MAURICE LIMAT
DAS BLUTIGE AQUARIUM
- 13 SHADOWS, Band 20 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS BLUTIGE AQUARIUM
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
»Alain...«
Er hörte sie nicht. Er machte auch keine Bewegung.
Seine eigentümliche Körperhaltung machte sie plötzlich neugierig.
Warum kniete er überhaupt am Rande des Swimming-Pools und beugte sich dauernd über das Wasser?
Sie ging noch einen Schritt näher heran. Dann sah sie alles besser.
Auf Alains Gesicht lag ein ekstatischer Ausdruck, den sie sich nicht erklären konnte. Während er sich mit der rechten Hand am Rande des Schwimmbeckens stützte, hielt er die linke auf die Wasseroberfläche hinab, als ob er etwas streichelte.
Neugierig ging Catherine noch näher heran. Der Vorgang blieb ihr unverständlich.
Da beugte sich Alain plötzlich noch etwas tiefer hinab.
Es sah aus, als ob er einen stummen Zuruf aus der Tiefe hörte.
Catherine, die schräg auf ihn zukam und im Mondschein deutlich das Gesicht des jungen Mannes erkennen konnte, sah, dass er seinen Mund nach unten streckte, als ob er jemand einen Kuss geben wollte.
Einer Frau? Welche schamlose Najade konnte er plötzlich so anziehend finden, nachdem er erst vor wenigen Minuten mit Catherine auf dem Laufgang gestanden und auf ihren Kuss gewartet hatte?
Eifersucht und Wut grollten im Herzen des jungen Mädchens.
Aber als sie noch näher an Alain herangehen wollte, tauchte etwas aus dem Wasser auf. Eine ekelerregende Schlange peitschte durch die Luft, legte sich um Alains Hals und zog ihn mit sich.
Er verschwand vor ihren Augen, während sie einen markerschütternden Schrei in die Nacht über dem Roten Meer ausstieß...
Der Roman DAS BLUTIGE AQUARIUM von Maurice Limat wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1972 in der Reihe HORROR-EXPERT veröffentlicht und erscheint als zwanzigster Band der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag (als durchgesehene Neuausgabe), die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.
Ein Hauch von Wind strich vorüber.
Wie ein Seufzer aus einer anderen Welt, den die fürchterliche Hitze zurückgedrängt hatte. Obwohl es Nacht war, lag immer noch eine fast brennendwarme Luft über dem Roten Meer.
Catherines Kopftuch, das aus einem ganz leichten Gazestoff bestand, wurde vom Wind zum Heck des Schiffes davongetragen.
Ausgerechnet in dem Augenblick, als die beiden jungen Leute sich küssen wollten. Instinktiv drehten sie sich um.
»Oh, Alain, mein Tuch...«
»Einen Moment, Liebling. Ich hole es wieder!«
Er war ärgerlich über die unterbrochene Umarmung. Vor einer Minute war es ihm gelungen, Catherine aus dem Tanzsaal des Schiffes nach draußen auf den Laufgang zu entführen. Auf der Tanzfläche drehten sich nur noch wenige Paare zu den schmachtenden Rhythmen eines Tangos. Ein anderer Tanz kam in einer so schwülen Nacht wohl auch kaum in Frage.
Catherine sah ihm nach, als er schnell nach hinten ging. Sein Spencer hob sich hell im Dunkel der Nacht ab.
Als er an das hintere Ende des Laufgangs kam, konnte Alain das Tuch nicht mehr fassen. Wie von der Laune eines geisterhaften Windes davongetragen, schien es unsichtbaren Händen zu folgen, um sich jedem Zugriff zu entziehen.
An Bord der Pharao wurde es allmählich ruhig, während das Schiff durch das Meer glitt, das in diesem Teil der Welt sonderbar still war, nachdem die feurige Glut eines ganzen Tages auf seine Wellen gefallen war.
Alain sah das Tuch langsam zum Hinterdeck hinabsinken, wo der Swimming-Pool lag, der jetzt wie ein verwaschener, leicht leuchtender Fleck von dem Deck abstach.
Er lief rasch die kleine Treppe hinab, die vom Laufgang zum Deck führte. Aber auch diesmal flog ihm das Tuch davon, als er es an einem Stutzen der Luftzufuhr ergreifen wollte. Er rannte hinterher, aber dann musste er einsehen, dass der Wind das Spiel gewinnen würde. Vor seiner Nase blies er ihm das Tuch davon. Es landete unnützerweise im Wasser des Swimming-Pools.
Wäre es Tag gewesen, hätte er nicht gezögert, sofort hinterherzuspringen, denn bei der drückenden, heißen Sonne trugen die Passagiere ohnehin nichts anderes als ihre Badeanzüge.
Aber in seinem Spencer mit der blutroten Nelke im Knopfloch, mit der Smoking-Hose und den Lackschuhen war er für das Vorhaben kaum in der richtigen Aufmachung. Er wollte Catherine zwar unbedingt eine Freude machen, jedoch ohne dabei seine Abendgarderobe in Mitleidenschaft zu ziehen.
Schritt für Schritt war er aus Catherines Gesichtskreis verschwunden. Seine helle Silhouette hatte sich am anderen Ende des Laufganges verloren, während er die Stufen zum Deck hinunterstieg.
So kam es, dass sie hinterherging, um das Tuch entgegenzunehmen, das er ihr nun zweifellos übergeben würde.
»Mademoiselle...«
Sie drehte sich verwundert um.
Ein Mann in Gesellschaftskleidung kam über den Laufgang auf sie zu. Als Kopfbedeckung trug er einen Turban.
»Mademoiselle Catherine...«
Die Passagiere, die schon seit Singapur an Bord waren und am Vortag in Aden sowie Djibouti Zwischenstation gemacht hatten, kannten sich inzwischen bereits.
»Entschuldigen Sie bitte, Monsieur Takim. Ich...«
Er kam so rasch näher, dass sie nicht mehr zurückweichen konnte. Trotz ihrer guten Erziehung konnte das junge Mädchen nicht umhin, ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben.
Sie mochte Takim nicht sonderlich. Dieser etwas zu elegante, zu korrekte Mann, dessen gutes Aussehen unbestritten war und der stets einen mit einer ungewöhnlich schweren Perle verzierten Turban trug, wirkte auf sie wie ein Fakir. Ein weltgewandter Fakir zweifellos, doch ein paar Spuren zu mondän - deshalb hatte sie seine Annäherungsversuche bisher ziemlich kühl aufgenommen.
Leise, aber übersprudelnd schnell flüsterte er ihr zu:
»Ich muss Ihnen etwas sagen...«
»Halten Sie dies für die geeignete Zeit und den passenden Ort?«, fragte sie ironisch.
»War nicht eben jemand bei Ihnen?«
»Monsieur Takim, mit welchem Recht...«
»Ich bitte Sie, seien wir nicht förmlich! Ihnen droht eine Gefahr, und ich halte es für meine Pflicht, Ihnen zu helfen.«
Sie sah ihn bestürzt an.
Mit neunzehn Jahren begann sie gerade, die schönen Seiten des Lebens zu entdecken. Ihr Vater war Geschäftsführer einer großen Tee-Exportfirma in Singapur. Er und ihre Mutter, die sie beide vergötterten, hatten ihr eine glückliche Kindheit und Jugend aufgebaut, deren Krönung jetzt die Begegnung mit Alain zu werden schien.
Und nun sprach Takim von einer drohenden Gefahr.
Sie blickte ungläubig zu ihm hinüber.
Obwohl es verhältnismäßig dunkel war, sah es aus, als könnte er in ihr lesen. Der Glanz seiner Augen verblüffte sie. Hinzu kam die eigenartige Ausstrahlung der Perle an seinem Turban, dem die Nacht eine besondere Leuchtkraft zu verleihen schien.
Einen knappen Augenblick schwieg Catherine, aber es war gerade lange genug, um ein Schwindelgefühl zu verspüren.
Atemlos versuchte sie, dagegen anzukämpfen. Es kam ihr dumm vor, so ungewöhnlich zu reagieren.
Sie hatte nur einen Augenblick die Selbstbeherrschung verloren. In dieser Sekundenfrist hatte sich der Mann vor ihr verwandelt. Sie sah ihn plötzlich als ein Monstrum, das sie aus drei Augen anstarrte.
»Vielleicht setzten Sie mir das näher auseinander, Monsieur Takim. Ich nehme an, es handelt sich um einen Scherz. Und ich darf wohl hinzufügen, dass ich so etwas äußerst geschmacklos finde.«
Takim sah sie an, und wieder kam es ihr vor, als ob die Perle lebendig war - ein seltsames Auge, das ebenfalls auf sie gerichtet zu sein schien.
Takim weidete sich bestimmt an diesem Vorgang.
Die entzückende kleine Blondine, die immer sehr bestimmt auftrat, war für ihn ohnehin höchst reizvoll. Ihr Teint war gewöhnlich von zartem Rosa, aber der Aufenthalt in Fernost und diese Schiffsreise in die Heimat hatten die Tönung noch auf dezente Weise intensiviert, so dass sie jetzt wie eine wunderschöne goldbraune Frucht aussah. Die Formen ihres jungen Körpers wurden in dieser Nacht von einem Tüllkleid besonders hervorgehoben.
Aber Catherine hatte Herzklopfen.
Instinktiv empfand sie eine Abneigung gegen Takim, obwohl er sich sowohl ihr selber als auch ihrer Mutter gegenüber höchst galant benommen hatte. Am liebsten wäre sie jetzt einfach fortgelaufen, nur um jede Beziehung zu diesem Mann abzubrechen.
Da er immer noch schwieg und in geheimnisvolle Überlegungen vertieft zu sein schien, wollte sie von sich aus den Zauber brechen, denn sie fühlte, dass etwas Unheilvolles damit verbunden war.
»Lassen Sie mich, bitte.«
Sie drehte ihm den Rücken zu und wandte sich zum Hinterdeck.
»Alain! Alain!«
Plötzlich fragte sie sich, warum er nicht zurückkam.
Wie lange war Takim auf dem Laufgang überhaupt schon bei ihr, obwohl sie nur wenige Worte gewechselt hatten?
Alles schien unendlich lange zu dauern.
»Alain!«
Die Stimme erstickte ihr im Hals.
Er kam und kam nicht zurück.
Das Tuch hätte er inzwischen längst haben müssen. Er hätte schon lange über die kleine Metalltreppe, die zum Laufgang führte, wieder zu ihr zurückgekommen sein müssen.
Sie rief noch einmal seinen Namen, noch beklommener als zuvor. Takim ging ihr nach.
»Haben Sie Angst vor mir? Das tut mir leid. Aber es ist meine Pflicht, Sie zu warnen. Sie sind im Begriff, eine ganz große Dummheit zu tun... Der Mann, den Sie lieben, ist wahnsinnig! Sie werden dafür die Bestätigung finden, noch bevor zwei Tage herum sind.«
Catherine war aufs höchste erschrocken. Träumte sie das alles?
Sie biss sich auf die Lippen und klammerte ihre zarten kleinen Hände um die Reling, gegen die sie sich gelehnt hatte, um dem Kontakt mit Takim auszuweichen. Doch er kam immer näher und sprach auf sie ein, ohne die Stimme zu heben.
Ja, natürlich, es konnte nur ein Traum sein. Diese schrecklichen Worte aus dem Munde eines Wesens, das sie hasste und das sie aus drei Augen anstarrte, konnten nur das Erlebnis eines Alptraumes sein.
Nichtsdestoweniger war es richtiges Blut, das jetzt über ihre Lippen lief. Ihre weißen Zähne hatten sie tatsächlich verletzt. Außerdem brannte die Laufstange in ihren Händen wie Feuer. Das war jedenfalls kein Traum.
»Vergessen Sie nicht: Ich bin ihr Freund! Sie müssen mich rufen, wenn es gefährlich wird. Ich werde Sie retten!«
Drei Augen... Drei Augen...
Zwei Männeraugen und eine Perle. Faszinierend lebendig war das, aber gleichzeitig von höchster Widerwärtigkeit.
Dann war sie plötzlich wieder allein. Sie hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben.
Aus dem Tanzsaal hörte sie noch die Rhythmen einer zärtlichen Musik. Dann sah sie weiter hinten einen Offizier in weißer Uniform Vorbeigehen. Er übernahm sicherlich die Wachablösung.
Takim war verschwunden. Die Pharao setzte ihre nächtliche Fahrt durch das Rote Meer fort. Am dunklen Horizont verschmolzen Erde und Himmel zu einem fantastischen, unendlichen Gebilde.
»Alain... nein, das kann nicht stimmen. Es wäre zu grässlich.«
Alain Marques, dieser rassige elegante Junge mit ausgesprochen jugendlichen Manieren, dieser Sportsmann und Public-Relations-Berater eines großen, international bekannten Verlagshauses, sollte wahnsinnig sein?
Catherine ging bis zum Ende des Laufganges vor. Von dort hatte sie einen Überblick über das rückwärtige Deck. Und dort entdeckte sie Alain schließlich auch.
Er drehte ihr den Rücken zu und kniete neben dem Swimming-Pool.
Der Mond ging auf und beleuchtete die Szene mit etwas blaugrünem Licht, so dass Alains Spencer beinahe wie ein Leichentuch wirkte.
Es überlief sie eisig kalt, und sie zitterte noch, als sie zu ihm hinabstieg.
Die hässlichen Worte, mit der Takim für die nächsten zwei Tage etwas angekündigt hatte, schwirrten ihr immer noch im Kopf herum. Und unablässig fühlte sie sich von den drei Augen beobachtet, die dem Orientalen das Aussehen eines Zyklopen gaben. Sie versuchte, diesem Gedanken eine groteske Seite abzugewinnen, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte nur eine schreckliche Angst.
»Alain...«
Er hörte sie nicht. Er machte auch keine Bewegung.
Seine eigentümliche Körperhaltung machte sie plötzlich neugierig.
Warum kniete er überhaupt am Rande des Swimming-Pools und beugte sich dauernd über das Wasser?
Sie trat vorsichtig näher. Dabei konnte sie feststellen, dass er seine ganze Aufmerksamkeit offenbar auf irgendetwas gerichtet hatte, das sich im Wasser abspielte. Es musste ziemlich tief im Wasser sein. Catherine konnte jedoch nicht erkennen, was es war.
Sie ging noch einen Schritt näher heran. Dann sah sie alles besser.
Auf Alains Gesicht lag ein ekstatischer Ausdruck, den sie sich nicht erklären konnte. Während er sich mit der rechten Hand am Rande des Schwimmbeckens stützte, hielt er die linke auf die Wasseroberfläche hinab, als ob er etwas streichelte.
Streichelte? Ja, nur so waren seine Handbewegungen zu deuten.
Neugierig ging Catherine noch näher heran. Der Vorgang blieb ihr unverständlich.
Da beugte sich Alain plötzlich noch etwas tiefer hinab.
Es sah aus, als ob er einen stummen Zuruf aus der Tiefe hörte.
Catherine, die schräg auf ihn zukam und im Mondschein deutlich das Gesicht des jungen Mannes erkennen konnte, sah, dass er seinen Mund nach unten streckte, als ob er jemand einen Kuss geben wollte.
Einer Frau? Welche schamlose Najade konnte er plötzlich so anziehend finden, nachdem er erst vor wenigen Minuten mit Catherine auf dem Laufgang gestanden und auf ihren Kuss gewartet hatte?
Eifersucht und Wut grollten im Herzen des jungen Mädchens.
Aber als sie noch näher an Alain herangehen wollte, tauchte etwas aus dem Wasser auf. Eine ekelerregende Schlange peitschte durch die Luft, legte sich um Alains Hals und zog ihn mit sich.
Er verschwand vor ihren Augen, während sie einen markerschütternden Schrei in die Nacht über dem Roten Meer ausstieß.
Sie wollte fortlaufen und Hilfe holen. Aber die Kräfte verließen sie.
Catherine sank auf dem Deck bewusstlos zusammen. Es war zu viel für sie gewesen.
Außer ihr war niemand am Rand des Swimming-Pools.
»Sagen Sie mir etwas Beruhigendes, Doktor«, bat Madame Delandier.
Der Schiffsarzt legte die Hand Catherines vorsichtig zurück.
Sie schien sich nach stundenlangem Fieber etwas beruhigt zu haben und zu schlafen.
Madame Delandier hatte es abgelehnt, sie wie Alain in die Krankenstation des Schiffes bringen zu lassen.
»Eine Mutter ist, glaube ich, am besten geeignet, um ihre Tochter zu pflegen«, hatte sie mit etwas gezwungener guter Laune geäußert.
Der Arzt hatte sich gefügt und bei dem jungen Mädchen, das zusammen mit seiner Mutter eine Kabine auf dem Deck erster Klasse bewohnte, einen Krankenbesuch gemacht.
»Ich glaube, es ist nicht so schlimm«, sagte er. »Halluzinationen nach einem akuten Fieberanfall.«
Catherines Mutter sah ihm offen ins Gesicht.
»Sie haben gesagt Halluzinationen. Mir scheint aber, dass... also jedenfalls hat der Begleiter meiner Tochter, Monsieur Marques, gestern Abend einen ganz ähnlichen Anfall gehabt.«
»Verehrte gnädige Frau, Sie wohnen nun ja schon mehrere Monate im Orient. Ich glaube, dass Sie bereits imstande sind, festzustellen und zu lernen, dass gewisse Formen der Neurose und auch psychischer Erkrankungen einen ganz bestimmten Charakter haben.«
»Meinen Sie, dass meine Tochter...?«
»Oh, bitte, beunruhigen Sie sich deshalb nicht.«
Sie waren so weit wie möglich von der Liege zurückgetreten.
»Mademoiselle Catherine ist ohne Zweifel das Opfer einer vorübergehenden fiebrigen Erkrankung geworden. Wir sind aber noch nicht in Europa, und hier im Roten Meer muss man unter Umständen noch mit weiteren Symptomen rechnen. Hier im Orient ist das alles oft sehr mysteriös und erinnert uns an magische Kräfte. Wir Europäer mit christlich-abendländischer Kultur werden hier immer wieder auf Vorgänge aufmerksam, die unser Verständnis übersteigen...«
Die Diskussion dauerte dann noch eine ganze Weile.
Man hatte Catherine besinnungslos auf dem Deck gefunden.
Alain schwamm reglos, aber vollständig angezogen mit Spencer und Lackschuhen im Swimming-Pool. Zum Glück hatten Matrosen ihn noch rechtzeitig gesehen und aus dem Wasser gezogen.
Jetzt befand er sich in der Krankenstation. Nach Auskunft des Arztes wäre er vermutlich wenige Sekunden später abgesackt und dann ganz einfach ertrunken.
Seine rote Nelke hatte man ebenfalls gefunden. Sie trieb irgendwo auf der Wasseroberfläche.
Was war geschehen?
Es schien schwierig, das herauszubekommen. Aber Madame Delandier, eine sportliche, energische Frau, die kaum vierzig Jahre alt war, hatte die Pflege Catherines unbedingt selber übernehmen wollen.
Das junge Mädchen hatte im Schlaf mehrfach gesprochen. Madame Delandier hatte es deutlich gehört, nur konnte sie keinen Sinn hinter den unzusammenhängenden Worten erkennen. Dabei hatte der ganze Abend mit dem Ball so vielversprechend begonnen.
Catherine rief in der Tat nach Alain, dann redete sie von einem Kraken, der versuchte, den jungen Mann in die Tiefe zu ziehen.
Seit ihrer Abreise in Singapur hatte Madame Delandier nicht ohne Wohlwollen zugesehen, wie sich zwischen den beiden jungen Menschen ein kleiner Flirt entwickelte.
Allein das absolut perfekte Benehmen Alains, der übrigens ein vermögender Junggeselle war und eine recht ordentliche berufliche Stellung hatte, sagte ihr überaus zu. Catherine war nicht so hirnverbrannt wie viele Gleichaltrige, die ihren Verehrer alle Woche wechseln. Vielleicht sprach das allein schon für eine künftige Bindung.
Da Alain auf irgendeine noch nicht bekannte Art in den Swimming-Pool gefallen war, fand es niemand verwunderlich, dass Catherine nach Auffassung des Arztes geglaubt hatte, er wäre von den Armen eines Phantasietintenfisches in die Tiefe gezogen worden.
Catherine hatte auch mehrmals gestöhnt und mit angstvollen Gebärden eine geheimnisvolle Persönlichkeit mit drei Augen abgewehrt.
Aber sogar für solche Trugbilder hatte der Mediziner noch eine Erklärung parat. Bei den Orientfiebern, die ebenso plötzlich wie heftig auftreten, kommen häufig Träume vor, die sich in völlig irrationalen, phantastischen Bereichen bewegen.
»Mademoiselle Catherine verarbeitet wahrscheinlich in ihrer Traumgeschichte unbewusst die Erinnerung an irgendeine monströse Gottheit, an ein hässliches Götzenbild, wie man sie stets in den fernöstlichen Tempeln findet. Sie selber haben bestimmt auch nicht versäumt, sich diese Tempel anzusehen, als Sie Ihren Herrn Gemahl, Monsieur Delandier, besuchten. Catherine hat dann einen Schock erlitten, eine überstarke Emotion, als sie sah, dass Monsieur Marques in das Schwimmbecken gefallen war. Weitere Deutungen können wir uns ersparen.«
Damit zog sich der Bordarzt zurück. Er kündigte jedoch an, dass er bald zu einer neuen Visite kommen werde, und gab Madame Delandier den Rat, Catherine weiterhin Schlafmittel zu geben.
Als Ida Delandier dann endlich allein am Bett ihrer Tochter saß, dachte sie eine Weile nach.
Sie war von den Darlegungen des Arztes nicht absolut überzeugt. Catherine gehörte nicht zu den empfindlichen Mädchen, die bei jeder Kleinigkeit krank werden, obwohl sie ein durchaus sensitiver Typ war.
Madame Delandier selbst war die Tochter eines erfolgreichen Brauers und eine Mutter, die mit beiden Beinen im Leben stand und noch immer jugendlich wirkte. Ihr war jedwede Halluzination fremd.
Jetzt stand sie am Bullauge der Kabine und ließ ihren Blick über die Wellenkämme schweifen. Die Sonne hatte es anscheinend darauf angelegt, das Meerwasser bis zur Weißglut zu erhitzen. Es war zudem ein hübsches optisches Phänomen, wie sich die Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche brachen.
»Mami...«
Sie ging rasch zu der Liege zurück.
»Ja, mein Liebling.«
Catherine war bleich, und der Schweiß rann über ihre Stirn. Sie war nur mit einem dünnen Betttuch zugedeckt, weil es so irrsinnig heiß war. Jetzt versuchte sie aufzustehen.
»Streng dich nicht zu sehr an, hörst du? Du hast Fieber gehabt!«
»Mami, was habe ich gesagt?«
Ida zögerte für den Bruchteil einer Sekunde:
»Ach, weißt du, Dummheiten. Was man so im Delirium phantasiert.
»Habe ich ein Delirium gehabt?«
»Ja, du bist ohnmächtig geworden in der Nacht. Wahrscheinlich hattest du zu viel getanzt. Und dir war es immer noch zu heiß, obwohl die Sonne gar nicht mehr am Himmel stand.«
»Und Alain, Mami? Sag mir, wo Alain ist!«
»Nun werde mal nicht gleich nervös, Kindchen.«
»Aber Mami, ich will doch nur wissen...«
»Nun, also: er ist auch ein bisschen krank. Ihr habt beide kein Glück gehabt.«
Während sie sprach, kämmte Ida die seidigen
Haare ihrer Tochter und versuchte, sie in das Bett zurückzuschieben.
Aber Catherine schien plötzlich gar kein Fieber mehr zu haben. Sie richtete sich auf und umfasste den Hals ihrer Mutter.
»Hör mal, ich muss dir etwas sagen... Aber erst muss ich wissen, was mit Alain ist.«
In ihren hellblauen Augen lag so viel Furcht, dass Madame Delandier sie beruhigen wollte.
»Ich erzähle es dir gleich... Du kannst ganz beruhigt sein. Es geht ihm gut, und ich werde nachher noch einmal nachfragen lassen, um ganz sicher zu sein. Du musst dir vorstellen, dass ihm ein ganz lächerlicher Unfall passiert ist...«
»Im Swimming-Pool, nicht wahr? Er ist hineingefallen...«
Plötzlich veränderte sich etwas im Gesicht des jungen Mädchens, und Ida spürte, wie Catherines Fingernägel sich in ihr Fleisch gruben.
»Stimmt es... schwörst du mir, dass er sich nicht...«
»Aber mein kleiner Dummkopf! Glaubst du wirklich, ich könnte dir so etwas verschweigen? Tatsache ist, dass dein... Freund ein unfreiwilliges Bad genommen hat. Er trug ja noch seinen Gesellschaftsanzug. Und jetzt liegt er in der Krankenstation hier an Bord. Vorhin, als der Arzt hier war, sagte er, es sei so ein ähnlicher Fieberanfall gewesen wie bei dir. Aber es soll ihm inzwischen schon viel besser gehen...«
»Ich möchte ihn besuchen...«
Catherine ließ dem Wort sogleich die Tat folgen und wollte auf der Stelle aus ihrem Bett springen.
Aber die energische Ida hielt sie zurück.
»Nein, das gibt es nun aber doch nicht! Du bleibst schön hier! Ich verspreche dir, dass ich mich persönlich an das Krankenbett dieses interessanten jungen Herrn begeben werde.«
Sie musste lächeln, als sie fortfuhr:
»...der dich ja sehr zu fesseln scheint...«
Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich, und für einen flüchtigen Augenblick drückten sie ein geheimes Übereinkommen aus, so wie es nur zwischen Mutter und Tochter möglich ist.
Sie verstanden sich sehr gut.
»Mami, Alain hat doch im Fieber auch gesprochen... Weißt du, was er gesagt hat?«
»Nein... eigentlich nicht. Woher soll ich das wissen? Du weißt doch, im Fieber erzählt jeder den größten Unsinn!«
Catherine saß jetzt im Bett. Sie hielt ihr hübsches Kinn zwischen die Hände gestützt und sah ihre Mutter an.
Sie war zwar noch immer schwach, aber die Körpertemperatur war unter dem Einfluss des Schlafmittels gesunken und schien jetzt ganz annehmbar zu sein.
»Auf eine Frage habe ich aber noch keine Antwort, Mami.«
»Und welche ist das?«
»Die allererste: Was habe ich im Schlaf gesagt?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt: Irgendetwas Unzusammenhängendes...«
»Habe ich von einem Kranken gesprochen?«
Ida durchzuckte es blitzartig, aber sie ließ es sich nicht anmerken.
»Von einem Kraken? Das ist schon möglich. Erinnerst du dich denn, dass du im Fieber von einem Tintenfisch geträumt hast?«
Das hübsche Gesicht Catherines verzog sich plötzlich. In ihren Augen lag eine unbestimmte Unruhe, als sie hervorbrach: »Ich habe nicht von einem Tintenfisch geträumt. Ich habe ihn gesehen!«
Madame Delandier ging auf ihre Tochter zu und umarmte sie: