Helga Kaffke, Gabriele Berthel
WALKING TALKING
Unterwegs in Irlands wildem Westen
Aquarelle: Helga Kaffke
Texte: Gabriele Berthel
ISBN 978–3–95655–891–7 (E–Book)
ISBN 978–3–95655–890–0 (Buch)
© 2018 EDITION digital
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E–Mail: verlag@edition–digital.de
http://www.edition–digital.de
Irgendwann, nach ihrem künstlerischen Credo befragt, hat Helga Kaffke unter anderem gesagt: „eine Landschaft malen wie ein Porträt – und ein Porträt wie eine Landschaft.“
Das unverwandte Blau des südlichen Firmaments hat die Malerin nie in die Ferne gelockt. Sie arbeitet in den spröden Weiten des europäischen Nordens; in den vergangenen Jahren immer wieder in Irlands einsamem Westen. Sie liebte dieses unbezwingbare Licht, dessen Quelle im Dunkeln bleibt, wenn der Sturm die schiefergrauen Wolken am düsteren Februarhimmel in Fetzen reißt. Darunter das struppige Sumpfgras, in dem pink und blau die Schafe blühn. Gleichmütig haben glitzernde Torfseen eine Malerin gespiegelt, die noch in der Erinnerung ihren Gleichmut verlor.
In den auf Papier wiedererstandenen Landschaften finden wir alles: Moorgras und Moos, Felsen und Farn, Schafe, pink und blau. Und Menschen? Auch sie, aber öfter noch ihre Spuren: im raffiniert verschlungenen Gewirr elektrischer Drähte, in Cottages, die vom Blick übers Meer (Lage, Lage, Lage!) nicht träumen müssen…
Melancholische Lebendigkeit und lebendige Melancholie – manchmal verschwimmen die Grenzen.
Das ist das Vertrackte an diesen Kunstwerken: nie kann man sicher sein. Dass auch wirklich da ist, was man sieht, oder dass man aufspürt, was zwar nicht versteckt ist, aber auch nicht auf der Oberfläche sichtbar, Geschöpfe zum Beispiel, die so in diese Landschaft eingingen, dass sie nur noch als Bestandteil derselben wahrzunehmen sind und schon gar nicht herauszulösen aus ihr, ohne dass das GANZE zerstört würde.
So also kann aus einer Lösung ein Rätsel gemacht werden. Findet, so werdet ihr suchen. Und während wir, die Betrachter, auf ein solches Blatt schauen, schließen sich Relais in unserem Kopf, werden Verbindungen hergestellt, auf hintergründige Weise, denen wir nachgehen müssen: in uns. Das ist Wirkung. Wer eine Landschaft so porträtieren kann, darf gelassen bleiben, wenn ihm ein Trendsetter im Mainstream die Regeln des Kunstmarktes erklärt.
Gabriele Berthel
Den Kalk der Mauern hat das Salz gefressen:
den letzten Schutz. Die Steine liegen bloß.
Und an den Wänden, die noch stehn, wächst Moos –
So sehn, bald unterm Wind vergessen,
die Reste eines Lebens aus, gelassen:
sechs Schritte im Geviert und fast erhellt
vom Fetzen Himmel, der in die Kammer fällt.
Die macht sich groß, um so viel Licht zu fassen.
Und soviel Luft: genug, nicht zu ersticken –
Sehr schön gespiegelt vom Meer, von fremden Blicken,
erwacht das Cottage traumlos aus den Träumen
beschwingter Kameras, romantischer Reklamen.
Wo sein blindes Fenster sich bekreuzigt,
fällt ein Schatten aus dem Rahmen.
Am Ende bleibt dem Haus nichts, nur ein Leuchten
des Ginsters, der aus leeren Fenstern blüht
und die Schatten dürrer Krähen überm Giebel
Und verlassene Stimmen bleiben dem Haus
die seine Erlösung unmöglich machen
die nicht ausziehen wollen, sich verschanzen
ohne Dach überm Kopf auf ihre alten Tage
Genaugenommen hat das Haus nichts zu bieten
als seine große Offenheit, als sein offenes Ende
Nicht einmal einen Makler hat das Haus
dem es ein letztes Gebet wert wäre
der auf ein letztes Gebot wartet
Es ist schon lange kein Objekt mehr
der Begierden
der Gebärden
das Haus, das nicht krepieren kann
und auch nicht auferstehn
Der Ginster steht still. Und das Haus steht still. Und für Sekunden
sitzt eine dürre Krähe still
auf dem besonnten offenen Giebel
So läuft das Leben hier
im Stillstand weiter
und auf der Straße fährt die Zeit vorbei
die alles erlöst, die alles mitnimmt
alles bis auf die verlassenen Stimmen
die verstockten, die nicht einsteigen wollen
nicht aus der Welt gehn, nicht in den ewigen Frieden
Stoisch blüht der Ginster unterm lichtem Giebel
aus den leeren Fenstern halberloschner Mauern
die wie dürre Krähen scharf im Licht stehn
was hat diese unscheinbare straße
was sie scheinbar nicht hat da sie immerzu
durch deinen kopf fährt immerzu
durch deinen engen kopf ins weite
moor ganz langsam
rollt deine schnelle karosse
das schmale graue asphaltband auf
das keinen straßendispatcherdienst kennt
und keine straßenverkehrszulassung
und kein straßenbegrenzungsgrün
nur das falbe sumpfgras das sich gleichmütig
in den wind legt in den regen
durch den manchmal ein verlorenes licht so groß
wie ein verlorenes taschentuch fällt
und über den rostigen farn treibt dass er aufglüht ganz langsam
rollt deine schnelle karosse
das schmale graue straßenband auf
und du hältst deine kamera fest
und du hältst deine erinnerung fest
und du hältst dein herz fest
denn irgendetwas hat diese unscheinbare straße
ganz gewiss hat sie was
sie sich nimmt
zum beispiel ein scheckiges schaffell das still
auf die steine gebreitet liegt wie ein geheimnis
auf die steine im moor
die steine im mondschein
in dem dir keiner begegnen wird als der mond selber
auf dieser schmalen straße die so viel platz hat
in deinem kopf die keine straßenschilder kennt
und kein straßenbauamt
und keinen straßenzustandsbericht
nur geduld nur teereimer schäufelchen
und gestrandete seekühe aus moos und granit
die gelassen im jahrtausend versinken
oder aus ihm auftauchen ganz langsam
rollt deine schnelle karosse
das schmale graue straßenband auf
den schrundigen damm die schiefen schatten
von telegrafenmasten schrägen abenteuern
die nur die elektrische spannung noch hält
und kein mensch weiß wohin das alles führt
wer heimlich im moor signale empfängt bitte kommen bitte kommen
aber keiner kommt nur ein scheckiges schaffell
liegt still auf die steine gebreitet ein offenes geheimnis
bis es der wind holt
bis es der regen holt ganz langsam
rollt deine schnelle karosse
das schmale graue asphaltband auf
dieser straße die in der regenbogenpresse nicht vorkommt
obwohl sie viele regenbögen persönlich kennt
und keine straßenräuber
und keine straßensperren
und keine straßenkreuzigung
hier weißt du so lange woher der wind weht
bis du dir zum ersten mal erschüttert ans bein pinkelst
hier lernst du begreifen hier lernst du begriffe
in den wind schreiben
der dich ungerührt alleinlässt mit deiner tragödie
deinem nassen hosenbein
allein auf dieser straße die nachts noch
durch deinen kopf fährt ganz langsam
rollt die schnelle karosse
deiner träume das graue asphaltband auf
wo du schäfchen zählst die dir im mondschein begegnen
gestrandete strommasten in moos und granit
schief schneiden schatten den schrundigen damm
der auf teereimer schäufelchen wartet bitte kommen bitte kommen
aber keiner kommt nur ein scheckiges schaffell
treibt im mondlicht verlassen ein gelöstes geheimnis
aufs ende zu deines traumes aufs ende
dieser straße die dir ein rätsel bleibt
die dir bleibt das ist alles was du weißt
ohne zu wissen wohin dich das alles noch führt
Meilenweite Menschenleere
mythisch mystisch majestätisch
Maler mutig mittendrin
Muhkuh Mähschaf motiviert
machen muh machen mäh
Maler malt Moor mit Mäuerlein
mischt munter Mikrokosmos Makroklima
Maler mengt melodische Melange
Muhkuh Mähschaf mischen mit
mehren Muh mehren Mäh
Maler möchte mit Methode malen
Merde! Miese Mache. Muss malochen
Meisterschöpfung minus Musenkuss macht mürbe
Maler malt Murks merkt Malheur missmutig
Muhkuh Mähschaf mäkeln mit
murmeln muh murmeln mäh
Maler muss manövrieren
Maler muss minimieren
Maler muss mal
Muhkuh Mähschaf machen mit
mal Muh
mal Mäh
Meister mehrt Motive Maler mehrt Makulatur
Madonna mia! mosert Maler müde
Mensch, mehr Mäßigung! Mehr Mumm!
Meister macht Märchen Maler Mittagspause
Meister mixt Mirakel Maler mampft Mirakoli
Muhkuh Mähschaf malmen mit
mmmhhh...muh mmmhhh...mäh
Maler, meide Muße! Meister macht mobil!
Musen machen Maler madig
Maler memoriert Mängel meditiert
Muhkuh Mähschaf maulen mit
murren muh murren mäh
Maler möchte Malbuch mit Malanleitung
Mauern Moorgras Meeresspiegel
Maß Metier Moment Materie
Muhkuh Mähschaf mittendrin
machen muh machen mäh
Maler mangels Massel muss marschieren
Morgen mehr. Möglicherweise
Meister manisch magisch mischt Motive
mythisch mystisch majestätisch
Meilenweite Menschenleere
Kennst du das Land, wo die Schafe blühn?
Auf Farnhügeln? Zwischen Steinen im Tang? Im Moosgrün?
Meer unterm Sturm. Sturm überm Haus:
Schornsteinreinfensterraus
Das Haus steht.
Das Meer geht.
Der Wind dreht.
Den Hügel
streift ein Lichtflügel.
Regen spannt seinen Bogen.
Eins zwei ... Schon verflogen.
Ein Nebel jagt den Wind.
Wo jetzt Haus und Meer sind?
Und das Licht?
Eben noch ... Oder nicht?
Dreimal ums Eck,
sieben Meilen ins Versteck
im dunklen Torfmoor –
beim roten Bart meines Vaters,
beim schwarzen Schwanz meines Katers: was
geht hier vor?
Rätsel, alt wie die Hügel,
über denen, wie Schafe, graue Wolken vorm Wind fliehn,
unter denen, wie Wolken, graue Windschafe ziehn –
im Schattenlicht, verwunschene Welt.
Bis wieder ein Nebel fällt.
Hügel Schaf Stein und Gras –
wo ist das?
WAS?
Alles hängt vom Gleichgewicht ab. Noch fünf Schritte, sechs, dann fällt die Straße steil ab in die Senke. Man muss das mitkriegen. Man muss die Kuppe genau im Auge behalten. Wenn man zu flott rankommt, ist man ruckzuck unten. Es zieht einem die Gräten weg. In der Senke hält sich die Nässe am längsten. Weil der Wind bloß drüberhin pfeift und die Sonne gar nicht erst auftaucht, oder nur auf einen Sprung, nur um Bescheid zu sagen, dass sie nicht kommt. Dort unten, am Grund, bleibt die Straße, wie sie immer war. Mit riesigen Lachen vom Regen. Mit tiefen Schlammlöchern. Es ist ein schwieriges Stück. Man kann nur einen Fuß vor den anderen setzen. Das muss man raushaben. Am besten ist es, genau in der Mitte zu gehn, denn die Straße schwankt ein bisschen. Der Schmadder im Graben tut nicht weh. Es dauert bloß, bis man hochkommt.
In Paddys Schädel zwitschert das Stout. Paddy hört es gut, er kennt jeden Ton, er kann sie genau auseinanderhalten. Bisschen die Kehle nassmachen war er, in Snoopy`s Bar, aber er hält sich so aufrecht er kann, das muss man bringen, einen abbeißen und hinterher gradegehn, alles hängt vom Gleichgewicht ab, das kann man hinkriegen. Man muss den Pfiff kennen, dann ist es so einfach wie einen Fuß vor den anderen zu setzen, langsam, es hat keinen Zweck, so aufzudrehn. Wenn Paddy ehrlich ist, muss er zugeben: mehr Tempo würden seine Treter gar nicht durchhalten. Nicht dass sie schon in Fetzen gehn, Leder, weiß Paddy, kann einiges ab, das ist zäh. Aber die Schnürsenkel, die sind fort, so‘n Krempel ist fix erledigt, am Ende kaum gut für‘n Knoten, Paddy hat das nicht gebracht. Klar kann er neue kaufen, kann er sich leisten, macht er nicht, die Botten schlackern bisschen, es geht so, es geht, man muss das weghaben, Dampf machen hat keinen Sinn.