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Weitere Titel von Margitta Buchert
EINFACH ENTWERFEN
Mit Einfach Entwerfen findet eine Annäherung an das Entwerfen aus Sicht der Architekturtheorie statt, die zum einen die Relevanz gestaltungsbezogener Entwurfsaspekte verdeutlicht und zum anderen eine Grundlage ihrer Kommunikation darstellt. Mit einem Fokus auf den Prozess des gestalterischen Entwerfens und weniger auf den Gesamtentwurf als Ergebnis wird eine methodische Annäherung vorgeschlagen, welche verschiedene Konzepte, Strategien und Methoden des architektonischen Gestaltens in fünf thematischen Annäherungen bündelt. Die Themenfelder Verorten, Programmieren, Formen + Fügen, Choreografieren und Inszenieren werden als ein offenes und nicht hierarchisches System anhand von architektonischen Projekten und in ihren Reichweiten reflektiert. Es werden Begriffe und Ideen eingeordnet, Gestaltungsmittel beschrieben und ihre komplexen Wirkungszusammenhänge aufgezeigt, um transferfähige Entwurfsansätze zu extrahieren, Denkräume zu öffnen und impulsgebend wirksam zu werden. Dieses Grundlagenwerk richtet sich sowohl an Architekturschaffende, Studierende als auch an Architekturbegeisterte in Theorie und Praxis.
ISBN 978-3-86859-924-4
REFLEXIVES ENTWERFEN
Reflexives Entwerfen beschreibt ein integratives, theorie- und praxisrelevantes Handlungsfeld der Genese und Interpretation von Entwerfen und Forschen in der Architektur. Die formative Rolle forschender Entwurfsstrategien für architektonische Entwicklungen der Moderne bis in die Gegenwart ist bislang nur in Teilen erkannt. Gleichzeitig wird entwurfswissenschaftlichen Diskursen in den letzten Jahren eine deutlich wachsende Bedeutung beigemessen. Im Schnittstellenbereich beider Kontexte skizzieren die Beiträge des Buches zum einen ein vielfältiges Spektrum der kreativen und kulturellen Spannweiten von Reflexivität und reflexiven Entwurfsprozessen und zum anderen die Potentialität verschiedener Weisen der Generierung und unerwarteten Verknüpfung von Wissen und Projektideen in der Architektur.
ISBN 978-3-86859-925-1
PRAKTIKEN
REFLEXIVEN ENTWERFENS
INHALT
Vorwort
PRAKTIKEN DER KREATIVEN MISCHUNG Margitta Buchert 17
ERFINDEN
FINDEN I ERFINDEN Hilde Léon 41
ENTHÜLLEN UND VERDICHTEN DES ORTSGEDÄCHTNISSES Christiane Sörensen 53
MODELLE BAUEN Antje Buchholz 71
EXPERIMENTIEREN
FORSCHEN HEISST MACHEN Michael Schumacher 93
EXPERIMENTIEREN IN DER PRAXIS Verena Brehm 105
ZEICHNEN IN DER FORSCHUNG Laura Kienbaum 115
KATALYSIEREN
PROJECTIONS: ENTWERFENDE FORSCHUNG UND KURATORISCHE PRAXIS Christoph Grafe 137
THEORIEN ZEICHNEN I PLÄNE DENKEN Lara Schrijver 151
ENTWURF IN DER KRISE Katja Benfer | Cyrus Zahiri 165
Appendix
Impressum
VORWORT
Margitta Buchert
Entwerfen und Wissenskulturen sind viel stärker verknüpft als gemeinhin angenommen. Eine Vielzahl von Praktiken ist damit verbunden. In ihrem Zusammenspiel zeigen diese eine ‚Kunst des Handelns‘ auf. Es ist eine Kunst, die Möglichkeiten bereithält, um mit nicht normativ geleiteten kreativen Prozessen und einer hohen Dynamik Komplexität zu handhaben und diese projektiv weiterzuentwickeln. Das Buch PRAKTIKEN REFLEXIVEN ENTWERFENS bietet einen aufschlussreichen und vor allem impulsgebenden Einblick in die Spannweiten forschenden Entwerfens und entwerfenden Forschens in der Architektur und Landschaftsarchitektur und zeigt, welche Zielsetzungen damit verbunden sein können. Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede sowie der Gewinn, der aus diesen Beobachtungsperspektiven entspringt, werden erkenn- und vergleichbar. In zehn Beiträgen wird ein Spektrum reflexiver Praktiken zur Generierung von Wissen und Gestaltung vorgestellt, das den gesamten Zyklus von Analysieren und Synthetisieren, von Erdenken, Erfinden, Präzisieren, Umsetzen und Kommunizieren einschließt und damit Relationen von Denken, Wissen und Handeln vielseitig erhellt.
Mit dieser Publikation wird die Thematisierung REFLEXIVEN ENTWERFENS im Forschungsdiskurs fortgesetzt, vertieft und erweitert. An der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover wird dieser Fokus seit nunmehr fast einem Jahrzehnt als Forschungsplattform zur Theorie und Praxis des Entwerfens vor einem fachspezifischen und im Weiteren vor allem wissenschafts- und kunsttheoretischen Hintergrund entwickelt. Die vorliegenden Beiträge wollen verschiedene Praktiken aufdecken und ihre Relationen aufzeigen und diskutieren. Sie gehen aus einem Symposium hervor, das im Zusammenhang mit dem 6. Internationalen Doktorandensymposium ‚DARA. Entwerfen und Forschen in Architektur und Landschaft‘ im April 2016 in Hannover-Herrenhausen stattfand. Dabei werden insbesondere Denk- und Handlungsformen untersucht, generiert und postuliert, die mit performativer Wirksamkeit ausgestattet sind.
Im Unterschied zu Tendenzen, die Entwerfen mit Forschung gleichsetzen, und auch im Unterschied zu Ansätzen einer reflexiven Entwurfswissenschaft, die im distanzierten, transdisziplinären und ‚objektivierenden‘ Blick vor allem wissenschaftliche Methodik in den Vordergrund rückt, wird mit dem REFLEXIVEN ENTWERFEN eine offene Thematisierung vorgeschlagen, die beides integrieren kann und zudem kreative Möglichkeitsräume öffnet mit Perspektiven, die auch über den engeren Rahmen der Architektur und Landschaftsarchitektur hinausreichen. Verstehen, wie und mit welchen Dynamiken kreative PRAKTIKEN im Entwerfen und Forschen und durch ihre Mischungen entstehen und wirken, das ist der hier mit der Thematisierung von PRAKTIKEN vorgeschlagene Weg. Dies wird in einem einleitenden Beitrag differenzierter dargelegt. Ziel ist es, die Spezifik von Forschungswegen und Wissensformen besser zu erfassen und zu konturieren. Erkenntnisse zum Entwerfen sind darin selbstverständlich eingeschlossen. Die fortgesetzte Annäherung an das Verstehen von Verknüpfungszusammenhängen und von Potentialen wird mit dieser Position als provisorisch und suchend charakterisiert und ist von grundlegender Vorläufigkeit geprägt. Es handelt sich um Versuche, Schritte, Trittsteine.
Die weiteren neun Beiträge wurden mit den drei Subthemen ERFINDEN, EXPERIMENTIEREN und KATALYSIEREN in Sektionen gruppiert. Einen Anlass dafür bildete die Vertrautheit der genannten Begriffe aus naturwissenschaftlichen Zusammenhängen für forschende und generierende Tätigkeiten und Eigenschaften. Dennoch wird nicht ein Abgleich von Entwerfen und Forschen in Architektur und Landschaftsarchitektur an den exakten Wissenschaften oder nach scheinbar eindeutigen Definitionen gesucht. Es geht vielmehr um eine Aufmerksamkeitsschärfung für neue, impulsgebende Blickwinkel. Ein zweiter und noch gewichtigerer Grund ist die wiederholte Beschreibung generischer Prozesse des Entwerfens und Forschens mit diesen Begriffen im Bereich von Architektur und Landschaftsarchitektur selbst. Dies kann eine Möglichkeit sein, das Feld reflexiver Freiheit in seiner Offenheit so spürbar werden zu lassen, wie es in diesen Disziplinen oftmals zu finden ist. Praktische Relevanz und produktive Stärke können dann entdeckt und wirksam werden. Schließlich war es ein Anliegen, die vielen verschiedenen Aktivitäten zur Genese von Wissen und Gestaltung, die in den Beiträgen unterschiedlich pointiert und in ihren Bedingungen, Eigenschaften und Kontexten benannt und dargelegt werden, so zu gruppieren, dass einige übergreifende Vorgehensweisen in ihren Reichweiten und Grenzen und auch in ihren Wechselwirkungen deutlicher beschreibbar und erkennbar werden, auch wenn es sich bisweilen nur um graduelle Unterschiede handelt. Es liegt darin das Potential, Fragestellungen zu schärfen und noch weiter zu öffnen und neue zukunftsweisende Perspektiven und Praktiken anzustoßen.
Die von Persönlichkeiten der Entwurfspraxis und Entwurfstheorie mit ausgeprägter professioneller Expertise verfassten Beiträge dieser Publikation öffnen zudem den Blick auf eine noch größere Vielzahl von Perspektiven, die in diesem heterogenen und sich derzeit noch stark entwickelnden Forschungsfeld vorhanden sind. Integriert finden sich dabei auch Referenzen zu anderen Wissensgebieten. Die Beiträge sind von unterschiedlichen Denkstilen geprägt und in verschiedenartiger Weise artikuliert. Im methodologischen Sinne erweisen sie sich nicht unbedingt als vorrangig analytisch und argumentativ, vielmehr als synthetisierend aufgebaut und projektiv entwickelt. Damit zeigen diese selbst auch Eigenschaften der Praktiken, die sie vorstellen und über die sie vielschichtig und facettenreich sprechen.
Wird in der Architektur und Landschaftsarchitektur von ERFINDEN gesprochen, dann sind damit vor allem Kreativität, kreative Sprünge, aber auch das Entdecken und das Entwickeln verbunden, von Grundkonzeptionen und Positionen beispielsweise oder von Entwurfsthemen für spezifische Projekte. Die Relevanz von Vorbildern und Referenzen sowie theoretischer und gebauter Modelle werden als Wahrnehmungs-, Denk-, Erfahrungs- oder Erfindungsinstrumente vorgestellt und in ihren Theorie und Praxis vernetzenden Relationen und Formationen explizit oder implizit charakterisiert. Die Beiträge von Hilde Léon, Christiane Sörensen und Antje Buchholz beschreiben übergreifende und konkrete Eigenschaften dieser kreativen Konstellationen und Praktiken aus unterschiedlichen Zusammenhängen der spezifischen Arbeit von Entwerfenden in Architektur und Landschaftsarchitektur und lassen Verknüpfungen von Entwerfen und Forschen auf verschiedenen Ebenen erkennen.
Mit der Thematisierung des EXPERIMENTIERENS wird die Möglichkeit ergriffen, unterschiedliche Praktiken und Wissensfelder zu fokussieren, die auf die Frage antworten, inwiefern und auf welche Weise experimentelle Verfahren in Entwurfsprozessen auftreten bzw. mit diesen verbunden sein können, und wie sie neues Wissen, Erkenntnisse und Gestaltungen hervorbringen. Ausgehend von konkreten Beispielen zeigen Michael Schumacher, Verena Brehm und Laura Kienbaum in ihren Beiträgen, welche Ziele damit verbunden sein können und welche spezifischen Praktiken und Kontexte der Büropraxis und universitärer Forschung dazu beitragen.
Mit KATALYSIEREN wird ein performativer Charakter besonders betont. Die drei Beiträge dieser Sektion von Christoph Grafe, Lara Schrijver und Katja Benfer/Cyrus Zahiri zeigen, wie Ausstellungen von Entwurfsprojekten, ungewöhnliche Konzepte im Kontext von Lehren und Forschen und die Thematisierung von Emotionen imaginative, projektive Potentiale bilden, zu Forschungsinstrumenten werden und als Katalysatoren wirken können. Die Konzeption der Ausstellungsreihe, des Forschungsdesigns und der Forschungskomponenten wie auch der grundlegenden Forschungsfragen antizipiert dabei, vergleichbar einem Entwurf für ein Gebäude oder einen Freiraum, zukünftige Entwurfs- und Forschungsformationen, wobei insbesondere Praktiken der Forschung als Agenten zwischen Idee und Realisation und als kraftvoller Ausgangspunkt weiterer performativer Praktiken akzentuiert werden.
Die hervortretenden Beobachtungsperspektiven, Interpretationswege und Verfahren vermitteln vielseitige Anregungen für kreative Prozesse in der Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie skizzieren zudem die potentielle Relevanz und Wirkkraft von REFLEXIVEM ENTWERFEN für die Entwicklung einer komplexitätsadäquaten Wissenschaftsforschung, die Ebenen der Imagination, der Ästhetik und des praktischen Handels in besonderer Weise integrieren kann und neben Logik, Analyse und Systematik gerade auch die Spezifiken der Integration und Synthesebildung als ihre Stärken begreift. Indem die Spannweiten diverser PRAKTIKEN und ihrer Potentiale aufgezeigt werden, wird nicht nur zu einer breiteren und nuancierteren Diskussion der Entwurfsforschung beigetragen. In der Folge davon kann auch eine schärfere und zugleich feinere Konturierung jenes spezifischen Beitrags der Theorie und Praxis des Entwerfens in Architektur und Landschaftsarchitektur erfolgen, der über die kreative Gestaltung des Lebensumfelds der Menschen hinaus auch für die dynamische Generierung von Wissen und von Lösungswegen in einer zunehmend vielfältiger und komplexer werdenden Welt an Bedeutung gewinnt.
Für spannende Beiträge geht ein großer Dank an die mitwirkenden Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Einsatz und ihrer Kreativität diese Veröffentlichung ermöglicht haben. Ebenfalls gedankt sei an dieser Stelle dem jovis Verlag für die wiederholt durch Engagement und Sorgfalt geprägte professionelle Zusammenarbeit. Aus dem Team von a_ku gilt der Dank an erster Stelle Julius Krüger für die Organisation des Symposiums und die Mitentwicklung und Umsetzung von Layout und Grafik sowie Eva Holtz und Sarah Wehmeyer für diverse Lektoratsarbeiten. Und schließlich geht ein Dank an die Fakultät für Architektur und Landschaft und die Leibniz Universität Hannover für die Unterstützung des Symposiums und der Veröffentlichung.
[…] die Stärke des Fadens liegt hier nicht darin, dass irgendeine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern ineinander übergreifen.
PRAKTIKEN DER KREATIVEN MISCHUNG
Margitta Buchert
Die Aufmerksamkeit wird auf PRAKTIKEN des Reflexiven Entwerfens gelenkt. Diese Rahmung fordert dazu auf, zentrale Aspekte, Eigenschaften und Potentiale der architekturund landschaftsarchitekturbezogenen Entwurfsforschung gezielt in den Prozessen des Vorgehens zu suchen und sie zu verstehen. Ziel ist es, leitende Denk- und Handlungsformen von Entwerfen und Forschen in ihren generativen Konstellationen differenzierter zu erkennen, um sie weiterzuentwickeln. Viele der konkreten Praktiken zeigen sich dann als kreative Mischung aus divergierend und rational erzeugtem Erkennen in unterschiedlichen Gradationen. Darin eingebettet finden sich Relationen von sensibler Suche, Expertise und Risiko, von Singularität, Interaktion und Allgemeinheit, von analysierender Aktion, Synthese und Reflexion. Einige Kontexte dazu sollen nachfolgend aufgezeigt sowie einige Erkundungsvarianten charakterisiert und abgewogen werden. Spannende und gewinnbringende Perspektiven werden abschließend noch einmal skizziert.
REFLEXIVES ENTWERFEN Innerhalb des sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelnden Felds der Entwurfsforschung wird mit ‚Reflexivem Entwerfen‘ eine Forschungsperspektive beschrieben, die das Entwerfen, Konzipieren und Planen für räumliche Fragestellungen als spezifisches Denk- und Handlungsfeld von Architektur, Städtebau und Landschaftsarchitektur zum Erkenntnisgewinn, zur Wissensgenese und für die Anwendung untersucht und integriert.1 Entwurfsbezogene Forschung ist nichts völlig Neues. Es handelt sich um eine neue Art der Akzentuierung oft auch selbstverständlicher Vorgehensweisen. Die erneuten Thematisierungen können impulsgebende Möglichkeiten für die Praxis und für das Selbstverständnis der Disziplin in akademischen und gesellschaftlichen, auf das Bauen bezogenen Kontexten bewirken. Nicht zuletzt entsteht damit auch eine Wertsetzung als Anschlussfähigkeit und Sinnhaftigkeit von Entwerfen im breiteren Kontext der Gestaltung menschlicher Umwelten.
MISCHUNG Reflexives Entwerfen verbindet Entwerfen und Forschen. Diese Forschungsperspektive möchte an Vorstellungen von Wissenschaft insofern anschließen, als die befragende Aufmerksamkeitshaltung in verschiedenen Aktionen und Zusammenhängen zu einer bewusst gesuchten Praktik und die Genese von Erkenntnissen angestrebt und offengelegt wird. Neue Verknüpfungen und neue Potentiale sind bei Praktiken der kreativen Mischung aber ebenso wichtig.2 Der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour propagierte um 2000 den Übergang von einer Kultur der Wissenschaft zu einer Kultur der Forschung. Wissenschaft wurde von ihm als mit Gewissheit verbundene harte, kalte und distanzierte Tätigkeit charakterisiert. Forschung dagegen sei mit Ungewissheit verbunden. Ihre Eigenschaften beschreibt er als anfachend, forcierend und riskant.3 Diese Forschung kann durch eine relative Systematik ihres Vorgehens und Kommunizierens dennoch im Kontext konventioneller Forschungszusammenhänge agieren, auch wenn sie deren Strategien und Grenzen befragen, erweitern sowie zu Transformationen beitragen will.4 Die Forschung zum Reflexiven Entwerfen zielt darauf ab, einen gewichtigen und gewinnbringenden Beitrag zur Theorie und Praxis des Entwerfens zu erzeugen im Sinne eines gestaltenden Tuns.5 Wenn wir uns kulturell, wie Bruno Latour propagierte, im Übergang von einer Kultur der Wissenschaft zu einer Kultur der Forschung befinden, dann kann Reflexives Entwerfen dazu beitragen, diese Kultur der Forschung zukunftsweisend zu entwickeln und zu qualifizieren.
HINTERGRUND Die Thematisierung des Reflexiven Entwerfens erfolgt dabei vor dem Hintergrund eines Theorieensembles, das sich vor allem auf Entwurfsforschungen bezieht, die im Anschluss an verschiedene in den 1960er Jahren avancierte systematisierte Prozessvorstellungen entwickelt wurden.6 Insbesondere Konzepte, die gegen eine rein wissenschafts- und ökonomiebasierte technische Rationalität gerichtet waren und ein Modell ganzheitlicher Wissensformation beförderten, werden dabei zu Referenzen. So wurden beispielsweise von dem amerikanischen Wissenschaftler und Urbanisten Donald Schön die Potentiale des ‚Reflective Practitioners‘ thematisiert im Sinne von Vorgehensweisen, die auf Erfahrungswissen aus expliziten und impliziten Wissensanteilen beruhen, deren Mischung als ‚Personal knowledge‘ bereits von Michael Polanyi eine besondere Bedeutung für den Erkenntnisgewinn beigemessen wurde.7 Das Wissen wird als überliefertes, erlerntes und zudem durch Entwurfshandeln selbst erzeugtes Wissen betrachtet, das verknüpft ist mit intuitiven Ebenen und mit rationalen Abwägungen.8 Die Facetten der Entwurfsforschung, die dann vor allem in Europa verstärkt in den letzten Jahrzehnten in Tagungen und Publikationen der Design-, Architektur- und Landschaftsarchitekturdisziplin diskutiert wurden, sowie forschungsbezogene Diskurse aus dem Bereich der bildenden und darstellenden Künste und der ästhetischen Theorie bilden ebenfalls Bezugspunkte. In besonderem Maße impulsgebend befördern die übergreifende Wissenschaftsforschung und Deutungsrahmen der Gegenwart, wie sie insbesondere von französischen Forschern seit den 1960er Jahren initiiert und in den Folgejahrzehnten in vielen Facetten und Neuansätzen multipliziert wurden, die Suchprozesse. Hier sind beispielsweise die Reflexivität konturierenden Positionen von Pierre Bourdieu und Ulrich Beck zu nennen.9 ‚Nicht gewusste‘ Voraussetzungen des Wissens und Handelns werden dabei ebenso thematisiert wie die Befähigung zum Hervorbringen von Alternativen durch die den Prozess qualifizierende reflexive Praxis.
POTENTIAL Im Spiegel dieser Zusammenhänge bildet Reflexives Entwerfen ein signifikantes Gefüge der Befragung, Erprobung und Produktion von Wissen und Gestalt. Dies hat für die Praxis den Vorteil, Erfahrungen, die schon gemacht worden sind, nicht jeweils singulär wiederholen zu müssen und durch die kommunizierte, kumulative Erfahrung vieler einen über die Reihung von Einzelbeispielen hinausgehenden Wissensschatz aus einem großen Feld zu erhalten und dadurch Raum für weitere Entwicklung und Entfaltung zu gewinnen.10 Entwerfen und Forschen in Architektur und Landschaftsarchitektur werden außerdem durch die reflexive Praxis positioniert aufgrund der Zusammenhänge zum genannten Forschungshintergrund und insbesondere durch die Charakterisierung und Ausprägung von Praktiken und Kontexten, die zur Bestimmung des Architektur-, Landschaftsarchitekturund Selbstverständnisses der Akteure und Akteurinnen sowie der Disziplin im Ganzen beitragen.11 Die Relation zwischen Entwerfen und Forschen ist dabei gleichzeitig produktive Differenz wie kreative Mischung. Stimuliert wird die Feinjustierung von Praktiken, die zur Orientierung im intensiven Bemühen um praktische und qualitätsvolle Gestaltung beitragen.
Nach meiner Ansicht kommen die Fortschritte im wissenschaftlichen Denken von einer Verbindung lockeren und strengen Denkens, und diese Kombination ist das wertvollste Werkzeug der Wissenschaft.
PRAKTIKEN Es handelt sich um besondere Praktiken, die besondere Vermögen erfordern, welche ebensosehr Fertigkeiten und Können einschließen wie Wissen, um eine Sache, einen Diskurs, ein Werk entsprechend der intentionalen Bestimmung in gewünschter Qualität herzustellen. Im Unterschied zu einem Begriffsfeld von ‚Praxis‘, die als Gesamtheit allen Tuns eines freischaffenden Architekten beispielsweise oder einer Wissenschaftlerin verstanden werden kann, adressiert der Begriff Praktiken – im Plural – spezifische Denk- und Handlungsweisen von Akteurinnen und Akteuren, die auch als grundlegend sich wiederholende und bei unterschiedlichen Personen in vergleichbarer Weise auftretende zu sehen sind wie auch als Mischung oder Bündel diverser Aktivitäten vorkommen. Seit der Renaissance entwickelte sich das Konzept des sogenannten ‚disegno‘ als materielles Verfahren und geistiges Prinzip, das beispielsweise von Giorgio Vasari beschrieben wurde. Nur die Personen, deren künstlerische Tätigkeiten eine solche kombinierte Eigenart aufwiesen, wurden in die renommierte, 1563 in Florenz gegründete Accademia del Disegno für Architektur, Bildhauerei und Malerei aufgenommen.12 Die Disegno-Beschreibung besagt, dass nach einem zuvor erdachten Plan gearbeitet wird. Wichtig werden Intentionen, die durch Imaginationen geprägt sind. Und diese werden mit unterschiedlichen Medien erarbeitet, bearbeitet und präsentiert. Auch das damit gewonnene Wissen erscheint als ‚dichte Mischung‘ verschiedenartiger Wissensformen. Spätestens seit dieser Zeit gab es zahlreiche Architekten, die darüber hinaus ihre Ideen und Gedanken nicht nur in Zeichnungen und Modellen, sondern zudem auch in Textanalysen und intellektuellen Darlegungen ausdrückten und damit weitere Erkenntnisse generierten.13
IN BEWEGUNG Im Bereich von Architektur, Kunst und Landschaftsarchitektur hat die Praxisperspektive immer schon eine grundlegende Bedeutung. Die konkrete Arbeit der Entwerfenden wurde beispielsweise in der Thematisierung von Zeichnungen und Modellen in den Blick genommen oder sie wurde durch die Charakterisierung von Persönlichkeiten, ihrer Theorien und geschaffenen Werke unterschiedlich akzentuiert untersucht. Gleichwohl ist der Kenntnisstand zu konkreteren Praktiken noch eingeschränkt und sind deren Eigenschaften erst in Teilen erfasst.14 In den letzten Jahrzehnten gewannen in der akademischen Wissenschaftslandschaft disziplinübergreifende Forschungsperspektiven internationale Aufmerksamkeit, die auf Praktiken gerichtet sind. Vom Blick auf abgeschlossene, definierte Werke oder Situationen verschob sich das Interesse auf Vorgänge des Handelns, die diese selbst oder ihre Entstehung begleiten, auf Prozesse und Prozessuales sowie auf Verhaltensakte, die bislang unbeachtet blieben, routinisiert und mit implizitem Wissen verbunden sind. Dazu zählen auch Handlungsweisen in den Wissenschaften selbst sowie Diskurse unterschiedlicher Art, die ebenfalls Praktiken bilden.15
MIKROPRAKTIKEN In jüngerer Zeit und in Bezug auf Bruno Latours und Steve Woolgars Laborstudien im Salk Institute La Jolla in Kalifornien, die alltägliche Mikropraktiken und Prozesseigenarten in biowissenschaftlichen Forschungsprozessen als wesentliche Einflussfaktoren aufzeigten, beobachtete die Anthropologin Albena Yavena analog das Arbeiten im Alltag des niederländischen, weltweit agierenden Büros OMA/Rem Koolhaas. Sie arbeitete heraus, welche Praktiken für dieses Büro charakterisierend sind.16 Ein wiederholter Vorgang ist beispielsweise das Arbeiten mit einer sehr hohen Zahl von Arbeitsmodellen sowie deren Wiederverwendung. Ein weiteres Praxiselement bilden Konzeptbücher, die der Sammlung von Informationen und zur Evaluation dienen und dazu beitragen zu verstehen, wie man architektonisch denken und arbeiten kann. Sie präsentieren nicht geniale Lösungen, sondern dokumentieren Suchprozesse, um diese wieder zu nutzen, neu zu interpretieren oder Erkenntnisse daraus in verschiedener Weise zu kommunizieren und übertragbar zu machen. Das ‚Re-‘ so Albena Yaneva, das ‚reusing, recycling, reinterpreting, rethinking‘ steht dabei im Zentrum des Entwerfens.17 Die genannten Vorgehensweisen erinnern in Teilen an die Beschreibung von Forschungsprozessen und ihrer impliziten Anteile. Sie liefern Anhaltspunkte dafür, in welchen bislang weniger beachteten Praxisebenen nach kreativen Praktiken mit potentiell wissensgenerierender Wirkung gesucht werden kann. Auf diese Forschungsergebnisse sowie deren Grenzen und Potentiale kann aufgebaut werden.18 Sie können, mit weiteren Dimensionen verknüpft, exemplarisch für zeitgenössische Arbeitskonditionen und Grundlagen schöpferischen Tuns betrachtet werden.
PRAXIS I KONTEXT Aufschlussreich am Beispiel von Rem Koolhaas und seinen Büros ist über die genannten Aspekte hinaus, dass entwerfendes Forschen und forschendes Entwerfen als Tätigkeitsbereiche getrennt wurden: mit AMO für konzeptuelle, stark theoriebasierte Projekte einerseits und OMA für baulich-räumliche Projekte zur physischen Realisierung andererseits. Beide erscheinen dennoch als ein Büro und sein Double. Benannt werden kann an diesem Beispiel zudem, dass es sich in Architektur und Landschaftsarchitektur, zumindest, wenn es um größere Projekte geht, immer um ein kollektives Unternehmen handelt und auch Entwürfe oft im Team entstehen. Darüber hinaus sind Bedingungen nicht nur aus einem kulturellen Kontext und aufgrund der verwendeten Medien und Materialien gegeben. Auch ökonomische, ökologische und logistische Aspekte wirken hinein und potentiell ebenfalls der Auftraggeber. Dennoch gibt es eine Art von Autorschaft in den meisten zeitgenössischen Büros, die von einer oder von wenigen Leitfiguren geformt wird. Sie sind es, die eine Grundkonzeption prägen und eine gewisse Konsistenz, Verbindlichkeit und Orientierungsfunktion besitzen sowie Authentizität hervorrufen können. Mit anderen Worten: Randbedingungen, Haltungen und Ziele spielen eine Rolle.
GRUNDKONZEPTION Bei der Grundkonzeption handelt es sich um den bedingenden Kontext für die Praktiken einerseits und um eine die verschiedenen Projektentwürfe begleitende Prägung und Haltung andererseits. Sie bildet eine relative Konstante, die als Position mit den jeweils aktuellen situativen Gegebenheiten dann wechselwirksam verknüpft wird. Die Konzepte zu reflexiver Praxis und zu Wissensformen wie dem impliziten Wissen von Michael Polanyi, Donald Schön oder Pierre Bourdieu beispielsweise beinhalten alle auch den Hinweis auf Grundhaltungen und einen Fundus von Bezügen auf kollektive Haltungen, Gepflogenheiten und Wertsetzungen.19 Die Grundkonzeption wird in langen Prozessen aus Wissensgrundlagen der Disziplin sowie biographischen, sozialen und kulturellen Kontexten aufgebaut und kann durch Forschungsphasen maßgeblich gestärkt und qualifiziert werden. Dieser Aufbauprozess erzeugt gleichzeitig einen wachsenden Wissenskorpus darüber, wie man diese Prinzipien und Konzepte durch Entwerfen realisieren kann.20 Darin wiederum zeigen sich erneut Forschungsperspektiven des Reflexiven Entwerfens, insbesondere bezüglich der Situierung der Praktiken in Entwurfs- und Forschungstraditionen und deren anspruchsvoller kreativer Generierung und Transformation sowie spezieller Erkenntnisformen und ihrer Funktionen in Relation zu zeitgenössischen Wissensordnungen und kulturellen Konditionen. Reisen, grundlegende ästhetische und soziale Phänomene baulich-räumlicher Gestaltung thematisieren und analysieren, Archive entwickeln oder Mimesen oder Konzepttransfers in unterschiedlichen Varianten erproben sowie Ausstellungen kuratieren oder Bücher schreiben und edieren sind Beispiele für Erkenntnisgenesen, wie sie sich unter anderem bei Le Corbusier, Oswald Mathias Ungers, Bernard Tschumi, Peter Zumthor, Dieter Kienast oder Günter Vogt aufzeigen lassen und von diesen mit verschiedenen entwerferischen und forschenden Praktiken verbunden wurden.21
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