Der Autor:
Dr. Florian Willet ist diplomierter Wirtschaftsjurist, Ökonom und Kommunikationspsychologe. Als Wissenschaftler befasst er sich mit Neuropsychologie und Verhaltensökonomie. Er ist fächerübergreifender Experte für verzerrte Meinungs- und Urteilsbildung. Sein Buch „Der Soziale Schwan“ ist ein Meilenstein Evolutionärer Verhaltensökonomie und Neuroanthropologie. Willet ist Mitglied des Netzwerks „Mensa in Deutschland e. V.“ für intellektuell Hochbegabte.
Bibliografie
(Auswahl)
Der Soziale Schwan: wo Kahneman, Taleb und Darwin auf Marx stossen (2017)
Weibliche Verhaltensökonomie: schwarmintelligente Frauen schaffen ihre Männer ab (2017)
Florian Willet denkt nach über Hirnforschung, Evolution und Ökologie: Neuropsychologie und Verhaltensökonomie (2011)
Wie uns
die Parteien
über den
Tisch ziehen
1.Guido Eckert: Zickensklaven. Wenn Männer zu sehr lieben Solibro 2009; ISBN 978-3-932927-43-0; (eBook:) 978-3-932927-59-1
2.Peter Wiesmeier: Ich war Günther Jauchs Punching-Ball! Ein Quizshow-Tourist packt aus. Solibro 2010 (vgl. Nr. 7)
3.Guido Eckert: Der Verstand ist ein durchtriebener Schuft. Wie Sie garantiert weise werden. Solibro 2010; ISBN 978-3-932927-47-8 (Druck) 978-3-932927-60-7 (eBook)
4.Maternus Millett: Das Schlechte am Guten. Weshalb die politische Korrektheit scheitern muss. Solibro 2011 ISBN 978-3-932927-46-1 (Druck) 978-3-932927-61-4 (eBook)
5.Frank Jöricke: Jäger des verlorenen Zeitgeists. Frank Jöricke erklärt die Welt. Solibro 2013; ISBN 978-3-932927-55-3 (Druck) 978-3-932927-62-1 (eBook)
6.Burkhard Voß: Deutschland auf dem Weg in die Anstalt. Wie wir uns kaputtpsychologisieren. Solibro 2015 ISBN 978-3-932927-90-4 (Druck) 978-3-932927-91-1 (eBook)
7.Peter Wiesmeier: Steh bei Jauch nicht auf dem Schlauch! Survival-Tipps eines Quizshow-Touristen Solibro 2016 (überarb. Aufl. des Reihentitels Nr. 2) ISBN 978-3-932927-09-6 (Druck) 978-3-932927-99-7 (eBook)
8.Ralf Lisch: Inkompetenzkompensationskompetenz Wie Manager wirklich ticken. Geschichten. Solibro 2016 ISBN 978-3-96079-013-6 (Druck) 978-3-96079-014-3 (eBook)
9.Yvonne de Bark: Mamas wissen mehr. Das geheime Wissen cooler Mütter. Solibro 2017; ISBN 978-3-932927-00-3 (Druck) 978-3-96079-000-6 (eBook)
10.Rob Kenius: Neustart mit Direkter Digitaler Demokratie Wie wir die Demokratie doch noch retten können. Solibro 2017 ISBN 978-3-96079-011-2 (Druck) 978-3-96079-012-9 (eBook)
11.Burkhard Voß: Albtraum Grenzenlosigkeit. Vom Urknall bis zur Flüchtlingskrise. Solibro 2017; ISBN 978-3-96079-031-0 (Druck) 978-3-96079-032-7 (eBook)
12.Florian Willet: Mir nach, ich folge Euch! Wie uns die Parteien über den Tisch ziehen. Solibro 2018; ISBN 978-3-96079-045-7 (Druck) 978-3-96079-046-4 (eBook)
13.Reiner Laux: Seele auf Eis. Ein Bankräuber rechnet ab Solibro 2018; ISBN 978-3-96079-053-2 (Druck) 978-3-96079-054-9 (eBook)
ISBN 978-3-96079-046-4 / 1. Auflage 2018 / Originalausgabe
© SOLIBRO® Verlag, Münster 2018 / Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Michael Rühle / Wolfgang Neumann
Umschlagbild (Merkel): © Frederic Legrand - COMEO
/Shutterstock.com; Umschlagbild (Gartenzwerg):
Fotograf: © Michael Volk (Künstler/Produktion: © Günter Griebel); Autorenfoto (S. 2): privat
verlegt. gefunden. gelesen.www.solibro.de
Je geringer die politische Kompetenz,
desto größer der moralische Anspruch.
Norbert Bolz
Vorwort des Verlegers
I. Das Spielfeld
1.Links, rechts, konservativ, liberal
2.Gleichheit und Ungleichheit
3.Zweigleisiger Wettlauf
4.Altruisten und Egoisten
5.Gerechtigkeitsjahrmärkte
6.Berufspolitiker
7.Systemverkrustung
II. Die Spielchen
8.Politentertainment
9.Versprechen, versprechen, versprechen
10. Unersetzlich machen und Unverzichtbarkeitsillusionen schüren
11. Spalten
12. Politische Korrektheit
13. Mir nach, ich folge Euch!
14. Volkspartei sein
15. Instrumentalisierung
16. Sozialvergleiche ziehen
17. Zahlendeutungshoheit beanspruchen
18. Freund-Feind-Linien definieren und umdefinieren
19. Heuhaufenvergrößerung
20. Gegenargumente als unzulässig etikettieren
21. Verschwörungstheoretiker wittern
22. Populismus unterstellen
23. Identität
24. Unterwanderung
25. Ideenklau
26. Basta!
III. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
27. Politikzyklen
28. Streitkulturen
29. Moralkapitalismus
30. Weltfrieden
31. Schlussbemerkung
„Mir nach, ich folge Euch!“, so treffend hat der Kabarettist Volker Pispers einmal die Politik von Angela Merkel auf den Punkt gebracht. Eine zirkuläre Politik der Kanzlerin, die nur noch von einem einzigen Wert getrieben scheint: Machterhalt.
Dieses Buch ist Pflichtlektüre für Politiker, Journalisten und besonders natürlich den vergessenen Souverän, den (Wahl-)Bürger. Denn es hilft, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Politiker Macht erlangen, festhalten und dabei Konkurrenten aber insbesondere die Bürger derart über den Tisch ziehen, ohne dass die es in der Regel in der Breite bemerken.
„Führung bedeutet, den Mitarbeiter so über den Tisch zu ziehen, dass er die Reibung als Nestwärme empfindet“, so lautet ein bekannter humoriger Spruch aus der Wirtschaft. Dies scheint auch ein Hauptprinzip heutiger Politik zu sein. Dieses Buch liefert die evolutionspsychologischen und machtpraktischen Grundlagen dafür, nicht nur am Beispiel der CDU zu erkennen, warum Politik so funktioniert wie sie funktioniert und warum Moral etwas für die Bürger ist, während Politiker vorrangig in die machiavellistische Trickkiste greifen. Insofern kann dieses Buch natürlich auch als neuer Machiavelli für angehende Politiker gelesen werden. Doch welchen Nutzen man aus diesem Buch ziehen mag – durchschauen oder anwenden –, möge dem selbständigen Leser und seiner moralischen Werteordnung überlassen bleiben.
Der Autor, Jurist, Ökonom und Kommunikationspsychologe Dr. Florian Willet befasst sich unter anderem mit den Spezialgebieten Neuropsychologie und Verhaltensökonomie. Seine dort erworbenen Erkenntnisse kommen dem Leser bei der vorliegenden Analyse zugute. Sie eröffnen ein tieferes Verständnis für die teilweise perfiden Mechanismen der Politik, die man aus dieser Perspektive so geballt und so fundiert selten zu lesen bekommt.
Politisch interessierte Beobachter des Zeitgeschehens mögen als Kinder ihre Eltern beizeiten gefragt haben, was Ausdrücke wie „rechts“ und „links“, „konservativ“ und „liberal“ eigentlich bedeuten.
Wie erklärt man das einem Kind am besten? Was bekam man selbst als Kind zu hören?
Wer einen „Linken“ fragte, konnte schnell glauben, dass konservativ ein Schimpfwort sei. Und er bekam vielleicht zu hören, dass konservativ und rechts sowieso fast das Gleiche seien. „Rechte“ seien profitgierige Leute, die sich nicht um das Waldsterben scherten, und um die Not hungernder Kinder in Schwarzafrika erst recht nicht. „Konservative“ seien altmodische, provinzielle, engstirnige, traditionsvernarrte und egoistische Besitzstandswahrer, die meist auch noch an einen Haufen religiösen Unsinns glaubten – als gäbe es keine an esoterischen Unsinn glaubenden Linken. Unter Rechten gäbe es auch keine „Intellektuellen“. Allenfalls intelligente Demagogen. Und weil „Liberale“ vor allem eins seien, nämlich macht- und geldgierig, stünden sie den Rechten nahe. Das heißt, das gelte jedenfalls für die FDP, aber eigentlich seien die gar keine echten Liberalen, sondern faktisch immer bloß Mehrheitsbeschaffer gewesen, die mal mit diesen und mal mit jenen mitgingen.
Wer einen Konservativen oder „Rechten“ fragte, der bekam nicht selten zu hören, dass Linke glaubten, alles besser zu wissen, aber, wenn sie denn mal am Ruder wären, nichts „gebacken“ bekämen, sondern Chaos ausbräche und Wohlstand gefährdet würde. Sie hielten sich für moralisch edelmütiger, seien idealistische Träumer, die gerne Soziologie statt etwas „Anständiges“ studierten, verstünden von wirklichen gesellschaftlichen Abläufen und Zusammenhängen aber nichts. Mit sauberer Buchhaltung und seriöser Betriebswirtschaft stünden sie auf Kriegsfuß, wie auch mit Rechtsstaatlichkeit, Disziplin und Zuverlässigkeit. Dazu passten ja auch die oftmals langen und verlausten Haare. „Arbeit“ sei für sie ein Fremdwort.
Im Geschichtsunterricht konnte man einige Jahre später lernen, dass links und rechts als politische Kategorien auf das französische Nationalparlament des achtzehnten Jahrhunderts zurückgingen. Dort saßen die mit sozialistischen Wirtschaftskonzepten links und jene mit liberalen rechts. In der Mitte, beziehungsweise im „Zentrum“, saßen religiöse und wertkonservative Gruppierungen mit gemischten Wirtschaftskonzepten. Warum Liberale später in dieser imaginären Sitzordnung des politischen Spektrums in die Mitte wanderten und Konservative nach rechts, konnte einem niemand zufriedenstellend erklären. Im Sozialkundeunterricht lernte man, dass in Fragen wirtschaftlicher Organisation eigentlich links und liberal die maßgeblichen Gegenpole wären, sowie in Fragen normativer und moralischer Werte „konservativ“ auf der einen und „progressiv“ auf der anderen Seite. So lässt sich erkennen, dass begriffliche Bedeutungen sich irgendwann verselbständigen, neue Verknüpfungen und Klischees entstehen, die sich vom Bedeutungsursprung entfernen.
Tatsächlich reicht eine zweidimensionale Skala nicht aus, um die Bedeutungstiefe der vorliegenden Begriffe angemessen zu erfassen. Dennoch lässt sich grob vereinfacht sagen, dass linkes Wirtschaften bedeutet, alles, was eine Gesellschaft erwirtschaftet, in einen Topf zu werfen, und alles, was alle Individuen benötigen, daraus zu bezahlen. Eine absolute Vermischung der Verhältnisse also. Manche zahlen demnach mehr ein als sie entnehmen, während andere mehr entnehmen als sie einzahlen. Andernfalls läge ja kein echtes Gruppenkonto vor, sondern bloß eine gemeinsame Kasse, deren Inhalte sich aber Individualkonten zuordnen ließen. Liberales Wirtschaften dagegen bedeutet, dass alle Gesellschaftsmitglieder in allen Fragen strikt getrennte Rechnungen aufmachen. Jeder muss selbst erwirtschaften, was er benötigt. Und jeder darf selbst verfeiern, was er erarbeitet oder ihm zufällt. Wenn ein Gesellschaftsmitglied einem anderen etwas abgibt, dann ist das sein Privatvergnügen. Liberale wollen aber dennoch ein funktionierendes Gemeinwesen mit Minimalstaatsapparat, der nur die allernötigsten Steuern einfordert. Denn Liberale sind regelmäßig für klar definierte Eigentumsrechte. Ein staatliches Gewaltmonopol soll diese Rechte durchsetzen und verteidigen. Das macht den Unterschied zu Anarchie und Anarchismus aus. Vertreter anarchistischer Konzepte wollen noch nicht einmal Gesetze und Polizei. Insofern drohen anarchistische Gesellschaften schnell in brutaler Gewalt zusammenzubrechen. Umverteilung, wie in linken Systemen, wird daher auch oft als der Preis für gesellschaftlichen Frieden bezeichnet. Organisationkonzepte auf der Skala zwischen diesen beiden Extremen nennen sich etwa „Kommunismus“, „Sozialismus“ oder „Libertarismus“.
Dass er ein mitgefühlsloser Egoist und bis zur Hutkrempe geldgierig sei, der andere in seiner Gier gleichgültig verhungern lassen würde, musste sich schon der eine oder andere Liberale anhören. Eine solche Soziopathie ist Liberalen aber nicht automatisch unterstellbar. Ein solchermaßen ausgelegter Liberalismus müsste dann ja auch bedeuten, dass er, wenn selbst in Not, konsequenterweise lieber verhungert, als andere um ein paar Almosen von dem zu bitten, was sie für ihre Individualkonten erarbeitet haben. Das will ein Liberaler aber nicht zwangsläufig. Bevor er aber Steuern zahlt und anschließend andere darüber entscheiden lässt, in welche Umverteilungskanäle die Ressourcen fließen, versucht er, das Geld lieber vor dem Fiskus zu retten, um anschließend selbst zu entscheiden, wofür er es einsetzen möchte. Er will die Hoheit über die Mittelverwendung behalten, selbst entscheiden, welche Wohltaten er unterstützt. Auch Liberale machen Weihnachtsgeschenke. Linke sind grundsätzlich für so hohe Steuern wie möglich. Bei theoretischen einhundert Prozent läge das maximal denkbare größte Gruppenkonto vor, von dem sich dann verteilen ließe, nachdem sich auf einen „Plan“ geeinigt wurde.
Liberale sind für Gleichheit am Start, ab dem es erlaubt sein soll, dass jeder aus sich und seinem Leben macht, was er will und schafft. Linke sind für Gleichheit im Ergebnis. Liberale finden es nicht fair, wenn Schwächere sich hängenlassen können, weil im Endeffekt ja doch von den Starken zu ihnen umverteilt wird. Linke finden es nicht fair, wenn gleiche Startbedingungen unterstellt werden, da es die schon allein aufgrund unmittelbarer biologischer Unterschiede nur in der Theorie gebe. Auch findet sich unter Linken häufiger die Auffassung, dass es für Privateigentum gar keine Legitimation gebe, da das allererste Eigentum an einer Sache nicht durch Einigung und Übergabe, sondern nur durch Raub an der Natur erworben werden konnte. Liberale fühlen sich derweil von „Gleichmacherei“ schikaniert, sie wollen nicht vereinnahmt oder instrumentalisiert werden. Sie wollen einfach ihre Ruhe haben und es dem Zufall überlassen, ob ein Individuum in eine Gruppe aus überwiegend Stärkeren oder Schwächeren hineingeboren wird.
Auf den Ökonomen und Philosophen Pierre-Joseph Proudhon geht eine Aussage zurück, wonach Kapitalismus dazu führe, dass Schwache von Starken ausgebeutet werden, während Kommunismus dazu führe, dass die Starken von den Schwachen ausgebeutet werden. Eine These die freilich bereits an der Erfahrung anknüpft, dass Gesellschaften immer dazu neigen, pyramidenförmige Hierarchiestrukturen auszubilden.
Es gibt auch liberale Konzepte ohne Eigentum. Denkbar ist etwa, dass es nur Besitz an einer Sache gibt, also lediglich vorübergehende Verfügungsgewalt, so lange, wie man sie benutzt oder unmittelbar bei sich führt. Denkbar ist auch, dass jemandem allenfalls Nahrung oder wenigstens nur das gehören kann, was er selbst verbrauchen kann.
Von zahlreichen indigenen Völkern und versunkenen Kulturen weiß man, dass der Gedanke, dass ein Lebewesen ein dauerhaftes exklusives Nutzungsrecht an etwas hat und es auch noch vererben kann, dort absurd anmuten würde. Gleichwohl müsste niemand verpflichtet sein, die Früchte seiner Arbeit mit anderen zu teilen, ohne dass er ein Wörtchen darüber mitreden kann, wie.
Liberal oder links lässt sich beides mit Idealismus und Leidenschaft sein. Es sind abstrakte Konzepte, über die sich am Nullpunkt einer Gesellschaft verständigt werden kann, wie auf die Spielregeln eines Brettspiels. Darüber, wer erfolgreich oder erfolglos sein wird, wer zum Nettozahler und wer zum Nettoempfänger wird, liegt zu Beginn noch ein „Schleier des Nichtwissens“. Problematisch kann es allerdings werden, wenn Individuen erst dann, wenn Systemgewinner und -verlierer absehbar werden, eine Meinung darüber entwickeln, ob ihnen links oder liberal stärker zusagt. Das hat dann nichts mit Idealismus zu tun. Und hier kommt Konservativismus ins Spiel.
In eher liberalen Gesellschaften sind es die Wohlhabenderen, die auch zu Konservativen werden, in eher linken neigen Ärmere zu Konservativismus. Konservative wollen Werte, Prinzipien und Regeln bewahren und Traditionen pflegen. Die gibt es am Nullpunkt einer Gesellschaft nicht. Konservativ wird man erst. Natürlich ist von zwei zur Wahl stehenden Regeln nicht automatisch jene, die bisher schon bestand, besser als jene, die als Alternative im Raum steht. Auch sind ältere Bräuche oder Traditionen nicht automatisch effizienter, effektiver oder von Natur aus plausibler als neue Verfahrensweisen, Tänze, Musikstile oder Speisen. Konservative sind Gewohnheitstiere. Gewöhnt nicht an die Vorlieben anderer, sondern die eigenen. Konservativ sein entspricht einer grundsätzlich „egoistischen“ und „opportunistischen Strategie“, wie Biologen es nennen. Entsprechend neigen Konservative eher zu Heimatverbundenheit und weniger zu Kosmopolitismus, während Progressive hungrig nach Neuem und immer auf der Suche danach sind, ob sich Althergebrachtes durch Besseres ersetzen lässt. Mit zunehmendem Wohlstand und finanzieller Unabhängigkeit steigt zwar auch die Lust, sich zu individualisieren und selbst zu verwirklichen, aber wenn revolutionäre Ideen fundamentale Spielregeln und Wurzeln gefährden, dann kann es mit der Lust auf „Experimente“ schnell wieder vorbei sein. Auch Konservativismus kennt nicht nur schwarz und weiß, sondern fächert sich in graduellen Abstufungen auf. Die allerwenigsten Konservativen lehnen jede Innovation ab. Sie wollen nur nicht die „Firstmover“ sein. Sollen andere doch das Experimentieren übernehmen. Und bevor sie etwas Neuem breite gesellschaftliche Akzeptanz entgegenbringen wollen, soll es vorher absolut auf Herz und Nieren geprüft sein.
„Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht ...“ – Heimatverbundenheit wurde lange in erster Linie mit „Ethnie“ und genetischer Nähe, später mit Territorium, „Volk“ und Nationalität assoziiert. In steinzeitlichen Stammesgesellschaften stand Fremden der Sinn häufig nach Plünderei und Vergewaltigung. Sie mit Argwohn zu betrachten und erst nach eingehendster Inaugenscheinnahme einzulassen, entsprach einem tauglichen Sicherheitskonzept. Konservative sind sogenannte „Parochialisten“ (Parochialismus ist eine gemischte Strategie, die Altruismus gegenüber einer eng definierten Ingroup mit Egoismus bis hin zu Feindseligkeit gegenüber der Outgroup verbindet). Und als schnellstes und eindeutigstes Diskriminierungsmerkmal, anhand dessen erkannt werden kann, ob jemand zur In- oder Outgroup gehört, kann sich ein ähnliches Aussehen durchsetzen. Hier liegt eine Demarkationslinie zwischen konservativ und rechts.
Mehr noch als über althergebrachte Bräuche und Traditionen machen Rechte sich über unmittelbar äußerlich sichtbare biologische Ähnlichkeiten Gedanken. Wenn auch Sexualpartner nach äußerlicher Attraktivität ausgesucht werden, dann erscheint das als nicht ganz so großes Problem. Aber wenn Menschen sich Freunde, Nachbarn und sogar entfernte Angehörige Ihres Staats nach Aussehen und physischer Morphologie aussuchen möchten, dann gelten sie als rechts.
Rechte haben normative Standpunkte zu biologischen Phänomenen. Biologen haben diese natürlich nicht. Wissenschaft ist deskriptiv. Sie wertet nicht, sondern beschreibt nur. Biologen können und werden besonders in jüngster Zeit aber schnell irrtümlicherweise als rechts etikettiert. Wenn beispielsweise zeitgenössische Neurowissenschaftler erklären, dass die Neigung zu spezifischen politischen Grundeinstellungen auch durch biologische Dispositionen erklärt werden könne.
Auch rechts lässt sich mit gewissem Idealismus bis hin zu Fanatismus sein. Während allerdings idealistische Liberale und Linke glauben, dass ihre Ideologien und Konzepte letztlich gut für alle wären und das auch jedermann verstehen könnte, wenn er sich nur mal ernsthaft und vorurteilslos mit ihren Argumenten auseinandersetzen würde, machen Rechte derweil selten einen Hehl daraus, dass sie Individuen mit ganz bestimmten, offen sichtbaren Merkmalen gerne dahin verfrachten würden, wo sie herkommen.
Es sollte klar gesehen werden, dass auch Linke konservativ sein können. Das ist wichtig. Nach dem Zusammenbruch von Sowjetunion und Ostblock gab es viele Ältere, die vom losgaloppierenden Kapitalismus und damit verbundenen Strukturveränderungen in Angst und Schrecken versetzt wurden. Sie wählten bei jeder Gelegenheit genau jene sozialistischen Parteien, von denen sie zuvor jahrzehntelang diktatorisch regiert worden waren. Das entsprach konservativem Verhalten. Linke sind also keineswegs automatisch auch progressiv. Gerade Toleranz und Pluralität sind Einstellungen, die vielfach besser mit liberaler Organisation harmonieren. Etwa als Pädagogen können auch Linke Konzepte verfolgen, die auf Konditionierung, Einschüchterung und versteckter Autorität basieren. Autorität ist ein urkonservatives Element.
Wer möchte schon gerne unter Generalverdacht stehen?! Wenn transparenzfördernde Gesetze geschaffen werden sollen, werden diese häufig unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte abgelehnt. Am Flughafen aber, wenn es zum Sicherheitscheck geht, hat plötzlich niemand etwas zu verbergen. Man ist ja erleichtert, dass kontrolliert wird.
Wegen der potenziell gefährlichen Mitmenschen ist man froh, dass es Recht und Gesetz gibt, damit Täter abgeschreckt beziehungsweise zur Verantwortung gezogen werden können.
Für Moral gilt das natürlich genauso. Während Gesetzesverstöße einem Verursacher materielle Verluste oder Freiheitsentzug einbringen können, vermögen Moralverstöße einen guten Ruf zu zerstören. Wäre doch toll, wenn man selbst ohne Furcht vor eigenem Reputationsverlust keinerlei Hemmschwellen haben müsste. Das heißt ja auch nicht gleich, dass man anderen Leuten Böses wollen würde. Aber wenn die eigene Person von den Zwängen aus Recht und Moral ausgenommen wäre, wäre das Leben unkomplizierter.
Fantasien und Tagträume in denen man sich unsichtbar machen oder Gedankenlesen kann, gibt es so lange wie Menschen denken können. Das lebt natürlich von der Vorstellung, dass andere es eben nicht können. Für einen selbst hätte man immer Ausnahmeregelungen parat. Nicht umsonst erlaubt kein Rechtsstaat, dass Menschen Richter in eigener Sache sein dürfen. Warum sollte man selbst bestraft werden wollen?! Menschen wollen also selbst Dinge können und dürfen, die andere nicht können und dürfen sollen. Sie wollen nicht mit anderen gleich sein, sondern privilegiert. Und finden das häufig vollkommen in Ordnung, denn schließlich schätzen sie ihren Charakter als besonders gut ein und glauben, dass sie kleine Bevorzugungen durchaus verdient hätten. Und mit gefülltem Magen lässt sich über die Beseitigung des Hungers in der Welt gleich viel besser nachdenken. Die anderen, ja, die können und sollen sogar gleich sein − untereinander. Das erschiene fair, nicht wahr?!
Folgendes Gedankenexperiment: Welcher wäre wohl der gerechteste Verteilungsmodus, wenn man eine Million Dollar hätte, um sie auf eine Million Personen zu verteilen? Ohne nähere Informationen über Kriterien wie Vermögen, Alter, Geschlecht, Formalbildung, Kinderzahl, Verpflichtungen und Wünsche zu haben? Sicherlich ließen sich kreativ gedacht auch interessant begründete Vorschläge für asymmetrischste Verteilungen finden. Der häufigste konkrete Vorschlag, der auf diese Frage hin jedoch unterbreitet würde, wäre der, dass jede Person einen Dollar bekommen sollte. Interessant muss dann allerdings erscheinen, warum Menschen eigentlich regelmäßig versuchen, eine genau gegenteilige Verteilung herbeizuführen, indem sie auch als Wohlhabende nach immer mehr streben oder zumindest Lotto spielen. Beim Glücksspiel träumen alle Teilnehmer davon, dass sie hinterher als einziger den Jackpot erhalten, in den alle anderen einen Dollar eingezahlt haben.
Natürlich sind Menschen in der Regel Freunde der Gerechtigkeit. Aber eben einer Gerechtigkeit, die primär für die und unter den anderen gilt, ohne dass man selbst als Akteur in alltägliche Verteilungswettkämpfe eingebunden ist. Angstfrei, ohne Versorgungs- und Zukunftssorgen zu leben, das ist doch ein verführerischer Gedanke. Nicht mehr arbeiten zu müssen, während andere den Wohlstand tagtäglich erwirtschaften müssen. Nicht, dass man gar nichts Sinnvolles tun möchte. Mit seiner von Natur aus besonders ausgeprägten moralischen Urteilsfähigkeit und dem eingebauten Gerechtigkeitssinn würde man gerne alle gesellschaftlich relevanten normativen Entscheidungen treffen. Andere begehen keinen Fehler, wenn sie einem die Deutungshoheit überlassen, da man als ausgeprägter Menschenfreund genau weiß, was nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere gut ist. Insofern wäre das doch eine angemessene Arbeitsteilung. Auf dieser Basis käme man seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerne nach.
So ist es. Menschen wollen reich sein und dabei noch jede Menge Respekt und Anerkennung ob ihrer charakterlichen Großartigkeit bekommen. Reich sein heißt mehr als andere zu haben. Wer es ist, der kann jeden Tag frei wählen, worauf er seine Zeit, Aufmerksamkeit und Anstrengung verwendet. Die Sache hat nur einen kleinen Haken, Unabhängigkeit für jeden, bei Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnung, ist prinzipiell unmöglich.
Im Hotel muss man nicht auf seinen Wasserverbrauch achten. Jedenfalls nicht aus Kostengründen. Über Wasser-, Wärme- und Stromverbrauch bekommt man keine gesonderte Nebenkostenabrechnung, sondern der Zimmerpreis deckt das alles pauschal ab. Er entspricht einer Flatrate. Man kann so viel verbrauchen, wie die Leitung hergibt, und sei es 24 Stunden lang.
Man kennt das ja von Festpreisen, dass man die Gelegenheit gerne dazu nutzt, es mal so richtig krachen zu lassen. Beim „All-you-can-eat“ haut man sich richtig den Bauch voll. Natürlich verkonsumiert man nicht weniger, sondern eher mehr als sonst. Ist erst mal bezahlt, kostet es ja quasi nichts mehr. Jedenfalls nicht einen selbst. Den Gewerbetreibenden, der die Flatrate anbietet, schon. Aber der wird schon noch ein paar Cent verdienen. Und selbst wenn nicht, dann ist das sein Risiko, mit dem er rechnen muss, und so oder so ist man ihm moralisch nichts schuldig. Ja, wenn es die Rechnung anderer in die Höhe treibt, dann lässt sich gut leben.