„Wenn wir, sagtest du, die Menschen nur nehmen, wie sie sind,
so machen wir sie schlechter. Wenn wir sie behandeln, als wären sie,
was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“

 

(Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre VIII, 4)

Einleitung

„Gedacht ist noch nicht gesagt,
gesagt ist noch nicht gehört,
gehört ist noch nicht verstanden,
verstanden ist noch nicht einverstanden,
einverstanden ist noch nicht angewendet,
angewendet ist noch nicht beibehalten.“

(Konrad Lorenz)

In seinen Studien hat sich der österreichische Medizin-Nobelpreisträger Konrad Lorenz auch mit Verhaltensänderungen befasst.1 Ihm wird das obige Zitat zugeschrieben, welches auf fast schon poetische Art und Weise deutlich macht, wie lang der Weg vom Ratgebenden zum Anwender sein kann – und vor allem, wie fehlerhaft dieser sein kann!

„Menschen wehren sich nicht gegen Veränderung, sondern dagegen, verändert zu werden.“

(Richard Beckhard)

Richard Beckhard forschte in den USA und war ein Pionier auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung. Dieses Zitat steht sinnbildlich dafür, dass wir als Experten im Gesundheitskontext2 alltäglich die faszinierende Erfahrung machen, dass Klienten selbstständig in eine Richtung gehen, von der sie am Anfang der Therapie nie geglaubt hätten, sie einmal einschlagen zu können. Sie gehen in diese Richtung, wenn sie selbst erkennen, dass sie sinnvoll und für sie persönlich hilfreich und wichtig ist. Mit der Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung (Motivational Interviewing nach Miller und Rollnick) kann aus einem Kettenraucher im Laufe der Zeit ein gesundheitsbewusster und überzeugter Nichtraucher werden, aus dem übergewichtigen und von den Diäten frustrierten Klienten ein zuversichtlicher Mensch, der seine Ernährungsgewohnheiten langfristig verändert. Diesen Transformationsprozess mitzuerleben und zu beobachten, wie sich Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen gerade dann positiv verändern können, wenn es ihnen nicht vorgeschrieben wird, bereichert unsere Arbeit und motiviert uns immer wieder aufs Neue dazu, uns mit den Themen der Motivation und Begleitung von Veränderungen zu beschäftigen. In diesem Buch möchten wir den Lesern unsere Begeisterung vermitteln, die wir tagtäglich bei der Anwendung dieser Gesprächsführungsmethode erleben dürfen. Vor allem wollen wir Mut machen, den vermeintlich schwierigen, widerständigen und nicht komplianten Klienten mit dieser leichtfüßigen Methode partnerschaftlich zu begegnen und sie auf ihrem Weg zu einer positiven Veränderung zu begleiten. Natürlich ist diese Gesprächsführungsmethode kein Allheilmittel, doch das Veränderungspotenzial ist enorm: Sowohl bei Klienten als auch bei Anwendern kann viel bewegt werden.

Wir alle wissen: Die Umsetzung von Veränderungen, seien sie auch noch so erwünscht, ist zunächst nicht leicht. Jeder, der Menschen in Bezug auf Verhaltensänderungen berät oder diesen in einem therapeutischen Prozess zur Seite steht, weiß davon zu berichten. Und natürlich kennen wir das auch von uns selbst: Ambivalenz, Widerstand und Rückfälle in alte Verhaltensmuster. Zudem wissen wir auch, dass allein durch die Einsicht in ein Problem noch keine Änderung vollzogen ist. Alte Gewohnheiten sind für uns mächtige und hilfreiche Muster, vertraut und zu irgendeiner Zeit enorm sinnvoll.

Wir wissen heute, wie wichtig die Einbeziehung des Klienten in den gesamten Entscheidungsprozess ist und dass eine Veränderung erst dann umgesetzt wird, wenn der Klient nicht nur von der Sinnhaftigkeit überzeugt ist, sondern die Entscheidung zur Veränderung auch wirklich selbst getroffen hat und diese auch selbstständig umsetzen kann. Wie schwer tun wir uns selbst mit Geboten oder Verboten, die wir nicht verstehen oder von denen wir nicht überzeugt sind. Umgekehrt wird ein Projekt vor allem dann erfolgreich umgesetzt, wenn wir selbst in den Entscheidungsprozess miteinbezogen sind und ihn mitgestalten können. Genau in diesem Spannungsfeld von Selbstwirksamkeit und Notwendigkeit erweist sich die Motivierende Gesprächsführung als ein nützliches und effektives Instrument, um Menschen bei Verhaltensänderungen effektiv zu begleiten. Ohne Zwang, ohne restriktive Maßnahmen.

Ursprünglich entwickelt für die Beratung und Behandlung von Suchtpatienten hat diese einfach zu erlernende Gesprächstechnik mittlerweile den klassischen Therapierahmen verlassen und wird auch in unterschiedlichsten Feldern der Beratung und des Coachings erfolgreich angewandt (Lundahl et al. 2010). – Insbesondere mit dem zunehmenden Augenmerk auf das Thema Adhärenz, also die Einhaltung der gemeinsam von Klient und Therapeut gesetzten Therapieziele, und damit verbunden auf die Einbeziehung von Klienten in medizinische und therapeutische Entscheidungsprozesse. Hier rückten in den letzten Jahren die intrinsische Motivation des Klienten und deren Förderung in den Mittelpunkt.

Motivierende Gesprächsführung ermöglicht es, in einem gleichberechtigten partnerschaftlichen Setting unter Wahrung der Autonomie des Klienten in evokativer Arbeit die intrinsische Motivation des Klienten herauszuarbeiten. Diese gilt es zu stärken und in einem gemeinsamen Prozess eine für den Klienten und auch für den Beratenden akzeptable Zielvereinbarung zu treffen.

Ziel des vorliegenden Buches ist es, diese Gesprächsführungsmethode anwendungsbezogen vorzustellen, die zugrunde liegenden Theorien zu erklären und konkrete Hilfen für eine gelingende Umsetzung zu geben. Mit einem kurzen Einblick in die Entstehungsgeschichte und die Verwandtschaften zu anderen Techniken (Kapitel 1 und 2) soll der Leser die entsprechende Philosophie kennenlernen. Die Vorstellung der einzelnen Elemente und Techniken anhand von Gesprächsbeispielen und -verläufen (Kapitel 3 und 4) vereinfacht die Anwendung in der eigenen Alltagspraxis. Insbesondere in diesen Kapiteln werden neben der Theorie viele Anwendungsbeispiele aus unterschiedlichsten Bereichen vorgestellt. Auch Übungsideen und Anleitungen zur Anwendung der Technik im Praxisalltag sind integriert.

Eine Stärke der Motivierenden Gesprächsführung ist der Aufbau von Motivation und die Verstärkung von Selbstwirksamkeit der Klienten. Ist die Entscheidung zur Umsetzung getroffen, gilt es, das neue Verhalten nachhaltig zu fördern. In Kapitel 5 erweitern wir den Blick und binden Techniken jenseits der Motivierenden Gesprächsführung aus dem Coaching und der Verhaltenstherapie in die Beratung mit ein. Um die unterschiedlichen Gesprächsstadien bis hin zur Umsetzung der Veränderung zu verdeutlichen, wird auf einige weitere theoretische Modelle zur Veränderung eingegangen. Sodann soll es im 6. Kapitel um den Umgang mit Rückfällen gehen, ebenfalls eine Form der Nachhaltigkeit. Rückfälle sind so „alltäglich“ und für den Klienten enttäuschend, dass sie eine intensivere Betrachtung in einem eigenen Kapitel verdienen. Im 7. Kapitel werden die Prinzipien und Techniken der Motivierenden Gesprächsführung zusammengefasst und den einzelnen Phasen und spezifischen Aufgaben im Prozess der Veränderung zugeordnet.

Zuschreibung der Verantwortung für Veränderung und Förderung der Autonomie des Klienten kann den Berater in Zielkonflikte mit eigenen Ansichten bringen. Umgekehrt birgt Motivierende Gesprächsführung wie jede Beratung die Gefahr, eigene Interessen über die des Klienten zu stellen. Deshalb beleuchten wir im 8. Kapitel das Spannungsfeld von Autonomie und Direktivität in der Motivierenden Gesprächsführung und somit auch die Grenzen des Ansatzes.

Motivierende Gesprächsführung ist mehr als nur eine Ansammlung von Techniken. Sie ist eine Haltung im Umgang mit Klienten. Motivierende Gesprächsführung zu erlernen heißt deshalb auch, diese Haltung selbst kennenzulernen, zu erfahren und fortan immer automatischer, selbstverständlicher einzunehmen. Aus diesem Grund berichten wir im letzten Kapitel über unsere eigenen Lernwege und wichtige Begegnungen mit Menschen, die uns den Kern der Motivierenden Gesprächsführung nahegebracht haben. Wir wollen dem Leser damit eine Idee vermitteln, welche Hilfen er jenseits dieses Buches auf seinem Weg suchen kann. Wir schlagen auch die Brücke zur Achtsamkeit, die sich im Rahmen einer Psychotherapie seit den 1960er-Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut und seit den 1990er-Jahren in den sogenannten Verfahren der 3. Welle der Verhaltenstherapie zunehmende Aufmerksamkeit auch im psychotherapeutischen Kontext erfährt. Sie gilt mittlerweile als wichtiger Motor für Veränderung und Wohlbefinden und bereichert deshalb dieses Buch.

Die Motivierende Gesprächsführung hat sich über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt, neue Strukturen, neue Prinzipien und Prozesse wurden eingeführt, Begriffe und Bezeichnungen verändert. Ebenso haben sich verschiedene Schulen zwischen dem englischen / amerikanischen und deutschen Sprachraum, ja sogar innerhalb Deutschlands herausgebildet. Wir verbinden in diesem Buch verschiedene und unserer Ansicht nach didaktisch wertvolle Einteilungen miteinander. So übernehmen wir in Kapitel 2 die Unterscheidung zwischen Prinzipien (Abschnitt 2.4) und Zielen (Abschnitt 2.5) der Gesprächsführung, wie es auch in der zweiten Auflage des Standardwerks von Miller und Rollnick (2002) der Fall ist. In der 3. Auflage des Buches (2013) wurde diese Einteilung zugunsten eines phasenhaften Prozesses (von Kontaktaufnahme, Fokussierung des Anliegens, über Stärkung der Änderungsmotivation bis hin zur Planung von Veränderung) weiterentwickelt. Wir halten die „alte“ Unterteilung nach Prinzipien und Zielen der Gesprächsführung jedoch immer noch für eine sinnvolle Ergänzung der neuen prozesshaften und orientieren uns aus didaktischen Gründen daran. Ebenso stellen wir Theorien der Veränderung und Techniken zur Beratung vor, die teilweise über die Quellen der Originalauflagen der Motivierenden Gesprächsführung hinausgehen. Wir versuchen in diesem Buch, dem Leser einen weitgefassten Überblick über die Beratung und Begleitung von Klienten zur Verhaltensänderung zu geben, und nutzen daher verschiedene Techniken, die in diesem langen und vielschichtigen Prozess hilfreich sein können. Unsere Auswahl an Techniken und Schulen zur Beratung von Klienten zur Veränderung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern entspricht unserer Einschätzung und Erfahrung. Ebenfalls eine große Stärke der Motivierenden Gesprächsführung ist ihre kontext- und beratungsfortschrittsunabhängige Anwendbarkeit. Auch das soll in diesem Buch zum Ausdruck kommen.

Das Konzept der Motivierenden Gesprächsführung kommt aus dem englischen Sprachraum. Viele Begriffe sind immer noch englisch geprägt und meinen ganz bestimmte und manchmal vom deutschen Verständnis abweichende Inhalte. Eine sehr wichtige und zugleich schwierige Aufgabe ist daher die Übertragung dieser Begriffe ins Deutsche. Die deutschsprachigen Mitglieder des Netzwerkes der Trainer für Motivierende Gesprächsführung (MINT) stellen sich dieser Aufgabe der Adaption an den deutschsprachigen Kulturraum. Wir haben in diesem Buch – ebenso wie die Übersetzer der neuesten Auflage des Lehrbuches von Miller und Rollnick – bei vielen Begriffen auf die Übersetzung verzichtet, und zwar immer dort, wo das englische Wort präziser erschien. Synonyme und Erläuterungen dazu sollen dem Leser die Arbeit mit anderen Quellen erleichtern.

Und schließlich wird der Umgang mit einzelnen Phänomenen wie Dissonanz oder Ambivalenz in mehreren Kapiteln thematisiert. Dies ist aus didaktischen Gründen so gewollt, da an den verschiedenen Stellen des Buches jeweils unterschiedliche Aspekte beleuchtet werden.


1  Wir haben uns entschieden, Konrad Lorenz trotz seiner aktiven politischen Beteiligung in der NS-Zeit zu zitieren. Von seinen politischen Ansichten möchten wir uns deutlich distanzieren.

2  Zur besseren Lesbarkeit verzichten wir auf eine kontinuierliche Nennung der unterschiedlichen Geschlechterformen. In den Fallbeispielen haben wir zwischen der männlichen und weiblichen Form abgewechselt. Dieser Wechsel ist weder thematisch zugeordnet, noch ist die Verteilung ausgezählt worden. Selbstverständlich gehen wir sowohl im Text als auch bei den Fallbeispielen bei der Nennung der Geschlechter von der kompletten Inklusion aller aus.

1. Die Ursprünge der Motivierenden Gesprächsführung

1.1 Psychologische Konzepte und psychotherapeutische Theorien

In den 1980er-Jahren herrschte im therapeutischen Setting ein behavioral ausgerichteter Beratungsstil vor, der Verhalten mit positiver und negativer Verstärkung zu verändern versuchte. Der damalige Grundgedanke der Behandlung war: Erst wenn der Klient erkennt, dass er ein Problem hat, kann ihm geholfen werden. Daher war eine Konfrontation mit dem Problem und die dadurch erhoffte Selbsterkenntnis ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Keine ganz falsche Idee, nur erscheint die Methode, um den Menschen beim Erlangen der Erkenntnis zu helfen, aus heutiger Sicht eher zweifelhaft. Die Autorität des Beratenden und die Konfrontation des Klienten in einem lenkenden und asymmetrischen Beratungsstil hatte begrenzte Effekte und erreichte nur einen Teil der Klienten.

1.1.1 Paradigmenwechsel in Richtung Nonkonfrontation

William R. Miller, ein amerikanischer Psychologe, entwickelte aus seiner täglichen praktischen Erfahrung und seiner Arbeit mit Suchtpatienten andere, nonkonfrontative Gesprächsführungstechniken. Miller begann in den frühen 1980er-Jahren mit einigen Kollegen, das Konzept der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie (Client-Centered Therapy) von Carl Rogers in die Therapie von alkoholabhängigen Patienten zu integrieren, und publizierte dazu erste vergleichende und methodisch hochwertige Studien. Für die damalige Zeit völlig überraschend, zeigten diese, dass die Patienten, die eine Beratung mit einem klientenzentrierten Ansatz erhalten hatten, in ihrer Alkoholabstinenz signifikant erfolgreicher waren als die Patienten mit der konventionellen Therapie. Mit dieser Erfahrung reiste er 1983 nach Norwegen und stellte dort Kollegen, die den „alten“ Ansatz praktizierten, seine damals noch implizite Methode aus der klinischen Praxis vor. Motiviert durch diese Vorstellung und die Interaktivität mit den Kollegen, die ihn in einem Diskurs immer wieder ersuchten, sein therapeutisches Tun theoretisch zu erklären, verfasste er eine erste Anleitung und die theoretischen Hintergründe dazu. Im Anschluss daran entstand ein erstes Model der Motivierenden Gesprächsführung und eine erste verschriftlichte klinische Anleitung.

In Australien lernte Miller später (1989) Stephen Rollnick, einen englischen Psychologen, kennen. Dieser hatte in Großbritannien die Anwendung von Motivierender Gesprächsführung kennengelernt und erforschte und publizierte die Anwendung der Technik auf Gebieten jenseits der Therapie der Alkoholabhängigkeit. Beide entwickelten die Technik gemeinsam weiter. Im Jahre 1991 veröffentlichten sie das erste gemeinsame Lehrbuch zur Motivierenden Gesprächsführung.

Dieses Lehrbuch basierte auf ihren Erfahrungen mit Suchtpatienten und trug insbesondere dem Umstand Rechnung, dass der konfrontativ-behaviorale therapeutische Ansatz keine adäquate und zufriedenstellende Antwort auf die Notlage der Patienten war. Im Gegenteil: Diese Art der Therapie führte bei den Patienten oft zu Ablehnung und Dissonanz (mehr über Dissonanz erfahren Sie in Abschnitt 4.4). Daher erforschten Miller und Rollnick die Perspektive des Patienten und integrierten Elemente der klientenzentrierten Therapie in die Gesprächsführung. Sie begannen, die Patienten nach ihren individuellen Gründen für die Sucht und nach den Gründen und Zielen für eine eventuell anzustrebende Abstinenz zu fragen. Dabei griffen sie auf unterschiedliche Erkenntnisse aus der Therapieforschung zurück und integrierten diese in die noch heute fortlaufende Entwicklung der Motivierenden Gesprächsführung (Miller & Gary 2009). Einige dieser zentralen Theorien sollen hier kurz umrissen werden.

1.1.2 Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie nach Rogers

Carl Rogers entwickelte in den USA die klientenzentrierte Gesprächstherapie, die er erstmalig 1951 in seinem Buch Client-Centered Therapy (dt.: Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, 20. Auflage 1983) veröffentlichte. In den folgenden Jahren entwickelte er seinen Ansatz immer weiter, sodass die Personzentrierte Gesprächsführung bzw. die Personzentrierte Gesprächstherapie entstand. Rogers ging es nicht allein um eine Form der Beziehung in einer Therapie, sondern um eine unterstützende Haltung in zwischenmenschlichen Begegnungen allgemein. Dies erkennt man auch daran, dass er im Laufe der Entwicklung seines Konzeptes von der Begrifflichkeit des „Patienten“ über die des „Klienten“ und letztendlich zu der „Person“ übergeht. Gleiches gilt für die Bezeichnung „nichtdirektiv“, aus dem „klientenzentriert“ und dann „personzentriert“ wurde.

Die wichtigsten Grundbegriffe der klientenzentrierten Psychotherapie lauten Kongruenz, Empathie und bedingungslose positive Zuwendung:

Dabei geht Rogers von einer allgemeingültigen Selbstaktualisierung aus. Nach Rogers bilden Menschen in ihrer Kindheit, abhängig von der Sozialisierung in der Familie, ein positives oder negatives Selbstkonzept aus. Dieses Selbstkonzept beeinflusst ihre Handlungen und Verhalten schließlich maßgeblich.

„Wenn ich Menschen nicht dazwischenfahre, passen sie auf sich selbst auf.
Wenn ich Menschen nicht befehle, verhalten sie sich von selbst richtig.
Wenn ich Menschen nicht predige, werden sie von selbst besser.
Wenn ich mich Menschen nicht aufdränge, werden sie sie selbst.“

(Rogers & Rosenberg 1980, S. 196)

Durch dieses Zitat wird deutlich, dass ein weiteres wichtiges Merkmal der Personzentrierten Gesprächsführung von Rogers die Nondirektivität ist. Der Klient selbst – und allein er – lenkt und gibt die Richtung vor. Dies ist ein großer Unterschied zur Motivierenden Gesprächsführung, bei welcher eine Direktivität hin zur Veränderung seitens des Beratenden oder des Therapeuten inhärent ist. Diese Direktivität in der Motivierenden Gesprächsführung ist allerdings nicht im Sinne von Vorgaben zu verstehen, sondern erfolgt in Form von Reflexionen und offenen Fragen und ermöglicht dem Klienten somit Selbsterkenntnis. Bei Rogers tauchen bereits die später für die Motivierende Gesprächsführung wichtigen Prinzipien der Wahrung der Autonomie des Klienten und der Partnerschaftlichkeit der Kommunikation auf Augenhöhe auf.

Thomas Gordon, ein Schüler von Carl Rogers, veröffentlichte 1970 in seinem Buch Parent Effectiveness Training (dt.: Familienkonferenz: Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind, 2012) zwölf Kommunikationssperren, die eine weitere wichtige Quelle darstellen, aus der sich die Motivierende Gesprächsführung speist.

Gordon listet als Sperren für die Kommunikation folgende Punkte auf:

  1. Befehlen, Anordnen, Auffordern
  2. Warnen, Mahnen, Drohen
  3. Moralisieren, Predigen, Beschwören
  4. Beraten3, Vorschläge machen, Lösungen liefern
  5. (Ver-)Urteilen, Kritisieren, Widersprechen, Vorwürfe machen, Beschuldigen
  6. Belehren, durch Logik begründen
  7. Loben, Zustimmen, Schmeicheln
  8. Beschämen, Beschimpfen, Lächerlich machen
  9. Interpretieren, Analysieren, Diagnostizieren
  10. Beruhigen, Sympathie äußern, Trösten, Aufrichten
  11. Nachforschen, Fragen im Sinne von Verhören
  12. Ablenken, Ausweichen, Aufziehen

Diese Reaktionen auf das Zuhören kommen in unserer alltäglichen Kommunikation immer wieder vor und sind weit verbreitet. Sie sind in der Interaktion mit einer anderen Person ichbezogen und sie verfolgen ein Ziel, eine Absicht des Zuhörenden. Auch wenn der Zuhörer es tatsächlich gut meint mit dem Warnen, Loben oder Analysieren … (hier sind alle 12 Punkte einsetzbar) und helfen möchte, verhindert es doch die Selbsterkundung des Sprechers. Sie sind damit für dessen Selbsterkenntnis, für die Grundlage zur Veränderung, hinderlich. Daher ist das Berücksichtigen dieser Kommunikationssperren gerade für die Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung wichtig. Sie definieren eine Art Antihaltung, die der Beratende vermeiden sollte, da sie dem Aufbau einer auf Autonomie und Wertschätzung des Klienten ausgerichteten Gesprächsführung zuwiderlaufen.

1.1.3 Selbstwahrnehmungstheorie – eine Strategie zur Selbsterkenntnis

Daryl Bem schuf mit seiner Selbstwahrnehmungstheorie (1972) eine weitere wichtige Grundlage für die Motivierende Gesprächsführung: Selbsterkenntnis, die sich in einer bestimmten Einstellung zur eigenen Person manifestiert, kann durch die Analyse von vergangenem Verhalten und / oder Gefühlen entstehen. Ist ein Klient unsicher, ob er gut mit Rückfallsituationen umgehen kann, wird er sich an Situationen und damit zusammenhängende Gefühle zurückerinnern und diese analysieren. Aufgrund dieser Selbstbeobachtung wird er dann evaluieren und zu einem Schluss kommen. Dies gilt allerdings nur für Verhalten, welchem intrinsische Motivation zugrunde liegt, das also freiwillig ausgeführt wurde. Die Einstellung bzw. die Selbsterkenntnis erfolgt hier durch die individuelle Bewertung des eigenen Verhaltens. Im Gegensatz zur Kognitiven Dissonanztheorie, die in Abschnitt 1.1.5 erläutert wird, ist die Selbstwahrnehmungstheorie anwendbar, wenn Einstellungen mehrdeutig und weniger wichtig sind. Die Dissonanztheorie kommt zur Anwendung, wenn sich Menschen entgegen ihrer Einstellung verhalten. Im Umgang mit Rückfällen und auch bei der Umsetzung der Basistechniken der Motivierenden Gesprächsführung spielt dieses Prinzip eine wichtige Rolle.

1.1.4 Attributionstheorien

Fritz Heider unterschied 1958 in seinem Buch The psychology of interpersonal relations als Erster zwischen internen und externen Attributionen. Damit schuf er die Grundlage für alle folgenden Attributionstheorien. Interne Attribution bedeute, dass eine handelnde Person die Ursache für das Ergebnis eines Verhaltens sich selbst, ihrem Charakter oder ihrer Persönlichkeit zuschreibt. Bei der externen Attribution wird die Ursache als situativ bedingt angesehen und das Ergebnis als von außen verursacht. Martin Seligman erweiterte das Modell und definierte schließlich auf dessen Grundlage das Konzept der erlernten Hilflosigkeit. Bei der Ursachenzuschreibung unterschied Seligman sowohl zwischen internal und external als auch zusätzlich zwischen den Dimensionen stabil vs. variabel und generell vs. spezifisch. Im Rahmen der Motivierenden Gesprächsführung wird bei einer Verhaltensänderung eruiert, für wie beeinflussbar Klienten ihr Verhalten bzw. dessen Ergebnis und damit die Zielerreichung einschätzen. Sie werden zur Eigenanalyse angeleitet. Je nachdem, welchen Attribuierungsstil ein Klient zeigt, sollte der Selbsterkenntnisprozess eingeleitet werden. Dies ist beispielhaft in der folgenden Tabelle 1.1 an einem alkoholabhängigen Klient aufgezeigt: Wie erklärt ein alkoholabhängiger Klient, der einen Abstinenzversuch unternommen hat, dass er in einer bestimmten Situation erneut Alkohol konsumiert hat?

Variablen

Generell

Spezifisch

Internal – stabil

„Ich bin zu schwach, ich schaffe den Entzug nie!“

„Diese spezielle Situation (Party) war viel zu heftig, ich konnte da gar nicht anders als trinken.“

Internal – variabel

„Ich habe mich dieses Mal zu wenig auf den Entzug vorbereitet wie auch die Male davor schon.“

„Für diese spezielle Situation hatte ich noch keine Notfallstrategie.“

External – stabil

„Alle um mich herum machen mir es echt schwer, trocken zu bleiben. Ständig versuchen die mich zu überreden mitzusaufen.“

„Mein Kumpel macht es mir schwer, trocken zu bleiben. Ständig versucht er mich zum Saufen zu überreden.“

External – variabel

„Das war echt blöd. Ausgerechnet in der Situation kam so viel zusammen und ich konnte nicht widerstehen.“

„Darauf, dass so viel zusammenkam, war ich nicht vorbereitet,
das hat mich umgehauen.“

Tabelle 1.1: Attributionsstile am Beispiel eines misslungenen Abstinenzversuches

Je nach Attribuierungsstil neigen die Klienten eher zu Sustain Talk (Sprache des Beharrens bzw. Fürsprache für den Status quo): generell – internal – stabil; generell – internal – variabel und generell – external – stabil). Sie sehen dann das Verhalten als nicht oder nur sehr schwer veränderbar an, da sie als Person „versagen“. Entsprechend sind hier dann die Techniken zum Reagieren auf Sustain Talk anzuwenden (siehe Kapitel 4).

Für die Motivierende Gesprächsführung ist diese Differenzierung der Attribuierungsstile der Klienten wichtig, da Veränderungen erst durch Selbsterkenntnis, durch beginnenden Change Talk (Argumente für die Veränderung), erreicht werden können. Neigen Menschen zur erlernten Hilflosigkeit, attribuieren sie also Fehler eher internal, stabil und generell, so werden diese eher Sustain Talk zeigen. Ziel des gesamten Prozesses ist es dann, den Klienten anzuleiten, eigene Erfolge anzuerkennen und damit auch internal zu attribuieren und die Umgebungsvariablen als spezifisch wahrzunehmen, also als beeinflussbar, soweit möglich.

1.1.5 Kognitive Dissonanztheorie

Leon Festinger prägte 1957 den Begriff der kognitiven Dissonanz. Danach entsteht ein unangenehmer Spannungszustand (Gefühlszustand), wenn ein Verhalten und die damit zusammenhängenden Einstellungen als inkongruent beurteilt werden (sofern das Verhalten freiwillig gewählt wurde und durch dieses Verhalten eine physiologische Erregung entsteht). Dies bedeutet, dass die Kognitionen, die Wahrnehmung, die Gedanken, die Absichten nicht miteinander vereinbar sind. Der entstandene Spannungszustand strebt nach Entspannung. Die Wahrnehmung dieser Spannung, dieser Divergenz, und die Erkenntnis, dass das gezeigte Verhalten eigentlich nicht dem gewünschten Zielzustand entspricht, können zu einem machtvollen Antrieb zur Verhaltensänderung werden, der hilft, das Problem zu lösen (= Verhalten wird geändert, sodass es zur Einstellung passt; etwa: Das Rauchen wird aufgegeben). Damit löst sich der Spannungszustand auf. Wird die Einstellung oder die Absicht verändert, sodass es zum Verhalten passt, reduziert sich der Spannungszustand zunächst ebenfalls („Rauchen ist okay“). Sind diese Lösungen nicht möglich und / oder kann die Einstellung / Absicht nicht dauerhaft verändert werden, wird beispielsweise durch Rechtfertigungen versucht, den Spannungszustand zu reduzieren:

Menschen, die ihr Verhalten als divergent zu ihren Einstellungen erleben und ihr Verhalten nicht ändern können oder wollen, leben also in einem Spannungszustand. Um diesen zu minimieren, werden Rechtfertigungsversuche gestartet. Versuche von außen, diese Rechtfertigungen logisch zu entkräften, sind umso bedrohlicher, da sie den Spannungszustand wieder erhöhen. Aus therapeutischer Sicht haben diese Versuche also wenig Aussicht auf Erfolg. Bei der Motivierenden Gesprächsführung gilt daher auch, den Klienten nicht zu belehren, sondern gezielt auf seine Selbsterkenntnis zu fokussieren, diese anzuleiten und zu evozieren.

Ist eine Handlung oder Entscheidung eingeschränkt, so erfährt eine Person einen Freiheitsverlust. Diese Unkontrollierbarkeitserfahrung führt nach Brehm zur sogenannten Reaktanz. Die Folge: Die Person versucht, die Freiheit wiederherzustellen. Dazu stehen ihr mehrere Möglichkeiten zur Verfügung:

In einem erweiterten Modell wurde zusätzlich die erlernte Hilflosigkeit nach Seligman integriert: Reaktanzverhalten tritt auf, wenn eine Unkontrollierbarkeitserfahrung zugrunde liegt und gleichzeitig eine übergeordnete Kontrollerwartung besteht. Werden langfristig Unkontrollierbarkeitserfahrungen gemacht und besteht gleichzeitig keine übergeordnete Kontrollerwartung, führt dies zur Hilflosigkeit. Hat ein Klient schon mehrfach versucht, mit dem Trinken aufzuhören, jedoch immer wieder aufgrund schwieriger äußerer Umstände erneut mit dem Konsum angefangen, kann dieser daraus die Einstellung gewonnen haben: „Ich kann es ja eh nicht schaffen! Ich kann diese Situationen nicht beeinflussen.“ Somit wird ein erneuter Stoppversuch unwahrscheinlich, da der Klient das Ziel als unrealistisch einschätzt.

Durch diese Theorie wird deutlich, warum die Wahrung der Autonomie und die Selbsterkenntnis des Klienten innerhalb der Motivierenden Gesprächsführung so wichtig sind und stets berücksichtigt werden sollten: Nur wenn eine Selbsterkenntnis vorausgeht und er seine Ziele selbstständig formuliert und immer die Entscheidung über den gesamten Prozess behält, wird er diese Ziele ansteuern können.

1.1.6 Die Selbstbestimmungstheorie

Zum Schluss dieses Abschnitts möchten wir noch Richard M. Ryan und Edward L. Deci erwähnen. Sie entwickelten die Selbstbestimmungstheorie, die die menschliche Motivation für ein bestimmtes Verhalten zum Gegenstand hat. Eine wichtige Rolle spielen hierbei drei universelle psychologische Grundbedürfnisse:

  1. Kompetenz,
  2. Autonomie und
  3. soziale Eingebundenheit.

Kompetenz meint, Einfluss auf wichtige Dinge zu haben, um erwünschte Ergebnisse zu erzielen; Autonomie beinhaltet, das Verhalten freiwillig zeigen zu können, und schließlich meint soziale Eingebundenheit die Bedeutung anderer Personen für ein Subjekt und umgekehrt. Die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse hängt vom soziokulturellen Kontext ab. Die Motivation für ein bestimmtes Verhalten kann also nicht durch externe, sondern nur durch internale Anreize gesteigert werden, welche auch die Kompetenz und Autonomie des Individuums berücksichtigen müssen.

Die Selbstbestimmungstheorie ist ebenfalls Grundlage der Motivierenden Gesprächsführung. Durch das evokative Fragen des Beraters wird die Selbsterkenntnis gefördert und die intrinsische Motivation evoziert.

Fazit

Die Motivierende Gesprächsführung stellt eine vielerforschte Gesprächsführungsmethode dar, der ein Konglomerat aus zentralen vorausgegangenen Theorien für menschliche Veränderungskompetenz und Motivation zugrunde liegt und die in einem empirischen Prozess stetig weiterentwickelt wurde und wird.

Auf einen Nenner gebracht, geht es bei der Motivierenden Gesprächsführung um die Erreichung und Aufrechterhaltung einer Verhaltensänderung. Diese kann dauerhaft nur über die intrinsische Motivation des Einzelnen erfolgen; erst der Wille und die Fähigkeiten, das Ziel erreichen zu können, machen eine Handlung möglich.

Weitere grundlegende Theorien, die in diesem Abschnitt noch nicht behandelt worden sind, betreffen die Motivation und die Volition: Was motiviert einen Menschen dazu, ein Ziel erreichen zu wollen, und wie kommt es schließlich zur Handlung? Wie wird diese aufrechterhalten? Damit sei noch eine letzte Verwandtschaft der Motivierenden Gesprächsführung vorgestellt, nämlich das Rubikon-Modell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen und Peter M. Gollwitzer (Gollwitzer 1990; Heckhausen & Gollwitzer 1987). Es soll in Abschnitt 1.2 und Kapitel 5 näher vorgestellt werden.

1.2 Veränderungsprozesse

(© Mit freundlicher Genehmigung von Bulls Pressedienst GmbH)

Nach Festinger und seiner Theorie der kognitiven Dissonanz (siehe Abschnitt 1.1) kann aus der Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen Zustand und dem gewünschten Ziel ein machtvoller Antrieb zur Veränderung entstehen. Hier kann einem der Widerspruch zwischen dem aktuellen Zustand und den eigenen Werten und Normen, ja der eigenen Lebensanschauung, bewusst werden. In der Motivierenden Gesprächsführung werden die Entwicklung und Verstärkung solcher Diskrepanzen als wichtiges Prinzip und Ziel der Beratung verstanden. Durch sie entsteht im Klienten intrinsische Motivation – die Voraussetzung für Veränderung und Selbstentwicklung.

1.2.1 Transtheoretisches Modell der Veränderung (TTM)

Prochaska und Velicer (1997) haben in ihrem Transtheoretischen Modell der Veränderung darüber hinaus noch fünf sogenannte kognitiv-affektive Prozesse beschrieben, die bei einer solchen Veränderung hilfreich sind:

  1. Steigern des Problembewusstseins – aktives Aufnehmen von Informationen über sich selbst und das Problemverhalten.
  2. Emotionales Erleben – bewusstes Erleben und Ausdrücken der Gefühle bzgl. des Problemverhaltens und möglicher Lösungen.
  3. Neubewertung der persönlichen Umwelt – wahrnehmen und bewerten, in welcher Weise das Problemverhalten die persönliche Umwelt und andere Personen betrifft.
  4. Selbstneubewertung – emotionale und rationale Analyse, in welcher Form das Problemverhalten oder die Änderung des Verhaltens die eigene Person und das Selbstbild betrifft.
  5. Wahrnehmung förderlicher Umweltbedingungen – Wahrnehmen von Umweltbedingungen, die die Veränderung des Problemverhaltens erleichtern.

Diesen stellen sie noch fünf verhaltensorientierte Prozesse zur Seite:

  1. Gegenkonditionierung durch Abschwächung des unerwünschten und Bekräftigung des erwünschten Verhaltens.
  2. Kontrolle der Umweltreize – Kontrolle von Situationen, Personen oder anderen Stimuli, um das Auftreten des Problemverhaltens zu verringern und das Zielverhalten zu erleichtern.
  3. Nutzung hilfreicher Beziehungen – aktives Nutzen von sozialer Unterstützung zur Erleichterung der Verhaltensänderung.
  4. Selbstverstärkung – gezieltes Nutzen von (Selbst-)Belohnungsstrategien zur Erreichung und Stabilisierung des Zielverhaltens.
  5. Selbstverpflichtung – Fassen eines festen Vorsatzes, Selbstverpflichtung zur konsequenten Veränderung des Problemverhaltens.

Diese Prozesse laufen darauf hinaus, dass nach einer Entscheidungsbalance (Vor- und Nachteile des neuen Verhaltens werden gegeneinander abgewogen) eine Entscheidung für eine Veränderung getroffen wird. Zusätzlich entsteht Zuversicht, diese auch umsetzen zu können. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung, also die Überzeugung der eigenen Umsetzungsfähigkeit. Ob diese Überzeugung durch kognitive Prozesse, Bewertungen, emotionale Erfahrungen oder durch Veränderungen der Umwelt wie etwa soziale Unterstützung erreicht wird, scheint nur von nachrangiger Bedeutung zu sein. Entscheidend ist das Erleben dieser Selbstwirksamkeitserfahrung. In den Anfangsphasen der Veränderung sind eher kognitive und affektive Prozesse wirksam, also Vorgänge des Denkens, der Vorstellung und des Erlebens von Gefühlen. Erwartungen in Bezug auf das Neue spielen ebenso eine wichtige Rolle. Positive Erwartungen nehmen im Verlauf des Prozesses zu und negative Aspekte der Verhaltensänderung werden im Verlauf des Prozesses geringer bewertet. Eine Veränderung wird umgesetzt werden, wenn die positiven Effekte die Nachteile überwiegen. In den späteren Phasen der Veränderung sind es eher verhaltensorientierte Prozesse, die zur Veränderung motivieren. So ist insbesondere der Umgang mit Versuchungssituationen oder das erfolgreiche Bewältigen von Rückfällen wichtig für das Erleben der Selbstwirksamkeit und damit für das weitere Beibehalten des Vorhabens.

Am Anfang der Veränderung stehen vielleicht der Blick in den Spiegel und der Vergleich mit dem sportlichen Schulfreund, der im Fußballverein spielt. Erst durch das Wahrnehmen der Diskrepanz zwischen Realität und Wunsch kann sich Motivation zur Veränderung entwickeln. Dazu ist das Wahrnehmen von Ursache und Wirkung eine wesentliche Voraussetzung. Erst wenn ich mir über meine Ernährungsgewohnheiten und mein Sportverhalten klar werde und den Zusammenhang zwischen Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch kenne, kann ich Gewichtsreduktion durch veränderte Ernährung und Sport herbeiführen. Veränderung besteht aus dem Wollen und dem Können. Veränderung kann aus der Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit zwar begonnen werden, bei der Umsetzung werden jedoch auch andere Motivatoren wichtig. Zum Beispiel kann die regelmäßige Rückmeldung über den Gewichtsverlauf oder der positive Zuspruch von Freunden und Bekannten über das veränderte Aussehen Mut machen, Trainingsplan und Ernährung so fortzuführen. Durch das Erleben der eigenen Fähigkeit zur Veränderung, durch das Erreichen von Zwischenzielen und das Bewältigen auch kritischer Situationen wächst das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und damit die Selbstwirksamkeit. Zu Beginn der Veränderung sind also eher die Auflösung von Widersprüchen und das Wegbewegen vom jetzigen Zustand motivierend, während in den fortgeschrittenen Phasen und bei der Umsetzung Freude am Erfolg und das Sichhinbewegen auf ein Ziel hilfreich sind (vgl. auch Abschnitt 5.2).

In den 1980er- und 1990er-Jahren haben Prochaska und DiClemente an der University of Rode Island intensive Studien betrieben, um festzustellen, wie eine Entscheidung, zum Beispiel das Rauchen aufzugeben, zustande kommt und umgesetzt wird. Das Transtheoretische Modell der Veränderung, das Ergebnis dieser Studien, geht von einem phasenhaften Ablauf des Prozesses aus (Prochaska & DiClemente 1982, 1983, 1998). Die sogenannten sechs Stadien der Verhaltensänderung (Stages of Change), die in Abbildung 1.1 dargestellt sind, bauen aufeinander auf, müssen jedoch nicht regelhaft und nicht vollständig durchlaufen werden.

Abbildung 1.1: Transtheoretisches Modell mit den Stadien der Veränderung
(nach Prochaska & DiClemente 1998)

Im Stadium der Absichtslosigkeit (Precontemplation) fehlt das Problembewusstsein. Klienten sehen keine Notwendigkeit, den bisherigen Status zu verändern. Es gibt keine individuell bewussten Nachteile des bisherigen Verhaltens.

Beispiel: „Ich fühle mich wohl mit meinem Gewicht und mit der Freizeit auf der Couch. Sport ist etwas für die anderen.“

Diesem schließt sich das Stadium der Absichtsbildung (Contemplation) an. Es ist typischerweise das Stadium des Nachdenkens über die Veränderung. Hier werden Nachteile des Status quo wahrgenommen. Es findet ein Abwägen von Vor- und Nachteilen des bisherigen Verhaltens und von denen der Veränderung statt. Ein typisches Merkmal dieser Phase ist die sogenannte Ambivalenz der Veränderung gegenüber, das heißt das Nebeneinander von sich scheinbar widersprechenden Intentionen. Die Klienten fühlen sich hin- und hergerissen zwischen dem einen und dem anderen, dem Wollen und Zweifeln.

Beispiel: „Für meine neue Freundin würde ich schon schlanker aussehen wollen, und so rasch außer Atem zu kommen beim Gehen ist ja peinlich, aber richtig Lust auf Aktivität habe ich doch nicht. Dabei war ich doch früher in der Schule mal ein ganz guter Läufer und auch viel schlanker.“

Überwiegen die Vorteile, das alte Verhalten aufzugeben und ein neues zu beginnen, schließt sich das Vorbereitungsstadium (Preparation)