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Weitere Titel von Margitta Buchert
REFLEXIVES ENTWERFEN
Reflexives Entwerfen beschreibt ein integratives, theorie- und praxisrelevantes Handlungsfeld der Genese und Interpretation von Entwerfen und Forschen in der Architektur. Die formative Rolle forschender Entwurfsstrategien für architektonische Entwicklungen der Moderne bis in die Gegenwart ist bislang nur in Teilen erkannt. Gleichzeitig wird entwurfswissenschaftlichen Diskursen in den letzten Jahren eine deutlich wachsende Bedeutung beigemessen. Im Schnittstellenbereich beider Kontexte skizzieren die Beiträge des Buches zum einen ein vielfältiges Spektrum der kreativen und kulturellen Spannweiten von Reflexivität und reflexiven Entwurfsprozessen und zum anderen die Potentialität verschiedener Weisen der Generierung und unerwarteten Verknüpfung von Wissen und Projektideen in der Architektur.
ISBN 978-3-86859-925-1
PRAKTIKEN RELFEXIVEN ENTWERFENS
Das Buch Praktiken reflexiven Entwerfens bietet einen aufschlussreichen und vor allem impulsgebenden Einblick in die Spannweiten forschenden Entwerfens und entwerfenden Forschens in der Architektur und Landschaftsarchitektur und zeigt, welche Zielsetzungen damit verbunden sein können. Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede sowie der Gewinn, der aus diesen Beobachtungsperspektiven entspringt, werden erkenn- und vergleichbar. In zahlreichen Beiträgen wird ein Spektrum reflexiver Praktiken zur Generierung von Wissen und Gestaltung vorgestellt, das den gesamten Zyklus von Analysieren und Synthetisieren, von Erdenken, Erfinden, Präzisieren, Umsetzen und Kommunizieren einschließt und damit Relationen von Denken, Wissen und Handeln vielseitig erhellt.
ISBN 978-3-86859-926-8
EINFACH ENTWERFEN
Wege der Architekturgestaltung
Vorwort
EINFACH ENTWERFEN
Margitta Buchert
Einfach Entwerfen. Fünf Beschreibungen
VERORTEN
Margitta Buchert
Formation und Transformation von Orten
PROGRAMMIEREN
Felix Hoepner
Die formative Relevanz des Programms
FORMEN UND FÜGEN
Verena Brehm
Architektonische Morphogenese
CHOREOGRAPHIEREN
Margitta Buchert
Raumerleben und Raumartikulation
INSZENIEREN
Laura Kienbaum
Über den Affekt von Raum
Appendix
Impressum
VORWORT
Die Publikation umfasst fünf Kapitel des architektonischen Entwerfens, welche sich auf die bewusste Gestaltung unserer Umwelt beziehen. Der Stellenwert und die Relevanz von Gestaltungsfragen werden in Zeiten von allgemeinen Debatten um Nachhaltigkeitsaspekte und Baukultur häufig kontrovers diskutiert. Es besteht zwar - zumindest in Fachkreisen - Konsens darüber, dass eine auf Ästhetik ausgerichtete Gestaltung der gebauten Umwelt eine Quelle kultureller Wertschöpfung und ein Uranliegen der Architektur darstellt, ihr Anteil im Entwurfsprozess hängt jedoch stark von Rahmenbedingungen und individuellen Handlungsweisen ab.
Mit EINFACH ENTWERFEN findet eine Annäherung an das Entwerfen aus Sicht der Architekturtheorie statt, die zum einen die Relevanz gestaltungsbezogener Entwurfsaspekte verdeutlicht und zum anderen eine Grundlage ihrer Kommunikation darstellt. Mit einem Fokus auf den Prozess des gestalterischen Entwerfens und weniger auf den Gesamtentwurf als Ergebnis wird eine methodische Annäherung vorgeschlagen, welche verschiedene Konzepte, Strategien und Methoden des architektonischen Gestaltens in fünf thematischen Annäherungen bündelt. Die Themenfelder Verorten, Programmieren, Formen + Fügen, Choreographieren und Inszenieren werden als ein offenes und nicht hierarchisches System anhand von architektonischen Projekten und in ihren Reichweiten reflektiert. Es werden Begriffe und Ideen eingeordnet, Gestaltungsmittel beschrieben und ihre komplexen Wirkungszusammenhänge aufgezeigt, um transferfähige Entwurfsansätze zu extrahieren, Denkräume zu öffnen und impulsgebend wirksam zu werden. Dieses Grundlagenwerk richtet sich sowohl an Architekturschaffende, Studierende als auch an Architekturbegeisterte in Theorie und Praxis. Für ihre Unterstützung und Beiträge zu dieser Publikation möchten wir zuallererst den Autorinnen und Autoren danken. Christina Raabe danken wir für die Mitentwicklung und Umsetzung von Layout und Grafik. Nicht zuletzt möchten wir uns herzlich bedanken bei Lynne Kolar-Thompson für die Übersetzung der Aufsätze und beim Jovis Verlag, Berlin, der das Publikationsprojekt engagiert begleitete. (MB | LK)
„Jeder ist ein Entwerfer, der Abläufe ersinnt, um bestehende Situationen in erwünschte zu verwandeln.“
EINFACH ENTWERFEN
EINFACH ENTWERFEN. Fünf Beschreibungen
Margitta Buchert
Inhalte, Intentionen und Ordnungen des vorliegenden Buches werden im Folgenden aus unterschiedlichen Perspektiven vorgestellt. Damit verflochten sind einige übergreifende Reflexionen zum architektonischen Entwerfen sowie eine Positionierung: Im Zurückbinden an einen westlich-internationalen Überlieferungszusammenhang der Architekturdisziplin erfolgt ein explizites Eintreten für gestalterische Qualitäten architektonischer Werke und Räume. Die erste Beschreibung widmet sich Aspekten des Einfachen und des Vereinfachens als Mittel der Annäherung. Eine skizzenhafte Charakterisierung architektonischen Entwerfens in Verbindung mit den für diese Publikation ausgewählten fünf Entwurfsthemen folgt danach. In der dritten Darlegung finden sich Gedanken zu dem hier bevorzugten Primat der Gestaltung und zu Relationen von Ästhetik und Nachhaltigkeit. Auf die einzelnen Komponenten in der Anordnung des Buches bezieht sich eine weitere Beschreibung, und die fünfte unterstreicht noch einmal die mit alldem verbundenen vorrangigen Ziele und Potentiale.
EINS Die Expertise der Architekturschaffenden liegt primär im Entwerfen. Der Entwurf führt zu Qualitäten von Objekten und Räumen und damit zu grundlegenden Wirkungsqualitäten im individuellen und kollektiven Lebensumfeld der Menschen. Mit ihren konkreten physischen, sozialen und geistigen Erfahrungen und Handlungen sind die Menschen einbezogen in Situationen, die wesentlich mitgeprägt werden durch Architekturen. Darin liegt die grundlegende Bedeutung und Besonderheit architektonischer Räume. Ihre spezifische Gestaltung geht zurück auf Entscheidungen, die in Entwurfsprozessen gefällt wurden. Ausführlichere Kenntnisse und vielfältigere Sensibilisierungen in diesem Bereich können sowohl das Erleben bereichern wie zum Erzeugen zukünftiger Entwürfe Impulse vermitteln. Es eröffnen sich Möglichkeiten, die Welt und den schöpferischen Menschen besser zu verstehen und die eigene rezeptive und schöpferische Differenzierungsfähigkeit weiterzuentwickeln.1 Entwurfsprozesse lassen sich nicht auf eine einzige umfassende und grundlegende Weise vereinfachen und beschreiben. Entwerfen ist komplex. Am auffälligsten ist, in wie unbegrenzter Vielzahl sowohl Ziele als auch Komponenten architektonischer Entwurfshandlungen auftreten. Die Ordnung, die im Verlauf eines Entwurfsprozesses entsteht, entwickelt sich aus einer ganzen Reihe in sich komplexer Aktionen, die einzeln und auch in ihrer Synthese nur in Teilen beschreibbar sind. Der französische Schriftsteller und Theoretiker Paul Valéry charakterisierte die Möglichkeiten, schöpferisches Handeln zu verstehen und methodische Potentiale in kreativen Kontexten zu begreifen, in seinem Werk ‚Einführung in die Methoden des Leonardo da Vinci‘ in einer Randnotiz sehr klar: „Unser Denken kann nie vielseitig und nie einfach genug sein. Denn das Wirkliche, zu dem es vordringen will, kann nur von unendlicher Komplexität sein – unausschöpfbar. Und andererseits kann man es nur ergreifen und sich das Ergriffene zunutze machen, wenn das Denken ihm eine einfache Figur gibt.“2 Einfach ist damit zugleich das Begrenzende und das Befreiende im immer wieder auch selektiv fokussierenden Vorgehen beim Entwerfen und in der Beschreibung.
ZWEI Der Begriff Entwerfen umspannt, auf einer übergreifenden Ebene, das Hervorbringen von Projektideen aus vielfältigen Möglichkeiten. Es ist die Suche nach einer noch nicht vorhandenen Ordnung, Komposition oder Organisation von Elementen, Teilen, Gegenständen oder Sachverhalten.3 Im architektonischen Entwerfen verbindet sich diese Suche mit Gestaltungswillen, der sich auf die Antizipation dreidimensionaler Lebensumwelt bezieht, und mit verschiedenen Aktivitäten. Es wird gesammelt, analysiert, mobilisiert, orientiert, konzeptualisiert – und schließlich dargestellt und vermittelt. In Skizzen, Diagrammen, Rissen und Schnitten, in perspektivischen und anderen grafischen Darstellungstechniken sowie in Architekturmodellen, Texten und im gebauten Architekturwerk werden Entwurfshandlungen repräsentiert und präsentiert.4 Infolge einer von den Architekturschaffenden im Entwurfsvorgang getroffenen Auswahl von Themen verbinden sich die verschiedenen Komponenten durch sukzessive Verdichtung – auch mit Vor- und Rücksprüngen verbunden – zu einem Ganzen in der Komposition.5 Die Themen spezifizieren. Sie betonen verschiedene Ebenen im integrierenden Gesamtgefüge des Entwurfs. Später prägen diese dann die stärksten Wirkungsfelder in der Präsenz des Gebäudes. Die Bestandteile dieser Ebenen sind keinesfalls fest definiert. Innerhalb der thematischen Rahmungen sind sie flexibel und vielfach kombinierbar.6 Expliziert finden sich ausschlaggebende thematische Pfade beispielsweise in Beschreibungen der Grundhaltungen und Projektkonzeptionen von Architekturschaffenden und ebenso in Entwurfslehrbüchern oder, mehr oder weniger deutlich hervorgehoben, in architekturtheoretischen Diskursen. Neben Bauherren und politischem Willen, neben partizipatorischen Akten oder ökonomischen Aspekten, die als Konditionen oftmals von außen gesetzt werden, können beispielsweise bestimmte philosophische Ideen und theoretische Standpunkte wichtig werden für einen Entwurfsprozess. Es können sich Entwurfskriterien auf den Standort beziehen, der thematische Inhalte und gestalterische Aspekte nahelegt, oder technologisch sein bezogen auf strukturelle, konstruktive oder bautechnisch umweltbezogene Strategien und Systeme. Auch wenn immer nur eine begrenzte Zahl möglicher Komponenten als besonders artikulierte für das einzelne Projekt prägend wirkt, bleibt der Rest trotzdem und beeinflusst die Prozesse und die Ergebnisse des Entwurfs.7
Als langfristige, beständige Matrix wird, zumindest in der westlich-internationalen Architektur, immer wieder auf einige Grundaussagen zur Architektur Bezug genommen, die sich in der ältesten überlieferten architekturtheoretischen Schrift finden, verfasst von Marcus Vitruvius Pollio um ca. 30 v.Chr. Das ausbalancierte Zusammenwirken dreier Konzepte, die Trias von ‚firmitas, utilitas und venustas‘ wird dort als grundlegendes architektonisches Eigenschafts- und Qualitätsgefüge und damit auch als Ziel architektonischen Entwerfens benannt.8 Anders bezeichnet oder umschrieben mit Stabilität, Brauchbarkeit und Anmut oder mit Konstruktion/Technik, Zweck/Funktion und Schönheit/Form, um nur einige der vielfältigen Varianten zu nennen, finden sich diese Orientierungen als Grundlagen der Architektur und des Entwerfens bis heute immer wieder zitiert und kontrovers diskutiert.9 In erweiterter Interpretation sind diese Themen auch präsent in Begriffsfeldern von Tektonik, Typologie oder Stil, die als Leitkonzepte in Relation zu kulturellen und disziplinären Kontexten, jeweils anders gewichtet, ebenfalls zu finden sind. Trotz unterschiedlicher Modifikationen und Erweiterungen weisen die genannten Entwurfsebenen eine gewisse Permanenz auf, die ebenso pragmatisch bedingt wie kulturell und ideell interpretiert werden kann. Überraschenderweise zeigt sich aber ebenso, dass Sichtweisen und Konstellationen von Bezugsrahmen architektonischen Entwerfens immer wieder neu verhandelt werden.10 Einige dieser Themen werden auch hier als besonders relevant für architektonische Kompositionen vorgestellt, analysiert und auch umgedeutet. Der Akzent liegt auf den Entwurfshandlungen Verorten, Programmieren, Fügen + Formen, Choreographieren und Inszenieren. Andere, in einer bestimmten Regelmäßigkeit und Häufigkeit auftretende Sichtweisen werden zurückgestellt, beispielsweise zu Konstruktion oder Wirtschaftlichkeit, die insbesondere dann bevorzugt werden, wenn es um die Einschätzung von statischen, materialtechnischen oder ökonomischen Fragestellungen im Zusammenhang mit einem Entwurfsprojekt geht. In zeitgenössischen entwerferischen und baulichen Kontexten nehmen die vielschichtigen und zum Teil komplizierten konstruktiv-technischen, technologischen und ökonomischen Entwurfskomponenten bereits einen enormen Raum ein und bilden charakteristische Elemente der über die engeren Disziplingrenzen hinausreichenden Anteile in Entwurfs- und Bauprozessen.11 Die hier dargebotene Fokussierung erfolgt aus architekturtheoretischer Sicht stärker disziplinimmanent und richtet die Konzentration auf die Architekturgestaltung. Die Vielfalt aller gleichzeitigen Einflüsse wird dabei ausgeblendet. In Verbindung mit dem Umreißen gegenwärtiger Signaturen und Wege der architektonischen Gestaltung wird damit das Ziel einer Stärkung und Sichtbarkeit markanter architektonischer Kompetenz in einem spezifischen historischen, dem zeitgenössischen Kontext in den Mittelpunkt gestellt. Im besten Falle wirken diese mit thematischer Ausrichtung verknüpften vereinfachenden Beschreibungen und Analysen komplexer Entwurfswege strukturierend, orientierend und stimulierend zugleich.12
Entwerfen ist gleichermaßen ein heuristisch suchender und ein interpretierender Vorgang.13 Der deutende Charakter des Entwerfens zeigt sich beispielsweise in Bezügen auf den Ort oder das Programm. Diese bilden genuine und langlebige Kriterien für architektonisches Entwerfen, relative Konstanten. Gleichwohl entwickelt sich der einzelne Entwurf aus der individuellen Situation und Anforderung ebenso wie als Ausdruck der Reaktion auf zeitspezifische Phänomene der Kultur einer Gesellschaft und schließlich noch aus den biographischen Dispositionen und der Haltung der einzelnen Architekturschaffenden.14 Das entwurfsleitende Rahmenwerk ist so zum einen unausweichlich, da essentiell an Architektur gebunden. Entwerferisches Handeln ist zum anderen im Bezug auf bestimmte Themen oder Vorbilder auch immer traditionsverbunden geprägt. Nicht zuletzt werden bei der Generierung des Neuen im Entwurfsvorgang zeit- und personenspezifische Faktoren wirksam, es sei denn, der Entwurfsvorgang erschöpft sich in der Reproduktion bekannter Muster. Mit der Thematisierung von Ort, Programm und Form als Ebenen architektonsichen Entwerfens werden hier gewissermaßen unhintergehbare und bekannte Entwurfsbereiche vorgestellt, die in der Formulierung als Verorten, Programmieren sowie Fügen und Formen die Aufmerksamkeit stärker auf die Eigenschaft der entwerferischen Haltung und auf die gestaltenden Kräfte lenken. Mit Choreographieren und Inszenieren werden zwei weitere, im Zusammenhang mit menschlichem Architekturerleben essentielle Entwurfsebenen hervorgehoben. Spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert trat in der Wertsetzung der Architekturschaffenden wie auch in transdiziplinären Diskursen im evolutionären Prozess der Moderneentwicklung der Topos ‚Raum‘ als zentraler Aspekt von Architekturverständnissen hervor.15 Die Thematisierung des architektonischen Raums als Entfaltungsraum menschlicher Beziehungen und als Wahrnehmungsraum dynamisch prozessualer Welterschließung wird mit den beiden Entwurfsthemen Choreographieren und Inszenieren in einer Weise nuanciert, wie Raumthemen verstärkt seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert interpretiert wurden, nicht nur innerhalb der Architekturdisziplin, sondern auch in diskursiven Tendenzen verschiedenster Disziplinen.16 Kein Entwurf lässt sich auf einen der genannten Entwurfsbausteine allein zurückführen und auch nicht auf eine schlichte Addition der Komponenten. Die Ebenen stehen in wechselseitigem Bezug, spielen in der Entwurfsentwicklung in unterschiedlicher Weise und immer wieder ineinander. Die entwerferischen Prozesse und Entscheidungen entfalten sich in einer unbeschreiblichen Verbindungsfülle. Ihr Potential ist veranschaulicht in der gestalterischen Komposition.
„Die menschliche Kultur lässt sich nicht länger auf Denken und Tun reduzieren. Dazwischen schiebt sich, als eigene methodische Disziplin, das Entwerfen, das Entstehen dessen, was noch nicht ist, weder in der Theorie noch in der Praxis. Im Entwerfen erweisen sich beide als Fundamente. Der Entwurf übersteigt Theorie und Praxis und eröffnet nicht nur eine neue Wirklichkeit, sondern auch neue Einsichten. Im Entwurf nimmt der Mensch seine eigene Entwicklung in die Hand.“
DREI Entwerfen wird hier als bewusste, intentionale Gestaltungshandlung fokussiert. Gestaltung ist unmittelbar verknüpft mit der Wahrnehmung und dem Erleben von Umwelten.17 Durch seine etymologischen Wurzeln im griechischen ‚aisthetikos‘ bezieht sich der Begriff Ästhetik auf sinnliche Unmittelbarkeit, wie sie für die Wahrnehmung charakteristisch ist, und darüber hinaus auch mit eher abstrakten Dimensionen des Erfassens, Lernens, Verstehens, Beobachtens.18 Sie entfaltet Möglichkeiten, sich in der Welt zu orientieren, und öffnet Potentiale im Kontext schöpferischer Produktion.19 Schließlich werden damit auch Qualitäten und Wertsetzungen verbunden wie Anmut, Schönheit, Balance oder Harmonie, die verschiedene Beziehungen und Anordnungen beinhalten können.20 In Erweiterung der antiken architekturtheoretischen Beschreibungen von Virtuvius Pollio sind seit den ausführlicheren Charakterisierungen des Renaissancetheoretikers, Künstlers und Architekten Leon Battista Alberti vergleichbare werthaltige Eigenschaften immer wieder in Architekturverständnissen zu finden.21 Die schöpferische Handlung, das Gestalten kann als Wechselspiel zwischen Vernunft und Sinnlichem verstanden werden.22 Die gedankliche Verarbeitung des Wahrgenommenen unbewusster und emotionaler Vorgänge bildet einen Teil davon.23 Entwerfen speist sich auch aus ästhetischer Erfahrung und prägt Eigenschaften des Objektes, die dann Impulse, Angebote und Aufforderungen für die Rezeption darbieten.24 Gestaltung ergibt sich nicht automatisch oder durch Zufall als qualitätsvolle. Ein primär nach utilitaristischen Gesichtspunkten, auf Gebrauchstauglichkeit und wirtschaftlichen Nutzen ausgerichtetes Entwerfen bleibt hinter den Möglichkeiten dieser schöpferischen Handlung zu einer menschengerechten und ästhetisch erfüllenden Gestaltung zukunftsfähiger Umwelt zurück. Gestaltung, die eine Sensibilisierung des ästhetischen Bewusstseins der Menschen ermöglicht und ihre Differenzierungsfähigkeit fördert, kann wesentlich dazu beitragen, Vereinseitigungen zu vermeiden und qualitative Freiräume für eine kulturelle Balance zu öffnen.25
Dabei geht es auch um eine Dimension von Dauerhaftigkeit. Das wiederum hat mit Nachhaltigkeit zu tun. Die breitgestreuten Diskurse zu Grundlagen, Intentionen und Strategien, die um Nachhaltigkeitskonzepte kreisen, sind stetig angewachsen seit der ersten Konferenz der Vereinten Nationen zu den Risiken menschlicher Umweltbeeinflussung 1972 in Stockholm, der United Nations Conference on the Human Environment, und dem Bericht des Club of Rome von 1972, der über Wachstumstendenzen und -grenzen sowie Gleichgewichtszustände im Kontext des rapiden Anstiegs der Weltbevölkerung und der Weltindustrieproduktion aufklärte.26 Die dann in Rio de Janeiro 1992 beschlossene Agenda 21 und ihre Ergänzung durch das Kyoto-Protokoll von 1997 sowie die Folgekonferenzen hatten die Ziele der Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen, der wirtschaftlichen Stabilität und der sozialen Verträglichkeit in den Mittelpunkt gerückt. Um die Interpretation dieser Dimensionen wurden verschiedenste Nachhaltigkeitsmodelle entwickelt, wobei Vorstellungen und Definitionen aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungstraditionen heraus mit verschiedenen Naturverständnissen, Wertvorstellungen und Interessen verbunden wurden und werden.27 Die explodierende Weltbevölkerung, zunehmende Erkenntnisse zu den beschränkten fossilen Ressourcen und der Klimawandel hatten seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung noch stärker herausgefordert und die wissenschaftlichen wie praktischen Bemühungen verstärkt. Im Architekturdiskurs und der baulichen Praxis wirkten die beschriebenen allgemeinen historischen Entwicklungen und Nachhaltigkeitsdiskurse weniger im Sinne eines klar und eindeutig definierten Felds von Leitideen, sondern vielmehr als Generator verschiedener Handlungsweisen, Projekte und Regulierungen. Es gibt nicht den einen und einzigen Weg der Nachhaltigkeit, der sich im Einsatz technischer, technologischer und materialbezogener Innovationen erschöpft, die quantifizierbar und zertifizierbar sind beispielsweise in den Gütesiegeln wie BREEAM (UK), LEED (US) oder DGNB (D).28 Auch der Umgang mit natürlicher Verschattung, Belichtung und Belüftung, Abfallvermeidung und Ressourcenschonung im Produktionsprozess sind Aspekte, die architekturbezogen relevant sind. Daneben können auch bestimmte typologische Entwicklungen und Neuinterpretationen historischer Typologien wie Innenhöfe, Atrien, Windtürme etc. dazu beitragen, Ressourcen zu schonen und Energieverbrauch zu reduzieren.29 Als nachhaltig ist aber auch die bewusste, die absichtsvolle ästhetische Gestaltung zu verstehen. Hierzu gehört eine willentliche Zuwendung und Aufmerksamkeit, die ein über bloß subjektive Reflexe oder logische Entwicklung und Planung hinausgehendes Entwerfen essentiell begleitet. Gestaltung wird dann als eigenständige und grundlegende Aufgabe wahrgenommen und praktiziert. Als individueller und kollektiver Mehrwert auch auf der Seite von Auftraggebern, Unternehmen, Entwicklern kann die Priorisierung der Qualitäten architektonischer Gestaltung zu einer balancierten Menschheit in einer balancierten Welt beitragen. Das beste Ergebnis bildet eine Synthese von Ästhetik und Nachhaltigkeit in dem Ziel, eine hohe Architekturqualität zu erreichen und auch visionäre Qualitäten zu entfalten.
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