Für Oliver, Rebecca, Theresa und Mathilda
Kapitel 1
Der Falt-und-Knick-Apparat
Ihr wollt wissen, woran meine Erfinderkollegen und ich gerade arbeiten? Wir haben einen Falt-und-Knick-Apparat gebaut! Damit kann man alles Mögliche falten und knicken. Zum Beispiel Servietten.
Ich gebe zu: Einen großen Nutzen haben wir der Menschheit damit nicht geleistet. Einem ganz bestimmten Menschen allerdings schon. Und zwar Walter Rüdibert von Knallinger. Das ist mein bester Freund und Kollege.
Leider hat Walter oberstrenge Eltern. Wenn er was ausgefressen hat, muss er für das Restaurant seiner Eltern 100 Serviettenschwäne falten. Mindestens!
Walter behauptet, dass seine Daumen und Zeigefinger davon total durchtrainiert sind. Kann schon sein. Ich versteh nur nicht, warum er darauf stolz ist. Was bitte schön bringen Mukkis im Finger? Kann man damit besonders kräftig im Ohr bohren? Oder Popel extra weit schnipsen? Wenn überhaupt, dann braucht man Muskeln in den Oberarmen. Da, wo Tilda sie hat. Tilda ist übrigens unsere Zeichnerin. Sie hat auch den Falt-und-Knick-Apparat skizziert. Zusammengeschraubt habe ich ihn. Programmiert haben wir den Apparat alle drei zusammen. Gestern ist er fertig geworden. Nun steht er mitten auf dem Tisch in unserem Erfinderschuppen. Der Schuppen war mal ein Hühnerstall. Aber Hühner gibt es hier schon lange nicht mehr. Stattdessen kriegen wir oft Besuch von einem anderen Tier. Das hat zwar keine Federn, dafür aber jede Menge Locken. Na, kommt ihr drauf? Ein Pudel, richtig! Der heißt Odetta und gehört Tildas Oma.
„Worauf warten wir?“, fragt Walter. „Probieren wir den Falt-und-Knick-Apparat endlich aus!“ Ungeduldig tritt er von einem Bein aufs andere. Man könnte denken, dass er mal ganz dringend muss. Das wäre kein Problem, weil der Schuppen nämlich im Garten von Tildas Oma steht. Da ist das Klo nicht weit.
„Also, was ist?“, fragt Walter. „Können wir das Ding anmachen?“
„Könnten wir“, sage ich. „Aber du hast ja vergessen, Servietten von der Knallerbse mitzubringen.“
Die Knallerbse ist das Schickimicki-Restaurant von Walters Eltern.
„Pfff“, macht Walter und schiebt seine Baseballkappe zurück. „Dann improvisieren wir einfach.“ Improvisieren bedeutet, dass man etwas ohne Vorbereitung tut. Ehrlich gesagt, machen wir das immer. Improvisieren ist unser Spezialgebiet. Leider.
Walter schnappt sich einen Bogen von Tildas Zeichenpapier. Er spannt es in den Apparat, der aus dem Gehäuse einer Schreibmaschine besteht. Im Inneren habe ich Teile unseres alten Schulkopierers verbaut. Bedienen lässt sich das Ganze durch einen Schalthebel aus einem Auto. Der ist an der Seite angebracht, direkt über dem Stromkabel.
Walter legt den Hebel um und sofort setzt sich der Apparat in Gang.
Langsam zieht er das Papier ein. Als ob er es verschluckt! Nur das Schmatzen fehlt. Dafür hört man ein Rattern – erst leise, dann immer lauter. Der Apparat bewegt sich hin und her. Dabei nimmt er den Tisch mit und bald wackelt sogar der ganze Schuppen.
„Soll das so sein?“, fragt Tilda.
Ich zucke mit den Schultern. Ehrlich gesagt, hatte ich es mir auch anders vorgestellt. Irgendwie leiser und ruhiger. Vor allem schneller. Der Apparat soll doch nur einen blöden Schwan falten! Pling!, macht es da endlich. Im hohen Bogen spuckt der Apparat etwas Weißes aus. Wir schauen zu, wie das Weiße langsam zu Boden segelt. Es landet direkt vor unseren Füßen. Leute, eines kann ich euch sagen: Ein Schwan ist das nicht.
Kapitel 2
Flugzeug mit Beule
„Ist das ein Wal?“, frage ich. Echt, das gefaltete Papier sieht aus wie ein Belugawal. Der hat vorne am Kopf auch so eine seltsame Beule.
„Ein Wal?“, ruft Tilda. „Seit wann hat ein Wal denn Räder? Und Tragflächen … und Triebwerke?“
Sie hält mir das gefaltete Papier direkt vors Gesicht. Da erkenne ich es auch.
„Ein Flugzeug“, murmle ich. Ich fasse es nicht! Unser Apparat hat einen stinknormalen Papierflieger produziert. Dabei haben wir uns solche Mühe gegeben. Keine Ahnung, was da schiefgegangen ist. Serviettenflieger legen Walters Eltern ihren Gästen garantiert nicht auf die Teller. Unsere Erfindung ist ein kompletter Reinfall. Aber warum grinst Tilda so komisch?
„Das ist nicht irgendein Flugzeug“, sagt sie.
„Nein?“, fragt Walter.
„Nein!“, ruft Tilda. „Seht ihr hier vorne die Beule?“
Also gibt sie es selbst zu! Das Ding hat eindeutig eine Beule. Wie mein Lieblingswal. (Die Entscheidung war nicht leicht, weil es ungefähr 80 verschiedene gibt. Aber der Beluga ist echt besonders. Der kann ein bisschen sprechen!)
„In der Beule ist das Cockpit“, erklärt Tilda. „Und wisst ihr auch, was das bedeutet?“
Walter und ich schütteln den Kopf. Tilda macht es spannend. Sie grinst noch ein bisschen breiter.
„Unser Apparat hat einen echten Jumbojet gefaltet!“
Ihr müsst wissen: Tilda interessiert sich seit einiger Zeit total für Luftfahrt. Und zwar für alles. Egal ob Segelflugzeug, Frachtflugzeug, Hubschrauber oder die Air Force One. So heißt der Flieger, in dem der amerikanische Präsident herumdüst. Neuerdings will Tilda sogar Pilotin werden. Vielleicht hat das was mit unserer vorletzten Erfindung zu tun. Mit dem Looping-Dreher konnte man nämlich auch fliegen. Obwohl das nicht geplant war.
Aber egal. Was ich eigentlich sagen will: Wenn Tilda nicht gerade mit uns an einer neuen Erfindung tüftelt, zeichnet sie Flugzeuge. Mit allen Rädern, Tragflächen und Triebwerken, die dazugehören. Und wenn das Flugzeug eine Beule hat, malt sie eben auch die.
Da habe ich eine Vermutung. Ich kann mir denken, warum der Falt-und-Knick-Apparat keinen Schwan ausgespuckt hat.
„Gib mal her“, sage ich und schnappe mir den Jumbojet.
„Mach ihn bloß nicht kaputt“, ruft Tilda.
„Ich guck nur schnell was nach“, murmle ich. Dann falte ich das Flugzeug auseinander. Denn eine Vermutung sollte man als Erfinder immer überprüfen.
Kapitel 3
Wasserlandung
Der Jumbojet ist nicht schlecht gebaut. Jede Falte sitzt, jeder Knick ist perfekt. Es dauert eine Weile, bis ich den Flieger wieder in ein flaches Blatt Papier verwandelt habe. Doch anders als gedacht, ist das einfach nur … weiß.
„Gequirlter Mist“, murmle ich enttäuscht.
„Ich habe doch gesagt, nicht kaputtmachen!“, motzt Tilda. Sie greift nach dem Papier, um es wieder in den Apparat zu spannen. Dabei dreht sie das Blatt um. Und mein Blick fällt auf die Rückseite. Jetzt ratet mal, was darauf ist? Ein Bleistift-Jumbojet! Gezeichnet von Tilda. Also hatte ich doch recht! Auch meine Kollegen kapieren sofort, was Sache ist.
„Die Programmiererei war umsonst“, motzt Walter.
„Weil der Apparat meine Zeichnung für einen Bauplan gehalten hat“, sagt Tilda. „Vielleicht hätten wir nicht so viele Teile aus dem Kopierer einbauen sollen!“
Aufgeregt kramt sie ihren Skizzenblock hervor. Auf jeder Seite ist ein anderes Flugzeug. Die meisten sehen richtig gut aus. Doch Tilda blättert ausgerechnet zu einem Exemplar, das voll misslungen ist. Vor allem der untere Teil.
„Hat das Flugzeug etwa Schuhe an?“, fragt Walter.
Tilda schnalzt genervt mit der Zunge.
„Das ist ein Wasserflugzeug“, erklärt sie. „Das hat keine Schuhe! Sondern Schwimmer. Die braucht es zum Landen.“
Tilda reißt die Seite aus dem Block. Ich weiß, was sie vorhat! Sie will das Ganze noch einmal überprüfen. Also spannt sie das Papier in den Falt-und-Knick-Apparat. Walter legt den Hebel um. Schon rattert es los. Es rattert und rattert und wackelt und wackelt – bis es auf einmal Pling macht.
„Es hat geklappt!“, ruft Tilda. Ich gucke nach oben. Tatsächlich! Unter der Schuppendecke dreht das Wasserflugzeug aus Papier elegant eine erste Runde. Dann landet es. Und zwar genau dort, wo es sich für ein Flugzeug mit Schuhen … ähm, Schwimmern gehört: mitten in Odettas Wassernapf.
Kapitel 4
Verliebten-Zeug
Dann ist auch schon Samstag. Eindeutig der beste Tag der Woche! Samstags gehe ich nach dem Frühstück mit Mama auf den Markt. Dann wird eingekauft, als wären wir zu Hause nicht nur zwei – sondern eine richtige Großfamilie. So eine mit 55 Cousins und 85 Großtanten, die man immer verwechselt. Das macht riesigen Spaß. Wenn wir Glück haben, ist Emil auch da. Der verkauft den weltbesten Quarkkuchen.
Heute haben wir dreifach Glück. Erstens ist es ein supersonniger Frühlingstag. Zweitens sehe ich Emils Stand mit dem hellgrünen Dach schon von Weitem. Und drittens treffen wir gleich Lukas. Das ist Mamas Freund. Wenn es nach mir geht, darf er das auch bleiben. Lukas ist voll in Ordnung! Der arbeitet nicht nur in einem Baumarkt, er kann auch super kochen und lustig ist er außerdem. Nur seinen Bart müsste er dringend abschneiden. Mit dem sieht er aus wie eine zu lang geratene Ziege. Kitzeln tut der Bart bestimmt auch. Auch wenn mich das eigentlich nix angeht. Ich muss Lukas ja nicht küssen!
Genau das macht er jetzt übrigens. Also, Mama küssen. So, dass es fast schon Knutschen ist. Ich guck weg, weil ich nicht auf dieses elende Verliebten-Zeug stehe. Dann begrüßt Lukas auch mich – mit einem gangstermäßigen Fauststoß. Das gefällt mir viel besser.
„Wer will Quarkkuchen?“, fragt Lukas. Auf eine Antwort wartet er nicht. Weil klar ist, dass wir alle ein Stück wollen. Mit dem Kuchen setzen wir uns gemütlich auf die Bank vor den Tierbrunnen. Lukas quatscht mit Mama über ihren Job in der Arztpraxis. Ich gucke auf das Wasser und denke daran, wie wir es mit unserer allerersten Erfindung in Limo verwandelt haben. Als Nächstes muss ich an Tildas Wasserflugzeug denken. Und dann fällt mir ein, dass meine Erfinderkollegen und ich heute ja noch was vorhaben! Wie konnte ich das vergessen!
„Fred, warum isst du denn so schnell?“, fragt Mama. „Ist jemand hinter dir her?“
Ich verschlucke mich und muss husten. Natürlich ist das nur so ein Spruch von Mama. Die kann ja nicht wissen, dass wirklich jemand hinter mir und meinen Kollegen her ist. Nämlich die Brüder Klose – auch der Dicke und der Dünne genannt. Das sind die oberfiesen Nachbarn von Tildas Oma. Die wollen rausfinden, was wir in unserem Schuppen so treiben. Damit sie uns dann verpfeifen können.
„Ich bin mit Tilda und Walter verabredet“, erkläre ich und stopfe mir den Kuchenrest in den Mund. „Ach“, seufzt Mama. „Ich hatte gehofft, wir machen uns heute mal einen schönen Tag zu dritt.“
Mama verzieht den Mund. Aber richtig traurig sieht sie nicht aus. Sie denkt wahrscheinlich gerade daran, dass sie sich auch zu zweit einen schönen Tag machen können.