Europa und Globalisierung
Reihenherausgeber:
Gudrun Biffl, Thomas Pfeffer
Gudrun Biffl, Thomas Pfeffer (Hrsg.)
Ausgewählte Beiträge zum Globalisierungsforum 2016-17
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2018
Dieses Werk ist lizensiert unter der Creative Commons Lizenz Namensnennung 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
Die in der Publikation geäußerten Ansichten liegen in der Verantwortung der Autor/inn/en und geben nicht notwendigerweise die Meinung der Donau-Universität Krems wieder.
Verlag: Edition Donau-Universität Krems
Herstellung: tredition GmbH, Hamburg
ISBN Taschenbuch: 978-3-903150-36-2
ISBN e-Book: 978-3-903150-37-9
Kontakt:
Department für Migration und Globalisierung
Donau-Universität Krems
www.donau-uni.ac.at/mig
migration@donau-uni.ac.at
Coverfoto: www.fotalia.de
Satz: Thomas Pfeffer
Umschlaggestaltung: Michael Zehndorfer, Marion Lanser
Zitiervorschlag: Biffl, Gudrun, Pfeffer, Thomas (Hrsg.) (2018) Europa auf der Suche nach Zusammenhalt und Sicherheit. Ausgewählte Beiträge zum Globalisierungsforum 2016-17. Reihe Europa und Globalisierung. Krems (Edition Donau-Universität Krems).
Dieses Buch ist das zweite der Publikationsreihe „Europa und Globalisierung“ in der Edition Donau-Universität Krems. Es gibt Einblick in aktuelle Themen der Europäischen Union und Österreichs, die im Rahmen des Globalisierungsforums des Departments Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems in den Jahren 2016 und 2017 im Haus der Europäischen Union diskutiert wurden. Das Globalisierungsforum wird vom Department Migration und Globalisierung in Kooperation mit dem Haus der Europäischen Union organisiert. Im Fokus steht ein Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und der Zivilgesellschaft.
Beim Globalisierungsforum handelt es sich um ein Instrument des Dialogs, in dem Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen Einblicke in europäische Herausforderungen und Problemfelder geben. Es steht ganz im Zeichen der Kooperation der Donau-Universität Krems mit dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) und der Mitarbeit von Herrn Mag. Dr. Karas, Ehrenprofessor der Donau-Universität Krems und erfahrenes Mitglied des Europaparlaments.
Das Globalisierungsforum fand in den Jahren 2016 und 2017 dreimal statt. Am 13. Juni 2016 stand das Thema Sicherheit in Europa auf dem Programm, am 25. November 2016 Europa und die Entwicklungszusammenarbeit und am 19. Juni 2017 waren es die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds.
Die vorliegende Publikation bringt einen Auszug aus den Themenfeldern und Inhalten. Damit wollen wir einen Beitrag zur europäischen politischen Bildung leisten. Das vorrangige Ziel ist, die Zivilbevölkerung zu einer verstärkten Teilhabe an demokratischen Prozessen zu motivieren. Dies geschieht dadurch, dass komplexe Zusammenhänge und Herausforderungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten auf eine klare und verständliche Weise präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Wir wollen damit eine informierte Diskussion anregen und Perspektiven und mögliche Weichenstellungen für eine Weiterentwicklung der europäischen Demokratie aufzeigen.
Krems, März 2018
Der vorliegende zweite Band der Reihe „Europa und Globalisierung“ geht in zwei Abschnitten den unterschiedlichen Dimensionen der Rolle Europas in einer Welt, die von großen Umbrüchen geprägt ist, nach. Thematisiert werden im ersten Abschnitt Fragen zur Sicherheitspolitik Europas und zur Rolle der Migrationen. Im zweiten Abschnitt werden Fragen zum Europäischen Zusammenhalt aufgeworfen und zur globalen Governance am Beispiel der Entwicklungszusammenarbeit.
Dem Sicherheitsaspekt wird im ersten Abschnitt aus mehreren Perspektiven Augenmerk geschenkt. Am Beginn steht der Beitrag von Othmar Karas. Er verweist auf Krisenherde innerhalb und außerhalb Europas, auf Klimawandel und Ressourcenknappheit, die Migrations- und Flüchtlingsströme zur Folge haben, sowie auf neue Sicherheitsfragen wie zum Beispiel Cyber-Bedrohungen, die nach einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungsunion rufen. Er meint, dass heute kein Staat mehr die derzeitigen Sicherheitsfragen allein in Angriff nehmen könne. Erschwerend sei, dass sich Europa auf die bisher bestehende Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO) nicht mehr verlassen könne. Karas macht weiters darauf aufmerksam, dass Österreich schon jetzt in hohem Maße an Auslandseinsätzen der Vereinten Nationen, der NATO und der EU beteiligt sei, und zwar mit 1.058 Soldaten in 17 Missionen bei militärischen und zivilen Einsätzen. Bekannt sei meist, dass Österreich in Bosnien und Herzegowina mit 312 Soldaten mehr als die Hälfte des gesamten Personals stelle. Weniger bekannt sei hingegen, dass Österreich an militärischen Mittelmeer-Einsetzen zur Bekämpfung des Schlepperwesens und zur Rettung von Flüchtlingen beteiligt ist.
Zur Rolle des Militärs in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bringt Wolfgang Wosolsobe seine langjährige Erfahrung an der Spitze des EU-Militärstabes ein. Er hat das breitere Sicherheitsumfeld der EU im Visier und damit die Rolle der NATO, der Vereinten Nationen und der Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit (OSZE). Er weist auf Möglichkeiten und Grenzen von Operationen und Missionen im Rahmen des politischen Systems und der Entscheidungsmechanismen der EU hin und, damit verbunden, auf die Entwicklungsaussichten in den kommenden Jahren.
Eine weitere Dimension der Sicherheitsdebatte bringt die Terrorismus- und Radikalisierungsforscherin Daniela Pisoiu ins Spiel. Sie weist darauf hin, dass Terrorismus und Radikalisierung zu den größten Bedrohungen für europäische Gesellschaften zählen. Dabei handelt es sich zum Teil um europäische, hausgemachte Radikalisierung. Auch in Österreich gibt es, Verfassungsschutzberichten zufolge, eine lebendige dschihadistische Szene. Erklärungen für individuelle Radikalisierungsprozesse variieren. Trotz der Versuchung, auf einfache kausale Zusammenhänge zurückzugreifen, spricht sie einer Differenzierung das Wort, wobei sie allerdings in der Anziehungskraft von Subkulturen und dem Einsatz sozialer Medien gewisse Promotoren von Terror und Radikalisierung sieht.
Im Anschluss daran gibt Biffl einen Überblick in das zunehmend komplexe Forschungs- und Spannungsfeld von Migrationen und Sicherheit. Sie weist darauf hin, dass eine ‚Versicherheitlichung‘ der Migrationspolitik Gefahr läuft, wirtschaftliche Entwicklungsprozesse zu behindern und Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen. Das Zusammenwirken von Sicherheitspolitik und Migrationspolitik sei komplex und bedürfe eines konstruktiven öffentlichen Diskurses, der zwischen grenzüberschreitender Kriminalität und legaler Migration unterscheidet. Zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts empfähle es sich, Integrationsmassnahmen zu setzen, zum Wohle der Stammbevölkerung und der Migranten/innen. Wenn man das nicht mache, liefe unsere Gesellschaft Gefahr, im Namen der Sicherheit Errungenschaften demokratischer Gesellschaften zu opfern. Die Folge sei eine Dominanz der Exekutive gegenüber der Politik.
Den Abschluss zum Sicherheitskapitel macht Wolfgang Bogensberger mit seinem Beitrag zum Strafrecht und der EU. Er weist darauf hin, dass das Verhältnis zwischen dem mitgliedstaatlichen Strafrecht und dem Rechtssystem der Union eine Wandlung durchgemacht hat. Während das Strafrecht in den ersten 36 Jahren seit dem Bestehen der (Vorläufer der) Europäischen Union keine Rolle in der gemeinsamen Politik gespielt hat - handelt es sich doch hier um einen Kernbereich der mitgliedstaatlichen Souveränität -, jedoch wurde es in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend in einen Integrationsprozess eingebunden. Die europäische Integration des nationalstaatlichen Strafrechts reiche von der Verbesserung und Vereinfachung der strafrechtlichen Zusammenarbeit zwischen justiziellen Behörden der Mitgliedstaaten (im Wege der gegenseitigen Anerkennung von strafgerichtlichen Entscheidungen), über die Rechtsannäherung im materiellen Strafrecht (Schaffung gemeinsamer Zugänge für zahlreiche Straftaten) sowie im Strafverfahrensrecht (Schaffung von Mindestrechten für Opfer wie für Beschuldigte) bis hin zur Gründung von europäischen Einrichtungen mit strafrechtlichem Kooperations- und Koordinationsauftrag (Europäisches Justizielles Netz, Eurojust). Mit dem Aufbau einer Europäischen Staatsanwaltschaft in den kommenden Jahren werde zudem eine qualitativ neue Ära für das „europäisierte Strafrecht“ eingeleitet.
Der zweite Abschnitt beginnt mit einem Beitrag von Peter Mayerhofer und mit der Frage, ob - und wenn ja - wozu die Europäische Union die Kohäsionspolitik brauche. Er gibt auch gleich eine Antwort darauf, dass nämlich die erheblichen makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der EU Instrumente der Kohäsionspolitik zur Stärkung des Zusammenhalts notwendig machten. Das sei nicht zuletzt im Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise offenkundig geworden. Die wirtschaftspolitische Debatte in dem Zusammenhang habe aber auch zu Reformen in der Architektur und der Funktionslogik der Kohäsionspolitik geführt. Wichtig sei aber vor allem, dass den Menschen in den EU-Mitgliedstaaten gesagt werde, worum es dabei gehe, welche Ziele damit verfolgt würden und welche Ergebnisse erzielt würden unter dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber“.
Im Anschluss daran geht Gudrun Biffl auf einen der wichtigsten und den ältesten Fördertopf der EU, den Europäischen Sozialfonds (ESF), ein. Er feierte 2017 sein 60-jähriges Bestehen. Die Förderungen aus dem ESF dienten der Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte und der Bekämpfung von Diskriminierung, Armut und Ausgrenzung. Aus den Mitteln des ESF würden regionale und lokale Projekte kofinanziert mit dem Ziel der Anhebung der Beschäftigungsquote, der Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze und der Integration marginalisierter Personengruppen, viele davon Migranten/innen. Die innereuropäische Migration und die Förderungen aus dem ESF seien wesentliche Instrumente der Verringerung der Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Union, gemessen an der Arbeitslosenquote, dem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und der Produktivität. Sie hätten aber nicht verhindern können, dass die Finanz- und Eurokrise Südeuropa und Irland in eine schwierige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation gebracht hat.
Kurt Bayer stellt die geopolitischen Herausforderungen in der Europäischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ins Zentrum seiner Ausführungen. Er verweist darauf, dass die Dominanz Europas in einer „multipolaren Welt“ stetig abnähme; es würden vermehrt bilaterale Abkommen und vielfältige Allianzen gebildet. Durch diese vielen „Parallelwelten“ werde die Versorgung mit den globalen öffentlichen Gütern immer schwieriger. Zwar gäbe es auch positive Zeichen, beispielsweise im Bereich des Klimaschutzes, doch: „The proof of the pudding is in the eating, d.h. liegt in der Implementierung“, so Bayer, und da bräuchte es Institutionen, die für eine Implementierung sorgen.
Cengiz Günay wiederum verweist auf die Kluft zwischen dem Anspruch europäischer Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Realität. In einem Forschungsprojekt zur Europäischen Nachbarschaftspolitik wurde am Beispiel Tunesiens deutlich, dass weniger der Aufbau der Zivilgesellschaft als vielmehr die für Europa wichtigen Wirtschaftszweige und –sektoren im Zentrum der Zusammenarbeit stehen. Profiteure dieser Strategie seien vor allem große Firmen, die meist mit Europa oder den jeweiligen nationalen Machthabern verbunden sind, tendenzielle Verlierer seien hingegen die kleinen und mittleren Betriebe sowie der informelle Produktionsbereich, der für viele die Überlebensgrundlage darstellt.
Zum Abschluss präsentiert Vedran Dzihic die neue Erweiterungsstrategie der EU. Im Jahr 2018 soll es nämlich zu einer intensiveren Hinwendung der EU zum Westbalkan kommen. Dabei stellt sich die Frage, ob die in der letzten Zeit zunehmend autoritär regierenden politischen Eliten in vielen Staaten des Westbalkans bereit und willens seien, den von der EU geforderten Weg der demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen konsequent zu verfolgen. In der Region gäbe es nämlich vermehrte Anzeichen für eine neue geopolitische Front, in der sich Russland, die Türkei, die USA, aber auch Staaten wie China um Einfluss bemühten, was die Position der EU schwäche.
Krems, April 2018
Zusammenfassung
In einer sich stetig verändernden Welt mit konstant neuen Herausforderungen und globalen Veränderungen muss die Europäische Union bestrebt sein, eine wirkliche gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GASP/GSVP) zu schaffen. Die Grundlage dafür bietet der Vertrag von Lissabon, der auch neutralen Staaten erlaubt, in vollem Umfang an der Entwicklung einer Sicherheits- und Verteidigungsunion teilnehmen zu können. Die Schaffung eines wettbewerbsfähigen europäischen Verteidigungsmarktes ist eine Chance zur langfristigen Verwirklichung dieser Ziele. Dabei darf die EU keine Konkurrenz zur NATO werden, sondern muss enger mit ihr kooperieren.
Einleitung
Globalisierung, demografischer Wandel, Migrationsströme, instabile Krisenlandschaften wie in der Ukraine oder Syrien, Terrorismus und neue Formen der Kriegsführung durch Hybrid- und Cyberbedrohungen sind hoch komplexe Herausforderungen unserer Zeit, die auch die Europäische Union (EU) auf eine neue Probe stellen. Mittlerweile stellt sich die Frage, ob Nationalstaaten die heutigen Herausforderungen alleine bewältigen können, aufgrund der zunehmend verschwimmenden Grenzen der äußeren und inneren Sicherheit, nicht mehr. Russland zeigt bis heute in der Ukrainekrise, dass es bereit ist, seine Interessen in anderen Staaten gegen das Völkerrecht und auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Kein Staat kann die derzeitigen Sicherheitsfragen alleine in Angriff nehmen. Deshalb wird es immer dringlicher, dass die EU mehr Eigenverantwortung für die Sicherheit auf unserem Kontinent und darüber hinaus übernimmt. Während die NATO seit Jahrzehnten als Europas Schutzpatron betrachtet wurde und in weiten Teilen heute noch wird, verlangen die globalen Verschiebungen im Einklang mit den politischen Entwicklungen eine stärkere gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Die jüngsten politischen Treffen der führenden Weltmächte beim G20-Gipfel im Juli 2017, sowie dem G7- und NATO-Gipfel im Mai 2017 haben zudem deutlich gemacht, dass sich Europa auf die bisher bestehende Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) unter dem derzeitigen US-Präsidenten nicht verlassen kann. Schon im Wahlkampf hatte Donald Trump mehr Geld von Europa für die militärische Verteidigung gefordert. Spätestens nach seinen Auftritten in Hamburg, Sizilien und Brüssel ist klar, dass Europa sich noch viel mehr auf die eigenen Beine stellen muss. Der US-Präsident verfolgt seit seinem Amtsantritt einen beispiellosen Zickzackkurs und leistet sich dabei grobe Schnitzer, die die globale Sicherheitsarchitektur potentiell gefährden könnten. Man denke nur an die unbedarfte Weitergabe von israelischen Geheimdienstinformationen an Russland. Die USA jedoch nur auf Präsident Trump zu reduzieren, wäre ein schwerer Fehler. Die USA sind und bleiben ein essentieller strategischer und geopolitischer Partner Europas. Die EU muss deshalb Wege finden, zuverlässige Kommunikationskanäle zur US-Administration zu etablieren. Klar ist aber auch, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen muss, um die Globalisierung zu formen und nicht von ihr geformt zu werden.
Aus diesem Grund muss auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitk (GSVP) als integraler und substanzieller Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) vorangetrieben werden. Nicht um als Bedrohung aufzutreten oder aktiv Krieg zu führen, sondern um die Werte der EU – die Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit – zu schützen. Dafür muss die EU zum Sprecher des Kontinents in der Welt und zugleich Stabilisator in der globalen Sicherheitsarchitektur werden. In diesem Zusammenhang ist auch Österreich gefordert, sich wie bisher aktiv zu engagieren und seinen Beitrag zu leisten.
Unter den EU-Bürgern herrscht große Unterstützung, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Laut einer Eurobarometer-Umfrage vom Herbst 2017 befürworten gut zwei Drittel aller EU-Bürger „eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU-Mitgliedstaaten“ (Europäische Kommission 2016a: S. 5). Laut einer Umfrage des Pew Research Center sind 74% der Befragten aus zehn ausgewählten Mitgliedstaaten der Meinung, dass die EU eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielen sollte (vgl. Pew Research Center 2016: S. 4).
Wenn die EU eine ernsthafte Verteidigungspolitik betreiben will, müssen in diesem Bereich endlich alle EU-Staaten miteinander und nicht mehr nebeneinander forschen, beschaffen, investieren und handeln. Das 2017 veröffentliche Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung legt drei Szenarien für die Entwicklung der Sicherheit- und Verteidigungsunion vor: Zusammenarbeit, geteilte Verantwortung, gemeinsame Verteidigung und Sicherheit (vgl. Europäische Kommission 2017: S. 4).
Es liegt an den Mitgliedstaaten, sich auf eines dieser Szenarien zu einigen (Anthony et al. 2015). Ein viel stärkeres und einheitliches Auftreten der EU in der globalen Außenpolitik und langfristig eine Sicherheits- und Verteidigungsunion ist jedoch essentiell, um zum Anker der Stabilität zu werden. Die EU muss sich auf ihre eigenen Stärken besinnen und nationale Egoismen zurückstellen.
Von Verträgen und Rollenverteilung
Bereits im Jahr 1950 in der Vorbereitung zur der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) entwickelte der französische Premierminister René Pleven einen Plan für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Dieser sogenannte Pleven-Plan beinhaltete das Konzept einer EU-Armee sowie die Idee zur Ernennung eines europäischen Verteidigungsministers (vgl. Brunn 2002: S. 344-347).
Obwohl alle sechs Gründungsmitglieder der EGKS den Vertrag unterschrieben, scheiterte die Ratifizierung letztendlich im Jahre 1954 an einer fehlenden Mehrheit in der französischen Nationalversammlung. In Anbetracht der Entstehung der EGKS aus den sicherheitspolitischen Konsequenzen des zweiten Weltkriegs verdeutlicht der Pleven-Plan bereits die frühen Ambitionen der erweiterten Integration im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Es sollte aber noch rund 40 Jahre dauern bis durch die Verträge von Maastricht (1993) und Amsterdam (1999) die rechtlichen Grundlagen zur Gründung der GASP sowie der GSVP geschaffen wurden und dadurch der Weg für die heutige Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch den Vertrag von Lissabon geebnet wurde.
Schon bald nach der vertraglichen Verankerung der GASP und GSVP fand 1998 in der nordwestfranzösischen Hafenstadt Saint-Malo ein Treffen zwischen dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac und seinem britischen Gegenpart Premierminister Tony Blair statt. Dabei wurde die „Erklärung zur Europäischen Verteidigung“ unterzeichnet (vgl. CVCE 2015). Ziel der Erklärung war der Ausbau der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei gleichzeitiger Sicherstellung des autonomen Handelns der EU-Mitgliedsstaaten, um Europa in diesem Bereich als Global Player auf dem internationalen Parkett zu etablieren. Die Erklärung beinhaltete, dass Entscheidungen auf intergouvernementaler Ebene, im Europäischen Rat beziehungsweise im Allgemeinen Rat, unter Einbeziehung der Verteidigungsminister getroffen werden sollten. Die Europäische Kommission sowie das Europäische Parlament sollten zur Wahrung der nationalen Hoheitsrechte in den entscheidenden Fragen der Verteidigung keine Mitbestimmungsrechte erhalten. Bis heute hat sich dieses Konzept in Bezug auf Entscheidungsprozesse in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchgesetzt. Mit Unterzeichnung der Erklärung positionierte Premierminister Tony Blair das Vereinigte Königreich als einen Vorreiter einer zukünftigen gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik, hatte das Vereinigte Königreich sich doch bis zu diesem Zeitpunkt ausnahmslos am Verteidigungsbündnis NATO orientiert.
Durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 und den Beginn des Irakkrieges mit Unterstützung des Vereinigten Königreichs richtete sich die britische Verteidigungsdoktrin wiederum völlig an der Bündnispartnerschaft NATO aus. Diese Politik hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts weiter fortgesetzt und sich durch den praktisch durchgehenden Gebrauch des Vetorechts des Vereinigten Königreichs in sicherheits- und verteidigungspolitischen Entscheidungen im Rat noch mehr verdeutlicht. Somit bleibt vom bedauerlichen Brexit zumindest in der Verteidigungspolitik ein realpolitischer Hoffnungsschimmer. Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU muss als eine Chance verstanden werden, um die vertiefte Integration der GASP sowie der GSVP voranzutreiben.
Auch einigten sich Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg ohne das Vereinigte Königreich bereits 2003 im Rahmen des sogenannten „Pralinengipfels“ in Tervuren (Belgien) auf das Konzept einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) (Link 2007: S. 139). Dieses war zuvor von den ehemaligen Außenministern Frankreichs und Deutschlands, Dominique de Villepin und Joschka Fischer vorgeschlagen worden. Manche der damaligen Forderungen und Vorschläge, wie die Beistandserklärung oder die Vertiefung der militärischen Kooperation, wurden umgesetzt oder sind in den Vertrag von Lissabon geflossen, der den heute geltenden primärrechtlichen Rahmen darstellt.
Vertrag von Lissabon
„Die GSVP [...] sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit […] zurückgreifen.“ (Art. 42 Abs. 1 EU-Vertrag)
Bereits mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde die GASP eingerichtet. Sie umfasst eine rein intergouvernementale Kooperation, sprich die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten. Wichtige Beschlüsse können daher grundsätzlich nur einstimmig von allen Mitgliedstaaten im Europäischen Rat oder im Rat der EU gefasst werden. Die GSVP unterliegt hierbei als integraler Bestandteil der GASP, demselben rechtlichen Rahmen, zeigt jedoch auch einige Besonderheiten auf, welche in Artikel 42 bis 46 (EU-Vertrag) des Vertrags von Lissabon geregelt sind und die rechtlichen Möglichkeiten definieren. Dabei werden Beschlüsse im Bereich der GSVP grundsätzlich einstimmig beschlossen. Anders als für die (übrige) GASP gilt für die GSVP auch nicht die „Passerelle-Klausel“ (Art. 48 Abs. 7 EU-Vertrag), durch die der Europäische Rat für Fälle, in denen im Rat im Grunde die Einstimmigkeit vorgesehen ist, Mehrheitsregelungen einführen kann. Dabei liegt hier die größte Schwäche in der Weiterentwicklung der GSVP.
Um die Handlungsfähigkeit zu stärken bzw. zurückzugeben und um den Teufelskreis aus Vertrauensverlust und Blockaden zu durchbrechen, braucht die EU effiziente und transparente Entscheidungsprozesse. Nur so kann die bisherige Selbstlähmung Europas beendet werden. Es darf keine Einstimmigkeit unter allen Mitgliedstaaten mehr notwendig sein. Die nationalen Vetorechte müssen weg, weil sie die EU erpressbar machen, da sie im Grunde undemokratisch sind und Europa daran hindern, die globalen Herausforderungen anzupacken. Bei ausnahmslos allen Entscheidungen der EU müssen die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament gemeinsam entscheiden. Wie in anderen Demokratien wären dies eine Länderkammer und eine Bürgerkammer als die zwei Arme des demokratischen Entscheidungsprozesses. Im Parlament soll das Prinzip der einfachen Mehrheit und unter den Mitgliedstaaten das Prinzip der „doppelten Mehrheit“ gelten. Das heißt, eine Mehrheit ist dann eine Mehrheit, wenn sie sowohl die Mehrheit der Mitgliedstaaten als auch gleichzeitig die Mehrheit der EU-Bevölkerung ist. Das wäre demokratisch, transparent und effizient.
Seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon hat das EP in mehr als 20 Resolutionen eine verstärkte Verteidigungszusammenarbeit gefordert. In zehn Resolutionen hat das EP die Einrichtung eines ständigen operativen Hauptquartiers für militärische Einsätze gefordert, das erste Mal bereits 2009. Der Beschluss (ABl 2017 L 146/133) der Außen- und Verteidigungsminister zur Gründung eines Planungs- und Durchführungsstabs (MPCC), besser bekannt unter gemeinsames EU-Hauptquartier, im März 2017, war somit ein begrüßenswerter aber längst überfälliger Schritt. Denn Missionen im Bereich der GSVP können gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, militärische Beratung, Aufgaben zur Konfliktverhütung und Friedenserhaltung sowie Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung und Friedensschaffung umfassen (Art. 43 EU-Vertrag). Dieser ist ein essentieller Beschluss für die Europäische Union, um verstärkt, gemeinsam und koordinierter die globale Sicherheitsarchitektur mitzugestalten.
Derzeit unterhält die EU 15 GSVP-Operationen und -Missionen, davon sechs militärische1 und neun zivile Missionen2 Fünf Militäroperationen und 13 zivile Missionen wurden bisher im Rahmen der GSVP abgeschlossen (vgl. Europäischer Auswärtiger Dienst 2016). Auch sollten die Bestrebungen, eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ) einzurichten, für einzelne Mitgliedsstaaten, die in bestimmten Bereichen der GSVP intensiver zusammenarbeiten wollen, vorangetrieben werden (Art. 46 EU-Vertrag).
Laut Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2017 gehört zu den Möglichkeiten des Vertrags von Lissabon „eine gemeinsame Verteidigungspolitik festzulegen, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führt, und so ihre Einheit, strategische Autonomie und Integration zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft Europas und in der Welt zu fördern“. (P8_TA(2017)0092 lit A).
Im Dezember 2017 wurde auf dem EU-Gipfel in Brüssel mit einem rechtlich verbindlichen Ratsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit die Gründung einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit (Pesco) innerhalb der EU beschlossen. Auch Österreich hat gemeinsam mit 24 weiteren Ländern die Erklärung unterzeichnet (insgesamt 25 mit Österreich). Darin gehen EU-Staaten 20 bindende Verpflichtungen ein. Unter anderem regelmäßig real steigende Verteidigungsbudgets, verpflichtende Teilnahme an mindestens einem Projekt und verstärkte Unterstützung und Bereitstellung von relevanten Mitteln wie Personal, Material, sowie finanzielle Unterstützung.
Die Rolle Österreichs im Kontext der Neutralität
Die im Juli 2013 angenommene Österreichische Sicherheitsstrategie stellt treffend fest: „Die komplexen Probleme in Sicherheitsfragen können nur mehr durch internationale Kooperation gelöst werden. Damit wird die Rolle von Internationalen Organisationen [...] und deren Zusammenwirken [...] immer bedeutender. Jene von Einzelstaaten hingegen nimmt, relativ gesehen, in aller Regel ab“ (Bundeskanzleramt 2013: S. 5).
Österreich wirkt gemäß dem Artikel 23j der B-VG, in Kraft seit 8. November 2010, vorbehaltslos und vollinhaltlich an der GASP/GSVP mit. (Jandl 2014) Das Neutralitätsgesetz wurde an sich durch den EU-Beitritt nicht geändert. Diese Bestimmung ist anlässlich des EU-Beitritts in die Verfassung aufgenommen und schließlich an den Vertrag von Lissabon angepasst worden. Sie geht als „spätere und speziellere Norm“ aus dem Neutralitätsgesetz hervor. Einer österreichischen Mitwirkung an einer gemeinsamen europäischen Verteidigung und europäischen Armee steht weder die Verfassung noch das Neutralitätsgesetz im Wege.
Allenfalls könnte sich Österreich kraft der sogenannten „irischen Klausel“, Rücksichtnahme auf den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“, nach Art. 42 Abs. 2 EU-Vertrag, davon ausnehmen. Gemäß diesem Artikel berührt die GSVP nicht den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“. Dies spielt sowohl auf die „Neutralität“ von Österreich, Schweden und Irland als auch auf die NATO-Mitgliedschaft der 22 von 28 Mitgliedsstaaten an.
Die Neutralität ist somit durch Artikel 23j B-VG „eingeschränkt“ und nicht mehr auf die GASP/GSVP anwendbar. Dies gilt ebenso für die Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand bei bewaffneten Angriffen: „Beistandsklausel“ des Vertrages von Lissabon (Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag). Präsident Francois Hollande aktivierte erstmals diese Klausel nach den schweren Terroranschlägen in Paris 2015. Auch Österreich sagte seine umfassende Unterstützung zu.
Der österreichische Verfassungsjurist Walter Berka dazu: „Die Beteiligung an der gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU, [...] das sind friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnahmen zur Krisenbewältigung und die damit verbundenen Kampfeinsätze, sind nach Maßgabe der in Artikel 23j B-VG enthaltenen verfahrensrechtlichen Regelungen zulässig“ (Berka 2010: Randziffer 214).
Das zeigt, dass die Neutralität Österreichs eine immer geringere Rolle spielt. Sie ist de facto ein sicherheitspolitisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts und keine sicherheits- und verteidigungspolitische Antwort des 21. Jahrhunderts. Es wäre eine Illusion zu glauben, sich von den internationalen Trends abkoppeln und gleichzeitig ein ernst zu nehmender und angesehener Akteur bleiben zu können.
Herrschende Ansicht ist, dass das Neutralitätsgesetz nicht zu den verfassungsrechtlichen Baugesetzen Österreichs gehört. Dadurch wäre es ohne eine zwingende Volksabstimmung durch ein einfaches Bundesverfassungsgesetz abänderbar und aufhebbar (Berka 2010: Randziffer 211).
Es liegt im Interesse Österreichs, als gestaltendes Mitglied der EU und als aktiver Partner der NATO relevant und angesehen zu bleiben. Wir dürfen gegenüber unseren außenpolitischen Konkurrenten nicht ins Hintertreffen geraten. Österreich muss sein Engagement in der GASP/GSVP und in der NATO-Partnerschaft verstärken. Das gilt auch für die Mitwirkung in der OSZE, im Europarat und bei den Vereinten Nationen. Derartige Beteiligungen sind kein Selbstzweck, sondern ein wesentlicher Solidarbeitrag Österreichs zur Bewältigung von Krisen, zur Stärkung von Frieden und Sicherheit in der Welt, damit zur Stärkung der Sicherheit unseres eigenen Landes und nicht zuletzt zur Verbesserung des internationalen Ansehens Österreichs als verantwortungsvoller und verlässlicher außenpolitischer Akteur.
Der Vertag von Lissabon (2009) sieht die Möglichkeit einer gemeinsamen Verteidigung vor. Bedingung hierfür ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates nach Artikel 42 Abs. 2 EU-Vertrag.
Wenn also im Rahmen der GASP/GSVP eine gemeinsame europäische Verteidigung und/oder eine europäische Armee kommen sollten, dann würde einer österreichischen Mitwirkung kraft Artikels 23j B-VG weder die Verfassung im Allgemeinen noch das Neutralitätsgesetz im Besonderen im Wege stehen.
Sollte eine EU-Armee in weiterer Folge nicht mehr nur militärisches Krisenmanagement, sondern auch eine gemeinsame Verteidigung wahrnehmen, könnte eine Teilnahme Österreichs zwar immer noch völlig verfassungskonform, aber völkerrechtlich deliktisch ausgelegt werden, da eine dauernde Neutralität eine Mitgliedschaft in einem Verteidigungsbündnis per definitionem ausschließt. Österreich könnte sich aber jedenfalls nicht auf sein Neutralitätsgesetz berufen, um sich herauszuhalten; es könnte sich allenfalls kraft der sogenannten „irischen Klausel“ auf den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten“ (Art. 42 Abs. 2 EU-Vertrag) unter Berufung auf seine Neutralitätspolitik davon ausnehmen. Diese Entscheidung wäre schlussendlich eine politische Frage.
Die Diskussion einer Europäischen Armee soll hier nicht als Aufforderung zur Formation verstanden werden. Es ist jedoch essentiell, die rechtlichen Grundlagen zu analysieren und ein Verständnis für die bestehende Faktenlage zu schaffen. Eine reale Diskussion um die Schaffung einer Europäischen Armee stellt sich zu diesem Zeitpunkt aus politischer Sicht und aufgrund der Komplexität nicht. Dies wird am Beispiel der EU-Battlegroups verdeutlicht, die bereits seit 2007 als funktionstüchtige Einheiten bestehen, jedoch bis heute keinen Einsatz durchgeführt haben. Aus heutiger Sicht muss der Begriff ‚europäische Armee‘ vielmehr als Synonym für intensive Kooperation und vertiefte Integration verstanden werden.
Die neue Österreichische Sicherheitsstrategie als auch das noch geltende Regierungsübereinkommen stellen den „Ausbau“ der Beteiligung an zivilen, und die „Erhaltung auf hohem Niveau“ der Beteiligung an militärischen, Krisenmanagement-Missionen in Aussicht. Um dies effektiv umsetzen zu können, müssen die Mitgliedsstaaten die entsprechenden Entscheidungen treffen, Kompetenzen vergeben und im Besonderen enger kooperieren, Kräfte bündeln und effizienter mit Ressourcen umgehen.
Ein gemeinsamer EU-Verteidigungsmarkt als Chance
„None of us can any longer afford to sustain a healthy and comprehensive DTIB on a national basis. […] The future health, maybe even survival, of Europe’s defence industry requires a European approach, and a European strategy“, sagte Javier Solana 2007 (European Defence Agency 2007: S. 1).
Um den Ausbau der Kooperation, Zusammenarbeit und Effizienzsteigerung voranzutreiben, hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Amtszeit die GASP und GSVP als eine der zehn Prioritäten identifiziert. Bereits im Jahr 2013 hat die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Auf dem Weg zu einem wettbewerbsfähigeren und effizienteren europäischen Verteidigungs- und Sicherheitssektor“ veröffentlicht: Ein neuer Deal für die europäische Verteidigung, die den Weg zur Verbesserung der GSVP durch das langfristige Ziel der Schaffung einer wettbewerbsfähigen technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung verfolgt (European Defence Technological and Industrial Base (EDTIB)) (vgl. Europäische Kommission 2013b). Diese Basis soll in der Lage sein, unabhängig von anderen führenden Verteidigungsmärkten außerhalb der EU zu operieren. Des Weiteren soll die interne Zusammenarbeit mehr Kooperation und Vertrauen unter den Mitgliedstaaten schaffen, was langfristig eine Stärkung des gemeinsamen politischen Auftretens nach Außen darstellt. Denn der EU-Binnenmarkt dient seit jeher als Katalysator für politische Entscheidungsprozesse.
Heute erreicht die europäische Rüstungsindustrie einen Jahresumsatz von rund 100 Milliarden Euro, mit 1,4 Millionen Beschäftigten in der Verteidigungsindustrie. Der europäische Verteidigungsmarkt ist stark fragmentiert, da 80% der nationalen Verträge auch auf nationaler Ebene vergeben werden (vgl. Europäische Kommission 2016a). Dadurch entsteht eine Vielzahl an Duplizierungen und Überkapazitäten in der EU. Während die USA einen Typ Kampfpanzer im Dienst seiner Streitkräfte hat, sind es innerhalb der EU 17 unterschiedliche Typen. Gleichzeitig wird ein massiver Rückgang von Verteidigungsforschungsausgaben von 20% in den letzten sechs Jahren innerhalb der EU Mitgliedsstaaten festgestellt (vgl. Europäische Kommission 2017). Aus diesem Grund hat das Europäische Parlament vor kurzem die Bereitstellung von 25 Millionen Euro für die Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich durch das Instrument der Vorbereitenden Maßnahme zur Verteidigungsforschung im ersten Jahr beschlossen. In den nächsten Jahren sollen insgesamt 75 Millionen Euro zu Verfügung gestellt werden, welche im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU durch ein Pilotprojekt in der Höhe von 500 Millionen Euro aufgestockt werden soll (vgl. Europäische Verteidigungsagentur 2018). Dadurch sollen langfristig jährliche Investitionen im der Höhe von 5,5 Milliarden Euro generiert werden. Diese Programme sind Teil des vor kurzem beschlossenen Europäischen Verteidigungsfonds. Ziel ist hierbei die Stärkung des gesamten Verteidigungsmarktes durch paneuropäische Projekte in der Forschung und Entwicklung, die die starke Fragmentierung des Marktes aufheben sollen.
Laut einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments könnte eine verstärkte Integration der EU-Mitgliedstaaten im Verteidigungsbereich Effizienzgewinne von mindestens 26 Milliarden Euro und bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. (Ballester 2013: S. 8) Die größten Zugewinne wären demnach bei der Forschung und Entwicklung sowie der Beschaffungs-Zusammenarbeit möglich. Allein 500 Millionen Euro könnten durch ein gemeinsames System zur Zertifizierung von Munition eingespart werden, 600 Millionen durch die Nutzung gemeinsamer Infanteriefahrzeuge (Ballester 2013: S. 7).
US-Präsident Trump hat im vergangenen Jahr die Militärausgaben um € 44 Milliarden auf rund € 546 Milliarden gesteigert (vgl. Office of Management and Budget 2017: S. 17). Gleichzeitig geben die EU-Mitgliedstaaten jährlich rund € 227 Milliarden Euro (vgl. Europäische Kommission 2017) für die Verteidigung aus, erreichen damit aber nur 10-15% der Effizienz des amerikanischen Verteidigungssystems (P8_TA(2017)0092 lit C). Dabei finden sich ähnliche Truppenstärken unter den Global Players. Während die USA rund 1,43 Millionen Soldaten beschäftigen, befinden sich in den derzeit noch 28 EU Staaten 1,53 Millionen Soldaten im Dienst (vgl. European Political Strategy Centre 2015: S. 3).
Aufstrebende Player wie Russland mit 771.000 Soldaten und € 64 Milliarden Euro Verteidigungsbudget, und China mit 2,33 Millionen Soldaten und Aufwendungen von € 163 Milliarden haben ihre Verteidigungsausgaben im letzten Jahrzehnt erhöht und ihre militärische Kapazitäten verbessert (vgl. European Political Strategy Centre 2015: S. 3). Gleichzeitig sind, vor allem aufgrund der Wirtschaftsund Finanzkrise, die Verteidigungsausgaben der EU 28 in den letzten zehn Jahren zurückgegangen und erst wieder 2014 um 2,3% angestiegen (vgl. European Defence Agency 2016a: S. 3).
Die Mitgliedstaaten der EU weisen bei der Landesverteidigung ein Budget-, ein Effizienz- und ein Kostenproblem auf. Daher müssen wir die Zusammenarbeit und Interoperabilität zwischen den Heeren in Europa, insbesondere im Planungs- und Beschaffungswesen, vorantreiben.
So muss die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) ausgebaut und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden. Auch müssen die Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten der Kommission und der EVA klar geregelt sein. Denn obwohl nach Artikel 42 Abs. 3 EU-Vertrag „die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung“ tituliert wird, entspricht dies nicht ihren vollen Kompetenzen. So werden Beschaffungsentscheidungen weiterhin ausschließlich von Mitgliedsstaaten getroffen. Die EVA übernimmt zumeist nur komplettierende Aufgaben. Dabei sollte man weiterdenken: In Zukunft könnten einzelne Länder beim rein nationalen Ankauf von Rüstungsgegenständen auf die EVA zurückgreifen oder ihr das Vergabeverfahren als unabhängige Einrichtung zur Gänze übertragen. So würde Fällen wie dem Eurofighter Skandal vorgebeugt und eine unabhängige Entscheidung im Einklang der Interoperabilität der EU getroffen werden.
Österreich im Globalen Kontext