Anja Jonuleit
Das Nachtfräuleinspiel
Roman
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Anja Jonuleit wurde in Bonn geboren, lebte einige Jahre in Rom und studierte Italienisch und Englisch. Sie arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie anfing, Romane und Geschichten zu schreiben. Mit ihren Bestsellern ›Herbstvergessene‹, ›Der Apfelsammler‹ und ›Rabenfrauen‹ hat sie sich eine große Fangemeinde erobert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Friedrichshafen.
Sie bestieg den Zug um 3.24 Uhr nach Reutlingen. Das Abteil war, wie um diese Uhrzeit zu erwarten, leer, und während sie durch die Nacht fuhr und ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe betrachtete, versuchte sie sich darüber klar zu werden, was sie nun eigentlich empfand. Schuldgefühle? Scham?
Liane van der Berg ist als Erziehungsexpertin gefragt und landesweit bekannt. Doch ein Brief bringt die heile Welt, die Liane sich mühsam aufgebaut hat, ins Wanken. Denn sie hat ein dunkles Geheimnis, das sie sorgsam gehütet glaubte. Und doch gibt es jemanden, der sie offenbar gut kennt. Zu gut. Was zunächst noch harmlos scheint, wird für »Übermutter« Liane zunehmend bedrohlich. Denn wenn die Wahrheit ans Licht kommt, ist nicht nur ihre berufliche Zukunft zerstört.
Ungekürzte Ausgabe 2021
© 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
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Lektorat: Beate Schäfer
Am Ende des Bandes: »Das Nachtfräuleinspiel« in der Fassung von Ernst Meier, Deutsche Kinder-Reime und Kinder-Spiele aus Schwaben
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43388-4 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21918-1
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423433884
Für meine Tochter Laura,
die sich intensiv in diese Geschichte eingefunden hat
und der ich viele wertvolle Hinweise und Anregungen verdanke
Eine Mutter hat viele Kinder, die schlafen.
Liane van der Berg verbrachte die halbe Nacht lesend. Das war nichts, was sie sich selbst ausgesucht hatte, sondern ein Phänomen, mit dem man es in ihrem Alter eben zu tun bekam. Mit bald 69 war der Schlaf wie ein verzärteltes Gör, das sich schon beim ersten scharfen Ton in sein Schneckenhaus zurückzog und dort für den Rest der Nacht blieb. Verfluchter Lauf des Lebens. Sie hatte sich vor dem Schnarchkonzert ihres Mannes in Gesines altes Zimmer zurückgezogen, das nun als Gästezimmer diente, aber auch das hatte nichts genützt. Zwar war es hier im Zimmer still, aber dafür hörte sie das Geräusch des Windes nun umso lauter. Er ließ das Gerüst rings ums Haus ächzen und knacken, was für Liane fast so klang, als schliche draußen jemand herum und lauere nur darauf, dass sie das Licht löschte, um ins Haus einzudringen. Es war ihr durchaus bewusst, wie unsinnig diese Vorstellung war. Ihr Unbehagen hatte einzig und allein mit dem Anruf zu tun, den sie gestern Abend erhalten hatte. Und mit den Geistern, die dadurch ins Haus gewitscht waren. Warum hatte sie überhaupt den Hörer abgenommen? Sie wusste doch, dass Telefonate so spät am Abend sie nur aufwühlten! Und auch wenn dieses hier nur ein paar Minuten gedauert hatte, so hatte es doch ein schwindelerregendes Gedankenkarussell in Gang gesetzt, das Liane die ganze Nacht über nicht stoppen konnte.
Er habe da einen eigenartigen Brief bekommen, hatte ihr Sohn Matthias in irgendwie misstrauischem Ton gesagt. »Ein ziemlich kryptisches Geschreibsel, in dem du als seit 1968 tätige Familienzerstörerin bezeichnet wirst. Ach, was weiß ich, ich werf den Brief bei dir ein, dann kannst du ihn dir selbst ansehen.«
Nachdem Matthias aufgelegt hatte, war Liane mit dem Telefon in der Hand sitzen geblieben. Erst als ihre Füße eiskalt geworden waren, hatte sie sich daran erinnert, dass sie, als der Anruf kam, eigentlich auf dem Weg in die Badewanne gewesen war. Seit 1968? Was für eine seltsame Anspielung. So viel Zeit war inzwischen vergangen, so viele Jahre, in denen sie nie mehr an damals gedacht hatte. Doch jetzt hatte ihr ein einziges Telefonat klargemacht, dass nichts vergangen war, dass alles noch irgendwo existierte. Konserviert wie die Büchsenpfirsiche, dieses tote Zeug, das Carl sich während des Studiums immer einverleibt hatte. Aber vielleicht hatte dieser ominöse Brief ja auch gar nichts damit zu tun. Sie durfte nicht immer gleich das Schlimmste annehmen. Vielleicht stammte dieser Unfug nur von einem harmlosen Spinner, der den Artikel im Stern gelesen hatte. Darin war nämlich auch von ihrer Zeit in der Kommune die Rede gewesen. Solche Anwürfe von Unbekannten hatte sie schon öfter erlebt. Immerhin war sie eine Person des öffentlichen Lebens. Wer kannte sie nicht, die Familienretterin, die Super-Granny mit dem großen Herzen, die seit zehn Jahren die Erziehungsprobleme anderer Leute löste. Selbst diejenigen, die ihre Sendung nicht anschauten, wussten zumindest, wer sie war.
Nach dem Telefonat war sie aufgestanden und ins Bad gegangen, um die Temperatur des Badewassers zu prüfen, aber das Wasser war immer noch zu heiß gewesen. Seitdem Matthias ihnen diesen Kollektor aufs Dach hatte montieren lassen, kam das Wasser siedend heiß aus der Leitung, zumindest an sonnigen Tagen. Sie hatte etwas kaltes Wasser dazulaufen lassen und war in die Wanne gestiegen, doch die Gedanken an den Brief hatte sie nicht abschütteln können.
Jetzt, als sie sich Stunden später im Bett herumwarf, ärgerte sie sich noch immer darüber, nicht genauer nachgefragt zu haben. Sie hätte Matthias bitten sollen, ihr den Brief vorzulesen. So musste sie bis morgen warten, bis er ihr das Ding in den Briefkasten warf. Was auch mal wieder typisch war. Warum kam er nicht kurz herein, auf eine Tasse Tee oder meinetwegen auch Kaffee? Was hatte sie bitteschön an sich, dass er sie so mied? Andererseits war es ihr in diesem Fall ganz recht, dass er den Brief nur in den Kasten werfen wollte. So konnte sie vermeiden, dass Carl Wind von der Sache bekam. Zuerst einmal musste sie genau wissen, worum es überhaupt ging.
Sie richtete sich auf, knipste die Nachttischlampe an und sah auf die Uhr. Erst drei, dachte sie und arrangierte ihre Kissen um – eins links, eins rechts, eins, auf dem der Kopf zu liegen kam – und löschte wieder das Licht. Mit offenen Augen lag sie da und lauschte dem Rauschen des Windes. Was, wenn dieser Brief nicht nur das Gestammel eines Irren war? Wenn das, was da geschrieben stand, Hand und Fuß hatte? Seit der Titelgeschichte im Stern hatte sie so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie schon lange nicht mehr. Nicht nur auf sich, sondern auf die ganze Familie. Und damit natürlich auch auf Carl, der ebenfalls auf dem Titelbild zu sehen gewesen war. Sie schloss die Augen und atmete ein und wieder aus, tief in den Bauch. Im Geiste versuchte sie zu rekapitulieren, was genau sie in dem Interview gesagt hatte. Über ihre Ehe als Partnerschaft auf Augenhöhe hatte sie gesprochen und über die drei berühmten Ks – darüber, wie sie es geschafft hatte, Kinder, Küche und Karriere unter einen Hut zu kriegen. Aber nichts in dem Artikel hätte jemanden dazu veranlassen können, in ihrer Vergangenheit herumzuwühlen. Nein, das Interview war fantastisch, ganz und gar gelungen. Es zeichnete ein sehr persönliches Bild von ihr, ohne allzu privat zu werden. Sie hatte die Interviewerin genau in die von ihr gewünschte Richtung lenken können und es sogar geschafft, bestimmte Ereignisse elegant zu umschiffen. So war am Ende ein stimmiger Gesamteindruck entstanden, der perfekt zur öffentlichen Komposition ihres Lebens passte.
Liane seufzte. Und musste auf einmal an den Tag denken, als alles angefangen hatte, an jenen Ostermontag 1968. Wobei es für sie ja schon früher begonnen hatte, schon im Winter davor. In dem Moment, als sie ihn das erste Mal sah.
Kennengelernt hatte sie Carl Ende der Sechzigerjahre in München, nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin. Sie war damals noch ganz neu in der Stadt gewesen, ein Landei. Erst im Sommer war sie endgültig aus Lühe fortgezogen, einem Kaff im Alten Land, und damit dem Dunstkreis ihrer Familie entkommen. An jenem Wintertag machte sie, wie oft in der Mittagspause, einen Spaziergang im Englischen Garten, zusammen mit Mathilde, ihrer einfältigen Kollegin aus dem Kindergarten, mit der sie außer dem Bedürfnis nach frischer Luft und Bewegung kaum etwas gemeinsam hatte.
Der Wind wehte so eisig über die Wiesen, dass auch ihre Kapuzen gegen die Kälte wenig ausrichten konnten, daher beschlossen sie, schon früher als sonst umzukehren und zum Kindergarten zurückzugehen. Sie kamen gerade am Chinesischen Turm vorbei, als Liane ein Pärchen auffiel, offenbar Studenten. Der junge Mann war blond und kräftig und ging, eine Zigarette in der linken Hand, neben einer blonden jungen Frau her, die ein Buch in der Hand hielt und ihn abfragte. Er trug einen braunen Dufflecoat und sie einen wadenlangen Lammfellmantel, und auch wenn die beiden nicht besonders auffällig waren, konnte Liane auf einmal die Augen nicht mehr abwenden. Nicht von ihm jedenfalls, wie er so vor sich hin qualmte und mit gerunzelter Stirn die Lippen bewegte. Und vielleicht war das schon der Moment, in dem Liane beschloss, dass sie diesen Mann haben musste. Ihr jedenfalls kam es später so vor, auch wenn sie das ihm gegenüber niemals zugegeben hätte. Jedenfalls lag da eine Lässigkeit in seiner Haltung, die Lianes Blick festhielt, ein Ausdruck von Entspanntheit und großer Sicherheit, aber dazu kam auch noch etwas anderes, das Liane nicht hätte benennen können. Jedenfalls verspürte sie den albernen Wunsch, dem Mädchen das Buch aus der Hand zu reißen und selbst den Platz an seiner Seite einzunehmen. Und während die stämmige Mathilde neben ihr weiter vor sich hin plapperte, verrenkte sich Liane den Hals und konnte die Augen nicht von ihm lassen.
Von da an ging sie in jeder Mittagspause in den Park, mit oder ohne Mathilde, und drehte ihre Runden so, dass sie etliche Male am Chinesischen Turm vorbeikam. Und tatsächlich sah sie ihn dann und wann wieder, manchmal alleine, manchmal in Begleitung seiner Freundin, und nachdem sie ihn ein paarmal beobachtet hatte, wusste sie auch, woran er sie erinnerte, mit seinem windzerzausten, etwas zu langen Haar: an einen Seemann.
Wenn das Mädchen dabei war, nahm Liane auch sie genauestens unter die Lupe, blieb ein Stück weit entfernt stehen, lehnte sich an einen Baum und betrachtete sie mit tiefer Abneigung. Sie begutachtete ihre Figur, wie sie sich bewegte und wie sie sprach, und träumte sich an ihre Stelle. Manchmal, besonders wenn noch andere junge Leute dabei waren, ging sie so dicht an ihnen vorbei, dass sie Gesprächsfetzen aufschnappte, fremde Worte wie Propädeutikum und Famulatur. Zu Hause schlug sie diese Begriffe in Frau Niethammers vierundzwanzigbändigem Brockhaus nach und fand auf die Art heraus, dass er Medizin studierte.
Als er von einem Tag auf den anderen nicht mehr im Park auftauchte, verfiel sie in einen tiefen Groll. Sie verfluchte ihre Feigheit und ihre Unfähigkeit, etwas zu unternehmen, als noch Zeit dazu gewesen war. Wieso hatte sie nicht die Initiative ergriffen und ihn oder jemand anderen aus seiner Clique angesprochen! Warum hatte sie nicht dafür gesorgt, dass er auf sie aufmerksam wurde! Der Gedanke an das blonde Mädchen störte sie dabei nur am Rande. Fast am meisten ärgerte sie, dass sie sich genau so verhalten hatte, wie ihre Eltern es für richtig gehalten hätten. Ein anständiges Mädchen spricht keinen Jungen an. In ihren Träumen hatte sie schon lange eine ganz andere Vorstellung von sich selbst, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, sich auch entsprechend zu verhalten. Weder bei dem Fremden im Park noch bei ihrer Arbeit mit den Kindern.
Als die Entscheidung anstand, was sie nach der Schule tun sollte, war sie ganz und gar nicht sicher gewesen, ob sie zur Erzieherin taugte. Sie war keine große Kinderfreundin, auch wenn sie mit den Blagen meistens ganz gut zurechtkam. Im Grunde hatten ihre Eltern die Berufswahl für sie getroffen.
»Im Büro ist mit Lianchen ja nichts anzufangen!«, hatte ihre Mutter bei Verwandtentreffen gerne behauptet, auch wenn sie selbst Hausfrau war und nie ein Büro von innen gesehen hatte. Und Lianes Vater unterhielt die Kaffeerunde gerne mit dem humorigen Spruch: »Na ja, Hauptsache, wir haben sie von der Straße!«, was bei Onkel Ernst den immergleichen dümmlichen Lachanfall auslöste.
Liane hasste dieses Gerede und träumte davon, dem reaktionären Dunstkreis ihrer Eltern so bald wie möglich zu entkommen. Insofern war ihr die Ausbildungsstelle beim Hamburger Waldorfkindergarten am Ende doch sehr recht gewesen. Ein Gefühl, das sich verfestigt hatte, als ihr klar wurde, was Waldorfpädagogik überhaupt war. Oh, ihre Eltern wären entsetzt gewesen, wenn sie jemals begriffen hätten, was für ein – in ihren Augen – dumm Tüch da mit den Kindern veranstaltet wurde. Tatsächlich ging es dort ganz anders zu als in den Kindergärten auf dem Land, und das gefiel Liane genauso gut wie das Leben in der großen Stadt. So war sie letztlich doch halbwegs gerne zur Arbeit gegangen und hätte wohl auch dort weitergemacht, wenn man sie nach der Ausbildung hätte übernehmen wollen, was aber nicht der Fall gewesen war. Dieser Umstand hatte sie schier in den Wahnsinn getrieben, denn auf die Art war sie nach dem Ende der Ausbildung doch wieder zu Hause in Lühe gelandet. Dass sie schließlich ausgerechnet in München, gut achthundert Kilometer von ihrem Heimatort entfernt, eine Stelle gefunden hatte, passte ihr daher bestens. Nur handelte es sich leider um einen städtischen Kindergarten, der noch dazu außerordentlich strikt geführt wurde. Liane merkte bald, dass das strenge Regiment der Leiterin ihren Widerspruchsgeist weckte, aber sie fand keinen Weg, etwas dagegen zu tun. Frau Wiegand und auch die meisten anderen Erzieherinnen waren dermaßen fortschrittsfeindlich, dass einem Hören und Sehen verging. Mittags mussten die Kinder zwei Stunden ruhen, und wenn sie auch nur einen winzigen Muckser taten, mussten sie pro gesprochenem Wort fünf Minuten nachschlafen. Wenn ein Kind zu laut sprach, wurde es zum Strafsitzen raus auf den Gang geschickt, wo es dann stocksteif dahocken und den Finger vor die Lippen halten musste. Woher das alles kam, war Liane klar: Die Wiegand hatte natürlich die Indoktrination in der Nazizeit schon mit der Muttermilch aufgesogen. Und auch Lianes Kollegin Elfriede, die in ihrer Jugend Jungmädelscharführerin gewesen war, ließ sich nicht davon überzeugen, den Kindern mehr zuzutrauen und sie einfach mal machen zu lassen, ohne gleich einzugreifen. Diese Haltung erstickte jedes bisschen Eigenständigkeit im Keim und zwängte die Kinder schon früh in ein Gedankenkorsett, aus dem sie sich womöglich zeit ihres Lebens nicht mehr befreien würden. Im Hamburger Waldorfkindergarten dagegen schnitzten sich schon die Kleinsten Stöcke und bearbeiteten Bretter mit Sägen!
An manchen Tagen spürte Liane diese engen Grenzen auch um sich selbst, wie eine Schraubzwinge. Sie fragte sich, ob ihr Berufsleben wohl bis zur Rente in solch tief gespurten Bahnen verlaufen würde, und beneidete den blonden Studenten und seine Freunde glühend um die Aura von Freiheit, die sie umgab.
Es ist jeden Morgen dasselbe. Wenn um drei Uhr der Wecker klingelt, würde Annamaria alles darum geben, weiterschlafen zu dürfen, besonders jetzt, wo sie schwanger ist. Aber es hilft ja alles nichts. Sie tastet nach dem Zwieback, den sie auf dem Nachttisch deponiert hat. Schnell was futtern, bevor die Morgenübelkeit sich anpirscht.
Sie mümmelt den Zwieback und denkt darüber nach, wann sie es ihm sagen wird. Ein bisschen Bammel hat sie schon. Aber dann erinnert sie sich wieder daran, dass er einmal zu ihr gesagt hat, wie sehr er sich Kinder wünscht und dass Sabine ihm diesen Wunsch nie erfüllen wird. Weil sie total auf sich und ihre Karriere fixiert ist. Das hat er wortwörtlich gesagt, und schon damals hat sie gedacht, dass irgendwann einmal sie diejenige sein wird, die diesen Traum für ihn wahr macht.
Natürlich ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Noch ist der Markus ja ihr Lehrer, aber Gott sei Dank stehen die ersten Abiturprüfungen schon für Mitte März an, und mit ein bisschen Glück muss sie gar nicht mehr ins Mündliche. Und mit der Fahrschule ist sie auch schon so weit, dass sie sich bald zur Prüfung anmelden kann. Auch wenn sie den Führerschein natürlich erst im Juli bekommt, zu ihrem achtzehnten Geburtstag. Jedenfalls müsste alles gerade so zu schaffen sein bis zum 24. Juni. Das ist der Tag, den der Arzt ihr als Geburtstermin genannt hat. Das Zeugnis würde sie sich dann eben zuschicken lassen. Aber wie auch immer es ausgeht, ob sie nun ins Mündliche muss oder nicht: Sie hat im Leben schon ganz andere Hürden genommen. Als ehemaliges Heimkind haut sie so schnell nichts um.
Sie schlägt die Decke zurück und bleibt einen Moment lang auf der Bettkante sitzen. Die Morgenübelkeit scheint sie jedenfalls mal wieder überlistet zu haben. Und diese mürbe Schwäche, die die Schwangerschaft mit sich bringt, wird auch noch nachlassen. Das hat zumindest der Arzt gesagt.
Als sie später durch die stillen Straßen geht, friert sie und fühlt sich matt, aber wie immer versucht sie, sich in die gemeinsame Zukunft mit dem Markus hineinzuträumen. Wenn sie erst mit ihm zusammenlebt, wird alles gut sein.
Doch heute wollen die Bilder nicht recht kommen, was vielleicht am Wetter liegt, eisiger Wind und Regen, eine Kombination, die nicht zum Träumen einlädt, zumindest nicht, wenn man morgens um vier Zeitungen austrägt.
Allein zum Abholen der Zeitungen braucht sie heute eine gute Viertelstunde. Weil sie nicht mit dem Rad fahren kann, der alte Göppel hat mal wieder einen Platten. So muss sie die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen. Seit sie den Bahnhof dichtgemacht haben, muss sie ja bis zum Senn-Bäck, weil die Zeitungen jetzt immer dort angeliefert werden. Ein Gutes hat die Sache aber: So kommt sie jeden Morgen am Haus vom Markus vorbei, und das ist wunderbar. Denn dann fühlt Annamaria sich ihm so nahe. Ein prickelndes Gefühl, unter seinem Schlafzimmerfenster entlangzugehen, sich ihn vorzustellen, wie er dort liegt und schläft. Sein ruhiger Atem, die Wärme seiner nackten Haut. Weniger prickelnd ist die Vorstellung, dass die Sabine neben ihm liegt. Aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Bis er es ihr sagt. Dass er ausziehen wird.
Auf dem Rückweg kommt der schönste Teil ihrer Runde, der Abstecher zum Haus der Glücklichen Familie. Meist bleibt sie, nachdem sie sich den Berg hochgekämpft und die beiden Zeitungen in die Röhre gesteckt hat, noch einen Augenblick lang stehen. Der Hellsternhof, so heißt das alte Fachwerkhaus, nach dem Märchen vom Hellsternmännle, liegt ein ganzes Stück oberhalb des Ortes. Es ist der einzige Haushalt, der nicht den Alb-Boten bekommt. Niemand sonst in Rosenau liest die Frankfurter Allgemeine und die NZZ. Der Mann ist Arzt an der Reutlinger Klinik, das weiß Annamaria schon länger. Und dass das Haus vor Kindern nur so wimmelt. Fünfe sollen es sein! Dabei ist die Frau trotzdem nicht nur Hausfrau. Sie heißt Liane van der Berg, ist Psychologin oder Psychiaterin – wo der Unterschied liegt, begreift Annamaria nicht so ganz – und soll ziemlich bekannt sein, hat die Oma von der Hedi gesagt. Und dass sie Bücher schreibt, über Kinder und Erziehung, und die Oma von der Hedi muss es ja wohl wissen, denn sie weiß alles über jeden im Ort. Was diese Kinder für ein Glück haben, in so einer Umgebung groß werden zu dürfen, denkt Annamaria wie jeden Morgen. Der alte Bauerngarten, das weiß sie aus helleren Tagen, ist wie ein Abenteuerspielplatz, sogar ein Baumhaus mit einer Schaukel drunter gibt es, auch ein Trampolin und eine Wippe. Und obwohl das Haus so weit abseits liegt und alles in Winterdunkel getaucht ist, hat Annamaria keine Angst. Denn sie weiß ja, dass dort, hinter diesen Fenstern, die Glückliche Familie schläft. Genau so eine Familie wird sie auch bald haben, weiß Annamaria, und ein Glücksgefühl durchströmt ihren Körper, so intensiv und stark, dass es fast nicht zum Aushalten ist. Benommen von diesem Gedanken an ihre eigene Zukunft atmet sie tief ein und wieder aus und macht sich dann auf den Rückweg. Was ist der frühe Morgen doch für eine friedliche Zeit, denkt sie. Vielleicht liegt es daran, dass die Gedanken der Menschen noch nicht in der Welt sind, dass alles ruht, auch das Böse.
Wenn sie nachts nach dem Babysitten nach Hause geht, ist es anders. Die Stille wirkt dann bedrohlicher, voll unterdrückter Triebe. Vielleicht weil sie auf dem Heimweg immer am Goldenen Ochsen vorbeikommt, und wenn sie Pech hat, trifft sie ein paar stramme Stammtischler, die wie sie auf dem Nachhauseweg sind, zum Beispiel den Cornelius und seine Kumpels. Dann kann sie sich immer diese zotigen Sprüche anhören, das mag sie gar nicht. Und jetzt, in der Fasnet, wird es noch viel ärger.
Als Annamaria bald darauf die Haustür des alten Bahnwärterhäusles aufschließt, bleibt sie kurz stehen und lauscht. Nichts zu hören aus Sibylles Schlafzimmer. Im Gegensatz zu letzter Nacht, als ihre Pflegemutter mit diesem Typen hereingetorkelt kam und die beiden einen Heidenlärm veranstaltet haben. Wahrscheinlich hat die Sibylle ihm nicht erzählt, dass sie nicht allein im Häusle sind. Jedenfalls hat Annamaria zur Sicherheit ihre Zimmertür abgeschlossen und auch noch die Kommode davorgeschoben, um keine beschissene Überraschung zu erleben. Und dann hat sie sich noch Watte in die Ohren gesteckt. Aber das hat nicht viel genützt, das fürchterliche Knarren des Lattenrosts war trotzdem noch zu hören. Noch ein paar Monate, denkt Annamaria, dann bin ich hier weg.
Sie schleicht in die Küche, schließt die Tür hinter sich und bückt sich, langt hinter den Schrank und zieht ihren Geheimvorrat Kaffee heraus. Wenn sie ihn nicht versteckt, säuft Sibylle ihn nämlich weg. Obwohl Annamaria ihn von ihrem eigenen Geld gekauft hat. Und natürlich kauft Sibylle auch keinen neuen, weil sie alles, was sie hat, in Gin umsetzt. Von Gin bekäme man keine Fahne, hat ihr jemand mal erzählt.
Annamaria dagegen spart jeden Pfennig. 1780 DM hat sie schon zusammen. Sie ist erst siebzehn, fühlt sich aber manchmal ganz schön alt. Jedenfalls älter als ihre Pflegemutter. Denn seitdem Sibylle der Mann weggelaufen ist, ist es bei ihnen umgekehrt: Nicht die Pflegemutter kümmert sich um Annamaria, sondern Annamaria um die Pflegemutter. Eigentlich müsste sie die Kohle vom Jugendamt bekommen, nicht Sybille. Aber sie will sich gar nicht beklagen. Denn selbst eine saufende Sybille ist tausendmal besser als das, was Annamaria vorher erlebt hat, in diesem Heim. Das war die schlimmste Zeit in ihrem Leben, und wenn sie auch nur kurz daran zurückdenkt, fängt ihr Herz sofort zu rasen an, so doll, dass sie das Klopfen bis in ihre Kehle spürt.
Annamaria setzt Wasser auf und schaufelt Kaffeepulver in den Filter, stellt sich ans Fenster und schaut hinaus. Sie ist jetzt wieder müde. Dabei fängt der Tag doch gerade erst an. Das rote Signal am Bahnübergang taucht alles in ein komisches Licht, blutig irgendwie. Annamaria sieht die Bäume hin- und herschwanken und beobachtet, wie der Winterwind an der Dachpappe des Schrebergartenhäuschens auf der anderen Seite der Schienen zerrt, mit aller Kraft, so als wollte er das Dach abdecken. Letzte Nacht, als das Gerammel im Schlafzimmer lauter wurde, hat Annamaria mit dem Gedanken gespielt, sich für eine Weile in dem Häuschen einzunisten. Dort, hat sie überlegt, hätte sie wenigstens ihre Ruhe und könnte auch gleich ein bisschen vom Markus träumen. Wie sie dort zusammen gewesen sind, im Sommer. Doch als sie jetzt sieht, wie der Wind an dem Dach reißt, ist sie froh, es nicht getan zu haben.
Da hört sie ein Geräusch im Gang. Scheiße, denkt sie, löscht das Licht und duckt sich unter den Tisch. Schritte steuern auf die Küche zu, die Küchentür geht auf. Einen Augenblick lang ist es still. Annamaria hält den Atem an. Dann, Gott sei Dank, wird die Tür wieder geschlossen und die Schritte entfernen sich. Wahrscheinlich Sibylles Saufkumpan, der das Häfele sucht. Sie wartet noch eine Weile unterm Tisch, bis die Schritte im Bad münden. Glück gehabt, denkt sie. So früh am Morgen hätte sie wirklich keine Lust gehabt, sich das Gehänge von irgendeinem Typen anzusehen, noch vor dem ersten Schluck Kaffee.
Annamaria macht wieder Licht, brüht sich den Kaffee auf und schleicht zurück in ihr Zimmer. Schiebt die Kommode wieder vor die Tür. Der erste Schluck, heiß, aber aus Rücksicht auf das Baby nicht so stark, wie sie ihn gerne hätte, ist wie Balsam. Wenn sie die Abiprüfungen hinter sich hat, wird sie das Kaffeetrinken ganz sein lassen. Aber vorher schafft sie das nicht, da braucht sie sich nichts vorzumachen.
Während die Mutter abwesend ist, kommt die alte Urschel mit ihren beiden Töchtern, den Nachtfräulein, und sie holen drei Kinder, jede eins.
Das Geräusch von Schritten im Kies holte Liane zurück in die Gegenwart. Sie setzte sich auf und lauschte einen Moment lang in die Dunkelheit, bevor sie auf Zehenspitzen zum Fenster schlich. Vorsichtig schob sie den Vorhang einen Spalt breit zur Seite und spähte hinaus in die vom milchigen Licht der Hoflaterne erhellte Nacht. Nachdem sie sich auch noch mit einem Blick durch das andere Fenster vergewissert hatte, dass niemand zu sehen war, knipste sie die Nachttischleuchte an. Wahrscheinlich der Zeitungsausträger, dachte sie, schließlich war es schon halb fünf Uhr morgens. Seufzend griff sie nach ihrem Morgenmantel, der auf der Polsterbank unter dem Fenster lag, und machte sich auf den Weg nach unten. Vielleicht würde eine Tasse Passionsblumentee helfen. Oder sollte sie sich womöglich eine warme Milch mit Honig gönnen? Das hatte sie schon lange nicht mehr getan, denn sie wusste ja nur zu gut, dass Milch den Körper verschleimte. Aber jetzt würde sie einmal eine Ausnahme machen – vielleicht half ihr das, zurück in den Schlaf zu finden. Wobei sie die Milch natürlich erhitzen musste, was einen zusätzlich negativen Effekt hatte. Bei über 42 Grad wurden die Enzyme zerstört und tote Materie hatte keinen Nährwert mehr. Liane atmete hörbar aus. Es gab eben immer wieder Situationen im Leben, in denen man die Regeln brechen musste.
Während sie den Herd anstellte und einen kleinen Topf aus dem Schrank holte, schaute sie auf die große Pinnwand neben der Küchentür und lenkte ihre Gedanken auf den bevorstehenden Tag. Gleich um neun hatte sie einen Telefontermin mit der Casterin von TV Makers, der Produktionsfirma, für die sie als Familienretterin vor der Kamera stand, mit der Mission, Familien bei der Kindererziehung zu helfen. Die zehnjährige Jubiläumssendung stand an, heute musste die Entscheidung fallen, welche Familie dafür die geeignetste wäre. Wenn sie es schaffte, die Vier-Millionen-Marke zu sprengen, wäre ihr die nächste Staffel sicher.
Sie nahm den Topf vom Herd, schüttete die Milch in ihren Lieblingsbecher aus blau lasiertem Ton – ein Geschenk von Gesine – und tat einen Löffel Honig dazu. Dann setzte sie sich aufs Sofa und breitete eine leichte Decke über ihre Beine, obwohl es im Wohnzimmer noch immer schön warm war. Die Erneuerung des Grundofens war den Aufwand eindeutig wert gewesen. Es hatte eben Vorteile, wenn der eigene Sohn eine Baufirma besaß. Wobei sie damals entsetzt gewesen war, als Matthias die Schule verlassen hatte und zu diesem Ofensetzer in die Lehre gegangen war. Er war schon immer ein Sturkopf gewesen; Gott allein wusste, wie sehr sie sich um diesen Jungen bemüht hatte. Doch bei ihm hatte nichts, aber auch gar nichts geholfen. Nicht das Aufzeigen der Konsequenzen, nicht die Methode der kaputten Schallplatte, noch nicht einmal der Nachdenkraum. Mit seinem Dickkopf hatte er sie an ihre Grenzen gebracht, als Mutter und auch als Pädagogin und Psychologin. Und mit Hortensie war es ähnlich gewesen. Der Älteste und die Jüngste. Sie warf einen kritischen Blick auf das Familienfoto, das in seinem schweren Rahmen aus antikem Silber auf dem Konsoltisch hinter dem Sofa stand. Dann griff sie nach dem Becher und pustete auf die Milch. Dafür hatten die drei anderen Kinder ihre Erwartungen mehr als erfüllt, dachte sie, während sie einen vorsichtigen Schluck nahm. Auf Gesine, Matthias’ Zwillingsschwester, war Liane besonders stolz. Gesine war eine erfolgreiche Geigerin geworden, die sich vor lauter Anfragen gar nicht mehr retten konnte und inzwischen siebzig, manchmal sogar achtzig Konzerte im Jahr gab. Auf vielen großen Bühnen hatte sie schon gespielt, in der Royal Albert Hall in London und auch in New York und Salzburg und St. Petersburg. In dieser Spielzeit war sie Artist in Residence bei der Dresdner Philharmonie. Umso mehr wusste Liane es zu schätzen, dass ihre älteste Tochter einzig wegen der Fotostrecke für den Stern nach Hause geflogen war. Gesine begriff eben, wie wichtig gute PR-Arbeit war. Ruben konnte das als Botschaftsrat zwar auch ermessen, trotzdem hatte Liane ihn deutlich intensiver bitten müssen. Dabei war er zu der Zeit sowieso auf Heimaturlaub in Berlin gewesen. Heimaturlaub, dachte Liane, während sie sich die Hände an dem Becher wärmte, was für ein seltsamer Begriff. Aber so nannte man das eben beim Auswärtigen Amt, wo Ruben gleich nach dem Jurastudium die Laufbahn für den höheren Dienst eingeschlagen hatte. Seit er vor drei Jahren als Kulturattaché an die Deutsche Botschaft in Neu-Delhi versetzt worden war, hatte er sich nicht mehr zu Hause blicken lassen. Doch das nahm sie ihm nicht übel, er war eben mit Leib und Seele Diplomat. Bedauerlich nur, dass er immer noch keine nette Partnerin gefunden hatte, so gut, wie er aussah! Lilo dagegen, überlegte Liane, wobei ihr Blick zurück zu dem Familienfoto wanderte, schien alle paar Monate einen neuen Lebensgefährten zu haben. Der jetzige war ein rachitischer Brillenträger, der sich allen Ernstes in einem Verein für den Schutz der Großtrappe engagierte. Beruflich hatte Lilo immerhin ein glücklicheres Händchen. Als sie im letzten Jahr ihre eigene Praxis als Gynäkologin eröffnet hatte, waren Liane und Carl denn auch den weiten Weg nach Berlin gefahren, um persönlich bei der Praxiseinweihung anwesend zu sein. Wobei es Liane lieber gewesen wäre, ihre Tochter hätte sich für ein Fachgebiet entschieden, bei dem sie nicht hauptamtlich den Unterleib anderer Frauen begutachtete. Na ja, dachte sie, Gynäkologen brauchte man eben auch; das wusste sie als Mutter von fünf Kindern am besten. Wobei sie es während ihrer Schwangerschaften nicht nötig gehabt hatte, dauernd zum Frauenarzt zu rennen, so wie das heute Usus war. Nein, sie hatte keine Angst gehabt, der Natur ihren Lauf zu lassen. Alle ihre fünf Kinder waren auf spontane Art geboren worden und sie hatte weder eine Periduralanästhesie noch einen Kaiserschnitt benötigt. Im Unterschied zu ihrer jüngsten Tochter Hortensie, die gerade mal ein Kind auf die Welt gebracht hatte, und das natürlich per Kaiserschnitt. Dafür war die kleine Juli das einzige Enkelkind, das Liane hatte, und fürs Erste würde es wohl bei dem einen bleiben.
Liane nahm den letzten Schluck Milch und stellte den Becher ab. Eine Weile blieb sie noch so sitzen, doch als ihre Gedanken wieder zu dem Brief zurückkehrten, erhob sie sich ungeduldig, löschte das Licht und räumte den Becher in die Spülmaschine. Meine Güte, dachte sie, was bin ich dünnhäutig geworden. Das lag sicher an der bevorstehenden Jubiläumssendung. Wenn die erst einmal erfolgreich gelaufen wäre, könnte sie wieder ein wenig entspannen.
Den kümmerlichen Rest der Nacht verbrachte sie mit krausen Träumen. Als sie Rufe hörte, war sie verwirrt und begriff erst nach und nach, dass das die Bauarbeiter sein mussten, die draußen auf dem Gerüst herumturnten. Benommen blinzelte sie, sah auf die Uhr und sank zurück auf das Kopfkissen. Wieso um alles in der Welt hatte sie nur von damals geträumt, von Frau Niethammer und Mathilde und von der Studentendemo, in die sie damals geraten war?
Da fiel ihr der unselige Brief wieder ein.