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Gascoyne

Stanley Crawford

Aus dem amerikanischen
Englisch von Nina Schiefelbein

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Crawford, Stanley: Gascoyne

Originalausgabe:

© 2018 Louisoder Verlagsgesellschaft mbH, München

Inhalt

Gascoyne

Alles fängt damit an, dass ich ein paarmal das Gaspedal durchtrete und dann den Zündschlüssel drehe, der Anlasser dröhnt, und endlich springt der Motor an und macht beim Laufen Geräusche, die nicht so gleichmäßig sind, wie sie mal waren. Der alte Nash – der letzte große, Baujahr 1955 – wird langsam müde, aber ich bleibe ihm treu bis ans Ende und gebe das Schätzchen nicht aus den Händen, bis es sich wirklich kein Stück mehr fortbewegt. In dem Moment klingelt das Telefon.

„GASCOYNE?“, fragt eine Stimme, die mir nicht bekannt vorkommt.

„Wer sonst?“, sage ich. „Wer ist da?“

„Spielt keine Rolle. Rufus Roughah hat gerade einen Schuss zwischen die Augen bekommen, draußen in seiner Bude auf dem Land.“

„Was Sie nicht sagen. Warum erzählen Sie mir das?“

„Dachte, Sie sollten …“ Ein gurgelndes Geräusch, und die Leitung ist tot.

Das verwirrt mich, weil ich die Leute, die meine Telefonnummer haben, an der rechten Hand abzählen kann, und wenn Roughah tot ist, ist es egal, wer es zuerst oder zuletzt erfährt, weil keiner sich die Mühe machen wird, deswegen seine Tränendrüsen zu aktivieren.

Ich schalte auf „Drive“, drängele mich in das Verkehrschaos auf der Bastinado Street und beschleunige auf sechzig, was alle anderen auch versuchen, obwohl man es noch nicht zustande gebracht hat, die Ampeln zu synchronisieren. Aber wenn man versucht, langsam zu fahren, kratzen sie dir hinten den Chrom von der Stoßstange. Dann klingelt wieder das Telefon. Es ist Marge.

„Hi, Marge.“

„Hallo, Liebling. Sag mal, Ralph hat den Dodge aus der Werkstatt zurückgebracht und mir eine Rechnung über zweiundfünfzig Dollar und sechzehn Cent in die Hand gedrückt. Irgendwie habe ich das Gefühl, Liebling, dass ich das bezahlen soll.“

„Warum auch nicht?“, frage ich.

„Na ja, weißt du, Liebling, wenn ich bisher das Auto dort habe reparieren lassen, hab ich nie eine Rechnung bekommen, weil du vor einer Weile gesagt hast: ‚Bring dein Auto rüber zu Ralph, und ich kümmere mich um die Rechnung.‘“

„Na ja“, sage ich, „ich meinte aber nicht jedes Mal, Marge. Wir müssen die Ausgaben schon hin und wieder so was wie teilen. Manchmal bist du ziemlich verschwenderisch, weißt du.“

„Ich bitte dich, Liebling, erzähl mir nicht, dass zweiundfünfzig Dollar und sechzehn Cent für eine Autoreparatur eine Verschwendung sind. Das Auto musste repariert werden. Es würde sonst nicht mehr fahren. Es stand nur da und hat pfeifende Geräusche von sich gegeben.“

„Ich bitte dich, Marge.“

„Das stimmt, frag Ralph! Und wo bin ich in letzter Zeit bitte verschwenderisch gewesen?“

„Also, mir fällt im Moment nichts ein, Marge, aber ich werde darüber nachdenken und sag’s dir später. Eben habe ich übrigens interessante Neuigkeiten erfahren.“

„Was denn?“, fragt sie und klingt nicht gerade glücklich.

„Irgendein Typ hat mich angerufen und gesagt, dass Roughah gerade einen Schuss zwischen die Augen bekommen hat.“

„Hmm, das bedeutet dann wohl, dass er tot ist. Wird man den morgigen Tag zum Feiertag erklären?“

„Keine Ahnung.“

„Weißt du sicher, dass er tot ist?“

„Nein, nur was Anonymus mir gesagt hat.“

„Warum rufst du nicht an, um sicherzugehen?“, fragt sie. „Ich fänd’s schrecklich, wenn wir zu früh feiern würden.“

„Gute Idee. Bis später, Marge.“

Ich lege auf und wähle Roughahs Nummer.

„Roughah Residence. Nennen Sie Ihren Namen und …“

„GASCOYNE hier. Geben Sie mir Rufus.“

„Moment, Sir.“

Ich schlängle mich auf die Überholspur der Bastinado und versuche, die nächsten drei Ampeln zu erwischen. Auch hier sind sie zwar noch nicht synchronisiert, aber wenn man bei Orange über die erste fährt, kriegt man die zweite bei Grün und die dritte wieder bei Orange, und es sieht so aus, als würden wir die erste diesmal gerade bei Orange erwischen.

„GASCOYNE?“, höre ich unzweifelhaft Roughahs Stimme.

„Richtig. Wie geht’s?“

„Lass den Mist. Was willst du?“

„Nein, im Ernst“, sage ich, „jemand hat behauptet, es ginge dir nicht besonders gut.“

„Und?“

„Und deshalb: Wie geht’s dir und was treibst du so?“

„GASCOYNE, ich gebe dir zwei Sekunden, um auf den Punkt zu kommen.“

„Okay, im Klartext: Wer ist gerade bei dir?“

„Himmel!“

Er legt auf, und ich schiebe mich mit fünfundsiebzig bei Orange über die Ampel, was bedeutet, dass die nächste auch mir gehört. Irgendwer behauptet, Rufus sei tot, und es ist ziemlich offensichtlich, dass er das nicht ist – meiner Meinung nach ist da was faul, und zwar: Jemand hat geplant, ihn kaltzumachen, hinkt aber mit seinem Zeitplan hinterher, was auf dieser Welt ja oft genug vorkommt. Aber ich denke, dass die bestimmt bald wieder im Zeitplan sein werden, weshalb es sich als interessant erweisen könnte, Roughah so schnell wie möglich aufzusuchen, um zu sehen, was passiert. Aber ausgerechnet: Jemand hat an der Schaltung der dritten Ampel herumgepfuscht, und alles, was ich sehe, ist ein hübsches rotes Licht. Ich steige auf die Bremsen, und weil die rechte Vorderbremse bei solchen Gelegenheiten gern blockiert, brauche ich zwei Fahrbahnen, um zum Stehen zu kommen, und das mit quietschenden Reifen, aber immerhin ohne knirschendes Blech. Ich setze ein Stück zurück, bringe den Nash wieder in seine Spur und springe geradezu aufs Gaspedal, als es grün wird. Wenn ich mich richtig erinnere, bringt mich diese Vorgehensweise bis runter zur Mirindaranda Road, ohne an den beiden Ampeln zwischendrin halten zu müssen.

Alles läuft glatt, und ich erwische die Ampeln mit ungefähr achtzig und dazu den grünen Pfeil nach links auf die Mirindaranda Road, die nach Osten in die Pampa und nach Westen zum Roughah-Anwesen führt, wo sie sich in zwei Ringstraßen teilt, die um Roughah herum, dann durch ein Wirrwarr an Wohnvierteln hindurch und schließlich in die Innenstadt verlaufen. Ich bin jetzt auf dem direkten Weg zu Roughah, und hier sind alle Ampeln synchronisiert, so dass ich gut vorankomme. Der Verkehr ist akzeptabel für die Uhrzeit, außerdem ist die Mirindaranda sechsspurig und schleust den Einkaufsverkehr ganz gut durch, weil sie eine von den Nonstop-Konsum-Boulevards ist, mit Drive-ins für alles, vierundzwanzig Stunden am Tag. Ich rufe Chester an.

„Chester, du hast in letzter Zeit nicht zufällig jemandem meine Telefonnummer gegeben, oder?“

„Nein, Chef, warum?“

„Irgend so ein Typ hat mich angerufen und mir gesagt, dass Roughah ermordet wurde.“

„Das sind ja gute Neuigkeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass er Ihre Nummer von Roughah selbst oder von O’Mallollolly hat.“

„O’Mallollolly hat sie?“, frage ich.

„Niemand hat sie ihm gegeben, aber ich vermute, er könnte sie kriegen, wenn er sie unbedingt wollte.“

„Ja, da hast du wahrscheinlich recht, Chester.“

„Chef, Mark will wissen, ob Sie bei dem Immobilien-Deal dabei sind oder nicht.“

„Sag ihm, ich bin mit zwei Dritteln dabei.“

„Okay.“

„Sonst noch was?“

„Nein, Chef, ist ziemlich ruhig heute.“

„Gut. Hör zu, Chester, ich sehe mich jetzt mal auf Roughahs Grundstück um, also ruf nicht mehr an, ich bin wahrscheinlich nicht im Auto.“

„In Ordnung, Chef.“

Ich lege auf und gehe ein bisschen vom Gas, um die Tacho-Nadel auf achtundsechzig runterzuziehen, weil das die Geschwindigkeit ist, mit der man fahren muss, um nacheinander alle Ampeln zu erwischen, wenn man einmal den richtigen Lauf hat. Ich wechsle auf die mittlere Spur, um die Linksabbiegerschlange zu umgehen, außerdem ist das der beste Platz, wenn man einfach so herumfährt, weil man nach rechts oder links rüberziehen kann, wenn man auf die Art Fahrer trifft, der dreiundsechzig fährt und sich wundert, dass immer alle Ampeln rot sind, obwohl er sie doch weit vor sich regelmäßig grün werden sieht. Das Geheimnis ist folgendes: Wenn du irgendwas zwischen einer und drei grünen Ampeln vor dir hast – und die Mirindaranda Road ist eine von den Straßen, die man früher über die gesamte Länge einsehen konnte, jetzt aber nicht mehr –, also bei einer bis drei grünen Ampeln vor dir hast du den richtigen Lauf, aber mit vieren musst du Gas geben, sonst erwischst du eine bei Orange und die nächste bei Rot und musst noch mal von vorne anfangen.

Ich komme an den beiden Einkaufszentren am westlichen Ende der Mirindaranda Road vorbei, und anstatt rechts oder links abzubiegen, wo der Boulevard aufhört, fahre ich geradeaus und lande auf einer kleinen Straße mit Pelzläden, Juweliergeschäften und Zoohandlungen. Die Straße endet am Haupttor des Roughah-Anwesens, und ich biege langsam nach links, während ich den Blick die kilometerlange Auffahrt hinauf und auf das Haus schweifen lasse, das aussieht wie ein mit Luft gefüllter und dann noch etwas aufgepumpter Mount Vernon. Es stehen keine Autos davor, und ich rolle die Seitenstraße runter an den Garagen vorbei – die Türen stehen offen, der Rolls, der Caddy und der Avanti stehen da wie immer, rot und weiß und blau.

Es ist verdammt still dafür, dass ein Mord im Gange sein soll, aber es könnte ja auch eine Familienangelegenheit sein. Trotzdem sagt mir irgendetwas, dass jemand hier ist, der normalerweise nicht hier ist, und ich muss unbedingt wissen, wer. Da ich nicht die Auffahrt hochfahren kann, ohne die Pferde scheu zu machen, frage ich mich, ob ich den Hintereingang finde, den ich schon immer mal begutachten wollte, es aber nie getan habe. Ich biege links ab, dann rechts in die Mangoldia Street, die im Zickzack durch Wohngebiete zum Südende des Roughah-Anwesens führt. In dem Moment fällt mir etwas ein, das ich vergessen habe, und ich rufe Chester an.

„Chester, ich habe vergessen zu fragen, wie es mit der Zoll-Auktion aussieht, hast du was gehört?“

„Läuft alles. Dreihundert Jeeps, und Sie werden sie nicht einmal zu Gesicht bekommen.“

„Bestens. Und wegen der Jennings-Sache ist mir gerade etwas eingefallen: Ich will, dass ihn jemand mit der Kamera beschattet, wie ich dir gesagt habe, und sie auch.“

„Sie auch?“, fragt Chester.

„Ja, ich glaube, hier lohnt es sich, zweigleisig zu fahren.“

„Okay, Chef. Farbe oder schwarz-weiß?“

„Witzbold. Bettszenen immer in Farbe.“

„Alles klar, Chef.“

An dieser Stelle macht die Mangoldia eine Rechtskurve und verläuft jetzt am südlichen Ende von Roughahs Anwesen entlang, rechter Hand seine Wälder und linker Hand verwahrloste Obstbaumwiesen, die schon für neue Wohngebiete abgesteckt sind. Ich werde langsamer und halte Ausschau nach einem Platz, wo ich das Auto verstecken kann. Ich habe Glück: ein Bulldozer und eine Planierraupe sind ein Stück abseits der Straße zwischen den Obstbäumen abgestellt. Ich biege ab und stelle das Auto dahinter, was den Nash zwar nicht wirklich von der Straße aus unsichtbar macht, aber den Eindruck vermittelt, als wären wir alle eine große Familie.

Ich schwinge mich raus und schließe die Tür ab, warte, bis ein paar Autos vorbeigefahren sind, überquere die Straße, laufe bis zum Rand von Roughahs Wald und spähe hinein, kann aber rein gar nichts sehen. Mir wird bewusst, dass das ein komisches Spiel ist, das ich da spiele – Roughah ist in gewisser Weise mein Kunde, und ich riskiere meinen Hals, um dafür zu sorgen, dass er seine Angelegenheiten geregelt kriegt. Tja, so spielt das Leben – also stürze ich mich zwischen die Bäume und hoffe das Beste. Nach etwa zehn Metern mache ich die erste Stolperleine aus. Ich krieche drunter hindurch, ohne einen Schuss auszulösen, und finde danach ohne Probleme die anderen beiden. Jetzt muss ich nur noch auf die Hunde aufpassen, aber da habe ich so etwas wie einen Wettbewerbsvorteil, weil Marges Schwester einen der Schäferhunde aus dem Rudel großgezogen hat. Nichts, worauf man sein Leben verwetten sollte, aber jedes Puzzleteilchen zählt.

In einem Bogen bahne ich mir einen Weg durchs Unterholz zu einem Waldausläufer, der, wie ich hoffe, direkt bis an Roughahs Arbeitszimmer heranreicht. In Anbetracht des zugewucherten Buschwerks rechne ich mit zwanzig Minuten Fußmarsch. In diesem Wald wird nichts gehegt oder gepflegt, und ich stolpere ständig über Äste oder bekomme Zweige ins Auge. Nach einer Weile weicht der Wald einer weiten Fläche voller dicker, dichter Büsche, wie ich sie noch nie gesehen habe, ich habe keine Ahnung, was das für Zeug ist, und es ist mir auch ziemlich egal, aber die Dinger sind verdammt dicht und voller Blätter, und ich kann kaum mehr als ein, zwei Meter weit sehen. Wenigstens haben sie keine Dornen, und für Büsche sind sie ziemlich geräuschlos, also kann ich mich nicht beschweren, abgesehen von der Tatsache, dass ich ewig brauche, um vorwärtszukommen, noch dazu ohne zu wissen, wohin, zumal ich einen miserablen Orientierungssinn habe.

Völlig unvermittelt stolpere ich auf eine große Lichtung und lege mich fast lang, als ich sehe, dass mittendrin die Limousine von Police Commissioner O’Mallollolly parkt und dessen Chauffeur und Bodyguard Maxie am vorderen Kotflügel lehnt und mit der Pfeife im Mund in den Himmel blickt. Er steht mit dem Rücken zu mir, und als er sich umdreht, um zu sehen, was da für Geräusche sind, ducke ich mich zwischen die Büsche und ahme den Ruf des Feuchtflügligen Moorhuhns nach. Zu meinem Schrecken bückt sich Maxie, hebt einen Stein auf und schleudert ihn direkt in meine Richtung, und trotz des heftigen Schmerzes in der Schulter, den er verursacht, gelingt mir ein passables Moorhuhn-Panikgezwitscher, gefolgt vom Geräusch von Flügelschlagen, das ich damit beende, dass ich ein paar Steinchen unter die Büsche rechts von mir werfe. Maxie schleudert den nächsten Stein dorthin, und als alles wieder ruhig ist, geht er zu seinem Kotflügel und seiner Pfeife zurück. Ich habe einen großen blauen Fleck, zum Glück fließt kein Blut.

Die ganze Zeit bin ich schwer am Grübeln, was O’Mallollolly auf Roughahs Grundstück zu suchen hat. Sicher gibt es für alles ein erstes Mal, und es ist sinnlos, darauf zu warten, dass die Erde bebt, aber immerhin ist O’Mallollolly ein gewählter Amtsträger, und es ist vielleicht etwas wirklich Großes im Gange, wenn er Roughah einen Besuch abstattet – dessen einziges Geheimnis ist schließlich, wie er es schafft, sich den Behörden zu entziehen. Und Roughah selbst hat gesagt, er hätte während der Wahl vor dreieinhalb Jahren die Stadt verlassen, weil er es nicht ertragen hat, O’Mallollollys Bild an jeder Straßenecke zu sehen. Deshalb frage ich mich, seit wann sie so dicke sind und warum, und ich bin ganz schön sauer, dass ich nicht eingeladen bin. Habe es ein bisschen schleifen lassen, glaube ich und beschließe, das zu ändern.

Maxie ist fertig mit seiner Pfeife und klopft die Asche an seinem genagelten Absatz aus, schiebt sich dann hinters Steuer und rutscht auf dem Sitz nach unten, die Kappe über den Augen. Na, das gefällt mir. O’Mallollollys großer, langer Cadillac bringt mich in Versuchung, also ziehe ich vorsichtig und lautlos den Schalldämpfer auf die Pistole und halte sie so auf den linken hinteren Weißwandreifen, dass sie durch den Reifen hindurch direkt in den Tank schießt. Mit einem hübschen kleinen Plock! passiert genau das, und Maxie schreckt auf, blickt sich nach dem Geräusch von entweichender Luft und auslaufendem Benzin um. Als er aussteigt, krabbele ich tiefer in die Büsche, drehe mich aber noch mal um, um zu sehen, wie er sich hinkniet und das kleine runde Loch im Reifen begutachtet. Mit einem Mal springt er mit einem furchterregenden Gesichtsausdruck auf, reißt die Arme hoch und versucht, in alle Büsche gleichzeitig zu gucken.

Ich bahne mir einen Weg durchs Gestrüpp in die Richtung, in der ich einen kleinen Pfad vermute, der von dem Parkplatz im Wald zu Roughahs Palast führt. Meine Vermutung ist richtig, und ich stapfe parallel zum Pfad durch die Büsche, einen guten Meter daneben, und hoffe, dass ich nicht auf irgendetwas stoße, vor dem ich dann nicht schnell die Flucht antreten kann. Ich gehe so langsam, wie ich nur kann, und so leise wie möglich, biege jedes Ästchen aus dem Weg, trete auf ja keinen Zweig oder besonders trockenes Laub, was gar nicht so einfach ist mit einer verletzten Schulter. Und je weiter ich laufe, desto dichter wird auch noch das Gestrüpp, und extrem zähe Kletterranken kommen dazu, die die Sicht auf unter einen Meter reduzieren und laute Raschelgeräusche verursachen. Ich bleibe stehen und überlege, ob es schlauer wäre, sich hier raus zu begeben, mich zu zeigen und den Pfad zu benutzen und bei Anzeichen von Gefahr oder irgendwelchen lebenden Wesen in Deckung zu gehen. Ich entscheide mich trotz der offensichtlichen Risiken dafür und wende mich dem Pfad zu, nur um festzustellen, dass ich ihn verloren habe und keine Ahnung habe, wo ich bin.

Für eine Minute stehe ich einfach da und versuche, mich zu orientieren, aber die Büsche und Ranken sind so dicht, dass ich nicht einmal die Sonne sehen kann. Was auch immer ich jetzt tue, ist ein Schuss ins Blaue, deshalb laufe ich los in derselben Richtung wie zuvor, wie ich glaube, mache nun aber ziemlich viel Lärm dabei. Das Problem ist, dass meine Beine und Arme und mein Hals sich in den Schlingpflanzen verfangen, und weil ich nichts habe, womit ich mich freischneiden könnte, muss ich an dem Gestrüpp ziehen, was ungefähr drei Quadratmeter raschelnde Ranken und Büsche in Bewegung setzt. Ich war noch nie in derart dichter Vegetation. Ich bewege mich schätzungsweise mit einer Geschwindigkeit von unter einem Kilometer pro Stunde vorwärts. Und die Vegetation scheint immer noch dichter zu werden – ich habe das unangenehme Gefühl, dass das Zeug tatsächlich um mich herumwächst. Die Sicht reicht inzwischen nur noch bis zum nächsten Blatt, das ich gerade versuche, aus meinem Gesicht zu pusten.

Leider bin ich keiner dieser Naturliebhaber, die gern solches Zeug essen, deshalb kann ich nicht behaupten, dass mir das Ganze Spaß bereitet. Es geht nichts über stahlbewehrten Beton unter den Füßen, wie ich zu sagen pflege; Gemüse ist gut, aber nur auf dem Teller. Abgesehen von ein paar Vogelrufen und solchem Kram, den ich als Kind bei den Pfadfindern gelernt habe, ist es mir ziemlich gut gelungen, meine Aufeinandertreffen mit der Natur auf ein Minimum zu reduzieren, und ich habe auch vor, das beizubehalten. Meiner Einschätzung nach wird derjenige, der ein Insektizid erfindet, das alles Lebendige vernichtet außer uns Menschen, ein Vermögen machen. Genau das könnte ich jetzt gebrauchen, um mir diese Gebüsch- und Rankenangelegenheit vom Hals zu schaffen.

Plötzlich merke ich, wie ich auf etwas Ekliges trete, und ziehe die Schlingpflanzen auseinander, damit ich meine Füße sehen kann, und als sich eine Lücke auftut, wird ein etwa dreißig Zentimeter langes Stück einer dicken Schlange sichtbar, deren Kopf und Schwanz links und rechts im Dschungel verschwinden. Sie hat eins dieser fiesen Karomuster auf dem Rücken, und ich bin kurz davor, sie abzuknallen, als mir bewusst wird, dass es vielleicht das Beste wäre, sie in Ruhe zu lassen oder zumindest zu warten, bis ihr Kopf auftaucht. Das Vieh bewegt sich, aber ich kann nicht sagen, in welche Richtung, ob sein Kopf schon an mir vorbei ist oder ob es sich rückwärts bewegt. Ich warte, und ziemlich bald wird das Vieh schmaler, und nach ein paar Minuten schlängelt sich der Schwanz an mir vorbei mit der größten Rassel dran, die ich je gesehen habe, ungefähr fünfzehn Zentimeter lang.

Auf den Schreck muss ich erst mal ein Wrigleys kauen, dann mache ich mich wieder auf den Weg, ohne mich auch nur mehr ansatzweise zu bemühen, leise zu sein, weil es mir genauso sinnvoll erscheint, die Schlangen oder welche anderen Kreaturen sonst noch ein wenig vorzuwarnen. Dann fällt mir ein, dass ich mich vielleicht in einem großen Kreis bewege, und es irritiert mich, nichts dagegen tun zu können. Geometrie war nie meine Stärke.

Durch die Büsche und Ranken hindurchzukommen ist, wie zehn Fäden auf einmal in ein Nadelöhr zu fädeln, und es wird dunkler und dunkler, weil das Blattwerk über mir so dicht ist, und dann spüre ich plötzlich etwas Nasses an meinen Füßen und reiße sofort die Ranken auseinander, um zu sehen, in was ich da stehe – und das ist Wasser, etwa sieben Zentimeter tief. Ich erwäge für einen Moment, einen kleinen Aussichtsturm zu errichten, um herauszufinden, wo ich mich befinde, aber die Äste der Büsche erweisen sich als zu hart, als dass man sie abbrechen könnte, also verabschiede ich mich von der Idee und gehe weiter. Das Wasser wird tiefer, so dass ich zumindest weiß, dass ich in einer Richtung vorankomme. Ziemlich bald geht es mir bis zu den Knien, dann bis zum Schritt, und dann steigt es zum Glück für eine ganze Weile nicht weiter. Es ist kein besonders sauberes Wasser, sondern voll schwarzer Blätter von den Büschen und Schlingpflanzen und rötlicher Algen, die an allem, was sie berühren, kleben bleiben. Die Sicht wird ein wenig besser, beträgt wieder etwa einen knappen Meter. Ungefähr jetzt denke ich, dass das Schlimmste überstanden ist.

Allerdings habe ich immer noch keinen blassen Schimmer, wo ich mich befinde. Ich dachte, dass ich Roughahs Grundstück ziemlich gut kenne, weil ich es letztes Jahr mal abgelaufen habe, als Roughah finanziell in der Klemme gesteckt und mir eine Option auf sein gesamtes Anwesen verkauft hat. Ich nehme an, diesen Bereich habe ich ausgelassen, und denke mir, dass es da eine ganze Menge zu roden und aufzuschütten gibt, wenn es jemals so weit sein sollte.

Ich wate noch eine Weile weiter, aber plötzlich hab ich keinen Boden mehr unter den Füßen und falle kopfüber hinein, den Mund voller Algen und toter Blätter. Ich bekomme den Strunk eines Busches zu fassen und ziehe mich an die Wasseroberfläche. Jetzt stecke ich schön in der Patsche, weil die Äste der Büsche zu dicht sind, als dass ich schwimmen könnte – ganz zu schweigen von den Ranken –, und das Wasser zu tief ist, als dass man darin laufen könnte. Aber wenigstens bin ich jetzt ziemlich sicher, dass ich nicht im Kreis laufe. Alles, was ich tun kann, ist, mich mit den Armen von Ast zu Ast zu ziehen, und genau das mache ich, aber sehr langsam. Es entpuppt sich als einigermaßen schmerzhaft, weil die eine Hälfte der Äste aus irgendeinem Grund von einer klebrigen, harzartigen Substanz überzogen ist und die andere mit einer harten, rauen Borke. Vielleicht gibt es männliche und weibliche Büsche, aber wie dem auch sei, das Vorankommen ist mühsam und klebrig, und die Haut an meinen Händen ist schon ganz gereizt und fängt an, sich abzulösen. An die Gefahr einer Infektion will ich gar nicht erst denken. Trotzdem arbeite ich mich auf, wie ich hoffe, geradem Weg vorwärts.

Nach einer Weile wird der Rankenwuchs auf frustrierende Weise noch dichter, erst oben in den Büschen, dann zunehmend tiefer in der Nähe des Wassers, bis schließlich lediglich ein Freiraum von fünfzehn Zentimetern übrig ist. Das bedeutet, dass ich bis zum Hals im Wasser stecke, weil es außer Frage steht, die Ranken aus dem Weg zu zerren, solange ich mit den Händen meinen Körper an den klebrigen und rauen Ästen hochhalten muss. Allerdings ist die horizontale Sicht in dem Fünfzehn-Zentimeter-Raum über der Wasseroberfläche jetzt deutlich besser, und ich schätze, dass ich sechs, sieben Meter weit sehen kann. Das ist beruhigend bis auf die Tatsache, dass ich plötzlich vor mir im Wasser etwas wahrnehme, das sich bewegt. Was es ist, kann ich nicht gut erkennen, aber was auch immer es ist, es beginnt um sich zu schlagen und verursacht unangenehm hohe Wellen, die ein Weiterkommen unmöglich machen. Um der Kreatur – ungefähr zweieinhalb Meter lang, nasses, verfilztes Fell auf dem Rücken – aus dem Weg zu gehen, ändere ich die Richtung ein wenig nach rechts, muss aber anhalten, weil die Wellen so verdammt hoch werden. Ich kann tatsächlich nichts tun, außer meinen Kopf nach oben in das dichte Netz aus Schlingpflanzen zu stecken, wo ich mich auf so etwas wie einer Rennstrecke für Eidechsen wiederfinde. Immerhin muss also Land in der Nähe sein. Diese Eidechsenrennstrecke ist eine Art Tunnel durch das Rankennetz, dessen Boden für die schwereren Eidechsen durch tote Blätter und Eidechsenkacke verstärkt ist, und es ist ganz schön viel Verkehr hier. Aus irgendeinem Grund scheint es die Eidechsen nicht zu stören, dass mein Kopf aus dem Boden ihrer Straße ragt, einige laufen über mich drüber, andere um mich herum.

Nach einer Weile hört das rückenbehaarte Wesen auf, im Wasser auf und ab zu springen, und ich kann weiter. Das Rankenwerk lichtet sich ein wenig, und plötzlich spüre ich im Wasser wieder Boden unter den Füßen. Kurz darauf laufe ich wieder auf vollkommen trockenem Land, so dass ich ein wenig trocknen kann. Jetzt fange ich erneut an, mir Sorgen zu machen, dass ich im Kreis gelaufen bin, weil hier dieselben Büsche und Rankpflanzen wachsen wie auf der anderen Seite des Wassers. Aber ich gehe weiter und lande plötzlich an einer Steinmauer, in die eine Treppe eingehauen ist, also steige ich sie hinauf und bin sehr erleichtert, als ich mich an der Rückseite der Roughah’schen Villa wiederfinde, in der Nähe der Küche, aus deren Fenster niemand zu mir herausschaut.

Der beste Ort, um das Haus zu beobachten, ist der Schuppen beim Tennisplatz, der an der Spitze des Waldausläufers steht, weil man von dort die gesamte gebogene Auffahrt den Hügel hinauf überblicken kann sowie die Seite des Hauses, an der sich im Obergeschoss Roughahs Arbeitszimmer befindet und an der man unten durch zwei große Spiegelglasfenster den größten Teil des Wohnzimmers einsieht. Ich habe einen Schlüssel zu einem kleinen Raum in dem Tennisschuppen, der ein Fenster in genau diese Richtung hat, und ich schlüpfe hinein, ohne dass mich jemand bemerkt, wie ich hoffe. Aber ich renne hier ja sowieso ziemlich oft herum, so dass vermutlich keiner, der mich sieht, groß innehalten und sich wundern würde.

Ich setze mich auf einen Stuhl am Fenster, vor allem um mich ein bisschen von der ganzen Anstrengung zu erholen, die ich nicht gewohnt bin, und bevor ich auch nur mit beiden Augen blinzeln kann, kommt O’Mallollolly aus dem Seiteneingang gestürmt, den Stumpen einer seiner Hongkong-Havannas im Mundwinkel. Irgendwas hat ihn sehr aufgeregt, denn die Adern in seinem Gesicht sind dicker und vorquellender als sonst, und er wirft hektische Blicke nach rechts und links. Dann hält er inne und versucht, sich mit einem seiner monogrammierten Taschentücher etwas von der linken Hand zu wischen. Er sieht auf seine Armbanduhr und dann zum Haus zurück. Schließlich verschwindet er zwischen den Bäumen, vermutlich auf dem Pfad, den ich vorhin aus den Augen verloren habe.

Aber bevor ich das auch nur im Ansatz überdenken kann, tritt Nadine Roughah, Rufus’ Ehefrau, aus der Haustür, in einem hautengen schwarzen Abendkleid und mit Diamanten behängt, die nach meiner Schätzung zusammen mindestens ein Pfund wiegen. Sie sieht sich nervös um und zu Roughahs Arbeitszimmer hinauf, dann auf ihre Uhr und die Auffahrt hinunter. Plötzlich kommt Roughahs feuerwehrroter Rolls durch das Tor geprescht und die gekieste Auffahrt entlang, die sich in einer weiten S-Kurve durch den Rasen zieht, und kommt äußerst respektlos direkt vor Nadine zum Stehen. Dmitri, der Chauffeur, springt heraus, und sie fallen sich leidenschaftlich um den Hals, wobei Dmitri seine Hand in ihren verdammt tiefen Rückenausschnitt steckt. Schließlich steigt sie hinten ein, und sie fahren davon.

Ich nehme an, dass es das war für heute mit der Show, und will schon aufstehen, als plötzlich Roughahs Neue – eine blonde, großäugige Nummer namens Nancy – um das Haus gerannt kommt, splitterfasernackt. Ich kann nur sagen, da haben so manche keinen guten Tag heute. Sie läuft, als ob das Gras sie an den Füßen kitzelt, aber das ist auch die einzige Gefühlsregung, die ich von ihrem hüpfenden Gesicht ablesen kann. Sie betritt das Haus durch die Eingangstür, durchquert das Wohnzimmer und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Ich gehe davon aus, dass die Show gleich noch ihren Höhepunkt finden wird, wenn Roughah höchstpersönlich in Erscheinung tritt, aber ich verbringe eine ganze Weile damit, einfach auf dem Stuhl zu sitzen und mir zu wünschen, er wäre gepolstert, und schließlich bin ich gerade dabei aufzustehen, als plötzlich das Fenster von Roughahs Arbeitszimmer aufschwingt und ein aufgerolltes Seil herausgeworfen wird, mit mehreren Knoten im Abstand von etwa einem Meter darin. Mein erster Gedanke ist, dass es brennt, aber dann wird langsam ein behaartes Bein mit großen, scharfen Krallen hinausgestreckt, gefolgt von einem ebensolchen zweiten und dem pelzigen Rücken eines Wesens, etwa so groß wie ein Mann, nur ein bisschen dicker. Als schließlich das ganze Ding am Seil hängt und beginnt hinunterzuklettern, wobei ich sein grünliches Fell und den spitz zulaufenden Kopf zu sehen kriege, komme ich zu der Erkenntnis, dass es sich um ein Riesenfaultier handelt, oder vielmehr um einen Mann, der sich als Riesenfaultier verkleidet hat – er raucht nämlich eine Filterzigarette. Warum, ist die eine Sache, die ich gern wissen würde, aber noch viel interessanter wäre, was er oben in Roughahs Büro zu suchen hatte.

Das Wesen erreicht den Boden, wo es sich mit der linken Hinterpfote in einem Rosenbusch verfängt, weshalb es seine handschuhähnlichen Vorderpfoten ausziehen muss, um seinen Fuß aus dem Rosenbusch zu befreien. Das ist schnell gelungen, und das Wesen zieht direkt seine Vorderpfoten wieder an und schaut auf das Seil, das noch immer aus dem Fenster hängt. Es greift nach dem Seil und zieht daran, aber natürlich löst es sich nicht, weil es vorher gut festgemacht war, um das Gewicht des Faultiers zu halten. Dann versetzt das Wesen dem Seil einen peitschenartigen Schwung, mit dem Ergebnis, dass dieses oben eine Fensterscheibe zerschlägt. Das Faultier duckt sich unter den herabregnenden Scherben weg und läuft, die Hände in die Hüften gestemmt, im Kreis und macht ein summendes Geräusch. Es geht zum Seil zurück und schwingt es ein paarmal hin und her, aber es löst sich nicht, was man hätte wissen können.

Schlussendlich stampft es mit dem Fuß auf und geht ums Haus zur Eingangstür, durchquert das Wohnzimmer und verschwindet. Eine Minute später streckt es oben seinen Kopf aus dem Fenster, verschwindet wieder, taucht unten im Wohnzimmer wieder auf, kommt durch die Tür und ums Haus herum zum Seil, an dem es hinaufsieht. Es fängt wieder an, daran zu ziehen, und endlich gibt das Seil nach und fällt in einem Knäuel auf das falsche Faultier, was diesem die Zigarette aus dem Mund auf das verfilzte grüne Brustfell schlägt, das wiederum sofort in orangefarbenen Flammen und dichtem schwarzen Rauch aufgeht.

Das Faultier scheint das Feuer jedoch nicht gleich zu bemerken und beginnt, das Seil aufzurollen. Dann richtet es sich mit einem Ruck auf und schlägt sich auf die Brust, wobei der Kopf wild hin und her wackelt. Ich überlege, ob ich aus meiner Deckung kommen und einen Schlauch auf das Wesen halten soll, als es den Hügel hinunter zum Swimmingpool rennt, immer noch wild auf seine Brust einschlagend und eine dicke schwarze Rauchfahne hinter sich herziehend.

Es springt in das flache Ende des Pools und sinkt direkt auf den Boden. Das Wasser färbt sich grün und schwarz. Es bleibt für gefühlt mehrere Minuten unter Wasser, und ich krame schon mal alles, was ich über künstliche Beatmung weiß, aus meiner Erinnerung, da strampelt es an die Oberfläche und hievt sich aus dem Pool, als würde es eine Tonne wiegen, was es vermutlich auch tut bei all dem Wasser, mit dem sich der Faultieranzug und das Fell – beide sicher nicht wasserabweisend – vollgesogen haben. Es steht am Poolrand und wringt sich aus, Wasser rinnt aus den Fuß- und Handgelenken und aus dem Reißverschluss, der sich vorne über den gesamten Oberkörper hochzieht. Nach einer Weile versucht es, sich trocken zu schütteln wie ein nasser Hund, aber die langen Zotteln sind zu schwer vom Wasser, und es schafft es lediglich, langsam vor- und zurückzuschwingen wie eine alte Waschmaschine, und selbst dabei verliert es fast das Gleichgewicht und wäre um ein Haar wieder zurück ins Wasser gefallen. Dann zieht es seine Vorderpfoten aus, legt sie auf den Boden und knautscht mit seinen Menschenhänden das Fell an seinem Körper zusammen, drückt und wringt es aus und wird auf diese Weise tatsächlich einen Großteil des Wassers los.

Es ist offenkundig immer noch ziemlich schwer, als es sich wieder den Berg hinaufbegibt, und muss alle paar Schritte stehen bleiben, um zu verschnaufen. Als es näher kommt, kann ich das Loch sehen, das das Feuer in die falsche Faultierhaut gebrannt hat. Darunter trägt der Mann ein weißes T-Shirt mit der knallroten Aufschrift HARVARD. Er braucht ungefähr fünfzehn Minuten, um zum Haus zurückzugelangen, wo er das Seil zu Ende aufrollt und es sich über die Schulter hängt. Schließlich humpelt er langsam auf demselben Weg davon, den auch O’Mallollolly genommen hat.

Ich sitze eine Weile da, versuche, mir einen Reim auf das Ganze zu machen, und bin fest davon überzeugt, dass noch mehr passieren wird, aber nichts geschieht. Es ist still wie in einem Grab, also schlüpfe ich aus dem Schuppen und gehe zum Haus hinüber, um nachzusehen, ob das Faultier dort etwas verloren hat. Aber ich finde nur die verkohlten Überreste des Zigarettenstummels, an dem noch genug Buchstaben zu erkennen sind, um die Marke als Marlboro zu identifizieren. Nicht viel, aber ich behalte es als Indiz oder als Beweisstück, je nachdem wie der Fall sich entwickelt.

Die Luft scheint rein zu sein, also nehme ich den gleichen Weg wie O’Mallollolly und das Tier, ein Stück den Rasen runter, wo ein Pfad in den Wald schneidet, von dem ich immer dachte, dass er nur zu den Volieren führt. Ich husche ihn so leise wie möglich entlang, die Pistole schussbereit, passiere die Volieren mit ihren dreitausend Vögeln, die sich die Seele aus dem Leib kreischen, und betrete den Wald. Ohne Zwischenfälle erreiche ich die Lichtung, bekomme aber einen kleinen Schreck, als ich aus der Entfernung sehe, dass O’Mallollollys Limousine noch da steht. Doch als ich näher komme, sehe ich, dass zum einen keiner mehr da ist und zum anderen Maxie seine Pfeife in die Benzinpfütze fallen gelassen haben muss, weil von dem Cadillac nur noch ein schwarz-brauner, rostiger, ausgebrannter Klumpen übrig ist. Ich gehe näher ran und sehe mich ein wenig um: Reifenspuren deuten darauf hin, dass ein zweites Auto hier gewesen ist, und ich vermute, dass Maxie über das Autotelefon Hilfe angefordert hat, als ich schon weg war.

Ich folge den Spuren durch den Wald und komme nach einer Weile bei der Mangoldia Street heraus, etwa hundert Meter von den Bulldozern und meinem Nash entfernt. Ich überquere die Straße, laufe über die Obstbaumwiese und gehe dann zwischen den Bäumen hindurch, damit ich nicht so schnell gesehen werde, und bin froh, endlich wieder bei meinem Auto zu sein und mich auf etwas Weiches setzen zu können. Ich starte den Motor und lege einen niedrigen Gang ein, rangiere auf dem lockeren Erdboden und hoppele schließlich wieder auf die Straße in Richtung Mirindaranda Road. Dann rufe ich Chester an.

„Hi, Chester, was gibt’s Neues?“

„Hab gerade einen Anruf von MacGanymede aus dem Police Tower bekommen: Er sagt, dass Roughah kaltgemacht wurde und dass O’Mallollolly gerade drüben beim Roughah-Anwesen ist, um den Fall aufzunehmen.“

„Mist. Ich ruf dich gleich wieder an, Chester.“

„In Ordnung, Chef.“

Ich trete das Gaspedal bis auf den Boden durch und treibe den Motor auf hundert hoch, was ungefähr das Schnellste ist, mit dem ich den Nash auf der Mangoldia fahren kann. So, Roughah ist also tot, kein großer Verlust, wie mir alle zustimmen werden, aber was ich wissen will, ist: Warum hängt sich O’Mallollolly da so rein? Dass es Roughah früher oder später erwischt, war abzusehen, weil er die große Kunst nicht beherrscht hat, Leuten heftig auf die Füße zu treten, ohne dass die das merken, bevor es zu spät ist, um sich zu beschweren. Aber ich habe ihn gleichzeitig für so clever gehalten, O’Mallollolly nicht ins Gehege zu kommen. Es ist mir scheißegal, ob es O’Mallollolly war, aber ich will unbedingt wissen, warum das so verdammt lange vor mir geheim gehalten worden ist. Und ich muss aufpassen, dass diese Sache O’Mallollolly nicht zu Kopf steigt.

Die Mangoldia macht eine Kurve zur Vorderseite der Roughah-Bude, und ich düse weiter, an den Garagen vorbei – wer weiß, ob der rote Rolls nicht wieder drinsteht –, und beim Einbiegen durch das Haupttor spritzt eine ganze Menge Kies durch die Gegend. Ich brettere den knappen Kilometer der Auffahrt hoch und parke den Nash neben einer anderen Polizeilimousine, in der O’Mallollolly gekommen sein muss.

Herald