Manchmal macht es Klick:
Dass wir im leeren Innen
in einem Augenblick
Entdeckungen gewinnen
und mutig neu beginnen.
Für
Philipp, Manuel und Vincenz
Engelbert Schätzle
© 2018 Text und Umschlag: Engelbert Schätzle
Verlag & Druck: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback | 978-3-7469-3460-0 |
Hardcover | 978-3-7469-3461-7 |
e-Book | 978-3-7469-3462-4 |
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Nicht nur wer seine Ferien im südlichen Frankreich verbringt, auch wer bei uns an den langen Sommerabenden in stadtnahen Anlagen oder Parks spazieren geht, kennt mittlerweile jene Frauen und Männer, die versuchen, faustgroße Kugeln aus Metall so nah wie möglich an eine kleine Holzkugel heranzubringen. Sie spielen Boule, oder genauer: Pétanque.
Es spielen zwei Spieler oder zwei Mannschaften gegeneinander. Zu Beginn wird das kleine Zielkügelchen geworfen, dann folgen die Metallkugeln nach genau vorgeschriebenen Regeln. Wenn alle Kugeln geworfen sind, wird abgerechnet. Nur wer am nächsten an der Zielkugel ist, erhält Punkte. Die Spieler kennen die raffiniertesten Methoden, dieses Ziel zu erreichen. Wenn die einen dem Zielkügelchen zu nahe kommen, dann stoßen die Gegner sie mit einem gezielten Wurf aus ihrer guten Position weg. Oder sie stoßen das hölzerne Ziel so an, dass es von gegnerischen Kugeln zu eigenen hin rollt.
Der Reiz des Spiels ergibt sich aus der Vielzahl der Variationen, die die unterschiedlichen Vorgehensweisen möglich machen. Sie bieten genügend Anlass, in der Mannschaft die jeweils nächste Maßnahme zu erörtern. Der Reiz erhöht sich durch die Auswirkungen, die kleinste Details der Bodenoberfläche auf das Rollen oder Springen der Kugeln haben.
Nun, wer länger zusieht oder es selber probiert, der macht die Erfahrung, dass die Kugeln sehr oft nicht so rollen oder liegen bleiben, wie die Spieler es wollen. Und doch ergeben sich immer wieder Chancen. - Bis die letzte Kugel gespielt ist, gibt es kaum eine Situation, die hoffnungslos ist. Selbst eine anfangs verworfene Kugel kann noch zur Punktbringerin werden.
Und deshalb ist das Boulespiel Pétanque für mich ein Hoffnungsspiel, ein Hoffnungsbild, ein Bild, das meinen Alltag, ja mein Leben spiegelt: Es gibt viel zu entscheiden - in der Familie, im Beruf, und dann gilt es die Entscheidungen durchzuführen. Ich brauche gar nicht konkret zu werden, denn jeder macht die Erfahrung: Wir planen, nehmen uns dieses oder jenes vor, da kommt etwas dazwischen, es läuft nicht so wie geplant, wir sind enttäuscht und manchmal auch mutlos.
Aber wie bei Pétanque eine zunächst verworfene Kugel, eine Kugel, die nicht so läuft wie geplant, noch zu einer guten werden kann, so ist es auch immer wieder im Leben.
Dabei muss klar sein: Das Pétanquespiel ist nicht der Grund meiner Hoffnung, das Pétanquespiel ist nur ein Bild. Der Grund meiner Hoffnung ist der, der mich trägt und hält und alles zum Guten führt.
Weißt du, was ein ABS ist? Neulich ließ ich mir von einem Fahrlehrer erklären, was es mit dem ABS auf sich hat.
ABS heißt Antiblockiersystem. Es geht dabei darum, dass beim Bremsen eines Kraftfahrzeuges die Räder blockieren können, wenn man aus Schreck oder Unerfahrenheit zu stark auf das Bremspedal tritt. Die Folgen können verheerend sein, denn das Fahrzeug lässt sich nicht mehr lenken. Der Fahrzeugführer kann die Fahrtrichtung nicht mehr beeinflussen. Wegen dieser Gefahren wurde das ABS erfunden. Ein ABS verhindert das Blockieren der Räder und damit die unangenehmen Folgen und Gefahren.
Mir fiel nun auf, dass ich selber auch ein ABS entwickelt habe.
Es gibt bei mir nämlich - wie bei dir sicher auch - Tage, an denen ich ohne ABS sehr leicht blockiert würde; dabei kann es sein, dass ich mir zu fest "getreten" vorkomme, wie jene Fahrzeugbremsen, die die Räder blockieren; oder es läuft einfach manches nicht so, wie ich es gerne hätte, oder sogar entgegengesetzt zu meinen Vorstellungen. Wenn es so ist, dann macht die Arbeit keinen Spaß, und die Freizeit wird langweilig, die Lust zu allem und jedem fehlt; sinnvolle Beschäftigung ist dann einfach nicht denkbar. Für die anderen würde ich dann möglicherweise sogar eine Zumutung, für das Zusammenleben ungeeignet, und das Schlimmste: ich könnte mich nicht mehr lenken, so sehr wäre ich blockiert.
Und mein ABS? Wie lässt sich dieses blockiert Werden verhindern?
Nun, ich sage mir vor allem in jenen Situationen, in denen es nicht nach meinen Vorstellungen geht: "Nimm dich nicht so wichtig! Wer bist du denn, hast du denn kein Vertrauen? Meinst du denn, du müsstest oder könntest alles machen?"
Jetzt kannst du noch wissen wollen, wieso ich mich nicht so wichtig zu nehmen brauche. Nun, es genügt doch zu wissen, dass mich jener wichtig nimmt, von dem ein Bild sagt, er habe meinen Namen in seine Hand geschrieben, oder ein anderes, er habe die Haare meines Hauptes gezählt.
Wenn du zusehen würdest, wie meine Frau und ich allabendlich unsere Kinder zu Bett bringen, dann könntest du denken: diese Routine, da sitzt jeder Griff - vom Baden und Zähneputzen über das Geschichtenerzählen bis zum Gespräch über den Tag - miteinander und mit Gott. Oberflächliche Routine, so mag es scheinen. Sie ist es aber nicht. Denn es gibt dabei viele Momente, die gerade das Gegenteil von Oberflächlichkeit durchscheinen lassen. Von einem solchen Augenblick möchte ich dir heute erzählen.
Er ist da, dieser Augenblick, wenn ich dem Sechsjährigen die Zähne putze. Natürlich kann er das auch selber - vielleicht sogar gründlicher, aber er hat es gerne, wenn ich es tue. Er steht dann vor mir am Waschbecken, hat seinen Kopf leicht nach hinten geneigt und schaut mich an, genauer: er schaut mir in die Augen - ich schaue ihm in die Augen. Sein Blick dauert nicht lange. Aber dieser kurze Blick - in dem Moment, in dem er ja - den Mund voller Schaum nicht sprechen kann - sagt mehr als viele Worte. In diesem Blick drückt er seine ganze Dankbarkeit aus als wollte er sagen: es ist gut, dass du da bist, ich bin froh darüber, ich hab' dich gern - und das gleiche scheint er in meinem Blick zu lesen und zu verstehen.
In diesem Blick, in diesem Augen-Blick werden die Schwierigkeiten des Tages klein, größere und kleinere Auseinandersetzungen verlieren ihre Bedeutung. Die Alltagshetze wird fraglich. Dieser Augen-Blick verändert. Dieser Augen-Blick tröstet, befreit und hilft weiter auch nach einem schweren Tag.
Dieser Blick in die Tiefe des Herzens, den wir uns gegenseitig schenken, gibt mir Geborgenheit auch deshalb, weil er mich daran erinnert, dass mich einer im Blick hat, den die Alten so oft durch ein Auge symbolisierten.
Darf ich dir heute auch einen Augen-Blick wünschen?
Wer seine Wohnung komplett oder teilweise neu einrichten will, wer sich neue Kleider kauft, wer eine Busreise bucht, für den ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal die Bequemlichkeit. Ein Sessel soll bequem sein - im Bus oder im Wohnzimmer. Die Geräte seien bequem zu bedienen. Schuhe sollen bequem sitzen. Wer zu Besuch kommt, dem wollen wir sagen können: Mach es dir bequem! Was nicht benutzerfreundlich, also bequem zu bedienen ist, seien es nun Geräte des Haushalts, der Unterhaltungselektronik oder auch anspruchsvolle Software für den PC, wird bei Testberichten abgewertet und kann nicht empfohlen werden. Selbstverständlich entscheiden wir uns für den Komfort, für das Leben erleichternde Annehmlichkeiten nach dem Motto: beschwerdelos, mühelos, angenehm, leicht. Und dies ist, so meine ich, in den genannten Beispielen berechtigt.
Gefährlich aber ist diese Anforderung - beschwerdelos, mühelos, angenehm, leicht - , wenn sich daraus eine Grundhaltung der Bequemlichkeit entwickelt, die sich so ausdrückt, wie neulich geschehen: Da sieht jemand von seinem Schreibtisch aus einem Verbrechen zu, hält es aber nicht für nötig, die Polizei zu rufen, obwohl dies gefahrlos möglich gewesen wäre. Bei der Zeugenvernehmung sagt er dann, er wollte keinen Ärger mit der Polizei kriegen.
Es ist auch nicht bequem, sich gegen Unrecht am Arbeitsplatz für eine Mitarbeiterin einzusetzen. Es ist nicht bequem, einem Mitschüler, der von Stärkeren gehänselt wird, beizustehen. Es ist nicht bequem, sich Kaffee oder Bananen im fairen Handel zu besorgen. Es ist auch nicht bequem und nur angenehm, seinen Mitmenschen so zu begegnen, wie man es sich von ihnen erwünscht.
Deshalb ist es leider auch nicht bequem, als Christ zu leben, weil jener Jesus, nach dem sich Christen doch richten sollten, klar und eindeutig fordert: "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!"
Und jener Jesus weiß, dass dies eine unangenehme, unbequeme Aufforderung ist. Die bequeme Grundhaltung vergleicht er mit einem weiten Tor, einem breiten Weg, auf dem viele gehen, er führt zum Verderben.
"Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal", sagt er.
Sollten wir uns da nicht - um zu leben - aus mancher Bequemlichkeit aufrappeln?
Ferienzeit - das ist auch die Zeit für Besuche, Besuche bei Verwandten und Freunden, die nicht in der Nähe wohnen, zu denen der Kontakt manchmal jahrelang nur übers Telefon aufrechterhalten wurde. In den Ferien können wir uns wieder einmal zu ihnen aufmachen, können die Strapazen einer langen Fahrt auf uns nehmen, können ihnen zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben. Und wenn wir uns sehr lange nicht gesehen haben, dann stellen wir aneinander viele Veränderungen fest, zunächst äußere wie schütteres oder graumeliertes Haar, dann aber auch solche innerer Art, z. B. gelassene Ruhe bei dem, der früher vielleicht fahrig und leicht reizbar war. Dann essen wir zusammen und tauschen - manchmal recht schwärmerisch und sehnsüchtig - Erinnerungen aus.
Aber besuchen wir uns nur, um eigentlich unbedeutende Veränderungen aneinander festzustellen und nostalgisch über die Vergangenheit zu schwärmen?
Dieser Tage habe ich wieder einmal eine uralte Geschichte gelesen. Ein Nomadengreis sitzt in der Mittagshitze am Zelteingang. Da kommt Besuch, der Alte eilt ihm entgegen und lädt ihn zum Essen, das seine Frau bereitet, ein. Es scheint ganz normal und üblich zuzugehen.