürlich im gleichen Maßstab), würde sie sich von Madrid fast bis nach Moskau erstrecken. Die australische Landmasse mag die von Indien um das Doppelte übertreffen, doch die Bevölkerungsdichte ist sehr niedrig: 3 Einwohner pro km2 (gegenüber 445 in Indien), von denen 89 % in städtischen Ballungsräumen leben, 22 % allein in Sydney.

Australien hat 24 Millionen Einwohner. Im Vergleich dazu gibt es 4,5 Millionen „Kiwis“, 65 Millionen Briten, 82 Millionen Deutsche, 127 Millionen Japaner, 261 Millionen Indonesier und 325 Millionen Amerikaner.

Nationalgefühl & Identität

Eine Warnung vorab

Niemand begehe den Fehler, die Australier zu unterschätzen. Sie sind freundlich, locker drauf, machen nicht viele Worte, und mit Vorliebe stellen sie eine gewisse unbekümmerte Achtlosigkeit zur Schau. Aber ein solch entspannter Lebensstil kommt nicht von selbst, den muss man sich erarbeiten. Auch in ihrem Charakter spiegelt sich diese Unstimmigkeit zwischen ihrer Einstellung und ihrem Lebensstil – nichts ist, wie es scheint.

Es liegt vielleicht nahe, die Einwohner eines Landes, das einmal von einem seiner Premierminister als „der Arsch der Welt“ bezeichnet wurde, für ein wenig seltsam zu halten. Umgekehrt glauben übrigens die Australier, dass der Rest der Welt, der zu seinem Unglück anderswo lebt, einen leichten Sprung in der Schüssel hat. Wer aber als Außenstehender noch nicht ganz davon überzeugt ist, dass man in der Tat ein wenig seltsam sein muss, um ausgerechnet hier zu leben, der sei an das letzte Football-Spiel nach australischen Regeln erinnert, dessen Zeuge er wurde. Dieses Spiel nämlich betrachten die Australier als ihren Nationalsport – und sind stolz darauf.

Aussies (wir kennen uns jetzt gut genug, also bleiben wir bei Aussies) legen keinen Wert auf emotionsgeladenes Schwenken von Fahnen und Absingen von Hymnen, außer bei Sportveranstaltungen. Patriotische Gefühle, zwar immer mal wieder von den Medien und den Politikern aufgepeitscht, werden ansonsten eher unter Verschluss gehalten. Es besteht keine Veranlassung, anderen Aussies zu erklären, wie toll das Land ist, denn die wissen es schließlich selbst – und wer sonst wäre es wert, davon überzeugt zu werden?

Bei offiziellen Anlässen bemüht man sich tapfer, die Nationalhymne mitzusingen, aber da niemand den Text vollständig kennt – von einigen Politikern abgesehen, die gemeinhin als „Schleimscheißer“ gelten –, hält sich die Mühe in überschaubaren Grenzen.

Die Nationalhymne trägt den Titel Advance Australia Fair und wurde von der Regierung als Siegerin eines entsprechenden Wettbewerbs gekürt. Das Nachsehen hatte der sehr viel schwungvollere Song Waltzing Matilda*, denn selbst eine von Häftlingen gegründete Nation fand es wohl unpassend, eine Nationalhymne zu wählen, in der ein swagman (jemand, der umherzieht, um Arbeit als Schafscherer oder Knecht auf einem Bauernhof zu finden) ein Schaf tötet (worauf die Todesstrafe steht) und sich anschließend, um der Verhaftung zu entgehen, in einem billabong (Wasserloch) ertränkt. Dennoch sollte man bei inoffiziellen Anlässen immer damit rechnen, dass plötzlich jemand fröhlich Waltzing Matilda anstimmt und damit alle anderen mitreißt. Schließlich lässt sich kein Aussie von irgendwelchen dahergelaufenen Politikern vorschreiben, welches Lied er zu singen hat.

* Waltzing bezeichnet in diesem Fall das Umherziehen und damit das Umgehen der Landstreichergesetze; Matilda / My Tilda / M’tilda ist der über die Schulter gelegte Stab, an dem der Beutel mit allen Habseligkeiten des Wanderers hängt.

Am Rande der Lächerlichkeit

Bei einem Volk, das derart isoliert vom Rest der Welt lebt, sollte man annehmen, dass es ein Gefühl der inneren Einheit entwickelt hat. Doch weit gefehlt, vielmehr wird der Beobachter rasch feststellen, dass der Patriotismus sich hier in einer verbissenen Rivalität zwischen den sechs Bundesstaaten des Landes ausdrückt.

Die australische Methode, damit umzugehen, ist beißender Spott. Jeder Bundesstaat trägt den ihm von den anderen angehefteten Namen, so despektierlich dieser auch sein mag, mit Stolz. Die Südaustralier werden als crow eaters („Krähenfresser“) bezeichnet, was zweifellos auf die Unfruchtbarkeit des Bodens im nördlichen Teil dieses Staates zurückgeht. So öde und ausgetrocknet ist diese Gegend, dass die Krähen rückwärts fliegen müssen, um nicht den ganzen Staub in die Augen zu bekommen.

Die Westaustralier haben sich mit der Charakterisierung als sandgropers („Sandgrabscher“, eine Heuschreckenart) nicht nur abgefunden, sondern sogar einen Plüschtier-Sandgroper erfunden, um aus ihrem Namen Profit zu schlagen. Die beim Verkauf erzielten Einnahmen dienen wohltätigen Zwecken. Es mag manche Vorteile haben, in einer überdimensionierten Sandgrube zu leben, allerdings gehört ein Überfluss an Wasservorräten definitiv nicht dazu.

Die anderen Staaten tragen Namen, die von Zeit zu Zeit wechseln. Die Leute aus Queensland – jener Staat, der sich nun wirklich von allen anderen unterscheidet mit seinen Regenwäldern, der üppigen Küstenvegetation, dem Great Barrier Reef und den Bananen – wundern sich wenig über die Bezeichnung banana benders („Bananenverbieger“). Ihrerseits bezeichnen sie ihre Nachbarn aus New South Wales als Mexicans („Mexikaner“), weil sie eben südlich der gemeinsamen Grenze siedeln. Alle Festlandbewohner hängen dem Glauben an, dass unter den Taswegians von der Insel Tasmanien, die auf vielen Australienkarten einfach weggelassen wird, Inzucht gang und gäbe sei.

Der Wettstreit zwischen den Bundesstaaten wird mit Temperament geführt. Es versteht sich von selbst, dass der Staat, in dem man selbst lebt, das beste Bier braut, die besten geschäftlichen Möglichkeiten bietet und, mit Abstand am wichtigsten, die besten Sportmannschaften hervorbringt. Sinnbildlichen Ausdruck findet die innerstaatliche Rivalität in den alljährlichen Schlachten zwischen Queensland und New South Wales im Rahmen der Origin Rugby League. Im Vergleich dazu waren die römischen Gladiatorenkämpfe eine Veranstaltung für Warmduscher, denn in der australischen Rugby League wird das Spiel selbst dann fortgesetzt, wenn einer der Spieler bewusstlos am Boden liegen bleibt.

Besondere Beziehungen

Eins der Völker, die einen besonderen Platz im Herzen der Aussies einnehmen, sind die Kiwis (Neuseeländer), allerdings nur, weil ihr Land so nahe dran liegt, dass man sie schlecht ignorieren kann. Das andere Volk sind natürlich die Briten.

Seit das britische Empire dazu überging, seine unerwünschten Elemente in Australien zu entsorgen, nimmt es aus dortiger Sicht eine Art Elternstellung ein. Die ersten Ankömmlinge trugen auf ihrer Kleidung die Aufschrift POHMIE (Prisoners of His Majesty in Exile – Gefangene Seiner Majestät im Exil). Dass die Engländer noch heute Pommies genannt werden, sollte man nicht als Beleidigung verstehen. Nun gut, es ist eine Beleidigung, aber ein echter Aussie beleidigt nur Freunde, also zählt das nicht.*

Wirtschaftlich war es ein schwerer Schlag für Australien, als Großbritannien, nach Jahrhunderten der bevorzugten Handelsbeziehungen, sich Europa zuwandte, doch entwickelten sich daraus keine Feindseligkeiten. Schließlich lag das alles nur an den pollies (Politikern), und wie jeder Aussie weiß, haben diese einfach keinen Draht zu echten Menschen und echten Anliegen.

Außerdem brummt die australische Wirtschaft inzwischen eh wieder, auch darum, weil China und Japan scharf auf das reichlich vorhandene Erz sind. Die Briten sind nicht mehr so wichtig. Am ehesten gebrauchen kann man sie noch als gelegentliches Opfer für das in der Regel unschlagbare Cricket-Team der Aussies.

* Ehrlich gesagt weiß keiner so richtig, woher das Wort „Pommie“ kommt…

Wie sie sich selbst sehen

In den 1950er und 60er Jahren wurden in den englischen Medien Anzeigen geschaltet, in denen unter Zusicherung großzügiger Reisekostenzuschüsse für eine Auswanderung nach Australien geworben wurde. Der typische Aussie-Mann wurde als athletischer, braungebrannter Jüngling gezeichnet, der den ganzen Tag am Strand rumhängt. Die Aussie-Frau war jung, wohlproportioniert, braungebrannt und hing den ganzen Tag am Strand rum. Dieser Werbefeldzug lockte viele arglose Pommies in ihr Verderben. Für den Flugpreis von zehn Pfund mussten sie mindestens zwei Jahre in Down Under durchhalten. Während dieser zwei Jahre verloren viele den Willen zur Rückkehr. Die Aussies ihrerseits waren sehr zufrieden damit, die Prüfungen ihres Lebens in solch glamourösem Licht dargestellt zu sehen. Wer blöd genug sei, so ihre Haltung, auf solche Versprechungen hereinzufallen, der habe es verdient, in Australien zu leben. Mitgefühl gehörte noch nie zu den Stärken der Aussies.

In den 1980er Jahren lief im Fernsehen eine Aufklärungskampagne der Regierung zum Thema Volksgesundheit mit dem Titel Life – be in it, in der eine Art australischer Antiheld auftrat. Er hieß Norm, war zwischen 30 und 40 und hatte eine riesige Wampe. Er saß den ganzen Tag vor dem Fernseher und guckte Sportübertragungen. Natürlich mit einer Bierdose in der Hand. Braungebrannte Aussies und Norms koexistieren ohne Probleme, manchmal auch in ein und demselben Körper – schließlich wird auch in den Surferclubs Bier ausgeschenkt. Mit Ausnahme des pseudointellektuellen Chardonnay set („Chardonnay-Szene“) scheinen die Aussies heutzutage wenig Interesse daran zu haben, irgendein Image zu pflegen, abgesehen von dem einer großen Sportnation.

Für die Australier ist zu viel Sport noch längst nicht genug. Das Gute ist ja, dass es beim Sport ums Gewinnen geht, und hört mir bloß auf mit diesem Quatsch von wegen „Dabeisein ist alles“! Als der Aussie-Football noch ausschließlich im Bundesstaat Victoria gespielt wurde, strömten regelmäßig 100.000 Zuschauer zu den großen Begegnungen. Während der Olympischen Spiele führen die australischen Zeitungen Tabellen über die errungenen Medaillen pro Kopf der Bevölkerung, womit sich schlüssig beweisen lässt, dass die eigenen Leute besser sind als die Amerikaner – jedenfalls statistisch. Falls es an einer Niederlage nichts zu rütteln gibt, konnte von einer so kleinen Bevölkerung kein Sieg erwartet werden. Im Falle aber, dass man dennoch gewinnt, ist es ein umso wunderbareres Gefühl für den underdog, den übermächtigen Gegner niedergerungen zu haben.

Wie sie von anderen gesehen werden möchten

Gern würden die Aussies das abgenutzte Image ihres geliebten Landes als Siedlung von Sträflingen abstreifen. Sie sind keine Gauner, sondern stecken voller Unternehmergeist. Auf dem Gebiet des eigenständigen, innovativen Denkens erheben sie Anspruch auf eine Führungsrolle in der Welt. Wer einem Aussie gegenüber durchblicken lässt, sein Volk trage ja wohl die Gene von Kriminellen in sich, wird dahingehend belehrt, dass das Genmaterial hauptsächlich aus England eingeführt worden sei. Die kriminelle Schicht eines besseren Landes habe man sich damals bedauerlicherweise nicht leisten können.

Ohnehin sind in den etwa 70 Jahren der Deportationen lediglich 160.000 Sträflinge angeliefert worden. Ein Wassertropfen im Ozean, verglichen mit der Zahl der freien Einwanderer. Dennoch verschwindet die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung von Deportierten und Glücksrittern (den Goldsuchern des 19. Jahrhunderts) abstammt, nicht gänzlich aus dem Bewusstsein. Denn diese prägen bis in die Gegenwart das Bild von den raubeinigen Individualisten, deren entschlossene Tatkraft für die Entwicklung eines so großen, unwirtlichen Landes unabdingbar war.

Und selbst wenn so ein Unternehmergeist oder Politiker gelegentlich wieder im Knast landet, ist das kein Grund zur Aufregung. Als Rex „Buckets“ Jackson, ehemaliger Minister in New South Wales, wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten in Berrima einsaß, waren seine signierten Holzarbeiten ein heißbegehrter Artikel im Gefängnisladen.

Wie sie die anderen sehen