Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
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Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:
ISBN Printausgabe 978-3-499-24068-3
ISBN E-Book 978-3-688-11127-5
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-688-11127-5
Ein Mahalo an Shauna Summer
für ihren Scharfblick und an Ken Christison
und Donna Quist für ihre Hilfe bei der
Quellensuche.
Fehlt eine Maid aus Lieb im Herzen,
Erkennt zu spät des Manns Verrat,
Welch Zauber bannt die herben Schmerzen?
Welch Mittel sühnt die schuld’ge Tat?
OLIVER GOLDSMITH
DER PFARRER VON WAKEFIELD
IM SÜDEN KENTUCKYS, MAI 1866
Auf der Ladefläche eines Fuhrwerks saß eine junge Frau in Witwenkleidung und betrachtete die vorüberziehende Landschaft durch einen wallenden, ebenholzschwarzen Schleier, der um die breite Krempe ihres schwarzen Hutes geschlungen war. Das dichte Gewebe warf nicht nur einen bedrohlichen, dunklen Schatten über die Welt, sondern verbarg auch ihr kastanienbraunes Haar, ihre fein geschnittenen Züge, die klaren, blauen Augen und den dicken Bluterguss, der ihre linke Wange entstellte.
Sie hielt ihre schlafende Tochter im Arm, ein kleines Mädchen mit goldenen Engelslocken. Die Kleine war in einen dicken, schwarzen Schal gehüllt und spürte die kühle Spätfrühlingsluft ebenso wenig wie die ungeheure Verzweiflung ihrer Mutter.
Sara Collier Talbot war schon seit Tagen unterwegs. Von Ohio aus zu Fuß gen Süden aufgebrochen, über vom Krieg zerstörte Straßen, abseits der niedergerissenen Brücken und der überfüllten Routen voll heimkehrender Soldaten und befreiter Sklaven auf dem Weg nach Norden. Sie hatte, das Kind auf dem Arm, Fuhrleute angefleht, sie mitzunehmen auf ihren Fuhrwerken, auf voll besetzten Planwagen, hoch oben auf Strohballen oder zwischen Warenfässer gezwängt.
Sie hatte kein Heim, kein Geld, keinen Stolz, nichts als einen abgeschabten Ranzen mit einem sauberen Unterrock, zwei Kleidern für das Kind, ein paar Keksen und einem alten Brotkanten. Das einzig Kostbare, das sie besaß, war die kleine Elizabeth, die Frucht ihrer Schande.
Sie drückte ihre geliebte Tochter fester an sich und wunderte sich, dass das Schicksal sie nach Magnolia Creek heimgeführt hatte.
Eine plötzliche Brise strich über die offenen Felder, und Sonnenstrahlen streiften die Wipfel der Straßenbäume. Hinter der schützenden Anonymität des Schleiers musterte Sara den einzigen anderen Passagier, der außer ihr und Lissybeth auf dem Karren mitfuhr.
Am anderen Ende der Ladefläche lag zusammengerollt ein ehemaliger Soldat in zerlumpter, grauer Wolle, den Resten einer Uniform der einst so stolzen Konföderationsarmee, der eher einem Skelett als einem Menschen glich. Er hatte nur genickt, als Sara auf den Wagen geklettert war, und war dann sofort eingeschlafen. Doch so brauchte sie sich zum Glück nicht zu unterhalten.
Neben ihm auf den Wagenbrettern lag ein Paar zerkratzter, mit Lappen gepolsterter Krücken. Sein rechter Fuß fehlte. Seine Wangen waren stopplig, und seine Augen lagen tief in violetten Höhlen.
Sara seufzte. Auf die eine oder andere Weise hatte der Krieg sie alle zu Krüppeln gemacht.
Sie wandte den Blick ab und starrte in die Landschaft hinaus: Inmitten weiter, jetzt brach liegender Felder erhoben sich sanfte Hügel mit Wäldchen aus Tulpenbäumen, Platanen, Kastanien, Walnussbäumen. Hier und da kräuselte sich Rauch aus den Baumwipfeln und verriet, wo sich Hütten verbargen.
Die Landschaft hatte sich kaum verändert, seit sie sie zuletzt gesehen hatte, anders als die Menschen, die auf den Straßen unterwegs waren.
Vor dem Krieg waren es meist Farmer, Kesselflicker, Händler oder durchreisende Familien gewesen, jetzt eher Kriegsflüchtlinge – darunter zahlreiche Konföderationssoldaten aus Kentucky, die man als Verräter davongejagt hatte, nachdem die Staatsregierung der Union beigetreten war. Nun, ein endloses Jahr nach der Niederlage, befanden sich viele dieser Männer immer noch auf dem Heimweg.
Außerdem waren viel mehr Farbige unterwegs. Ehemalige Sklaven, die nach dem ersten Freudentaumel über ihre Freiheit jetzt genau so benommen wirkten wie die weißen Kriegsopfer. Sie zogen über das Land und suchten nach einer Möglichkeit zu überleben. Ihre Welt war aus den Fugen geraten, und vielen hatte die ungewohnte Freiheit Hunger und Heimatlosigkeit beschert.
Sara hatte fast all ihre Habseligkeiten für ihre schwarze Reisekleidung hergegeben. Im Süden waren zahllose Frauen zu Witwen geworden; auch im Norden, wenn man den Zeitungen Glauben schenken konnte. Der Anblick einer allein reisenden Frau in tristem Schwarz war demnach nichts Ungewöhnliches, und so würde sie nicht weiter auffallen.
Am Stadtrand rumpelte das Fuhrwerk an dem alten Schild vorbei, auf dem es hieß: Willkommen in Magnolia Creek, Heimat der Talbot Mills, 381 Einwohner. Offenbar hatte sich niemand die Mühe gemacht, das Schild zu berichtigen. Denn mindestens ein Mann würde nie wieder heimkehren, das war Sara schmerzlich bewusst.
Im Großen und Ganzen sah Magnolia Creek unverändert aus. Die Straßen kreuzten sich in regelmäßigen Abständen wie die Karos einer Wolldecke mit abgenutzten und ausgefransten Rändern. Die Backsteinhäuser an der Hauptstraße waren durch Unwetter und Gefechte beschädigt worden und wirkten so mitgenommen, wie ihre Bewohner sich vermutlich fühlten.
Der Anblick der Häuser mit dem abblätternden weißen Putz stimmte die junge Frau melancholisch.
Am Rathausplatz waren einige Läden und Lagerhäuser immer noch mit Brettern zugenagelt, doch zeugten die zerbrochenen Fensterscheiben nicht nur vom Kanonenfeuer der Yankees, sondern auch vom Mangel an Ersatzglas. Das Rathaus stand stolz und unbeschädigt da. Triumphierend flatterte das Sternenbanner über dem grünen Park, der das imposante zweistöckige Gebäude umgab.
Sara erinnerte sich, wie sie bei ihrem ersten Besuch in der Stadt stundenlang über die Hauptstraße spaziert war und all die glänzenden, neuen Waren in den Schaufenstern bewundert hatte. Als der Karren nun an den gleichen Fenstern vorbeirumpelte, schaute sie kaum hin.
Schließlich hatte der Farmer sein Ziel erreicht, hielt mit dem Gespann vor dem Gemischtwarenladen und zog die Wagenbremse an. Der erschöpfte Soldat rührte sich nicht einmal, als Sara mit Lissybeth auf dem Arm auf die hölzerne Veranda hinunterkletterte, die sich vor dem Laden erstreckte. Sara dankte dem Farmer fürs Mitnehmen und starrte mit knurrendem Magen sehnsüchtig ins dämmrige Innere des Ladens; dann wandte sie sich ab und machte sich zur Ash Street zwei Straßenzüge weiter auf.
«Jetzt ist es nicht mehr weit, Kleines», flüsterte sie Lissybeth zu. «Bald sind wir da.» Sie hoffte inständig, dass sie das Richtige tat, dass im schönen, vertrauten Haus der Talbots eine warme Mahlzeit und eine sichere Zuflucht auf sie warteten, und sei es nur für eine Nacht.
In der Ash Street fiel ihr Blick sofort auf die Nummer 47. Das Haus hinter dem weißen Palisadenzaun und der weiten Rasenfläche war immer noch das prächtigste der Stadt.
In schlaflosen Nächten hatte Sara sich manchmal gefragt, ob die wunderbare Zeit bei den Talbots Wirklichkeit gewesen war oder nichts als ein Hirngespinst. Ihr Leben vor dem Krieg kam ihr vor wie ein Traum; mit fünfzehn war sie ins Haus gekommen, um sich um Louzanna Talbot zu kümmern; mit siebzehn, nach zwei triumphalen, himmlischen Wochen stürmischer Brautwerbung, war sie Dr. Dru Talbots Frau geworden und fest überzeugt davon, sie wäre nun glücklich bis an ihr Lebensende.
Fünf Jahre später mochte sie kaum noch glauben, dass sie wirklich einmal das unschuldige, blauäugige Mädchen gewesen war, das er zum Altar geführt hatte.
Denn mittlerweile war sie nicht nur Dru Talbots Witwe, sondern in den Augen der Stadt auch eine gefallene Frau. Nachdem der Krieg ihr den innigst geliebten Gatten genommen hatte, hatte sie dem falschen Mann ihr Vertrauen geschenkt, eine Verbindung, aus der ihr nur das Kind geblieben war.
Sara blieb stehen, ließ den Blick von der anderen Straßenseite aus über die großzügige Säulenveranda wandern und spähte nach einer Bewegung hinter den Spitzengardinen der Salonfenster. Dann drückte sie Lissybeth an sich, raffte ihren ganzen Mut zusammen und überquerte rasch die Straße.
Das Tor im Lattenzaun hing schief in den Angeln. Die Blumenbeete an der Hauswand waren von Unkraut überwuchert. Über dem Ganzen lag die gleiche abgrundtiefe Melancholie, die Sara schon vorher empfunden hatte. Trauer hauste unter den Giebeln und lauerte in den Schatten auf der Veranda hinter den alten Schaukelstühlen, die zur Straße hin aufgereiht standen. Die einst so duftig weißen Spitzengardinen hingen schlaff und vergilbt hinter blinden Scheiben.
Als Sara einen vertrauten Stepprahmen hinter einem großen Fenster erspähte, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Ein kompliziertes Arrangement aus Hunderten von geblümten oder karierten, gleichmäßig zurechtgeschnittenen Stoffquadraten war zum Steppen aufgespannt. Louzanna Talbots Welt beschränkte sich auf Stoffstücke und das Garn, mit dem sie die Baumwollfüllung zwischen Patchwork und Futter festhielt.
Vor der Haustür versuchte Sara die weinende Lissybeth zu beruhigen. Als sie den Türklopfer aus Messing hob, fiel ihr Blick auf ihre schwarzen, fingerlosen Handschuhe, die verbargen, dass sie keinen Ehering trug. Sie klopfte dreimal und wartete geduldig, während sie die Arme fester unter dem Hinterteil ihrer kleinen Tochter verschränkte. Niemand reagierte. Sie wunderte sich, dass Louzanna Talbots farbiger Diener Jamie so lange brauchte, um die Tür zu öffnen, und hob den Klopfer erneut.
In diesem Augenblick sah sie aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung. Jemand befand sich im Haus und stand nah genug an der Tür, um den Saum des Vorhangs gegen das Fenster schwingen zu lassen.
«Hallo? Ist jemand zu Hause? Jamie, bist du’s?» Sie klopfte an den Türrahmen. «Louzanna? Hörst du mich?»
Louzanna, die unter schweren Nervenkrisen litt und sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtete, lebte völlig zurückgezogen. Sara drückte die Stirn gegen die Scheibe, um durch den Vorhang zu spähen, und beschloss, notfalls den ganzen Abend dort stehen zu bleiben.
«Louzanna? Lou, mach auf, bitte.» Sie senkte die Stimme. «Hier ist Sara.»
Endlich klapperte ein Riegel, dann noch einer. Die Tür knarrte und schwang langsam einige Zentimeter weit nach innen. Sara konnte nur Louzannas bleiche, schlanke Finger erkennen, die die Türkante umklammerten, und ihre dicken, rehbraunen Haarflechten.
«Louzanna, ich bin’s, Sara. Lässt du mich ins Haus?» Sara wusste, wie sehr ihre ehemalige Schwägerin sich überwinden musste, überhaupt die Haustür zu öffnen.
Drus ältere Schwester war mittlerweile achtunddreißig, doch ihre durchscheinende, kaum je vom Sonnenlicht berührte Haut war beinahe faltenlos und das immer noch volle, braune Haar nur von vereinzelten grauen Strähnen durchzogen.
Es blieb still. Lous Handknöchel liefen weiß an. Schließlich, mit schwacher, leiser Stimme, flüsterte sie: «Bist du das wirklich, Sara? Bist du das wirklich und wahrhaftig?»
Saras Augen brannten vor Tränen. Sie versuchte heftig, sie fortzublinzeln. «Ich bin’s wirklich, Louzanna. Bitte, lass mich ein!»
Wieder eine Pause, wieder ein Dutzend verzweifelter Herzschläge.
Louzanna blieb stumm. Doch weitere Flechten erschienen, dann die Stirn, dann lugten matte, haselnussbraune Augen hinter der Türkante hervor. Die Augen weiteten sich, als sie das Kind in Saras Armen erblickten.
«O Sara.» Louzannas Stimme zitterte.
«Bitte, Lou.»
Louzanna umklammerte die Türkante, hielt sie wie einen Schild, eine Schranke zwischen sich und eine Welt, aus der sie sich schon lange vor Beginn des Krieges zurückgezogen hatte.
Sara konnte sich nicht vorstellen, dass Louzanna über längere Zeit allein zurechtgekommen war. Sie hatte Lou damals nur verlassen können, weil sie sie in Jamies Obhut wusste.
«Wo ist Jamie?», fragte sie.
«Er ist fort. Mit den Soldaten der Union. Du warst kaum gegangen, da haben sie ihn mitgenommen.»
Die Sonne stand tief am Horizont. Die Dämmerung sammelte sich in den dicken, wuchernden Hecken und dem dichten Gehölz hinter den Wohnhäusern an der Ash Street. Da Saras Verzweiflung nicht länger vom Tageslicht gezügelt wurde, stemmte sie besorgt ihre Hüfte gegen die Tür, damit Lou sie nicht plötzlich aus lauter Angst zuschlüge.
Lieber Gott, gib ihr den Mut, mich einzulassen.
Verzweifelt sprudelte es aus Sara heraus, während sie über die Schulter auf die verlassene Straße blickte.
«Ich komme aus Ohio. Ich war zuerst bei meiner Familie, doch mein Vater hat mich abgewiesen. Ich weiß nicht, wohin ich mich sonst wenden soll. Ich flehe dich an, bitte, lass mich ins Haus. Wenn nicht um meinetwillen, dann um meiner Tochter willen. Sie trifft keinerlei Schuld an dem, was ich getan habe. Ihr zuliebe nimm uns auf, wenigstens für heute Nacht. Wir brauchen nur eine Mahlzeit und einen Platz zum Schlafen.»
Ihr fiel ein, dass sich hinter dem Haus Jamies alte Hütte befand. «Wir können doch in Jamies Unterkunft schlafen. Du wirst gar nicht merken, dass wir da sind.»
Was spielte es für eine Rolle, wo sie schlief, solange ihr Kind ein Dach über dem Kopf hatte?
«Nimm den Schleier ab, Sara.» Lou schien nervös und ängstlich, sie klang unsicher, als sei sie nicht mehr an ihre eigene Stimme gewöhnt.
Sara löste einen Arm von ihrer Tochter und schlug den Schleier über die breite Krempe nach hinten, um ihr Gesicht zu enthüllen. Sie lächelte, auch wenn das Ergebnis im besten Fall schwach und zittrig war und sie schmerzhaft an die Schwellung auf ihrer Wange erinnerte. Tränen ließen die Tür vor ihren Augen verschwimmen.
«O meine Sara!», sagte Lou mit aufgerissenen Augen und schüttelte den Kopf. «Was ist denn mit deinem Gesicht geschehen?»
«Ich … bin gestolpert und hingefallen», log Sara und wich Lous Blick aus. Ihr Vater schlug immer erst zu, bevor er Fragen stellte. Und bevor er sie heute aus der Hütte der Colliers geworfen hatte, hatte er ihr noch dieses Andenken mitgegeben.
Lou trat zurück und verschwand für einen Moment. Kaum hatte sich die Tür weit genug geöffnet, schlüpfte Sara rasch hinein, denn sie kannte Lous tiefe, hartnäckige Angst vor dem Vorgarten und der Straße dahinter. Im Haus wandte sie sich zu ihrer früheren Schwägerin um, ungeheuer erleichtert, endlich wieder in vertrauter Umgebung zu sein.
Lou war gekleidet wie immer, fast wie Sara jetzt. Das schwarze Seidenkleid mit schwarzen Spitzenborten und Jetknöpfen war zwar verknittert und an den Säumen und Manschetten verschlissen, doch jede Locke saß an ihrem Platz.
Lissybeth hatte sich unter dem Eindruck all des Neuen beruhigt, legte fingernuckelnd den Kopf auf Saras Schulter und starrte Louzanna an.
«Verzeih mir, dass ich so unangemeldet auftauche, aber ich weiß wirklich nicht, wohin», entschuldigte sich Sara.
Lou musterte sie eingehend. Dabei flog ihr Blick immer wieder zur Tür, als fürchte sie, irgendetwas Schreckliches sei Sara ins Haus gefolgt.
«Warum bist du denn allein, Sara? Was ist aus dem Mann geworden, mit dem du fortgelaufen bist?»
Tiefe Scham durchfuhr Sara. Was war sie damals für eine dumme, elende Närrin gewesen, einfach davonzulaufen und Drus Ring mit einer Nachricht für Lou oben auf dem Tisch in der Halle zu lassen!
Sara fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schluckte. Sie hätte lügen können, doch sie hatte fast zwei Jahre mit Louzanna Talbot zusammengelebt, mit ihr Drus Briefe gelesen und Freuden und Herzeleid mit ihr geteilt. Louzanna hatte es nicht verdient, dass man sie belog, doch die ganze elende Geschichte konnte Sara ihr einfach nicht erzählen.
«Er ist für immer aus meinem Leben verschwunden.»
Lou, die ihren Blick nicht von dem Kind lösen konnte, sagte leise: «Und so bist du endlich heimgekehrt.»
«Ja.»
«Ich wusste es. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben.» Lous Mundwinkel krümmten sich zu einem angedeuteten Lächeln. Dann wandte sie sich dem kleinen Mädchen auf Saras Armen zu.
«Und wie heißt sie?» Lou und Lissybeth sahen einander neugierig an.
«Elizabeth. Ich nenne sie Lissybeth», sagte Sara.
Lissybeth streckte der Einsiedlerin ein Händchen mit gespreizten Fingern entgegen.
Zögernd hob Louzanna die Hand und reichte dem Kind ihren Zeigefinger. Als Lissybeths Händchen ihn ergriff, schloss Louzanna die Augen und seufzte tief.
«Lou?» Sara wusste, dass Louzanna häufig mit den Gedanken abschweifte.
Überrascht sah Louzanna zu Sara auf, ihre Blicke trafen sich, und plötzlich warf Lou Sara die Arme um den Hals. Sie umklammerte sie und schloss Lissybeth in ihre Umarmung ein. Als sie die beiden schließlich losließ, schimmerten Tränen in ihren braunen Augen.
«Ich habe nicht viel», gestand Louzanna leise, «aber ich teile es gern mit euch. Wenn du willst, ist dies immer noch dein Zuhause, Sara. Ich bin so froh, dass du endlich heimgekehrt bist.»
Mitten auf staubtrockener Straße stolperte Dr. Dru Talbot über einen Stein und fiel hin. Er schmeckte Staub und unterdrückte ein Stöhnen. Als er den Wald zu beiden Seiten der Straße schließlich wieder erkennen konnte, setzte er sich auf und versuchte, die Sterne aus seinem Kopf zu schütteln. Ausgelaugt vom Krieg, kam er sich vor wie der Dreck, in dem er saß.
Das alte, klapprige Maultier, das er an einer abgelegenen Straße aufgelesen hatte, sah verständnislos auf ihn herunter.
«Ich bin bestimmt ein schrecklicher Anblick», erklärte er dem Maultier, «aber wir passen ganz gut zusammen.»
Auf seinem Weg von Süd-Georgia nach Magnolia Creek hatte er die merkwürdigsten Begleiter gehabt, und das Maultier war bei weitem der angenehmste und erträglichste.
Auf der Suche nach irgendeiner funktionierenden Eisenbahnlinie war Dru vergeblich durch den Süden geirrt, bis es ihm schließlich gelang, die Grenze nach Kentucky zu überqueren. Und nun war er der Heimat so nah, dass er sie beinahe riechen konnte.
Seine Hand zitterte, als er sich vom Boden hochstemmte, und er stöhnte auf. Die Abendluft war kühl, und er wünschte, er hätte den Quilt nicht verloren, den seine Schwester ihm an dem Abend geschenkt hatte, an dem er verkündete, er werde sich der Konföderationsarmee anschließen. Zu Beginn des Krieges hatte er das zerschlissene Andenken ständig getragen, bis es fast ein Teil von ihm war wie der alte Schmerz in der Schulter und die lange Narbe über dem rechten Ohr. Wie die Erinnerung an die Heimat, an seine Schwester und vor allem an Sara.
Seine Beine waren bleischwer, doch er schleppte sich weiter, fest entschlossen, erst zu rasten, wenn das Licht gerade noch zum Feuermachen reichte. Brachte ihn doch jeder Schritt der Heimat ein wenig näher.
Seit dem Morgen nach ihrer Hochzeit hatte er Sara nicht mehr gesehen. Er war so gegangen, wie sie es wünschte, war ohne Abschied fortgezogen, wie er es ihr versprochen hatte. Nach allem, was er durchgemacht hatte, fragte er sich jetzt, ob er wohl ebenso einfach wieder in sein altes Leben schlüpfen konnte, wie er es hinter sich gelassen hatte.
Er erinnerte sich an jeden Augenblick ihrer kurzen, aber leidenschaftlichen Liebe, als wäre alles erst gestern gewesen. Er hatte Sara zwei Jahre vor ihrer Hochzeit kennen gelernt, an einem warmen Frühlingstag, dem Tag seiner Abreise nach South Carolina, wo er Medizin studieren wollte.
Auf der Fähre über den Magnolia Creek, die von ihrem Vater und ihren Brüdern betrieben wurde, hatte er Sara zum ersten Mal erblickt.
Gedankenverloren hatte er die Fähre betreten, als ihn plötzlich jemand am Ärmel zupfte und eine leise, verführerische Frauenstimme ihn ansprach.
«Einen Nickel, Mister. Haben Sie schon bezahlt?»
Er griff in seine Westentasche, fand einen Nickel, wandte sich um und blickte unvermittelt in die blauesten und bezauberndsten Augen, die er je gesehen hatte. Das Plätschern des Flusses, der gegen das riesige Floß schwappte, das leise Husten eines rheumatischen alten Mannes, das Plappern der Kinder, die sich an der Reling drängten, alles, bis auf das Mädchen, verschwand aus seinem Bewusstsein. Seine Zunge klebte am Gaumen, und seine Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln.
Er stand wie angewurzelt da, eine Hand halb in der Tasche, mit klopfendem Herzen und außerstande, etwas anderes zu tun, als ihr in die Augen zu sehen, die so unwiderstehlich waren, dass er seine Erstarrung fast genoss.
Ein hinreißendes Lächeln erhellte ihr Gesicht, und trotz der Schmutzspuren auf ihren Wangen strahlte ihre Pfirsichhaut darunter makellos. Sie war groß für eine Frau, wenn auch nicht so groß, dass sie ihm gerade in die Augen schauen konnte, gertenschlank, mit wohlgerundeten Brüsten unter dem groben, handgewebten Stoff ihres verschossenen grauen Kleides, und barfuß.
Sie blinzelte ihm zu, und der Bann war für einen Augenblick gebrochen, gerade so lange, dass er die Hand aus der Tasche zog, als hätte er nie innegehalten. Er nahm die Bilder und Geräusche um sich herum wieder wahr, konnte jedoch den Blick nicht von dem reizenden Mädchen lösen.
«Vielen Dank auch, Mister …»
Sie wartete offenbar darauf, dass er ihr seinen Namen nannte, doch er starrte nur gebannt auf ihre Finger, die sich um den Nickel schlossen, und dachte: Glückliche, glückliche Münze.
Er musste sich erst einmal räuspern, bevor er sich wieder an seinen Namen erinnerte. «Talbot. Dru Talbot.»
Ihre Lider senkten sich, sodass sie durch ihre Wimpern schauen musste. Sie trat so dicht vor ihn hin, dass ihm fast das Herz stehen blieb.
«Talbot von den Talbot Mills?», fragte sie.
Sein Großvater hatte auf dem Gelände der ehemaligen Familienfarm eine Zuckermühle errichtet, was schließlich zur Ansiedlung der nahe gelegenen Stadt geführt hatte. Farmer aus dem ganzen County brachten ihre Zuckerhirse zur Mühle. Nachdem Drus Vater, Gerald, die Mühle übernommen hatte, war die Familie zu einer der wohlhabendsten und bekanntesten im County geworden.
Er nickte zustimmend. «Die Mühle hat einmal meiner Familie gehört.»
Sie stand da, den Nickel fest in der Hand, und Dru war beglückt, dass sie bei ihm verweilte, statt zum nächsten Passagier zu gehen. Wenn es nach ihm ginge, brauchte die Fähre nie am anderen Ufer anzukommen. Er wollte nur in ihre wunderbaren Augen schauen und sich in ihrem warmen Lächeln sonnen.
«Sind Sie verheiratet, Dru Talbot?»
Er lachte über die kühne Frage, die ihm aus solch einem unschuldigen, sinnlichen Mund ganz natürlich vorkam.
«Nein. Ich bin unterwegs zum College, um Medizin zu studieren.»
«Zum College? Sie sind unterwegs zum College? Wo ist das denn?»
«In South Carolina.»
«So weit weg.» Sie schüttelte ehrfürchtig den Kopf. «Das kenne ich alles nicht. Ich bin noch nie über diesen blöden Fluss hinausgekommen.»
Sie schien weitergehen zu wollen, und in plötzlicher Panik entschlüpfte ihm die Frage: «Und wie heißt du?»
«Sara. Sara Collier.»
Sie nannte den Namen mit herausforderndem Stolz. Er hatte den Namen schon gehört, wusste allerdings nur, dass irgendwo unten am Fluss zahlreiche Colliers wohnten. Sie lebten von der Arbeit als Fährleute, von der Jagd und von der Schwarzbrennerei.
«Und wie alt bist du, Sara?» Brennende Neugier und wachsendes Begehren ließen ihn das fragen. Sie wirkte sehr jung, erschien ihm aber in vielerlei Hinsicht älter als er. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie ihre Lippen wohl schmecken mochten.
«Alt genug, denke ich.»
«Und wie alt wäre das?»
«Ich bin gerade fünfzehn geworden.»
Fast enttäuscht dachte er, dass eine Liebschaft mit einem ungebildeten, barfüßigen – wenn auch sehr verführerischen – Landmädchen das Letzte war, was er brauchen konnte.
«Was werden Sie denn auf dem College studieren, Dru Talbot, was Sie nicht auch hier in Kentucky lernen könnten?» Hinreißend unbefangen lächelte sie zu ihm auf und bog den Rücken durch, sodass ihre Brüste sich abzeichneten.
«Medizin.»
«Mein Großvater ist Heiler. Er hat mich unterrichtet. Ich weiß alles über Heilkräuter. Ich kenne auch Zaubermittel.»
Sie war reizend, das musste er zugeben, aber er bezweifelte, dass ein so junges Mädchen viel von der Heilkunst verstand.
Ein stämmiger, schlecht gekleideter junger Mann mit Stoppelkinn beobachtete Sara von der anderen Seite der Fähre aus. Vermutlich ein Verwandter, denn Dru hatte gesehen, wie er den Passagieren am Anleger geholfen hatte.
Dru versuchte ein ernstes Gesicht zu machen, als wäre er mit Sara in ein wichtiges Gespräch vertieft. «Was meinst du mit Zaubermitteln? Ist er Wunderheiler?»
Sie hatte es offensichtlich nicht eilig, ihrem Bruder das Fahrgeld zu bringen. «Er glaubt fest an die Bibel, aber ich meine, es ist immer auch ein bisschen Zauberei dabei. Und das, was Großvater die Macht des Glaubens nennt. Die Leute müssen auch an das Heilmittel oder den Zauber glauben. Manche halten einen Zauber für eine Art Fluch, aber mit Teufelswerk würde Großvater sich nie abgeben.»
Das Floß schwankte, und während Dru Halt suchte, schaute er zu, wie die Brise mit einer Strähne ihres Haares spielte. «Nenn mir ein Beispiel», forderte er sie auf.
«Nun, zum Beispiel, Gürtelrose kuriert man, indem man die betroffenen Stellen mit dem Blut einer schwarzen Katze oder eines schwarzen Huhns einreibt. Oder …» Sie sah auf, um festzustellen, ob er auch zuhörte. «… indem man an den Menschen denkt, den man am liebsten hat.»
Um nicht loszuplatzen und sie damit zu kränken, biss er sich auf die Zunge und heftete seinen Blick auf das andere Flussufer, während sie fortfuhr.
«Großvater behandelt Rheuma mit Stinktierfett und heilt einen Typhuskranken, indem er Zwiebeln und Fisch unter seine Fußsohlen bindet.»
«Unter seine oder die des Kranken?» Diesmal hätte Dru vielleicht sogar gewagt, loszuprusten, doch als sein Blick auf ihre riesigen blauen Augen fiel, die ihn aus nächster Nähe anstrahlten, blieb ihm das Lachen im Hals stecken.
«Sie nehmen mich wohl auf den Arm, Dru Talbot?» Sie trat zurück und tat beleidigt, aber ihr warmes Lächeln und ihre blitzenden Augen verrieten sie.
«Ich befürchte allmählich, es ist eher umgekehrt, Miss Collier.»
«Großvater nimmt das Heilen sehr ernst. Er hat mir eine Menge darüber beigebracht. Manches davon ist sicherlich Aberglaube, aber ich würde darauf wetten, dass viele seiner Heilkräuter genau dieselben sind\ die Sie in Ihrem komischen College kennen lernen werden.» Sie neigte den Kopf ein wenig und blickte ihn unter dichten, schwarzen Wimpern hervor an. «Ich würde Ihnen wirklich gern helfen, wenn Sie als Doktor anfangen.»
«Ich komme erst in zwei Jahren wieder.» Die Bemerkung ernüchterte ihn plötzlich. Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Er fragte sich, wo Miss Sara Collier wohl in zwei Jahren sein würde.
«Dru Talbot?» Saras Stimme glitt über ihn wie warme, frische Sahne, als sie ihn erneut am Ärmel zupfte. «Ich warne Sie lieber, damit Sie nicht erschrecken, wenn es passiert.»
«Wenn was passiert?»
«Wenn wir heiraten.»
Während die Nacht immer tiefer in den Wald eindrang, die Schatten vertiefte und die Zikaden zum Singen verführte, nahm die Gegenwart Dru wieder gefangen. Irgendwo im Osten rief eine Eule. Er hatte sich an die tröstlichen Nachtgeräusche des Waldes gewöhnt, daher schenkte er ihnen keine Beachtung, sondern dachte, wie so oft, weiter an Sara.
Als er zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung vom College zurückkehrte, stellte er fest, dass Sara Collier bei seiner Familie wohnte. Dr. Maximus Porter, der einzige Arzt in Magnolia Creek, ein Mann, den er sehr bewunderte, hatte Sara seiner Schwester Lou vorgestellt und sie gedrängt, das Mädchen als Gesellschafterin anzustellen, weil er hoffte, Sara könne während Drus Abwesenheit Louzanna im Kampf gegen ihre nervösen Anfälle unterstützen.
Das Schicksal hatte sie offenbar füreinander bestimmt.
Hinter einer Biegung entdeckte er das gelb-rote Flackern eines Lagerfeuers und verlangsamte vorsichtig die Schritte. Freischärler durchstreiften die Wälder, Männer, die den Krieg nicht enden lassen wollten, obwohl die Konföderierten schon vor einem Jahr kapituliert hatten. Dru trug allerdings die richtigen Farben, um in diesem Staat ein Minimum an Sicherheit zu genießen.
Seine zerfetzte Uniformhose hatte er jedoch schon vor langer Zeit durch eine billige braune Hose aus handgewebtem Stoff ersetzt, und seine zerlumpte, kadettengraue Offiziersjacke war der klägliche Rest der Feldarztuniform, die er einst so stolz getragen hatte. Mit der grünen Seidenschärpe, dem Kennzeichen seines Berufsstandes, hatte er seine abgewetzte, lederne Instrumententasche auf dem Maulesel festgebunden.
«Talbot, Fünftes Kentuckyregiment!», rief er den zwei Männern am Feuer zu. Es wäre nicht besonders klug, sich so nah an der Heimat umbringen zu lassen.
Die beiden Männer drehten sich zu ihm um. Sie waren unübersehbar Brüder, mit rotem Haar und breiten Zahnlücken. Einer rief einladend: «Dann komm her und setz dich eine Weile hin. Wir werden hier übernachten. Du kannst etwas von unserem gerösteten Eichhörnchen haben.»
Dru führte das Maultier in den gastlichen Lichtkreis des Feuers, nickte den beiden Männern zu und knotete einen Beutel auf, der eine Dose Bohnen enthielt. Dann suchte er in seinen Sachen nach einer Büchse wohl gehüteter Sardinen.
«Wie ich an deinem Rock sehe, bist du Arzt.» Der dünnere der beiden bärtigen Männer im Grau der Konföderierten Staaten von Amerika kaute gerade an einem Happen Eichhörnchen, was ihn aber nicht am Sprechen hinderte.
«Das ist richtig», bestätigte Dru. Einst, als junger Rekrut und frisch gebackener Arzt, war er stolz auf seinen Beruf gewesen. Doch Hochmut kommt vor dem Fall, und kaum war der Krieg richtig entbrannt, hatte er sich vor allem hilflos und ohnmächtig gefühlt.
Er hatte gelernt, unter den schlimmsten Bedingungen zu arbeiten, wie müde oder seelisch erschöpft er auch sein mochte. Er hatte ständig in das Schicksal seiner Kameraden eingreifen müssen, durch Amputation einer Hand, eines Fußes, eines Arms oder eines Bein oder sogar beider Gliedmaßen, und fragte sich manchmal, wie viele Leben er dadurch wirklich gerettet hatte.
Im Getümmel seiner ersten Schlacht, als die Verletzten unter dem Donnern ferner Kanonen in Zehnerreihen auf die Behandlung warteten, war er ausgesprochen dankbar gewesen, dass er ein paar Wochen bei einem Landarzt hatte assistieren dürfen, bevor er vom College zurückgekehrt war.
Eine Vielzahl so genannter Feldchirurgen hatte vorher nicht einmal bei einer Operation zugeschaut, geschweige denn eine durchgeführt.
Oft konnte er in der Eile nur nach Instinkt und blinder Entschlusskraft handeln. Es gab Tage, da hätte er alles getan, um dem blutigen Kriegsschauplatz zu entfliehen. Gegen das, was er durchgemacht hatte, nahm sich die Arbeit als Arzt in Magnolia Creek bestimmt wie ein Gartenspaziergang an einem warmen Sommertag aus.
Er bot den beiden von seinen Sardinen an, und dann verzehrten sie fast wortlos ihr karges Mahl. Die beiden Brüder waren Farmerssöhne aus Kentucky, die beim Neunten Regiment gedient hatten und nun heim wollten nach Daviess County.
Nach dem Essen gab es nur Eichelkaffee. Seit Jahren schon war im Süden kaum noch echter Kaffee zu bekommen.
Der ältere Bruder brüstete sich damit, ohne jede Schusswunde davongekommen zu sein, und war überzeugt, neun Leben zu besitzen und die meisten noch vor sich zu haben. Doch dem üblen Ausschlag an Hals und Armen nach zu urteilen, litt der Bursche an Gonorrhö im zweiten Stadium.
Leider hatte Dru weder Schwalbenwurz noch Harz oder blaues Vitriol bei sich, die üblichen Medikamente gegen dieses Leiden, deshalb konnte er dem jungen Mann nicht helfen. Dru hatte häufiger derartige Krankheitsfälle behandelt als Kriegsverletzungen, denn viele junge Männer vom Land suchten ebenso oft Huren auf, wie sie ins Gefecht zogen. Und wenn die Soldaten nicht an Geschlechtskrankheiten starben, dann forderten Typhus oder Masern ihren Tribut.
Dru hatte sechs Jahre lang keine Frau berührt. Er hatte Shiloh und Vicksburg überlebt, hatte nach einem Streifschuss über dem rechten Ohr mit dem Tod gerungen und höllische Monate im Gefangenenlager Point Lookout in Maryland verbracht. Dennoch hielt er sich für einen Glückspilz.
Es waren die Erinnerung an die Nacht in Saras Armen und der Traum von all den Nächten, die sie noch miteinander verbringen würden, die ihn am Leben gehalten hatten.
Und so schlief Dru Talbot später trotz des harten Bodens und der kalten Luft mit der Andeutung eines Lächelns ein.
Nach sechs langen Jahren war er nun fast zu Hause.
Für Sara bedeutete die Zuflucht im Haus der Talbots Rückkehr in einen Kokon, in dem äußerlich alles noch fast genau so war wie vor dem Krieg. Jedoch konnte sie hier, in seinem Haus, der Erinnerung an Dru nicht entkommen. Kaum dass sie eingetreten war, hatte tiefe Schwermut ihr Herz ergriffen.
Unter qualvollen Erinnerungen stillte und wickelte sie Elizabeth und brachte dann auf Lous Drängen hin ihr Kind in einem der oberen Schlafzimmer zu Bett. Um der alten Zeiten willen bestand Louzanna dann darauf, das Abendbrot im Esszimmer einzunehmen.
Während Sara Lou beim Tischdecken half, dachte sie an ihre allererste Mahlzeit in diesem eleganten Raum. Damals gehörte alles in dem Haus für sie zu einer glänzenden Zauberwelt, in deren Kerzenschein Kristall und Silber funkelten.
Eigentlich war ihr alles nach dem Einzug ins Haus der Talbots neu gewesen. Ein Märchenland – so vollkommen unbekannt und fremd, dass sie sich oft verloren vorkam und nicht wusste, ob sie nun dorthin gehörte oder nicht.
In diesem Haus herrschten Ruhe und Frieden und ein vornehmer Luxus. Hier gab es Liebe, Verständnis, gute Manieren und freundliche Gespräche. Dru und seine Schwester waren immer von schönen Dingen umgeben gewesen, Dinge, die sie für selbstverständlich hielten: feine Kleider, hübsche Bilder an den Wänden und hohe Kristallvasen mit frischem Frühlingsflieder, Sommerrosen, zarten Farnen oder winterlicher Stechpalme.
An einer Wand des Salons erstreckten sich Borde voller Bücher mit Goldschnitt. Zum Reichtum kam Bildung, umfangreiches Wissen auf den verschiedensten Gebieten. Der Tag, an dem Doc Porter sie am Anlegeplatz der Fähre aufgesucht und gefragt hatte, ob sie als Louzannas Hilfe zu ihnen kommen wolle, war der glücklichste ihres Lebens gewesen.
Doctor Maximus Porter hatte sie gleich mitgenommen in das Heim jenes ausgesprochen gut aussehenden, dunkeläugigen Mannes, mit dem sie erst ein paar Tage zuvor gesprochen und in den sie sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt hatte. Sich um Louzanna Talbots Gesundheit zu kümmern war eine einfache Aufgabe. Sara brühte Beruhigungstee aus Kräutermischungen nach dem Rezept ihres Großvaters, legte Louzanna essiggetränkte Kompressen auf die Stirn, wenn diese ihre nervösen Krisen bekam, und lenkte sie mit Plaudereien über den Garten oder das Wetter ab.
Dafür erzählte Louzanna Sara alles über Dru, seine Vorlieben und Abneigungen und seinen Traum, sich nach seiner Rückkehr als Arzt niederzulassen und den alten Doc Porter abzulösen.
Als Dru dann im Frühling des Jahres 1861 zurückkehrte, war Sara immer noch bis über beide Ohren in ihn verliebt, und Dru erwiderte diese Liebe und bat sie nach zwei Wochen, seine Frau zu werden. Seine Liebe war der eigentliche Schatz, den sie hier im Haus der Talbots gefunden hatte.
Doch ebenso schnell, wie ihre Liebe erblüht war, so schnell war ihr Dru vom Krieg auf immer entrissen worden.
Sara stellte behutsam einen Teller auf Louzannas Damasttischtuch. Das Esszimmer war doppelt so groß wie die ganze Hütte der Colliers, groß genug für einen Kirschholztisch mit acht Stühlen, die ihn wie Wachsoldaten umstanden. Vor einer Wand stand immer noch die passende lange Anrichte, auf der einst ein silbernes Teeservice und blinkende Schüsseln geprangt hatten.
Das Silber war verschwunden. Sara erinnerte sich, wie sie Louzanna überredet hatte, Jamie solle das Teeservice im Brunnen verstecken. Doch die Unionssoldaten hatten das Silber trotzdem gefunden.
Wenn die Yankees ihnen doch allein das Silber genommen hätten!
Dru hatte so gut ausgesehen mit seinen dunklen Locken und den seelenvollen, schwarzen Augen. Er war charmant, groß und wohlerzogen. Bei ihrer Heirat war er ein hoffnungsvoller junger Mann, genauso besessen von seinem Traum, sich einmal als Arzt in der Stadt niederzulassen, wie sie davon, seine Frau zu werden und an seiner Seite zu arbeiten.
Sie wusste, sie war nur ein Mädchen vom Land, das nach Ansicht einiger Leute besser hübsch bescheiden geblieben wäre, doch sie hatte den Kopf voller Heilkunde, das Herz voller Liebe und den dringenden Wunsch, zu Dru und Louzanna zu gehören.
Und heute Abend saß sie mit Lou an eben dem Tisch auf eben den Plätzen, an denen sie gesessen hatten, nachdem Dru in den Krieg gezogen war.
Etwas, das sich nicht geändert hatte, war Louzannas Kleidung. Sie trug tiefstes Schwarz und lebte völlig zurückgezogen, seit Mason Blaylock, ihr geliebter Bräutigam, auf dem Weg zur Trauung von seinem Pferd abgeworfen und getötet worden war.
«Ich sehe, du trägst immer noch Masons Ring», bemerkte Sara.
Lou hob den Opalring, den sie an einer Goldkette um den Hals trug, und betrachtete den hübschen, blassen Stein. «Ich habe ihn seit der Tragödie nie abgenommen.» Sie sprach von Masons Todestag immer im Flüsterton als ‹Tragödie›, und sie trauerte immer noch, als wäre alles erst gestern geschehen.
«Es tut mir Leid, dass wir nicht mehr zu essen haben», sagte Louzanna mit der gleichen sanften, melodiösen Stimme, um die Sara sie einst beneidet hatte. «Meine Nachbarin, Minnie Foster … erinnerst du dich noch an sie? Sie hat mir gestern dieses Hühnchen gebracht. Ich versuche immer, möglichst lange mit allem auszukommen.»
Sara musterte die spärlichen Fleischstücke auf ihrem Teller. Sie erinnerte sich in der Tat an Minnie, vor allem aber an Minnies Gatten Abel Foster, obwohl sie am liebsten vergessen hätte, wie Abel sich wenige Tage nach der Nachricht von Drus Tod ihr gegenüber verhalten hatte.
Sie schob diese Gedanken beiseite und sah Lou an. «Wie bist du denn die ganze Zeit allein zurechtgekommen?»
Drus Schwester verließ nie das Haus, bis auf ein paar Schritte in den Hof, um Wasser zu holen und das Häuschen zu benutzen. Als Sara fortging, hatte sie angenommen, Louzannas andere Verbindung zur Außenwelt, Jamie, würde bei ihr bleiben.
«Ich gebe Minnie Geld für Lebensmittel und andere Besorgungen. Manchmal sieht Doc Porter nach mir, und wenn die Nachbarn etwas übrig haben, geben sie mir etwas ab. Ich gehe sparsam mit meinen Rücklagen um, aber es kommt kaum Geld hinzu. Als Jamie fort war, wurden irgendwann die Zahlungen aus der Mühle eingestellt.» Sie blickte verlegen aufs Tischtuch. Bei dem Verkauf der Familienmühle hatte Dru veranlasst, dass die Raten an Lou gezahlt wurden, damit sie versorgt wäre.
«Was ist denn geschehen?», fragte Sara.
«Die Zuckermühle brannte nieder, als die Unionstruppen marodierend durch die Stadt zogen. Ohne Ersatzteile sind die notwendigen Reparaturen nicht möglich, und da Mr. Newberry kein Geld mehr verdient, kann er auch nicht zahlen. Ich habe schon alles Mögliche verkauft und gegen Lebensmittel eingetauscht, Porzellanfiguren meiner Mutter, Silber, das die Yankees nicht entdeckt haben, Gemälde und anderes.» Ihre Augen weiteten sich. «Und letzte Woche habe ich meinen besten Baltimore-Quilt gegen einen Sack Kartoffeln eingetauscht.»
Da Sara wusste, was jede Patchworkdecke für Lou bedeutete, legte sie mitfühlend die Gabel hin und faltete die Hände im Schoß. Dru hatte seiner Schwester immer sehr nahe gestanden, und Sara war froh, dass er nie erfahren würde, wie schlecht es Lou jetzt ging.
«Ich kann dir doch jetzt helfen, Lou», sprudelte sie los. «Die Colliers haben immer von der Hand in den Mund gelebt. Wenn ich etwas kann, dann haushalten. Ich kann jagen und deinen Gemüsegarten bestellen, wie Jamie früher.»
Lous nachdenkliches Schweigen war eher ermutigend als abschreckend.
«Ich kann kochen und putzen», fuhr Sara fort. «Ich kenne alle Wurzeln und Kräuter, die hier in der Gegend wachsen. Ich kann für uns drei sorgen – für dich, mich und Lissybeth.»
Sie sah sich um, und ihr fiel noch etwas ein. «Was hättest du denn gemacht, wenn nichts mehr zum Verkaufen oder Tauschen da gewesen wäre?»
Louzanna zögerte und seufzte dann schwer: «Ich wäre dünner geworden, nehme ich an.»
Sara war verblüfft, bis sie sah, dass Louzannas Lippen sich wahrhaftig zu einem zitternden Lächeln verzogen. Da musste sie zum ersten Mal seit Wochen selbst lächeln.
Wochen, Monate, Jahre standen zwischen ihr und Louzanna. Sie waren einmal wie Schwestern gewesen. Sie hatten zusammen geweint, sich auf die Ankunft des Feindes vorbereitet und für das Damenkränzchen von Magnolia Creek Bandagen für die Konföderierten in Tennessee aufgerollt. Lou hatte ihr beigebracht, die Berichte im Sentinel zu lesen. Sie hatten sich von Anfang an nahe gestanden, schon bevor Sara Dru geheiratet hatte, bevor ihre Schwachheit offenbar wurde.
Sara war sehr erleichtert, dass Louzanna ihr offenbar nichts nachtrug und noch einmal neu anfangen wollte.
Die karge Mahlzeit aus Hühnerfleisch und Brot hatte überraschenderweise für sie beide gereicht. Sara war daran gewöhnt, fast nichts zu essen. Sie beugte sich vor und sah zu, wie Louzanna ihre Lippen sorgfältig mit einer Leinenserviette abtupfte.
«Deine Rückkehr ist ein Segen, Sara.»
Sara verschränkte die Hände krampfhaft im Schoß und holte tief Luft.
«Hast du eigentlich von der Konföderationsarmee je eine offizielle Mitteilung über Drus Tod erhalten, Lou?» Als Sara die Stadt verlassen hatte, war nur Hughs Augenzeugenbericht bekannt gewesen.
Mit sanfter Bestimmtheit legte Louzanna die Serviette neben ihren Teller und ließ dann die Hände in den Schoß sinken. Obwohl sie so zerbrechlich wirkte, besaß sie manchmal eine ungeheure Kraft. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie durch nichts davon abzubringen.
«Du weißt doch mittlerweile ganz genau, dass du mich so etwas nicht fragen sollst. Ich habe keine offizielle Mitteilung erhalten, weil Dru nicht tot ist. Ich habe dir doch erklärt, ich würde es hier spüren», sie legte die Hand auf ihr Herz, «wenn er nicht mehr am Leben wäre.»
«Er ist in Hugh Wickhams Armen gestorben, Lou. Keith Jackmann hat ihn ebenfalls stürzen sehen.»
«Hugh Wickham kann erzählen, was er will. Ich habe keine offizielle Nachricht und werde auch nie eine bekommen, weil mein Bruder noch lebt. Er wird bald wieder zu Hause sein, das schwöre ich.»
Nachdem die Männer aus Magnolia Creek Kentucky verlassen hatten, um sich zur Armee zu melden, hatte Dru fast täglich aus Tennessee geschrieben. Er berichtete von seinen neuen Pflichten als Feldchirurg, von den zahlreichen Krankheiten und Leiden im Lager und von Todesfällen noch vor den ersten Kampfhandlungen. Dann kam nur noch ein Brief in der Woche, dann ungefähr einer im Monat und schließlich, als auch die Kentucky-Brigade in den Krieg verwickelt wurde, keiner mehr. Briefe der Konföderierten nach Kentucky wurden an der Grenze eingezogen.
Drus letzten Brief trug Sara immer noch bei sich. Er war an den Kniffen durchgescheuert und in Viertel zerfallen, doch hin und wieder setzte Sara die Teile zusammen, um ihn noch einmal zu lesen.
Einige Monate, nachdem der Kontakt abgebrochen war, kam Hugh mit der schrecklichen Nachricht heim: Sara, kaum verheiratet, war bereits Witwe.
Wie Lou hatte auch sie sich zunächst geweigert zu glauben, dass Dru gefallen war, aber nach eineinhalb Jahren im tiefen schwarzen Loch der Trauer wachte sie eines Morgens mit der schrecklichen Vorstellung auf, so zu werden wie Louzanna, mit der Gewissheit, den Rest ihres Lebens in Schwarz zu verbringen und am Rande des Wahnsinns auf ewig endlose Fäden in zahllose Stoffstücke zu sticheln.
Lou blickte Sara nervös in die Augen.
«Es war ein schrecklicher Fehler, mit einem anderen Mann fortzulaufen. Wie konntest du nur, Sara? Wie konntest du nur derart Drus Andenken besudeln?»
Sara wusste bereits, dass sie den schwersten Fehler ihres Lebens begangen hatte. Sie hatte sich von einem Mann, dem sie nie hätte trauen dürfen, umwerben und mit schönen Worten und falschen Versprechungen verführen lassen. Allein und elend, hatte sie ihm geglaubt, in ihrer Verzweiflung Trost bei ihm gesucht und sich trotz ihrer unveränderten Liebe zu Dru eingeredet, es gäbe einen Platz in ihrem Herzen für einen charmanten, jungen Yankeelieutenant namens Jonathan Smith.
Nie hätte sie Louzanna erzählen können, dass es die Angst davor war, so zu werden wie sie, die Sara aus dem Haus der Talbots vertrieben hatte. Deshalb versuchte sie es zu erklären, so gut es eben ging.
«Ich war doch erst achtzehn, Lou. Die Trauer um Dru drückte mich nieder, ich hatte ein Leben voller Einsamkeit vor mir. Deshalb ließ ich zu, dass ein gut aussehender Mann mich tröstete und umschmeichelte. Ich wollte ihn lieben. Ich wollte die schreckliche, klaffende Wunde in meinem Herzen schließen. Und er versprach, mich zu heiraten, mir die Welt zu zeigen.» Sie seufzte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. «Und ich war jung und dumm genug, ihm zu glauben. Ich wollte ihm einfach glauben.»
Sie hatte Jonathan vertraut, sich bemüht, ihn zu lieben, und sich für eine Weile sogar eingebildet, sie sei mit ihm glücklich. Vermutlich hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, weil er so ganz anders war als Dru. Der blonde, blauäugige Jon war fröhlich und ausgelassen und, was sie damals noch nicht wusste, ein ungemein begabter Lügner.
Aber was die Leute auch denken und sagen mochten, die Wahrheit war ihr ins Herz gebrannt. Das Schicksal hatte sie und Dru zusammengeführt, und Sara würde ihn ewig lieben, auch wenn der Tod ihn ihr genommen hatte.
Sara sah auf und merkte, dass Lou darauf wartete, dass sie fortfuhr.
«Jonathan …» Sie wandte den Blick ab und fuhr mit dem Finger über das Muster des Tischtuchs aus Leinendamast. «Er war nicht der, für den ich ihn hielt. Er war ganz und gar kein guter Mann.» Nicht wie Dru. Kein ehrenhafter und fürsorglicher Mann.
«Das hättest du wissen sollen, er war schließlich ein Yankee.»
«Du weißt doch, dass ich damals nicht viel vom Krieg wusste. Meine Familie hat nie Partei ergriffen, bis die Kämpfe begannen. Ich verstehe immer noch nicht, wieso es so viele Tote gab, obwohl wir doch alle Amerikaner sind.»
«Hat er dich geheiratet?»
«Nein.» Sara schüttelte den Kopf und sah Lou an. «Angeblich hatte er das vor, allerdings erst nach der offiziellen Bestätigung. Ich habe dir zweimal geschrieben, um zu erfahren, ob du sie bekommen hast, und um dir mitzuteilen, wo ich mich aufhalte.»
«Aber ich habe nie einen Brief von dir bekommen, Sara.» Lou wirkte so überrascht, dass Sara ihr einfach glauben musste.
Aber sie hatte ihre süße Elizabeth. Ihre Tochter war das Einzige an der ganzen elenden Affäre, dessen sie sich nie und nimmer schämen würde, auch wenn jeder in der Stadt wusste, dass sie fortgelaufen war, ohne ihren Liebhaber zu heiraten. Ihr Ruf war so beschädigt, dass ihre eigene Verwandtschaft sich heute geweigert hatte, sie aufzunehmen.
Lous Gedanken bewegten sich offenbar in den gleichen Bahnen. «O Sara, dein armes Kind ist ein … Bastard», flüsterte sie.
Saras Hand zitterte, als sie die Serviette aufnahm und ordentlich faltete, wie Lou es ihr damals beigebracht hatte, als sie noch das ahnungslose Mädchen vom Lande war, das noch nie im Leben reines Leinen berührt hatte.
«Ich wünschte bei Gott, ich könnte etwas daran ändern. Ich wünschte, ich hätte deine Erwartungen erfüllen können, aber ich war damals noch hundert Jahre jünger. Ich litt unendlich und wollte nur, dass der Schmerz vergeht. Ich musste fort, denn mit der Zeit war es mir kaum noch möglich, dem nächsten Tag ins Auge zu sehen. Als ich fort war, vergaß ich manchmal tatsächlich, für wenige gesegnete Augenblicke, dass Dru gestorben war …»
«Aber er ist nicht tot!» Mit aufgerissenen Augen und wildem Blick sprang Lou abrupt auf und umklammerte die Tischkante.
Sara erschrak. Sie hatte vergessen, wie leicht man Louzanna aus der Fassung bringen konnte.