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Weitere Titel von Margitta Buchert
EINFACH ENTWERFEN
Mit Einfach Entwerfen findet eine Annäherung an das Entwerfen aus Sicht der Architekturtheorie statt, die zum einen die Relevanz gestaltungsbezogener Entwurfsaspekte verdeutlicht und zum anderen eine Grundlage ihrer Kommunikation darstellt. Mit einem Fokus auf den Prozess des gestalterischen Entwerfens und weniger auf den Gesamtentwurf als Ergebnis wird eine methodische Annäherung vorgeschlagen, welche verschiedene Konzepte, Strategien und Methoden des architektonischen Gestaltens in fünf thematischen Annäherungen bündelt. Die Themenfelder Verorten, Programmieren, Formen + Fügen, Choreografieren und Inszenieren werden als ein offenes und nicht hierarchisches System anhand von architektonischen Projekten und in ihren Reichweiten reflektiert. Es werden Begriffe und Ideen eingeordnet, Gestaltungsmittel beschrieben und ihre komplexen Wirkungszusammenhänge aufgezeigt, um transferfähige Entwurfsansätze zu extrahieren, Denkräume zu öffnen und impulsgebend wirksam zu werden. Dieses Grundlagenwerk richtet sich sowohl an Architekturschaffende, Studierende als auch an Architekturbegeisterte in Theorie und Praxis.
ISBN 978-3-86859-924-4
PRAKTIKEN RELFEXIVEN ENTWERFENS
Das Buch Praktiken reflexiven Entwerfens bietet einen aufschlussreichen und vor allem impulsgebenden Einblick in die Spannweiten forschenden Entwerfens und entwerfenden Forschens in der Architektur und Landschaftsarchitektur und zeigt, welche Zielsetzungen damit verbunden sein können. Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede sowie der Gewinn, der aus diesen Beobachtungsperspektiven entspringt, werden erkenn- und vergleichbar. In zahlreichen Beiträgen wird ein Spektrum reflexiver Praktiken zur Generierung von Wissen und Gestaltung vorgestellt, das den gesamten Zyklus von Analysieren und Synthetisieren, von Erdenken, Erfinden, Präzisieren, Umsetzen und Kommunizieren einschließt und damit Relationen von Denken, Wissen und Handeln vielseitig erhellt.
ISBN 978-3-86859-926-8
REFLEXIVES ENTWERFEN
INHALT
VORWORT | Margitta Buchert |
KREATIVITÄT | WISSEN | |
REFLEXIVES ENTWERFEN? | Margitta Buchert |
ARCHITEKTONISCHES WISSEN: METHODE ODER MYSTERIUM? | Lara Schrijver |
RESEARCH FOR UNCERTAINTY | Wolfgang Jonas |
PRAKTIKEN | FACETTEN | |
GRUNDBEGRIFFE DER ARCHITEKTUR | Alban Janson |
PROZESSGESTALT | Manuel Scholl |
PERFORMATIVER URBANISMUS | Sophie Wolfrum |
FOKUS MODERNE | |
DEN ENTWURF ENTWERFEN | Angelika Schnell |
REFLEXIVE MODERNE UND ARCHITEKTUR REVISITED | Ullrich Schwarz |
EINE BEGEGNUNG ZWEIER DENKANSÄTZE | Christoph Grafe |
Appendix | |
Impressum |
VORWORT
Margitta Buchert
Die formative Rolle forschender Entwurfsstrategien für architektonische Entwicklungen der Moderne bis in die Gegenwart ist bislang nur in Teilen erkannt. Gleichzeitig wird entwurfswissenschaftlichen Diskursen in den letzten Jahren in Deutschland und in europäischen Kontexten eine deutlich wachsende Bedeutung beigemessen. Dieses Interesse hat zu einer Reihe von produktiven Ansätzen in wissenschaftlichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen der Architektur und benachbarter Disziplinen geführt.1 Wiederholt wird als Anlass der Diskurse auf von außen an die Architektur als akademische Disziplin herangetragene Forschungserwartungen verwiesen, vor allem von der Politik und von gegenwärtigen Hochschulentwicklungskonzepten. Dabei gerät jedoch in den Hintergrund, welche intrinsischen Qualitäten mit der expliziten Thematisierung der Zusammenhänge von Entwerfen und Forschen in der Architektur verbunden sein können.2
Wie zeigt sich ein zeitgenössisches Architektur- und Entwurfsverständnis, wenn es mit der Perspektive des Forschens fokussiert wird? Wo und wie ist das Reflexive mit der Praxis des Entwerfens verwoben? Welche spezifischen Wissensformen, Verfahren und Erkenntnisweisen und schließlich welche, auch transferfähigen, Möglichkeiten zur kreativen Analyse und Transformation öffnen sich im Blick auf das architektonische Entwerfen und Forschen? Vor diesem Hintergrund sucht das vorliegende Buch Reichweiten und Potenziale aufzuzeigen und impulsgebend zu wirken.
REFLEXIVES ENTWERFEN beschreibt ein integratives, theorie- und praxisrelevantes Handlungsfeld der Genese und Interpretation von Entwerfen und Forschen in der Architektur. Das Reflexive und die Reflexivität sind dabei auf vielfache Weise Hinweis auf eine Wechselwirksamkeit empirischer und rationaler Welt- und Selbstbezüge sowie auf eine durchaus auch kritische Reflexion der Grundlagen, Prämissen und Potenziale der Praktiken des Entwerfens und Forschens in Architektur und Städtebau und deren kulturellen und projektiven Kontexten. Das Thema REFLEXIVES ENTWERFEN verbindet sich mit der Chance einer Loslösung von konkreten Erwartungen und Forderungen durch einen hohen Grad an Zieloffenheit. Theoriebildung und die Verbindung zur Praxis finden darin ebenso Raum wie die Grundhaltung, Fragen nicht unbedingt zu beantworten, sondern aufzuwerfen, Thematisierungen nicht unbedingt zu fixieren, sondern zu beginnen, iterative Möglichkeiten zu denken und innovative Formate zu skizzieren und zu konzeptualisieren oder einfacher formuliert: Entwerfen und Forschen in ihren Relationen anders zu denken.
Die Beiträge gehen zurück auf das Symposium REFLEXIVES ENTWERFEN an der Leibniz Universität Hannover, das im Juni 2013 im Zusammenhang mit dem 3. Internationalen Doktorandensymposium ‚DARA. Entwerfen und Forschen in der Architektur‘ an der Fakultät für Architektur und Landschaft stattfand, wo der Forschungsschwerpunkt ‚Reflexives Entwerfen‘ seit einigen Jahren entwickelt wird.3 Im Kontext von Diskussionen, welche in der jüngeren Vergangenheit um die Verknüpfung von Entwerfen und Forschen in der Architektur und in benachbarten Disziplinen geführt wurden, wird hier die Vielfalt von Wissens- und Produktionsformen, wie sie mit dem architektonischen Entwerfen zu verbinden sind, differenzierter fokussiert im Hinblick auf Reflexivität, reflexive Prozesse und Eigenschaften sowie auf den damit für individuelle und kollektive Entwicklungen zu verbindenden Zugewinn an Qualitäten in der kulturellen Situation der gegenwärtigen Moderne.
Allen Beiträgen dieses Buches ist gemeinsam, die Praxis des Entwerfens und Forschens in der Architektur im Sinne einer Schärfung der individuellen und kollektiven Kompetenzen und Möglichkeiten zu thematisieren. Neuland wird insbesondere im Blick auf architekturspezifische Denk- und Forschungsweisen erkundet, die über ein reines Verstehen des Entwerfens mit einer projektiven Orientierung impulsgebend hinausreichen. Nicht zuletzt kann so auch eine schärfere Profilbildung der Disziplin gegenüber etablierten Wissenschaftsstrukturen befördert werden.
Die Beiträge sind in drei Gruppen zusammengefasst, die Anlässe, Fragen, Prozesse und verschiedene Formen der Wissensproduktion und Erkenntnisgenese in Entwurfszusammenhägen skizzieren, differenzieren und diskutieren. Sie öffnen exemplarisch unterschiedliche Perspektiven auf das REFLEXIVE ENTWERFEN im Kontext eines westlich-internationalen Überlieferungszusammenhangs, nach dem das spezifische Potenzial der Architektur darin zu sehen ist, dass sie Kunst und Wissenschaft, Theorie und Praxis, Denken und Fühlen, Analyse und Imagination in Synthesen in ungewöhnlicher Weise verbinden kann.4
Reflexion und Produktion zeigen sich dabei ebenso als wechselwirksam wie miteinander verflochten. Das inhaltliche Gesamtspektrum dieses Ansatzes kann hier nur ausschnitthaft dargeboten werden. Doch verweisen bereits die vorliegenden Beiträge und insbesondere deren zahlreiche Berührungen und Überlagerungen in wechselseitiger Ergänzung der einzelnen Thematisierungen auf die dynamische Konstitution und die immensen Spannweiten eines zukunftsweisenden Forschungsfeldes. Sie laden ein, Fragestellungen, Prozesse, und Praktiken zu erproben und zu beobachten und dies mit dem Ziel zu verknüpfen, reflexiv Denk- und Entwurfsweisen hervorzubringen als Stimulation und Unterstützung individueller Expertise und Positionierung ebenso wie zur kontinuierlichen Erneuerung der Disziplin beizutragen. Nicht zuletzt kann dies auch in der gebauten Umwelt über die von der Architektur eingerichteten Räume und Orte Wirkungen entfalten.
Die Kapitel des Buches sind in drei Sektionen strukturiert: Kreativität I Wissen, Praktiken I Facetten und Fokus Moderne, wodurch einzelne Bereiche der vielfältig miteinander verknüpften Handlungsfelder von Entwerfen und Forschen in der Architektur differenzierter beleuchtet werden. Die ersten Beiträge zum Themenbereich KREATIVITÄT I WISSEN von Lara Schrijver, Wolfgang Jonas und Margitta Buchert widmen sich den Relationen von Entwerfen, Forschen und Reflexivität sowie ihren Bezügen zu institutionellen, disziplinären, wissenschaftsspezifischen und entwurfstheoretischen Zusammenhängen. Sie treten dafür ein, die verschiedenen Formen der zum Teil ineinandergreifenden und interagierenden vagen und unscharfen Relationen und Verknüpfungen von Kreativität und Wissen als besondere Eigenart des Entwerfens und der Architektur auszuloten und nachdrücklich zu fördern im Hinblick auf die Genese zukunftsweisender Ideen und qualitätsvoller Projekte. Aus unvertrauten Perspektiven und mit unterschiedlichen Zielen thematisieren die Beiträge des Abschnitts PRAKTIKEN I FACETTEN von Sophie Wolfrum, Manuel Scholl und Alban Janson unterschiedliche Praktiken der reflexiven Annäherung an das Entwerfen und skizzieren damit Facetten der Reichhaltigkeit und Spannweiten einer forschend begleiteten projektiven Praxis. Mit der Thematisierung verschiedener Denkweisen und Entwurfsverfahren wird in der dritten Sektion FOKUS MODERNE in den Beiträgen von Angelika Schnell, Ullrich Schwarz und Christoph Grafe ein weiteres vielfältiges Segment bereichernd dargeboten. Dieses schließt neuartige reflexiv re-konstruierende Forschungsverfahren ebenso ein wie kritische Interpretationen entwerferischer Handlungsansätze im Horizont architektur- und kulturwissenschaftlicher Wirkdimensionen der Moderne.
Insgesamt ist der Fokus vor allem auf westlich-internationale Architekturentwurfskontexte gerichtet und damit auf einen spezifischen Ausschnitt der Wirklichkeit, und er umschließt Wirklichkeitskonzepte aus der Perspektive des beginnenden 21. Jahrhunderts. In der Zusammenschau können die aufgezeigten Dimensionen, Handlungsansätze und Interpretationen auf die Spannweiten des Phänomenbereichs REFLEXIVES ENTWERFEN hinweisen und zu weiteren Thematisierungen ermuntern. In alledem wird deutlich, dass die Verbindung von Entwerfen und Forschen in der Architektur unterschiedliche Wissensformen einschließt und generiert und dieses Wissen in verschiedenster Weise kreativ interpretiert und behandelt wird. Die darin liegende Spezifik und Stärke kann, wie auch bei anderen gestalterisch entwerfenden Disziplinen zur Impulsgeberin, Wegbereiterin und Promotorin werden für die Entwerfenden selbst, und für einzelne Objekt- und Projektentwürfe ebenso wie für die Entwicklung der Disziplin und darüber hinaus für vielfältige Zukunftsgestaltungen.5 Die damit angesprochene Dynamik ist vergleichbar einem Kreis, der sich dreht und weitere Kreise ziehen kann bis hin zu einer qualitativen Mannigfaltigkeit – und sich darin doch nicht erschöpft.
Ein großer Dank geht an erster Stelle an die Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu dieser Publikation. Dem Jovis Verlag und dort insbesondere Philipp Sperrle und Susanne Rösler danken wir für die hervorragende Zusammenarbeit. Felix Hoepner sei gedankt für die Organisation des Symposiums und Julius Krüger für die Mitentwicklung und Umsetzung von Layout und Grafik. Nicht zuletzt richtet sich ein freundlicher Dank an die Übersetzerinnen der Beiträge Lynne Kolar-Thompson und Stephanie Rupp sowie an die Fakultät für Architektur und Landschaft und die Leibniz Universität Hannover für die Unterstützung des Symposiums und der Veröffenlichung.
ANMERKUNGEN 1 Vgl. z.B. Sabine Ammon/Eva Maria Froschauer (eds.), Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, München: Wilhelm Fink 2013; Andri Gerber et al. (eds.), Forschende Architektur, Luzern: Quart 2010; Simon Grand/Wolfgang Jonas/Ralf Michel (eds.), Mapping design research, Basel: Birkhäuser 2012; Lorenz Engell/Bernhard Siegert (eds.), Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1(2012): Entwerfen, Hamburg: F. Meiner; Fakultät für Architektur der TU Graz/Urs Hirschberg (ed.), Graz Architecture Magazine 2(2005): Design science in architecture, Wien et al.: Springer 2005; Richard Foqué, Building knowledge in architecture, Brüssel: Univesity Press Antwerp 2010; Ute Frank et al. (eds.), EKLAT. Entwerfen und Konstruieren in Lehre, Anwendung und Theorie, Berlin: Universitätsverlag 2011; Bryan Lawson, How designers think. The design process demystified, 4.ed. Amsterdam et al.: 2006; John Zeisel, Inquiry by design. environment/behavior/neuroscience in architecture, interiors, landscape, and planning, New York et al.: Norton 2006 2 Vgl. Simon Grand/Wolfgang Jonas (eds.), Mapping design research, Basel: Birkhäuser 2012 3 Vgl. z.B. Margitta Buchert/Laura Kienbaum (eds.), Einfach entwerfen. Wege der Architekturgestaltung Berlin: Jovis 2013; Hille von Seggern et al. (eds.), Creating knowledge. Innovationsstrategien im Entwerfen urbaner Landschaften, Berlin: Jovis 2008 4 Vgl. dazu auch Gerd de Bruyn, Die enzyklopädische Architektur, Zur Reformulierung einer Universalwissenschaft, Bielefeld: Transcript 2008, 21–23 5 Vgl. dazu auch Nigel Cross, From design science to a design discipline. Understanding designerly ways of knowing and thinking, in: Ralf Michel (ed.) Design research now, Basel et al.: Birkhäuser 2007, 41–54, 47
„Unsere Hauptaufgabe – wahrlich groß genug – besteht einfach darin, die Möglichkeiten für die Zukunft offen zu lassen oder sie vielleicht sogar ein wenig zu erweitern, indem wir der Vielfalt etwas Neues hinzufügen und neue Nischen schaffen“
KREATIVITÄT | WISSEN
KREATIVITÄT | WISSEN
Relationen von Kreativität und Wissensformen wird in der Entwurfsforschung ebenso wie in der Wissenschaftstheorie große Aufmerksamkeit beigemessen. Den nachfolgenden Beiträgen gemeinsam ist das Ziel, das gestaltende Entwerfen in seiner Spezifik als ein besonderes Format kreativer Wissensproduktion und projektiver Praxis zu verstehen, als eine hochgradig integrative und kreative Wissenskultur, die verschiedene Wissensformen mit Reflexion und Produktion verbindet. Einer Skizzierung der Dimensionen und Lesarten des Reflexiven wie sie mit dem architektonischen Entwerfen verbunden werden können, nähert sich Margitta Buchert durch das Aufspüren verschiedener Eigenschaften und Inhalte von Entwurfs- und Erkenntnisprozessen, die nur in Teilen in einem logischen Rahmenwerk zu fixieren sind, bei der Generierung des ,Neuen‘ gleichwohl eine wichtige Rolle spielen. Lara Schrijver diskutiert ausgehend von einer Beschreibung der Architekturdisziplin, wie sie gegenwärtig westlich-international erscheint, und ihrer Positionierung im Kontext von Hochschulen, Forschungsinstitutionen und Förderstrukturen verschiedene diskursive Dimensionen im internationalen Forschungskontext und am Beispiel von Robert Venturi/Denise Scott Brown, Oswald M. Ungers und Rem Koolhaas. Begleitet werden diese analytischen Darlegungen von impulsgebenden Gedanken zur Modifikation stereotyper Vorstellungen von Forschung und Wissenschaft. Wolfgang Jonas, einer der gegenwärtigen Protagonisten der Designforschung, denkt in seinem Beitrag über eine Form der Wissenschaft nach, die durch größtmögliche Integration des Entwerfens geprägt wird, indem er unterschiedliche Wissensbegriffe in unserer Gesellschaft diskutiert, Unterscheidungen von Forschung über und für und Forschung durch Entwerfen benennt und zu kreativen, mutigen Hypothesen ermuntert. In Referenz zu vielzitierten entwurfs- und wissenschaftstheoretischen Positionen, die analoge integrative Handlungsweisen enthalten und befördern können, weist er hin auf die Potenzialität der Kombination vielfältiger und neuartiger Lesarten und Handlungsweisen. MB
REFLEXIVES ENTWERFEN?
Topologien eines Forschungsfeldes
Margitta Buchert
Die begriffliche Verdichtung ,Reflexives Entwerfen‘ kann einen Anreiz bilden, Forschungsaspekte, Wissensgenerierung und schöpferische Prozesse im Zusammenhang des Entwerfens zu beobachten, besser zu verstehen und zu aktivieren. Reflexion, das Reflexive und Reflexivität werden nachfolgend zunächst in ihrer Verwendung in einigen wissenschaftlichen Bereichen aufgespürt und in ihren unterschiedlichen Akzentuierungen vorgestellt. Mit Blick auf das architektonische Entwerfen wird das generische Potenzial der Lesarten hervorgehoben und abstrahiert.1 Es sind schweifende Annäherungen. Das dabei skizzenhaft aufscheinende Forschungsfeld hat topologische Eigenschaften. Es zeigt einige Verknüpfungen, einige verallgemeinerbare Eigenheiten und gleichzeitig auch Variablen und Unbestimmtheit.2 Die dynamische Überlagerung von Klarheit und Vagheit birgt das Potenzial, Ausgangspunkt zu sein, um Komplexität und relationale Vielheit von Vorstellungen und Systemen mit neuen Perspektiven projektiv zu überbieten.
REFLEXIVE PRAXIS Eine Lesart des reflexiven Entwerfens fokussiert die Kompetenz der situativen Reaktion in der Praxis im Sinne von Rückkopplungen im Entwurfsverlauf, beispielsweise in der konkreten Reaktion auf Programm, Ort und technisch-konstruktive Aufgabe und als offenen Arbeitsprozess, der die Ideenfindung sowie verschiedene Bedingungen, Dialoge und Kooperationen einschließt. Reflexion in metaphorischer Analogie zu physikalischen Verständnissen, wie sie beispielsweise als Reflexion des Lichts in der Optik oder als Schall in der Raumakustik zu finden ist, und Reflexion im Sinne eines Nachdenkens treten in diesem praxeologischen Blick in unterschiedlichen Streuungen und Verdichtungen hervor. Der amerikanische Wissenschaftler und Urbanist Donald Schön hatte in den 1980er Jahren die theoretische Idee einer ,reflection-in-action‘ präsentiert.3 Sein Forschungsinteresse galt dem Aufspüren von Wissensformen in der Praxis, die nicht allein auf technischer Rationalität beruhen oder in logischer Nachvollziehbarkeit erscheinen. Zahlreiche empirische Studien und Protokolle von Praktiken aus Bereichen wie Architektur, Medizin, Recht, Wirtschaft oder Pädagogik bildeten sein Untersuchungsfeld. Mit dem Reflexiven charakterisierte er ein wissensbasiertes und gleichermaßen improvisatorisches Handeln bei komplexen Anforderungen in der Praxis mit dem Ziel der jeweils zufriedenstellenden projektbezogenen Lösungsfindung. Eine Erweiterung des im praktischen Handeln erworbenen und angewandten Erfahrungswissens folgt daraus. In Aussagen, mit denen Schön das Reflexive in der Aktion als ein Forschen im Praxiskontext beschreibt, ist dieses Forschen instrumentell und unmittelbar praktisch ausgerichtet, und die Form der Reflexion von situativ basierter, episodischer Qualität.4
IMPLIZITES WISSEN Mit seiner empirisch entwickelten und sehr einflussreichen Studie hat Schön neben den Theorien des ungarischen Naturwissenschaftlers und Philosophen Michael Polanyi aus den 1960er Jahren, auf die er auch Bezug nimmt, maßgeblich zur Differenzierung von Wissensformen und insbesondere zur Konturierung einer ,implizites Wissen‘ genannten Wissenskonzeption beigetragen, die für viele Handlungsweisen wie beispielsweise das architektonische Entwerfen eine wichtige Rolle spielt.5 Gegenüber explizitem Wissen, das ein beschreibbares, aufzählbares und geteiltes, veröffentlichtes Wissen meint und Fakten, Hypothesen, Theorien und Wissen über Vorgehensweisen enthalten kann, ist implizites Wissen – auch stilles oder stummes Wissen genannt – nicht vollständig zu beschreiben oder zu objektivieren. Es ist immer informationsreicher als jede Beschreibung es auszudrücken vermag, und es ist mit kontinuierlich wechselnden Graden der Bewusstseinsbildung verbunden.6 Ins Bewusstsein gelangen nur Ergebnisse und Zwischenergebnisse. In das Handeln wird es in einem informellen Akt integriert, der nicht durch eine formale Aktion ersetzt werden kann.7 Die Handelnden empfinden sich dabei als intuitiv, was oftmals auch mit dem Begriff Kreativität verbunden wird. Eine Überbewertung der konkreten Praxis durch das Aktionsprimat kann die Reichweite und Tiefe von Reflexionen ebenso wie Verstehens- und Entwicklungsprozesse aber auch beschränken. Konstanten, die für den reflexiven Umgang mit der Situation der Praxis als essenziell gesehen werden können wie übergreifende Theorien, mit denen Phänomene verstanden werden, das Repertoire der Möglichkeiten für die Lösung von Aufgaben und für Evaluationen von Alternativen, die Eigenschaften der verwendeten Medien, die Art der Vermittlung und schließlich das Rollenverständnis in kommunikativen Situationen, bilden grundlegende Anteile der Aktionen und sind in den einzelnen Berufspraktiken spezifisch geprägt. Als Ausgangspunkte der ,reflection-in-action‘ wies Schön diesen Themen eine hohe Relevanz insbesondere auch für zukunftsweisende Forschungen zu.8
„Forschung erzeugt einen tieferen Einblick in ein Thema, ein besseres Verständnis eines Problems, klarer definierte Möglichkeiten und Grenzen für potentielle Aktionen.“
PROZESSE In einigen Teilen differenzierter vorgestellt, in anderen Bereichen nur angedeutet, präsentierte Schön ein Konzept, das als Entwurfsprozessmodell in den nachfolgenden Jahrzehnten vor allem im englischsprachigen Raum weiter erforscht wurde. Befördert wurde dies nicht zuletzt durch die dort seit den 1980er und noch verstärkt in den folgenden Jahrzehnten nachdrücklich unterstützte Entwurfsforschung in akademischen Kontexten.9 Danach kann der Architekturentwurf als iterativ aufgebaute Entwicklung beschrieben werden, in der Wissenserwerbs- und Informationsphasen mit Entwurfsideen und Synthesen wechselwirkend miteinander verbunden sind. Nicht nur eine grundlegende Analyse und Interpretation der Aufgabe, die meist am Anfang des Entwurfsprozesses steht, auch Evaluation, Revision und Neubeginn im Prozessverlauf bilden in distanzierter Haltung erfolgende reflexive Anteile, und dies auch in wiederholten Passagen. Sequenzen reflexiver und schöpferischer Aktivität, Entscheidung und Anpassung konstituieren vor dem Netzwerk expliziten und impliziten Wissens einen nicht-linearen Prozess aus Bewegung und Transformation.10 Dabei fokussieren die entwerfend Handelnden nach außen auf ein Problem und auf die Entwurfsergebnisse, nicht auf die entwerferischen Handlungsschritte selbst oder gar deren reflexive Anteile.11
Ausdrücklich sei hier noch einmal auf die individuelle Grundkonzeption der Entwerfenden verwiesen im Sinne einer die verschiedenen Projektentwürfe begleitenden Prägung und Haltung, die eine relative Konstante bildet und als Position mit den jeweils aktuellen situativen Gegebenheiten dann wechselwirksam verknüpft wird. Sie wird in langen Prozessen aus Wissensgrundlagen der Disziplin sowie biografischen sozialen und kulturellen Kontexten aufgebaut, und sie kann durch Forschungsphasen maßgeblich gestärkt und qualifiziert werden. Dieser Aufbauprozess erzeugt gleichzeitig einen wachsenden Wissenskorpus darüber, wie man diese Prinzipien und Konzepte durch Entwerfen realisieren kann.12 Der vorgeschlagene Entwurf und seine Qualitäten entsprechen dabei auch der Natur des Wissens, das beispielsweise in Archiven wie Skizzenbüchern, fotografischen Dokumentationen, sprachlichen Notationen oder an Gedächtnisorten gesammelt wurde.13 Wie Expertiseforschungen zeigen, bestimmt dieser so gebildete Hintergrund einen wichtigen Anteil beruflicher Kompetenz.14
REFLEXIVITÄT als THEORIE DER PRAXIS Auf die Verwicklung der Forschenden in Zusammenhänge ihrer Forschung, auf Relationen von Beobachten, Handeln und Wissen bzw. Wissensgenerierung reagiert das wissenschaftstheoretische Konzept der Reflexivität, wie es ausgehend von Forschungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu in den letzten Jahrzehnten international verstärkt diskutiert wurde.15 Bourdieu erforschte übergreifend Grundlagen einer allgemeinen Anthropologie mit Subthemen, die zumeist auf Alltagswirklichkeiten bezogen und empirisch orientiert waren. Analogien zum Entwerfen in der Architektur und im Design finden sich in der Nähe zur Alltagswelt als Erfahrungs-, Handlungs- und Wissensbereich und im Grundverständnis des Forschens als einer Neues entdeckenden und hervorbringenden Praxis. Im Fokus der Frage, was es heißt, wenn man etwas erforscht, das man gut kennt, und im Weiteren, wie sich Subjektives und Objektives im Produktionsprozess der Wissenschaft verknüpfen können, entstand bei Bourdieu das Konzept der ,Reflexivität‘. Um ein dem praktischen Wissen angemessenes ,wissenschaftliches‘ Wissen zu generieren, soll Reflexivität als individuelles und kollektives selbstkritisches Nachdenken in der Forschungspraxis vermittelnd wirken.16
Gegen verinnerlichte Muster scheinbarer Selbstverständlichkeiten und routinierten Gebrauchs sind die forschenden Akteure aufgefordert, Themenfindung, Generierung und Interpretation von Informationen inklusive impliziter Wissensdimensionen sowie Wertungshintergründe explizit zu befragen und reflexiv aufzuzeigen. Thematisiert werden damit auch das soziale Eingebundensein und die Kontextabhängigkeit in Forschungsprozessen. Es geht mit anderen Worten um ein Forschen, das die Bedingungen und Grenzen seines Forschens kennt, auch dann, wenn es letztlich das Ziel ist, sie zu überschreiten.17 Innerhalb der mit dieser Form von Reflexivität verbundenen Konzepte für eine kritische Wissenschaft wird konstitutiv das Ziel einer Distanz zum Erkenntnisgegenstand und Thema hervorgehoben.18 Welche Formen diese Distanz annehmen, wie sie gesetzt und entwickelt werden kann, bleibt im Blick auf das Entwerfen eine noch offene Frage. Die Aufforderung, einen reflexiven Modus der eigenen Praktiken zu integrieren und auch kollektiv zu etablieren, weist auf ein Relationsgefüge, dessen reaktive und proaktive Eigenschaften insbesondere bezogen auf die Prozessstruktur für das Entwerfen und das forschende Entwickeln von Zukunftsprojekten generativ wirken können.
REFLEXIVE MODERNISIERUNG Eine iterative Verbindung von Reflexion und Aktion findet sich ebenfalls in dem seit den 1990er Jahren dargebotenen Theorierahmen einer reflexiven Modernisierung. Ausgehend von soziologischen Diskursen wird diesem Konzept zeitgenössischer kultureller Kondition als Selbstveränderung der Industriegesellschaften international zunehmend Aufmerksamkeit zugemessen. Reflexive Modernisierung wird als Prozess verstanden, innerhalb dessen die selbstkritische Transformation vertrauter Denk- und Handlungsweisen der Moderne und die Befragung ihrer Voraussetzungen, Problemlagen, Folgen und Grenzen im Zentrum stehen.19 Das Augenmerk wird beispielsweise gelenkt auf Konfliktpotenziale globaler Dimension wie Technologiefolgen, Klimaveränderungen, gentechnische Risiken, Vernetzung und Individualisierung sowie auf ein komplexes In- und Nebeneinander von Modernisierungsoptionen, die das Selbstverständnis der auf Fortschritts-, Rationalitäts- und Wohlfahrtsschemata gegründeten, vor allem westlich-internationalen Moderne veränderten. Reflexiv kann hier als Attribut, als eine Möglichkeit zu unterscheiden interpretiert werden, mit der die Zustandsbeschreibung einer anderen Moderne markiert wird, kann aber auch ebenso verweisen auf ein Verständnis rückbezüglicher Reflexivität als Grundlage von Veränderungen.
Im Zusammenhang mit Diskursen, die reflexive Modernisierung als Übergang moderner Gesellschaften zu einer Wissens-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft fokussieren, wird ebenfalls ein kognitiver Strukturwandel beschrieben im Sinne einer reflexiven Infragestellung von Wissensordnungen. Im Kontext dieser mit Unschärfen und Unbestimmtheiten von Entscheidungsprozessen, mit Kontroversen von Experten sowie mit Diskursen um Wissen, Nicht-Wissen und Rationalität verbundenen Kondition wird wiederum der Relevanz und Erforschung des impliziten Wissens eine hervorgehobene Bedeutung beigemessen.2021