Einleitung
Phänomene und Kriterien
Modelle der Raumakustik
Phänomene der Raumwahrnehmung
Allgemeine Bewertung von Räumen
Ausblick
Bedeutung proportionaler Modelle
Bedeutung und Symbol
Metaphysik der Zahl
Körper und Symbol
Abgeleitete Formen
Skulptur und Zeit
Architektur und Skulptur
Eigenklang der Gebäude
Entstehung – Bestand – Ruine
Körper der Moderne
Körper im Kontext
Utopische Entwürfe
Transformation und Abstraktion
Monofonie des Hauses
Haus als Heimat
Bauen – Wohnen – Denken
Martin Heidegger – Frank Lloyd Wright
Idealisierung ländlicher Bauformen
Hüttendasein
Verlust von Wohnqualität
Rückgewinnung natürlicher Qualitäten
Räume im Erdreich
Japanische Häuser
Stille – Natur – Schatten
Bruno Taut und Japan
Raum als Gefäß der Ruhe
Polyfonie der Städte
Reduktion – Lesbarkeit
Phänomene akustischer Stadträume
Komplexe Stadträume
New Urbanism, Green Cities, Neoromantik
Funktionalismus heute
Landschaft vs. Stadt
Grundforderungen
Zukunft der Städte
Alternative Konzepte der Vergangenheit
Dramaturgie der Abfolge
Kunst mit architektonischen Körpern
Urbane Themenparks mit Landschaft
N. Y. C. Central Park in den akustischen Künsten
Dramaturgie der Straße
Stadt als Organismus – Renaturierungen
Lesbarkeit der Stadt
Formen und Funktionen
Kindergärten
Schulen
Hörsäle
Bibliotheken
Sportstadien
Altenwohnanlagen
Probleme akustischer Untersuchungen
Geräuscherzeuger – Umgebung
Architektur als Modulator
Lärmkarten und Topografie
Fahrzeuggeräusche
Bahngeräusche – Schienenwege
Schallimmissionen im Wasser
Determinanten der Bewertung
Norm und individuelle Determinanten
Norm und kultureller Kontext
Ansätze der Gestaltpsychologie
Ansätze der Musikpsychologie
Ansätze der Architekturpsychologie
Ausblick
Architektur heute
Planung mit akustischen Szenarien
Klangkunst und Installation als immediative Architektur
Glossar zum Themenfeld
Literatur
Anmerkungen
Nachwort
Bildnachweis
Impressum
EINLEITUNG
Architektur und Resonanz entstand als interdisziplinäres Projekt aus der Beschäftigung mit Musik und akustischen Künsten im Raum. Verschiedene Stadien wurden dabei institutionell durchwandert, die ihren Ursprung in den Jahren von 1999 bis 2001 mit dem Klangkunstforum Potsdamer Platz, Berlin und dann 2002 mit der vom Verfasser initiierten Tagung im Rahmen der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik des Internationalen Musikinstitutes in Darmstadt, Musik und Architektur, hatten, um schließlich in die von der DFG geförderte Tagung Architektur ist Laut! an der BTU Cottbus im Jahr 2005 zu münden. Die Stationen lassen sich auch in der Anlage und Gliederung der vorliegenden Schrift erkennen, die sich in zehn Kapiteln dem Körper der Architektur und seinen Angeboten an die Sinne des Menschen widmet. Zentral sind Phänomene der Resonanz, die ins Verhältnis zu Räumen und Orten gestellt werden, an denen Menschen mit akustischen Ereignissen in Kontakt treten. Dabei gewinnen in Zeiten urbaner Verdichtungen die Erfahrung, Bewertung und Planung akustisch geprägter Räume an Bedeutung. Architektonische Qualitäten des Wohnens werden ebenso behandelt wie Fragen zu innerstädtischen Räumen der Begegnung im 20. Jahrhundert.
Das Interesse an Architektur – in ihren baulichen wie theoretischen Dimensionen – beschäftigt seit Jahren zunehmend auch Künstler und Kulturhistoriker. Schriften zur Architektur sowie raumbezogene und skulpturale Installationen werden zunehmend in Kunst- und Musikwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaft diskutiert. Positionen von Robert Venturi, Bernhard Tschumi, Tadao Ando, Peter Eisenman oder Daniel Libeskind werden einer kritischen Lektüre unterzogen. Hier deutet sich eine Bandbreite architektonischer Ideen an, die Potenziale für eine neuere Architekturtheorie liefern.1 Seitens eher künstlerischer Positionen bieten Projekte und Schriften von Akio Suzuki, Bernhard Leitner, Philippe Rahm oder Diller & Scofidio auch Potenziale, die zeigen, was ein architektonisches Denken heute zu leisten vermag. Interferenzen zwischen Geisteswissenschaften und Architektur motivieren die neuere Theoriebildung,2 deren Systematik gleichzeitig meist problematisch bleibt. Anschaulich und nachvollziehbar werden die Debatten, wenn es um die vermeintlich schlichte Frage geht: Was ist gute Architektur heute? Hieran orientiert sich die vorliegende Untersuchung. Beschreibungen sensitiv erfahrbarer Eigenschaften von Räumen3 nehmen einen zentralen Platz in Diskussionen ein, wenn Fragen der Funktionalität und Nutzung von Architektur erörtert werden. Wie – so lautet eine häufig gestellte Frage – muss ein Kindergarten, eine Schule, ein Hörsaal, eine Bibliothek oder ein Konzertsaal beschaffen sein, um den Nutzern/Besuchern optimale Voraussetzungen für bestimmte Handlungen zu bieten? Wo sind Ansätze, Schnittmengen und gemeinsame Ziele erkennbar? Durch welche Institutionen werden solche Anforderungen formuliert? Welches Gremium kontrolliert die spezifische Funktionalität eines fertiggestellten öffentlichen Gebäudes? Wie schließlich können, dürfen und müssen Räume akustisch beschaffen sein? Welche sensorischen Eigenschaften von Oberflächen, Klimatisierung (Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit) werden berücksichtigt? Wie wird mit elektromagnetischen Strahlungen, wie mit Lichtfrequenz und Ausleuchtung umgegangen? Diese und ähnliche Fragen werden meist eher von Künstlern als von Architekten gestellt, wenn in Formaten der Installation mit Klang, Licht und sensorisch wirksamen Materialien gearbeitet wird.
Angesichts der angedeuteten Themen rücken Fragen ins Zentrum, die sich mit der Bedeutung des Menschen im architektonischen Raum, dessen sensueller Wahrnehmung und Orientierung sowie dessen Wohlbefinden befassen. Gleichzeitig rücken Entwicklungen der Kritik am Funktionalismus in den Fokus. Kritik formuliert sich in Sprache und damit kommen wir zum Thema. Manche besonders wortreiche Texte zur Architektur gleichen musikalischen Aufführungsanweisungen zu Spieltechniken, die, wie ein Glossar den Partituren beigelegt, manche Werke erst erklären. Werke brauchen Texte. Objekte, ob in Kunst oder Architektur, müssen in Sprache gefasst werden, wenn diese Bedeutung haben sollen. Essays und Interviews von Daniel Libeskind, wie jene zum Jüdischen Museum in Berlin, bieten einen literarischen und dann erst architektonischen Kommentar zur jüngsten Geschichte und sie positionieren sich mit kulturhistorischem Anspruch. Der Text ist eine medial wirksame Botschaft. Das Bauwerk ist ohne diese Kenntnisse in seiner geistigen Dimension kaum zu fassen.
Ein anderes Beispiel: So stellt der Graubündner Architekt Peter Zumthor handwerkliche Qualitäten und regionale Materialien wie Holz und Stein so nachdrücklich und wortreich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, dass daraus eine Ästhetik erwächst. Diese kann in eine Tradition naturnahen Lebens gestellt werden, die unter anderem im Nachkriegsdeutschland mit dem Philosophen Martin Heidegger vertreten ist. Gemeinsam mit dem in Darmstadt lebenden Philosophen Gernot Böhme ist Zumthor zum Theoretiker eines philosophisch besetzten Begriffs, dem der Atmosphäre, geworden. Zumthor schildert in vielen Texten sein architektonisches Wirken in Metaphern, die der Musik entliehen sind, und er identifiziert sich, wie auch Libeskind, mit Traditionen zeitgenössischer Musik. Beiden gelingt, was nur wenige schaffen – sich der, nach Rudolf Wittkower4, fragwürdig gewordenen Analogien zwischen Musik und Architektur zu entledigen. Sie distanzieren sich von Haltungen und Schriften zur Proportion, die im Zeichen eines Historismus auf dem Feld der Architekturtheorie5 nach wie vor verbreitet sind.6
Solche Querverbindungen deuten die aktuelle Gemengelage zwischen den Gattungen und deren Rückwirkungen auf das Denken im Bereich der Architektur an. Sie bestimmen die Architekturtheorie. Dies hat zur Folge, dass es keine einheitlich fokussierte Architekturtheorie geben kann. Sie ist und bleibt abhängig von ihrer Anbindung an Fakultäten der Kunst- und Sozialgeschichte, der Philosophie und der Architektur. Ihre Spezifik erfährt sie erst durch ein institutionelles Interesse.7 Die Entwicklung interdisziplinären Denkens, die im frühen 20. Jahrhundert datiert und in sämtlichen Kunstformen präsent ist, wurde quer durch die Gattungen mit historischen Bezügen rekonstruiert.
So unmittelbar der Begriff der Architektur in den oben angesprochenen Facetten vergegenwärtigt werden kann, so weitreichend und unscharf ist der Begriff der Resonanz. Es gilt dabei erstens zu unterscheiden zwischen der Bedeutung von Resonanz – als raumtypischer Eigenfrequenz – und dem Mitschwingen eines Systems, das zu charakteristischen Färbungen der Schallereignisse im Raum führt. Neben der akustisch-physikalischen Bedeutung hat zweitens die Wahrnehmungsforschung im 18. Jahrhundert im Bereich der Gedächtnispsychologie ein Modell des Wiedererkennens etabliert, das den Begriff bisweilen ins Esoterische rücken lässt. Hier „dient die Resonanz-Metapher zur Erklärung des Wiedererkennens und der Ähnlichkeitsassoziation. Da zwei Ereignisse sich nie völlig gleichen, kann ihre Assoziation, soweit sie nicht zeitgleich benachbart auftreten, nur durch Resonanz zwischen gleichartigen Aspekten erklärt werden.”8 Die aus der Gedächtnispsychologie resultierende Bedeutung wird in den folgenden Ausführungen nicht weiter bearbeitet. Das Interesse am Begriff der Resonanz speist sich vielmehr aus den Möglichkeiten, räumliche und materiale Qualitäten zu gewinnen, die über den Begriff der Reflexion und dem Abstrahlverhalten von Oberflächen hinaus reichen. Resonanz bezeichnet immer und in allen Varianten ein Mitschwingen von Körpern in anderen Körpern. So höre ich durch und mit meinem Körper die auf mich einwirkenden Klänge als besondere Ereignisse.
Es zeigte sich, dass Verbindungen von Architektur und Resonanz seit den 1980er Jahren auf dem Gebiet der Installation und Klangkunst thematisiert, bisher aber kaum in den Kontext der Architekturtheorie gestellt wurden. Interessant sind daher besonders jene Arbeiten ausgebildeter Architekten, die im Medium bildender Kunst akustische Installationen und sensualistisch wirksame Räume erstellt haben. Hier deuten sich Potenziale einer neueren Architekturtheorie an, die auf die Bedeutung sensuell wirksamer Eigenschaften von Räumen abzielt. Akustische Profile von Räumen bedingen sich durch proportionale und materiale Beschaffenheit, die mit ihrer funktionalen Seite als Summe betrachtet werden. Gleichzeitig soll eine Positionierung von Architektur und Resonanz zum Stand der Architekturtheorie nach Kate Nesbitt, Theorizing a New Agenda for Architecture 1965–1995, geleistet werden. Im Anschluss an Rudolf Wittkowers The Changing Concept of Proportion (1960) galt es, architektonische Verfahren zu entwickeln. Die Beurteilung proportionaler Modelle für die Beschreibung unregelmäßiger Körper bleibt das nahezu unlösbare Problem der Architekturtheorie und Klangforschung. Fragen zur Erfassung akustischer Daten sowie die Beurteilung von Emissionen und Immissionen in architektonischen Einzelobjekten, Raumfolgen, Gebäudeensembles, Stadträumen und Landschaften werden anhand von Normen diskutiert, Parameter zur Beschreibung akustischer Szenarien auf den Stand ihrer Planbarkeit erörtert.
PHÄNOMENE UND KRITERIEN
Modelle der Raumakustik
Wer auch immer sich den Themenfeldern Architektur, Resonanz, Raumwahrnehmung und Klang bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts näherte: Die Autoren unterschiedlichster Herkunft gelangten am Ende zu einfachen Formen und Gebilden geometrischer Regelkörper. Aus dem Ursprung rechenbarer und anschaulicher Körper – deren Maßverhältnisse meist gut darstellbar waren – erwuchsen Anordnungen und Ensembles von Körpern, die als Folge, Serie und räumliche Szenarien in Grundrisse und Kartierungen führten. Heute wissen wir, dass jedem Körper ein unverwechselbares Maß eigen ist, das erst im Kontrast zu benachbarten Körpern seine Relation zeigt. Körper verhalten sich durch Volumen, Proportion und Material sowie durch ihre Anordnungen und Resonanzfrequenzen ähnlich wie Instrumente zueinander. So klingt ein Raum mit einer Ansammlung von Musikinstrumenten als Raum mit akustischem Mobiliar. Räume, ob Konzertsaal oder Vorlesungsraum, weisen durch eingefügte sekundäre Körper veränderte Volumen auf. Dabei müssen die Instrumente oder Möbel noch nicht einmal besonders angeregt werden, um den Raum akustisch zu färben. Jede kleinste Bewegung im Raum – und sei es eine Fliege oder ein Schmetterling, der seine Bahnen zieht, wie dies der Minimal-Künstler La Monte Young in den frühen 1960er Jahren erdachte – reicht aus, um den Raum als Klangkörper erlebbar und erfahrbar zu machen. Der Raum ist ein Universum, seine Akteure sind, auch ohne es zu beabsichtigen, bereits Tonquellen. Schallerzeuger entfalten ihre volle Klangpracht erst durch die Eigenfrequenzen der Räume.
Wurden in der Vergangenheit vor allem Resonanzen von Innenräumen untersucht und in den architektonischen Planungen berücksichtigt, so belegen neuere Studien, dass die akustische Umgebung im städtischen Raum ebenso prägnant für die Entstehung von Resonanzen ist wie jene der Innenräume selbst. Material, Oberflächen und Gestaltungen von Fassaden gilt es daher in Stadtplanung und Architektur zu analysieren, zu beschreiben und zu bewerten. Wie stellen sich solche Relationen (Material, Oberfläche und Gestaltung) und Veränderungen dar, die angesichts wachsender und schrumpfender Städte in den letzten 30 Jahren zusätzlich an Bedeutung gewonnen haben? Wie ändern sich Klangbilder der Städte? Welche Themen werden bearbeitet?
1 Akustische Messung über dem Eismeer bei Barth (Stralsund), 43,5 dB (A), Januar 2006
Zu ersten Antworten solcher Fragen kann der Erfindungsgeist der Kunst zurate gezogen werden, aus dessen Kreisen seit den 1970er Jahren, in Anlehnung an Land- und Environmental Art, architektonische Interventionen entwickelt wurden. Interventionen irritieren das System und machen anschaulich. Resonanzen öffentlicher Räume wurden Material mit raumbildenden Eigenschaften aus dem Feld akustischer Kunst. Zu nennen sind hier Vito Acconci, Ulrich Eller, Bill Fontana, Bill Viola, Dan Graham, Bruce Nauman, Alvin Lucier und Akio Suzuki. Ebenso nutzen Architekten wie Toyo Ito, Bernhard Leitner, Peter Zumthor, Elizabeth Diller & Ricardo Scofidio, Daniel Libeskind, Philippe Rahm unter anderem Klang als Medium, um mit akustischen Parametern künstliche Räume und Atmosphären zu entwickeln. Akustische Gestaltungen, die in Erweiterung klassisch verstandener Räume als raumgreifende Installation entstehen, definieren besondere Orte. Durch akustische Eingriffe entstehen Akzentsetzungen im Raum. Zonen werden geschaffen, die an historische Vorläufer in Städten erinnern. Geschichtlich betrachtet, sind anstelle innerstädtischer Wasserspiele manche medialen Installationen und auch temporäre Interventionen (Gordon Matta-Clark, Christo und Jeanne-Claude, Olafur Eliasson) getreten, die als Nachfahren der Brunnenanlagen akustische und visuelle Zentren in öffentlichen Räumen bieten. Orte der Entspannung laden zum Verweilen und Gespräch ein. Ihre Funktionen können in der Tradition des Architekturtheoretikers Camillo Sitte verstanden werden, der aus gesellschaftspolitischen Gründen öffentliche Grünzonen um 1900 als besondere Orte in der Stadt forderte. Sittes Programm hat an Aktualität gewonnen.
Wie lassen sich nun solche Interventionen in öffentlichen Räumen beschreiben? Die klingende Kunst verändert die Orte und gibt ihnen eine neue Prägung; künstlerische und städtebauliche Voraussetzungen bilden in ihrem Zusammenspiel neue Qualitäten aus. Mit welcher Konsequenz und Systematik befassen sich Eisenman, Libeskind, Zumthor, Suzuki, Leitner und Rahm in ihren Planungen und mit damit verbundenen Errungenschaften aus den Bereichen Kunst, Musik und Architektur? Mit welchen Intentionen werden diese Wirkungen aufeinander bezogen? Wie, vor allem, verhalten sich Außen- und Innenräume zueinander? In welchem Verhältnis stehen Resonanzen? Kann, in Anlehnung an die Sprache der Musik, bei komplexen Klangfolgen von einer Polyfonie der Geräusche gesprochen werden, wenn Klangbilder urbaner Räume als Summe zahlloser (architektonischer) Konstanten und (geräuscherzeugender) Variablen entstehen? Wenn, weiter, ihre Charakteristika von Größe, Oberfläche und Anordnung bestimmt werden? Wie verhalten sich Ensembles von Gebäuden akustisch zueinander? Das Einzelne und die Vielzahl von Impulsen und Reflexen – wie kann hier differenziert werden? Akustische Gestalten der Städte heben sich von einem breitbandigen Grundrauschen öffentlichen Lebens ab, doch wie werden diese bislang beschrieben? Die Stadt im 20. Jahrhundert bildet den exemplarischen Resonanzraum, in dem sich Grenzbereiche von Kunst, Musik und Architektur überlagern. Dort bedingen sich Verhältnisse von Körper- und Luftschall sowie Modifikationen von Innen- und Außenraum. Bemerkenswert in Texten führender Architekten sind Verweise auf akustische und musikalische Vorläufer. Musik, Akustik, Resonanz und Stadtraum bieten Material für weiterführende Überlegungen in der Architektur.
Körper
Zylinder, Kegel, Kubus, Tetraeder, Gewölbe, geodätische Kuppelstrukturen, hyperbolische Paraboloide oder Vasen, Schildkrötenpanzer und Schädeldecken – diese Grundformen bestimmen real messbare als auch imaginierte akustische Körper, die durch Schallformen im Raum gezeichnet werden können. Architektur wird zum Raumgefäß. Grundformen und geometrische Spielarten gilt es zu untersuchen. Der umbaute Raum wird zum offenen Behältnis, in dessen Innerem etwas stattfindet. Es sind Verbindungen von Formen und Materie. Wasser, Winde und andere Erreger: sie bedingen durch Hohlkörper und deren Resonanzen akustische Phänomene. Im Zusammenwirken von Bewegung und Widerhall formen sich Klänge, die durch die sie umgebenden und angeregten Körper zur vollen Entfaltung gelangen. Der Körper wird inwendig durch den Klang erfüllt und weist auf sein Volumen und die Umgebung hin. Offene und geschlossene Körperräume werden seit Vitruv (1. Jhd. v. Chr.) zu klingenden Architekturen mit einfachsten Verstärkern: Gestimmte Vasen aus Bronze und Ton wurden gezielt eingesetzt, um die gewünschte Verstärkung einzelner Frequenzen zu erhalten. So berichtet Vitruv im fünften Kapitel des V. Buches Zehn Bücher über Architektur von der Verwendung von Schallgefäßen im Theater, die zur Verstärkung gewünschter Zusammenklänge verwendet werden sollen. „So sollen auf Grund dieser Forschungsergebnisse nach mathematischen Berechnungen, entsprechend der Größe des Theaters, bronzene Schallgefäße hergestellt werden, und diese sollen so hergestellt werden, dass sie, wenn sie berührt werden, von einem zu anderen den Klang der Quarte, Quinte und der Reihe nach bis zur Doppeloktave hervorbringen können. Dann soll man sie in Hohlräumen, die zwischen den Sitzen verteilt angelegt sind, nach der musikalischen Ordnung so anbringen, dass sie kein Wandstück berühren, ringsum leeren Raum und auch in ihrer Oberseite einen Zwischenraum haben, und sie sollen umgekehrt aufgestellt sein und auf der Seite, die gegen das Bühnenhaus gerichtet ist, Keile untergelegt haben, die nicht weniger als ½ Fuß hoch sind. Gegenüber diesen Hohlräumen sollen in den Lagern der untere Teil der Sitzstufen Schlitze gelassen werden, 2 Fuß lang und ½ Fuß hoch.”9 Mit diesen Sätzen wurde die Geschichte architektonischer Akustik eröffnet. Bauliche Ergänzungen durch Resonatoren werden als notwendig erachtet, da „alle aus Holz gebauten öffentlichen Theater mehrere Flächen aus Brettern haben, die natürlicherweise eine Resonanz geben müssen. (…) Wenn aber Theater aus festem Baumaterial zum Beispiel Mörtelwerk, Stein oder Marmor, die keine Resonanz geben können, gebaut werden, müssen diese Verhältnisse durch Schallgefäße reguliert werden.”10
2 Kunsthaus Graz, Architekten: Peter Cook und Colin Fournier, 2003
Quellen
In der Literatur finden sich zahlreiche Verweise, die sich auf Elementarformen architektonischer Körper beziehen. Sie sind für den Bereich der Natur- und Landschaftsbilder in den Reiseberichten von der Antike von Homer über Mendelssohn Bartholdy bis in unsere Tage enthalten.11 In diesen wird von erhabenen Höhlen, tiefen Schluchten und gotischen Wäldern berichtet, die Kathedralen gleichen. Hinweise zu raumphysikalischen Phänomenen (Vitruv, Helmholtz, Stumpf, Lucier) finden sich hauptsächlich in Handbüchern von Instrumentenbauern und Traktaten der Architekturtheorie. Auch Hinweise auf raumbildende Phänomene und Künste mit Klang mäandern durch die Kunstgeschichte.
Fragen
Die Untersuchung zu akustischen Phänomenen und Räumen lässt sich von folgenden Fragen leiten: Wie werden Resonanzen beschrieben? Wie lassen sich akustische Szenarien planen? Welche Voraussetzungen sind notwendig, um den Raumklang mit Faktoren wie Material und Proportion bei komplexen Formen zu berechnen? Wie wird das Resonanzverhalten offener und geschlossener Räume beschrieben? Wie werden komplizierte Resonanzfrequenzen berechnet? Welchen Schwankungen unterliegt die Raumakustik, wenn Menschen den Raum durch ihre Anwesenheit und mit ihrem Volumen füllen? Welche der angeführten Phänomene sind in den Künsten thematisiert worden? Lassen sich akustische Standards erkennen? Wie müssen Räume im Hinblick auf ihre Funktion idealerweise beschaffen sein? Und schließlich: Wo sind ideale Standorte, Perspektiven und Hörachsen in konkreten Räumen, in denen akustische Ereignisse besonders prägnant werden? Auf der Suche nach akustischen Szenarien ist eine Beschreibung zur frühen Klimatechnik bei Andrea Palladio bemerkenswert.
Villa mit Naturorgel
Eine Villa als Klangkörper, das Haus als Instrument? Vom Klang der Kamine, von göttlichen Gesängen und Resonanzen berichtet Andrea Palladio in dem Kapitel über die Kamine, worin ein unerwartetes Phänomen der Raumakustik beschrieben wird. So kühlten im Sommer die Trenti, „eine adelige Familie aus Vicenza, die Zimmer ihrer Landhäuser bei Costoza. In den Bergen dieses Landgutes gibt es nämlich einige sehr große Höhlen, die die dortigen Bewohner ‚covali’ nennen und die in früheren Zeiten als Steinbrüche gedient haben. (…) In diesen Höhlen also entstehen einige sehr kühle Winde, die die edlen Herren mittels einiger unterirdischer Gewölbe, die sie Windleitungen nennen, in ihre Häuser gelangen lassen. Und mit Hilfe der Röhren, (…) bringen sie dann diese frischen Winde in ihre Zimmer, schließen oder öffnen sie je nach Belieben, um je nach der Jahreszeit mehr oder weniger Kühlung zu erhalten. Und obschon durch diese äußerst große Nützlichkeit der Ort sehr bemerkenswert ist, so macht ihm doch das Gefängnis des Windes noch mehr Ehre, ein unterirdischer Raum, den der hochverehrte Herr Francesco Trento hat anlegen lassen und den er Äolsharfe nennt. In diesen Raum münden viele der genannten Windleitungen und hier hat er nichts an Fleiß und Unkosten gespart, damit alles den Raum entsprechend geschmückt ist und alles schön aussieht.”12
Das Phänomen sowie die Schilderung des explizit herausgehobenen Klangraums, als Gefängnis des Windes bezeichnet, machen auf ein Zusammenwirken jener Klimatechnik mit besonderen Nebeneffekten aufmerksam, dessen Ursprünge in mythologische Dimensionen gestellt werden. Von einer akustischen Untersuchung, die nach Gesetzen der Proportion der architektonischen Orgel – in Anlehnung an Vitruv13 – das Phänomen näher in seinen Parametern beschreibt und analysiert, ist der Architekturtheoretiker weit entfernt. Klang und Resonanzröhren, Verstärker und Ventile in Gestalt der Lüftungsklappen werden zwar angeführt, nicht jedoch weiter untersucht. Die Vorstellung dessen, was unter Funktion und Begriff der Akustik eines Raumes zu verstehen ist und wie sich die einzelnen Elemente zu einem Gesamteindruck verbinden, unterliegt zahlreichen Faktoren. Palladio schien sich bei dem Entwurf des privaten Gebäudes nicht weiter für die Akustik der Räume und die Entstehungen der Klänge zu interessieren. Sein Spätwerk jedoch, dessen Vollendung er nicht mehr erleben sollte, bietet räumliche Wirkungen an, die durch raffinierte Perspektiven sein Teatro zum epochalen Meisterwerk der perfekten Raumillusion werden ließ.14 Musikhistorisch bedeutsam ist, dass zur Eröffnung des Teatro Olympico in Vincenza (1585) Andrea Gabrieli die Chöre zu Sophokles’ König Ödipus komponiert hat.15
Raumkörper – Körperraum
Raumkörper und Körperraum – Architektur und wahrnehmender, hörender Mensch: Aus dieser Konstellation erwachsen eine Abfolge und eine Tradition von Beschreibungen, die seit der Antike untrennbar mit der Symbolkraft von Zahlenreihen verbunden sind. Wie aber ein Gefängnis der Winde in das System der proportio eingefügt werden kann, bleibt fraglich. Eine Erklärung, die auch Palladio schuldig blieb, während Komponisten wie Andrea Gabrieli, Heinrich Schütz und Friedrich Händel den Raum und dessen akustische Möglichkeiten erforschten. Durch Anordnung der Chöre in Gruppen werden künstliche akustische Räume in die bestehende Architektur projiziert. Der Raumklang oder die Eigenresonanz der Markusbasilika (Venedig) bot eine konkrete Möglichkeit der Gestaltung, die bis in unsere Tage in den akustischen Künsten wirksam ist. Resonanzen der Architektur sind seit Hunderten von Jahren im Bereich der Musik ein Thema, das lange Zeit von der Geschichtsschreibung nur am Rand erwähnt wurde. In den 1950er Jahren wird die venezianische Vokalmusik im Zuge kompositorischer Raumerkundungen der seriellen sowie elektronischen Musik wiederentdeckt. Bald ist die Rede von atmosphärischen Klängen jenseits der proportio. Musik, Architektur und die bildenden Künste nähern sich nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Suche nach innovativen Parametern in historisch einmaliger Form einander an. Potenzial bringen Komponisten und Architekten ein, deren Entwürfe aus einer Kritik an bestehenden Gebäuden entwickelt wurden, um neue Formen zu legitimieren.
Phänomene der Raumwahrnehmung
Die Rede vom Raum und die damit verbundenen Beschreibungen und Einschätzungen erweisen sich angesichts der Fülle unterschiedlich verwendeter Begriffe als ein komplexes Feld. Bereits die mathematischen, physikalischen und ästhetischen Faktoren weisen eine kaum überschaubare Fülle sowie eine kaum logisch eindeutig trennbare Gemengelage auf. Diese Problematik spiegelt sich in den fachspezifischen Begriffen einzelner Wissenschaftsbereiche. Räume lassen sich daher fast unendlich vergrößern und in Beziehung zu zahlreichen Faktoren stellen. So einfach der Begriff des Raumes zu sein scheint, so entzieht er sich doch weitestgehend einer Schematisierung. Während, wie die Autoren Peter Janisch und Jürgen Mittelstrass konstatieren, die „umgangssprachliche Verwendung des Ausdrucks Raum weitgehend unproblematisch ist, (…), hat seine wissenschaftssprachliche Verwendung zu Differenzierungen geführt, die es schwerfallen lassen, hier noch einen gemeinsamen Einführungs- und Bedeutungszusammenhang zu erkennen. So werden in der Mathematik Räume als Punktmengen aufgefasst, wird in der Physik Raum auf den Feldbegriff zurückgeführt und treten in der Philosophie (und Ästhetik) Raumtheorien auf, die entweder in erkenntnistheoretischer Absicht Bedingungen der Erfahrungen oder in ontologischer Absicht Aussagen über die Behauptung nach eigenständigen Eigenschaften des Raumes oder in phänomenologischer Absicht Analysen über den Erlebnisraum betreffen.”16 Vor dem Hintergrund ist die vermeintliche Schwächung akademischer Leitsätze zu bewerten, die in den Künsten die Maßstäbe der proportio als Ideal angemessener Bewertungen proklamieren. In dieser Folge (Wittkower, Naredi-Rainer, Eco) entstehen alternative Theorien, die nach Gesetzmäßigkeiten der Raumwahrnehmung (Stumpf, Köhler, von Ehrenfels, Arnheim, de la Motte-Haber) forschen. Räume werden in und nach multisensorischen Kriterien beurteilt. Während am Ende einer eher philosophischen Betrachtung schließlich Begriffe wie Aura und Atmosphäre stehen (Benjamin, Böhme, Seel, Zumthor), argumentiert unter anderem der New Yorker Architekturtheoretiker Peter Eisenman noch im Sinne einer Metaphysik von Räumen.
3 IKMZ der Universität Cottbus, Architekten: Herzog & de Meuron, 2003/2011
Praxis und Begriff der Raumwahrnehmung sind geprägt von der Wahrnehmungspsychologie. Auf ihrer Grundlage hat sich seit etwa 150 Jahren die Gestalttheorie mit den bis heute wirksamen Kategorien entwickelt. Beschreibungen und damit verbundene psychologische Annahmen, die sich explizit auf akustische Eigenschaften beziehen, umreißen grob das Feld. Im Zeitraffer: Theoretiker der Antike bestimmen den psychologischen Raum „als kegelförmige Ausstrahlung des Auges und der Gegenstände”, so „wird der psychologische Raum und der physikalische Raum nicht klar voneinander unterschieden. Im Mittelalter entstehen erste Unterscheidungen zwischen einer physikalischen Theorie des Lichts und einer psychologischen Theorie des optischen, akustischen und taktilen Raumes.”17
Räume lassen sich auf der Basis ihres optischen Eindrucks und der Sehstrahlen vermessen und diese Technik wird dann auf akustische Erscheinungen übertragen. Der Raumeindruck entsteht durch den Höreindruck – eine Beschreibung, die mit dem Wort Druck bereits auf den physikalischen Aspekt aufmerksam macht. Verschiedene Faktoren treffen zusammen, die unser Gehör zu verarbeiten hat, um eine räumliche Ortung der Schallquelle zum Raumeindruck werden zu lassen. Gleichzeitig wiederholt sich die Problematik einer exakten Bestimmung der Körper-Raum-Relation, die als Standort oder Lagebeziehung den Hörer oder Betrachter als Zentrum der Raumwahrnehmung fasst. Auch sie bleibt sprachlich und wissenschaftlich relativ ungenau. Dies zeigt sich in Weiterführungen alltagsprachlicher Gewohnheiten in eine wissenschaftlich fundierte Praxis, worin Aussagen zum Raum lediglich als Annäherungen und Ortung allgemeiner Aussagen dienen. „Zum Beispiel legt der Indikator hier eine Lagebeziehung zum Handlungszusammenhang des Sprechers fest, ist also nur in diesem Handlungszusammenhang verständlich, während ein Relator wie etwa zwischen an Beispielen und Gegenständen festgemacht wird, die in jedem Handlungszusammenhang verfügbar sind.”18
Grundannahmen der Raumwahrnehmung werden in der Literatur meist auf Basis von expliziten Orten musikalischen Hörens aufgestellt. So führt der US-amerikanische Akustiker Donald E. Hall zu Grundannahmen akustischer Raumwahrnehmung aus, „dass wir a priori die Ausgangslautstärke der Schallquelle ungefähr kennen. Der menschliche Gehörsinn benutzt einen raffinierten Trick (ähnlich dem Ortungssystem der Fledermäuse) ohne dass irgendjemand sich dessen bewusst ist, er nutzt zur Entfernungsmessung die relative Stärke des Direktschalls im Vergleich zu den ersten Reflexionen. Wenn man gewisse Annahmen über die Raumgröße voraussetzt, bedeutet ein relativ starker Direktschall, dass die Schallquelle nahe ist, und relativ starke Reflexionen, dass sie weiter weg ist.”19 Entscheidend für Entfernungsannahmen ist, ähnlich wie bei der visuellen Wahrnehmung, der Schnittpunkt, der durch zwei Augen bzw. zwei Ohren als Strahl errechnet wird. Beim Hören hingegen spielt der Faktor des Laufzeit-Unterschiedes zwischen den beiden Ohren eine Rolle. Dieser Unterschied beträgt ca. 0,6 ms und bietet die Möglichkeit die niederfrequenter Ortung bei der Form des Luftschalls zu berechnen. „Da unsere beiden Ohren etwa 15 cm voneinander entfernt sind, muss eine von rechts kommende Schallwelle einen ungefähr 19 cm längeren Weg um den Kopf zurücklegen, um zum linken Ohr zu gelangen, (…), das Gehirn kann aus dieser kleinen Information der seitlichen und lateralen Position – das heißt, wie weit rechts oder links – die Schallquelle bis auf einige Grad genau berechnen, aber keine Angabe darüber machen, wo die Schallquelle in der medianen Ebene, das heißt, wie weit vorne oder hinten, unten oder oben, sie sich befindet. Man spricht allgemeiner vom Konus der Nichtlokalisierbarkeit.”20
Phänomene der Raumwahrnehmung sind ursächlich vom Frequenzbereich und der Lautstärke der Schallquelle abhängig. Raumortungen funktionieren im Prinzip desto besser, je tiefer die Frequenzen sind. Sind die Frequenzen höher als 1500 Hz, nimmt, bedingt durch die größere Schallgeschwindigkeit, die Genauigkeit der Ortung ab. „Die Auswertung interauraler Intensitätsunterschiede, die sowohl bei kontinuierlichen Anschlagsgeräuschen möglich ist, ist weitgehend auf hohe Frequenzen beschränkt etwa oberhalb 2 bis 3 kHz weil Schallwellen mit tieferen Frequenzen aufgrund ihrer größeren Wellenlänge den Kopf so gut umwandern, dass ihre Intensität an beiden Ohren praktisch unverändert bleibt, gleichgültig woher der Schall kommt.”21 Untersuchungen, die, nach Hall, auf die Optimierung akustischer Innenräume ausgerichtet sind, haben weiter ergeben, dass die Schallortung in den Bereichen vorne – hinten vor allem über 5 kHz durch die Form und Ausprägung des Außenohrs verstärkt wird, die zudem durch die Drehung des Kopfes hin zur Schallquelle eine weitere Präzisierung erfährt. Die Befunde des Richtungshörens führen zur Planbarkeit idealer Positionierung und Anordnung von Lautsprechern im Raum unter Berücksichtigung von Raumeigenschaften. Gleichzeitig lassen sich mit diesen Befunden bestimmte Hörzonen im Raum orten.
Der ideale akustische Raum definiert sich nach Hall im Bereich der Hör- und Konzertsäle danach, dass „jeden Hörer, auf einem geradlinigen und hindernisfreien Weg, der von der Bühne ausgehende Direktschall erreicht; nach etwa 30–50 ms erreichen ihn erste Reflexionen von den Seiten und von oben, schließlich der langsam abklingende Nachhall mit etwa 1,5 bis 2,0 s Dauer, je nach Art der Aufführung bzw. der Musik. Im Raum sollten weder unterscheidbare Einzelechos noch Geräusche von außen wahrnehmbar sein.”22 Die Ausführungen machen deutlich, dass bauphysikalische Momente ebenso wenig berücksichtigt werden wie die Frage nach der Art des Schalls, das heißt dessen Frequenzspektrum und Lautstärke. Der ideale Raum wird in der Literatur überwiegend in den Parametern und Maßstäben einer klassischen Musikpraxis diskutiert, die im Bereich mittlerer Orchestergrößen angesiedelt sind. Hinzu kommt eine Vielzahl baulicher Elemente, die sich durch Materialität, Form und Schwingungsverhalten beschreiben lassen. Ronald Lewcock plädiert dafür, verschiedene bauliche Elemente, insbesondere Fenster, Türen sowie Klimaanlagen, zu berücksichtigen, um das gewünschte akustische Ergebnis zu erzielen. Grenzen der Planbarkeit bestimmen die Praxis, selbst bei vermeintlich einfachen Räumen. „It is an ideal in acoustics to produce a diffuse sound field, so that the sounds reaching the audience are coming from every direction at equal strenght. This ideal is never attained, but its approximation is important in producing acoustical behaviour in a room.”23
4 St. Paul’s Cathedral, London, Architekten: Christopher Wren und Lorenzo Gafà, 1675–1708
Physikalische Eigenschaften von Räumen verbinden sich mit Variablen, die in der Beschaffenheit und Konditionierung der Akteure begründet und im Begriff der Resonanz vereinigt sind. „In der Physik kennzeichnet der Begriff Resonanz das Mitschwingen eines Systems bei der Einwirkung von periodisch veränderten Kräften oder Feldern, bei denen die Frequenz gleich oder nahezu gleich der Eigenfrequenz des Systems ist.”24 Damit wird Resonanz als Eigenschwingung eines Gegenstandes (in Abhängigkeit von Material, Oberfläche und Volumen) durch die Kraft der auf ihn wirkenden Energie beschrieben.
Allgemeine Bewertung von Räumen
Eine allgemeine Bewertung von Räumen orientiert sich zunächst an deren einfacher funktionaler Bestimmung. Funktioniert der Raum für seinen Zweck? Welche Eigenschaften sind gefordert? Wie wird ihnen entsprochen? Ein Wohnzimmer ist ein Wohnzimmer, ein Empfang ist ein Empfang, ein Schlafzimmer ist ein Schlafzimmer, eine Küche ist eine Küche. Eine heizungstechnische Zentrale ist eine heizungstechnische Zentrale. Es geht aber auch anders. Denn nach Alvin Lucier kann eine Kaffeekanne zum Konzertsaal, eine Blechdose zum Klangkörper und ein Gebäude zum Instrument werden. Durch diesen Funktionswechsel motiviert, ist es von Interesse nach Intentionen des Hörens zu forschen. Hören und Architektur sind spezifisch an Orte gebunden, mit denen wir bestimmte konkrete Handlungen verbinden. Werden diese Erwartungen – was das Medium und die Technik der Kunst ist – zitiert, verschoben oder irritiert, dann sind alternative Erklärungen gefragt. In der Praxis hat sich seit den 1880er Jahren zur Erklärung dieser Kausalitäten eine phänomenologisch geprägte Wahrnehmungstheorie durchgesetzt, die kurz als Gestalttheorie bezeichnet wird. Hier werden Muster der Wahrnehmung, die nach dem Raster von Erwartung und Erfüllung/Nichterfüllung sowie Kompensation funktionieren, erforscht und zum Maßstab. Demzufolge ist unser Gehirn in der Lage, sogar Lücken und Ungenauigkeiten in den Wahrnehmungsfeldern automatisch zu schließen und diese an eingeübte Muster anzugleichen. Binaurales und stereometrisches Hören und Sehen sind Voraussetzungen, um Klänge und Räume in entsprechenden Dimensionen plastisch wahrnehmen zu können.
In diesem Zusammenhang steht auch der Komplex von Wahrnehmen und Verstehen. Auf der Ebene sprachlicher Mitteilungen stellen sich Fragen, wie Räume beschaffen sein müssen, um in ihnen optimal, störungsfrei und entspannt zu kommunizieren. Lassen sich Parameter musikalischer Raumakustik auf andere Räume übertragen? Raumgrößen und materiale Beschaffenheit, benachbarte Raumvolumen, lassen sie sich als Resonanzverhältnisse beschreiben? Raumvolumen und Abhörtechniken finden sich sogar in den Geheimnissen spezieller architektonischer Planungen, wie diese von dem bekannten Gelehrten Athanasius Kircher systematisch gesammelt wurden. Ein Extrem bildet dabei die Form eines Flüstergewölbes, das aus speziell aufeinander gerichteten kleinen Kuppelformen besteht, die an der Decke angeordnet wurden, und eine punktuelle Abstrahlung des Schalls ermöglicht.
Eine weitere einfache Variante gezielter Bündelung und Lenkung von Schallwellen lässt sich mit Parabolspiegeln erzeugen. Es genügen zwei Parabolspiegel mit einem Durchmesser von bis zu zwei Metern, um, auch im Freien – vorausgesetzt, es ist windstill und keine Störgeräusche verwirbeln den Primärschall –, in Flüsterlautstärke Schall über eine Strecke von bis zu 80 Metern zu übertragen, wobei die Umgebung keine Schallabstrahlung erfährt. Unabhängig von der Tonhöhe und Lautstärke bleibt die Geschwindigkeit der Übertragung konstant. Der italienische Arzt Biaconi (1717–1781) jedoch hat den Nachweis erbracht25, dass jahreszeitliche Temperaturen einen Einfluss auf die Übertragung des Schalls haben, dessen Geschwindigkeit im Bereich von Sommer zu Winter 79:76 beträgt. Prinzipiell gilt: Je höher die Luftfeuchtigkeit und auch die Temperatur, desto schneller breiten sich Schallwellen aus.
Ausblick
Die ersten Beispiele sollten deutlich machen, dass sich akustische Szenarien in einfachen Formen planen lassen. Welche Bedeutung haben solche akustischen Formen in Konzepten jener Architekten, die nach Jürgen Pahl und Kate Nesbitt das Themenfeld bestimmen? Welche Aspekte werden im Kontext von Architektur und Resonanz diskutiert? Wie werden Kenntnisse der Akustik in neueren Planungen berücksichtigt? Wie werden funktionale Räume akustisch geplant, wie Material und Proportionen bei komplexen Formen berechnet? Oder auch mit Dan Graham gesprochen: Wie werden akustische Verbindungen zwischen den Räumen in der Planung berücksichtigt? Wie verhalten sich einfache und mathematisch komplizierte Frequenzen zueinander? Welchen Schwankungen unterliegt die Raumakustik durch Mobiliar und Menschen? Welche Angebote und Themen werden schließlich aus den Künsten eingebracht?