AM MITTWOCH IST mein schulfreier Nachmittag. Wenn wir an der Reihe sind, muss ich Tantelotte bei der großen Wäsche helfen. Stunden verbringen wir unten in der düsteren Waschküche, wo der Kupferbottich mit dem siedend heißen Laugenwasser steht. Als Erstes drückt Tantelotte die weiße Wäsche hinein, dann stöpselt sie mit dem Holzruder energisch darin herum. Schweißtropfen rinnen ihr über die Wangen. Schweißtropfen, keine Tränen. Ich würde sie gerne mal heulen sehen. Weil es ihr leidtut, dass sie oft so böse zu mir ist.
Bei sonnigem Wetter hängen wir die Wäsche draußen auf. Sie riecht so besser, sagt Tantelotte und schimpft auf die verschimmelten Kellergewölbe. Von Hand waschen, pah, wer macht das denn heutzutage noch. Alle anderen haben schon längst Waschmaschinen, nur wir mal wieder nicht.
Dann geh doch heim, wenn es dir hier nicht gefällt. Ich denke es nur. Lorenzos Mutter wäscht auch von Hand. In den Holzbaracken, wo sie mit vielen anderen Familien wohnen, hat niemand eine Waschmaschine.
Die Leintücher hängen wir zu zweit auf, die kleineren Sachen mache ich alleine. Weil wir sparen müssen, hat Tantelotte die dünn gewordenen Leintücher in der Mitte getrennt und die noch intakten Seiten wieder zusammengenäht. Ich schlafe meistens auf Betttüchern mit einer Naht in der Mitte. Die Naht ist genau dort, wo es am weichsten sein sollte.
Im Wäschekorb liegen nur noch wenige Teile.
»Tantelotte, warum haben die beiden Unterhosen hier vorne eine Öffnung?«
»Es gibt eben solche und solche.«
»Vielleicht weiß es Mama?«
»Nein«, ruft Tantelotte vom anderen Ende der Wäscheleine herüber, und es hört sich an, als hätte sie gerade etwas erschreckt. »Das lässt du lieber. Deine Mutter ist schwer krank und sollte nicht mit solch belanglosen Dingen belästigt werden.«
Multiplesklerose, obwohl es mit Rose überhaupt nichts zu tun hat. Multiplesklerose, schon längst kann ich es ohne zu stottern sagen. Als Einzige in meiner Klasse, wir haben das mal ausprobiert.
Ich werde Mama trotzdem fragen. Das kann mir Tantelotte nicht verbieten.
Gerade als das letzte Frottétuch an der Leine hängt, ertönt von überall her lautes Gejaule von an- und abschwellenden Tönen. Wenn wir das hören, hat die Lehrerin heute früh gesagt, bräuchten wir keine Angst zu haben. Es sei nur ein Probealarm, kein Krieg.
Ich schaue mich um, will herausfinden, woher genau der Sirenenlärm kommt, und sehe noch knapp, wie Tantelotte eilig im Haus verschwindet, ihre Hände auf die Ohren gepresst.
»Nein!«, schreit sie, »nein, bitte nicht!«
Ich renne ihr nach. Die Treppen hoch, hinein in die Wohnung.
»Nein!«, schreit sie wieder, sinkt auf das Sofa und schlottert, als wäre es mitten im Winter. Aber sie weint nicht. Trotzdem habe ich ein bisschen Mitleid mit ihr.
Heute Abend kommt Papa zu uns. Mama muss für eine Untersuchung ins Krankenhaus. Wenn Mama weg ist, kann ich geradeso gut zu euch kommen, um wieder einmal nachzuschauen, ob mit Tante Lotte und dir alles in Ordnung ist, sagte Papa am Telefon. Zuerst habe ich mich gefreut, dann fiel mir ein, dass sie mich bestimmt verpetzt wegen der Würmer, die ich auch am Abend nicht gegessen habe. Im Putzschrank steht der Teppichklopfer. Wenn Papa mir die Unterhose hinunterzieht und den nackten Hintern verdrischt, kneife ich mir so fest in den Arm, dass ich von beidem zusammen fast ohnmächtig werde. Irgendwann tut es dann nicht mehr weh.
Papa will über Nacht bleiben, damit er sicher sein kann, dass ich auch wirklich gut durchschlafe. Nicht wie früher, als ich noch bei ihnen wohnte und mitten in der Nacht aufstehen musste, um zu pieseln. Und Angst hatte. Papa weiß das nicht. Immer habe ich Angst, dass sie Mama abholen und sie auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt.
Geschirrgeklapper und Kaffeegeruch aus der Küche. Gestern Nacht habe ich meine Zimmertür einen Spaltbreit offen gelassen, weil ich besser einschlafen kann, wenn andere im Wohnzimmer noch miteinander reden. Nein, es war nur ein Traum, Mama liegt zusammengekrümmt an einem Flussufer. Nackte Füße, zerschlissener Pullover. Ihr Gesicht grau und aufgedunsen. Meine Nase ist zu, auf dem Kopfkissen spüre ich eine feuchte Stelle.
Papa ist immer noch hier. Ich höre, wie er sich bei Tantelotte für alles bedankt. Der Schlüsselbund schlägt gegen die Wohnungstür und klingt noch ein wenig nach.
Beim Frühstück ist Tantelotte lieb zu mir. Sie rührt so lange in meiner heißen Schokoladenmilch, bis sie nur noch lauwarm ist und ich sie gut trinken kann. Sie streicht mir ein Butterbrot mit einer dicken Schicht Erdbeermarmelade. Sogar mein Schatz sagt sie zu mir. An anderen Tagen muss ich mich noch vor dem Frühstück vor sie hinstellen, damit sie meine Fingernägel kontrollieren kann, den Pullover, den Rock. Zusammen gehen wir in mein Zimmer. Wenn ich mein Bett schön gemacht habe, die Decke glatt gestrichen ist und im Schrank alle Wäschestücke haargenau aufeinanderliegen, erhalte ich einen grünen Punkt in mein Ordnungsheft. Unordnung macht sie wütend, so wütend, dass sie mit dem Herausreißen der Wäsche aus dem Schrank ein noch viel größeres Durcheinander anrichtet und immer noch lauter schimpft. An solch einem Morgen esse ich nichts und renne sofort in die Schule. Wäre die Schule bloß weit weg in Afrika. Und Tantelotte in Gelsenkirchen.
Ab und zu schenkt sie mir einen Zweifränkler. Das Geld ist für die Spardose, sagt sie. Ich nicke und denke an den Kiosk, wo ich mir von dem Geld die Haselnussschokolade kaufen werde.
Ich musste lange betteln, bis mir Tantelotte den Schlüssel zu meiner Spardose überließ. Es ist schließlich mein Geld, meine Spardose, und dazu gehört auch der Schlüssel. Ich glaube, sie schüttelt die Dose heimlich, wenn ich in der Schule bin. Jedenfalls habe ich schon bemerkt, dass sie verschoben auf meinem Bücherregal stand, obwohl ich die richtige Stelle mit einem Bleistiftkringel markiert hatte. Wenn man genau hinschaut, sieht man im Dosenschlitz die ineinandergreifenden Metallzacken. Die Zacken gehen nur dann auseinander, wenn von oben ein Geldstück hineingeschoben wird. Was drin ist, bleibt drin. Wenn man keinen Schlüssel hat.
Zwei Tafeln Haselnussschokolade. Das Geld, das dann noch übrig bleibt, werfe ich wirklich in die Spardose. Ich spare so lange, bis ich groß bin und eine eigene Wohnung habe. Ohne einen einzigen Teppich. Und dann werde ich Kinderärztin.