Nr. 2999
Genesis
Rückkehr zur Welt des Ewigen Lebens – die Zeit selbst versinkt im Chaos
Kai Hirdt
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Epilog I: Zu den Sternen
Epilog II: Zu den Sternen
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Spross der Gemeni
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.
Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße wütet der Weltenbrand, der alle intelligenten Lebewesen betrifft und zu einer Hypersensibilität führt, gegen die es kein Mittel gibt. Wird der Weltenbrand nicht gelöscht, dauert es nur Jahrzehnte, bis die Milchstraße unbewohnbar geworden sein wird.
Hervorgerufen wurde dieses Phänomen in erster Linie durch den skrupellosen Adam von Aures. Seine Pläne reichen weit, er will letztlich eine Evolution der Maschinen. Mittlerweile gibt es aber einen ersten Hoffnungsschimmer – mit der sogenannten Proto-Eiris ist wohl ein Mittel gefunden worden, das sich womöglich einsetzen lässt. Garantien gibt es aber keine.
Fest steht, dass diese Eiris nur wirken kann, wenn sie auf Wanderer selbst aktiviert wird. Doch die Kunstwelt befindet sich unter der Kontrolle Adams – und wenn ihn niemand aufhält, beginnt in Kürze die von ihm gesteuerte GENESIS ...
Perry Rhodan – Der Terraner sehnt eine friedliche Lösung herbei.
Homunk – Der Androide sehnt sich nach seinen Armen und Beinen.
Gucky – Der Ilt sehnt sich nach dem freien Gebrauch seiner Psi-Kräfte.
Atlan – Der Arkonide sehnt sich nach Rache für einen Betrug.
Assan-Assoul – Der Supermutant sehnt sich nach der Zukunft.
Adam von Aures – Der Maschinenengel sehnt die Genesis herbei.
Hier spricht Perry Rhodan. Ich wende mich an alle Mannschaftsmitglieder der RAS TSCHUBAI. Auch an die Besatzungen der Beiboote und die positronisch-biologischen Roboter, die uns jahrelang auf vielen heiklen Missionen unterstützt haben. Was ich zu sagen habe, betrifft jedes Lebewesen auf unserem Schiff.
Es wird sich herumgesprochen haben: Wir haben Wanderer eingeholt. Adam von Aures hat zwar die Kontrolle über die Kunstwelt übernehmen und mit ihr aus unserem Heimatsystem fliehen können. Aber dank unserer Piloten Lua Virtanen und Vogel Ziellos haben wir sie erfolgreich durch den Hyperraum verfolgt, gegen jede Wahrscheinlichkeit. Wanderer ist viertausend Lichtjahre oberhalb des Orionarms in den Normalraum zurückgekehrt, etwas mehr als zwölftausend Lichtjahre von unserer Heimat entfernt.
Die RAS TSCHUBAI steht derzeit in zehn Lichtsekunden Entfernung. Wir sind getarnt unter unserem Paros-Schattenschirm. Unser Gegner weiß also wahrscheinlich nicht, dass wir ihm folgen konnten. Bei dem bevorstehenden Vorstoß haben wir – hoffen wir zumindest – das Überraschungsmoment auf unsere Seite. Wir werden Adam überrumpeln. Wir werden die Proto-Eiris zur Maschinenstadt in Wanderers Zentrum bringen und so programmieren, dass sie den Weltenbrand löscht.
Leider müssen wir auf dem Weg zu diesem Ziel ein Hindernis überwinden, welches selbst ich nie zuvor gesehen habe. Das ist der Grund, weshalb ich mich auf diesem ungewöhnlichen Weg an die gesamte Besatzung wende.
Im Solsystem war Wanderer von sechsdimensionalen hyperenergetischen Feldern umgeben, die sich unseren beschränkten wissenschaftlichen Methoden größtenteils entzogen. Was wir mit Sicherheit sagen konnten, ist, dass die Felder sich nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit bewegt haben, unkontrolliert mal in Richtung Vergangenheit und dann wieder in Richtung Zukunft.
Schon da war der Durchflug durch die schmalen und kaum berechenbaren Passagen ein Risiko. Allerdings, das sage ich offen: Ich erwarte von der Mannschaft der RAS TSCHUBAI, dass sie diese Art Risiko auf sich nimmt, wenn die Situation es gebietet.
Ebenso offen sage ich: Bei dem, was uns nun bevorsteht, sehe ich das anders.
Nach Wanderers Flucht hat sich die Situation verändert, in einem kleinen, aber entscheidenden Detail. Die Energiefelder haben ihre Wirkung inzwischen auf den kompletten Raum ausgedehnt, den sie umschließen, und auf alles, was sich darin aufhält. Unsere wissenschaftliche Abteilung bezeichnet das Phänomen als chaotemporales Gezeitenfeld. Wanderer stürzt gewissermaßen in den Abgrund der Zeit, und unsere Aufgabe ist es, hinterherzuspringen.
Für das Schiff selbst ist das keine Gefahr. Zumindest keine größere als zuvor. Lua und Vogel haben bereits bewiesen, dass sie uns durch diese energetischen und temporalen Stromschnellen manövrieren können.
Dennoch ist dies kein Einsatz wie jeder andere.
Aus mehreren Gründen: Zum einen folgen Lua und Vogel einer Art Leitstrahl, den nur sie wahrnehmen können. Er zeigt ihnen den sicheren Weg Richtung Wanderer. Aber für den Rückweg gibt es keine solche Hilfe. Wenn wir das chaotemporale Gezeitenfeld erst einmal durchquert haben, wissen wir also nicht, ob wir jemals zurückkehren können.
Zum anderen: Selbst wenn wir einen Rückweg finden, wissen wir nicht, wann wir den normalen Raum erreichen. Vielleicht retten wir die Milchstraße und sind eine halbe Stunde nach unserem Aufbruch zurück. Ein solches Szenario ist nicht unmöglich.
Genauso denkbar ist es jedoch, dass wir in ferner Vergangenheit zurückkehren. Dieses Szenario muss uns wenig schrecken, so etwas ist unserem stolzen Schiff schon widerfahren. Wir wurden zwanzig Millionen Jahre weit ins Gestern geschleudert. Eine solche Zeitdistanz lässt sich im Dilatationsflug durchaus überbrücken. Alternativ können wir uns in den Suspensionsalkoven entstofflichen und eine beliebig lange Zeit unbewusst und körperlos im Winterschlaf verbringen. Falls es uns also in die Vergangenheit verschlägt, finden wir eine Lösung, um unsere Jetztzeit wieder zu erreichen.
Das Szenario, für das ich keine Lösung bieten kann, liegt in ferner Zukunft. Falls wir das Gezeitenfeld hundert, fünfhundert, tausend oder hunderttausend Jahre später verlassen, haben wir keine Möglichkeit, an den heutigen Tag oder auch nur in dieses Jahr zurückzukehren.
Jeder, der uns auf dieser Mission begleitet, muss deshalb wissen: Selbst wenn wir Erfolg haben und den Weltenbrand löschen können, kann es sein, dass er seine Heimat nicht wiedererkennt. Jedes Lebewesen, das euch etwas bedeutet, ist möglicherweise schon Jahrhunderte tot. Vielleicht verpassen wir Kriege und Revolutionen. Vielleicht wenden wir eine Katastrophe ab, nur damit während unserer Abwesenheit etwas anderes Dramatisches passiert, das das Gesicht der Milchstraße nachhaltig verändert.
Ich kann keine Garantie geben, dass die Welt, in die wir zurückkehren, auch nur im Ansatz der ähnelt, die wir in weniger als einer Stunde verlassen werden. Niemand an Bord hatte Gelegenheit, sich von seinen Nächsten zu verabschieden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr eure Familien niemals wiedersehen werdet, ist hoch. Selbst wenn wir Erfolg haben, liegt sie bei etwa fünfzig Prozent.
Niemand hat gewusst, dass eine solche Situation auf ihn zukommen würde, als er sich der Ligaflotte angeschlossen hat. Und ich werde niemanden zwingen, unter diesen Umständen in diesen Einsatz zu gehen.
Es steht somit jedem an Bord frei, die RAS TSCHUBAI zu verlassen und die Reise durch das chaotemporale Gezeitenfeld nicht mitzumachen. Die einzige Bedingung: Eure Entscheidung muss schnell fallen. Uns läuft die Zeit davon, wenn wir die Milchstraße retten wollen. Die RAS TSCHUBAI bricht in ... Moment ... siebenundfünfzig Minuten auf. Wer dann noch an Bord ist, ist dabei und bleibt dabei.
Wir stellen sämtliche Mittel bereit, damit diejenigen, die uns verlassen, sicher zu Erde zurückkehren können. Die RAS hat genug Beiboote, und wenn es nötig ist, stellen wir auch die MARS-Kreuzer zur Verfügung.
Einige Jahre vor meiner Geburt gab es ein berühmtes Schiffsunglück. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der gesunkene Ozeanriese von vornherein nicht genug Platz in den Rettungsbooten hatte, um auch nur die Hälfte der Passagiere zu evakuieren. Das ist hier und heute nicht der Fall. Wer gehen möchte, kann gehen.
Ich muss noch eine weitere Warnung loswerden: Es ist keineswegs gesagt, dass dieser vermeintlich einfachere Weg tatsächlich der Bessere ist. In der Milchstraße tobt der Weltenbrand. Jeder von uns hat die Wirkung erlebt, die das veränderte Strahlungsspektrum der Sonnen auf höhere Lebensformen hat. Die bis zum Äußersten überreizten Nerven, die jeden Laut, jede Berührung, jeden Lichtstrahl zur unerträglichen Qual machen.
Seid euch bewusst, dass das die Welt ist, in die ihr zurückkehrt. Mit Pech fristet ihr ein kurzes Leben in vollständiger Finsternis, bis ihr verhungert, weil die Geschmacksreize das Essen unmöglich machen, oder bis all unsere Völker aussterben, weil die zur Fortpflanzung notwendigen Berührungen unaushaltbar werden.
Vielleicht begleitet ihr den Untergang allen Lebens. Vielleicht müsst ihr in andere Galaxien fliehen, um diesem Schicksal zu entrinnen. Ihr werdet dort nicht mit offenen Armen empfangen werden. Ein Leben der Entbehrungen und Kämpfe kann vor euch liegen, und niemand vermag heute zu versprechen, dass es einen Deut besser wird als das, was wir nach der Rückkehr von Wanderer erleben werden.
Denn auch das ist Teil der Möglichkeiten: Selbst wenn unsere Mission Erfolg hat und wir die Proto-Eiris so programmieren können, dass sie den Weltenbrand löscht: Es gibt keine Garantie, dass ihr diesen Ausgang noch erleben werdet. Auch die heilende Eiris muss auf ihrem Weg zu den befallenen Sonnen das chaotemporale Gezeitenfeld durchqueren. Es weiß demnach niemand, wann sie die Milchstraße erreicht. Ein Teil vielleicht in ferner Vergangenheit. Zu früh, um eine Wirkung zu zeigen, weil es das Problem noch gar nicht gibt. Ein Teil wird ins Jetzt sickern – das ist wichtig, um zu verhindern, dass die Sonnen das Stadium erreichen, in dem eine Umkehr des Phänomens nicht mehr möglich ist.
Ein Teil aber wird erst in der Zukunft Wirkung zeigen.
Reicht jener Teil der Eiris, der zwischen dem Ausbruch des Weltenbrands vor vier Monaten und dem heutigen Datum zurückkehrt, aus, um das Phänomen schnell zu beenden? Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie viel Eiris dafür benötigt wird. Es kann durchaus sein, dass wir Erfolg haben – dass das furchtbare Hyperlicht aber trotzdem noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte weiterlodert, bevor sich Linderung einstellt.
Wer die RAS TSCHUBAI verlässt, geht also ebenfalls ein Risiko ein. Möglicherweise ein höheres als jene, die bleiben.
Ein Letztes: Wir haben keine Kenntnis, zu welchem Zeitpunkt unser Feind Wanderer erreicht hat. Vielleicht ist er genau die knapp zwei Tage dort, die seit seinem Durchbruch außerhalb des Gezeitenfeldes vergangen sind. Vielleicht ist er aber auch in die Vergangenheit gereist und hat genügend Zeit gehabt, sich auf einen Angriff vorzubereiten, wie wir ihn gerade planen. Im schlimmsten Fall ist es ihm gelungen, sich die immensen Machtmittel von Wanderer zu Diensten zu machen.
Mit Pech erwartet uns also erbitterter Widerstand. Wer dagegen ankämpft, um den Weltenbrand zu löschen, dient seiner Familie in jedem Fall. Ihr selbst müsst entscheiden, welches Opfer ihr bringen wollt.
Welchen Weg ihr für euch wählen mögt: Diese Entscheidung heute prägt euer Leben, vielleicht für Jahre, vielleicht für Jahrzehnte, vielleicht für immer.
Wählt weise.
Aber wählt schnell.
»Das, mein Freund«, meckerte Atlan, »war die wohl schlechteste Motivationsrede der Menschheitsgeschichte. Zumindest in den Jahrtausenden, die ich überblicke.« Übellaunig stützte der Arkonide das Kinn in die Handfläche. Sein Ellbogen ruhte auf dem Konferenztisch des Besprechungsraums, von dem aus Rhodan seine Ansprache ins ganze, riesige Schiff hatte übertragen lassen.
Perry Rhodan schüttelte den Kopf. »In all den Jahrtausenden, die du auf der Erde im Exil warst, sind dir ein paar wichtige Kleinigkeiten über uns Terraner entgangen. Natürlich, einige Mannschaftsmitglieder werden nach dieser Rede von Bord gehen. Viele sogar. Aber die, die bleiben, sind umso motivierter. Und genau die benötigen wir, um unser Ziel zu erreichen. Adam wird uns alles abverlangen. Deshalb brauchen wir eine Besatzung, die zu allem entschlossen ist.«
»Ich stimme Atlan zu.« Homunk sprach nur in normaler Lautstärke, aber ihm wurde sofort die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden zuteil. Mit Unbehagen erinnerte sich Rhodan daran, wie es gewesen war, diesen stets ruhigen, bedachten Androiden schreien zu hören. Das war ein Laut, den er nie wieder vernehmen wollte.
»Es ist unklar, was uns erwartet. Und unklug, auf Ressourcen zu verzichten.«
Es lag kein Vorwurf in der Stimme. Der Bote von ES stellte lediglich etwas fest.
Rhodan sah zu Homunk hinauf. Der Androide war ein Stück größer als er und eine entsprechend eindrucksvolle Erscheinung.
Der Effekt wurde jedoch dadurch zunichtegemacht, dass Ärmel und Beine leer waren. Adam von Aures hatte die Extremitäten des Kunstwesens gestohlen und in seinen eigenen, aus flexibel arrangierbaren Nanopartikeln aufgebauten Körper integriert. Als Ersatz steuerte Homunk nun mit Zugstrahlen und Antigravprojektionen die leeren Ärmel und Beine. Eine notdürftige Lösung, vollkommen bar der üblichen, beinahe übernatürlichen Eleganz des künstlichen Geschöpfs.
Rhodan widersprach. »Adam nutzt seit Jahren und mit erstaunlichem Erfolg menschliche Schwächen und Zweifel für seine Zwecke aus. Ich kann niemanden brauchen, der Zweifel im Herzen trägt. Dann gehe ich lieber mit weniger Leuten in den Einsatz. Zumal ich bezweifle, dass eine Materialschlacht über den Ausgang dieses Einsatzes entscheidet.«
»Die Ausstreuung der neu programmierten Eiris darf unter keinen Umständen scheitern.«
Angesichts dieser Binsenweisheit musste Rhodan kurz lachen. »Glaub mir, daran haben wir wahrscheinlich sogar noch mehr Interesse als du! Oder leidest du unter dem Weltenbrand?«
»Nein«, sagte Homunk. »Nein zu beidem.«
Rhodan wechselte einen kurzen Blick mit Atlan. Der Arkonide zuckte genauso ahnungslos die Achseln.
»Was meinst du damit?«, fragte Rhodan. »Wieso ist es für dich wichtiger als für uns, dass die Eiris verteilt wird?«
Doch Homunk schwieg wieder, wie so oft.
*
Zwanzig Minuten später schlenderte Rhodan durch die Gänge der RAS TSCHUBAI in Richtung der Medostation auf Hauptdeck 16, wenige Etagen oberhalb der Zentrale.
Auf den Gängen herrschte Betriebsamkeit. Viele Menschen bewegten sich in Richtung der Hangars, begleitet von Servorobotern, die ihre Habseligkeiten trugen. Erste Hochrechnungen lagen vor, und dem Anschein nach war seine Rede tatsächlich erfolgreicher gewesen, als er geahnt hatte. Von den 35.000 Terranern an Bord verließen rund 18.000 die RAS TSCHUBAI.
Bei den Posbis sah es zur Rhodans Überraschung deutlich ärger aus: Sie räumten das Schiff in Scharen. Nur ein Bruchteil der ursprünglich fast fünfzigtausend positronisch-biologischen Roboter wollte die Reise nach Wanderer mitmachen.
Wie Rhodan befürchtet hatte, hieß das, dass er tatsächlich zwei Kreuzer der MARS-Klasse entbehren musste, um allen Interessierten die Abreise zu ermöglichen. Der Großteil der Fliehenden würde mit der TANAKA SEIKO und der RALF MARTEN auf die Reise gehen.
Für die bevorstehende Aufgabe sah Rhodan darin kein Problem. Was er Homunk gesagt hatte, entsprach der Wahrheit: Er glaubte nicht, dass ein oder zwei Raumschiffe darüber entschieden, ob die Löschung des Weltenbrands gelingen würde.
Gerne ließ er die beiden großen Einheiten und die vielen Beiboote trotzdem nicht ziehen, da er nicht wusste, wo und wann die RAS TSCHUBAI aus diesem Abenteuer herauskommen würde. Aber diese Unsicherheit war kein ausreichender Grund, sein Wort zu brechen.
So konzentrierte er sich auf einen positiven Nebeneffekt: Die neun Ballone mit Proto-Eiris – die mittlerweile mehr schlecht als recht in einem Ring am oberen Pol der RAS TSCHUBAI befestigt waren – konnten nun in eine der frei werdenden Kreuzerdockmulden umgelagert werden. Diese Art des Transports hatte sich bewährt: Die Eiris hatte darin die ganze Distanz von der Kleingalaxis Cetus zur Milchstraße zurückgelegt, dann ihren Platz aber wieder an die BJO BREISKOLL abtreten müssen.
Beim Grübeln war er schneller gegangen, als er selbst bemerkt hatte. Verblüfft fand er sich vor dem Eingang der Medostation wieder. Anscheinend bin ich nicht ganz bei der Sache, dachte er. Vielleicht hätte ich ein wenig schlafen sollen.
Das war Unsinn, schalt er sich. Dank des Zellaktivatorchips in seiner linken Schulter konnte er notfalls tagelang ohne Ausfallerscheinungen durcharbeiten. Der abwegige Gedanke war eher den drückenden Sorgen zuzuschreiben, die er mit sich herumschleppte. Wer schlief, konnte ihnen zumindest kurzfristig entkommen.
Wer schläft, löscht aber keinen Weltenbrand, sagte sich Rhodan und trat ein.
Die Betten von Lua Virtanen und Vogel Ziellos befanden sich in der ersten Kabine auf der linken Seite. Dort erholten sich die beiden von den Strapazen der Jagd. Anderthalb Tage hatten sie Wanderer bis zu seiner aktuellen Position verfolgt. Dann waren sie noch in der Zentrale der RAS TSCHUBAI in sich zusammengesackt.
Diese Reaktion hatte gezeigt, wie sehr sie sich verausgabt hatten, schließlich hielten sie dank des Zellaktivators sehr viel länger durch als jeder Normalsterbliche. Lua Virtanen trug das Gerät in ihrer Schulter, das auf seltsame Weise auch auf Vogel Ziellos wirkte.
Zu Rhodans Überraschung war bei seinem Eintreten nicht nur die Unschläferin wach, sondern auch ihr Gefährte. Lua saß auf ihrem Bett, das lange blonde Haar mit der auffälligen metallisch-roten Strähne etwas zerzaust. Vogel Ziellos lag noch, hatte jedoch die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte die Decke an. Sein Schnabel klapperte leise einen beschwingten Rhythmus. Seine Haut hatte die Blässe verloren und wieder ihre normale, grünliche Farbe angenommen.
»Ich wollte euch gerade wecken«, sagte Rhodan. »Seid ihr wieder fit?«
»Keine Ahnung.« Lua strich das Haar mit beiden Händen hinter ihre Schultern. »Vielleicht der Zellaktivator. Hat das Stärkungsmittel wirken lassen und das Schlafmittel als Gift erkannt und neutralisiert.«
»Oder vielleicht haben die Mediker die Zusammenstellung der Wirkstoffe verhunzt«, schlug Vogel als Erklärung vor. »Wäre nicht das erste Mal.«
Das konnte Rhodan sich vorstellen. Sowohl Lua als auch Vogel waren nur teilweise menschlich, wurden nicht einmal als Terraner, sondern als Transterraner bezeichnet. Beide hatten ein sehr ungewöhnliches Genom.
Vogel sah man das sofort an. Lua hingegen hätte von der Erde stammen können. Aber beide waren auf dem Generationenschiff ATLANC gezeugt worden, zu einem späten Zeitpunkt einer Jahrhunderte währenden Reise. Um die Degeneration und das Aussterben der Mannschaft zu verhindern, hatte man den Genpool immer wieder mit dem Material fremder Völker aufgefrischt.
Vogel hatte nur zu einunddreißig Prozent menschliches Erbmaterial. Bei Lua lag der Anteil höher, aber auch sie fühlte sich nicht als Terranerin im eigentlichen Sinne. Deshalb hielt sie sich lieber im All auf als im Solsystem, wo ihr diese Fremdheit immer besonders deutlich bewusst wurde.
»Seid ihr denn wirklich fit?« Erinnerungen an seinen ersten Mondflug vor fast 3200 Jahren wurden in Rhodan wach. Man hatte ihm und seiner Mannschaft ein leichtes Schlafmittel namens Psychonarkotin verabreicht, damit sie frisch und ausgeruht auf ihre lange Reise gingen. Rhodan hatte es verabscheut, aber es hatte seinen Zweck gut erfüllt. Auch er benötigte nun wache Piloten.
»Gehen wir davon aus, okay?« Vogel sagte es mit so fester Stimme, dass Rhodans Zweifel abklangen. Er nickte.
»Dann zeigt mal, was ihr könnt«, sagte er. »In zwanzig Minuten geht es los.«
*
Tatsächlich erwiesen sich seine Sorgen als unbegründet. Lua steuerte das Schiff mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie in den letzten Tagen selten möglich gewesen war. Vogel neben ihr fungierte als ihr Sprachrohr, während sie sich konzentrierte.