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Poul Bundgaard

Das Leben ist schön
Livet er skønt

Poul Bundgaards Erinnerungen

Aus dem Dänischen übersetzt und kommentiert von
Janine Strahl-Oesterreich

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

1. Auflage 2018

© Copyright 2018 by Militzke Verlag GmbH, Magdeburg

Umschlaggestaltung: Kerstin Spohler

Satz und Layout: Militzke Verlag

Gesetzt aus der ITC Legacy Serif

Druck und buchbinderische Verarbeitung:

Himmer GmbH · Druckerei & Verlag, Augsburg

Printed in Europe

ISBN 978-3-86189-979-2

eISBN 978-3-86189-980-8

Besuchen Sie den Militzke Verlag im Internet unter:

www.militzke.de

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Inhalt

Vorwort

1 Die Großeltern

2 Meine Eltern

3 Ich

4 Meine Schwester

5 Schulzeit

6 Krieg

7 Jugendliebe

8 Nach dem Krieg

9 Nørrebro Theater

10 Erste Schritte als Schauspieler

11 Operettenleben

12 Erste Hauptrolle

13 Liebe und Hochzeit

14 Ein neues Leben

15 Rom

16 Hoch zu Ross und zweite Geige

17 Neue Scala

18 Kinderwunsch

19 Lehrzeit in Rom

20 Das Königliche Theater

21 Familienzuwachs und Farinelli

22 Kirsten

23 Schubert im „Dreimäderlhaus“

24 Vater, Mutter und drei Kinder

25 Freud und Leid

26 Die Siebzigerjahre

27 Zirkusrevue

28 Ein halbes Jahrhundert

29 Die Alten sterben

30 Gute Rollen und Reisen

31 Abschied von Freunden

32 Amerika

33 Sechzig Jahre, Ritter und ein Wermutstropfen

34 Das ist dein Leben

35 Feste und Frohsinn

36 Silberhochzeit

37 Heute

Epilog

Livet er skønt – Das Leben ist schön

Aus dem Dänischen übersetzt und kommentiert von Janine Strahl-Oesterreich.

1988 schrieb Poul Bundgaard – als er mit drei Blutgerinnseln im Krankenhaus lag – seine Erinnerungen „Livet er skønt“. Sie sind jetzt um Kommentare der Übersetzerin ergänzt, die auf Erzählungen von Familie, Freunden und Kollegen beruhen.

In seinen Erinnerungen nennt Poul alle Menschen bei ihrem vollen Namen. Aus Respekt, Freundschaft oder Liebe. In der deutschen Ausgabe wurden nur die Namen beibehalten, die unverzichtbar für seine Lebensgeschichte oder auch in Deutschland bekannt sind.

Janine Strahl-Oesterreich, Mai 2018

Vorwort

Ich schreibe dieses Buch nur, weil ich all die Jahre, in denen die Kinder aufwuchsen, so beschäftigt war, dass sie keine Zeit hatten, mich kennenzulernen. Nun haben sie die Möglichkeit – und ich kann bei der Gelegenheit nicht ganz so Schönes tilgen.

In einem meiner Lieder habe ich einmal gesungen: „Dank ist ein armes Wort …“. Das ist es wahrscheinlich auch, wenn man damit um sich wirft. Aber wenn es in aller Aufrichtigkeit gesagt wird, offenen und reinen Herzens – dann ist es ein reiches Wort.

Poul Bundgaard

Für

Steen, Helle, Peter und Kirsten

Es war tatsächlich so: Seine Arbeit hielt ihn in Atem und brachte ihn außer Atem. Poul Bundgaard war ein gefeierter Sänger und Schauspieler. Er machte Theater, Film, Fernsehen und Radio und war im ganzen Land zu Auftritten unterwegs.

Viel Zeit für die Kinder blieb nicht. Aber die wenige Zeit nutzte er intensiv. So, wie Ove Sprogøe es einmal auf den Punkt brachte: Ein Drehtag ist zu Ende, der Regisseur sagt „Danke für heute!“. Bei „Danke“ sitzt Poul schon im Auto. Bei „für“ heulen die Reifen auf und bei „heute“ lässt er sich mit der Familie zu Hause im Swimmingpool treiben. Dann geht es ihm einfach nur noch gut.

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Poul Bundgaard in seiner Paraderolle als „Kjeld“ in der Olsenbande.

(Foto: privat)

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Eine glückliche Familie. Poul und Kirsten mit ihren Kindern Steen, Helle und Peter.

(Foto: Birthe Melchiors)

1Die Großeltern

Ein Buch zu beginnen ist sehr schwer – und sehr interessant. Da gibt es sicher Parallelen zur werdenden Mutter. Sie wartet und wartet, und plötzlich ist der Tag da – sie soll entbinden. Gedanken schießen durch den Kopf. Wie wird das Kind? Hoffentlich gesund und wohlgeraten – eine schöne Antwort auf alle ihre Träume.

Natürlich kann man das Kinderkriegen nicht mit dem Bücherschreiben vergleichen, aber auch ich wartete ungeduldig auf den Tag, an dem ich endlich spüren würde: Jetzt ist die Zeit gekommen, jetzt schlägt die Stunde der Geburt.

Wie man mir erzählte, erblickte ich am 27. Oktober 1922 das Licht der Welt – und darauf habe ich mich seitdem verlassen. Ich habe diesen Tag immer treu und brav gefeiert. Er ist ja wichtig für mich, und immer steht ein Kuchen voller Kerzen bereit, die ich alle selbst ausblasen muss. Alle auf einmal! Das ist mit den Jahren natürlich nicht leichter geworden, man braucht immer mehr Luft, aber bis jetzt geht es noch gut. Zu einem richtigen Geburtstag gehören außerdem Kakao, Schlagsahne und eine nette Kuchenauswahl. Man muss schließlich sein Gewicht halten! Zwar hat mich meine Zuckerkrankheit in den letzten zwölf Jahren davon abgehalten, Kuchen-Rekorde aufzustellen, aber einiges genehmige ich mir trotzdem!

Mein Großvater war Küster und Lehrer in der schönen Gemeinde Vejstrup in Jütland. Er war ein großer, strammer Kerl, ein richtiges Mannsbild. Als Schulmann war er tüchtig und streng, aber gerecht, und in der Kirche sang er mit kräftiger Stimme, die sein Sohn Peter, mein Vater, erbte.

Meine Großmutter war eine schöne Frau. Da sie früh starb, habe ich sie aber leider nicht mehr erlebt. Großvaters zweite Frau, Tante Mads, war eine robuste Dame mit geschickten Händen.

Sie wohnten in einem kleinen Haus unweit von Kirche und Schule. Letztere war ein langes, niedriges Gebäude. Ich weiß noch, wie ich mich oft heranschlich, um durch die Fenster zu schauen, wenn Großvater unterrichtete.

Die Kirche hat einen eigenen, treuherzigen Reiz. Sie ist eine der wenigen vom Neo-Klassizismus geprägten Gotteshäuser im Land. Eingeweiht wurde sie am 8. November 1840. Aber davon hatte ich natürlich keinen blassen Schimmer, als ich dort in den späten 1920er-Jahren herumtobte.

Woran ich mich jedoch deutlich erinnere, ist die alte Steinmauer, die Schule und Friedhof voneinander trennt. Dort fing ich eines Tages eine Schlange. Zu Hause öffnete ich den Sack und schüttete meine Beute auf den Küchenboden. Meine Mutter und Tante Mads schrien auf und rissen mich weg. Da lag eine Kreuzotter!

Großvater war Vorsitzender des örtlichen Gesangsvereins und bekam von den Mitgliedern 1911 eine schöne goldene Uhr mit doppeltem Gehäuse geschenkt, die ich immer noch hüte.

Und um noch ein wenig mehr mit ihm anzugeben, zitiere ich zwei seiner Schüler. Bei dem einen heißt es: „Für die Lehrer in meiner Kindheit war ihr Beruf eine Berufung. So war es auch bei Niels Bundgaard. Wir, seine alten Schüler, gedenken seiner in großer Dankbarkeit.“ Und der andere erzählt: „1906 kam ich in die Vejstrup-Schule und hatte Hauptlehrer Bundgaard als Lehrer. Respekt war für ihn kein Problem. Er vermittelte den Kindern gründliche Kenntnisse. Man lernte schreiben, rechnen und lesen und bekam die Bibelgeschichte so lebendig geschildert, dass es eine Lust war. Ich wage zu behaupten, dass viele Kinder, die von der Dorfschule in Vejstrup abgingen, besser buchstabieren und schreiben konnten als viele Gymnasiasten heute! In der Kirche führte er den gemeinsamen Gesang mit sicherer und klangvoller Stimme an, und war der Pastor einmal verhindert, konnte es ihm einfallen, die Predigt selbst zu schreiben, die er bescheiden in die Postille legte, aus der er dann scheinbar vorlas.“

Mein Großvater hat auch eine Bibelgeschichte geschrieben. Im Abschnitt über die Schöpfung erhält man einen Eindruck von seinem Glauben und seiner Erzählweise. „Die Bibel berichtet auf der ersten Seite“, schreibt er, „wie die Juden sich dachten, dass Gott die Welt und das Leben erschuf, aber darüber können die Menschen nichts sicher wissen, und es ist auch nicht nötig, es zu wissen. Die Hauptsache ist, dass die Welt mit all ihrem Leben, mit all ihren vielen Möglichkeiten das Ergebnis der Schöpferkraft des allmächtigen Gottes ist und dass er in seiner Schöpfung bis zum heutigen Tage wirkt. Wir sind nicht den Launen des Zufalls unterworfen, sondern in der Obhut von Gottvater!“

Als mein Großvater mit sechzig Jahren gelähmt war und seine letzten Jahre im Rollstuhl zubringen musste, hatte Tante Mads alle Hände voll zu tun. Ich war nicht sehr alt, als er starb, aber ich weiß noch, dass über seinem Bett ein Haltegriff hing. Bei einem unserer Jütlandbesuche hörte meine Mutter aus Großvaters Zimmer Freudengeschrei. Sie stürzte entsetzt hinein. Und was sah sie? Oh Schreck – ihr Sohn hing an dem Griff und schaukelte wie Tarzan über dem kranken Mann hin und her. Man hatte, wie gesagt, gehörigen Respekt vor ihm, und sie wollte gerade den Mund öffnen, um ihn aus der Lage zu befreien.

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Mit dem Großvater bei der Gartenarbeit.

(Foto: privat)

Doch noch ehe sie ein Wort hervorbringen konnte, brüllte mein Großvater „raus!“. Seine Enkel durften alles. Ansonsten erinnere ich mich nur noch, dass es jede Menge Hühner gab, die ich leidenschaftlich gern fütterte. Das alles ist gerade mal zweiundsechzig Jahre her, gehört aber einer entschwundenen Zeit an. Die Ruhe von damals habe ich nie wiedergefunden.

Wie glücklich und aufgeregt war ich aber, als ich später in der alten Kirche meines Großvaters ein kleines Weihnachtskonzert geben durfte. Das war eines meiner schönsten Erlebnisse als Sänger. Ich konnte fast seine Anwesenheit spüren. Es gibt Momente in unserem Leben, in denen alles zu einer Einheit verschmilzt, in denen man in einer großen, lichten und schönen Offenbarung Leben, Tod und Ewigkeit versteht.

Jahr für Jahr lege ich meinen Großeltern eine Blume aufs Grab.

So viel – und so wenig – über das Leben meiner Großeltern, der Eltern meines Vaters. Über die Eltern meiner Mutter weiß ich leider nicht sehr viel. Meinem Großvater mütterlicherseits bin ich nie begegnet, weiß aber, dass er Tischlermeister war und mit seiner Frau in Amager in einem kleinen selbstgebauten Haus wohnte. Auf Bildern sieht man, dass er ein schöner Mann gewesen sein muss.

Meine Mutter Ebba hatte eine enge Bindung zu ihrem Vater, verlor ihn aber schon früh, als er bei einem Unfall ums Leben kam. Großmutter musste das Haus verkaufen und zog mit Ebba und den beiden anderen Töchtern Erna und Ellen in eine kleine Wohnung in Nørrebro. Mit Näharbeiten sorgte sie dafür, dass die Mädchen aufwachsen konnten, ohne dass ihnen etwas fehlte. Aber dafür musste Großmutter nachts bis weit in die Morgenstunden nähen.

Da sie sehr alt wurde, hatte ich das Glück, sie selbst noch zu erleben. Immer wenn ich als Kind bei ihr zu Besuch war, durfte ich ihre ganze Küche malern, zwar nur mit Wasser, aber genossen habe ich es doch!

2Meine Eltern

Ich bin jetzt fünfundsechzig, fühle mich aber immer noch wie ein kleiner Junge.

Wenn ich sage „Meine Mutter und mein Vater“, dann bin ich immer noch Kind und mich erfüllen Wärme und Dankbarkeit. Wenn ich zu erklären versuche, wie viel sie für mich bedeutet haben, macht sich da immer eine kleine verräterische, sentimentale Träne auf den Weg. Ich schäme mich nicht dafür. Ich erinnere mich in Dankbarkeit an ihre aufopfernde Liebe zu ihren beiden Kindern, meiner Schwester und mir.

Meine Mutter wurde im Stadtteil Amager geboren und war ein lebenslustiges, schönes Mädchen. Wenn ich an sie denke, sehe ich immer ihr strahlendes Lächeln vor mir. Sie war eine unverbesserliche Optimistin, ein fröhlicher Mensch mit großem Lebenshunger. Mit ihrem vergnügten Gelächter meisterte sie viele schwierige Situationen. Sie war eine große Stütze für Vater, meine Schwester Grethe und mich. Sie drängte sich niemals auf, aber wenn wir ihren Rat und ihre Liebe brauchten, war sie da – immer! Sie hatte großes Talent zum Fabulieren und konnte wunderbare, launige Briefe schreiben.

Einmal schenkte sie mir eine kleine, hundert Jahre alte Figur zusammen mit folgendem Brief, in dem sie die Figur sprechen lässt:

„Lieber Poul!

Ja, vielleicht kannst Du Dich nicht an mich erinnern, aber ich erinnere mich sehr gut an Dich. Ich habe Dich ja so oft zu Hause bei deiner Großmutter gesehen. Vielleicht weißt Du aber noch, dass ich auf dem Schreibtisch deiner Großmutter stand, ja, viele Jahre hatte ich eine schmucke Dame an meiner Seite, aber ach, eines Tages verlor sie den Kopf und wurde weggeworfen. Denn, weißt Du, damals hatte man noch nicht so einen feinen Klebstoff wie heute. So stand ich fortan allein da und hatte nur noch meine Erinnerungen.

Ich bin über hundert Jahre alt und war immer im Haus Deiner Großmutter. Nach ihrem Tod kam ich zur Tante. Doch nun haben sie und Deine Mutter entschieden, dass ich zu Dir ziehen soll.

Sie sagen, dass Du alte Dinge liebst, und vielleicht wirst Du nun auch mich ein klein wenig mögen. Ich bin überhaupt nicht böse, wenn Du mich in einen Schrank steckst. Ich weiß es mir schon gemütlich zu machen.

Ja, nun freue ich mich schon darauf, in ein Haus mit Kindern und Hund zu kommen, ein Haus, wo was los ist, und so soll es ja bei Euch sein, hab ich gehört.

Seid gegrüßt alle miteinander!

Der Mann aus König Ruders Zeit.“

So war meine Mutter.

Mein Vater war Jütländer. Wenn er lachte, dann gab es wirklich einen Grund. Er war ein gestandenes Mannsbild und in seinen jungen Jahren ein ziemlich flotter Bursche. Er war sicher auch kein Kind von Traurigkeit, was die Mädchen betraf. Großvater wollte, dass Vater Lehrer wird, aber nein, keine Rede davon! Er wollte in die großen Städte, er wollte leben, raus aus der kleinen Gemeinschaft und auf eigenen Beinen stehen.

Er kam in die Molkereischule, wurde Molkereiarbeiter und bekam eine Anstellung in Næstved. Dort begegnete er eines Tages auf dem Jahrmarkt einem schönen jungen Mädchen, das seine Ferien im Ort verbrachte und – ob man es glaubt oder nicht – mit ihm gemeinsam in einer Luftschaukel saß.

Sie verlobten sich, heirateten und zogen nach Kopenhagen in eine schöne Wohnung, die dem Schiffsreeder A. P. Møller gehörte, bei dem Mutter Kindermädchen gewesen war.

Mein Vater war mein bester Freund, auch nachdem ich von zu Hause weggezogen war. Er war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte und der mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand. Eigentlich war er schwermütig – das bin ich auch ab und zu –, konnte aber auch sehr amüsant sein, wenn er dazu aufgelegt war. Vater hatte eine große Stimme, einen Tenor, und war bei dem großen Tenor des Königlichen Theaters, Wilhelm Herold, Schüler gewesen. Aber er glaubte nicht an sich als Künstler.

Außerdem war er inzwischen Verwalter in der Dänischen Milchkompagnie geworden, hatte mehrere hundert Menschen unter sich und wählte die Sicherheit. Das war wirklich schade: Seine Stimme war sehr viel größer und besser als meine. Aber durch mein Theaterleben konnte er zum Glück ein wenig teilhaben an dieser besonderen Welt, für die eigentlich er geboren war.

3Ich

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem ich in die Geschichte eintrete.

Nachdem sie ein Jahr verheiratet waren, trafen meine Eltern die wichtige Entscheidung, die zu meiner Entstehung führte. Am 27. Oktober 1922 ließ ich mich, wie schon gesagt, auf die Welt bringen.

Wir bewohnten im Parterre eines zweistöckigen Hauses eine Dreizimmerwohnung, zu der auch ein hübscher Garten gehörte. Genau gegenüber hatte der Sportsklub Hellerup seine Tennisplätze und hundert Meter weiter die Straße hinunter lag der Yachthafen von Hellerup, ein herrlicher Tummelplatz für Kinder aller Altersgruppen.

Bevor man den Hafen erreicht, kommt man an einem schönen Rosengarten vorbei, der im Sommer eine üppige Blütenpracht entfaltet. Und auf der rechten Seite, genau am Wasser, befand sich damals die Filmgesellschaft Palladium, wo man die Pat-und-Patachon-Filme drehte. So sahen die Kulissen meiner Kindheit aus.

Ein wahres Paradies für uns Kinder.

Einmal bekam ich ein Spielzeugpferd geschenkt. Es war rot, stand auf drei Rädern und hatte einen prächtigen Schwanz, am Anfang jedenfalls. Denn irgendwie muss es meine kreativen Fähigkeiten herausgefordert haben, und als ich den abgerissenen Schwanz in den Händen hielt, war ich glücklich. Aber ich habe auch immer noch den Schrei meiner Mutter im Ohr, als sie das schöne neue Pferd seines Schmuckes beraubt sah.

Da war noch eine andere aufregende Geschichte. Mit fünf spielte ich fröhlich in unserem kleinen Garten, als plötzlich ein großer Lastwagen vom „Magasin“-Kaufhaus angefahren kommt und genau vor unserem Aufgang hält. Ich schaue mich kurz nach dem Wagen um und spiele weiter. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der Fahrer vorsichtig eine kleine Draisine vom Wagen lädt. Das ist, um es den jungen Leuten zu erklären, ein Spielzeugauto auf vier Rädern, bei dem man mit den Füßen lenkt und selbst der Motor ist, indem man mit den Händen eine senkrechte Stange vor und zurück bewegt. „Ob das wohl für mich ist?“ denke ich, sprinte aus dem Garten, bin dem Fahrer dicht auf den Fersen, und – oh Seligkeit – er klingelt bei uns. Das Auto war tatsächlich für mich! Bis ins reife Knabenalter war es mein treuer Freund, ich liebte es und weinte bittere Tränen, als ich von ihm Abschied nehmen musste, aber da fiel es wirklich schon auseinander. Komisch, dass man immer noch so viele Jahre danach so stark für einen toten Gegenstand empfinden kann.

Wenn ich nicht im Garten spielte, war ich Bälleholer für die Tennisspieler auf den Plätzen gegenüber. Dann winkten gern mal zehn Øre Belohnung, das war damals viel Geld und im Handumdrehen bei der „Bonbontante“ für Süßigkeiten ausgegeben. Der Mann, der die Plätze betreute, war sympathisch und freundlich. Einmal durfte ich ihn zum Kaffee zu uns nach Hause einladen. Ich flitzte los, kaufte zehn große Stücke Kuchen, lief wieder nach Hause und wartete – aber er kam nicht. Das war das erste Mal, dass ich einen Gast nach Hause eingeladen hatte. Von dieser Enttäuschung erholte ich mich nur schwer.

Apropos Süßigkeiten: Ich hatte einen Onkel Peter, das war ein kleiner, trockener Mann, und bei seinen Besuchen war ich so artig wie sonst nie. Da ich einmal gehört hatte, wie mein Vater sagte: „Ich bin schon groß, ich nehme ein Bier!“, plapperte ich das nun einmal nach, als mein Onkel bei uns war. Der stand wie vom Donner gerührt da und war so verdattert, dass er mir fünfzig Øre gab. So viel Geld hatte ich noch nie auf einmal in der Hand gehabt, und so zauberte ich ein paar Freudentränen hervor. Das rührte Onkel Peter so sehr, dass wir den Spaß bei jedem seiner Besuche wiederholten. Wobei ich auch immer schön an die Tränen dachte.

Man stelle sich vor, unmittelbar neben der Palladium-Film zu wohnen! Ich saß unzählige Stunden rittlings auf einem hohen Zaun und schaute in diese wundersame Welt. Hier entstanden die weltberühmten Pat-und-Patachon-Filme. Der Darsteller von Pat, Carl Schenstrøm, nahm sich ab und zu Zeit, um mit uns Kindern zu plaudern. Das waren für uns alles aufregende Erlebnisse. Die eine Woche konnte da plötzlich ein richtiges afrikanisches Dorf stehen. Ich weiß noch, wie beklommen uns Jungen zumute war, wenn uns einige der „Afrikaner“ in der Pause auf einmal auf Dänisch ansprachen. Oder Pat und Patachon trieben auf einem Floß aufs Meer hinaus, während es – aus ein paar großen Feuerlöschspritzen – in Strömen regnete.

Übrigens: Ich debütierte in einem ihrer Filme! Er hieß „Frøken Petersens plejebarn” (Fräulein Petersens Pflegekind), ich war vier Monate alt, lag im Kinderwagen und wurde von der Schauspielerin Maria Garland spazieren gefahren. Daran mochte sie später nie gern erinnert werden, denn „so alt war ich nun auch wieder nicht!“. Für meine Ausleihe erhielt mein Vater fünf Kronen, das sind heute 67 Cent. Davon spendierte er den Nachbarn in unserem Garten ein Bier. Rechnet man also dieses Debüt dazu, hatte ich vor fünfundsechzig Jahren meinen ersten Auftritt.

Der Hafen unseres Stadtteils Hellerup war klein, aber urgemütlich. Man kannte sich, man half einander, die Atmosphäre war wie in einer kleinen Provinzstadt. Wir Jungen waren für die Bootseigentümer Laufburschen und bekamen zum Lohn immer ein Eis am Stiel.

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Das erste hohe C.

(Foto: privat)

Man konnte im Hafen auch angeln. Am besten war es auf der Mole. Einmal standen mein Vater und ich dort, und die Steine waren so glatt, dass ich ausrutschte und ins Wasser fiel. Papa zog mich natürlich schnell wieder raus, aber als wir nach Hause kamen und er Mama erzählte, dass ihr kleiner Sohn fast ertrunken wäre, schimpfte sie ihn gehörig aus und es verging einige Zeit, bis wir wieder auf der Mole standen und angelten.

Meist nahm sich unser Fang allerdings ziemlich mager aus. Als ich einmal allein dort angeln war, habe ich aber etwas nachgeholfen. Ich schnappte mir einen großen Dorsch, der tot im Hafenbecken trieb, und steckte ihn an meinen Angelhaken. Da ich wusste, dass meine Eltern gerade mit ein paar Freunden im Garten beim Nachmittagskaffee saßen, wollte ich sie mit meinem „Fang“ beeindrucken. Unter Rufen lief ich ihnen entgegen.

Mein Vater sprang auf und jubelte: „Ist der aber groß, den kauf ich dir ab!“ Und er erklärte stolz: „Ja, Freunde, das ist nicht das erste Mal, dass er mit so einem Prachtexemplar nach Hause kommt. Er kann eben angeln. Das hat er von mir!“ Erst dann sah er – und die anderen auch –, was das für ein Fang war, den er so hochgelobt hatte. Nie wieder habe ich mich so geschämt.

Was den Jugendlichen von heute sicher etwas merkwürdig vorkommen mag, ist, dass wir keine Innentoilette hatten. Wir saßen in Reih und Glied auf einem Drei-Mann-Klo im Freien! Zwar gab es zwischen den Eimern eine dünne Trennwand, aber eigenartig war es schon, sich bei seiner Sitzung mit dem Nachbarn zu unterhalten. Und natürlich lockt so eine Umgebung Ratten an. Ich sehe immer noch vor mir, wie mein Vater und ich im Küchenfenster sitzen und auf sie schießen.

Auch so etwas wie ein Bad gab es nicht in der Wohnung. Wir gingen einfach jeden Freitag in die Hellerup-Schule und schrubbten uns dort sauber.

Ein Kapitel für sich war die Sonntagmorgen-Rasur meines Vaters. Dazu lud ich immer ein paar Freunde ein, denn das war große Unterhaltung. Was er da vor dem Spiegel mit Seifenschaum und Rasiermesser an komischen Grimassen schnitt, ist unbeschreiblich, ich war sehr stolz auf ihn.

Ansonsten verbrachte ich natürlich die meiste Zeit mit meiner Mutter. Wir hatten es so gut miteinander, dass ich es nicht mit Worten auszudrücken vermag. Mama war stets in bester Laune. Sie hielt ihr Heim peinlich sauber, hatte aber trotzdem immer Zeit, um mit mir zu reden und zu spielen.

4Meine Schwester

Ich war sechs Jahre alt, als etwas ganz Neues und Spannendes in meinem Leben passierte: Ich bekam eine kleine Schwester!

Nachdem ich ein verwöhntes Einzelkind gewesen war, sollte ich nun meine Eltern mit einer Schwester teilen. Mag sein, dass mir das damals gewisse Probleme bereitete, davon habe ich heute nichts mehr in Erinnerung. Ich entsinne mich aber deutlich, wie gespannt ich war, dass sie – wie Mama mir gesagt hatte – aus dem dicken Bauch meiner Mutter kommen sollte. Ich weiß auch, dass ich gefragt hatte, wie sie da überhaupt reingekommen war, aber darauf bekam ich nur eine ausweichende Antwort. Man erzählte damals noch die Geschichte vom Storch.

Eines Morgens tat sich plötzlich etwas. Es klingelte an der Tür und draußen stand unser netter, alter Hausarzt. Voller Bangen fragte ich ihn, ob denn jemand krank bei uns sei. Aber da erschien schon eine ältere, Achtung gebietende Dame. Das war die Hebamme und die verjagte mich als erstes aus dem Schlafzimmer, in dem meine Mutter lag.

Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, wie Mutter plötzlich laut schrie und ich weinte und große Angst bekam. Nach einer ganzen Weile hörte Mutter endlich auf zu schreien, und im nächsten Augenblick kam der Arzt in die Küche, wo ich mich im Besenschrank versteckt hatte, und rief mir beruhigend zu: „Du kannst wieder rauskommen, Poul, du hast eine kleine Schwester bekommen!“ Ich freute mich sehr, fragte aber ungläubig: „Heißt das, sie ist wirklich aus dem Bauch rausgekommen?“ Als der Arzt nickte, war ich enttäuscht: „Och, das wollte ich doch aber so gerne sehen!“ Danach eilte ich zu meiner Mutter, die mich stolz zu sich heranwinkte: „Komm her, Poul, und sag Hallo zu deiner neuen Spielkameradin!“ Ich beugte mich über die Wiege. Da lag sie nun und ich fragte: „Kann sie da bald raus und mit mir spielen?“

Ich hatte sie gleich gern, konnte aber nicht verstehen, warum sie so klein war. Wie gesagt, ich war damals sechs und ich denke heute, dass das alles meine eigenen Erinnerungen sind, aber vielleicht wurde mir das später auch nur erzählt.

Meine Schwester Grethe und ich hatten eine sehr schöne gemeinsame Kindheit. Einmal jedoch, als ich mit ihr spazieren ging, fiel sie mir aus dem Wagen. Ihr war nichts passiert, doch ich war erschrocken, lief zu meinem Vater, der ganz in der Nähe in einer Villa mit dem Konsul Karten spielte, und rief so laut ich konnte: „Papa, Schwesterherz kann laufen!“

Wir segelten gemeinsam, spielten Tennis und schauten uns die Dreharbeiten im Palladium an, wir führten ein behütetes Leben und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Sie sieht immer noch gut aus und spielt täglich eine Partie Tennis, obwohl sie vor Kurzem sechzig wurde.

Ich bin sehr dankbar, eine so liebe Schwester bekommen zu haben. Nur eines ärgert mich: Sie kann essen und essen – und das tut sie auch. Aber man sieht es ihr nicht an.

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Unzertrennliche Geschwister.

(Foto: privat)

5Schulzeit

So wie die Sonnenuhr nur die lichten Stunden zählt, so gestaltete sich meine Kindheit in Hellerup. Meine Eltern liebten sich und hatten für uns Kinder Liebe im Überfluss übrig. Wir wohnten schön, hatten keine finanziellen Probleme – wir lebten, lebten jeden einzelnen Tag.

Als ich sieben wurde, kam ich in die Schule. Ich hatte mich darauf gefreut und wurde nicht enttäuscht. Nie. Ich ging gern zur Schule, die ganze Zeit, bis ich sie elf Jahre später mit einem ganz ordentlichen Realabschluss verließ.

Ich ging in die kommunale Schule von Hellerup und hatte dort vier schöne Jahre. Doch dann zogen dunkle Wolken über uns auf. Die Dänische Milchkompagnie, in der mein Vater Verwalter war, wechselte den Eigentümer. Die neue Direktion erklärte meinem Vater, dass er gern in seiner Stellung verbleiben könne, aber nur noch zwei Drittel seines Lohnes bekäme. Das ließ er sich nicht bieten: Er kündigte, kam nach Hause, erzählte, was passiert war, und stand nun zum ersten Mal in seinem Leben ohne Arbeit da.