Für Brians Papa, David
DANKSAGUNG
Für ihre Hilfe bei verschiedenen Teilen des Buchs bedanken wir uns bei Richard Battye, Sarah Bridle, Mike Bowman, Bill und Pauline Chamberlain, Ed Copeland, Mrinal Dasgupta, Neal Jackson, Scott Kay, Kevin Kilburn, Peter Millington, Tim O‘Brien, Michael Oates, Subir Sarkar, Bob Seymour und Martin Yates. Besonderer Dank geht an Mike Seymour, mit dem wir viele unterhaltsame und hilfreiche Diskussionen führten.
Besonderer Dank geht außerdem an das Team bei Penguin, vor allem an Tom Penn, unseren Lektor, und Tom Etherington, der die Abbildungen erstellte.
Wir haben an diesem Buch lange gearbeitet und sind unseren Familien sehr dankbar für deren Unterstützung und Ermutigung.
DIE GESCHICHTE DES UNIVERSUMS
Wir trauen uns was. Wir stellen uns eine Zeit vor, in der das gesamte beobachtbare Universum auf einen Raumbereich komprimiert war, der kleiner als ein Atom ist. Wir können sogar mehr, als uns das nur vorzustellen. Wir können es berechnen. Wir können berechnen, wie sich hunderte Milliarden Galaxien aus einem einzigen Fleckchen Raum entwickelten, einem Raum von subatomarer Größe, dem gegenüber ein Staubkorn riesig erscheint. Diese Berechnungen und unsere Beobachtungen des Kosmos stimmen genau überein. Es sieht also so aus, als ob Menschen über den Ursprung des Universums Bescheid wissen können.
Die Kosmologie ist gewiss das kühnste wissenschaftliche Teilgebiet. Es ist bereits eine seltsame Vorstellung, dass die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie mit 400 Milliarden Sternen, einst auf einen so verschwindend kleinen Bereich zusammengedrängt war. Dass aber sogar die gesamte sichtbare Ansammlung aus Milliarden Galaxien einst nur so einen subatomaren Fleck beanspruchte, klingt verrückt. Dabei ist diese Behauptung für viele Kosmologen kein bisschen strittig.
Dies ist kein Buch, das unser Wissen von oben verkündet. Vielmehr handelt es davon, wie wir alle lernen können das Universum dank der Wissenschaft zu verstehen. Womöglich glauben Sie, dass es für einen Durchschnittsmenschen unmöglich ist, das Universum genau zu erforschen. Müssten wir dafür nicht Zugang zum Hubble-Weltraumteleskop und dem Large Hadron Collider haben? Die Antwort lautet nein, nicht immer. Einige grundlegende Fragen über unsere Erde, unsere Sonne, unser Sonnensystem, selbst über das weitere Universum lassen sich sogar in Ihrem Garten beantworten. Wie alt sind die Objekte? Wie groß sind sie? Wie viel wiegen sie? Wir werden diese Fragen mit Hilfe der Wissenschaft beantworten. Wir werden beobachten, messen und nachdenken. Einer der besten Momente in der Wissenschaft tritt ein, wenn man etwas zum ersten Mal versteht – wirklich versteht, was ganz anders ist, und viel befriedigender, als Fakten zu kennen. Wir werden die Neptunbewegung selbst messen. Wir werden in die Fußstapfen des ersten Kosmologen Edwin Hubble treten und entdecken, dass sich unser Universum ausdehnt. Und wir werden an einem Strand im Süden von Wales etwas vermeintlich Triviales beobachten.
Im Verlauf des Buches richtet sich unser Blick zwangsläufig auf die sternreichen Galaxien. Um sie zu verstehen, werden wir uns auf Beobachtungen und Messungen stützen, die wir nicht selbst durchführen können. Aber wir können uns vorstellen, dass wir Teil der Teams aus Astronomen sind, die so etwas können. Wie weit weg sind die Sterne und Galaxien? Wie groß ist das Universum? Aus was besteht es? Wie sah es in ferner Vergangenheit aus? Die Antworten auf diese Fragen lösen eine Kaskade neuer Vorstellungen aus und noch vor dem Ende des Buches werden wir so gerüstet sein, dass wir den Anfang des Universums untersuchen können. Die Wissenschaft ist eine betörende Forschungsreise. Sie ist ein aufregender, lohnenswerter Prozess, einer der Wissenschaftlern das Gefühl vermittelt, dass sie besser mit der Welt um sich herum verbunden sind. Die Wissenschaft erzeugt auch ein Gefühl der Ehrfurcht und Demut; ein Gefühl für die unvorstellbare Schönheit der Welt und dass wir privilegiert sind, sie zu erleben.
Bevor wir jedoch unsere Reise antreten, erlauben wir uns einen kurzen Blick auf das Ziel. Was nun folgt, ist die Geschichte, wie sich unser Universum von einem subatomaren Fleck Raum zu dem Meer aus Galaxien entwickelte, das wir heute sehen. Vielleicht kommen Sie am Ende des Buches zu dem Schluss, dass diese Geschichte tatsächlich stimmen könnte.
Denken Sie an das Universum vor dem Urknall. Mit „Urknall“ meinen wir einen Zeitpunkt vor 13,8 Milliarden Jahren, als die gesamte Masse des beobachtbaren Universums in Form eines heißen, dichten Elementarteilchenplasmas entstanden ist. Davor war das Universum ganz anders. Es war relativ kühl und nahezu frei von Teilchen. Der Raum an sich expandierte sehr schnell – irgendwelche Teilchen, die das Universum damals enthalten haben könnte, haben sich also sehr rasch von einander entfernt. Der durchschnittliche Abstand zwischen den Teilchen verdoppelte sich alle 10–37 Sekunden. Das ist eine atemberaubende, fast unfassbare Expansionsrate: Zwei Teilchen in einem Abstand von einem Zentimeter hatten sich innerhalb von 4 × 10–36 Sekunden um zehn Millionen Kilometer voneinander entfernt, also um mehr als die 20-fache Distanz zwischen Erde und Mond. Wir wissen nicht, für wie lange das Universum so expandierte, aber es geschah für mindestens 10–35 Sekunden. Diese Phase rascher Expansion vor dem Urknall bezeichnen die Kosmologen als Inflation.
Betrachten wir einmal einen winzigen Fleck des Raumes, einen, der eine Milliarde Mal kleiner ist als ein Proton; ein Atomkern des Wasserstoffatoms. Auf den ersten Blick bietet dieser winzige Fleck nichts Besonderes. Er ist ein kleiner Teil eines viel größeren Universums, das sich aufbläht, und sieht ziemlich gleich aus wie all die anderen Flecken um ihn herum. Der einzige Grund, dass dieser spezielle Fleck unsere Aufmerksamkeit verdient, ist sein Schicksal: Im Laufe von 13,8 Milliarden Jahren wird er sich zu unserem beobachtbaren Universum ausdehnen, jenem Raumbereich, in dem sich alle Galaxien, Quasare, Schwarzen Löcher, Sterne, Planeten und Nebel befinden, die heute von der Erde aus zu sehen sind. Natürlich ist das Universum selbst noch viel größer als das beobachtbare Universum, aber wir können das nicht sehen, weil Licht innerhalb von 13,8 Milliarden Jahren nur eine begrenzte Distanz zurücklegen kann.
Vor dem Urknall war das Universum mit etwas gefüllt, das als „Inflationsfeld“ bezeichnet wird – ein Stoff, der den Raum wie ein ruhiger Ozean ausfüllte. Die Gravitationswirkung der Energie, die in diesem Inflationsfeld steckte, löste die exponentielle Expansion des Universums aus. Daher kommt auch der Name: Es ist das Feld, aufgrund dessen sich das Universum aufblähte. Im Großen und Ganzen störte die Expansion des Universums dieses Inflationsfeld nicht, aber es war nicht völlig gleichförmig. In ihm gab es winzige Störungen, so wie es die Gesetze der Quantenphysik besagen.
Als unser beobachtbares Universum die Größe einer Melone erreicht hatte, ging die Phase der Inflation zu Ende, weil die das Feld antreibende Energie aufgebraucht war. Die Energie ging jedoch nicht verloren, sondern verwandelte sich in ein Meer aus Teilchen. Im Nu wurde das kalte, leere Universum zu einem heißen, dichten. So endete die Inflation und der Urknall begann. Es entstand ein Universum mit Teilchen, die sich schließlich zu Galaxien, Sternen, Planeten und Menschen weiterentwickelten.
Derzeit wissen wir nicht, welche Teilchen es im Augenblick des Urknalls gab, aber wir wissen, dass die schwersten Teilchen bald schon in die leichteren zerfielen, die wir heute kennen: Elektronen, Quarks Gluonen, Photonen, Neutrinos und Dunkle Materie.1 Wir sind uns auch recht sicher, welche Teilchen das Universum bevölkerten, als es etwa eine Billionstel Sekunde alt war. Denn wir sind in der Lage, diese Bedingungen auf der Erde mit dem Large Hadron Collider nachzuvollziehen.2 Zum damaligen Zeitpunkt tauchte im leeren Raum das Higgs-Feld auf, durch das verschiedene Elementarteilchen Masse bekamen.3 Zudem wurden die elektromagnetische Kraft und die schwache Kernkraft unterscheidbar. Letztere ist für Kernreaktionen verantwortlich, durch die die Sterne leuchten.
Eine Millionstel Sekunde nach dem Urknall, als sich das heiße Plasma auf zehn Billionen Grad Celsius abgekühlt hatte, bildeten sich aus den Quarks und Gluonen Protonen und Neutronen, die Bausteine der Atomkerne. Obwohl dieses primordiale Universum aus einer fast homogenen Teilchensuppe bestand, gab es leichte Dichteschwankungen, aufgeprägt durch die quantenbedingten Störungen im Inflationsfeld. Diese Schwankungen waren die Keime, aus denen später die Galaxien hervorgingen.
Eine Minute nach dem Urknall, bei ungefähr einer Milliarde Grad, wurde das Universum kühl genug, damit sich einige Protonen und Neutronen jeweils zu Paaren zusammenfinden konnten und so Deuteriumkerne bildeten. Die meisten von ihnen schlossen sich mit weiteren Protonen und Neutronen zusammen, sodass Helium- und, in geringen Mengen, Lithiumkerne entstanden. Es war die Ära der Nukleosynthese.
In den folgenden 100.000 Jahren geschah wenig. Das Universum expandierte weiter und kühlte ab. Am Ende ballte sich dann die Dunkle Materie um die Keime, die ihren Ursprung im Inflationsfeld hatten, langsam zusammen. Bereiche des Universums, in denen es einen leichten Überschuss an Dunkler Materie gab, wurden dichter, weil ihre größere Gravitation mehr Materie aus der Umgebung anzog. Es war der Beginn der Phase, in der letztlich die Galaxien entstanden. Derweil sausten Photonen, Elektronen und Atomkerne wild in der Gegend herum und stießen dabei so häufig miteinander zusammen, dass sich etwas bildete, was einem Fluid ähnelte. Nach 380.000 Jahren war das beobachtbare Universum nur noch 1000-mal kleiner als heute. Die Temperatur war auf Werte gefallen, wie sie auf der Oberfläche eines durchschnittlichen sonnenähnlichen Sterns herrschen. Damit war sie tief genug, damit die elektrisch geladenen Wasserstoff- und Heliumkerne Elektronen einfangen konnten. Schlagartig entstanden überall im Universum die ersten Atome. Das Universum durchlief dadurch einen raschen Wandel von einem heißen Plasma aus elektrisch geladenen Teilchen zu einem heißen Gas aus elektrisch neutralen Teilchen. Das hatte drastische Folgen, weil Photonen mit elektrisch neutralen Atomen viel weniger wechselwirken. Das Universum wurde durchsichtig: Die Photonen bewegten sich also nicht mehr im Zickzack, sondern auf geraden Linien. Die Mehrheit dieser Photonen raste für die nächsten 13,8 Milliarden Jahre immer weiter geradeaus. Einige von ihnen kommen gerade jetzt in Form von Mikrowellen bei der Erde an. Diese alten Photonen sind Botschafter aus frühester Zeit und eine Fundgrube an Information, die Kosmologen zu nutzen lernten.
Während das Universum weiter expandierte, wurden seine dichten Bereiche, die hauptsächlich aus Dunkler Materie bestanden, unter dem Einfluss der Gravitation immer dichter. Wasserstoff- und Heliumatome sammelten sich um die Dunkle Materie. So entstanden Wolken aus Atomen, die weiter und weiter wuchsen, bis ihre dichtesten Bereiche in sich zusammenstürzten. Dadurch stiegen Druck und Temperatur in den Zentren der Wolken so stark an, dass sie zu nuklearen Brennöfen wurden: Die Fusion von Wasserstoff zu Helium begann, überall im Universum bildeten sich Sterne. 100 Millionen Jahre nach dem Urknall endete das dunkle Zeitalter des Kosmos und das Universum wurde vom Licht der Sterne durchflutet. Die massereichsten Sterne existierten nur kurz. Als ihnen der Wasserstoffvorrat zur Neige ging, begannen sie durch Fusion schwerere Elemente zu erzeugen. Bei dieser letzten Schlacht zwischen Kernfusion und Gravitation entstanden die chemischen Elemente des Lebens: Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Eisen. Ging der Brennstoff dann vollends aus, verstreuten die Sterne die erzeugten schweren Elemente im All, während sie ihr Leben als helle Planetarische Nebel oder explodierende Supernovae beendeten. In einem letzten Tusch erzeugten die explodierenden Supernovae die schwersten chemischen Elemente, darunter Gold und Silber. Neue Sterne bildeten sich aus den Überresten der alten und sammelten sich zu hunderten Milliarden in den ersten Galaxien. Diese Galaxien, deren Zahl selbst in die hunderte Milliarden ging, ordneten sich durch die Gravitation der dominanten Dunklen Materie in einem riesigen feinen Netz an, das das gesamte Universum durchzieht. Vor 4,6 Milliarden Jahren kollabierte im Milchstraßensystem eine Gaswolke, die mit stellaren Überresten angereichert war, zu unserer Sonne. Kurz darauf entstand die Erde aus den Überbleibseln der Wolke. Auf der jungen Erde bildete sich ein großer Ozean aus dem Wasserstoff der ersten Minuten nach dem Urknall und aus dem Sauerstoff lang erloschener Sterne. Vor vier Milliarden Jahren wurde die Geochemie dieses Ozeans zur Biochemie: Das Leben begann. 1687 veröffentlichte Isaac Newton die Principia Mathematica, wobei wir offensichtlich ein bisschen Biologie ausgelassen haben.
Das ist der grobe Rahmen der Geschichte über die Entwicklung des Universums von der Zeit vor dem Urknall bis zu Isaac Newton. Und so scheint es, dass wir – eine Ansammlung aus Atomen in der abkühlenden Asche des Universums – mit der Wissenschaft einen Weg gefunden haben, um das Feuer der Schöpfung zu verstehen. Der Rest dieses Buches ist die Geschichte, wie uns das gelang.
WIE ALT SIND DIE DINGE?
Die Erde ist 4,55 Milliarden Jahre alt, 50 Millionen Jahre hin oder her. Diese Zahl stimmt mit unabhängigen Messungen zum Alter des Universums überein, das den Urknall auf einen Zeitpunkt vor 13,8 Milliarden Jahren festsetzt. Zudem stimmt das Erdalter mit wissenschaftlichen biologischen Nachweisen und unserem Verständnis der Evolution durch natürlich Auslese überein. Beide legen nahe, dass das erste Leben auf der Erde vor ungefähr 3,8 Milliarden Jahren auftauchte. Die Lebenszyklen der Sterne passen ebenfalls in diesen Zeitplan. Das Alter unserer Sonne wird auf 4,6 Milliarden Jahre geschätzt. Von vergleichbaren Sternen wird erwartet, dass sie für rund zehn Milliarden Jahre existieren. Massereichere Sterne existieren viel kürzer. Es muss genug Zeit für das Leben von mindestens einigen Sternen vergangen sein, bevor die Erde entstanden sein kann. Denn die Erde besteht aus schweren chemischen Elementen wie Eisen, Kohlenstoff und Sauerstoff – Elemente, die in Sternen entstehen. Ein Zeitsprung bringt uns zu den Basaltsäulen des Damms der Riesen in Irland, die vor 60 Millionen Jahren entstanden sind – etwa zu der Zeit, in der die Dinosaurier ausstarben. Der älteste lebende Baum ist eine Grannenkiefer, die in den kalifornischen White Mountains steht. Sie ist – Stand 2018 – 5068 Jahre alt.
All diese Altersangaben hat man mit sehr unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Verfahren bestimmt, aber sie passen eindrucksvoll ohne Widersprüche zusammen. Doch diese Auflistung ist nichts Besonderes. Wir haben diese Auswahl einfach getroffen, weil sie eine Vielfalt „alter“ Dinge widerspiegelt. Doch sie führt zu der Frage, woher wir überhaupt wissen, wie alt sie sind. Das Alter ist nicht leicht zu bestimmen, vor allem nicht bei sehr alten Dingen, denn die Ableitung muss indirekt erfolgen. Wir können nicht dasitzen und zuschauen, wie das Universum aus dem heißen Plasma seiner Geburt hervorgeht. Wir haben nicht einmal direkte Beweise für das Alter des ältesten Baums! Keiner war dabei und schrieb das Datum auf, als der Baum noch ein winziger junger Trieb war. Aber wir müssen nicht dabei gewesen sein. Das Wissen lässt sich indirekt erwerben, wenn wir ein bisschen Detektiv spielen und Hinweise sammeln – und dann einfache logische Schlüsse ziehen. In diesem Buch geht es darum, wie wir durch wissenschaftliche Ansätze Wissen über unsere Welt sammeln. Diese Vorgehensweise erfolgt Schritt für Schritt: Unser Wissen wächst im Lauf der Zeit, weil wir mehr vom Universum verstehen. Wissenschaftliche Methoden stehen also in krassem Gegensatz zu willkürlichen Ansichten: Man baut keinen Computer durch Versuch und Irrtum, und man ist anfällig für Fehler, wenn man nicht die Wahrscheinlichkeit in Betracht zieht, dass man sich irrt. Wir vertrauen in unserem Leben wissenschaftlichen Erkenntnissen, im Krankenhaus oder im Flugzeug. Genau dieselbe Art zu denken lässt sich sehr wirkungsvoll auf andere Bereiche unseres Lebens anwenden. In diesem Buch werden wir zeigen, wie weit man im Verständnis des Universums kommt, wenn man einfache logische Schritte mit sorgfältigen Beobachtungen verknüpft. In diesem Kapitel fangen wir damit an die Wissenschaft zu erkunden. Denn sie ist es, die es uns erlaubt, das Alter von Dingen mit so hoher Zuverlässigkeit und Genauigkeit zu bestimmen.
Lassen Sie uns mit dem Alter der Erde beginnen. Eine recht offensichtliche Möglichkeit für den Anfang ist zu schauen, was wir feststellen können: die Frage, ob es irgendwelche Besonderheiten auf der Erdoberfläche gibt, die uns Anhaltspunkte für ihr Alter liefern. Anders gesagt schauen wir die Natur sorgfältig an, um zu sehen, was wir durch einfache Beobachtung herausfinden können. Zum Beispiel wissen wir, dass Flusstäler durch fließendes Wasser entstehen und dass Küsten der Erosion ausgesetzt sind. Diese Strukturen verändern sich im Lauf der Zeit. Folglich sollten wir durch ihre genaue Beobachtung und das Verständnis der physikalischen Prozesse, durch die sie entstanden sind, ihr Alter abschätzen können. In noch größeren Dimensionen sollten die vertrauten Formen der Kontinente und Ozeane uns ebenfalls etwas über die Art und Weise lehren, wie sie sich entwickelt haben und wie lange das gedauert hat.
Abbildung 2.1
Der Mittelatlantische Rücken
© Kosmos Archiv
Abbildung 2.1 ist eine Karte des Atlantiks und der ihn umgebenden Landmassen. Südamerika und Afrika sehen so aus, als ob sie zusammenpassen würden. Lassen Sie uns annehmen, dass diese Übereinstimmung kein Zufall ist, und Folgendes mutmaßen: Irgendwann in der Vergangenheit haben sich die Kontinente aneinandergeschmiegt und entfernen sich seitdem nach und nach voneinander. Stimmt diese Theorie, können wir das Alter des Atlantiks grob abschätzen. Natürlich ist das keine neue Idee – Alfred Wegeners Gedanke, dass ein Superkontinent im Lauf der Zeit aufgrund der Kontinentalverschiebung auseinanderbrach, ist mehr als 100 Jahre alt. Der Punkt hier, und im ganzen Buch, ist: Wir können die Wissenschaft selbst nachvollziehen – wir treten in die Fußstapfen der großen Wissenschaftler, um zu verstehen, wie unaufhaltsamer Fortschritt durch einfache Überlegungen entsteht. Im ersten Schritt müssen wir untermauern, dass der grobe Entwurf unserer Hypothese (dass Südamerika und Afrika einst miteinander verbunden waren und sich seitdem ständig voneinander entfernen) glaubhaft ist. Hierfür überprüfen wir, ob der Atlantik heute noch immer größer wird. Tut er das, dann können wir die aktuelle Geschwindigkeit messen, mit der sich die Kontinente voneinander entfernen, und – wenn wir zusätzlich annehmen, dass diese Geschwindigkeit seit dem Beginn der Trennung konstant geblieben ist – dann sind wir in der Lage, das Alter des Atlantiks abzuschätzen. Hier stecken viele Annahmen drin, aber lassen Sie uns weitermachen und schauen, was wir herausfinden.
Wären wir sehr engagierte Experimentatoren, könnten wir die Bewegungen der Kontinente selbst messen. Wir könnten ein paar GPS-Empfänger in einen Rucksack packen, an die brasilianische Ostküste fliegen und dort einen Empfänger aufstellen, dann wieder über den Atlantik zurück nach Nordwestafrika fliegen – eine Strecke von ungefähr 4000 Kilometern – und dort einen weiteren GPS-Empfänger befestigen. Im Lauf der nächsten Jahre könnten wir dann verfolgen, wie die Empfänger sich relativ zueinander bewegen. Aber wir müssen das nicht machen, weil Geologen solche Messungen bereits seit vielen Jahren durchführen. Abgesehen von GPS-Empfängern ist die Entfernung zwischen Nordamerika und Europa auch mit zwei Radioteleskopen gemessen worden (eines in Europa, eines in den USA), die beide auf einen fernen Quasar ausgerichtet waren. Das ist ziemlich beeindruckend. Quasare sind die Kerne von aktiven Galaxien und entstehen höchstwahrscheinlich dadurch, dass Materie auf ein supermassereiches Schwarzes Loch stürzt, das sich in den Zentren dieser Galaxien befindet. Quasare zählen zu den hellsten , die wir sehen können. Weil sie so weit weg sind, dienen sie als exzellente Fixpunkte am Himmel. Das ist wichtig, um die Entfernung zwischen Europa und den USA mittels Triangulation bestimmen zu können. Wir beschreiben diese Messmethode etwas genauer in Exkurs 1. Erinnern Sie sich an jene Schulexperimente, bei denen Sie begonnen haben mit der Überschrift „Geräte: zwei große Radioteleskope und ein Koordinatensystem, das aktive galaktische Kerne in mehr als einer Milliarde Lichtjahre Abstand zur Erde enthält“?
Exkurs 1: Die Messung der Kontinentalverschiebung
Der Abstand zwischen zwei Radioteleskopen auf der Erdoberfläche lässt sich mit einem Verfahren ermitteln, das als Very Long Baseline Interferometry (Interferometrie mit langen Basislängen) bezeichnet wird. Die beiden Teleskope sind auf dasselbe ferne Himmelsobjekt ausgerichtet. Aus der Differenz der Ankunftszeiten der Signale lässt sich der Abstand der beiden Teleskope mit Millimetergenauigkeit bestimmen. Erforderlich sind sehr genaue Uhren, die in einer Million Jahren nur um eine Sekunde falsch gehen. Quasare sind so hell, dass sie selbst in vielen Milliarden Lichtjahren Entfernung zu sehen sind. Gleichzeitig garantiert ihr großer Abstand, dass sie ihre Position am Himmel während der Messung nicht verändern. Mehr als 20 Jahre lang wurde mit Teleskopen in Westford, Massachusetts, und Wettzell, einem Ortsteil von Bad Kötzting im Bayerischen Wald, die Geschwindigkeit bestimmt, mit der sich der Atlantik zwischen Europa und den USA verbreitert. Die Daten sind in Abbildung 2.2 zu sehen. Sie zeigen eine Vergrößerung des Abstands in diesem Bereich von 1,7 Zentimetern pro Jahr. Auch satellitengestützte Laserentfernungsmessungen, bei denen Laserlicht an einem Satelliten reflektiert wird, sowie GPS-Messungen entlang des Nord- und Südatlantiks liefern übereinstimmende Ergebnisse.
Abbildung 2.2
Das Diagramm zeigt die gleichförmige Geschwindigkeit, mit der sich Deutschland und die USA in der jüngeren Vergangenheit voneinander entfernt haben. Gemessen wurde sie mit zwei Radioteleskopen, die auf ferne astronomische Objekte gerichtet waren.
© Penguin Random House, UK unter Verwendung von Daten des MIT Haystack
Abbildung 2.3 gibt einen Überblick zu den gemessenen Bewegungen der verschiedenen tektonischen Platten. Es zeigt sich, dass der Atlantik zwischen Nordbrasilien und Nordwestafrika derzeit mit 2,5 Zentimetern pro Jahr auseinanderstrebt – das ist ungefähr die Geschwindigkeit, mit der Fingernägel wachsen.
Abbildung 2.3
In der Weltkarte ist dargestellt, wie sich die Kontinente gegeneinander verschieben. Die Zahlen geben die Geschwindigkeit in Zentimeter pro Jahr an, die Pfeile die Richtung.
© Penguin Random House, UK
Unter der Annahme, dass sich die Kontinente schon immer in diesem Tempo voneinander entfernt haben, können wir nun das Alter des Atlantiks abschätzen: 4000 Kilometer mal 40 Jahre pro Meter = 160 Millionen Jahre. Wenn diese Zahl eine gute Abschätzung ist, dann haben wir nun auch ein Mindestalter für die Erde, denn sie kann ja offensichtlich nicht jünger als der Atlantik sein.
Was wir getan haben, könnte man als „Bierdeckel-Rechnung“ bezeichnen. Natürlich wollen wir gerne wissen, ob unsere Zahl annähernd stimmt. Schließlich haben zwei sehr gewagte Behauptungen getroffen. Wir haben behauptet, dass die Kontinente einst eine einzige Landmasse bildeten, und wir haben angenommen, dass sie sich seitdem mit konstantem Tempo voneinander entfernen. Lassen Sie uns diese Annahmen genauer untersuchen, um zu beurteilen, wie vernünftig sie sind.
Schauen Sie sich nochmals die Karte in Abbildung 2.1 an. Dort ist auch die Topologie des atlantischen Meeresbodens zu sehen. Die lange unterseeische Gebirgskette, die durch die Mitte nach unten verläuft, wird als Mittelatlantischer Rücken bezeichnet. Dieser Rücken spiegelt eindeutig die Form der Kontinente zu beiden Seiten wider. Hier reißt die Erdkruste auf, sodass Material aus dem Innern der Erde hervortritt: Lava, die erstarrt und eine Kruste bildet. Das legt einen Mechanismus nahe, mit dem sich erklären lässt, warum die Kontinente sich noch immer voneinander entfernen: Entlang des Mittelatlantischen Rückens bildet sich die ozeanische Kruste neu.
All das scheint darauf hinzudeuten, dass unsere Behauptung Bestand hat. Wir könnten natürlich durch eine Reihe von Zufällen in die Irre geleitet worden sein: (i) dass die Küsten zueinander und zum Mittelatlantischen Rücken passen; (ii) dass der Mittelatlantische Rücken mitten zwischen den Kontinenten liegt; (iii) dass die im Mittelatlantischen Rücken austretende Lava nichts mit der beobachteten Verbreiterung des Ozeans zu tun hat. Doch obwohl wir uns ziemlich sicher sein dürfen, dass das nicht bloß Zufälle sind, haben wir bislang keinen Nachweis erbracht, dass die Trennung der beiden Kontinente seit mehr als 100 Millionen Jahren im selben Tempo erfolgt ist. Wir müssen zugeben, dass diese Annahme gegenwärtig eine reine Vermutung ist.
Abbildung 2.4
Das Alter des Gesteins am Meeresgrund
© Elliot Lim/Jesse Varner, CIRES & NOAA/NCEI
Lassen Sie uns also ein bisschen ernsthafte Wissenschaft einbringen. Jahrzehntelang haben Geowissenschaftler auf dem gesamten Erdball den Meeresgrund akribisch untersucht und das Alter des dortigen Gesteins bestimmt. Das ist eine schwierige Aufgabe, für die wunderbare Wissenschaft erforderlich ist und die wir gleich diskutieren werden (siehe auch Exkurs 2).
Exkurs 2: Die Ausdehnung des Meeresbodens
Das Alter des Gesteins am Meeresboden des Atlantiks wird bestimmt, indem man eine Eigenschaft des dortigen Basalts ausnutzt: Er ist streifenförmig magnetisiert, wie in Abbildung 2.5 dargestellt ist. Die Streifen sind üblicherweise einige zehn Kilometer breit. Sie entstehen, wenn neues Gestein aus dem Rücken herausgeschleudert und dem Erdmagnetfeld ausgesetzt ist. Wenn das Gestein erstarrt, wird die dadurch eingetretene Magnetisierung „eingefroren“. Die Streifen bilden sich, weil das Erdmagnetfeld von Zeit zu Zeit seine Richtung umkehrt. Diese Änderungen sind dann auch dem Gestein aufgeprägt. Wir können somit die zeitliche Entwicklung des Meeresgrunds entschlüsseln, indem wir diese Barcode-ähnlichen Streifenmuster messen, die als „Polaritäts-Chrone“ bezeichnet werden. Das geht zumindest so lange, wie wir irgendeine Methode haben, um den Zeitmaßstab für das Umklappen des Erdmagnetfelds festzulegen. Und die haben wir: Die radiometrische Altersbestimmung wurde genutzt, um Gestein an anderen Orten, etwa in oberirdischen Lavastrukturen, zu datieren. Die Barcode-Muster passen zusammen.
Im Dezember 1968 und Januar 1969 gewann das Forschungsschiff Glomar Challenger sehr wichtige Daten. Es bohrte insgesamt 17 Löcher im äquatorialen und südlichen Atlantik und überquerte dabei den Mittelatlantischen Rücken. Die Proben des Glomar Challenger wurden größtenteils mit paläontologischen Methoden datiert, die unter anderem das Auftreten winziger Fossilien in den Bohrkernen nutzten, deren Entwicklung dann mit den bekannten Evolutionsstufen von Flora und Fauna in den Meeren abgeglichen wurden (deren Alter war wiederum durch radiometrische Methoden bestimmt worden). Die Wissenschaftler an Bord entdeckten bei ihren Bohrkernanalysen einen Zusammenhang zwischen Alter und Abstand vom Mittelatlantischen Rücken, der außergewöhnlich gut mit der Annahme zusammenpasst, dass sich der Meeresgrund mit konstantem Tempo ausdehnt. Sie entdeckten direkt über dem Meeresboden Sedimente, deren Alter von zehn Millionen Jahren für Proben in 200 Kilometer Abstand vom Rücken bis zu 70 Millionen Jahren für Proben in 1300 Kilometer Abstand vom Rücken reichte. Das entspricht einer Ausdehnung des Meeresbodens von knapp zwei Zentimetern pro Jahr.
Abbildung 2.5
Das Alter des Gesteins, das entlang eines Grabenbruchs entstanden ist, zum Beispiel entlang des Mittelatlantischen Rückens. Die Barcode-Streifen treten deutlich hervor. Sie entstehen, weil die Erde die Orientierung ihres Magnetfelds immer wieder umkehrt.
© Penguin Random House, UK
Fürs Erste stellen wir einfach die Ergebnisse vor, die in Abbildung 2.4 zu sehen sind. Es gibt ein eindeutiges Muster im Atlantik: Das jüngste Gestein befindet sich entlang des Mittelatlantischen Rückens, das älteste in der Nähe der Kontinente. Das passt wunderbar zu unserem Vorschlag, dass der Atlantik durch die Ausdehnung des Meeresbodens entstanden ist, die am Mittelatlantischen Rücken ihren Anfang nahm. Wenn wir Recht haben, sollte das Gestein ja tatsächlich zunehmend älter werden, je weiter wir uns von dem Rücken entfernen. Beachten Sie auch, dass es weder harte Übergänge gibt, an denen das Gestein schlagartig älter wird, noch ausgedehnte Bereiche, in denen das Gestein überall dasselbe Alter hat. So etwas wäre zu erwarten gewesen, wenn das Tempo, mit dem sich das Gestein entlang des Mittelatlantischen Rückens bildete, stark geschwankt hätte, während sich die beiden Kontinente voneinander entfernten. Die letzte unserer Beobachtungen gilt nun dem Alter des Gesteins am Meeresgrund entlang der kontinentalen Ränder. Diese sind auf 180 Millionen Jahre datiert worden – in voller Übereinstimmung mit unserer Rechnung auf dem Bierdeckel!
Bislang haben wir nicht beschrieben, wie sich Gestein direkt datieren lässt. Aber wir können sagen, dass unser Vorschlag, der Atlantik sei durch zwei Kontinente entstanden, die sich aufgrund der geologischen Aktivität entlang des Mittelatlantischen Rückens voneinander entfernten, mit dem gemessenen Alter des Gesteins am Meeresboden vereinbar ist.
Logische Konsistenz und das Sammeln von Belegen sind sehr wichtige Merkmale einer modernen wissenschaftlichen Arbeitsweise. Vergegenwärtigen Sie sich, was es für unsere bisherigen Überlegungen bedeutet hätte, wenn der Atlantik wesentlich jünger als 160 Millionen Jahre gewesen wäre. Um den Gedanken einmal durchzuspielen, nehmen wir wie der irische Erzbischof James Ussher an, dass der Atlantik ungefähr 10.000 Jahre alt sei. Unser eher lockerer Umgang mit der Genauigkeit tut dem guten Bischof Unrecht, denn er war sehr genau. Er behauptete, dass die Welt am Abend des 22. Oktober 4004 v. Chr. erschaffen wurde. Ussher führte seine Berechnungen Ende des 17. Jahrhunderts anhand von historischen Aufzeichnungen und der Bibel durch. Wir dagegen machen das auf einem Bierdeckel, weshalb wir uns mit gerundeten Zahlen zufrieden geben.
Wenn wir einem 10.000 Jahre jungen Atlantik Rechnung tragen wollen, aber weiterhin akzeptieren, dass die beiden Kontinente irgendwann dicht beisammen waren, dann muss das Tempo der beiden Kontinente viel höher als die derzeit beobachteten 2,5 Zentimeter pro Jahr gewesen sein. Stattdessen bräuchten wir eine Ausdehnungsgeschwindigkeit in der Größenordnung von 400 Metern pro Jahr.
Das Problem mit den 400 Metern pro Jahr ist das Gestein an den Küsten des Atlantiks, dessen Alter zu 180.000 Jahren bestimmt worden ist. Dieses Alter stimmt gut mit der Ausdehnungsrate von 2,5 Zentimetern pro Jahr überein. Bestünden wir auf einer 10.000 Jahre jungen Erde, folgt daraus, dass das Alter des Gesteins um exakt denselben Faktor falsch sein muss wie die Abschätzung des Ausdehnungstempos. Das wäre ein ziemlicher Zufall.
Mit Usshers Altersbestimmung im Sinn käme eine weitere Möglichkeit infrage: die, dass die Kontinente nie eng beisammen waren. Sie hätten ja vor 10.000 Jahren auch mit 4000 Kilometern Abstand voneinander entstehen können. Bei diesem Szenario stünde die Verschiebungsgeschwindigkeit von 2,5 Zentimetern pro Jahr nur zufällig mit der Altersbestimmung des Gesteins in Einklang, aber wir müssten zumindest auch die Methoden verwerfen, mit denen das Gestein datiert worden ist. Darüber hinaus müssten wir annehmen, dass die beiden Kontinente und der Mittelatlantische Rücken nur zufällig so gut zusammenpassen. Es wird deutlich, dass wir im Falle einer jungen Erde die naheliegende Erklärung für die Gegebenheiten verwerfen müssten, um stattdessen Zufall und Irrtum zu bemühen. Wir haben bislang nur die Situation beim Atlantik untersucht und werden im weiteren Verlauf auf mehr Beispiele für sehr alte Dinge stoßen. Sie können selbst entscheiden, in welchem Ausmaß die Anhaltspunkte überzeugend sind.
Der Grund, warum sich so schwer gegen das Alter des Atlantiks von 160 Millionen Jahren argumentieren lässt, ist die Unabhängigkeit der Messungen: Sie beruhen auf völlig unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen und liefern ein stimmiges Bild darüber, was geschehen ist. Es ist leicht, die eine oder andere Messung in Zweifel zu ziehen, wenn man sich das passende, vielleicht auch abstruse Szenario zusammenreimt. Aber es ist in der Regel sehr schwierig, für einen radikalen Wandel in einem Bereich zu plädieren, ohne dass dabei weite Teile des gesamten, in sich verketteten Gedankengebäudes widersprüchlich werden. Die Wissenschaft erklärt ja, warum das Licht brennt, warum Flugzeuge fliegen und warum Computer funktionieren – da fällt es für gewöhnlich nicht leicht, dauerhaft eine Gegenposition einzunehmen. Unsere heutige wissenschaftliche Weltsicht ist allgemeingültig. Das ist der maßgebliche Grund, warum sie so widerstandsfähig und erfolgreich ist.
Eine der genauesten Methoden, um Gestein zu datieren, ist die radiometrische Altersbestimmung. Der entscheidende Gedanke dabei ist, dass bestimmte Atomsorten radioaktiv sind – sie können sich also spontan in Atome einer anderen Sorte verwandeln. (Exkurs 3 fasst die Grundlagen über Atome und Radioaktivität zusammen.)
Dieser Umwandlungsprozess wird als radioaktiver Zerfall bezeichnet. Wenn wir die Rate kennen, mit der eine bestimmte Atomsorte zerfällt, haben wir durch Zählen dieser Atome in einer Gesteinsprobe ein Maß für die Zeitspanne, die seit der Entstehung des Gesteins vergangen ist. Wir müssen nicht wissen, was den Zerfall der Atome auslöst (dafür müssen wir etwas Quantenphysik verstehen). Wir müssen nur die Rate kennen, mit der die Atome zerfallen. Sie heißt Halbwertszeit und drückt aus, wie lange es im Durchschnitt dauert, bis die Hälfte der Atome einer Probe zerfallen ist. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass eine Gesteinsprobe ursprünglich N radioaktive Atome enthalten hat, und messen, dass sie nun N/4 Atome enthält, also ein Viertel der ursprünglichen radioaktiven Atome, dann können wir daraus sofort schließen, dass seit der Entstehung des Gesteins zwei Halbwertszeiten vergangen sind.
Einige Atome haben eine kurze Halbwertszeit, viel kürzer als eine Sekunde, andere haben Halbwertszeiten von Millionen Jahren. Wenn wir das Alter von Gestein bestimmen wollen, ist die beste Herangehensweise, jene Atome zu zählen, deren Halbwertszeit sich nicht zu stark vom Alter des Gesteins unterscheidet. Ist die Halbwertszeit viel kürzer als das Alter, sind die meisten radioaktiven Atome bereits zerfallen. Die verbliebene geringe Zahl zu ermitteln, ist eine ziemlich schwierige Aufgabe. Ist die Halbwertszeit viel größer als das Alter, sind nur sehr wenige Atome bereits zerfallen, sodass es schwierig werden könnte, überhaupt eine nennenswerte Abweichung von ihrer ursprünglichen Anzahl festzustellen. Das alles wäre natürlich ohne praktischen Nutzen, wenn es nur selten radioaktive Atome im Gestein gäbe. Zum Glück sind sie aber relativ häufig.
Vielleicht ist Ihnen bereits aufgefallen, dass es in unserem Konzept einen Schönheitsfehler gibt. Wie können wir wissen, wie viele radioaktive Atome es in einem bestimmten Gestein bei dessen Entstehung gab? Das scheint die Altersbestimmung anhand der Halbwertszeit zum Scheitern zu bringen. Doch es gibt eine wunderbare Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen. Sie wird als Isochronen-Methode bezeichnet.
Um sie zu verstehen, schauen wir uns ein bestimmtes Atom an: Rubidium-87, das wir als 87Rb abkürzen. Rubidium ähnelt chemisch dem Kalium, kommt etwa so häufig vor wie Zink und ist oft gemeinsam mit kaliumreichen Mineralien im Gestein zu finden. Rubidium ist radioaktiv, mit einer sehr langen Halbwertszeit von 48 Milliarden Jahren. Nur leicht radioaktiv zu sein ist für die Altersbestimmung des ältesten irdischen Gesteins von Vorteil, weil es – wie wir gleich sehen werden – mehrere Milliarden Jahre alt ist. Zerfällt ein Rubidiumatom, verwandelt es sich in ein Atom von Strontium-87 (87Sr). Wir können die 87Rb- und 87Sr-Atome in einer Gesteinsprobe zählen. Der raffinierte Teil der Isochronen-Methode ist die Ausnutzung einer anderen Sorte von Strontiumatomen, Strontium-86. 87Sr und 86Sr sind zwei Isotope des Strontiums. Ihr einziger Unterschied ist, dass 86Sr ein Neutron weniger in seinem Kern hat. Das bedeutet, dass sie chemisch identisch sind – was entscheidend ist. Ebenfalls äußerst wichtig ist, dass 86Sr durch keinen radioaktiven Zerfall entstehen kann. Das bedeutet, dass alles 86Sr, das jetzt in der Gesteinsprobe steckt, bereits bei ihrer Entstehung dort war.
In einer Gesteinsprobe, deren Alter wir bestimmen wollen, zählen wir die 87Rb-Atome und teilen ihre Zahl durch die Zahl der 86Sr-Atome. Zudem zählen wir die 87Sr-Atome und teilen ihre Zahl durch die der 86Sr-Atome. Die beiden Verhältnisse tragen wir als Punkt in ein Diagramm ein, so wie es in Abbildung 2.6 zu sehen ist.
Abbildung 2.6
Zwei Isochronendiagramme, mit denen sich das Alter von Gestein bestimmen lässt: Das obere stammt von einer Probe des chondrischen Meteorits Tieschitz, der 1878 im heutigen Tschechien niederging. Das untere Diagramm stammt von Proben des grönländischen Isua-Gneises.
© (beide) Penguin Random House, UK unter Verwendung von Daten von G. Brent Dalrymple (1991), The Age of the Earth
Diese Zählerei wiederholen wir für verschiedene Proben, die alle von dem Gestein stammen, das wir datieren wollen. Die Proben könnten verschiedene Bruchstücke sein, die aus einem großen Flussbett stammen, oder es handelt sich um Proben verschiedener Mineralien vom selben Bruchstück. Wenn die Proben alle absolut miteinander übereinstimmen, dann finden wir in allen dasselbe Verhältnis von 87Rb zu 86Sr. Das würde zu vielen Punkten im Diagramm führen, die alle übereinander liegen. Doch wenn die verschiedenen Proben anfangs unterschiedliche Mengen an 87Rb enthalten haben, dann werden die Mengenverhältnisse unterschiedlich ausfallen. Dann sind die Punkte in unserem Diagramm verteilt.
Abbildung 2.6 enthält reale Daten. Entscheidend bei den Diagrammen ist, dass die Punkte, die verschiedenen anfänglichen 87Rb-Konzentrationen entsprechen, alle auf einer Geraden liegen. Das ist kein Zufall, sondern der schlaue Teil.
Um zu verstehen, was da geschehen ist, stellen Sie sich vor, dass wir ein Isochronendiagramm erstellen, unmittelbar nachdem das Gestein aus dem geschmolzenen Zustand entstanden ist. Da die beiden Isotope des Strontiums identische chemische Eigenschaften haben, ist das Verhältnis 87Sr/86Sr anfangs in jeder Probe gleich. Wenn da zum Beispiel in der Schmelze sieben 87Sr-Atome auf zehn 86Sr-Atome kommen, dann wird dieses Verhältnis in jedem Mineral in jedem neu erstarrten Gesteinsbrocken vorhanden sein. Denn es gibt keinen Grund, warum ein bestimmtes Mineral bei seiner Entstehung ein Strontium-Isotop dem anderen vorziehen sollte – beide Strontium-Isotope sind ja chemisch identisch. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt null, als das Gestein sich gebildet hat, das Isochronendiagramm eine waagrechte Linie ist. So ist es in Abbildung 2.7 zu sehen. Das Rb/Sr-Verhältnis wird sich nun verändern, weil sich Rubidium und Strontium chemisch voneinander unterscheiden. Wird zum Beispiel eine Probe von einem kaliumreichen Mineral genommen, weist es wahrscheinlich einen höheren Rubidiumanteil auf als eine Probe, die weniger Kalium enthält. Denn Rubidium verhält sich wie ein Stellvertreter von Kalium. Daher würden wir erwarten, dass sich das anfängliche Rb/Sr-Verhältnis bei den mineralischen Proben je nach Kaliumgehalt unterscheidet.
Mit fortschreitender Zeit zerfallen die Rubidiumatome, wodurch die Menge an 87Sr im Gestein wächst. Das bedeutet, dass ein Punkt im ursprünglichen Diagramm nach links wandert, und zwar um einen Betrag proportional zur Zahl der Rubidiumatome, die zerfallen sind. Zudem wandert der Punkt um genau denselben Betrag nach oben, weil durch jedes zerfallene Rb-Atom ein neues 87Sr-Atom entsteht. Das passiert für alle anfänglichen Punkte und führt zu einer geneigten Linie, wie sie in Abbildung 2.7 dargestellt ist.
Abbildung 2.7
Darstellung, wie sich eine Isochronenlinie im Lauf der Zeit gegenüber der Horizontalen neigt. Punkt A wird zu A‘ und B zu B‘.
© Penguin Random House, UK.
Vergeht noch mehr Zeit, seitdem das Gestein entstanden ist, neigt sich die Linie noch stärker. Gab es anfangs kein Rubidium in der Probe, kann auch kein neues Strontium entstehen, weshalb der Punkt ganz links auf der Linie unverändert bleibt. Das ist ebenfalls in der Abbildung zu sehen. Entscheidend ist, dass die Punkte weiterhin auf einer geraden Linie liegen. Sie neigt sich einfach mit fortschreitender Zeit, und die Abweichung von der Horizontalen liefert uns das Alter der Probe.
So funktioniert die geniale Isochronenmethode. Wir mussten dabei nie die anfänglichen Konzentrationen der Atome wissen. Wir brauchten nur eine Reihe verschiedener Proben, die unterschiedliche Rubidium- und Strontiumkonzentrationen aufwiesen.
Wir zeigen Ihnen, was wir damit meinen. Nehmen wir an, wir bestimmen das Alter des Gesteins nach einer Halbwertszeit des Rubidiums – zugegeben, das ist schwierig, weil das länger als das Alter des Universums ist, aber es geht uns ums einfache Rechnen. In diesem Fall wandert ein Punkt auf der anfänglichen Isochrone den halben Weg nach links, denn es gibt nun nur noch halb so viele Rb-Atome wie zu Beginn. Zudem wandert der Punkt um denselben Betrag nach oben (weil nun die gleiche Zahl an 87Sr-Atomen erzeugt wurde). Dies entspricht einer Neigung von 45 Grad gegen die Horizontale. Eine Isochronenneigung um 45 Grad heißt also, dass eine Halbwertszeit vergangen ist.
Für alle, die es etwas genauer haben möchten: Wenn g der Anteil des Rubidiums ist, das seit der Entstehung des Gesteins zerfallen ist, dann wandert ein Punkt auf der anfänglichen horizontalen Isochrone um den Betrag g mal den Ausgangswert nach links und um denselben Betrag nach oben. Das heißt, der Tangens des Neigungswinkels gegen die Horizontale ist g/(1 – g). Das ist sehr schön, denn g hängt nur von der Halbwertszeit und dem Alter des Gesteins ab. Messen wir g anhand der Neigung der Linie, kennen wir das Alter der Probe – ohne wissen zu müssen, wie viel Rubidium und Strontium anfangs vorhanden waren. Im Fall des Meteoriten, der in Abbildung 2.6 dargestellt ist, beträgt der Tangens des Neigungswinkels ungefähr (0,7325 – 0,699)/0,5 = 0,067. Daraus folgt, dass g = 0,063 ist. Also sind m Halbwertszeiten vergangen, mit (1/2)m = 1 – 0,063 = 0,937, woraus m = 0,094 folgt. Da die Halbwertszeit von Rubidium 48 Milliarden Jahre beträgt, ist dieser Meteorit (48 Milliarden mit 0,094 multiplizieren) 4,5 Milliarden Jahre alt.
Die Isochronenmethode ist wunderbar einfache Wissenschaft. Sie besagt, wieviel Zeit vergangen ist, seit die Isochrone waagrecht war, was wiederum dem Zeitpunkt entspricht, an dem das Gestein erstarrt ist. Damit die Punkte der Isochrone eine gerade Linie bilden, muss für jedes zerfallende Rb-Atom im Gestein ein neues 87Sr-Atom auftauchen. Überdies muss sich das Gestein wie eine versigelte Kapsel verhalten, sodass nach der Bildung des Gesteins kein Rb- oder Sr-Atom dazu- oder abhandenkommen konnte. Verhält sich das Gestein nicht wie eine versiegelte Kapsel, liegen die Punkte nicht auf einer Geraden. Und das ist gut so, denn so können wir überprüfen, ob das Gestein irgendwie mit seiner Umgebung in Austausch stand. Es wäre ein Hinweis darauf, dass die Altersbestimmung unzuverlässig ist. Wenn die Datenpunkte andererseits auf einer Gerade liegen, können wir uns ziemlich sicher sein die Zeitspanne zu messen, seit der das Gestein letztmals geschmolzen war. Also geht mit der Isochronenmethode eine Eigenkontrolle einher, was in hohem Maße zum Vertrauen beiträgt, das wir in die Ergebnisse haben können.
Abbildung 2.6