utb 8714
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Prof. Dr. Andreas Mayer ist Inhaber des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik (Sprachtherapie und Förderschwerpunkt Sprache) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Dr. Tanja Ulrich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sprachbehindertenpädagogik in schulischen und außerschulischen Bereichen an der Universität zu Köln.
Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:
Mayer, A.: Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) (2016, ISBN 978-3-8252-8662-0)
Mayer, A.: Gezielte Förderung bei Lese- und Rechtschreibstörungen (2. Aufl. 2013, ISBN 978-3-497-02417-9)
Mayer, A.: Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE).
Manual (3. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02600-5)
Testheft Vorschulalter und 1. Klasse (3. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02601-2)
Testheft 2. Klasse (3. Aufl. 2017, ISBN 978-3-497-02703-3)
Motsch, H.-J., Marks, D.-K., Ulrich, T.: Wortschatzsammler (2. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02607-4)
Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autoren große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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UTB-Band-Nr.: 8714
ISBN 978-3-8252-8714-6
ISBN 978-3-8463-8714-6 (EPUB)
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Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach
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Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de
■ Inhalt
Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuchs
Vorwort
Aussprachestörungen
Von Annette Fox-Boyer und Sandra Neumann
1 Die ungestörte Entwicklung
1.1 Begriffsklärungen
1.2 Frühe rezeptive phonetisch-phonologische Entwicklung (0 bis 12 Monate)
1.3 Rezeptive phonologische Entwicklung (> 1 Jahr)
1.4 Expressive phonetische Entwicklung (Lallentwicklung)
1.5 Expressive phonetisch-phonologische Entwicklung (> 1 Jahr)
1.5.1 Phon-Erwerb
1.5.2 Phonem-Erwerb
1.5.3 Erwerb der Konsonantenverbindungen
1.5.4 Physiologische phonologische Prozesse und Realisationskonsequenz
1.6 Phonetisch-phonologische Entwicklung bei deutsch-bilingualen Kindern
2 Störungen der Aussprache
2.1 Begriffsklärung
2.2 Prävalenz
2.3 Definitionen und Symptomatologie
2.3.1 Phonetische Störung bzw. Artikulationsstörung
2.3.2 Phonologische Verzögerung
2.3.3 Konsequente phonologische Störung
2.3.4 Inkonsequente phonologische Störung
2.3.5 Verbale Entwicklungsdyspraxie
2.3.6 Phonetisch-phonologische Störungen bei mehrsprachigen Kindern
3 Diagnostik
3.1 Diagnostikebenen nach der ICF-CY
3.2 Anamnese
3.3 Bilderbenennverfahren vs. Spontansprachanalyse
3.4 Bilderbenennverfahren
3.5 Überprüfung der Inkonsequenzrate
3.6 Überprüfung der Verständlichkeit
3.7 Überprüfung der phonologischen Bewusstheit
3.8 Überprüfung der orofazialen Bedingungen und Fähigkeiten
3.9 Diagnostik bei bilingualen Kindern
3.10 Diagnostisches Vorgehen bei verbaler Entwicklungsdyspraxie
4 Therapie
4.1 Motorisch orientierte Therapieansätze
4.2 Phonologische Therapie
4.2.1 P.O.P.T
4.2.2 Metaphon
4.2.3 Zyklische Therapie
4.2.4 Minimalpaartherapie
4.3 Therapie der inkonsequenten phonologischen Störung
4.3.1 Inkonsequenz-Therapie
4.3.2 Kern-Vokabular-Therapie
4.3.3 Evidenzen zur Therapieeffektivität
4.4 Therapie der verbalen Entwicklungsdyspraxie
4.4.1 VEDiT
4.4.2 PROMPT / TAKTKIN
4.4.3 Assoziationsmethode nach McGinnes (1939)
5 Unterricht
Lexikalische Störungen
Von Tanja Ulrich
1 Die ungestörte Wortschatzentwicklung
1.1 Mentales Lexikon
1.2 Zeitlicher Verlauf des Wortschatzerwerbs
1.2.1 Prälexikalische Phase
1.2.2 Phase der ersten 50 Wörter
1.2.3 Wortschatzspurt
1.2.4 Ausbau und Strukturierung im Vorschul- und Schulalter
1.3 Voraussetzungen für erfolgreiches Einspeichern und Abrufen von Wörtern
2 Störungen des Wortschatzerwerbs
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Erscheinungsbild
2.2.1 Mögliche Symptome einer lexikalischen Störung
2.2.2 Störungsschwerpunkte und Subgruppen lexikalischer Störungen
3 Diagnostik
4.1 Therapiedidaktik
4.2 Drei Säulen der Wortschatztherapie
4.2.1 Elaborationstherapie
4.2.2 Abruftherapie
4.2.3 Strategietherapie
4.3 Exemplarische Vorstellung von Therapiemethoden
4.3.1 PLAN – Patholinguistische Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen
4.3.2 Wortschatzsammler
4.4 Effektivität von Wortschatztherapie
5 Unterricht
5.1 Vorüberlegungen
5.2 Unterrichtliche Aufgabe
5.3 Therapeutische Aufgabe
Grammatische Störungen
Von Hans-Joachim Motsch und Stephanie Riehemann
1 Ungestörter Grammatikerwerb
1.1 Bedeutung grammatischer Regelkompetenz
1.2 Evidenzbasierte Erwerbsannahmen
1.3 Grammatische Regeln und ihre Erwerbsreihenfolge
1.3.1 Verbzweitstellungsregel (V2)
1.3.2 Subjekt-Verb-Kontroll-Regel (SVK)
1.3.3 Verbendstellungsregel in subordinierten Nebensätzen (VEN)
1.3.4 Kasusrektion
1.4 Erklärungsansätze des Grammatikerwerbs
2 Grammatische Störungen
2.1 Definition
2.2 Normal, auffällig, gestört – Varianz im Erwerbsprozess grammatischer Fähigkeiten
2.3 Morphologische und syntaktische Störungen
2.3.1 Morphologische Störungen
2.3.2 Syntaktische Störungen
2.4 Bedingungshintergrund
3 Diagnostik
3.1 Förderdiagnostik
3.2 Diagnostische Methoden
3.3 Allgemeine Sprachentwicklungstests
3.4 Rezeptive Verfahren
3.4.1 Bildauswahlverfahren
3.4.2 Manipulationsaufgaben
3.4.3 W-Fragen
3.5 Informelle Verfahren
3.5.1 Einzelscreenings
3.5.2 Gruppenscreenings
3.6 ESGRAF 4-8
3.7 Diagnose grammatischer Störungen bei Mehrsprachigkeit
4 Therapie
4.1 Notwendigkeit therapeutischer Interventionen
4.2 Evidenzbasierte Grammatiktherapie
4.3 Therapiesettings
4.4 Therapieplanung
4.5 Therapiemethoden
4.5.1 Methodenvielfalt – Methodenintegration
4.5.2 Direkte Übungsmethoden
4.5.3 Indirekte Methoden
4.6 Therapiekonzepte
4.7 Kontextoptimierung
4.7.1 Therapiedidaktik
4.7.2 Prinzipien der Kontextoptimierung
4.8 Grammatiktherapie im Kontext von Mehrsprachigkeit
5 Unterricht
5.1 Grammatikprojekte
5.2 Auswahl eines Grammatikprojekts
5.3 Aufbaukriterien eines Grammatikprojekts
Pragmatische Störungen
Von Stephan Sallat und Markus Spreer
1 Die Entwicklung pragmatischkommunikativer Fähigkeiten
1.1 Begriffsklärung
1.2 Bedeutung von Basiskompetenzen
1.3 Entwicklung non- und paraverbaler Dimensionen
1.4 Entwicklung sprachlicher Dimensionen
2 Störungen im Erwerbsprozess – Symptomatik des Störungsbildes
2.1 Störungen der Entwicklungsperiode
2.2 Störungen der älteren Kindheit und des Jugendalters (7 bis 18 Jahre)
3 Diagnostik
3.1 Überprüfung kommunikativ-pragmatischer Fähigkeiten
3.1.1 Diagnostische Verfahren für den Altersbereich bis 3 Jahre
3.1.2 Diagnostische Verfahren für Kinder im Kindergartenalter (3 bis 6 Jahre)
3.1.3 Diagnostische Verfahren für Kinder im Schulalter
3.1.4 Beobachtungsbögen und Einschätzskalen zur Erfassung der Erzählfähigkeit
3.2 Spezifische Herausforderungen in der diagnostischen Arbeit
4 Therapie
4.1 Erkenntnisse der Therapieforschung
4.2 Grundlegende Vorgehensweisen
4.3 Förder- und Therapiemethoden
4.3.1 Variation der Komplexität von Förderkontexten
4.3.2 Bedeutung des Kommunikationsrahmens sowie der Beziehung und Interaktion zwischen Kind und Therapeut
4.3.3 Verhaltensmodifikation
4.3.4 Formate des Kindes
4.3.5 Verhaltens- und Sozialtrainings
4.3.6 Metasprachliche Reflexion und Diskussion
4.3.7 Einbeziehung der Bezugspersonen
4.4 Therapieableitung – Förderplanung
4.5 Therapie- und Förderschwerpunkte
4.5.1 Kommunikationsverhalten und Gesprächsführung
4.5.2 Textverarbeitung und -produktion
4.5.3 Situations- und Kontextverhalten
5 Möglichkeiten der unterrichtsintegrierten Förderung
5.1 Inhaltliche, soziale, räumliche, sprachliche und kognitive Kontexte in der Schule
5.2 Pragmatisch-kommunikative Fähigkeiten als Teil der Lehr- und Bildungspläne
5.3 Analyse des Unterrichts in Bezug auf pragmatische Herausforderungen
5.4 Therapie- und Förderbereiche in Unterricht und Schule
5.4.1 Kommunikationsverhalten und Gesprächsführung
5.4.2 Textverarbeitung und -produktion
5.4.3 Situations- und Kontextverhalten
5.5 Schule ist mehr als Unterricht
Schriftspracherwerbsstörungen
Von Andreas Mayer
1 Der ungestörte Schriftspracherwerb
2 Störungen im Erwerbsprozess
2.1 Definition
2.2 Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung
2.3 Risikofaktoren
2.3.1 Beeinträchtigungen in der phonologischen Informationsverarbeitung
2.3.2 Spracherwerbsstörungen als Risikofaktor
2.4 Symptomatik
2.5 Mögliche Auswirkungen
3 Diagnostik
3.1 Früherkennung
3.2 Diagnostik des Lesens und Rechtschreibens
4 Therapie
4.1 Therapie der Lesestörung
4.2 Therapie der Rechtschreibstörung
5 Unterricht
5.1 Ewerb der GPK
5.2 Unterstützung beim Erlernen der indirekten Lesestrategie
5.3 Vermittlung von Verstehensstrategien
Stottern
Von Patricia Sandrieser
1 Die ungestörte Entwicklung
2 Störungsbild Stottern
2.1 Kernsymptome
2.2 Begleitsymptome: Flucht- und Vermeidungsstrategien
2.3 Häufigkeit, Komorbiditäten und Remissionschancen
2.4 Genetik
2.5 Neuromorphologische Veränderungen und neurofunktionelle Befunde
3 Diagnostik
3.1 Anamnese
3.2 Spontansprachprobe
3.3 Diagnostik der Begleitsymptome und der psychischen Reaktionen auf das Stottern
3.3.1 QBS – Qualitative Beschreibung von Stotterverhalten
3.3.2 RSU – Reaktion auf Stottern des Untersuchers
3.4 Befund und Nomenklatur
4 Beratung und Therapie
4.1 Beratung
4.2 Therapie
4.2.1 Therapieziele
4.2.2 Anforderungen an eine Therapie
4.2.3 Therapieerfolge und -dauer
4.3 Therapiekonzepte
4.3.1 Operante Verfahren
4.3.2 Konzepte zur Modifikation des Stotterns
4.3.3 Konzepte der Sprechrestrukturierung / Fluency Shaping
4.3.4 Kombinationstherapien
4.3.5 Indirekte Verfahren
4.3.6 Obsolete Verfahren
4.4 Abwägung des Therapiekonzepts und -settings
5 Unterricht
Poltern
Von Dana-Kristin Marks
1 Sprachproduktion im Überblick
2 Poltern als Störungsbild
2.1 Der Versuch einer Begriffsbestimmung
2.2 Symptomatik
2.2.1 Erhöhtes und / oder unregelmäßiges Sprechtempo als Ausgangspunkt
2.2.2 Inadäquate Pausensetzung und prosodische Auffälligkeiten
2.2.3 Phonetisch-temporale Auffälligkeiten auf Wortebene
2.2.4 Erhöhte Rate normaler Unflüssigkeiten
2.2.5 Weitere Auffälligkeiten
2.2.6 Mögliche Störungsprofile bei Poltern
2.3 Komorbiditäten
2.4 Diskussion einer „Polterpersönlichkeit“
2.5 Mögliche Bedingungshintergründe
2.6 Prävalenz und Prognose
3 Diagnostik
3.1 Diagnostisches Vorgehen
3.1.1 Ziele, Methoden und Inhalte im Überblick
3.1.2 Überblick über den Ablauf des diagnostischen Vorgehens bei Verdacht auf Poltern
3.2 Berücksichtigung der ICF (WHO 2007) im Diagnostikprozess
4 Therapie
4.1 Therapieziele und -prinzipien
4.2 Therapeutische Konzepte und Methoden
4.2.1 Überblick über aktuelle Therapiekonzepte
4.2.2 Übungen zur Verbesserung der Selbst- und Symptomwahrnehmung
4.2.3 Übungen zur Behandlung der Kernsymptomatik
4.2.4 Übungen für weitere Behandlungsbereiche
5 Unterricht
5.1 Klassenklima
5.2 Unterstützung in ausgewählten Förderbereichen
Mutismus
Von Kerstin Bahrfeck, Katja Subellok und Anja Starke
1 Phänomen Mutismus
1.1 Erscheinungsbild
1.2 Entstehung und Risikofaktoren
1.2.1 Genetische Prädisposition
1.2.2 Familiäres Lernumfeld
1.2.3 Migration und Mehrsprachigkeit
1.2.4 Sprachliche Entwicklung
1.2.5 Einschneidende Lebensereignisse
1.3 Verlauf und Prognose
2 Diagnostik
2.1 Ziele
2.1.1 Identifikation von SM
2.1.2 Erfassen des individuellen Erscheinungsbildes
2.1.3 Verlaufsdiagnostik
2.2 Methoden und Vorgehensweisen
2.2.1 Beobachtung
2.2.2 Gespräche
2.2.3 Frage- und Einschätzungsbögen
2.3 Zusammenfassung und Entscheidungen
3 Therapie
3.1 Methodenkombiniertes Vorgehen
3.2 Wirksamkeit von Mutismustherapie
3.3 Sprachtherapeutische Konzepte
3.3.1 Systemische Mutismus-Therapie (SYMUT)
3.3.2 Therapieansatz nach Katz-Bernstein und Dortmunder Mutismus-Therapie (DortMuT)
3.3.3 Kooperative Mutismus-Therapie (KoMut)
3.4 Grenzen der Sprachtherapie
4.1 Schweigen erkennen, verstehen und gemeinsam handeln
4.2 Schweigen in der Kita
4.3 Schweigen in der Grundschule
Die Herausgeber
Die Autoren
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Vorwort
1995 erschien das Lehrbuch „Sprachtherapie mit Kindern“, herausgegeben von Stephan Baumgartner und Iris Füssenich, in der ersten Auflage. Es lieferte Studierenden der Sprachheilpädagogik und Auszubildenden der Logopädie, aber auch Lehrkräften und Sprachtherapeuten in der Praxis einen umfassenden Einblick in normale und auffällige Entwicklungsverläufe auf den unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems, in die komplexe Symptomatik sprachlicher Beeinträchtigungen sowie die Möglichkeiten, diese diagnostisch zu erfassen und ihnen therapeutisch zu begegnen. Bis zum Jahr 2002 erschien dieses Werk in insgesamt fünf überarbeiteten Auflagen, ein Beleg für die Relevanz und Notwendigkeit eines solchen Buchs für Studierende, Wissenschaftler und Praktiker.
Seit der letzten Auflage sind mittlerweile 15 Jahre vergangen. Innerhalb dieses Zeitraumes haben sich in der sprachtherapeutischen und sprachheilpädagogischen Landschaft massive Umstrukturierungen ergeben. In der schulischen Sprachheilpädagogik lässt sich eine zunehmende Abkehr von einer institutionsgebundenen Sprachförderung bzw. Sprachtherapie an Sprachheilschulen hin zu einer personenorientierten Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs feststellen, dem unabhängig vom Förderort entsprochen werden soll. Seit der Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2008 und dem damit verbundenen sukzessiven Aufbau eines inklusiven Schulsystems werden sprachlich beeinträchtigte Kinder vermehrt an Regelschulen beschult.
Diese Entwicklung geht einher mit einem Abbau therapeutischer Inhalte in der Ausbildung im Lehramt Sprachheilpädagogik zugunsten allgemein heilpädagogischer Inhalte und einer eher unspezifischen Sprachförderung im Unterricht.
Parallel dazu wurde die grundständige Akademisierung der Sprachtherapie vorangetrieben. Auch wenn dieses Ziel bis zum Jahr 2017 nicht vollständig erreicht wurde, wurden durch zahlreiche neu konzipierte grundständige oder weiterqualifizierende Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten vielfältige Zugangswege zu einer akademischen Sprachtherapie geschaffen. Eine zentrale Aufgabe der sich im deutschen Sprachraum nun immer stärker entwickelnden Sprachtherapie-Forschung ist die theoretische Fundierung und Evaluation des sprachtherapeutischen Handelns, um langfristig das Ziel einer evidenzbasierten Praxis in der Therapie kindlicher Sprachstörungen erreichen zu können.
Als Herausgeber sind wir der Überzeugung, dass die damit einhergehende Auseinanderentwicklung der Ausbildungsinhalte und des beruflichen Selbstverständnisses der beiden Berufsgruppen sowie die massive Reduzierung therapeutischer Inhalte in den universitären Curricula der Studiengänge im Lehramt Sprachheilpädagogik keine positive Entwicklung darstellen. Eine qualitativ hochwertige Versorgung betroffener Kinder und Jugendlicher kann u. E. vielmehr nur in kooperativer Praxis und vertrauensvoller Zusammenarbeit von Sprachheilpädagogen und Sprachtherapeuten umgesetzt werden. Aus diesem Grund berücksichtigt das vorliegende Buch sowohl die Therapie kindlicher Sprachstörungen als auch die Möglichkeiten der unterrichtsimmanenten Förderung bzw. unterrichtsintegrierten Therapie. Es richtet sich gleichermaßen an angehende Sprachheilpädagogen und Sprachtherapeuten. Es unterstützt (angehende) Sprachheilpädagogen dabei, neben ihrer unterrichtlichen Expertise auch therapeutische Handlungskompetenzen zu entwickeln, und gibt (angehenden) Sprachtherapeuten einen Einblick in die Gefährdung der schulischen Entwicklung sprachlich beeinträchtigter Kinder sowie die komplexen Aufgaben unterrichtlicher Förderung.
Im Vergleich zu seinem Vorgänger haben wir das vorliegende Lehrbuch um einige Kapitel erweitert. Neben den klassischen Störungsbildern im Kontext spezifischer Spracherwerbsstörungen (Aussprache, Wortschatz, Grammatik) und den im schulischen Kontext häufig offensichtlich werdenden Schriftspracherwerbsstörungen findet der Leser einen Beitrag zum Stottern und erstmals auch zu pragmatischen Störungen, einer Sprachebene, die erst seit dem Jahr 2000 in der Sprachheilpädagogik und der Sprachtherapie verstärkte Aufmerksamkeit erhalten hat, sodass es im Jahr 2017 erstmals möglich ist, fundierte diagnostische Verfahren und therapeutische Handlungsmöglichkeiten vorzustellen und kritisch zu reflektieren. Dasselbe gilt für die Redeflussstörung Poltern, für die im deutschsprachigen Raum bislang nur wenige praxisorientierte Publikationen vorliegen. Schließlich wurde auch das komplexe Störungsbild Mutismus aufgenommen, das im deutschsprachigen Raum seit dem Jahr 2000 intensiv erforscht wird. Sicherlich hätte es noch einige weitere Themen gegeben, die im Rahmen eines Einführungsbuches zu kindlichen Sprachstörungen hätten Berücksichtigung finden können, aufgrund des naturgemäß beschränkten Umfangs eines Lehrbuches jedoch nicht aufgenommen werden konnten. Aus unserer Sicht deckt das vorliegende Buch jedoch die häufigsten Handlungsfelder der Therapie sowie der unterrichtlichen Förderung von Kindern ab.
Das Ziel des Lehrbuchs besteht darin, den Lesern einen Einblick in den „state of the art“ zu geben, was den ungestörten Erwerb, die Symptomatik des Störungsbildes, diagnostische Möglichkeiten, therapeutische Ansätze und schulische Handlungsmöglichkeiten angeht. Aus dieser Zielsetzung leitet sich der Aufbau der einzelnen Beiträge ab. Wir haben uns dabei bemüht, einen möglichst umfassenden Überblick zu liefern, so dass insbesondere die zahlreichen therapeutischen Ansätze nicht immer in der notwendigen Tiefe behandelt werden konnten. Der Leser findet deshalb an entsprechenden Stellen weiterführende Literaturhinweise, die eine intensivere Auseinandersetzung ermöglichen. Nichtsdestotrotz sind wir der Überzeugung, dass es uns gelungen ist, der Zielgruppe des Buches einen fundierten Einstieg in die Komplexität sprachlicher Beeinträchtigungen im Kindesalter zu ermöglichen und Lust darauf zu machen, das Wissen in diesen Bereichen zu vertiefen.
Wir freuen uns, dass wir für die einzelnen Beiträge ausgewiesene Experten gewinnen konnten, die unser Anliegen, wissenschaftliche Forschung mit praktischen Handlungsmöglichkeiten zu verknüpfen, engagiert und kompetent umgesetzt haben und bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich für die vertrauensvolle und effektive Kooperation mit den Autorenteams, die es ermöglicht hat, den hohen Anspruch, der an ein solches Lehrbuch gestellt wird, verwirklichen zu können.
Schließlich wünschen wir uns, dass das vorliegende Lehrbuch Studierende der Sprachtherapie und der Sprachheilpädagogik in ihrer Ausbildung unterstützt, dass Sprachheilpädagogen und Sprachtherapeuten Anregungen für ihre anspruchsvolle praktische Tätigkeit und Lehrende an Fachhochschulen und Universitäten Impulse für die Lehre und Forschung erhalten.
Aufgrund der leichteren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen in diesem Lehrbuch die männliche Form verwendet. Doch es sind selbstverständlich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler etc. gemeint. Beide Geschlechter sind immer mitzudenken.
Februar 2017 Tanja Ulrich, Andreas Mayer
Aussprachestörungen
Von Annette Fox-Boyer und Sandra Neumann
1 Die ungestörte Entwicklung
Kinder erwerben das Lautsystem ihrer Muttersprache in der Regel ohne Schwierigkeiten während der ersten Lebensjahre. Ab dem Alter von drei Jahren hat ein monolingual deutschsprachiges Kind alle Grundlagen der Aussprache erworben. Es ist auch für Fremde verständlich und benötigt noch maximal zwei Jahre, um seine Aussprache zu perfektionieren.
1.1 Begriffsklärungen
Unter einem Phon versteht man laut Crystal (1997) das kleinste wahrnehmbare diskrete Laut- / Geräusch-Segment, das innerhalb des Sprechstroms wahrnehmbar ist.
Es ist also ein Sprachlaut, der unabhängig von seiner sprachlichen Umgebung, isoliert von einem Menschen gebildet werden kann. Ein Kind muss lernen, welche Laute von all denen, die es produzieren kann, seiner Sprache angehören (Phoninventar). Gleichzeitig muss es auch lernen, diese alle korrekt zu produzieren. Phone werden in eckigen Klammern notiert, z. B. [s].
Als Phonem wird eine bedeutungsunterscheidende sprachliche Einheit definiert, die sich nicht weiter in bedeutungsunterscheidende Einheiten zerlegen lässt.
Es handelt sich um abstrakte, im phonologischen Lexikon gespeicherte Einheiten. Phoneme sind Phone, die von einem Kind im Sprechfluss an korrekter Stelle eingesetzt werden. Das Kind muss während des Ausspracheerwerbs lernen, wie Phone in seiner Muttersprache miteinander verbunden werden dürfen (Phonotaktik) und dass es von Bedeutung ist, den richtigen Laut an der vorgesehenen Stelle zu verwenden, da es sonst zu Bedeutungsveränderungen kommen kann (Erwerb des phonemischen Inventars). In den meisten Fällen wird ein Phonem im Deutschen durch ein Phon repräsentiert. In Ausnahmefällen kann ein Phonem auch durch verschiedene Phone repräsentiert werden, wie dies zum Beispiel bei den Phonen [ç] und [x] der Fall ist. Diese Phone teilen sich eine Bedeutung. Phoneme werden zwischen Schrägstrichen notiert, z. B. / f / .
Allophone sind unterschiedliche Realisationsmöglichkeiten eines Phonems, deren Realisation nicht zu einer Bedeutungsveränderung führt.
So verändert es im Deutschen nicht die Bedeutung eines Wortes, wenn ein Kind für ein / ʁ / ein [r] artikuliert.
Phonotaktik ist die Lehre von der Reihenfolge bzw. Kombinierbarkeit von Phonemen in einer Sprache.
phonotaktische Regeln Die Abfolge von Phonemen im Deutschen ist nicht beliebig, sondern ist phonotaktischen Regeln unterworfen. Typische Silbenstrukturen sind laut Wiese (1996) Konsonant-Vokal-Folgen (CV), CVC-Folgen oder CCVC-Folgen.
Das phonetische Inventar umfasst diejenigen Laute (Phone), die ein Kind artikulatorisch realisieren kann, unabhängig davon, ob sie (schon) korrekt im Wort verwendet werden. Das phonemische Inventar eines Kindes umfasst diejenigen Phoneme, die ein Kind an richtiger Stelle im Wort verwendet. Diese müssen nicht notwendigerweise phonetisch korrekt sein.
Laut Fox-Boyer (2016) kann ein Phonem als erworben angesehen werden, wenn ein Kind ein Phonem in mindestens zwei Drittel aller Auftretensfälle richtig im Wort einsetzt. Kinder erwerben ihre Muttersprache in den ersten Lebensjahren in der Regel ohne große Anstrengung, eher spielerisch. Dabei erscheinen die Lall-Äußerungen des Kindes für Eltern als erster Hinweis auf den beginnenden Spracherwerb. Zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr kommt es zu einem fließenden Übergang von nicht-lexikalischen und lexikalischen sprachlichen Äußerungen.
Zu den nicht-lexikalischen Äußerungen zählen alle Äußerungen des Lallens, die nicht mit einer Bedeutung unterlegt sind. Im Gegensatz dazu stehen die ersten Wörter, die in ihrer Form nicht notwendigerweise der Erwachsenensprache entsprechen. Scheinbar ohne Schwierigkeiten gelingt es den Kindern, die vielleicht zunächst rudimentären Wortformen immer mehr der Erwachsenensprache anzugleichen, bis sie in Bezug auf die Aussprache als erwachsenenartig zu beschreiben sind. Im Hinblick auf die expressive Sprachentwicklung geht die phonetische Entwicklung der phonologischen Entwicklung des Lautsystems voraus. Die Kinder produzieren also zunächst Phone und später erst beim Übergang in die lexikalischen Äußerungen Phoneme.
Phonologieerwerb Der Phonologieerwerb kann aus klinischer Sicht in vier Stufen unterteilt werden:
■ die verschiedenen Phasen des Lallens,
■ die Einwortphase vom ersten Wort bis zum Wortschatzspurt,
■ die systematische Simplifizierungsphase und
■ die korrekte Wortrealisation (Stackhouse / Wells 1997).
Kinder müssen die phonologischen Regeln ihrer Muttersprache erwerben, d. h., sie müssen verstehen, welche Laute in welchem Silbenkontext angewendet werden dürfen. Des Weiteren müssen sie die komplexe Silbenstruktur des Deutschen (die Phonotaktik) erwerben.
1.2 Frühe rezeptive phonetisch-phonologische Entwicklung (0 bis 12 Monate)
Kinder zeigen bereits vor der Geburt wichtige phonetisch-phonologische Perzeptionsleistungen, die sich kontinuierlich weiterentwickeln und die spätere phonologische expressive Entwicklung entscheidend beeinflussen (Fox-Boyer / Schäfer 2015). In die Sprachperzeption und Analyse des Inputs spielen nicht-linguistische, allgemein kognitive Leistungen ebenfalls mit hinein (Kauschke 2012).
Um sich auf spezifisch muttersprachliche Signale fokussieren zu können und diese phonetisch-phonologisch zu erwerben, müssen Kinder nicht-sprachrelevante Informationen oder nicht-muttersprachlichen phonetischen Input ausblenden (Conboy et al. 2008). Da im fünften bis siebten Schwangerschaftsmonat die Hörentwicklung von Ungeborenen beginnt, können sie ab diesem Zeitpunkt schon auf Töne und Laute der Außenwelt reagieren, was Groome et al. (2000) anhand von Vokalwahrnehmungen belegen konnte. Die Ungeborenen erkennen dann auch schon rhythmische und prosodische Veränderungen am sprachliche Input.
Nach Byers-Heinlein et al. (2010) prägen sich durch diese pränatale Wahrnehmung der Umgebungssprache Perzeptionspräferenzen aus, die schon direkt beim Neugeborenen (z. B. mittels Saugfrequenzmessungen) zu beobachten sind. Bei bilingualen Kindern beginnt sich die Sprachperzeption bereits pränatal auf beide Muttersprachen auszurichten (Burns et al. 2007). Muttersprachliche Vokale können von Babys von prototypischen Vokalen einer Fremdsprache abgegrenzt werden. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass Kinder in den ersten Lebensmonaten auch phonetische Kontraste wahrnehmen können, die nicht in ihrer Muttersprache auftreten. Diese Fähigkeit verringert sich schon zwischen dem sechsten und zwölften Lebensmonat wieder, da sich die Sprachperzeption zunehmend auf die Umgebungs- bzw. Muttersprache ausrichtet (Rivera-Gaxiola et al. 2012). Durch den ständigen Kontakt zur Muttersprache werden deren phonetische Merkmale und Kontraste zunehmend besser erkannt, selektiert und gespeichert (Fox-Boyer / Schäfer 2015). Anhand der Entwicklung allgemein kognitiver und auditiver Wahrnehmungsprozesse beim Kleinkind verbessert sich auch dessen Sprachperzeption ab dem sechsten Lebensmonat deutlich (Kuhl et al. 2006). Die ausschließliche Wahrnehmung von sprachspezifischen Vokalen aus der Umgebungssprache bildet sich um den sechsten Lebensmonat und die der Konsonanten um den elften Lebensmonat aus.
Neben der Wahrnehmung der sprachspezifischen Laute scheinen zur Bestimmung von Wortgrenzen metrischen (rhythmischen) Merkmalen in der Silbenbetonung eine besondere Bedeutung zuzukommen. Deutschsprachige Kinder konnten nach Herold et al. (2008) bereits mit vier Monaten zwischen jambischen und trochäischen Betonungsmustern differenzieren und bevorzugten ab ca. sechs Monaten das typisch deutsche trochäische Muster mit der Betonung der ersten Silbe (Kannengieser 2015). Mit dem achten Lebensmonat beginnt auch die zunehmende Wahrnehmung von Wortgrenzen, d. h. von Wortformen (Höhle / Weissenborn 2003).
Native Language Magnet Model Nach dem Native Language Magnet Model (NLM, Kuhl et al. 2008) sind die folgenden fünf Grundannahmen entscheidend für die Entwicklung der frühen Sprachperzeption:
■ Kinder richten ihre Sprachperzeption an der Umgebungssprache aus, da sie die Fähigkeit besitzen, sich zu merken, welche Laute in ihrem Umfeld in welchem Ausmaß produziert werden. Dies wird durch motherese (kindgerechte Sprechweise der Menschen, die das Kind umgeben) verstärkt, indem für die kindliche Sprachperzeption relevante phonetische Unterschiede vom Erwachsenen beim Sprechen hervorgehoben werden (z. B. durch Betonung einzelner Laute).
■ Durch das stetige Hören und Wahrnehmen von Sprache werden beim Kleinkind neuronale Netzwerke ausgebildet, die auf die Wahrnehmung der Muttersprache spezialisiert sind und das spätere Sprachlernen mitbestimmen, da sie die Basis für das Erkennen größerer Spracheinheiten (z. B. lexikalische bzw. morphologische Einheiten) bilden (Fox-Boyer / Schäfer 2015).
■ Eine direkte soziale Interaktion nimmt bereits auf der Ebene der Lautdifferenzierung entscheidenden Einfluss auf die Sprachentwicklung. So wird nach Kuhl et al. (2003) das Lernen von phonetischen Kontrasten durch soziale Interaktionen positiv beeinflusst, aber nicht mittels Präsentation durch Audio- oder Filmaufnahmen.
■ Die Sprachperzeption geht der gezielten Sprechproduktion voraus. Rezeptiv wahrgenommene Sprechmuster werden vom Kleinkind abgespeichert und als Grundlage des Aufbaus eigener motorischer Artikulationsmuster genutzt. Durch deren Abgleich mit den abgespeicherten Mustern geht dann eine Verbesserung der kindlichen motorischen Artikulationsprogramme einher.
■ Die Sprachperzeption stellt einen wichtigen Prädiktor für die Sprachentwicklung dar (Stackhouse / Wells 1997; Kap. 2.3, Abb. 4). So konnten Kuhl et al. (2005) nachweisen, dass Kinder, die im Alter von sieben Monaten muttersprachliche phonetische Kontraste besser differenzierten, auch bessere Sprachleistungen im Alter von 14 bis 30 Monaten zeigten.
1.3 Rezeptive phonologische Entwicklung (> 1 Jahr)
In der kindlichen Entwicklung findet ein fließender Übergang von der rein phonetischen zur phonologischen Wahrnehmung des Kindes statt. Die Kleinkinder nutzen ihre perzeptiven Fähigkeiten und phonetischen Kenntnisse, um bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme) und größere lexikalische Einheiten (Wörter) zu identifizieren. Das Erwerben neuer Wörter stellt hierbei einen wichtigen Prozess dar, der durch diese Differenzierung angestoßen wird. Phonetisch-phonologisches Wissen und semantisch-lexikalische Kenntnisse beeinflussen sich daher wechselseitig (Fox-Boyer / Schäfer 2015).
phonematische Differenzierungsfähigkeit Ein Kind kann schon zwischen dem 14. und 20. Monat phonetisch sehr unterschiedliche Pseudowörter unterscheiden, z. B. [wif] vs. [gan]. Wenn die Kinder die präsentierten Wörter bereits kennen, sind sie auch schon in der Lage, Wörter, die sich nur in einem Phonem unterscheiden (Minimalpaare), zu differenzieren. Mit zunehmendem Alter lernen die Kinder, immer feinere Unterschiede innerhalb von Wörtern zu identifizieren. Hierbei spielt auch die Erkennung sprachspezifischer prosodischer Merkmale eine Rolle, wodurch Wortgrenzen erkannt und phonetische Informationen erworben werden können (Höhle et al. 2009). Kinder erwerben gerade in den ersten drei Lebensjahren wichtige sprachperzeptive Fähigkeiten, die sich auf die kontinuierliche weitere Entwicklung phonologischer, metaphonologischer und (schrift)sprachlicher Fähigkeiten auswirken (Beitrag 5).
1.4 Expressive phonetische Entwicklung (Lallentwicklung)
Säuglinge beginnen schon kurz nach der Geburt, die phonetisch-phonologischen Charakteristika ihrer Umgebungssprache zu erwerben (Kap. 1.3). Dabei unterliegt ihre phonetisch-phonologische Entwicklung einer komplexen Interaktion aus perzeptiven und produktiven Fertigkeiten. Im ersten Lebensjahr entdeckt das Kind seine Fähigkeit zur Realisation von Sprachlauten und es beginnt, seine Vokalisationen stetig der phonetischen Struktur der Zielsprache anzunähern (Kauschke 2012).
SAEVDR Nathani et al. (2006) entwickelten das Stark Assessment of Early Vocal Development (SAEVD-R) zur Darstellung von fünf Ebenen der vorsprachlichen Entwicklung bei Kindern zwischen 0 und 20 Monaten (ausführlicher s. Lang et al. 2009). Das SAEVD-R umfasst insgesamt 23 Vokalisationstypen, um die Lautäußerungen von Säuglingen und Kleinkindern zu charakterisieren und zu klassifizieren. Vokalisationstypen können beim individuellen Kind jedoch auch früher oder vereinzelt auch später auftreten. Im Folgenden wird daran angelehnt die expressive phonetische Entwicklung von Kindern im ersten Lebensjahr kurz dargestellt.
■ Reflexartige Lautäußerungen (Geburt bis zweiter Monat): In der Phase der reflexartigen Lautäußerungen der Lautentwicklung geben Kinder vegetative Laute von sich (z. B. Schmatzen, Niesen oder Husten) oder sie schreien und drücken durch Laute ein Unbehagen aus (Nathani et al. 2006). Weiterhin lassen sich Protophone (Gurrlaute, Lalllaute) finden, die einzeln oder in einer Serie vorkommen (Fox-Boyer / Schäfer 2015).
■ Phase der Kontrolle der Phonation (erster bis vierter Monat): In dieser zweiten Phase stehen weiterhin Protophone im Vordergrund der Produktion. Auf dieser Ebene sind es aber isolierte oder in Serie produzierte voll-resonante Lautkerne wie vokalartige Laute mit Variation in ihrer Tonhöhe / Frequenz. Die Lautäußerungen des Kindes erscheinen nun im Rahmen einer beginnenden, willentlichen Kontrolle über den Vokalisationstrakt. In dieser Phase treten auch erstmals Verschlüsse, Konsonanten wie [m, n], Glucksen und tönendes Lachen auf, wobei Letzteres mit ca. vier Monaten beginnt.
■ Phase der Expansion (dritter bis achter Monat): In diesem Alter produzieren die Kinder nun isolierte Vokale und Vokale in Serie, die vergleichbar mit den Vokalproduktionen Erwachsener sind. Es erfolgt ein Experimentieren mit Tönen, z. B. Quietschen, vokalische Gleitlaute mit Veränderung der Vokalqualität, inspiratorische Lautbildung (bei Einatmung) und Variationen in der Lautstärke. Es können erste marginale Lallversuche verzeichnet werden (Nathani et al. 2006).
■ Phase des kanonischen Lallens (fünfter bis zehnter Monat): Es ist davon auszugehen, dass diese Phase als Prädiktor für spätere Aussprache- bzw. Sprachentwicklungsstörungen angesehen werden kann (Fox-Boyer / Schäfer 2015). Bei der Entwicklung von einfachen kanonischen Silbenrealisationen kommt es zu Einsilbern, Zweisilbern und kanonischen Silbenketten. Das kanonische Lallen kann durch die Aneinanderreihung gleicher oder unterschiedlicher CV-Silben charakterisiert sein.
■ Phase der weiterentwickelten Formen (neunter bis 18. Monat): In der Phase der weiterentwickelten Formen treten nun vermehrt Diphthonge, wie [ai, oi, au], sowie komplexe Silben auf. Als drittes Merkmal treten multisyllabische Ketten mit gleichbleibenden Intonations- und Betonungsmustern (VCVCV, VCVCCVCV) auf (kanonischer Jargon). Nachweislich besteht ein Zusammenhang zwischen dem motorischen Training des Lallens und der Fähigkeit, Wörter zu produzieren.
1.5 Expressive phonetisch-phonologische Entwicklung (> 1 Jahr)
Das Kind hat in den ersten Monaten seines Lebens seine Phonation und frühe Artikulation ausprobiert und mehr und mehr verfeinert. Jetzt, in der Phase der sprachlichen Entwicklung, muss es diese Einheiten in einem übergeordneten System organisieren, um Bedeutungen auszudrücken und zu differenzieren. Die einsetzende phonologische Entwicklung hängt demnach untrennbar mit der semantisch-lexikalischen Entwicklung zusammen. Es besteht eine direkte Verbindung zwischen dem Phonologieerwerb und dem Erwerb von Wortformen als Teil des Lexikonerwerbs (Fox-Boyer et al. 2014a). Diese Phase der sprachlichen Entwicklung beginnt mit dem Stadium der ersten Wortproduktionen im Alter von neun bis 15 Monaten.
Wortproduktion Nach Mogharbel / Deutsch (2007) kann eine kindliche Vokalisation erst dann als Wort bezeichnet werden, wenn sie „eine relativ stabile phonetische Form [aufweist], die einem Modellwort einigermaßen ähnlich ist und die wiederholt in einem bestimmten Situationskontext geäußert wird“ (Mogharbel / Deutsch 2007, 24). Die phonologischen Strukturen dieser ersten Wörter entsprechen in ihrer Form sowohl im Hinblick auf die bevorzugten Laute als auch auf die Strukturen (CV, CVCV oder CVC) den vorherigen kanonischen Lalläußerungen (Fox-Boyer / Schäfer 2015).
Zum normalen Erwerb des phonologischen Systems im Deutschen existiert bisher nur eine überschaubare Anzahl von Untersuchungen, die teilweise aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns, Beschreibungskategorien und Interpretationskriterien nur bedingt vergleichbar sind. Tabelle 1 stellt die publizierten deutschsprachigen Studien (N > 20) dar.
Autor | N | Alter | Untersuchte Strukturen |
Möhring (1938) | 2102 | Ø 7;6 | Phon- und Phonem-Inventar |
Grohnfeldt (1980) | 312 | 3;0 bis 6;0 | Phonem-Inventar |
Fongaro-Leverin (1992) | 24 | 2;1 bis 5;0 | Phonologische Prozesse |
Romonath (1991) | 34 | 5;4 bis 6;7 | Phonologische Prozesse |
Fox/Dodd (1999) | 177 | 1;6 bis 5;11 | Phon- und Phonem-Inventar PCC, PCI Konsonantenverbindungen: Erwerbsalter und Reduktionsmuster Phonologische Prozesse |
Fox-Boyer (2005) | 423 | 2;0 bis 5;11 | Phonologische Prozesse |
Schäfer/Fox (2006) | 30 | 2;0 bis 2;11 | Inkonsequenzrate |
Fox-Boyer (2014) | 717 | 2;0 bis 5;11 | Phonologische Prozesse |
Fox-Boyer (2016a) | 246 | 2;6 bis 3;11 | Anzahl phonologischer Prozesse und Einzelabweichungen |
Kubaschk/Fox (2015) | 77 | 2;5 bis 3;11 | Stimulierbarkeit von Phonen |
Schäfer/Fox-Boyer (2016) | 145 | 2;0 bis 2;11 | Initiale Konsonantenverbindungen PCCCa, PCCCp, Erwerbsalter, Reduktionsmuster |
Fox-Boyer/Neumann, C. (2016) | 427 | 2;0 bis 4;11 | Initiale Konsonantenverbindungen PCCCa,p, Erwerbsalter, Reduktionsmuster |
1.5.1 Phon-Erwerb
Im Rahmen des phonetisch-phonologischen Erwerbs müssen Kinder, die mit deutscher Muttersprache aufwachsen, insgesamt 24 Konsonanten [p b m f v t d s z n l r ʃ ç j k g x ŋ ʁ h? pf ts] und 16 Vokale [a e i o u y ø æ ɛ ɪ ɔ ʊ ʏ au aɪ ɔɪ] (bezogen auf das Hochdeutsche nach Grassegger 2015) erwerben. Das Kind durchläuft motorische Reifungsprozesse, die ihm immer differenziertere Artikulationsbewegungen ermöglichen (Fox-Boyer et al. 2014a). Im Folgenden sollen Daten zur Fähigkeit, einen Laut isoliert artikulatorisch korrekt zu bilden (phonetische Ebene), dargestellt werden.
Konsonanten In der Studie von Fox / Dodd (1999) wurden dazu zwei alternative Kriterien verwendet. Es wurde betrachtet, wann einzelne Laute / Phone von 75 % der Kinder einer Altersgruppe mindestens zweimal korrekt produziert wurden und das Phon somit als erworben galt (unabhängig davon, ob der Laut an korrekter Stelle gebildet wurde). Das zweite Kriterium setzt die gleichen Bedingungen voraus, aber zu 90 %. Fox / Dodd (1999) konnten deutlich zeigen, dass die Mehrzahl der Konsonanten schon sehr früh erworben wird und demnach im kindlichen phonetischen Inventar enthalten ist. Ein signifikanter Unterschied zwischen Jungen und Mädchen wurde nicht festgestellt.
Bei Betrachtung des 90 %-Kriteriums können mit 2;11 Jahren alle Phone bis auf / j / , / ŋ / , / ʃ / und / ç / als erworben gelten (Abb. 1).
25 bis 40 % der Kinder zeigten einen Sigmatismus interdentalis oder Sigmatismus addentalis als eine phonetische Variation der Phoneme / s / , / z / und / ts / durch konstante Realisation als [θ, ð, tθ] (Fox-Boyer / Schäfer 2015).
Zu beachten ist allerdings, dass es sich hier um eine kleine Stichprobe pro Altersgruppe handelt, so dass diese Daten nicht als verlässlich gelten können. Des Weiteren wurden diese aus der spontanen Wortproduktion abgeleitet. Die Studie von Kubaschk et al. (2015) konnte zeigen, dass bereits im Alter von 2;5 bis 3;11 Jahren alle Phone des Deutschen bei fast allen untersuchten Kindern (N = 77) stimulierbar waren, so dass davon auszugehen ist, dass die phonetische Produktionskompetenz bereits früher vorhanden ist als sich das auf Wortebene zeigt.
Vokale Das hochdeutsche Vokalsystem umfasst 17 Monophthonge und drei Diphthonge, wobei vier zusätzliche Diphthonge durch die postvokalische Realisierung [ɐ] des / ʁ / entstehen: / ɛɐ / , / ɔɐ / , / ɶɐ / , / oɐ / .
Fox / Dodd (1999) untersuchten in ihrer Studie Vokalfehler der deutschsprachigen Kinder (N = 117). Sie belegten in der Altersgruppe von 1;6 bis 2;11 Jahren eine Vokalfehlerrate von 3 %, während diese in der Altersgruppe 3;0 bis 4;11 Jahre auf eine Fehlerrate von 1 % absank. Hierbei waren weniger Monophthonge als Diphthonge betroffen. Diese wurden zu mehr als zwei Drittel auf ihr erstes Element reduziert. Nach Lleó et al. (2003) erwerben Kinder (1;3 bis 2;6 Jahre) erst spät den Schwa-Laut / ə / , was auf dessen reduzierte Merkmalsspezifikation und auf sein gehäuftes Auftreten in unbetonten Silben, die nicht so gut wahrgenommen und verarbeitet werden können, zurückzuführen sei (Stoel-Gammon / Pollock 2008).
1.5.2 Phonem-Erwerb
Fox-Boyer (2016a) definiert ein konsonantisches Phonem als erworben, wenn es von einem Kind mindestens in zwei Drittel aller Auftretensmöglichkeiten (z. B. in einem Benenntest wie PLAKSS-II, Fox-Boyer 2014a) korrekt realisiert wird.
Abbildung 2 zeigt, welche Phoneme bis zum Alter von 4;11 Jahren dem in Kapitel 1.5.1 erklärten 75 %- und 90 %-Kriterium entsprechend erworben sind. Es konnte, wie beim phonetischen Inventar, erneut kein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen konstatiert werden (Fox-Boyer 2016a).
Die Ergebnisse der Studie von Fox / Dodd (1999) bestätigen die allgemeine Erwerbsreihenfolge:
■ Plosive und Nasale werden vor Frikativen erworben.
■ Stimmlose Phoneme werden vor stimmhaften Phonemen erworben.
■ Anteriore Phoneme (Labiale und Coronale) werden vor velarer Einzelkonsonanz erworben.
■ Einzelkonsonanz wird vor Mehrfachkonsonanz erworben.
phonetisches vs. phonemisches Inventar Wenn man den Erwerb des phonetischen Inventars mit dem phonemischen Inventar (auf der 75 %-Ebene) vergleicht, fällt auf, dass es Laute [m n p b t d] gibt, die sehr früh im Alter von 1;6 bis 2;5 Jahren gleichzeitig phonetisch und phonemisch erworben werden. Dieser gleichzeitige Erwerbseffekt gilt ab dem Alter von 2;6 Jahren auch für die Laute [j ŋ ʁ x ʃ]. Weiterhin können Laute zusammengefasst werden, die zwei bis drei Altersgruppen vor dem phonemischen Erwerb phonetisch erworben werden, wie [v f l g k h ç pf]. Eine letzte Gruppe bilden Laute, die phonemisch bis zum Alter von 6;0 Jahren erworben werden, jedoch nicht phonetisch: [s z ts] (Fox-Boyer 2016a).
1.5.3 Erwerb der Konsonantenverbindungen
Konsonantenverbindungen im phonologischen System von Kindern sind aufgrund ihrer Komplexität wesentlich anfälliger für Realisationsabweichungen als einzelne Konsonanten. McLeod et al. (2001) beschreiben als universell zu betrachtende Entwicklungstrends beim Erwerb von Konsonantenverbindungen auf der Grundlage eines Literaturreviews. Der Erwerb der Konsonantenverbindungen erfolge nach einer bestimmten Entwicklungssequenz und scheine sich graduell zu vollziehen. Es treten hierbei Reduktionen und Vereinfachungen von Konsonantenverbindungen auf. Es bestehe trotzdem die Annahme einer Kombination universeller Trends und individueller Variabilität als Kernmerkmal phonologischer Entwicklung. Kinder würden in der Regel Konsonantenverbindungen zunächst auf ein Element reduzieren (McLeod et al. 2001).
Konsonantenverbindungen mit Plosiven (z. B. / pl, bl, kʁ / ) würden tendenziell vor Konsonantenverbindungen mit Frikativen (z. B. / fl, fʁ, ʃm / ) erworben.
Bernhardt / Stemberger (1998) postulieren wortinitiale Obstruent-Liquid-Verbindungen als erste Konsonantenverbindungen bei Kindern.
Für den Erwerb der Konsonantenverbindungen im Deutschen führt Fox-Boyer (2016a) aus, dass Konsonantenverbindungen bestehend aus einem Plosiv oder / f / + 2. Element in der Regel vor Konsonantenverbindungen bestehend aus / ʃ / + Kontinuum / Plosiv / Nasal erworben werden. Die erhobenen Langzeitdaten von Schäfer / Fox-Boyer (2016a) an sechs Kindern zeigen, dass alle Kinder am Ende des dritten Lebensjahres fast 100 % aller deutschen Konsonantenverbindungen in ihrer Struktur und auch mit der korrekten Lautproduktion erworben hatten. Hierbei wurden jedoch Vor- und Rückverlagerungen von / ʃ / innerhalb eines / ʃ / -Clusters (z. B. [sl]) auch als korrekt gewertet. Aktuelle Daten aus einer deutschen Studienanalyse von Fox-Boyer (2016a)Fox / Dodd 1999Schäfer / Fox-Boyer 2016