Willy Adelmann-Húttula
Konzentration
und Meditation
als Mittel zur Entfaltung der höheren
Willens- und Erkenntniskräfte.
„Konzentration und Meditation“ von Willy Adelmann-Húttula
Erstveröffentlichung: 1921
Cover: © Lava Lova - Fotolia.com
Überarbeitung: F. Schwab Verlag
Neuauflage: F. Schwab Verlag – www.fsverlag.de sagt Danke!
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Der Mensch mit ruhelosem Herzen und Gemüt besitzt keine Weisheit, noch die Macht der Beschauung; wer keine Überlegung übt, besitzt keine Ruhe; und wie kann ein Mensch ohne Ruhe Glückseligkeit erlangen? Das unbeherrschte Herz folgt den Geboten der Leidenschaft, und dadurch wird die spirituelle Erkenntnis fortgerissen, geradeso wie der Sturm ein Boot auf das Meer verschlägt. Deshalb, o Du Starkarmiger, ist sein Wissen erst dann gesichert, wenn er seine Sinne und Organe von ihren entsprechenden Strebenszielen abhält. Was für alle Nichterleuchteten Nacht ist, das ist für seine Augen heller Tag; und was allen anderen als Tag erscheint, darin erblickt er die Nacht, die Nacht der Nichterkenntnis. Solcher Art ist der selbstbeherrschte Weise. Der Mensch, dessen Begierden in sein Herz eintreten, wie Ströme in den dadurch nicht anwachsenden Ozean laufen, welch letzterer, obgleich stets voll, doch nie sein Bett verlässt — ein solcher Mensch erlangt Glückseligkeit, nicht aber jener, der in seinen Lüsten schwelgt. Der Mensch, welcher all seine Begierden verlassen hat und ohne Habsucht, Selbstsucht oder Stolz handelt und sich weder für den Handelnden noch für den Besitzer ansieht, erlangt Ruhe. Dieses, o Pritha-Sohn, ist abhängig sein vom Höchsten Geist (Âtman), und wer dieses erworben, geht nicht mehr in der Irre; wenn er es erlangt hat und bis zur Todesstunde darin verharrt, dann geht er in das Nirvâna des Höchsten ein.
Bhagavad Gîtâ, Kap. II (Judge-Ausgabe).
Dein erstes Bestreben muss sein, alle Deine Gedanken, Deine Gefühle und Sympathien von anderen abzuziehen. Die Elementarschule der Weisheit ist, dass Du Dein Selbst und Dein Selbst allein, zu Deinem Studium und zu Deiner Welt machst ... Dein Vermögen zu vervollkommnen, Deine Gefühle zu konzentrieren, muss hinfort Dein einziges Ziel sein ... Wenn es ein Glück gibt, so muss es seinen Mittelpunkt in einem Ich haben, dem jede Leidenschaft unbekannt ist. Aber Glück ist der letzte Zustand des Seins, und bis jetzt stehst Du noch, an der Schwelle des ersten. — Nur in seiner Alleinigkeit kann der Geist Monarch und Seher sein, durchleuchtend die Hülle, worin er wohnt, ein reiner, eindrucksloser, erhabener Verstand!
Mejnour in Bulwers Zanoni.
Die Übungen der Konzentration und Meditation als Mittel zur Entfaltung der höheren Willens- und Erkenntniskräfte sind uralt. Ihr Heimatland ist der geheimnisvolle Osten, besonders Indien, die Wiege menschlicher Kultur, die Pflegestätte verborgener Wissenschaften und Künste. Dort blühte jahrtausendelang jene erhabene, psychologische Kunst und Wissenschaft, der Yoga, die eigentliche Grundlage der indoarischen Philosophie und Metaphysik. Zahlreich sind die von europäischen und amerikanischen Gelehrten verfassten Abhandlungen über die Yoga-Lehre, doch ist es nur ganz wenigen gelungen, der praktischen Seite der Sache nahezukommen. Manche kannten überhaupt nur den Phänomenalismus des niederen Yoga (Hatha-Yoga) mit seinen Atemübungen und absonderlichen Körperstellungen und hielten diese Praktiken für den berühmten, hochgeistigen, königlichen Yoga (Râdscha-Yoga) der arischen Antike. Andere wiederum studierten die Sanskrittexte, die heiligen Schriften der Veden mit ihren Upanishaden (Geheimlehren) und glaubten durch bloßes Bücherstudium und Verstandestüfteleien in das arische Mysterium des höheren Yoga eindringen zu können. Aber die östlichen Schriften strotzen von schlau ersonnenen Blendlingen, deren Zweck der ist, den Uneingeweihten irrezuführen, denn nichts wurde und wird bis auf den heutigen Tag eifersüchtiger bewacht, als gerade die praktische Seite des höheren Yoga. Viele Upanishadtexte beginnen bezeichnenderweise nicht mit dem Anfang, sondern mit dem Ende der Praxis, nämlich mit dem Brahman- und Âtmansein, eine Höhenstufe der Erleuchtung, deren wahre Bedeutung nur einem vollkommenen Praktiker klar und verständlich ist. Anweisungen für Anfänger finden wir nirgends. Daher die fast unübersteiglichen Schwierigkeiten für den Europäer, der den Drang fühlt, sich der praktischen Seite der arischen Geheimschulung zuzuwenden. Auch ein Aufenthalt im heutigen Indien würde kaum zum Ziele führen, denn erstens sind die Brahmanen, Fremden gegenüber, äußerst misstrauisch und zurückhaltend, und zweitens sind die Praktiker im Râdscha-Yoga, der allein zu höheren, transzendentalen Fähigkeiten führt, auch drüben äußerst selten. Dazu kommen noch die Schwierigkeiten, welche darin bestehen, diese für den Europäer ganz fremdartigen Lehren in eine europäische Sprache zu übertragen. Denn darüber müssen wir uns völlig klar werden: es wimmelt im Sanskrit von Bezeichnungen für die subtilsten psychischen und geistigen Vorgänge, für die es keine vollwertigen Benennungen in europäischen Sprachen gibt. Alle Übersetzungsversuche sind nur schwache, unzureichende Notbehelfe. Die europäischen Sprachen sind das Ausdrucksmittel des modernen, materialistischen Denkens; das Sanskrit, die „Königin der Sprachen“ war das geistige Verkehrsmittel einer Kultur, die im hohen und höchsten Maße spirituell gerichtet war und in der Entfaltung des „Göttlichen im Menschen“ ihr vornehmstes Strebensziel erblickte. Mit diesem „Göttlichen“ ist der im Unterbewusstsein eines jeden Menschenwesens vorhandene „latente Genius“ gemeint, der durch die Praxis der Konzentration und Meditation, als yogatechnische Hilfsmittel, erweckt und entfaltet werden kann.
H. P. Blavatsky, die von der tibetanischen Dzyan-Schule beauftragt war, die Theosophische Gesellschaft zu gründen, und der Irländer William Quan Judge, einer ihrer begabtesten Schüler und hervorragender Yoga-Praktiker, haben verschiedene, ganz ausgezeichnete Abhandlungen über echten Yoga veröffentlicht, die aber vorläufig nicht genügend verstanden und gewürdigt werden, was ja angesichts der Fremdartigkeit und Schwierigkeit des Gegenstandes kein Wunder ist. Von anderer Seite sind aber auch Veröffentlichungen nach Europa gelangt, die Anleitungen zu niederen oder verkehrten Praktiken geben, deren Gefahr nicht unterschätzt werden darf. Es entspricht deshalb einem Bedürfnis der Zeit, eine reinliche Scheidung herbeizuführen und die Spreu vom Weizen zu sondern.
So glauben manche irrtümlicherweise, durch gewaltsame Tiefatemübungen die Höhen wahrer Erleuchtung erkrampfen zu können oder durch sonstige Mätzchen die „Erkenntnis höherer Welten“ zu erschleichen. Nur wenige wollen sich den langsamen, gediegenen, sicheren Methoden wahrer Schulung anbequemen; kopfüber stürzen sich viele in die unüberlegtesten Praktiken, um nur ja recht schnell in den Besitz übersinnlicher und magischer Kräfte zu gelangen. Eines Tages stellt sich dann heraus, dass die angewandte Methode eine verkehrte war. Das Fiasko ist da und das Lamento bleibt meistens nicht aus. Einige Beispiele mögen zeigen, wohin verkehrte Praktiken führen können.
Ein robuster Herr, der, nebenbei bemerkt, das etwas prosaische Gewerbe eines Schweinestechers betrieb, fühlte unwiderstehliche Sehnsucht nach „okkulter“ Entwicklung. Da die gediegenen Methoden ihm nicht gleich den gewünschten Erfolg brachten, glaubte er die strahlenden Höhen des okkulten Olympos durch forcierte Atemtechnik auf seine eigene grobmaterielle Ebene herabziehen zu können. Bald traten auch ganz unerwartete Resultate ein. Während seiner Übungen wurde er sensitiv. An Stelle olympischer Götter und strahlender Engel gewahrte er höchst abscheuliche Fratzen, die das Bestreben bekundeten, auf ihn einzustürmen, und anstatt der ersehnten Seligkeit des Nirvâna lernte er das Gruseln kennen. Dabei überkam ihn das eigentümliche Gefühl, als ob er von einer unsichtbaren, fremden Macht erfasst und in die Höhe gehoben würde. Diese Gefühlshalluzinationen stellten sich auch außerhalb der Übungen ganz plötzlich ein. Von Verzweiflung und Reue erfüllt, beichtete er mir seine Machenschaften. Es dauerte längere Zeit, bis die Folgen seiner unüberlegten Verkehrtheiten schwanden und er wieder sein gesundheitliches und seelisches Gleichgewicht erreichte.
Atemübungen, wenn übertrieben, führen nicht nur zu Halluzinationen und Herabminderung des Herzschlags, sondern es können sich auch noch andere Wirkungen einstellen. Eine mir bekannte Dame erlebte eine regelrechte Exteriorisation des sogenannten „Astralkörpers“ d. h. sie geriet in einen außerkörperlichen Bewusstseinszustand, der mit schrecklichen Erfahrungen verknüpft war. Nach dem Erwachen aus diesem tranceartigen Zustand war jede Nervenfaser in größtem Aufruhr.
Aber nicht nur Atemübungen, sondern auch Konzentrations- und Meditationsübungen, verkehrt aufgefasst oder mit falschem Motiv betrieben, können schädliche Wirkungen im Gefolge haben. Dies gilt besonders dann, wenn der Übende versucht, auf diese Weise hellseherische Kräfte zu erkrampfen, wie es in gewissen Kreisen Usus geworden ist. Für den wahren Praktiker sind Konzentration und Meditation lediglich Hilfsmittel zur Beherrschung des geistig-ätherischen Gedankenelements d. h. jener außerordentlich plastischen, in beständigen Veränderungen begriffenen Substanz, aus der sich unsere Gedanken und Gedankenbilder gestalten und über die der Uneingeweihte keine Herrschaft hat. Diese ätherische Gedankensubstanz oder Essenz wird technisch Cittam (sprich tschittam) genannt und die Anstrengungen des richtigen Praktikers sind darauf gerichtet, die Tätigkeit des Cittam mit seinen ewig wechselnden Veränderungen in die Gewalt zu bekommen. Deshalb lautet der Fundamentallehrsatz des Yoga: „Yoga ist das Verhindern der Veränderungen des Denkprinzips (Cittam)“. Aber die Falschberatenen wissen von all dem nichts. Durch forcierte Konzentration möchten sie gerne Hellsehkräfte erraffen; dabei geraten sie in kongestive Zustände und verfallen in Halluzinationen der verhängnisvollsten Art.
Es ist durchaus zutreffend, dass es ein echtes, höheres Hellsehen gibt, das in den Hochgraden der Schulung im Râdscha-Yoga erlangt wird, aber erst nach jahrzehntelanger, gigantischer Ausbildung des geistigen Willens und der Selbstbeherrschungskraft, wie ich später, bei der Besprechung der „Großen Konzentration“, erläutern werde. Ohne absolute Festigung des geistigen Willens können übersinnliche Wahrnehmungen nur zum schließlichen Untergang führen, deshalb ist sorgfältige Vorbereitung unerlässlich, ganz abgesehen davon, dass das Wachstum und die Entwicklung der Organe transzendentaler Wahrnehmung nur sehr langsam vor sich gehen. Gesundes Wachstum bedarf der Zeit; das gilt auch auf diesem Gebiete.
Die vorliegende Veröffentlichung entspringt einem Bedürfnis unserer Zeit. Das Interesse für Okkultismus und okkulte Forschungen ist in die weitesten Kreise gedrungen. Die Woge okkultistischer und esoterischer Literatur schwillt täglich mehr an; Unkraut sprießt neben dem Weizen. Seltsame Praktiken finden Eingang, Prophetie steht hoch im Kurs. Vom Diesseits unbefriedigt, richten viele ihre Blicke erwartungsvoll auf das geheimnisvolle Jenseits. Möchten gerne Hellsehen lernen, werden aber das Opfer der Täuschung. Oder sie verlieren sich in Übungen, die zur Vernachlässigung aller Pflichten führen, wenn nicht zu Schlimmerem. Und doch gibt es eine erhabene und wohltätige Form des Okkultismus, die zu den Höhen der transzendentalen Erkenntnis führt, und ein zuverlässiges Schulungssystem, das langsam aber sicher bergan leitet. Mit diesem wollen wir uns im Nachstehenden befassen.
Es dürfte manchem Leser bereits bekannt sein, dass die esoterischen Schulen des Ostens, besonders jene des Transhimâlaya, die Lehre von sieben okkulten Grundkräften vertreten. Schon die große H. P. Blavatsky hat auf diese Lehre hingewiesen und versucht, sie dem europäischen Denken näherzubringen. Pseudookkultisten und Talmirosenkreuzer haben später Blavatskys erhabenes System bis zur Unkenntlichkeit entstellt und als eigenes Geistesprodukt ausgeschrien. — Die Lehre von den sieben Grundkräften ist für das richtige Erfassen der nachstehenden Darlegungen über Konzentration und Meditation von größter Wichtigkeit. Sie zeigt uns, welche Kräfte in uns tätig sind, welche überwunden werden müssen und welche zur Entwicklung gelangen sollen.
Die sieben Grundkräfte werden in eine niedere Gruppe (Vierheit, als Viereck symbolisiert) und in eine höhere Gruppe (Dreiheit, als Dreieck symbolisiert) eingeteilt. Die niederen Kräfte sind mehr psychisch, die höheren spirituell. Die spirituellen sind im Kosmischen „verankert“ und werden deshalb mit Recht „geistige“ genannt.
Die niedere Vierheit besteht aus folgenden spezifischen Energieformen oder Naturkräften:
1. Das Liñgaçarîram: der „feine“ Körper, auch oft „Astralkörper“, Ätherkörper, ätherischer Modellkörper genannt. Er ist das elektro-magnetische Substrat des physischen Körpers, die geheimnisvolle Naturkraft, welche die chemischen Moleküle zur menschlichen Form gestaltet. Eigentlicher Sitz der Sinne und Instinkte. Steht in innigem Kontakt mit dem Nervensystem.
2. Der Prâna: wörtlich „Lebensodem“. Die durch die Atmung eingezogenen Lebenskräfte elektrischer Art. Die Gesamtsumme der sogenannten Nervenfluide und Elektronen. Die „Lebenskraft“, als deren kosmische Energiequelle die Sonne gilt.
3. Der Kâma: wörtlich „Begierde“. Die Blutenergie, als Quelle der Leidenschaft, Impulse und Triebe. Die niedere Willensenergie. Die roten Blutkörperchen gelten als Kraftpunkte elektrischer Energie.
4. Das Cittam: auch das niedere