Es bedarf der Zusammenschau aller Religionen, um Gott in der Vielfalt Seiner Spiegelungen zu ahnen. E.W. Eschmann
Copyright 2018. Wolfgang Bödefeld, Autor; Christiane Warnke, Herausgeberin
Verlag und Druck tredition GmbH, Hamburg
ISDN Taschenbuch 978-3-7469-0714-7
ISDN E-Book 978-3-7469-0716-1
ISDN Hardcover 978-3-7469-0715-4
Urheberrechtlich geschützt.
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Wolfgang Bödefeld war nahezu 30 Jahre mein Lebensgefährte.
Jahrzehntelang, bis zu seinem Tod, beschäftigte er sich mit Religionsphilosophie nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch, indem er selbst tiefe spirituelle Erfahrungen suchte und fand. Dieses Studium war ein fester Bestandteil seines Lebens.
Er teilte die Meinung von E.W. Eschmann, der schrieb:
„Es bedarf der Zusammenschau aller Religionen, um Gott in der Vielfalt seiner Spiegelungen zu ahnen.“
Damit meinte Wolfgang Bödefeld nicht nur, dass die Religionen in ihrer Essenz die gleiche Wahrheit enthalten, sondern dass jede von ihnen etwas Eigenes einbringt, und dass sich erst gemeinsam ein ganzes Bild ergibt, in dem man Gott in seiner Vielfalt erahnen kann.
Auch für ihn galt: Weltfrieden ist nur möglich durch Religionsfrieden.
Mit diesem vorliegenden Werk wollte er dazu einen Beitrag für Toleranz und Achtung der Religionen untereinander leisten; das ist nur möglich wenn man den jeweils anderen religiösen Blickwinkel kennt und versteht.
Das Buch will erarbeitet werden. Anfangs war es nicht leicht, mich mit dem anspruchsvollen Texten auseinanderzusetzen.
Aber je mehr ich sie erneut las, je mehr ich mich darin vertiefte, desto mehr erschloss sich mir deren Tiefe und Weisheit.
Das Werk hat mich bereichert und ich bin sehr dankbar dafür. Ich fand darin eine ganz neue Sicht auf die vielfältigen Schwerpunkte der jeweiligen Religionen, besonderes auch in den vertiefenden Meditationsübungen des Textes.
So entschloss ich mich zu einer Veröffentlichung. Dank an alle Freunde, die mich dabei unterstützten.
Möge das vorliegende Buch auch für den Leser eine Quelle der Inspiration und Bereicherung sein.
In Erinnerung an meinen Lebenspartner.
März 2018 | Christiane Warnke |
Unser Thema ist: „Die Weltreligionen und Meditationen.“
Re–ligio, das ist die „Rückbindung“ an die eigentliche Wahrheit unseres und allen Seins. Sie ist für uns von existentieller Bedeutung, denn sie bringt uns ein Erreichen dessen, was in Wahrheit unsere Existenz ist: Selbst–Realisierung.
Die Religionen stehen dafür, dass durch sie die Rückbindung möglich werden soll – entsprechend dem, was dort jeweils als die Wahrheit gesehen wird, ihrem Welt– und Menschenbild. In Hinweisen und Geboten bieten sie eine Wegbeschreibung, wie die Realisierung des Wahren erreicht werden kann, und hierzu dienen Praktiken, Meditationen und Gebet. – So ist das unser Thema: Die Weltreligionen in ihrem Welt– und Menschenbild – und ihre Meditationen, Gebete und Praktiken, ihre Essenz durch die eine Rückbindung erreicht werden soll.
Hierbei müssen wir jedoch unterscheiden zwischen Religion und Konfession: In den Religionen finden wir deren Urbild– Ideen und Praktiken, mit deren Hilfe die Re–ligio gelingen soll. – Jedoch ebenso haben sich ‚Institutionen‘ gebildet, und sie entwickeln eine eigene Dynamik mit eigenen Dogmen, Geboten und vielerlei Brauchtum und Folklore. Das wird dann oft als die ‚Religion‘ angesehen, dient aber oft nicht wirklich der Rückbindung zu dem Wahren um zur Essenz zu kommen. Dies ist der institutionalisierte gemeinsame Glaube, die Konfession. Sie prägt dann die gesellschaftliche Wirklichkeit der Glaubensgemeinschaft – und sie ist oft auch verantwortlich für vielerlei Probleme, Intoleranz und Kampf gegeneinander, wenn sie dogmatisch wird.
– Demgegenüber geht es uns hier allein um die Re–ligio. Weltbild und Wegbeschreibung der Religionen können häufig Theorie sein. Unsere wahre Religion ist das, was wir tatsächlich praktizieren als unsere gelebte Wirklichkeit. Das ist unsere gelebte Religion – und sie entscheidet darüber, ob wir zu einer Religio, zu dem Wahren, zu ihrer Tiefe finden. – So hat jeder Mensch eine eigene Vorstellung davon, was ihm als die eigentliche Realität der Welt und seines Lebens gilt. Diese Vorstellung ist prägend für seine Lebenspraxis, und umgekehrt bildet sich die Vorstellung auch an dem, was jeweils individuelle und gesellschaftliche Wirklichkeit ist. – Für diese von uns gelebte Religion muss die Frage gestellt werden, ob sie der Suche nach dem Wahren dienen kann.
Wenn jeder Mensch seine eigene, gelebte Religion hat, und die großen Religionen dafür lediglich einen Rahmen liefern, sind nicht dann generell alle Religionen lediglich ‚subjektiv‘ – Glaubens-gestalten der einzelnen Menschen, und oftmals nur eine Projektion ihrer Wunschbilder oder Rechtfertigung für ihre Lebenspraxis? Eine allgemeine Wahrheit gäbe es dann nicht, sondern nur individuelle Glaubenskonstrukte. – Aber unbestreitbar gibt es nur eine einzige, allem gemeinsame Gesamt – Realität: alles Sein, Bewusstsein und Leben, alle geistigen Intentionen, Konstellationen und Hierarchien – und ebenso alles, dem kein Sein zukommen mag, das aber trotzdem eine Realität darstellt, und ebenso eine Thematik dieses Gesamten, was Gott genannt werden mag. Dies Gesamte ist der Wahre, der allem gemeinsame Grund. Das ist der Maßstab, und die Frage der ‚Wahrheit‘ ist, im Erkennen dies zu Ausdruck, zu ‚Wort‘ zu bringen, zu realisieren – mehr oder weniger. Es gibt also eine, allen gemeinsame Wahrheit, und sie misst sich an dem Wahren; und die Ganze Wahrheit ist, das Thema dieser Gesamtheit im Erkennen und im gelebten Leben zum Ausdruck zu bringen. Aus dem leitet sich ab, was für das einzelne Individuum jeweils angesagt ist. – Die Religionen und die Menschen sind auf der Suche nach dieser Ganzen Wahrheit – und was daraus sich im Einzelnen ableitet. Ihre subjektive Suche mag über viele Irrtümer gehen, hingegen die Wahrheit ist nicht subjektiv. Es hat nicht jeder eine eigene Wahrheit, sondern diese misst sich allein an dem Wahren.
Die Frage von Re–ligio, Rückbindung ist also: Was ist die von uns konkret gelebte Religion – angesichts dessen, was die wahre Wirklichkeit ist. Dies führt zu der Frage: Was ist denn die wahre Wirklichkeit? Was ist die wahre Realität des Seins, und was der Kern unseres Mensch – Seins, worum geht es im Leben? Geht es überhaupt um etwas, oder sind wir einfach nur da, und es gilt, das uns bekannte Leben zu meistern – und das wäre dann unsere Religio zu der wahren Realität?
Oder ist da doch ein Ganz Anderes?
Das Evangelium gibt uns eine Wegbeschreibung:
„Das aber ist das ewige Leben, Dich erkennen, den allein wahren Gott und den Du gesandt hast.“Joh 17,3 – Das sagt implizit: Das eigentliche Wesen unseres Menschseins ist “Gott erkennen“ und dies als Status eines „ewigen Lebens.” – Wenn wir bei unserer Frage nach dem Wahren also dem Evangelium folgen, dann ist Religio für uns der Auftrag, unser Leben als ein „Gott –Erkennen“ zu verstehen. Die Erleuchtung eines ‚Ganz Anderen‘ als die Realität unseres Lebens wäre das und würde eine ganz andere Lebenspraxis von uns fordern und eine vollkommen andere Werte–Hierarchie und Organisation der Gesellschaft. Unendlich fern von der Realität unseres tatsächlichen Lebens erscheint uns dies, und weit abgehoben in ein jenseits dessen, was wir als Menschen überhaupt erreichen können. Oder?:
„Die Übungen, die wir hier machen, führen unmittelbar zur Erleuchtung“ – bedeutet dieser Satz eines Sufi– Meisters: Die Konstellation und das Leben eines Ganz– Anderen ist bereits da, lediglich wir realisieren dies nicht – und damit ist dies für uns auch nicht vorhanden. Und es gälte, das was unser Sein und Leben bereits ist, in seiner wahren Bedeutung zu realisieren – ein “Weg der unmittelbaren Realisierung“? – Hierzu finden wir bei dem indischen Philosophen Aurobindo:
„Setz dich hin und meditiere“, sagte er, „aber denke nicht, schau deinen Geist nur an. Du wirst sehen, dass Gedanken in denselben hineintreten. Ehe sie eintreten können, wirf sie von deinem Geist zurück, bis er völliger Stille fähig wird.“ Ich hatte nie zuvor davon gehört, dass Gedanken sichtbar von außen in den Geist eintreten, aber ich setzte mich einfach nur hin und tat es. In einem Augenblick wurde mein Geist stille, wie die windlose Luft auf dem hohen Gipfel eines Berges, und dann sah ich einen Gedanken, dann einen anderen in konkreter Weise von aussen kommen. Ich warf sie zurück, ehe sie eintreten konnten, und in drei Tagen war ich frei. – Von dem Augenblick an wurde das mentale Wesen in mir eine im Prinzip freie Intelligenz, ein universaler Geist, nicht mehr begrenzt in dem begrenzten Zirkel persönlichen Denkens… ein Empfänger von Wissen aus den hundert Reichen des Seins. – Das Nirvana zu erreichen, das war also das erste radikale Ergebnis meines eigenen Yoga. Da war nur absolut Das – eigenschaftslos, beziehungslos, völlig unbeschreiblich, undenkbar, absolut, gleichwohl zuhöchst real und allein real. Man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass auch unter solchen Umständen die Möglichkeit, aktiv zu sein, besteht. In diesem Zustand der Leerheit führte ich die Geschäfte einer Tageszeitung und hielt im Laufe von drei vier Tagen ein Dutzend Reden. Ich lebte in jenem Nirvana Tag und Nacht, ehe es andere Dinge in sich aufzunehmen begann, sich überhaupt modifizierte... bis es schließlich in ein größeres Überbewusstsein von oben her aufgenommen wurde.“-
Dem entnehmen wir: Für Aurobindo zeigte sich in der konkreten Erfahrung ein Ganz– Anderes, Nirvana, Tag und Nacht unbegrenzte Weite und Wachheit, die tiefere und eigentliche Wahrheit seines Lebens. Dies war seiner ‚unmittelbaren Realisierung’ zugänglich, aber erst durch seine Realisierung war dies für ihn aktuell vorhanden.
– Das bedeutet auch: Als eine menschliche Erfahrung ist dies allen Menschen zugänglich!
Aber es war dies nicht das „gewöhnliche Leben“, sondern Aurobindo:
„Aller Yoga ist seiner Natur nach eine neue Geburt. Er ist die Geburt aus dem gewöhnlichen Leben in ein höheres, spirituelles Bewusstsein, und in ein größeres und göttliches Sein. Eine so große Wandlung, wie der Yoga sie plant, wird durch keinen geteilten Willen zustande gebracht. Wer das Göttliche sucht, muss sich Gott weihen und Gott allein. Das Geheimnis des Erfolges liegt im Yoga darin, dass man ihn nicht nur als eines unter den im Leben zu verfolgenden Zielen ansieht, sondern als das ganze Leben.“
Es ist also das Ganz Andere, das höhere, spirituelle Bewusstsein in uns bereits präsent, aber es bedarf einer konzentrierten Rückverbindung zu dem, was wir bereits sind. Weiterhin hören wir von Aurobindo, dass „Nirvana nur der erste Schritt war – und sich modifizierte, bis es in ein größeres Überbewusstsein aufgenommen wurde… Das Nirvana zu erreichen war das erste radikale Ergebnis. Das Nirvana hat sich meinem befreiten Bewusstsein als der Anfang meiner Realisierung erwiesen, als erster Schritt in Richtung auf das Vollkommene, und dann wuchs es in etwas hinein, das größer als sein Anfang war. Es wich der Aspekt einer illusorischen Welt einem anderen mit einer immensen göttlichen Realität dahinter und einer höchsten Göttlichen Realität darüber und einer intensiven Göttlichen Realität im Herzen eines jeden Dinges, ein ständiges Ereignen in der zeitlosen Ewigkeit Gottes.“ – Und es geht sogar noch weiter, Aurobindo sah mehr und mehr seine Aufgabe darin, sein erleuchtetes Bewusstsein auch bis in jede seiner Zellen hineinzutragen.
Dieser gesamte Bereich war für Aurobindo die Religio an ein Ganz Anderes als die tiefere Wahrheit seines Lebens. – Nun stellt sich die Frage, ist dies dasselbe wie jenes, was das Evangelium von uns fordert? Sind überhaupt die Religionen im Kern alle gleich und lediglich in ihrer historischen Ausprägung unterschiedlich? – Dies ist eine populäre These. Unsere These ist: Die Religionen stellen jeweils unterschiedliche Aspekte jenes ‚Ganz Anderen’ in den Vordergrund und bauen darin erst alle zusammen an der Ganzen Wahrheit.
Die Religionen stellen unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund, sie erscheinen uns zunächst als Gegensätze – aber gleichzeitig können wir sehen, wie sie sich ergänzen zu einem Gemeinsamen Ganzen. So etwa finden wir:
• die All– EINHEIT GOTTES – und die Vielgestaltigkeit der tatsächlichen Realität,
• die Einheit von GOTT und Welt – und deren radikale Unterschiedlichkeit,
• eine All– Realität des Materiellen – und ebenso des Geistigen,
• und den Unterschied von Geist und Materie,
• eine Einheit von Transzendenz und Immanenz – und deren Anderssein,
• eine Personenhaftigkeit GOTTES – und ein Unpersönliches ES,
• die Geburt Gottes in unser aller Menschsein – und die Geburt Gottes in der historischen Person.
In all dem kann man eine eigene Realität sehen, und diese wird von den Religionen unterschiedlich hervorgehoben, unterschiedliche ‚Weltbilder’ ergeben sich so – aber erst alle zusammen zeigen die Gesamtheit der Realität. Ein Bild hierzu zeigt Blinde, die an den Teilen eines Elefanten (Rüssel, Schwanz, Ohr etc) dessen Aussehen ertasten sollen. Unterschiedliche Wahrnehmungen entstehen, sie sind alle richtig, aber nur als Teil. – Mit Blick allein auf die eigene Tradition wird man deshalb die Ganze Wahrheit nur schwer ergründen können. Leichter wird es, wenn man die Gestalt des Ganzen betrachtet, dann wird man dies vielleicht auch in den Tiefen der eigenen Religion schauen. –
So ist die Forderung: die Globalisierung der Religion – das Bauwerk des Gemeinsamen Ganzen aller Religionen, das „Haus Gottes“, den „Universel“ (nach Hazrat Inayat Khan). Hierzu wollen wir einen Beitrag leisten, wir werden die Urbild– Ideen der einzelnen Religionen zur Darstellung bringen – und so das gemeinsame Bauwerk sichtbar werden lassen. – Wir wollen zunächst einen Überblick gewinnen – einige Stichpunkte, was der Leser in den einzelnen Traditionen erwarten kann:
Das Mantra, Nama– Inhalt und Rupa– Klang – eine geistige Sinnbotschaft (Nama) kann auch als äußere Klangwirkung (Rupa) zur Anwendung gebracht werden. Dies wird in allen Konfessionen praktiziert, wir wollen deshalb dies in einem separaten Kapitel vorab betrachten.
Ur– und Natur– Religionen – hatten noch einen unmittelbaren Zugang zu dem Ganz Anderen, dem Geist– Wesen der Welt. Für uns Heutige ergibt sich die Aufgabe, durch ‚Naturmeditation’ diesen Zugang wieder neu zu eröffnen.
Veda– Hinduismus – Veda ist „Wissen“, und die Traditionen des Veda und Vedanta suchen auch auf der Basis eines Erkennens die Realisierung zu erreichen. – Es gilt zu erkennen: Der Unoffenbare „EINE ohne ein Zweites“ ist die eigentliche Wahrheit der Vielen. Die Meditation sucht IHN, und ER ist ICH. – Und: ER ist in Seinem Göttlichen Selbst in der Welt geboren als unser Selbst. Die Meditation sucht unsere Anteilnahme an dem Göttlichen Selbst zu realisieren.
Der Buddhismus – führt uns dahin, durch Erkennen und Vermeiden einer irrigen Identifikation frei zu werden von Leid.
Kabbala – die esoterische Tradition des Alten Testaments zeigt uns die Theorie vom „Rückzug Gottes“ aus Seiner Schöpfung zugunsten einer eigenständigen Schöpfung und freiem Menschsein. Die „praktische Kabbala“ führt uns dahin, religiöse Theorie als Magie zur Anwendung bringen zu können.
Esoterisches Christentum – hier realisieren wir: „Nicht ich, der Christus in mir“ – die Geburt des Christus in unser aller ‚Ich– bin’, und die Geburt Christi in der historischen Person Jesu.
Islam – und Sufismus, die esoterische Tradition des Islam. Sie lehrt uns die „Stufen des Erwachens“ – ein Zusammenhang höherer Bewusstseinsstufen, die wir auch in anderen Traditionen finden.
In den Weiblichen Mysterien – nimmt unsere Darstellung selber die Form eines Mythos an – als ein Zusammenhang von Aussagen aus allen Religionen.
Wir werden diese Themen der Religionen darstellen – und wie sie diese in ihren Meditationen und Praktiken realisieren. Dabei werden wir sie auch in ein Religionsgespräch miteinander bringen.
In unserer Darstellung der Weltreligionen und ihrer Meditationen gehen wir auch selber einen „Weg der unmittelbaren Realisierung.” Das bedeutet: Es gibt viele geistige Konstellationen, die unser Sein bilden, die uns aber nicht bewusst sind, und so sind sie für uns auch nicht vorhanden. Wenn wir sie jedoch erkennen, können wir sie realisieren und damit aktualisieren.
Wir sahen bei Aurobindo: In ihm – und in uns allen – existiert eine Ebene der vollkommenen transzendente Stille. Sie ist der Erkenner in uns, und ihr werden wie von außen unsere Gedanken zugeführt. Diese Erkenntnis wurde ihm vermittelt mit dem Auftrag, sie zu realisieren und in dem Moment aktualisierte sich das für ihn.
Wir beschreiben diese geistigen Zusammenhänge, und aufgrund eines Erkennens können wir dann das, was unser Sein bereits ist, in einer nachfolgenden Meditation auch realisieren. Dies kann jeder Leser nur für sich selber leisten. Es hat aber auch allein schon die intellektuelle Kenntnisnahme einen Wert als stille Erweckungskraft. Die theoretische Erkenntnis ändert bereits etwas in der materiellen Struktur unseres Gehirns, so dass es uns befähigt, dies auch zu realisieren.
In den Religionen finden wir zwei grundsätzlich verschiedene Arten von religiösen Praktiken. Die eine richtet sich auf ein Erfassen des jeweiligen Sinngehalts einer religiösen Idee – und dieselbe kann ebenso praktiziert werden als äußere Formgestalt. – In allen Traditionen finden wir beides. Wir möchten jedoch die geistigen Urbild–Ideen darstellen, und wie diese realisiert werden für das geistige Erwachen. Deshalb wollen wir das Thema der Praktizierung einer äußeren Formgestalt hier vorab betrachten, wie sie wirkt und welchen Wert dies für uns hat. Im Anschluss daran gilt unser gesamtes Interesse dann dem geistigen Erwachen, den Sinnbotschaften.
Alles in der Schöpfung ist immer gleichzeitig beides: eine geistige Sinn– Botschaft (Nama). Dieselbe ist von außen betrachtet eine Form (Rupa). Das was innerlich ein Bewusst–Sein ist, wird von außen gesehen als eine äußere Gestalt. – Das gilt für alles. Dies gilt für Geschehen des Bewusstseins, so sind etwa auch unsere Gedanken von außen ansehbar als ein ‚Gegenstand‘. Und was wir als Gegenstand ansehen, etwa Gold, ist sich selber ein Bewusst–Sein, das uns von außen als Gegenstand, als Gold entgegensteht. So finden wir bei allem – allen Gegenständen und allen Geschehen des Bewusstseins – jeweils beide Aspekte, die innere Nama– Sinnbotschaft und deren äußere Rupa– Formgestalt.
Die Religionen bringen ihre Botschaft mittels kultischer Gegenstände und mittels Wort und Sprache zum Ausdruck. Und auch bei der Sprache finden wir die beiden Aspekte: einerseits Darstellungen eines geistigen Sinngehalts und ebenso Praktiken, die eine Sinnbotschaft lediglich in deren äußerer Formgestalt, dem Wort– Klang zur Anwendung bringen. So kann ein Sinngehalt, ein Gebet oder eine Meditation gegeben sein und wir nehmen die Sinnbotschaft auf. Dieselbe Botschaft kann jedoch auch in ihrer reinen Rupa– Form, deren Wort– Klang, zur Anwendung kommen. Dies geschieht, wenn wir die Botschaft etwa in einer Sprache auf uns wirken lassen, die wir gar nicht verstehen, etwa die lateinische Messe, oder ein ‚Mantra’ in der Sanskritsprache. Aber es hat die Praktizierung dieser äußeren Form eine äußere Wirkung auf Körper und Psyche.
Umgekehrt kann auch ein ‚Ritus’, der äußere Gegenstände in Gebrauch nimmt – Altar, Kelch, Leuchter, Weihrauch, Mandalabilder – uns zur geistigen Sinnbotschaft werden. Oder aber die Botschaft des Ritus bleibt uns verborgen, aber das Geschehen hat eine Wirkung auf Körper und Psyche.
Wir wollen diese äußere Wirkung betrachten, die durch den Klang solcher Mantren oder Gebete in einer fremden Sprache an uns herangetragen wird, und richten uns dabei als Beispiel auf die Praxis einer Mantrameditation, auf eines uns nicht bekannten Sanskrit– Mantras. Was bringt uns dies ?
Unser Wunsch ist es, unser leibliches und psychisches Wohlergehen zu verbessern, und hierzu finden wir zu einer‚ Mantra– Meditation’ mittels eines Wort– Klangs – ‚Mantra’ heißt übersetzt „Fahrzeug des Denkens.” Dies ist ein jegliches Wort, das immer aus den zwei Aspekten besteht, der Sinnbotschaft und dem Wort– Klang, der als „Fahrzeug“ der Sinnbotschaft dient. – In einer Klang– Mantra– Meditation wird uns kein geistiger Inhalt, sondern der Klang eines uns unbekannten Sanskrit– Wortes gesagt, das Mantra. Und es ergeht die Anweisung, wie eine solche Meditation zu praktizieren sei als eine Meditations–Technik:
Zweimal am Tag ein kurzer Rückzug, vielleicht eine viertel Stunde, bequem sitzen, die Augen schließen und das Mantra denken. Nur den Klang aufnehmen. Keine Konzentration. Auch kein Versuch, keine Gedanken zu haben; sondern Gedanken kommen, wir vergessen das Mantra, sind in Gedanken versunken, dann aber erinnern wir uns und nehmen das Mantra wieder auf. Nach Ablauf der Zeit hören wir auf, das Mantra zu denken und öffnen nach einer Übergangszeit die Augen.
Soweit die Beschreibung einer Mantra–Meditation. Der Effekt ist, wir kommen tatsächlich in eine tiefe Ruhe.
In der Tiefendimension werden dort ,Verspannungen’ gelöst, „Stresslösung“ geschieht, das bedeutet: Die Struktur von Leib und Psyche war von ihrem ursprünglichen Grundmuster abgewichen, und diese ‚Verspannungen’ werden nun der Reihe nach gelöst. Über viele Jahre hin geht das, Resultat ist tatsächlich mehr Gesundheit und ein psychisches Verhalten, das sich an der Sonnenseite des Lebens orientiert. Das sind Resultate in Leib und Seele, die unbestreitbar sind. Die Meditation „bringt uns etwas“ und viele Menschen erfreuen sich solcher positiver Erfahrungen.
Es ist dies jedoch (nur) der äußere Klang einer geistigen Sinn–Botschaft. Wir lassen nicht den Inhalt in uns zu Wort kommen, sondern lediglich den äußeren Klang, und erhalten eine äußere Wirkung, wie etwa durch ein uns unbekanntes Medikament. Das geht über Jahre mit großem Gewinn, das geht jedoch nicht unbegrenzt. Die Fortschritte durch die Meditation vermindern sich, und es kann das Praktizieren einer solchen Sinn– entleerten Klang– Meditation sogar kontra– produktiv werden.
Jedoch es drängt die Evolution – und das Göttliche – dahin, auch zu Bewusst–Sein zu werden. Wir begeben uns auf einen ‚Weg’, um das, was wir in unserem Sein bereits berühren, auch zu Bewusst–Sein werden zu lassen. In diesem Stadium sollte unsere Mantra– Praxis über sich hinausweisen und uns ‚Weg hin zum Weg’ werden. Die äußere‚ Technik’ sollte mehr und mehr ersetzt werden durch einen Bewusstseinsprozess. Der äußere Klang einer Botschaft sollte in uns eine Sehnsucht wecken nach einem Herz und Geist erfüllenden Weg des Bewusst– Seins. Es sollte ein Suchen beginnen, die leere Technik zu ersetzen durch einen Sinngehalt, der uns Erfüllung bringen kann. Geschieht dies nicht, dann bleiben wir bei jenen, die lediglich „plappern wie die Heiden.” Der Weg hin zu einem mit Sinn erfüllten geistigen Erwachen ist der hinzugehörige zweite Teil einer reinen Klang– Meditation.
Wir wollen deshalb die einzelnen Wirkungen solcher Klang–Mantren genauer betrachten – und dann das‚ Mehr‘ sehen, wenn darüber hinaus auch deren Sinnbotschaft in uns lebendig wird.
Wir sahen bisher, wie alles zunächst eine Sinnbotschaft (Nama) ist, die uns von außen gesehen als Seinsgestalt (Rupa) gegenübersteht. Aber diese Seinsgestalt ist noch nicht das Bewusst–Sein dessen, was sie als Sein darstellt. Etwa Gold, dies ist zunächst in sich selber eine Sinnbotschaft, die uns als Gold gegen – übersteht. Aber es ist noch nicht das Bewusst-Sein dessen, was es in seinem Sein als Gold ist. – Dies wollen wir auf unser Menschsein zur Anwendung bringen:
Die Seinsgestalt des Menschen ist es, ‚Ebenbild Gottes‘ zu sein. Das ist unser Sein, aber wir sind dies noch nicht als Bewusst–Sein. – Ebenbild Gottes, das bedeutet: Wir sind als unsere menschliche Existenz das Bewusst-Sein dessen, was ER als der Unoffenbare ist.
Als unser gesamtes Menschsein sind wir dies: Körper, Fühlen, Denken, Wollen, Ich. Wir sind das Bewusst-Sein des vorab Unoffenbaren Gottes, das ist unser Sein. Das ist unsere Ur– Struktur, aber wir realisieren dies nicht. Wir sind nicht das Bewusst-Sein dessen, was wir in unserem Sein bereits sind. Das ist unser Status als Mensch.
Das Mantra in seiner Sinn–Botschaft (Nama) soll ebenfalls ein Göttliches zu Sprache bringen, und es geschieht dies vermittels eines äußeren Wort–Klangs (Rupa). Der Klang dient als „Fahrzeug“, den Göttlichen Sinn zu Ausdruck, zu Bewusst–Sein zu bringen.
Die Seins–Gestalt des Menschen und das Klang–Mantra sind so Träger der gleichen Botschaft des 'Göttlichen'. Wenn nun der Klang des Mantra in der Seins– Gestalt des Menschen zum Klingen gebracht wird, dann treten die beiden in Resonanz miteinander. Es wird der Aspekt des Eigentlich– Göttlichen in uns zum Klingen gebracht, er wird angeregt und belebt und tritt mehr in den Vordergrund. Wir beginnen in allem mehr solche Verhalten zu leben, die einem Bewusst–Sein des Göttlichen entsprechen würden. Wir sind mehr das Wertschätzen von Harmonie und Schönheit, aber wir realisieren noch nicht, dass wir damit das Bewusst–Sein des Göttlichen von all dem sind. Wir sind noch nicht das Bewusst– Sein des Göttlichen, und ohne dies ist das Wesentliche nicht erreicht. Wenn hingegen über die bloße Klangwirkung hinaus auch die Sinnbotschaft in uns lebendig ist, dann erreichen wir mehr als nur die Resonanz in unserer Seins– Gestalt, dann realisieren wir in allem Schönen und Harmonischen die Anwesenheit des Gottes selber.
Der Unoffenbare GOTT gelangt zu Manifestation als die offenbare Existenz des Kosmos. Auf der subtilsten Ebene der Manifestation ist ER ein Bewusst-Sein als der Unoffenbare. ER ist ein Bewusst-Sein als ICH und Erkenner und ein Bewusst-Sein von Sich als Gegen–Stand. Und dies Bewusst-Sein des Gottes als Gegenstandsein ist der „groundstate of mind and matter.” Dies Bewusst-Sein des Gottes auf der subtilsten Ebene der Manifestation bildet die Grundstruktur für unsere psychische und physische Individualität.
Durch die Klang– Meditation kommt es dazu, dass wir unserem Tagesbewusstsein entsinken und ‚transzendieren’ in Tiefen der Stille – in Geist und Körper. Dort steht das Bewusst-Sein des Göttlichen im Vordergrund und bildet die Grund– Struktur unserer Individualität. Wir gelangen dort zuerst in Berührung mit dem objekthaften ‚Groundstate‘ – und darin mit der Struktur unseres körperlichen Daseins. – Nach der Berührung mit dieser Grund– Struktur tauchen wir mit dieser Einprägung wieder auf und kommen in Kontakt mit unserer derzeitigen Struktur – die meist deformiert ist.
Die Folge ist, dass diese 'Verspannungen' sich sukzessiv lösen und wir uns in unserer täglichen Verfassung der Grundstruktur unseres Eigentlich– Göttlichen nähern. Wir sind die Struktur des Göttlichen jedoch noch nicht mit unserem Bewusst–Sein, sondern bringen dies immer wieder zu Fall durch unsere irrige Identifikation als ‚Person’. Wenn wir hingegen mit der Sinnbotschaft des Mantra das Göttliche Selber als die wahre Identität unseres Daseins zu Bewusst–Sein rufen, dann erhält sich auch dessen Grundstruktur in uns.
Wenn wir entsunken sind auf die Ebene des ‚Groundstate‘, finden wir zunächst die Struktur für unser objekthaftes Dasein. Wenn wir noch tiefer aller Objekt– haftigkeit entsinken, gelangen wir in Kontakt mit unserem reinen Subjektsein, wir als Ich und Erkenner. Wir sind immer Ich und Erkenner, aber wir sind mit unserer Aufmerksamkeit dem entäußert in unsere Objekte, und in dieser Meditation sind wir nun allein unser Subjektsein. Dort ist nichts, dessen wir uns bewusst sind, reines Subjektsein, reine Selbstgewissheit, ohne Eigenschaften.
Wenn wir so mittels des Klang–Mantra auf die Ebene reinen Subjektseins entsunken sind, dann werden wir jedoch im nächsten Moment wieder gezogen in die Entäußerung in unsere Objekte, das ist der Drang der Natur. Hingegen, wenn wir mit der Sinnbotschaft des Mantra uns erheben zu dem Göttlichen als der Identität unseres Subjektseins, dann erhält sich dieser Status, wir sind dies mit unserem Bewusst– Sein. – Blicken wir zurück zu Aurobindo:
In einem bewussten Akt hatte er sich erhoben zu einem Bewusstsein reinen Subjektseins, Nirvana – und konnte dies halten, und nach drei Tagen hatte er dies für immer präsent.
Wenn wir entsunken sind auf die Ebene reiner Subjekthaftigkeit, dann ist dies die Ebene, in der die Kategorien, Archetypen und Urbilder des Göttlichen in uns ihr Bewusst–Sein haben. Es sind dies die Archetypen des Schönen, Gerechten, Harmonischen, Göttlichen. Aus ihrem, präcognitiven Wissen‘ erkennen wir dann draußen Schönes und Gerechtes. Sie sind immer der Erkenner in uns, aber wir sind mit unserer bewussten Aufmerksamkeit ihnen entäußert und dadurch sind wir auch ihnen als unmittelbarem Erkenner entäußert; nur noch in verfremdeter Gestalt sind sie Erkenner in uns.
Wenn wir nun mittels des Klang– Mantra auf die Ebene Urbilder in uns entsunken sind, dann werden diese in uns belebt, und ihre Strahlkraft gewinnt wieder mehr Einfluss. Aus den in uns belebten Urbildern werden wir dann mehr und mehr auch draußen zu einem Erleben von Harmonie und Schönheit gelangen. Aber, wir sind nicht mit unserer bewussten Aufmerksamkeit die Urbilder, und so gelangen wir auch nicht zur Realisierung des Göttlichen in deren Manifestation. Es ist in uns lediglich ein Fühlen von Harmonie und Stimmigkeit in unserem personalen Bewusstsein. – Wenn wir hingegen die Sinnbotschaft der Mantren als Namen Gottes zu Leben bringen, dann kann es gelingen, dass sich die Reichweite unseres personalen Bewusstseins ausweitet in die Sphäre der göttlichen Urbilder selber. Unser Erkennen sieht dann drinnen und draußen das Ereignen dieses Göttlichen. – Und auch hier sahen wir bei Aurobindo, dass aus seinem Bewusst-Sein reinen Subjektseins seine „Realisierung dann in etwas hineinwuchs, das größer war, eine Göttliche Realität im Herzen eines jeden Dings.”
Der Unoffenbare GOTT ist die eigentliche Wahrheit der offenbaren Existenz. ER als der Unoffenbare ist dies Alles. ER ist die gesamte Existenz. Als Unoffenbarer ist ER dies, das bedeutet: Als ‚Nicht–Existierender‘ ist ER die Existenz des Alls, das ist die Bedeutung Seines Status als Unoffenbarer. Als Menschen sind wir das Bewusst–Sein dieses Unoffenbaren GOTTES, das Bewusst–Sein Seines Unoffenbaren Allseins, als Mikrokosmos dessen, was ER als der Makrokosmos ist.
Für uns bedeutet dies: In nicht existierender, ‚nicht entfalteter‘ Weise hat das Alles in uns ein Bewusst–Sein. Aber in der Weise hat dies tatsächlich ein Bewusst–Sein in uns, und wir können daraus jegliches, was im Kosmos ein Sein hat, in uns zu Bewusst–Sein rufen, es ‚erinnern‘.
In unserer Klangmeditation entsinken wir in Tiefen, in denen wir Kontakt haben mit dem Bewusst–Sein dieses Unoffenbaren GOTTES. Wenn wir so diesen Bereich in uns beleben, dann führt dies in der Lebenspraxis dahin, dass wir zu allen Geschehen, Personen, Ereignissen etc. eine gewisse Nähe erfahren; irgendwie wissen wir dies bereits, und nun kommt es uns aus der Welt her entgegen. Jedoch nur ein Gefühl von „das kennen wir doch“ ist in uns. Wenn wir hingegen mit unserem Bewusst–Sein auf diesen Bereich der Stille, des Unoffenbaren Alles, uns richten, dann können wir durch den Fokus auf eine einzelne Frage, ein Jegliches, das in dem Alles ein Sein hat, zu einzelnem Bewusst–Sein rufen.
Wenn wir mittels des Klang–Mantra entsunken sind auf die Ebene von Subjektivität, Göttlichen Urbildern und Bewusst–Sein des Alles, so bedeutet dies für uns so etwas wie eine Erweckungskraft. Wir beleben in uns diese Bereiche, und sie treten deutlicher hervor in unserer Erfahrung. Aus dem ergibt sich, dass wir auch in unserem Tagesbewusstsein sensibel und empfänglich sind für Realitäten, die in der Erfahrung jener Bereiche sich gründen. Und aus einem in dieser Erfahrung sich gründenden Wissen können wir sie dann auch begreifen. Praktizierende finden, dass sie begreifen können, was ihnen früher fremd war. Sehr wohl hatte man solche Zusammenhänge intellektuell zur Kenntnis nehmen können, aber ohne die Belebung des Urgrunds war kein wirkliches Begreifen da. Dies ist die Erweckungskraft solcher Klangmantren, durch die Dimensionen in unsere Reichweite zu gelangen, die uns sonst fremd bleiben. Aber, wir erreichen diese Dimensionen eben nicht mit unserem Bewusst–Sein, wir realisieren sie nicht in ihrer wahren Gestalt.
Insoweit sehen wir, welche Wirkungen erreichbar werden, wenn wir in der Meditation allein ein solches Klang– Mantra praktizieren und was darüber hinaus erreichbar wird, wenn wir auch deren Sinngehalt zum Erleben bringen. Im Folgenden geht es nun allein um diese Sinnbotschaften, die Urbild–Ideen der Religionen und deren Realisierung in uns.
– Der praktische Umgang mit dem Geist–Wesen der Welt –
Die Ur– und Natur– Religionen sind der natürliche Umgang mit der lebendigen Wesenhaftigkeit von allem Sein. Diese Wesenhaftigkeit sehen wir, wenn wir das betrachten, was wir bisher bereits beschrieben haben als Nama–Sinnbotschaft und Rupa–Gestalt:
Alle Materie ist die äußere Gestalt (Rupa) dessen, was sich selber ein Bewusst-Sein einer inneren Sinnbotschaft (Nama) ist. – Uns steht als ‚Gegenstand’ etwa ein Baum oder ein Element gegenüber. Wir sehen die äußere Gestalt, sich selber ist sie jedoch das Bewusst-Sein einer eigenen Sinnbotschaft, und lediglich von außen erscheint uns dies als Gegenstand. Alles äußeres Sein ist so auch ein jeweils eigenes Bewusst–Sein, etwa Gold. Alles Bewusst– Sein, etwa ein Gedanke – ist von außen betrachtet ein ‚Gegenstand’, ein „Elemental.”
Als ein inneres Bewusst-Sein ist dieses ein innerer Erkenner dessen, was ihm als sein Bewusst-Sein leuchtet. Und auf der Ebene dieses Inneren Erkenners steht dieser in einem Zusammenhang mit dem Inneren Erkenner von allem. Ohne dies wäre ein Erkennen eines Anderen nicht möglich. So ist jedes Bewusst-Sein von einem anderen erreichbar und jeder Gegenstand ist auf der Ebene seines Bewusst– Seins von einem anderen erreichbar. Das Reich des inneren Bewusst– Seins ist ein ungeteiltes All–Ganzes, und so können wir eintreten in das Bewusstsein von allem; lediglich als ‚Gegenstände’ sind diese von einander getrennt.
Man spricht in Bezug auf die Ur– und Naturreligionen von einem magischen Zeitalter. Magie gilt als die Fähigkeit, von innen her auf die materielle Welt Einfluss nehmen zu können. Aber ein Materielles ist dem Magier kein Äußeres, sondern ebenfalls ein Bewusst–Sein und so von ‚innen’ her erreichbar.
Eine Erinnerung an das Zeitalter der Magier erfahren wir etwa in dem, was von der alten Bön–Religion in den tibetischen Buddhismus eingeflossen ist – etwa in der Ritual– ‚Musik’. Eine andere Erinnerung an eine Ur–Religion ist das, was wir in den Klängen des Rig–Veda erleben können.
Die Literatur des Veda ist heute in ihrer Gesamtheit der Hinduismus, jedoch reicht der Veda zurück bis in vorgeschichtliche Zeiten. Der Rigveda ist der älteste Teil der Veden. Als Beispiel ein Lied aus dem Rig–Veda:
„Läutere dich, Soma, im süßesten, berauschendsten Erguss, für Indra zum Tranke ausgepresst! – Die Unholde tötend, bei allen Völkern bekannt, hat er sich in seine eisenbehauene Wiege, an seinen Platz aus Holz gesetzt. Sei du der beste Auswegschaffer, der Freigebigste, der Erzfeindetöter; erhalte die Freigebigkeit der Lohnherren! – Rinne mit deinem Tranke zur Ladung der großen Götter, rinne zu Gewinn und Ruhm! – Zu dir kommen wir zu demselben Zwecke Tag für Tag. Zu dir, o Saft, gehen unsere Wünsche. Die Tochter des Surya klärt deinen Soma, der durch die Haarseihe abfließt. (RigVeda 9.1)
Die Menschen, die in solchen Liedern gelebt haben, lebten auf einer anderen Ebene des Bewusstseins als wir Heutigen, die wir dieser Ebene entäußert sind. Sie lebten in dem inneren Bewusst-Sein dessen, was uns heute meist ein Gegen–Stand ist, etwa unser Leib oder die Natur.
Sie sahen das innere Wesen, das Bewusst-Sein dessen, was wir etwa als eine Eiche sehen, das war ihre Wahrnehmung von der Eiche. Das innere Wesen der Naturwesen erschien ihnen weniger als ein Außen, sondern als ein Miteinander mit deren Bewusst–Sein. Eine weitere Ebene war ihnen das, was wir als Gestaltungskräfte und Naturgesetze finden. Das war ihnen die Welt der Natur– wesen und Götter – auch mit ihnen lebten sie in einer gemeinsamen Welt des Bewusst– Seins. Dies können wir in dem obigen Lied des RigVeda finden.