Feministisch leben!
Manifest für Spaßverderberinnen
aus dem Englischen
von Emilia Gagalski
U N R A S T
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Sara Ahmed: Feministisch leben!
eBook UNRAST Verlag, Mai 2018
ISBN 978-3-95405-007-9
© UNRAST Verlag, Münster
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Umschlag: kv, Berlin
unter Verwendung eines Gemäldes von
Carrie Moyer: Chromafesto (Sister Resister 1.2), 2003
© Carrie Moyer. Courtesy of DC Moore Gallery, New York.
Das Original befindet sich im Besitz von Lutz Hieber, Hannover.
Übersetzung: Emilia Gagalski, Düsseldorf
Satz: UNRAST Verlag, Münster
Für die vielen
feministischen Spaßverderber*innen
da draußen,
die ihr Ding machen:
Das hier ist für Euch!
Zum ersten Mal habe ich ein Buch parallel zu einem Blog geschrieben. Ich danke all denen so sehr, die mich dazu ermutigt haben, meinen Blog zu starten, insbesondere meinen feministischen Freund*innen auf Facebook. Danke auch denjenigen, mit denen ich seitdem auf Social-Media-Plattformen zu tun habe. Ich habe so viel gelernt. Danke an Mulka und Poppy für ihre gelegentliche pelzig-braune Gesellschaft. Danke Leona Lewis für deine Stimme und Inspiration. Mein besonderer Dank gilt Sarah Franklin, meiner Komplizin in feministischen Untaten. Darüber hinaus danke ich auch Duke University Press, die ein weiteres Mal mit mir gearbeitet haben und Ken Wissoker und Elizabeth Ault, die dem Projekt bis zum Schluss Enthusiasmus entgegengebracht haben, als auch Liz Smith für ihre Geduld während der letzten Züge des Buches. An meine feministischen Kolleg*innen am Goldsmiths College, der Universität von London, und außerhalb: Ich weiß die Fürsorge und die Verbundenheit, sei es von nah oder fern, zu schätzen, vor allem von Lisa Blackman, Sirma Bilge, Ulrika Dahl, Natalie Fenton, Yasmin Gunaratnam, Heidi Mirza, Fiona Nicoll, Nirmal Puwar, Beverley Skeggs, Elaine Swan und Isabel Waidner. Den Mitgliedern im Zentrum für feministische Forschungen und im feministischen Postgraduiertenforum danke ich für die Arbeit an der Verbesserung des Arbeitsplatzes zu einem besseren, sichereren Ort, insbesondere Tiffany Page und Leila Whitley.
Während ich das Manuskript dieses Buches bearbeitete, entschloss ich mich schweren Herzens, den Job am Goldsmiths zu kündigen, nachdem ich drei Jahre lang gemeinsam mit Gleichgesinnten vergeblich dagegen angekämpft hatte, dass sexuelle Belästigung auch in akademischen Kreisen immer mehr als normal hingenommen wird. Ich bin ganz überwältigt von der feministischen Solidarität und der Unterstützung, die ich erhalten habe. Jede Nachricht hat mir eine Botschaft vor Augen geführt, über die ich in diesem Buch schreiben möchte: Feministisch zu leben heißt, sich mit anderen zu verbi(ü)nden und sich gegenseitig zu stützen, mit dem gemeinsamen Vorhaben, Welten auseinanderzunehmen. Wir brechen etwas auf, zwar langsam, aber wir brechen etwas auf.
Was kommt euch als erstes in den Sinn, wenn ihr den Begriff Feminismus hört? Dieser Begriff erfüllt mich mit Hoffnung, mit Energie. Er erinnert an laute Verweigerungshandlungen und Rebellion genauso wie an die leisen Möglichkeiten, die wir haben könnten, um nicht an Dingen festzuhalten, die uns herabwürdigen. Er vergegenwärtigt Frauen, die sich erhoben haben, sich gegen Dinge ausgesprochen haben, die ihr Leben, ihr Zuhause und ihre Beziehungen im Kampf um erträglichere Welten riskiert haben. Er erinnert an geschriebene Bücher, zerfledderte und abgegriffene Bücher, die einer Sache Worte verliehen haben, einem Gefühl, einem Sinn für Ungerechtigkeit, Bücher, die uns mit ihren Worten Kraft gegeben haben, um weiterzumachen. Feminismus bedeutet schließlich, wie wir uns gegenseitig auffangen. So viel Geschichte in einem Wort; so vieles, was dieses Wort auch in sich aufgenommen hat.
Ich schreibe dieses Buch, um an dem Versprechen festzuhalten, das mit dem Begriff einhergeht, darüber nachzudenken, was es bedeutet, ein Leben zu führen, in dem dieser Begriff der deine ist: Feminist*in zu sein, Feminist*in zu werden, wie eine Feminist*in zu sprechen. Feministisch zu leben, heißt nicht, eine Reihe von Idealen und Verhaltensregeln zu verinnerlichen, auch wenn es bedeuten kann, dass man sich ethische Fragen zu dem Thema stellt, wie man besser in einer ungerechten und ungleichen Welt (in einer nicht feministischen oder gar antifeministischen Welt) leben kann; wie man zu anderen Beziehungen aufbauen kann, die gleichberechtigter sind; wie man denjenigen helfen kann, die nicht oder kaum vom Sozialsystem unterstützt werden; wie man gegen Geschichten ankommt, die wie eine Mauer fest zementiert sind.
Es ist wichtig, von vorneherein anzumerken, dass die Idee des Feminismus als Lebensart, als Art und Weise, wie man über das Leben denkt, oft als Teil feministischer Historie gesehen wird, als heute überholt, verbunden mit der moralisierenden oder sogar kontrollierenden Haltung eines sogenannten – gewöhnlich herablassend so bezeichneten – Kulturfeminismus. Ich werde in Kapitel 9 noch einmal auf die Politik dieser Ablehnung eingehen. Ich behaupte ja nicht, dass dieser Feminismus, der als moralische Kontrollinstanz auftritt, jener Feminismus, der weiterhin diese oder jene Handlung (und somit diese oder jene Person) als unfeministisch oder nicht ausreichend feministisch bezeichnet, einfach frei erfunden ist. Ich habe diese Verurteilung auch schon erlebt; es wurde von mir verlangt, sie zu schultern.[1]
Aber die Figur der kontrollierenden Feminist*in ist aus gutem Grund nicht eindeutig. Feminismus kann einfacher abgelehnt werden, wenn man ihn als Ablehnung wahrnimmt; als ein System, das Menschen dazu bringt, sich aufgrund ihrer Vorlieben und Anlagen schlecht zu fühlen. Die Figur der feministischen Kontrollinstanz wird geltend gemacht, weil sie nützlich ist; Feminist*innen als Kontrollinstanzen zu verstehen, bedeutet, Feminismus nicht wirklich zu verstehen. Viele feministische Figuren sind antifeministische Werkzeuge, auch wenn wir sie immer für unsere Zwecke umrüsten können. Eine Rückforderung kann folgendermaßen aussehen: Wenn Hinterfragen und Benennen von Sexismus als Verhaltenskontrolle verstanden werden, dann sind wir feministische Kontrollinstanzen. Zu beachten ist, dass durch das Umrüsten von antifeministischen Figuren nicht dem Urteil zugestimmt wird (Sexismus infrage zu stellen, bedeutet zu kontrollieren), sondern der Prämisse widersprochen wird, die in ein Versprechen umgewandelt wird (wenn du der Meinung bist, dass die Infragestellung von Sexismus Kontrolle bedeutet, dann sind wir feministische Kontrollinstanzen).
Wenn wir Feminismus zur Lebensaufgabe machen, werden wir als wertend beurteilt. In diesem Buch lehne ich es ab, die Frage danach, wie man feministisch lebt, der Vergangenheit zuzuweisen. Feministisch zu leben, heißt, alles dahingehend zu verändern, dass es hinterfragbar wird. Die Frage, wie man feministisch lebt, ist eine lebendige Frage, genauso wie sie eine Frage des Lebens ist.
Wenn wir aufgrund der Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt, aufgrund dessen, wie die Welt nicht ist, Feminist*innen werden, was für eine Welt bauen wir dann? Um feministische Räume zu schaffen, müssen wir das auseinandernehmen, was bereits zusammengesetzt wurde; wir müssen uns fragen, wogegen wir sind, wofür wir sind, in dem Wissen, dass dieses Wir keine Basis ist, sondern etwas, worauf wir hinarbeiten. Indem wir herausarbeiten, wofür wir sind, arbeiten wir auch dieses Wir heraus, diesen hoffnungsvollen Vorboten feministischer Gesamtheit. Wo es Hoffnung gibt, gibt es Schwierigkeiten. Feministische Geschichten sind Geschichten über die Schwierigkeit dieses Wir. Es sind die Geschichten derjenigen, die dafür kämpfen mussten, Teil eines feministischen Kollektivs zu sein oder auch ein feministisches Kollektiv bekämpfen mussten, um einen feministischen Standpunkt einzunehmen. Hoffnung geht nicht auf Kosten des Kampfes, sondern treibt ihn an; Hoffnung gibt uns einen Sinn, Dinge auszuarbeiten, durchzuarbeiten. Hoffnung ist nicht ausschließlich und auch nicht permanent nur auf die Zukunft ausgerichtet, sondern sie begleitet uns durch schwieriges Terrain, wenn wir auf dem Weg, den wir gehen, mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, die uns am Weitergehen hindern.[2] Hoffnung treibt uns an, wenn wir uns anstrengen müssen, um etwas möglich zu machen.
Feminismus ist in vielerlei Hinsicht eine Bewegung. Wir haben uns bewegt, um Feminist*innen zu werden. Vielleicht werden wir durch etwas bewegt: einen Gerechtigkeitssinn, dafür, dass irgendetwas nicht stimmt, wie ich in Kapitel 1 darlege. Eine feministische Bewegung ist eine kollektive, politische Bewegung. Viele Feminismen bedeutet viele Bewegungen. Ein Kollektiv ist etwas, das nicht stillsteht, sondern durch Bewegung hervorgebracht wird und Bewegung hervorbringt. Bei feministischem Handeln denke ich an kleine Wasserbewegungen, kleine Wellen, möglicherweise entstanden durch Wetterumschwünge; hier, dort, jede Bewegung macht eine andere möglich, eine weitere kleine Welle, nach außen, zu den Rändern hin. Feminismus ist eine dynamische Kraft der Vernetzung. Und doch muss eine Bewegung erst aufgebaut werden. Teil einer Bewegung zu sein, bedeutet, Orte der Versammlung, des Treffens zu finden. Eine Bewegung ist auch ein Zufluchtsort. Wir versammeln uns; wir haben eine Versammlung. Eine Bewegung besteht, um das Bestehende zu verändern. Eine Bewegung muss irgendwo stattfinden. Eine Bewegung ist nicht bloß oder nur Bewegung; es gibt auch etwas, das nicht in Bewegung geraten darf, das einen ruhigen Platz braucht, wenn wir uns bewegen, um das, was ist, zu verändern.
Wenn wir Zeug*innen einer bewegenden Kraft werden, gehen wir davon aus, dass eine Bewegung stark ist: mehr Menschen auf den Straßen, mehr Menschen, die mit ihrer Unterschrift gegen etwas protestieren, mehr Menschen, die eine Bezeichnung gebrauchen, um sich selbst zu identifizieren. Ich glaube, wir konnten in den letzten Jahren Zeug*innen einer ansteigenden bewegenden Kraft um Feminismus herum werden, was globale Proteste gegen Gewalt an Frauen angeht; was den Zuwachs an Büchern über Feminismus betrifft; die deutliche Sichtbarkeit feministischer Aktivitäten in den sozialen Medien; und auch daran, wie der Begriff Feminismus die Bühne von Künstler*innen und Prominenten wie beispielsweise Beyoncé zum Kochen bringen lassen kann. Und als Lehrerin, wurde ich aus erster Hand Zeugin dieser stetigen Entwicklung: Immer mehr Schüler*innen wollen sich mit Feminist*innen identifizieren, sie erwarten, dass wir mehr Kurse über Feminismus anbieten; und dann ist da noch die fast atemberaubende Beliebtheit von Veranstaltungen, die wir zum Thema Feminismus organisieren, vor allem zu queerem Feminismus und Trans-Feminismus. Feminismus bringt Menschen zusammen.
Nicht jede feministische Bewegung ist so einfach zu entdecken. Eine feministische Bewegung wird nicht automatisch öffentlich wahrgenommen. Sie kann bereits in dem Augenblick stattfinden, wenn eine Frau ausrastet (sie snapt, siehe Kapitel 8) weil sie, die Gewalt, die ihre Welt, durchtränkt, nicht mehr ertragen kann. Eine feministische Bewegung kann auch durch die wachsende Verbindung zwischen denen entstehen, die Dinge als etwas erkennen, mit dem sie es zu tun haben – Machtbeziehungen, Gewalt zwischen den Geschlechtern, Geschlecht als Gewalt – selbst wenn sie andere Wörter für das haben, was es ist. Wenn wir an das Motto der zweiten feministischen Welle denken »das Private ist politisch«, können wir sehen, dass Feminismus an eben diesen Orten stattfindet, die in der Geschichte als unpolitisch ausgeklammert worden sind: in häuslicher Umgebung, Zuhause, kann jeder Raum ein feministischer Raum werden, je nachdem wer etwas tut und wo, genauso wie auf der Straße, im Parlament oder in der Universität. Feminismus entsteht, wo auch immer er gebraucht wird. Feminismus wird es überall geben müssen.
Feminismus wird es überall geben müssen, weil Feminismus nicht überall ist. Wo findet Feminismus statt? Das ist eine gute Frage. Wir können uns fragen: Wo finden wir Feminismus oder wo findet uns Feminismus? Ich werfe diese Frage als Lebensfrage im ersten Teil des Buches auf. Eine Geschichte beginnt immer, bevor sie erzählt werden kann. Wann wurde Feminismus zu einem Wort, das nicht nur zu dir sprach, sondern auch über dich sprach, über deine Existenz sprach, dich existent sprach? Wann wurde der Klang des Feminismus zu deinem Klang? Was bedeutete es, was bedeutet es jetzt, an Feminismus festzuhalten, in seinem Namen zu kämpfen; in seinen Höhen und Tiefen, seinem Kommen und Gehen die eigenen Höhen und Tiefen, das eigene Kommen und Gehen zu fühlen?
Wenn ich in diesem Buch an mein feministisches Leben denke, frage ich mich »woher?« oder auch »von wem?«. Bei wem entdeckte ich den Feminismus? Ich werde mich immer an ein Gespräch erinnern, das ich als junges Mädchen in den späten 1980er Jahren führte. Ich sprach mit meiner lieben Tante Gulzar Bano. Sie war eine meiner ersten feministischen Lehrer*innen. Ich hatte ihr damals einige meiner Gedichte zu lesen gegeben. In einem Gedicht hatte ich das Wort Er benutzt. »Warum schreibst du Er«, fragte sie mich behutsam, »wenn du auch hättest Sie schreiben können?« Die Frage, die mit einer solchen Wärme und Liebenswürdigkeit gestellt wurde, löste so einen Kummer, so eine Trauer aus, weil mir klar wurde, dass die Worte, genauso wie Welten, von denen ich dachte, sie seien für mich offen, ganz und gar nicht offen waren. Er beinhaltet nicht Sie. Die Lektion wird zu einem Auftrag. Um einen Eindruck zu hinterlassen, musste ich das Er entfernen. Sie zu werden, bedeutet Teil einer feministischen Bewegung zu werden. Eine Feministin wird Sie, auch wenn sie bereits als Sie galt, wenn sie in dem Begriff eine Ablehnung des Er hört, eine Ablehnung, dass Er ihre Einbeziehung verspricht. Sie hebt das Wort auf und macht es sich zu eigen.
Langsam wurde mir bewusst, was ich bereits gewusst hatte: Patriarchale Logik reicht bis zur kleinsten Einheit, bis zum Buchstaben, bis zum Mark. Ich musste einen Weg finden, um nicht diese Grammatik zu kopieren, wenn ich etwas sagte, etwas schrieb; etwas tat, ich selbst war. Es ist wichtig, dass ich diese feministische Lektion von meiner Tante, einer muslimischen Frau, einer muslimischen Feministin, einer Feministin of Color[3] im pakistanischen Lahore lernte. Möglicherweise wird angenommen, dass Feminismus vom Westen zum Osten reist. Möglicherweise wird angenommen, dass Feminismus etwas ist, das der Westen dem Osten bringt. Diese herumgeisternde Annahme erzählt eine ganz spezielle feministische Geschichte, eine Geschichte, die oft wiederholt wird; eine Geschichte darüber, wie Feminismus als imperialistisches Mitbringsel nützlich geworden ist. Das ist aber nicht meine Geschichte. Wir müssen andere feministische Geschichten erzählen. Der Feminismus reiste aus dem Osten zu mir und wuchs im Westen auf. Meine pakistanischen Tanten brachten mir bei, dass mein Verstand mein eigener war (also, dass mein Verstand niemandem gehörte); sie brachten mir bei, für mich selbst zu sprechen; mich gegen Gewalt und Unrecht auszusprechen.
Es ist entscheidend, wo wir Feminismus entdecken.
Es ist entscheidend wer ihn uns zeigt.
Feminismus als kollektive Bewegung resultiert aus dem, wie wir uns bewegt haben, um Feminist*innen im Austausch mit anderen zu werden. Eine Bewegung erfordert, dass wir uns bewegen. Ich untersuche diese Anforderung in Teil I dieses Buches, indem ich wieder die Frage nach dem feministischen Gewissen aufgreife. Denken wir darüber nach, warum feministische Bewegungen noch immer notwendig sind. Ich möchte an dieser Stelle bell hooks’ Definition von Feminismus anbringen: »die Bewegung, um Sexismus, sexuelle Ausbeutung und sexuelle Unterdrückung zu beenden« (2000, 33). Von dieser Definition lernen wir so viel. Feminismus ist deshalb wichtig, weil sich einige Dinge nicht geändert haben: Sexismus, sexuelle Ausbeutung und sexuelle Unterdrückung. Und für bell hooks können »Sexismus, sexuelle Ausbeutung und sexuelle Unterdrückung« nicht getrennt von Rassismus betrachtet werden, von dem, wie die Gegenwart durch koloniale Darstellungen geformt worden ist, wie die Sklaverei, als ein zentrales Moment für die Ausbeutung von Arbeit im Kapitalismus. Intersektionalität ist ein Ausgangspunkt, der Punkt, von dem aus wir weitermachen müssen, wenn wir darstellen wollen, wie Macht funktioniert. Feminismus muss intersektional sein »oder er ist Mist«, um uns Flavia Dzodans[4] prägnanter Worte zu bedienen. Das ist die Art von Feminismus, auf die ich mich im Verlauf dieses Buches beziehen werde (es sei denn, ich deute etwas anderes an und beziehe mich ausdrücklich auf den weißen[5] Feminismus).
Ein bedeutsamer Schritt für eine feministische Bewegung ist es, zu erkennen, was noch nicht vorbei ist. Und dieser Schritt ist ein schwerer Schritt. Ein langsamer und mühevoller Schritt. Mag sein, dass wir denken, wir hätten diesen Schritt nur gemacht, um festzustellen, dass wir ihn erneut machen müssen. Mag sein, dass du mit einer Fantasie der Gleichheit in Konflikt gerätst: dass Frauen heute alles machen könnten, sogar haben könnten, oder, dass sie alles haben könnten, wenn sie sich nur genug anstrengten; dass einzelne Frauen Sexismus und andere Hindernisse (wir bezeichnen diese Art von Hindernissen als glass ceiling[6] oder Mauer) durch bloße Mühe oder Beharrlichkeit beiseite räumen könnten. Letztendlich hat vieles damit zu tun, wie unsere Körper ausgestattet sind. Wir könnten das als postfeministische Fantasie bezeichnen: dass eine einzelne Frau dafür sorgen könnte, ihre Bewegung zu beenden; oder dass Feminismus »Sexismus, sexuelle Ausbeutung oder sexuelle Unterdrückung« beendet habe, als wäre Feminismus bereits so erfolgreich, dass er seine eigene Notwendigkeit aufgehoben hätte (Gill 2007; McRobbie 2009); oder dass diese Phänomene an sich nur eine feministische Fantasie sind, ein Anhängsel von etwas, das es niemals gegeben hat oder das nicht mehr existiert. Wir könnten auch bei Postrace an eine Fantasie denken, mit deren Hilfe Rassismus funktioniert: Als läge Rassismus hinter uns, nur weil wir nicht mehr an ›Rasse‹[7] glauben oder als könnten wir Rassismus hinter uns lassen, wenn wir nur nicht länger daran glauben. Diejenigen unter uns, die in Institutionen angekommen sind, um dort Diversity[8] zu verkörpern, sollen durch die heilende Kraft ihrer Ankunft das Weißsein abschaffen (siehe Kapitel 6).
Wenn man Feminist*in wird, findet man schnell heraus: Das, was man beenden will, existiert für einige andere nicht einmal. Dieses Buch folgt diesem Prozess des Findens. Feministische und antirassistische Arbeit bringt oft mit sich, andere davon zu überzeugen, dass Sexismus und Rassismus noch nicht vorbei sind; dass Sexismus und Rassismus fundamental für die Ungerechtigkeiten des Spätkapitalismus sind; dass sie bedeutend sind. Alleine die Tatsache, dass man nur hier und da über Sexismus und Rassismus spricht, bedeutet Verdrängung abzulehnen; es bedeutet, abzulehnen, von Postfeminismus oder Postrace zu sprechen, denn das würde erfordern, dass du die Vergangenheitsform (›damals‹) benutzt oder über einen anderen Ort (›dort drüben‹) sprichst.[9]
Selbst, wenn du nur hier und da mal etwas als sexistisch und rassistisch beschreibst, kann dich das in Schwierigkeiten bringen. Wenn du auf bestimmte Strukturen hinweist, entgegnen sie, dass es nur in deinem Kopf existiere. Was du als wesentlich bezeichnest, wird als Spinnerei abgetan. Ich denke, aus diesem abweisenden Verhalten lernen wir etwas über Materialität, wie ich in Teil II über Diversity-Arbeit zeigen werde. Und denke auch daran, was alles erforderlich ist: die politische Arbeit, die notwendig ist, um darauf zu bestehen, dass das, worum es uns geht, nicht einfach nur unseren Gefühlen oder unserem Denken entspricht. Eine feministische Bewegung hängt von unserer Fähigkeit ab, immer wieder auf etwas zu beharren: auf der fortlaufenden Existenz von genau den Dingen, denen wir ein Ende bereiten wollen. In diesem Buch geht es um genau diese Art von Arbeit. Wir lernen beständig aus unserem Dasein als Feminist*innen.
Eine feministische Bewegung erfordert demnach, dass wir uns feministische Absichten aneignen und die Bereitschaft, immer wieder weiterzumachen, trotz oder gerade aufgrund der Widerstände, gegen die wir anrennen. Wir könnten diesen Prozess als feministisches Handeln bezeichnen. Wenn wir der Welt auf feministische Weise begegnen, wenn wir diese Art von Begegnung wiederholen, immer und immer wieder, eignen wir uns feministische Absichten an. Feministische Hoffnung basiert auf dem Fehler, das Potential der Aneignung nicht genutzt zu haben. Und dann, wenn du Feminist*in geworden bist, kann es sich anfühlen, als wärst du schon immer Feminist*in gewesen. Ist es möglich, schon immer so gewesen zu sein? Ist es möglich, von vornherein eine Feminist*in gewesen zu sein? Vielleicht fühlt es sich an, als hättest du schon immer diese Neigung gehabt. Vielleicht hast du immer in diese Richtung tendiert, eine feministische Richtung, weil du bereits als Mädchen die Neigung hattest, rebellisch oder sogar eigenwillig zu sein (siehe Kapitel 3), und den Platz, der dir zugeteilt wurde, nicht akzeptiert hast. Oder möglicherweise ist Feminismus eine Art, wieder neu anzufangen: Also begann deine Geschichte in gewisser Weise mit Feminismus. Eine feministische Bewegung besteht aus vielen Augenblicken des Neuanfangs. Und das ist eines meiner Hauptanliegen: inwiefern die Aneignung einer feministischen Absicht, also sozusagen, wie man zu dieser Sorte von Mädchen oder Frauen wird, die falsche oder die böse Sorte, die Sorte, die ihre Meinung sagt, die ihren Namen schreibt, die ihren Arm zum Protest reckt, eine Rolle spielt für eine feministische Bewegung. Denn jeder einzelne Kampf zählt sehr wohl; eine kollektive Bewegung ist darauf angewiesen. Aber natürlich wird uns nicht Recht gegeben, wenn wir zu der falschen Sorte gehören. Viel Unrecht kann auch von denjenigen begangen werden – und wurde auch begangen –, die von sich selbst denken, sie seien falsch, sei es die falsche Sorte Frau oder die falsche Sorte Feminist*in. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir selbst im Kampf um Gerechtigkeit, gerecht sind. Wir müssen stets innehalten, um die Kraft aus unseren Absichten mit Zweifeln abzuschwächen; um zu schwanken, wenn wir uns sicher sind oder gerade weil wir uns so sicher sind. Eine feministische Bewegung, die mit zu viel Selbstbewusstsein voranschreitet, hat uns bereits zu viel gekostet. In Teil III untersuche ich die Notwendigkeit, unsere Überzeugungen auch anzuzweifeln. Wenn wir auf eine feministische Absicht hinarbeiten, kann uns diese Absicht keinen stabilen Untergrund bieten.
Feminismus ist eine Hausaufgabe. Wenn ich das Wort Hausaufgabe gebrauche, denke ich als erstes an die Schule; ich denke daran, wie ich Aufgaben von einer Lehrer*in aufbekommen habe. Ich denke daran, wie ich am Küchentisch sitze und die Aufgaben mache, bevor ich spielen gehen darf. Hausaufgaben sind einfach Aufgaben, die man machen muss, wenn man zu Hause ist, gewöhnlich von Autoritätspersonen aufgetragen, die Autorität außerhalb des Zuhauses innehaben. Feminismus als Hausaufgabe bedeutet nicht, dass man eine Aufgabe bekommen hat, auch wenn man feministische Lehrer*innen hat. Feminismus als Aufgabe ist eine selbstgestellte Aufgabe. Wir verschreiben uns selbst dieser Aufgabe. Mit Hausaufgabe meine ich nicht, dass wir uns im Feminismus zu Hause fühlen, in dem Sinne, dass wir uns sicher oder geborgen fühlen. Einige von uns finden möglicherweise hier ihr Zuhause; andere von uns womöglich nicht. Ich schlage vielmehr vor, Feminismus als Hausaufgabe in dem Sinne zu sehen, dass wir Aufgaben zu lösen haben, gerade weil wir in einer Welt nicht zu Hause sind. In anderen Worten, Hausaufgaben sind Aufgaben an und in unserem Zuhause. Wir machen Hausarbeit. Feministische Hausarbeit reinigt nicht nur und hält ein Haus nicht einfach instand. Feministische Hausarbeit zielt darauf ab, das Haus zu verändern und so das Reich des Herren umzubauen.
In diesem Buch möchte ich über feministische Theorie auch als Hausaufgabe denken, als einen Weg, zu überdenken, wo feministische Theorie ihren Ursprung hat und wo sie endet. Was ist diese sogenannte feministische Theorie? Zunächst einmal könnten wir annehmen, dass feministische Theorie das ist, was Feminist*innen, die innerhalb der Hochschule arbeiten, hervorbringen. Ich möchte an dieser Stelle vorschlagen, feministische Theorie als etwas zu verstehen, das wir zu Hause tun. Im ersten Teil untersuche ich, wie wir, indem wir Feminist*innen werden, intellektuelle sowie emotionale Arbeit leisten; wir fangen an, Geschlecht als eine Möglichkeitsbeschränkung zu erfahren und wir lernen über Welten, während wir diese Einschränkungen steuern. Die Erfahrungen als Feminist*in, sagen wir mal am Familientisch oder an einem Konferenztisch, haben mich Lebensweisheiten gelehrt, die auch philosophischer Art waren. Zu lernen, eine Feminist*in zu sein, bedeutet, über die Welt zu lernen.
Feministische Theorie kann das sein, was wir gemeinsam im Klassenraum erarbeiten, in einer Konferenz oder wenn wir uns gegenseitig unsere Arbeiten vorlesen. Aber ich glaube, wir klammern zu oft feministische Theorie als etwas aus, das eine spezielle Art oder sogar eine höhere Art feministischer Arbeit absteckt. Wir müssen feministische Theorie nach Hause bringen, weil feministische Theorie zu voreilig als etwas verstanden wurde, das wir tun, wenn wir weg von zu Hause sind (so als wäre feministische Theorie etwas, das man in der Schule lernt). Wenn wir weg sind, können wir neue Wörter, neue Konzepte, neue Perspektiven lernen. Wir begegnen neuen Autor*innen, die Enthüllungsmomente entfachen. Aber feministische Theorie hat nicht dort ihren Ursprung. Feministische Theorie kann sogar das sein, was dich erst dahin gebracht hat.
In der Hochschullandschaft ist der Begriff Theorie sehr gewichtig. Mich hat schon immer interessiert, wie das Wort Theorie an sich verbreitet ist; warum manches Material als Theorie verstanden wird und anderes nicht. Dieses Interesse kann zum Teil auf meinen eigenen Lebensweg zurückgeführt werden: Ich machte meinen Doktor in Kritischer Theorie, um dann Dozentin für Frauenforschung zu werden. Als Studentin lernte ich bereits, dass Theorie dazu da ist, auf eine eher kleine Lehrwerksammlung zurückzugreifen. Einige Lehrwerke werden Theorie, weil sie auf andere Werke Bezug nehmen, die als Theorie gelten. So entsteht eine Zitatkette um die Theorie herum: Du wirst Theoretiker*in, indem du andere Theoretiker*innen zitierst, die wiederum andere Theoretiker*innen zitieren. Einige dieser Werke interessierten mich wirklich; aber ich stellte immer wieder fest, dass ich sowohl die Materialauswahl an sich, als auch die Art, wie sie gelesen wurde, hinterfragen wollte.
Ich erinnere mich daran, dass einem Theoretiker nachgesagt wurde, er habe zwei Seiten, eine Geschichte über die Begierde und eine Geschichte über den Phallus. Im Grunde wurden wir angehalten, die zweite Seite auszuklammern, um uns für die erste zu begeistern und von ihr begeistert zu sein. Ich begann mich zu fragen, ob Theoriearbeit bedeutet, sich für eine Lehrwerksammlung zu begeistern, indem man Fragestellungen bezüglich Phallozentrismus oder Sexismus ausklammert. In der Tat wurden wir dazu aufgefordert, unsere Sorge um den Sexismus, um den es jeweils ging, in dem, was als Theorie gelesen wurde und was wir in der Theorie lasen, auszuklammern. Ich erinnere mich noch daran, wie ich eine kritische Auseinandersetzung zu einem theoretischen Text ablieferte, in dem Frau eine Figur wie in einem meiner Essays war, eine Auseinandersetzung, die später Teil des Kapitels »Frauen« in meinem ersten Buch Differences That Matter (Ahmed 1998) werden sollte. Ich war besorgt darüber, wie Aussagen von Lehrern wie »Da geht es nicht um Frauen« dazu benutzt wurden, jegliche Fragen zum Thema wie die Frauenfigur innerhalb einer männlichen, intellektuellen Tradition wahrgenommen wird, zu umgehen. Als ich mein Essay zurückbekam, hatte der Prüfer in sehr großen Buchstaben »Das ist keine Theorie! Das ist Politik!« darüber gekritzelt.
Damals dachte ich: Wenn Theorie keine Politik ist, bin ich froh, dass ich keine Theorie mache! Und ich war erleichtert, diesen Ort zu verlassen, an dem Theorie und Politik als unterschiedliche Flugbahnen angeordnet waren. Als ich zur Frauenforschung kam, fiel mir auf, wie ich ab und zu mit dem Begriff feministische Theorie eingestellt wurde, als abweichende Art von Feminist*in, verglichen mit anderen Feminist*innen, solchen, von denen man annahm, dass sie empirischer seien, weil weniger theoretisch oder philosophisch angehaucht. Ich habe diese Einstellung immer als eine Form von Gewalt wahrgenommen. Ich hoffe, diese Art immer als Gewaltform wahrzunehmen. Obwohl ich mich in Kritischer Theorie ganz wohlfühle, verlagere ich nicht alle meine Hoffnungen darauf, noch denke ich, dass dieser Ort ein besonders schwieriger Ort des Seins ist: Wenn überhaupt, denke ich, dass es einfacher ist, abstraktere und allgemeinere theoretische Arbeit zu leisten. Ich weiß noch genau, wie ich einer feministischen Philosoph*in zuhörte, die sich jedes Mal entschuldigte, wenn sie diesen oder jenen männlichen Philosophen erwähnte, weil er so kompliziert war. Dadurch fühlte ich mich wie eine Aufmüpfige. Ich denke, dass die schwierigsten, härtesten Fragen von Feminist*innen gestellt werden, die sich mit der Erklärung von Gewalt, Ungleichheit und Ungerechtigkeit beschäftigen. Die empirische Arbeit, die existierende Welt, sind für mich dort aufzufinden, wo Schwierigkeiten und somit Herausforderungen liegen. Kritische Theorie ist wie eine Sprache; du kannst sie lernen und wenn du sie gelernt hast, bewegst du dich mit ihr fort. Natürlich kann es schwer sein, wenn du nicht die Orientierungswerkzeuge hast, um dich in einer neuen Landschaft zurechtzufinden. Selbstverständlich kann es schwierig sein, wenn man nicht die Orientierungswerkzeuge hat, um sich einen Weg durch die neue Umgebung zu bahnen. Aber wir erklären Phänomene wie Rassismus und Sexismus – wie sie entstehen oder wie sie immer weiter entwickelt werden – nicht durch das Erlernen einer neuen Sprache. So eine Art von Schwierigkeit kann nicht durch Vorwissen oder Wiederholungen gelöst werden; genau genommen sind Vorwissen und Wiederholungen der Ursprung von Schwierigkeiten; sie müssen erklärt werden. Angesichts solcher Phänomene wird uns immer wieder aufs Neue die Unangemessenheit unseres Verständnisses vor Augen geführt. Hier treffen wir immer wieder auf die Grenzen unseres Denkens. Genau hier spüren wir womöglich diese Grenzen. Wir kommen an einen Punkt, an dem wir nichts ausrichten können. Uns kann die Unzulänglichkeit dessen, was wir wissen, vor Augen geführt werden. Und wir können uns das, was wir wissen, vor Augen führen.
Wie ich in Teil II zeige, hat sich meine eigene Erfahrung mit dem Thematisieren von Rassismus und Sexismus in Wissenschaftskreisen (indem ich mich geweigert habe, diese Fragestellungen zugunsten einer harmonischeren Darstellung des philosophischen Kanons auszuklammern) als Wiederholung meiner früheren Erfahrungen mit dem Thematisieren von genau diesen Themen am Familientisch herausgestellt. Diese Wiederholung ist eine weitere Form von Pädagogik: Wir lernen daraus, wie sich die Dinge wiederholen. Dir wird unterstellt, dass du einen fröhlichen Anlass mit deiner eigenen Negation störst. Dir wird unterstellt, Identitätspolitik zu betreiben, als würdest du aufgrund deiner eigenen dunklen Hautfarbe über Rassismus oder, weil du eine Frau bist, über Sexismus sprechen. Nirmal Puwar (2004) hat aufgezeigt, wie einige zu »Eindringlingen« werden, wenn sie Welten betreten, die nicht für sie bestimmt sind. Wir können Eindringlinge in Wissenschaftskreise sein; wir können Eindringlinge in die Theorie sein, nur, weil wir uns auf den falschen Text beziehen oder die falschen Fragen stellen.
Eine Frage kann fehl am Platz sein: Worte auch.
Eine Antwort darauf könnte sein, uns so gut wir können, in den Kreisen aufzuhalten, die eigentlich nicht für uns vorgesehen sind. Vielleicht schaffen wir es sogar, uns mit der Universität insgesamt zu identifizieren, indem wir zulassen, unsere Besonderheiten beiseitezuschieben.[10] Daraus folgt ein Bruch, sogar eine Erfindung, daran habe ich keinerlei Zweifel. Aber denkt nur daran: Diejenigen von uns, die in Wissenschaftskreisen ankommen, die nicht von oder für uns gestaltet wurden, bringen sowohl Wissen hervor, als auch Welten, die anderenfalls nicht existieren würden. Denkt daran: Wir lernen von Welten, wenn sie uns nicht aufnehmen. Denkt an die ganzen Erfahrungen, die ihr macht, wenn ihr unerwartet hier seid. Diese Erfahrungen sind eine Quelle, um Wissen hervorzubringen. Die Augen für feministische Theorie zu öffnen, bedeutet, Feminismus an den Orten wirken zu lassen, an denen wir leben und arbeiten. Wenn wir an feministische Theorie als Hausaufgabe denken, wird die Universität zu etwas, an und in dem wir arbeiten. Wir nutzen unsere Besonderheiten, um das Universelle herauszufordern.
Ich werde damit herausrücken: Ich genieße und wertschätze viele Arbeiten, die man als Kritische Theorie lehrt und liest. Es gab Gründe, warum ich mich als erstes damit beschäftigte und diese erkläre ich in Kapitel 1. Aber ich erinnere mich noch, wie ich im zweiten Jahr meiner Promotion Texte von Schwarzen Feminist*innen und Feminist*innen of Color, wie Audre Lorde, bell hooks und Gloria Anzaldúa las. Ich hatte ihre Werke nie zuvor gelesen. Sie rüttelten mich wach. In diesen Werken ging es darum, wie eine verkörperte Erfahrung der Macht die Grundlage für Wissen liefert. Es ging um das Schreiben, das vom Alltäglichen belebt war: die ausführliche Darstellung einer Begegnung, eines Ereignisses, eines Vorfalls, die wie eine Erkenntnis aufblitzte. Die Forschungen von Schwarzen Feminist*innen und Feminist*innen of Color zu lesen, hat mein Leben verändert. Ich begann zu verstehen, dass Theorie mehr konnte, je tiefer sie unter die Haut ging. Da fasste ich einen Entschluss: theoretische Arbeit, die mit der Welt in Verbindung steht, war die Art von theoretischer Arbeit, mit der ich mich beschäftigen wollte. Sogar wenn ich Texte schrieb, deren Handlung sich um die Geistesgeschichte drehte, versuchte ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus zu schreiben: das Alltägliche als etwas Lebendiges. Wenn ich Bücher schrieb, wollte ich mich sogar noch näher am Alltäglichen halten als zuvor. Dieses Buch ist persönlich. Das Persönliche ist theoretisch. Theorie an sich gilt oft als abstrakt: Etwas ist theoretischer, je abstrakter es ist, je mehr es vom alltäglichen Leben abstrahiert wird. Abstrahieren heißt abholen, loslösen, wegziehen oder auch zweckentfremden. Vielleicht müssen wir die Theorie neu abholen, um sie wieder ins Leben zu holen.
Auch wenn meine früheren Arbeiten Beispiele aus dem alltäglichen Leben beinhalteten, schlossen sie auch wesentliche Verweise auf intellektuelle Traditionen ein. Ich habe keine Zweifel daran, dass ich diese Traditionen brauchte, um meine Argumentationen zu stützen: In The Promise of Happiness (Ahmed 2010), musste ich die Figur der feministischen Spaßverderber*in in Bezug zur Geschichte des Glück/lichseins setzen, um ihrer Erscheinung einen Sinn zu geben; in Willful Subjects (Ahmed 2014), musste ich die Figur des eigenwilligen Subjekts in Bezug zur Geschichte des Willens setzen, um ihr einen Sinn zu geben. Aber sobald diese Figuren auftauchten, gaben sie mir eine andere Handhabung vor. Sie nahmen ein Eigenleben an. Oder sollte ich sagen: Beim Schreiben war ich in der Lage, Figuren auszusuchen, gerade wegen des Lebens, das sie führten. Diese Figuren wurden schnell zur Quelle neuer Verbindungen. Ich begann – gleichzeitig mit diesem Buch – einen neuen Blog zu schreiben, der sich um sie herum drehte (feministikilljoys.com). Seit ich diesen Blog begonnen habe, erhalte ich Nachrichten von vielen Studierenden, und das nicht nur von Bachelorstudierenden und Doktorand*innen, sondern auch von Schüler*innen, die mir von ihren eigenen Erfahrungen als feministische Spaßverderber*innen und eigenwillige Subjekte berichten. Ich habe so viel durch diesen Austausch gelernt. Wenn man es genau nimmt, ist dieses Buch ihr Produkt. Ich widme dieses Buch feministischen Schüler*innen. Es ist an euch adressiert.
Eine Feminist*in zu werden, bedeutet, Schüler*in zu bleiben. Und zwar aus diesem Grund: Die Figuren der feministischen Spaßverderber*in und des eigenwilligen Subjekts sind lernbegierig. Von daher überrascht es nicht, dass sie mir ermöglichten, mit denen zu kommunizieren, die in diesen Figuren eine Lösung für etwas (eine Schwierigkeit, eine Situation, eine Aufgabe) sahen. Ich versuche noch immer, eine Lösung für etwas (eine Schwierigkeit, eine Situation, eine Aufgabe) zu finden und dieses Buch ist ein Ergebnis davon. Eines meiner Ziele in Feministisch leben! ist es, diese Figuren von den Geschichten zu befreien, in denen sie beheimatet sind. Ich versuche herauszuarbeiten und durchzuarbeiten, was sie uns sagen. In gewisser Weise verarbeite ich sogar meine eigene intellektuelle Reise in diesem Buch. Indem ich die Bedingungen ihres Erscheinens, wie sie in mein Leben traten, wie sie für mich zur Beschäftigung wurden, durchlebe, gehe ich zurück zu alten Ufern. Eine intellektuelle Reise ist wie jede andere Reise auch. Ein Schritt ermöglicht den nächsten. In diesem Buch wiederhole ich ein paar dieser Schritte.
Ich hoffe, dass ich durch das Wiederholen der Schritte einige meiner Argumente zugänglicher machen kann: Durch die Alltagsnähe wird feministische Theorie zugänglicher. Als ich die Arbeit an diesem Buch begann, dachte ich, ich würde einen feministischen Text schreiben, der mehr dem Mainstream entspricht oder sogar ein Buch, das sich gut verkaufen lässt. Doch ich stellte fest, dass das Buch, das ich schrieb, nicht so eine Art von Buch war. Ich wollte eine langsame Argumentation schreiben, alte Ufer betreten und mir Zeit lassen. Und dabei wollte ich auch in den akademischen Feminismus intervenieren. Ich war über 20 Jahre lang Akademikerin und die Begrifflichkeiten der feministischen Theorie sind mir durchaus geläufig. Ich bin mir bewusst, dass nicht alle Feminist*innen sich in akademischen Kreisen wohlfühlen und dass die wissenschaftliche Sprache der feministischen Theorie befremdlich wirken kann. In diesem Buch werde ich dennoch wissenschaftliches Vokabular benutzen. Ich arbeite von zu Hause aus und wissenschaftliches Vokabular ist mein Werkzeug. Dennoch ist es mein Ziel, mich mit meiner Ausdrucksweise nicht weiter als nötig von der Alltagssprache zu entfernen, indem ich versuche, aufzuzeigen, inwiefern feministische Theorie das ist, was wir tun, wenn wir auf feministische Weise leben.
Wenn ich einige Schritte einer Reise zurückverfolge, mache ich nicht dieselbe Reise. Ich habe auf meinem Weg neue Erkenntnisse gewonnen, weil ich mich näher am Alltagsgeschehen gehalten habe. An dieser Stelle sollte ich hinzufügen, dass sich-nah-am-Alltagsgeschehen-zu-halten mit einschließt, sich mit Worten und solchen Konzepten zu beschäftigen wie Glück/lichsein oder Wille. Ich lausche noch immer der Resonanz. Für mich bedeutet Feminismus Poesie; in Worten hören wir Geschichten; wir setzen Geschichten neu zusammen, indem wir sie in Worte fassen. Dieses Buch folgt noch immer Worten überall hin, so wie ich es vorher getan habe, indem ich ein Wort so oder so herumgedreht habe, wie einen Gegenstand, der jedes Mal, wenn er gedreht wird, in unterschiedliches Licht getaucht wird; ich befasse mich mit denselben Worten über unterschiedliche Kontexte hinweg und erlaube es ihnen, Wellen zu schlagen oder neue Muster zu ziehen wie die Textur vor einem Hintergrund. Ich argumentiere, indem ich auf Resonanz horche; folglich schließt das Buch mit ein, dass Worte wiederholt werden, gelegentlich sogar immer und immer wieder; Worte wie zerschmettern, Worte wie ausrasten (snap). Die Wiederholung formt eine feministische Anleitung.
Eine feministische Anleitung: Wenn wir die Erfahrung machen wollen, Feminist*innen zu werden, bringen wir womöglich nicht nur auf andere Art und Weise feministische Ideen hervor, sondern sogar neue Ideen über Feminismus. Feministische Ideen entwickeln wir aus der Notwendigkeit, dem einen Sinn zu geben, was fortbestehen bleibt. Wir werden nur in feministischen Ideen und durch ihr Hervorbringen bestehen. Bereits diese Idee enthält eine andere Idee über Ideen. Ideen würden demzufolge nicht durch Distanz hervorgebracht, etwas, das aus etwas anderem gewonnen wird, sondern durch unsere Verwicklung in einer Welt, die uns ehrlich gesagt oft verdutzt zurücklässt. Ideen mögen die Art und Weise sein, wie wir mit und an unseren Ahnungen arbeiten, diesen Gefühlen, dass etwas verkehrt läuft oder nicht richtig ist, die Teil des alltäglichen Lebens und Ausgangspunkt so vieler kritischer Arbeiten sind.
Mit dem Versuch, Dinge zu beschreiben, die schwierig sind, die sich dem vollständigen Verständnis in der Gegenwart entziehen, erzeugen wir das, was ich als schweißtreibende Konzepte, bezeichne. Zum ersten Mal gebrauchte ich den Ausdruck, um Studierenden die Art von intellektueller Arbeit zu vermitteln, die in Audre Lordes Werk offenbart wird. An dieser Stelle möchte ich meine Schuld zum Ausdruck bringen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie viel ich Audre Lorde schuldig bin für das außergewöhnliche Archiv, das sie uns hinterlassen hat. Als ich zum ersten Mal ihr Werk las, hatte ich das Gefühl, mir würde eine Rettungsleine zugeworfen. Die Worte, die aus der Beschreibung ihrer eigenen Erfahrung als Schwarze Frau, Mutter, Lesbe, Poetin, Kämpferin entsprangen, berührten mich; obgleich ich mich an einem anderen Ort befand als sie, ihre Worte berührten mich. Ihre Worte gaben mir den Mut, meine eigenen Erfahrungen als Woman of Color, Lesbe, Tochter, als Autorin dazu zu nutzen, basierend auf der Beschreibung dessen, wo ich in der Welt war, basierend auf der Beschreibung einer Welt, in die ich nicht passte, Theorie zu erschaffen. Eine Rettungsleine: Das kann ein rissiges Seil sein, abgenutzt und zerfetzt vom rauen Wetter, aber es reicht, um dein Gewicht zu tragen, um dich herauszuziehen, damit du eine niederschmetternde Erfahrung überlebst.
Ein schweißtreibendes Konzept: ein anderer Weg, um aus einer niederschmetternden Erfahrung herausgezogen zu werden. Die Verwendung schweißtreibender Konzepte für deskriptive Arbeit ist der Versuch, zumindest zwei Dinge auszudrücken. Erstens wollte ich damit sagen, dass zu häufig eine Unterscheidung gemacht wird zwischen Arbeit an Konzepten und der Beschreibung einer Situation: und in dem Fall verstehe ich eine Situation als etwas, das eine Antwort erfordert. Eine Situation kann sich auf die Aufeinanderfolge von Umständen zu einem gegebenen Zeitpunkt, aber auch auf eine kritische, problematische oder erstaunliche Reihe von Umständen beziehen. Lauren Berlant beschreibt eine Situation mit den folgenden Worten: »Ein Zustand, in dem etwas Bedeutung annehmen könnte, wird inmitten des gewöhnlichen Lebens offengelegt.« (2008: 5) Wenn eine Situation dem entspricht, wie wir durch Dinge aus der Ruhe gebracht werden, dann offenbart sich der Sinn von Dingen im »gewöhnlichen Leben«. Konzepte werden meist mit dem gleichgesetzt, was Gelehrte, oft durch Betrachtung und Rückzug, erfinden, eigentlich wie ein Apfel, der dich am Kopf trifft und dir aus einer außenstehenden Position heraus eine Offenbarung schenkt.
Ich wurde mir dieser akademischen Tendenz, Konzepte als etwas zu identifizieren, was der Welt nutzt, während einer empirischen Studie zur Diversity bewusst, auf die ich in Teil II eingehen werde. Ich hatte selbst diese Tendenz, also konnte ich sie auch wiedererkennen. In dem Projekt befragte ich die Universitätsmitarbeiter*innen, die als Diversity-Beauftragte angestellt waren. Mir wurde dabei klar, wie wir durch die Umgestaltung von Institutionen Wissen über diese erzeugen. Konzepte funktionieren auf dieselbe Weise, wie wir funktionieren, was auch immer wir tun. Wir müssen ab und zu herausfinden, wie solche Konzepte aussehen (was wir denken, wenn wir handeln oder welches Denken eine Handlung zur Folge hat), weil Konzepte undurchsichtig sein können als Annahmen, die sich im Hintergrund abspielen. Doch dieses Herausarbeiten bringt eben kein Konzept von außerhalb (oder von oben) ein: Konzepte bestehen in der Welt, in der wir leben.
Mit dem Begriff der schweißtreibenden Konzepte versuche ich zudem aufzuzeigen, inwiefern deskriptive Arbeit auch Arbeit an Konzepten bedeutet. Ein Konzept ist weltumfassend und gleichzeitig eine Neuausrichtung zu der Welt, eine Möglichkeit, um Dinge neu zu überdenken, einen anderen Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache zu bekommen. Genauer gesagt ist ein schweißtreibendes Konzept eins, das aus der Beschreibung eines Körpers entsteht, der in der Welt nicht zu Hause ist. Ich meine hier Beschreibung als Perspektive oder Sichtweise: eine Beschreibung dessen, wie es sich anfühlt, in der Welt nicht zu Hause zu sein oder eine Beschreibung der Welt aus Sicht von jemandem, der nicht in ihr zu Hause ist. Schweiß ist Teil des Körpers; wir schwitzen wahrscheinlich mehr bei anstrengender und muskulärer Aktivität. Ein schweißtreibendes Konzept kann aus einer körperlichen Aktivität resultieren, die anstrengend ist. Die Aufgabe besteht darin, diese Anstrengung auszuhalten, sie zu erforschen und sich dieser auszusetzen. Wir brauchen weder Anstrengung noch Mühe beim Schreiben außen vor zu lassen. Die Anstrengung oder die Mühe in unseren Texten nicht zu verdrängen, wird dann zu einem akademischen Ziel, weil uns beigebracht wurde, unsere Texte aufzuräumen, unseren inneren Kampf nicht zu offenbaren, den wir auf dem Weg zu unserem Ziel führen. Schweißtreibende Konzepte entstehen auch aus praktischen Erfahrungen, mit einer Welt konfrontiert zu sein, oder der praktischen Erfahrung, eine Welt verändern zu wollen.[11]
Selbst als ich in diesem Bereich gearbeitet habe, fiel mir auf (teils, weil es den Leser*innen aufgefallen ist), dass ich nicht imstande war, eine Schwierigkeit zuzugeben: Zum Beispiel, neige ich dazu, Du anstatt Ich zu sagen, wenn ich über meine eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Belästigung spreche, und distanziere mich so davon durch das Pronomen der zweiten Person Singular. Ich habe versucht, Ich hinzuzufügen, nachdem ich alles niedergeschrieben hatte, aber dieses Ich fühlte sich so belastend an, dass ich das Du unter Vorbehalt stehen ließ. Feminismus kann eine Belastung sein. Diese Belastung wird durch die Spannung in diesem Text sichtbar, die gelegentlich durch den Wechsel der Pronomen und Personen zum Ausdruck kommt; eine Spannung zwischen dem Erzählen meiner eigenen Geschichte; wie ich Feministin geworden bin, wie ich zur Diversity-Arbeit gekommen bin, wie ich mit dem umgegangen bin, womit du konfrontiert wirst und wie ich allgemeinere Überlegungen über Welten angestellt habe. Ich habe versucht, diese Spannung aufrechtzuerhalten.