Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
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Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:
ISBN Printausgabe 978-3-499-23389-0
ISBN E-Book 978-3-688-11201-2
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-688-11201-2
Nota bene: Bitte, Leute, dies ist keine, ich wiederhole, keine Ermunterung, heutzutage auf Kondome zu verzichten. Mit einer Schwangerschaft zu liebäugeln, ist eine Sache; ein Kind zu haben, kann eine großartige Feier des Lebendigen sein. Mit AIDS zu liebäugeln ist etwas anderes: Es bedeutet schlicht einen schnellen und häßlichen Tod.
Im März 1968 brachte ich in New York mein letztes Theaterstück zur Aufführung. Es hieß Monumente und bestand aus einer Reihe von Monologen: Menschen spielten sich selbst – in meiner Sicht ihres Innenlebens. Es waren acht Monologe, und jeweils drei – egal, welche – konnten in jeder möglichen Reihenfolge aufgeführt werden und ergaben eine »Geschichte«, oder zumindest eine Abfolge. Gespielt wurde im Café Cino. In meinem eigenen Text fragte ich mich, ob ich wohl jemals »an einem Fenster mit Blick auf die Bucht von San Francisco sitzen und einen weiteren Roman schreiben würde«.
Zur Sommersonnenwende fand ich mich mit einem schreienden Kind auf dem Arm im Flugzeug wieder, Teil einer Gruppe von vierzehn »Erwachsenen«, die samt der sie begleitenden Kinder, Spielzeuge, Knarren, Schreibmaschinen und Musikinstrumente New York verließen. Ich hatte es nicht für nötig befunden, meinem Mann zu sagen, wohin ich ging, aber er war mit unseren Kreditkarten in Indien und hatte mich ohne Kredit, aber mit einer Bande hübscher jungen zurückgelassen, die er geliebt und verlassen hatte (zwei von ihnen nahm ich mit). Die Truppe war auf alle mögliche Art nach Westen unterwegs; Flugzeug und ein VW-Bus (für den ich meinen Kredit völlig ausgereizt hatte) waren noch die normalste. Ich werde niemals vergessen, wie mich Lenore Kandel mit dem heruntergekommensten Kleinlaster, den ich jemals gesehen habe, am Flughafen abholte; neben ihr stand ein etwa zweijähriger Digger-Fratz, nackt bis auf ein Hemdchen, und kaute an einem Hotdog (der Horror meiner makrobiotischen Vorstellungswelt). Eine bunte Mischung verschiedener Kleintiere – die meisten Hunde – teilte sich die Ladefläche mit uns, als wir in die Stadt fuhren. Mein Kind wollte einfach nicht aufhören zu schreien.
Ein paar Monate und viele schweißtreibende Abenteuer später (siehe auch mein, wie man sagt, »work in progress«, Das Kalifornien-Buch) hatte ich mich hinter dem schon erwähnten Fenster mit Blick auf die Bucht eingerichtet, sah die heftigsten Regenfälle der letzten zehn Jahre niedergehen und schrieb – schrieb für Miete und Essen. Die meisten der vierzehn Erwachsenen wohnten hier, aber keiner von ihnen arbeitete. Unsere lesbische Freundin, die noch die eindrucksvollste Karriere vorzuweisen hatte – zehn Jahre Bürojobs in New York –, war in ihr Bett gekrochen, um abzuschalten und sich zu erholen. Und der nicht so ambitionierte Teil der Truppe hatte es ihr gleich getan. Oder sie organisierten Be-Ins, verteilten kostenloses Essen, verkauften oder stellten verbotene Chemikalien her, publizierten anarchistische Manifeste, entwarfen politische Plakate, tüftelten Lichtshows für Rockkonzerte aus, fütterten umherziehende Gitarristen durch oder bastelten Perlenohrringe und Kerzenhalter aus farbig gefaßten Kieselsteinen.
Außerdem war noch eine große Schar unserer neuen kalifornischen Freunde eingezogen, einige mit und andere ohne Einladung. (Wir hatten für 300 Dollar ein Haus mit vierzehn Zimmern, ausgebautem Souterrain, einer Einliegerwohnung und großem Hinterhof gemietet.) Ich erinnere mich mit immer noch deutlicher Abneigung an die beiden Paare und ihre sieben Kinder, die uns die Digger, ohne auf meinen Protest einzugehen, mitten ins Wohnzimmer gesetzt hatten. Besagte Paare waren gerade aus Hawaii zurückgekehrt, wo sie von Heroin runterkommen wollten. Die Digger, die sie in meinem Bus vom Flughafen abholten, hatten auch ein Geschenk dabei – Heroin. Und so verträumten sie ihre Zeit auf meinen auseinanderfallenden Schaffellteppichen. Alle, bis auf einen: Der zog durch die Gegend auf der Suche nach einem Opfer für einen Raubüberfall oder verbrannte alles nur Brennbare auf einem unserer Hausaltäre (am liebsten Holzstatuen), oder putzte in meinem Arbeitszimmer seine Knarren hinter meinem Rücken – wenn ich wirklich Buddhist wäre, meinte er, dann müßte mir das doch egal sein, und ich könnte auch schreiben, wenn er herumpusselt.
Und da ich wirklich schrieb, war ich auch froh, als ihn endlich die Polizei holte, obwohl ich das übliche Theater machte: »Habt ihr einen Haftbefehl?«, und so weiter. Ich schrieb, woher wäre sonst der Seetang und der braune Reis und die Misosuppe gekommen? Jeden Morgen fuhr ich zum Zazen in das Zen-Center in der Bush Street, ging also konsequent um zehn Uhr ins Bett, während unten die Leute in Stiefeln auf dem Wohnzimmertisch tanzten oder Kriegsszenarien probten: Wohin mit den Kindern, wenn die Ballerei losgeht? Ich stand um vier auf, weckte die beiden Mitstreiter aus Michigan, die auf der Veranda schliefen, und gemeinsam schoben wir im Licht der Dämmerung den VW-Bus die Oak Street hinunter, bis er ansprang, und fuhren zum Zen-Center. Zurück bereitete ich genügend Haferflocken oder Reisbrei für die Armee von Leuten, die wir inzwischen waren, aß etwas und ging in mein großes Zimmer, um zu schreiben, bevor der Trubel wieder losging.
Maurice Girodias hatte ich in New York kennengelernt und in seinem Auftrag die Sexszenen für einige langweilige und harmlose Romane geschrieben, die er als Handlungsgerüst gekauft hatte, um sie mit entsprechend eindeutigen »Stellen« aufzupeppen – das Oregano in der Tomatensauce. Bevor ich wieder abreiste, fragte er, ob ich nicht selber etwas schreiben wolle, und da es immer offensichtlicher wurde, daß wir knapp bei Kasse waren und sich dieser Zustand auch nicht so schnell ändern würde, setzte ich mich hin und schrieb genug Seiten zusammen, um einen Vorschuß zu bekommen (1968 gab es in San Francisco alles, wirklich alles, was du haben wolltest – 400 Kilo Fisch umsonst, 85 Kilo Gras, hervorragenden billigen Wein, Essen für nix, Strand und Himmel – alles, nur kein Geld; wo immer »Wohlstand« sein mochte, er war gerade immer irgendwo anders). Es war das erste und einzige Mal, daß ich ausschließlich für Geld geschrieben habe, aber es führte kein Weg daran vorbei.
Dabei hätte das Geld gar nicht knapp sein sollen. Bevor ich New York verließ, hatte ich aus Washington ein Stipendium über zehntausend Dollar zugesprochen bekommen – damals eine ganze Menge. Die gesamte Summe sollte am 1. Juli ausgezahlt werden, zehn Tage, nachdem wir nach San Francisco aufgebrochen waren. Doch Dank der Launigkeit der Bürokratie kam ein Teilbetrag erst im folgenden Januar, und der Rest in kleinen und wenig hilfreichen Raten. Klar war nur, daß der bunt zusammengewürfelte Haufen von zwanzig und mehr Menschen, die sich in den Zimmern und auf den Treppen und Emporen meines Hauses tummelten, etwas zu essen haben mußte.
Und so setzte ich mich nach meiner Morgenmeditation und dem makrobiotischen Frühstück an die Schreibmaschine, saß tatsächlich an jenem Fenster mit Blick auf die Bucht, das ich von den Göttern erfleht hatte, und brachte Erinnerungen zu Papier, während Schwarze und Weiße Panther, Hells Angels, Plappermäuler, Rockbands, diverse chinesische und indianische Dealer und windellose Babys ins Zimmer und wieder hinaus spazierten (keiner kümmerte sich darum, ob die Tür zu war, und wenn man abschloß, konnte es richtig Ärger geben). Je weiter ich mit dem Schreiben kam, um so tiefer geriet ich in die Geschichte hinein, in die Erinnerungen an die frühen Fünfziger Jahre in der »Stadt der Städte« – ich eignete mir die Vergangenheit neu an. Beim Schreiben legte ich die Platten von Bird und Clifford Brown auf, hörte immer wieder Miles Davis’ »Walking«, und perfekte kleine Erinnerungen an längst vergessene Zimmer, Ereignisse und Menschen tauchten erneut vor meinem inneren Auge auf; das ist eine der schönen Seiten am Prosaschreiben, und ich erlebte sie jetzt zum ersten Mal. Ich bin froh, daß ich das Buch geschrieben habe, und daß ich es damals geschrieben habe, bevor ich so vollständig in die Welt der Westküste eintauchte. Als ich es jetzt wiedergelesen habe, konnte ich mich an vieles nicht mehr erinnern – es kam mir vor wie die Geschichte eines anderen Menschen.
Berge von Wörtern gingen auf die Reise nach New York, wann immer die Miete fällig war, und kamen zurück: MEHR SEX hatte Maurice in seiner unverwechselbaren Handschrift auf das Deckblatt gekritzelt, und ich erträumte mir ausgefallene Stellungen und bizarre Konstellationen, packte alles in die Geschichte und schickte sie zurück. Manchmal ging ich durchs Haus und suchte Leute, um etwas Bestimmtes auszuprobieren: »Leg dich mal hin, ich muß sehen, ob das so funktioniert.« Und sie legten sich – angezogen – hin, und wir versuchten herauszufinden – freundlich desinteressiert –, ob eine bestimmte Verrenkung machbar war; danach ging jeder wieder seines Weges, und niemand hatte auch nur einen Hauch von Erotik verspürt.
Gegen Mittag hatte ich mein Tagespensum erfüllt, machte Feierabend und ging nach Japantown, um rohen Fisch zu essen und Sake zu trinken – der einzige Weg, sich an den ständigen Regen, Nebel und Seewind auf dieser Halbinsel zu akklimatisieren. (Eukalyptusbäume im Regen, ihr Geruch und Hundescheiße, das Gasfeuer im gekachelten Kamin – Erinnerungen an diese Morgende). Nach dem Essen kam das Spielen, das Schicksal, die Politik, und das »wahre« Schreiben, all die Dinge, mit denen man sich in dieser bewegten Zeit beschäftigte.
Schließlich war das Buch fertig, und als das Geld des Stipendiums kam, beglich ich damit die Schulden meines Mannes, der aus Indien zurück war; dann wurde die Szene rauher und trauriger, jeden Tag stand das FBI in der Tür, und es schien an der Zeit, den Laden dicht zu machen und in die Provinz zu ziehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Diane di Prima
San Francisco, Herbst-Tagundnachtgleiche, 1987
»Was ist denn eigentlich aus all den Beatniks geworden?« fragte nachdenklich die junge blonde Studentin, die mich nach meiner Lesung in Berkeley zurück nach San Francisco fuhr.
Nun, meine Liebe, einige von uns gaben auf und wurden Hippies. Einige schafften es, ihrer Überzeugung treu zu bleiben und lebten von Stipendien oder schrieben pornographische Romane. John Wieners ist verrückt und sitzt in der geschlossenen Abteilung in Buffalo, Fred Herko sprang aus dem Fenster, Gary Snyder ist Zen-Priester. Und so weiter. Oder, wie meine elfjährige Tochter neulich zu mir sagte, als sie an die frühen Jahre ihrer Kindheit dachte:
»Ich vermisse die alten Zeiten. Sie waren hart, aber schön.«
Heute ist alles irgendwie netter. Ein Neues Zeitalter, dessen Babyspeck noch dran ist.
Bleib stoned.
Diane di Prima, Mai 1969
Ich erwachte zu den morgendlichen Geräuschen des West Village. Verkehrsgeräusche. Draußen fuhren Lastwagen über die nasse Fahrbahn. Sie hupten nervös und schnauften einander an. Das Fenster war offen, und die Jalousie klapperte leicht, schlug einen unregelmäßigen Rhythmus gegen den Fensterrahmen. Ich öffnete die Augen, drehte mich im Bett herum und ließ den Blick schweifen.
Das Zimmer war in einem hellen Gelb gestrichen, was das graue Licht der verregneten Dämmerung erträglich machte. Abgesehen von unserem niedrigen Bett, bestand die Einrichtung des Raumes aus Rollbrettern, die bei nahgelegenen Papierhändlern geklaut und mattschwarz gestrichen worden waren. Sie dienten als Stühle und Tische, und keine Kissen störten die Kargheit der Einrichtung, keine indischen Drucke an den Wänden oder Deckchen aus Omas Zeiten, die uns dann in den Sechzigern so vertraut wurden. An der Wand, dem Fußende des Bettes gegenüber, stand auf einem dieser Rollbretter eine Kerze, mindestens 30 Zentimeter dick und einen Meter hoch. Auf diese Kerze war Ivan besonders stolz. Als wir hierher gekommen waren hatte er mir erklärt, daß schon das Wachs, das man brauchte, um sie herzustellen, siebzehn Dollar gekostet hatte. Sie war die Lichtquelle für unsere nächtlichen Unternehmungen.
Obwohl die Wohnung im ersten Stock lag, war das Zimmer mit falschen Dachschrägen »verschönert« worden. Sie zogen sich bis über den oberen Teil der Fenster herunter und hielten das Bett im Schatten. Es war ein großer Raum, und die frische Farbe und der makellos gestrichene Fußboden verliehen ihm das Aussehen einer Luxusmansarde. Als wären die Leute in La Bohème zu Geld gekommen und hätten alles frisch gestrichen, dachte ich grinsend.
Durch einen Gang konnte ich gerade noch die schrankgroße Küche erkennen, in der neue Gerätschaften blitzten. Rechts von der Küche, wußte ich, war ein ebenso kleines Bad, frisch gekachelt und mit schweren, flauschigen Handtüchern in luxuriösen dunklen Farben und verschiedenen teuren Badeessenzen ausstaffiert. Eine perfekte Miniatur, eine Puppenstube; und irgend jemand spielte hier zweifellos »Zuhause«.
Na gut, hier war ich also. Ich streckte meine Beine, krümmte die Zehen und seufzte leise, um den Jungen neben mir nicht zu wecken. Hier war ich also und dachte sarkastisch: Dies ist sicher nur die erste von vielen fremden Wohnungen, in denen ich noch aufwachen werde. Die Muskeln meiner Oberschenkel schmerzten und ich glitt mit der Hand darüber, um das Sperma zu fühlen, das hier und da noch an ihnen klebte. Dann ließ ich die Hand zwischen meine Schamlippen gleiten. Behutsam drang ich weiter vor, die Haut fühlte sich wund an. Er war wirklich ziemlich groß, dachte ich. Einen Großen beim ersten Mal, das war gut. Ein wohliger Schauer durchlief mich beim Erkunden des Vertrauten, und auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut. Vergnüglich grinsend überlegte ich, daß ich jetzt sicher keine Probleme mehr mit Tampax haben würde.
Ivan schlief noch immer, den Rücken mir zugewandt. Behutsam streifte ich die Decke ab und verglich den rosigen, fast violetten Ton meines Fleisches mit dem olivfahlen Schimmer seines Körpers. Wir sahen gut aus zusammen. Wie schön, hier erregt nebeneinander zu liegen, die streichelnde Hand auf der zarten Haut meiner Brüste und meines Bauches in der Gewißheit, der lustvolle Tanz der Begierde könne jederzeit von neuem beginnen.
Ich drehte mich auf die Seite, legte den Mund an seinen Rücken und fuhr mit der Zunge zart den Vertiefungen seiner Wirbelsäule nach. Ganz unten, kurz vor den Arschbacken, war ein besonders großer Wirbel. Mein forschender Mund folgte der Wirbelsäule bis zum Ende. Dann begann ich wieder von oben, diesmal mit dem Finger, strich leicht über seine Flanke und Seiten, so daß sich der zarte Flaum aufrichtete, der seine fahle Haut bedeckte.
Ivan war inzwischen hellwach, regte sich unter meinen Händen, und als ich mit der Zunge seine Nackenhaare erreicht hatte, drehte er sich um und bedeckte meinen Mund mit seinem. Ich ließ den Arm unter seine Schultern gleiten, bemerkte dabei, daß sie für seine Größe schmal waren – schmal wie die eines Mädchens. Aus irgendeinem Grund erregte mich das noch mehr; ich drehte mich so, daß ich halb auf ihm zu liegen kam, und konzentrierte mich ganz auf unseren Kuß.
Es gibt so viele verschiedene Küsse, wie es Menschen auf der Erde gibt. Keine zwei Menschen küssen gleich – auch keine zwei vögeln gleich –, aber irgendwie ist der Kuß etwas Persönlicheres, Individuelleres als ein Fick.
Da sind diejenigen, die angespannt küssen, ernsthaft, die Lippen fest und verkrampft, mit harter Zunge, die sie dem Gegenüber so tief wie möglich in den Mund stoßen wollen; andere küssen gleichgültig, wie nebenbei, träge, mit schlaffem Mund, mit sanfter Berührung, ihre Zungen scheinen der Anstrengung, sich vorwärts zu bewegen, kaum gewachsen zu sein. Es gibt auch gerissene Küsser, deren Kuß zunächst beiläufig wirkt, aber hinterrücks zu großartigen Lustexplosionen führt. Dann diese schmeichlerischen Küsser, deren Kuß so schlüpfrig ist, daß man sich leicht abgestoßen fühlt, so als hätte man gerade einen schnellen Fick auf dem Badezimmerfußboden hinter sich; und jene jungfräulichen Küsser, die zwar gerade dabei sind, das Innere deines Mundes nach Außen zu kehren, zwischendurch aber keusch nach deiner Hand tasten. Dann gibt es welche, für die ist Küssen wie Vögeln: Ihre Zunge stößt hektisch zwischen die Lippen des Gegenübers, ein wilder atemloser Rhythmus. Es gibt noch viele, viele andere Grundformen des Kusses – mir fallen auf Anhieb mindestens zwölf ein. Schreib hier Deine Favoriten auf:
Unser Kuß begann mit weichem Mund, entspannt, spielerisch die Lippen streifend, der Versuch, ein Mund zu werden, ohne Anstrengung, wie von selbst. Die Erregung steigerte sich, bis die Lippen wild zwischen die immer noch geschlossenen Zähne gepreßt wurden. Ein kurzes Atemholen, dann erforschte seine Zunge die Innenseite meiner Unterlippe, glitt mit kurzen Stößen in alle Ecken, massierte mein Zahnfleisch und drückte die Lippe nach unten. Die Zunge zog sich zurück, und sofort folgte ihr meine, wiederholte das ganze Spiel intensiver, stieß unter seine Oberlippe und in seine Mundwinkel, drückte sich erst in die eine und dann die andere seiner eingefallenen Wangen. Als ich davon genug hatte ging ich dazu über, die Innenseite seiner Unterlippe mit den Zähnen anzuknabbern. Jetzt kam seine Zunge entschlossen und angespannt zurück, erkundete meinen Gaumen und die Haut unter meiner Zunge. Wir wechselten die Lage, damit Münder und Körper noch näher aneinander kamen. Meine Hand fand seinen stattlichen, schönen Schwanz und begann, ihn zu kneten und zu streicheln, was ich nur gelegentlich unterbrach, um seine Eichel mit meiner gewölbten Hand zu umschließen.
Unsere Zungen kreuzten jetzt die Klingen im lustvollen Duell, während die Körper sich wanden, nach immer engerem Kontakt suchten. Ich schob ein Knie unter seine Eier und ließ es sanft kreisen, erforschte seinen Gaumen mit der Zungenspitze. Ungeschickt preßte er mir den Oberschenkel zwischen die Beine und streifte meine Klitoris. Eine warme Welle der Lust breitete sich in mir aus; ich begann, meine Möse an seinem Bein zu reiben, umklammerte es mit beiden Schenkeln, mein Mund löste sich von seinem, suchte nach der kleinen Vertiefung unter seinem Kehlkopf, die ich so liebte.
Mit zurückgeworfenem Kopf und geschlossen Augen lag er da, als ich mit dem Mund der Linie seines Halses zu Schlüsselbein und Brust folgte und eine zarte Speichelspur auf seiner blassen Haut zurückließ. Meine Zunge spielte kurz mit den harten, zierlichen Nippeln und setzte die Reise nach Süden fort, legte hier und da eine Pause ein, um am delikaten, glatten Fleisch unter den Rippen zu nuckeln oder sich in seinen Nabel zu bohren. Eifrige Hände drängten meinen Kopf weiter, hin zu seinem riesigen Schwanz, aber ich widerstand – spielerisch. Ich wollte nicht gedrängt werden. Ich nahm eines der schwarzen Haare auf seinem Bauch zwischen die Zähne und zog sanft daran. Ich folgte mit dem Mund den wohlgeformten Beckenknochen und betrachtete sein festes, straffes Fleisch, wie es sich zu einer Mulde vertiefte, weich und sinnlich wie Sanddünen. Ich hinterließ dort einen purpurnen Abdruck meiner Zähne und setzte gemächlich meinen Weg fort. Ivan stöhnte. Der Druck seiner Hände ließ nach, er begann jetzt wie wild mit meinen Haaren zu spielen. Mit Mund und Zunge eroberte ich die weiche Haut zwischen Nabel und Leiste, bis die Muskeln unter meiner Berührung hüpften und zuckten und ich ihn schnell und unwillkürlich keuchen hörte.
Ich rutschte am Bein nach unten und suchte seinen steifen Schwanz, liebkoste ihn, beknabberte seine Seiten, umspielte mit der Zunge die Wurzel, das dunkel verfilzte, muffig riechende Haar. Schließlich gab ich dem Drängen seiner Hände nach und schloß den Mund über der großen Eichel, schmeckte die bittersüße Flüssigkeit auf ihrer Spitze, versuchte, ihn so tief wie möglich in mich aufzunehmen. Ich schob die Hände unter seine Arschbacken und drehte ihn näher zu mir, bewegte den Kopf auf und ab und drückte meine nasse Öffnung gegen sein Knie. Ich war berauscht, starrte mit verschleiertem Blick auf einen Sonnenlichtfleck an der gelben Wand und erinnere mich noch, sinnloserweise gedacht zu haben, daß es aufgehört hatte zu regnen. Am Kopfende keuchte und stöhnte Ivan.
Mein eigenes Verlangen wurde brennender. Ich wollte diesen riesigen, pulsierenden Schwanz in mir haben. Als ihn ein Schauer durchzitterte, zog ich den Mund schnell zurück. Ich verweilte mit der Zunge kurz bei seinen vollen Eiern, glitt an seinem Körper entlang nach oben, stützte mich auf die Arme und spreizte die Beine so, daß mein feuchtes Loch direkt über seinem Ständer war. Ich ließ mich auf ihn herab, führte ihn an den richtigen Ort und wand mich, um ihn in meine noch enge Öffnung zu zwängen. Aber da fehlte noch ein Stück, ich kriegte sein gewaltiges Werkzeug nicht ganz in mich hinein. Wir lösten uns kurz voneinander und ich schob ein Bein über seine Schulter, seine Hände zogen an meinem Hintern – dann war er bis zum Anschlag drin. Alles in mir schien zu schmelzen, ein grauer Schleier waberte vor meinen Augen. Wir lagen auf der Seite, mein eines Bein ausgestreckt, das andere über seiner Schulter, wir pumpten und kreiselten in wachsender Ekstase. Mein langes Haar löste sich und fiel in Kaskaden über uns beide. Endlich ließ ich, von Lust überwältigt, los und fühlte eine Welle des Entzückens durch mein Fleisch jagen, als sein warmes Sperma meine Möse bis zum Überlaufen füllte und er mit einem zitternden Schrei über mir zusammenbrach.
Ich weiß noch, daß es sehr lange dauerte, bis wir uns wieder bewegten, denn als ich den Kopf hob, sah ich, daß der Sonnenfleck sich ein ganzes Stück auf der Wand weiterbewegt hatte und nahe bei den Holzbalken stand. Ich bewegte mein Bein, und Ivan zog seinen schlaffen nassen Schwanz aus mir heraus, was ein köstliches und delikates Gefühl auslöste. Er griff mit einem Arm über mich nach dem elektrischen Wecker, den wir bei unseren Tanzübungen umgestoßen hatten. Als er sah, wie spät es war, stieß er einen langen Pfiff aus und wollte sich aufrichten, fiel aber gleich wieder zurück, um meine Lider zu küssen und mit den Lippen an meinen Ohren zu nuckeln. Ich rutschte auf ein trockeneres Stück Laken. Er nahm eine Strähne meines Haares, breitete sie wie ein Netz über mein Gesicht und küßte mich durch sie hindurch. Unsere Zungen begegneten sich wie durch einen Schleier. »Hmpf«, sagte ich.
»Hungrig?« fragte er, setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante auf den Boden.
»Ein bißchen«, antwortete ich, und kuschelte mich tiefer in das Kissen, um klarzustellen, daß ich nicht aufstehen und mich darum kümmern würde.
Ivan erhob sich, und ich betrachtete seinen fremden schönen Körper, während er zur Dusche ging. Zweifellos zu groß und zu blaß. Seine Haut schimmerte, eine Figur von El Greco. Er war sehr schön, entschied ich, und schmiegte mich noch tiefer in die warme Stelle, die unsere Körper hinterlassen hatten. Ich döste weg.
Und erwachte vom Duft des Kaffees und dem Brutzeln der Eier. Ivan hatte geduscht und sich angezogen und stand über mir, grinsend, mit zwei dampfenden Kaffeetassen in den Händen. Er stellte sie ab und setzte sich neben mich, während ich mich schlaftrunken aufsetzte; das Laken glitt von meinen Schultern, die Haare fielen mir ins Gesicht. Gierig nippte ich von der süßen heißen Flüssigkeit. Sie vertrieb die Traumnebel aus meinem Kopf, und über den Tassenrand warf ich Ivan einen verstohlenen Blick zu. Das war nicht der junge Pirat, den ich vergangene Nacht im Village getroffen hatte. Auch nicht das El-Greco-Gemälde, mit dem ich geschlafen hatte. Ein junger Mann, eher still, dünn, in blauen Jeans und blauem Arbeiterhemd, das Haar ordentlich gekämmt. Ivan bemerkte den Blick, erriet meine Gedanken und grinste. Ich grinste zurück. Worte waren unsere Sache nicht. Dann machte er Anstalten, mich hochzuziehen.
»Na los«, sagte er, »die Eier werden kalt.«
Ich stand auf und ging nackt in die Mitte des Zimmers, wo ich mich gähnend streckte; das Sonnenlicht, das ich den ganzen Morgen vom Bett aus betrachtet hatte, umspielte meine Knöchel. Mein Haar wickelte ich zu einem unordentlichen Knoten, damit es mir nicht ins Gesicht fiel. Irgend etwas tropfte auf meinen Fußrücken, aber das ignorierte ich. Ivan warf mir ein blaues Jeanshemd zu, identisch mit dem, das er trug; ich zog es an, rollte die zu langen Ärmel hoch und ging – nunmehr bekleidet – zum Frühstück.
Wir saßen an einem winzigen Tisch in dieser miniaturisierten Junggesellenküche und verschlangen frisch gepreßten Orangensaft, Spiegeleier und angebrannte English Muffins, die in Butter schwammen. Ivan trug jetzt seine Brille, was ihn vollends in einen nüchternen, fast zu ernsthaften jungen Werktätigen verwandelte.
»Mach einfach die Tür hinter dir zu, wenn du gehst«, sagte er mit vollem Mund. »Sie schließt von selbst. Bleib so lange du magst, hör dir Platten an, schreib, was auch immer.« Nach einem unmerklichen Zögern fuhr er fort: »Sehen wir uns heute abend?«
Das Zögern gefiel mir. Mir gefiel auch das Vertrauen, mit dem sich alles zwischen uns abgespielt hatte, aber ohne das Zögern hätte er doch ein wenig überheblich gewirkt. Ich unterdrückte ein weiteres Grinsen und füllte mir den Mund mit Ei.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Kommt drauf an. Ich wohne noch zu Hause.«
»Wir sehen uns«, sagte er. »Um neun. Bei Davids.« Davids war ein auf künstlerisch getrimmtes Café in der MacDougal Street. In jenen Tagen das einzige, außer den Mafialäden.
»OK«, sagte ich und machte weiter auf cool. »Wenn ich nicht da bin, warte nicht auf mich.«
Er warf mir einen langen, verspielten Blick durch die Wimpern zu, der halb bettelte, halb mir befahl, dort zu sein, und nach einem sehr nach Ei schmeckenden Kuß ging er zur Arbeit.
(Fortsetzung)
Ich war alleine in der Wohnung und hatte dieses besondere Gefühl von Luxus, das ich immer habe, wenn ich allein bin. Ich schenkte mir noch einen Kaffee ein, zuckerte ihn ausgiebig und füllte die Tasse mit Milch auf. Eine alte Angewohnheit aus der Zeit, als ich häufig kaum zehn Cent in der Tasche hatte und der Kaffee das Frühstück war, oder das Abendessen. Mit viel Milch und viel Zucker hielt er länger vor, als Nahrung, als Energie.
Ich schlenderte zum Bücherregal, zog die New Directions-Ausgabe von Garcia Lorca heraus und versenkte mich in die Elegie für Ignacio Sánchez Mejías. Die Kaffeemaschine hielt den Kaffee unbegrenzt warm. Nach einer Weile holte ich mir eine weitere Tasse und schlenderte zum Bett. Ich stellte die Tasse auf den Boden, glättete die zerknitterten Laken, legte eine Bach-Kantate auf den Plattenspieler und streckte mich mit dem Buch aufs Bett. Meine Gedanken wanderten umher, bald tat ich das Buch zur Seite und überließ mich den Träumereien.
Im großen und ganzen war ich ziemlich zufrieden. Ich mochte Ivan, mochte seine komische Schüchternheit, die auch als cool durchgehen konnte, mochte seinen mageren Körper, den großen Schwanz. Ich mochte das warme, volle, befriedigte Gefühl in meinem Inneren. Ich aalte mich darin, kuschelte mich tiefer in das weiche Bettzeug und ließ halbwach die Ereignisse der vergangenen Nacht Schritt für Schritt noch einmal Revue passieren.
Ich hatte mit Susan O’Reilley, einer Freundin von der Oberschule, im Swing Rendezvous gesessen, einer Schwulenbar in der MacDougal Street, die der Mafia gehörte. Wir beide hatten vor einigen Wochen unserem jeweiligen College den Rücken gekehrt, wohnten unter schwierigen Umständen zu Hause und waren auf der Suche nach Jobs und einer Wohnung, nach einer nächtlichen Zuflucht vor wütenden Eltern, die schon mehr als einmal die Polizei gerufen hatten. Einer Zuflucht vor der ganzen bedrohlichen Welt. In dieser Bar fühlten wir uns sicher. Der dicke, dumpfe Rausschmeißer mit seinem Bronx-Akzent; der dürre grauhaarige Mafia-Mann mit buschigen schwarzen Augenbrauen, der im Hintergrund saß und alles im Auge hatte; die lesbische Kellnerin namens Stevie Martini, so hübsch und schlank, das kurze, blondierte Haar in klassischer Entenschwanzfrisur; Barbara, das traurige kleine Mädchen mit den großen schwarzen Augen, das hinter der Bar arbeitete und Stevies Freundin war – sie alle waren in den vergangenen Wochen zu einer Art Familie geworden.
Das Swing war ein Zufluchtsort, weil es keiner Konvention unterworfen war, ein Treffpunkt der Außenseiter. Heutzutage, wo die »schwule Emanzipation« in vollem Gange ist, hat Homosexualität ihr soziales Stigma verloren, und damit auch den affektierten, bitteren Romantizismus, der so liebenswert ist. (Ich erinnere mich an einen befreundeten Stricher, der eines Nachts in Lennys Hideaway einen zudringlichen Geschäftsmann mit den Worten abblitzen ließ: »Mir ist heute nacht einfach nicht nach Extravaganzen zumute, Liebes.«) Schwulsein kann heute nicht mehr als Entschuldigung dienen, vor der Welt zu fliehen, die Gesellschaft, in der man lebt, zu verteufeln, in die Isolation abzutauchen und sich abzusondern. Schwulsein ist nicht länger Bestandteil schwarzer Magie: Cocteau, Genet, oder Kenneth Anger. Gerade letzte Woche habe ich ein Exemplar von The Well of Loneliness, dem heimlichen Klassiker der Generation meiner Mutter, in einem Trödelladen in der Haight Street gesehen; zehn Cent sollte es kosten.
Wir saßen in einer dunklen, holzgetäfelten Nische auf verschlissenen roten Lederpolstern; unsere Bewegungen wurden von den blaugetönten, fleckigen Spiegeln reflektiert, die rundherum an den Wänden angebracht waren. Wir redeten, wir tranken, manchmal standen wir auf und tanzten miteinander oder mit einem der Stammgäste, hetero oder schwul, die wir mittlerweile kennengelernt hatten und die uns fast so vertraut waren wie wir einander.