Friedrich Geißler
Die Freimaurerei
Ihr Wesen und Wirken
„Die Freimaurerei – Ihr Wesen und Wirken“ von Friedrich Geißler.
Erstveröffentlichung: Dresden 1931
Überarbeitung, Cover: F. Schwab Verlag
Neuauflage: F. Schwab Verlag – www.fsverlag.de
Copyright © 2018 by F. Schwab Verlag
Durch die wütenden Angriffe, die jetzt von verschiedenen Seiten gegen die Freimaurerei erhoben werden, steht diese wieder einmal im Mittelpunkt des Interesses. Während man ihr vor etwa 20 Jahren jede innere Lebensfähigkeit absprach, sie als veraltet und überlebt bezeichnete und die Logen höchstens als eine Art Geselligkeitsklub mit altertümlichen Formelwesen belächelte, soll jetzt auf einmal das Freimaurertum eine dämonische Macht sein, die über die ganze Welt ihre verderblichen Netze spinne und vor allem an dem Unheil des Weltkrieges einen Teil der Schuld trage. Dieselben Leute, die früher einen Logenbruder zur Lustspielfigur machten, sehen heute in einem Freimaurer einen Diener unheilvoller, geheimnisvoller Gewalten, der im besten Falle über die Ziele der „unbekannten Oberen“ im Unklaren sei.
Wenn die Freimaurerei also von ihren Gegnern teils verächtlich abgetan, teils aber als ungeheure internationale Macht bezeichnet wird, so muss an ihr doch etwas sein. Denn weder Verachtung noch Hass haben ihr in länger als 200jährigem Bestehen etwas anhaben können. Verboten, verfolgt, ihrer Heimstätten und Archive beraubt, angeschwärzt bei der großen Masse der Urteilslosen, verlacht von denen, die sich klug und weise dünken, hat sie, ohne laute Abwehr, ihre Arbeit vollbracht und es dieser Arbeit und der Zeit überlassen, sie zu rechtfertigen.
Auch das vorliegende Heft soll keine Verteidigungs-, sondern lediglich eine Aufklärungsschrift sein. Sie wird keinen der heute so laut schreienden Gegner bekehren, aber sie wird hoffentlich dem unbefangenen Leser ein Bild dessen geben, was ihm in den böswilligen Hetzbroschüren nur in der Verzerrung entgegentrat. Die Freimaurerei ist weit entfernt, auf Hass mit Hass zu antworten, sie hält sich an den Wahlspruch, dem Bruder Mozart unsterbliche Töne lieh:
In diesen heil'gen Hallen
Kennt man die Rache nicht.
Aber es ist ihre Aufgabe, Licht zu bringen, und dieser Aufgabe soll auch das vorliegende Büchlein an seinem bescheidenen Teile dienen.
So möge es hinausgehen in die Welt als ein Bote der Wahrheit und Klarheit für jeden Leser, der Gerechtigkeit üben will, anstatt in das wüste Geschrei der Toren einzustimmen.
Der Verfasser.
Im Mittelalter, als in Deutschland und anderen Ländern die gewaltigen Dome entstanden, deren Bau oft mehrere Menschenalter in Anspruch nahm, schlossen sich die an diesen Bauten tätigen deutschen Werkleute zu Genossenschaften zusammen, in denen die Berufsgeheimnisse gelehrt und bewahrt wurden. Um sie nicht an Außenstehende gelangen zu lassen, schuf man eine feste berufsständische Ordnung. Die Mitglieder zerfielen in Lehrlinge, Gesellen und Meister und mussten die Geheimhaltung der Kunst mit einem feierlichen Eide geloben. Diese wohl ausgebildeten und erfahrenen Bauleute wurden in aller Herren Länder berufen und stifteten, wohin sie immer kamen, Bauhütten, die in England „lodges“ (Logen) genannt wurden. Frömmigkeit, Zucht und Sitte, verbunden mit einem eigenartigen Gebrauchtum, das auch den geselligen Veranstaltungen eine besondere Würde verlieh, waren die Grundlagen dieser Werkmaurer-Logen, in denen vor allem der Widerstand gegen die Inquisition und geistige bzw. religiöse Knechtung so stark betont wurde, dass Gewissensfreiheit erstrebende Sekten, wie die Waldenser, die Apostolischen Brüder und andere, in ihnen einen Rückhalt suchten und fanden. Schon diese Bauhütten nahmen also Männer auf, die nicht Handwerksgenossen waren, und nannten sie „Liebhaber des Handwerks“ oder „angenommene Maurer“. Durch den Einfluss derselben wurde die schon vorhandene Neigung der Bauhütten verstärkt, neben den rein handwerklichen und genossenschaftlichen Angelegenheiten auch geistige Fragen zu behandeln und neben dem realen einen „geistigen Bau“ aufzuführen.
In England gewann durch den Beitritt vieler aufgeklärter Männer dieser „geistige Bau“ mit der Zeit dermaßen das Übergewicht, dass schließlich das den alten Handwerksgebräuchen entnommene Ritual1 eine nur symbolische Bedeutung gewann, während die eigentliche Lehre der Loge durchaus auf seelischer und geistiger Grundlage beruhte. In dem durch lange und blutige Religionskämpfe zerklüfteten England war es geradezu eine Notwendigkeit, dass in den Freimaurer-Logen Stätten geschaffen wurden, in denen Männer aller Stände und Glaubensbekenntnisse auf Grund einer dogmenlosen Religiosität gemeinsam den hohen Zielen reiner Menschlichkeit zustreben konnten. So wurde die Freimaurerei die Hüterin der Toleranz und die Pflegerin der „Königlichen Kunst“, d. h. der Kunst, ohne die Antriebe der Furcht und der Hoffnung auf äußeren Vorteil gute, hilfreiche, vorurteilslose Menschen zu werden und durch Lehre und Beispiel veredelnd aufeinander und auf die Menschheit als Ganzes zu wirken.
In der sogenannten Aufklärungsperiode gewann diese geistige Freimaurerei von England aus, wo am Johannistage 1717 die erste Großloge begründet worden war, in allen Ländern Boden, so dass sie heute über den ganzen Erdball verbreitet ist. Die deutsche Freimaurerei hat sich bis zur Gegenwart stets zu dieser idealen Auffassung bekannt, während die Entwicklung in anderen, besonders den romanischen Ländern (und England) mit der Zeit andere Bahnen ging und, entgegen der ursprünglichen Forderung, nicht selten auf das politische Gebiet übergriff. Wenn dies dazu führte, dass in jenen Ländern die Logen nationalistische, ja chauvinistische Tendenzen zeigten, so haben die deutschen allezeit daran festgehalten, dass zwar dem Vaterlande in erster Linie zu dienen, aber die Erörterung politischer und konfessioneller Streitfragen grundsätzlich auszuschließen sei.
Der Leser, der sich über die hier nur ganz kurz behandelte Geschichte der Freimaurerei näher zu unterrichten wünscht, findet in jedem Konversationslexikon umfängliche Nachweise über die einschlägige Literatur.
Schier unglaublich ist es, was über sie und ihre Mitglieder alles gefabelt wurde und noch wird. Als eine treue Dienerin meines Vaterhauses, die mich einst als Kind auf ihren Armen getragen, von mir erfuhr, dass ich Freimaurer sei, war sie erst ganz verstört, dann beschwor sie mich mit dem Aufgebot all der Beredsamkeit, die ihre Liebe ihr verlieh, schnell wieder auszutreten, weil die Freimaurer ja Gewitter und Hagelschlag machten und vielerlei ähnliche böse Künste trieben; und noch heute kann sie mir gegenüber den altgewohnten traulichen Ton nicht finden, sondern schaut mich oft angstvoll an, als befürchte sie, dass ich irgendwelche Hexenkünste loslasse. Und dabei ist diese gute Alte durchaus nicht dumm, sondern hat ihr gut Teil gesunden Menschenverstandes.
So mancher sonst ganz vernünftige Mensch geht mit einem Gefühl des Gruselns an einem Logenhaus vorbei, und wenn man gar von einem Manne weiß, dass er eine herausgehobene Stellung in der Loge einnimmt, womöglich gar „Meister vom Stuhl“ ist, so betrachten ihn gewisse Leute mit einer unbestimmten Angst, Sorge und Neugier.
Wie finster es noch jetzt in manchen Köpfen aussieht, möge der folgende Brief beweisen, welcher der Regensburger Loge „Walhalla“ zugegangen ist: „Oberbergham, den 6. September 1928. An die Freimaurer-Gesellschaft, Sitz in Regensburg. In Notzwang fühle ich mich gezwungen, Ihnen etliche Zeilen zu schreiben, und bitte Ihnen verzeihen Sie mir wenn ich Ihnen nicht recht angeredet soll haben, ich weiß nicht wie man Sie anredet und fragen mag ich nicht. Ich hab also ein Haus gehabt, habens mir mit Gewalt alles genommen eine Wohnungsfrau ist auch hier hat mir mein ganzes Holz genommen, ich kann mir nimmer helfen, bin nur mehr in der Wohnung und diese gehört mir nicht hab nichts zu leben, und ich bitte und ersuche Ihnen höflichst, sind Sie so gut und helfen Sie mir ich möchte gerne die Schwarz Kunst und helfen Sie mir dazu wie ichs machen muss ich bitte und ersuche Ihnen freundlichst helfen Sie mir, die Gemeinde und alles will mich unterdrücken und ersuche Ihnen um sofortige Antwort und bin Ihnen im voraus schon vielmals dankbar, ich ersuche Ihnen helfens mir. Achtungsvoll Therese M., Inwohnersfrau.“
Es ist hier nicht der Ort, alle die Märchen und Sagen aufzuzählen, mit denen der Aberglaube die Jünger der Maurerei umwoben hat. Von ihnen bis zu den handgreiflichen Lügen des berüchtigten Leo Taxil ist kein allzuweiter Schritt. Dieser französische Ehrenmann erzählte in einem einst sensationellen Buche von einem richtigen Satanskultus in den Logen, zu dem sich sogar ein leibhaftiger Teufel namens Bitru einstelle, und ähnlichen Unsinn mehr. Er hatte die Genugtuung, von Kardinälen und anderen Kirchenlichtern ernst genommen zu werden, ja sogar den Segen des Papstes für seine „verdienstvolle Wirksamkeit“ zu erlangen. Aber als ihm das geglückt war und er mit seinen Büchern ein glänzendes Geschäft gemacht hatte, da warf er die Maske ab, erklärte selbst seine „Enthüllungen“ für dreisten Schwindel und hatte nun die Lacher auf seiner Seite, während die Betrogenen sich schämten und sich z. T. mit der Behauptung zu entschuldigen suchten, die „Enthüllungen“ seien doch wahr, aber der Widerruf sei Lüge.
Nichts ist so albern, beleidigend und arg, dass es der Freimaurerei nicht schon nachgesagt worden wäre; sie hat es schon längst aufgegeben, sich dagegen zu wehren, da gegen Dummheit und Bosheit kein Kraut gewachsen ist.
Dagegen sei wahrheitsgemäß versichert, dass der Bund der Freimaurer keine Geheimorganisation mit unheimlicher Gewalt und dem Ziele der unsichtbaren Herrschaft über die Völker und Länder ist. Es gibt keine oberste Leitung, denn die Großlogen des Bundes sind voneinander unabhängig, es gibt keine „unbekannten Oberen“, denn jede Loge kürt in freier Wahl ihre Leiter.
Ebenso unwahr ist es, dass unsere deutschen Logen irgendwelche Protektionswirtschaft treiben. So mancher, der sich einer Loge anschloss in der stillen Hoffnung auf persönliche Vorteile in Bezug auf Reichtum und äußere Erfolge aller Art, hat sich in diesen Erwartungen gründlich enttäuscht gesehen und erkennen müssen, dass auch in diesem Punkte die umlaufenden Gerüchte nicht auf Wahrheit beruhen. Ja, es darf ganz offen gesagt werden, dass gerade in unseren wirtschaftlich so schweren Zeiten sich in den Logen Stimmen erhoben haben, welche fordern, dass die Brüderschaft auf die berufliche Förderung ihrer Mitglieder mehr bedacht sein solle als bisher, ein Verlangen, dem die überwältigende Mehrheit aber grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, weil sich die Freimaurerei dadurch nicht nur von ihrem Ideal entfernen, sondern auch auf einen ihrer wesentlichsten Vorzüge verzichten würde.