Endlich zuhause. Ich ziehe meine Schuhe aus, hänge meine Jacke auf, und räume schwerfällig noch ein wenig auf. Nach einem langen Arbeitstag brauche ich heute nichts mehr, nachdem ich auch noch Überstunden machen musste, weil so viele Kollegen krank sind.
Ich bin müde. So verdammt Müde! Wenn es mach mir ginge, läge ich jetzt schwitzend an einem Strand in Malibu, und würde einen Cocktail schlürfen und die Sonne auf meine viel zu helle Haut scheinen lassen. Einfach nur die Seele baumeln lassen und nichts tun. Aber das sind alles nur Träume. Träume und Illusionen. "Willkommen in der Realität", grummle ich vor mich hin, stapfe wütend in meine viel zu kleine Küche und schreie dabei lauter als beabsichtigt auf. "Verdammte Scheisse", entfährt es mir, während ich mir meinen schmerzenden Fuß reibe und ein kleines spitziges Legoteil aufhebe.
"Ich liebe meine Kinder, ich liebe meine Kinder", singe ich und versuche den aufkeimenden Ärger hinunter zu schlucken.
Zwei Kinder nahezu alleine groß zu ziehen ist schon nicht leicht. Besonders zwei Jungs! Dabei hätte alles so schön sein können. Ich schüttele, noch verärgerter als eben gerade den Kopf und will gar nicht erst in Erinnerungen schwelgen. Was nützt es die Vergangenheit immer wieder hervor zu holen? Gar nichts, außer bitteren Schmerz. Schmerz, den ich nicht mehr fühlen will verdammt nochmal.
Unsere Wohnung ist klein, aber gemütlich. Wir haben doch alles was wir brauchen oder? Meine beiden Jungs gehen zur Schule und ich halte uns mit zwei Jobs über Wasser. Natürlich können wir keine großen Sprünge machen, aber das Geld für die Miete und anständige Mahlzeiten ist wenigstens immer vorhanden.
"Mami was gibt es heute zu essen?", ertönt die Stimme meines jüngsten Sohnes. Ich habe David gar nicht kommen hören, so sehr war ich in meine dunklen Gedanken versunken. Er ist 7 Jahre alt und ein ziemlicher Wildfang. Und er hat die Angewohnheit überall seine Sachen liegen zu lassen, inklusive kleiner spitzer Legoteile, die mich nun wieder in die Realität zurück holen und mich an meinen schmerzenden Fuß erinnern. "Solltest du das nicht besser mal schnell aufräumen, mein lieber?" frage ich ihn in leicht mütterlicher Strenge, ohne auf seine Frage einzugehen. Er grinst schelmisch. Das tut er immer. Es macht mich manchmal rasend. Natürlich zeige ich ihm das nicht. Er grinst immer noch. "Sorry Mama." Er stapft davon und nimmt das Lego teil mit.
Wann wird er es endlich lernen, mal Ordnung zu halten? Ich breche mir irgendwann noch den Hals. Ganz zu schweigen von einer Freundin, die David zweifellos irgendwann mal haben wird. Sie muss vorgewarnt werden. Ich beschließe ein Schild für Davids Zimmertür zu basteln, auf dem geschrieben steht: "Vorsicht stolperfallen. Betreten auf eigene Gefahr!" Bei dem Gedanken muss ich Lächeln, meine Laune bessert sich ein wenig, ich habe den Schmerz im Fuß fast vergessen, und überlege bereits was ich kochen soll. Dennis, mein großer kommt sicher auch gleich nach Hause und wird riesigen Hunger haben. Er ist 14 Jahre alt und steckt voll in der Pubertät. Ich kann froh sein, wenn ich anständige 3 Wort Sätze von ihm zu hören bekomme. Mir wurde erklärt, dies sei normal für Jungs in seinem Alter. Also brauche ich ihn auch nicht fragen, was er gern essen würde. Als Antwort bekäme ich ein Schulterzucken, und ein genuscheltes "mir egal".
Seufzend stelle ich mich in meine kleine Küche. Sie ist wirklich klein, alles ist aus alten Hängeschränken in weiß und Mokkabraun zusammen gewürfelt. Egal, es ist zweckmäßig und solange die Schränke nicht auseinander fallen, bleiben Sie. Etwas anderes ist finanziell auch nicht machbar. Hoffentlich kommen irgendwann einmal auch wieder bessere Zeiten. Im Moment aber scheinen wir davon noch weit entfernt zu sein.
Ich beschließe eine leckere Lasagne zu machen. Das schmeckt uns allen. Während ich alles für die Lasagne vorbereite, höre ich die Wohnungstür auf und zugehen. Dennis kommt nach Hause.
Es ist ein schönes Gefühl, wenn die Kinder jeden Tag gesund und wohlerhalten nach Hause kommen, egal wie stressig der Tag auch war und noch sein wird. Eine Mutter macht sich Sorgen. Auch ich. Ich werde mir immer Sorgen machen. Das liegt einfach in unserer Natur.
"Hi mein Großer", begrüße ich ihn lächelnd, als er sich ein Glas Wasser eingießt. "Wie war dein Tag?"
"Ganz okay", meint er schulterzuckend, verlässt die Küche, und geht direkt in sein Zimmer.
Er hat immerhin mit mir gesprochen. Ja, ich habe eine Antwort von ihm erhalten. Wenigstens etwas. Ich kann froh sein, wenn ich eine Antwort bekomme. Vielleicht liegt es aber auch an..... Ehe ich weiter drüber nachdenken kann, klingelt das Telefon. Ich schiebe schnell die Lasagne in den Ofen und laufe hastig zum Telefon. Anhand der Nummer erkenne ich schon, das er es ist. Soll ich überhaupt ans Telefon gehen? Wenn ich den Anruf aber jetzt ignoriere, probiert er es sowieso noch 20 weitere Male.
"Hallo?" melde ich mich so sachlich und neutral wie möglich, als hätte ich überhaupt nicht nachgesehen, wer da überhaupt anruft.
"Hi Baby", raunt die Stimme mir ins Telefon. "Ich wollte mich erkundigen, wie es meinen Lieblingsmenschen geht" fährt er mit kratziger Stimme fort.
Augenblicklich wird mir schlecht, ja sogar kotzübel.
"Oh, also mir geht es super. Es ist natürlich nicht so, das ich todmüde bin, seitdem ich zwei Jobs, zwei Kinder und die Wohnung versorge. Den Kindern geht es auch gut, falls es Dich interessiert. Vielleicht würde es uns allen noch besser gehen, wenn du endlich mal Zuhause sein würdest" flöte ich betont fröhlich. "Mach dich jetzt nicht lächerlich. Nicht schon wieder. Du weißt, ich muss das tun. Für uns. Damit es uns wieder besser geht", gibt er barsch zurück.
Ich schlucke bittere Galle herunter, mein Magen dreht sich schmerzlich um und lache hämisch. Er ist nicht mehr der Mann, den ich kennen und lieben gelernt habe.
Mir war Reichtum und viel Geld nie wichtig. Glücklich sein, das wollte ich. Mein Mann hatte einen normalen, sicheren Job als Elektriker und durchschnittlich verdient. Aber ich hatte ihn und das hat mir gereicht. Er sieht gut aus, hat mich immer auf Händen getragen und ich habe ihn geliebt. Seitdem er aber in dieser dubiosen Firma angefangen hat, ist alles anders geworden. Wobei ich noch nicht einmal weiß, was sie genau machen. Ich weiß bisher nur, das er nun auf Montage ist und manchmal monatelang nicht Zuhause ist. Das schlimmste daran ist, das er sich auch manchmal wochenlang nicht meldet. Aber er hat uns mehr Geld versprochen, daran habe ich geglaubt. Davon haben wir allerdings noch nichts gesehen.
"Dann sag mir doch endlich mal, wo all das Geld ist was du verdienst. Sag es mir Michael! Du weißt, mir war das nie wichtig. Aber so langsam sollten wir auch endlich etwas davon zu sehen bekommen, findest du nicht?" gebe ich jetzt ebenso messerscharf zurück, blicke mich aber zugleich erschrocken um. Die Kinder sollen den Streit nicht mitbekommen. Die gesamte Situation ist für uns alle schon schwer genug. Aber ich bin allein. Gott sei dank. It‘s Showtime.
Michael stöhnt schwer ins Telefon. Natürlich ist er wieder einmal genervt von nur einer einzigen Frage. Wie kann er genervt sein? Wir haben uns mehr als fünf Monate lang nicht gesehen und zuletzt vor über zwei Wochen miteinander telefoniert.
"Das habe ich dir auch schon mehrmals erklärt. Ich bekomme das nötigste für meine Verpflegung. Das Hotel wird mir bezahlt und die neue Firma muss erst richtig anlaufen und dann werde ich auch großzügig dafür bezahlt", schreit er mir ins Telefon.
Wen will er eigentlich verarschen? Genau mich. Und das schon seit fast zwei Jahren. Wieso sind wir eigentlich noch verheiratet? Warum lasse ich das alles noch mit mir machen? Ist es Liebe, oder meine verdammte Dummheit?
"Aha! Eine Firma braucht also verdammte scheiß zwei Jahre um in Gang zu kommen? Möchtest du mir endlich davon erzählen? Das scheinen ja sehr komplexe Projekte zu sein, woran ihr arbeiten müsst" antworte ich ihm sarkastisch. Ich bin es so leid, das ganze noch zu ertragen.
"Ich kann nicht darüber sprechen" meint er dann und seine Stimme klingt sehr gestresst. Ich atme tief durch. Es bringt ja nichts. Ich bin verheiratet und doch alleinerziehend. "Wann kommst du mal wieder nach Hause?" frage ich schließlich, weil ich auf diese Art Konversation einfach keine Lust mehr habe. Zeit zum wütend sein und zum heulen habe ich später noch genug. "Bald", verspricht er jetzt sanfter als eben noch. "Sag unseren Jungs das ich sie lieb habe." Und plötzlich klickt es in der Leitung. Er hat aufgelegt. Einfach so. Kein Tschüss, kein Ich liebe Dich. "Elender Scheisskerl", fluche ich außer mir vor Wut und spüre, wie sich wieder einmal Tränen des Zorns in meinen Augen ansammeln.
"War das Papa?" Ich drehe mich langsam um und sehe David mit besorgten und zugleich traurigen Gesicht vor mir stehen. Scheisse, Scheisse, scheisse. Verfluchter Mist! Ich wollte das doch vermeiden. "Ja das war Papa. Er sagt, das er bald nach Hause kommt. Ich soll dich ganz lieb von ihm grüßen, und dir sagen, das er dich lieb hat."
"Warum sagt er mir sowas denn nicht selbst?" fragt David mich offen, wie es ihm eben einfällt. Er trägt sein Herz auf der Zunge, das liebe ich so sehr an ihm. Wie ich alles an ihm liebe. "Er hatte wenig Zeit mein Liebling wegen der Arbeit, deshalb konnte er nicht lange telefonieren. Aber Er hat auch versprochen, bald wieder anzurufen."
David nickt langsam, ich umarme ihn und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn. Aber er glaubt mir nicht. Ich spüre das. Er ist nicht blöd. Er ist sogar äußerst Intelligent. Und wieder einmal verfluche ich mich innerlich. Ich habe mir geschworen, meine Kinder nie zu belügen. Es reicht doch schon, wenn ich mich selbst ständig belüge. Aber sollen meine Kinder wirklich eine solche Last tragen? Mit mir tragen? Ich bin ihre Mutter, verdammt nochmal! Ich muss sie beschützen. Und hiermit fasse ich einen Entschluss. Wenn Michael das nächste mal nach Hause kommt, wird er mir Rede und Antwort stehen müssen. Ich war lange genug die naive kleine Ehefrau, die das geduldet hat. Diesmal nicht mehr. Ich spüre, das etwas faul ist. Sonst kann er wieder gehen und braucht nie mehr wieder zu kommen. Jawohl, ich schaffe das. Ich bin 32 Jahre alt. Komm schon Mia, ermahne ich mich selber.
"Komm mein Liebling. Wir schauen mal nach dem Essen. Sicher ist es bald fertig." Und damit ist dieses Thema für heute vom Tisch. Vorerst mal
Stöhnend und innerlich fluchend stehe ich am nächsten Morgen ganz früh auf, um duschen zu gehen und mich für die Arbeit fertig zu machen. Die Pausenbrote schmiere ich, während ich selbst eine Kleinigkeit frühstücke und einen Kaffee trinke, damit ich mich halbwegs wie ein Mensch fühle. Gleich geht es wieder los für mich zur Arbeit. Früh am Morgen putze ich Büroräume, und dreimal in der Woche fülle ich in einem Supermarkt die Regale auf. Ja ich habe zwei Jobs, seitdem mein Ehemann in einer revolutionären Phase steckt und denkt das Geld käme vom Himmel herab gefallen.
Eine Ausbildung habe ich nicht abgeschlossen. Ich wurde mit Dennis schwanger, als ich 17 war. Michael war mein erster Freund und zugleich auch mein erster und einziger Sexpartner. Ja ich habe keinen Vergleich, aber es war alles einfach zu gut. Der Sex war gut, der Mann war gut, alles war gut. Während meiner Schwangerschaft haben wir dann geheiratet und waren glücklich. So glücklich. Wir schwebten quasi in einer Art Paralleluniversum. Nichts und niemand konnte uns etwas anhaben.
Deshalb war es für mich auch selbstverständlich, nach Dennis Geburt zuhause zu bleiben, um mich voll und ganz auf seine Erziehung konzentrieren zu können. Als dann noch David auf die Welt kam, schien das Glück perfekt zu sein. Wir hatten nie übermäßig viel Geld, aber das was wir hatten reichte vollkommen aus, um uns zu versorgen.
Ich seufze und schüttele diese Gedanken wieder einmal ganz schnell ab. Darin bin ich ziemlich gut geworden. Im Verdrängen. Keine Emotionen zeigen. Im Grunde genommen bin ich richtig abgestumpft. Außer bei meinen Jungs, Sie sind mein ganzer Stolz. Morgens bewege ich mich immer sehr leise, um niemanden zu wecken, schließlich muss ich um fünf Uhr morgens das Haus verlassen, während meine Jungs um sechs Uhr aufstehen müssen. Jeden Morgen klingelt unsere Liebe, nette Nachbarin an unserer Tür und sieht kurz nach, ob es den beiden gut geht, ob sie wach sind und sich für die Schule fertig machen. Was würde ich nur ohne Sie machen? Sie ist 65 Jahre alt und ein echter Schatz. Ich bin mir auch sehr sicher, das sie gern mehr für uns tun würde, doch das lehne ich kategorisch ab. Nein nicht aus verletztem Stolz, sondern aus Respekt. Sie ist auch nicht mehr die Jüngste, und sollte ihren Lebensabend in Ruhe verbringen dürfen.
Auf geht’s denke ich mir, ziehe die Tür ganz sacht hinter mir zu, laufe in die Tiefgarage zu meinem Auto und steige schwerfällig ein. Auf in einen neuen, trostlosen Tag. Ich atme tief durch, drehe den Zündschlüssel um und fahre los zur Arbeit.
„Guten Morgen Mia“ begrüßt Jenny mich fröhlich und lebensfroh wie immer. Jenny ist meine Arbeitskollegin. Sie ist im genauso alt wie ich, und das krasse Gegenteil von mir. Sie lacht immer, auch wenn die Situation noch so stressig oder traurig ist. Sie ist groß und wunderschön, hat lange blonde Haare, fast bis zum Hintern und eine athletische Figur. Um ihre Nase zieren sich ein paar Sommersprossen, die perfekt zu ihrem lieblichen Gesicht mit den schönen blauen Augen passen.
Ich hingegen bin etwas kleiner als Sie, habe eine breite Hüfte und braunes, sprödes Haar. Jeden Morgen ist es ein Kampf, dieses Haar zu bändigen. Und meine Figur..... Naja, Ich habe ja auch schon zwei Kinder zur Welt gebracht. Das ist die perfekte Ausrede für mich. Ich könnte schlanker sein, mein Hintern ist etwas zu dick, aber das sollte mich ja nicht weiter stören. Immerhin bin ich doch verheiratet, und der Mann an meiner Seite liebt mich so wie ich bin. Jedenfalls dachte ich das bis vor einiger Zeit noch.
"Guten Morgen Jenny", antworte ich ihr betont freundlich, aber lächelnd zurück. Bei ihr kann man einfach kaum schlechte Laune haben, da ihre Lebenslust und Fröhlichkeit ansteckend ist.
Wir schnappen uns unsere Putzwagen und beginnen die großen Büros ausgiebig zu reinigen. Nach 4 mühsamen Stunden bin ich bereits schweißgebadet und habe große Lust auf meine Badewanne zuhause. Aber das wird jetzt noch nichts. Mein Tag ist noch lang.
"Mia hast du gewusst, das "Talento" einen neuen Geschäftsführer hat?" fragt Jenny ganz plötzlich. Talento ist die Reinigungsfirma, für die Jenny und ich arbeiten. Ich weiß, das sie von Italienern geführt wird. Nicht, das ich was gegen Italiener hätte, aber Giovanni Talento hätte mich während des Vorstellungsgesprächs am liebsten selbst ausgezogen. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn ich seinen Schreibtisch nackt und anzüglich geputzt hätte. Ekelhaft war das. Ich habe das mit meiner gewohnt distanzieren, giftigen Art überspielt, und ihm ganz klar vermitteln: Lass deine schmierigen Finger von mir. Niemals würde ich für einen Job mit jemanden ins Bett steigen.
Verwundert blicke ich Jenny an, als hätte sie meine Gedanken gelesen, fährt sie fort. "Der alte Talento hatte einen Herzinfarkt, sodass Giovanni erstmal kürzer tritt und die Geschäftsführung abgegeben hat an einen...... Oh, ich weiß den Namen nicht mehr", lacht sie in gewohnter Fröhlichkeit, doch ich merke, das etwas nicht stimmt.
"Und was willst du mir jetzt damit mitteilen?" frage ich Sie sanft, aber bestimmt. Um den heißen Brei reden mag ich nicht. Besser gleich zur Sache kommen. Und ich mag kein Rätselraten. Wir sind hier ja nicht in einer Quizshow. Aber ich mag Jenny. Sie ist so lieb und ich schätze Sie sehr. Ich kann ihr jetzt nicht böse sein, oder genervt klingen. Das wäre ihr gegenüber nicht fair. Sie kann schließlich nichts für meine Probleme.
Plötzlich wird sie aber ernst, und verzieht ihr Gesicht. Oh, oh, kein gutes Zeichen. Sie ist doch sonst so fröhlich. "Ich habe gehört, das es einige Veränderungen geben soll. Arbeitsplätze sollen gestrichen werden, und viele Mitarbeiter sollen umdisponiert werden" fährt sie dann widerwillig fort.
Augenblicklich wird mir ganz heiß vor Wut, vor allem Angst. Große Angst. Nein Panik trifft es wohl eher. Ich brauche diesen Job! Und ich kann auch nicht woanders arbeiten. Ich habe Kinder, verdammt nochmal! Innerlich zwinge ich mich zur Ruhe. Das muss ja noch nichts heißen oder? Noch hat sich keiner bei mir gemeldet. Oh Scheisse! Ja ich fluche manchmal viel zu viel. Eigentlich fluche ich immer. Das hilft mir mit meiner Wut und Trauer umzugehen, die ich fühle. Seit Tagen habe ich meine Emails nicht gecheckt. Ich hatte weder Zeit noch Lust dazu. Das muss ich heute unbedingt nachholen, nehme ich mir vor.
Jenny muss meine Gedanken gelesen haben. Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich. Ach das tut gut. Und es ist ehrlich und aufrichtig.
"Ich hoffe sehr das dass keinen Einfluss auf mich hat, denn ich brauche meinen Job", flüstere ich ihr ängstlich zu. Sie nickt, hat verstanden und drückt aufmunternd meine Hand. Dabei lächelt Sie. Wie immer. Süße Optimistin. Ich gehöre ja eher zur chronisch pessimistischen Fraktion.
Schwer seufzend und deprimiert werfe ich meine gelben Putzhandschuhe in den Eimer. Es ist schlecht, wenn man nicht weiß, was passieren wird obwohl noch gar nichts passiert ist, ob das nun Sinn ergibt oder nicht. Ich habe Angst. Große Angst vor Verlust und Niederlagen. Ich muss stark sein, das bin ich meinen Kindern schuldig. Und auch mir verdammt nochmal.
"Sollen wir noch zusammen einen Kaffee trinken gehen? Den haben wir uns doch jetzt verdient, meinst du nicht?" fragt Jenny mich hoffnungsvoll. "Heute geht es leider nicht Jenny. Ich muss gleich noch einkaufen fahren und dann endlich mal wieder die Wohnung auf Hochglanz bringen." Es tut mir leid, wenn ich ihr einen Korb geben muss. Ich bin nun mal nicht mehr der gesellige Typ. Das war ich früher mal, heute nicht mehr. Immerhin habe ich sie nicht angelogen. Das würde ich niemals tun.
Ein wenig traurig und enttäuscht hakt sie nach: "Aber nächste Woche trinken wir mal einen Kaffee zusammen ja? Du arbeitest soviel. Du musst doch auch mal ein klein wenig entspannen." Ich weiß, das sie es absolut gut mit mir meint. "Na gut okay", willige ich schließlich ein. Ich kann ja nicht immer ablehnen. Freudig umarmt sie mich nochmal und ich muss lachen. "Du lachst viel zu selten", stellt sie sachlich fest. "Du solltest öfter lachen, das steht dir." Ich verdrehe gespielt theatralisch die Augen und werfe ihr meinen Putzlappen entgegen, den sie lachend auffängt.
Und plötzlich spüre und höre ich es. Ein lachen. Eine Männerstimme. Ein heißeres kratziges, männliches lachen, das verflucht sexy klingt.
Äh was? Was war das denn jetzt? Was zum Teufel.....? Seit wann finde ich eine mir völlig fremde Männerstimme sexy? Ich hab völlig andere Probleme, Herrgott. Jenny schaut mich amüsiert an. Langsam drehe ich mich um, und da steht er. Ein mir völlig fremder Mann, dessen lachen ich eben noch als sexy empfand. Ich kriege kein Wort raus. Er ist mindestens 2 Köpfe größer als ich, also sehr groß. Er ist sehr muskulös, das sieht man unter seinem eng geschnittenem Hemd. Sein braunes Haar ist perfekt gestylt und an den Seiten kurz rasiert. Wow er sieht gut aus. Nein er sieht verdammt scharf aus. Aber ich kriege immer noch kein Wort raus, obwohl ich mir immer noch die Frage stelle, wer er ist, und was er hier zu suchen hat.
Hämisch grinsend steht er vor mir. Warum grinst er denn so? Über was amüsiert er sich? Komm schon, sag doch endlich was, denn ich bringe immer noch keinen Ton heraus.
Ich blicke zu Jenny, die jetzt ebenso grinst und so langsam komme ich mir vor, wie in einer schlechten Hollywood Komödie.
"Ich hoffe, Sie wollen mich nicht auch mit einem Putzlappen bewerfen?", bricht er endlich das schweigen und grinst noch breiter, wobei sich nun eine Reihe perfekter weißer Zähne zeigt. Seine Augen sind hellgrün und wunderschön. Ja dieser Mann hat was. Aber das dieses grinsen provoziert mich.
"Das würden wir niemals wagen", erwidert Jenny lachend, und reicht diesem Mann ihre Hand. Sie stellt sich freundlich vor. "Ich bin Jenny."
"Freut mich sehr Jenny. Ich bin Alexander de Luca. Ihr neuer Geschäftsführer." Er schüttelt ihre Hand auffällig lange und grinst und grinst und grinst. Er hört einfach nicht auf. So langsam nervt mich das, aber als ich das Wort Geschäftsführer höre, erwache ich aus meiner Trance und werde plötzlich äußerst nervös. Hoffentlich merkt man mir das nicht an. "Und sie sind?" fragt er mich. Erschrocken zucke ich zusammen. "Ich heiße Mia" und schüttele diesem riesigen Kerl widerwillig die Hand. "Damit eins klar ist, ich werde niemals woanders arbeiten, außer hier und ich möchte ungern entlassen werden, da ich noch Kinder habe. Ich hoffe, sie verstehen das. Sollte ich aber eins der Opfer sein, so teilen Sie es mir bitte sofort mit, damit ich mich auf die Suche nach einem neuen Job machen kann" sage Ich trotzig und schroff und verschränke die Arme vor meiner Brust.
Jenny starrt mich entgeistert an, während Alexander in schallendes Gelächter ausbricht und den Kopf auf meine Schulter legt. Gott ist dieser Typ aufdringlich. "Was bitte ist so witzig?" gifte ich ihn an. "Ich bin eigentlich nur vorbeigekommen, um unsere Räumlichkeiten kennenzulernen und alles zu begutachten. Sie wissen schon Qualitätsmanagement", antwortet er amüsiert und zwinkert mir zu. Ich verdrehe die Augen. Was für ein Arschloch. Von wegen Qualitätsmanagement. Solche Typen kenne ich doch. Selbstgefällige Bad Boys mit angeborenem Gott Komplex. "Das ich dabei auf zwei so nette Mitarbeiterinnen treffe, wusste ich nicht" fährt er fort. Naja der letzte Satz war wenigstens aufrichtig.
Fragend schaue ich ihn an. Er scheint zu verstehen. "Es ist natürlich nicht in meinem Sinne, einer Mutter den Arbeitsplatz zu streichen" sagt er jetzt ein wenig ernsthafter. "Ich wollte mich wirklich nur mal umsehen, und auch die Gerätschaften begutachten, um zu wissen, was alles an Arbeit auf mich wartet." Jenny klatscht begeistert in die Hände. "Sie schickt ja der Himmel", flötet Sie. Ich drehe mich weg und verdrehe genervt die Augen. Muss sie sich denn wirklich immer so schnell um den kleinen Finger wickeln lassen.
"Ich wusste ja gar nicht, das der große Geschäftsführer sich selbst erhebt, um sich nach dem Qualitätsmanagement und die Mitarbeiter zu erkundigen", rufe ich noch schnell sarkastisch heraus. Nun brechen beide in Gelächter aus. "Was ist daran jetzt schon wieder so lustig?" frage ich nun richtig wütend. So langsam reicht es. "Normalerweise haben Geschäftsführer dafür Assistentinnen. Und diese sind sowieso nur darauf aus, den Boss zu vögeln und interessieren sich nicht im Geringsten für die Mitarbeiter, Gerätschaften, oder Räumlichkeiten."
Das sitzt! Ich schlage mir mit der Hand auf die Stirn. Was hab ich denn da gerade gesagt? So bin ich doch sonst nicht. Ja ich bin keine einfache Frau und ziemlich sarkastisch, aber so doch nicht? Sofort tun mir meine Aussagen leid. Und zum ersten Mal lächelt Alexander nicht mehr. Er ist sauer. Ja sogar richtig wütend. Ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten.
Verdammte Scheisse. Er kommt zwei Schritte auf mich zu, stoppt dann aber. "Sag bitte nie wieder, das mich die Firma nicht interessiert. Und Vorurteile kann ich überhaupt nicht leiden. Ich bin Alexander de Luca, der Neffe von Giuseppe Talento. Giovanni ist mein Cousin. Ich kenne mein Fachgebiet besser als manch anderer, möchte mich aber selbst von allem überzeugen. Und ich brauche auch niemanden, der mir meinen Kaffee bringt, meinen Smoking bügelt oder mich hin und her chauffiert. Das kann ich alles auch gut alleine, liebe Mira."
Autsch! Oh Gott, wo ist nur das nächste Erdloch in das ich mich verkriechen kann? Und warum nennt er mich Mira? "Ich heiße Mia", presse ich unfreundlich mit zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Tja, ich kann es nicht leiden, wenn man mich verurteilt, ohne das geringste von mir zu wissen, und Du kannst es wohl nicht leiden, wenn man dich bei falschen Namen nennt, nicht wahr Mia?"
Sind wir jetzt auch noch beim Du? Wie lange hab ich jetzt geträumt, das ich dass verpasst habe? Ach egal. Er ist und bleibt ein Arschloch, das habe ich jetzt gerade so beschlossen, und das bleibt auch so. Basta!
"Kommen Sie bitte, ich zeige Ihnen alles", sagt Jenny nach wie vor sehr freundlich. Jetzt bin ich ihr sehr dankbar, denn sie entschärft die Situation. "Es gibt viele Dinge, die wir brauchen könnten. Insbesondere neue Putzlappen, Wischmöppe und Reinigungsmittel. Es ist nicht mehr alles auf dem neuesten Stand und das erschwert uns das Arbeiten oft enorm." Alexander hört ihr aufmerksam zu, nickt und blickt aber immer wieder zu mir herüber. Ich nehme mir meine Tasche und stolziere in Richtung Tür. "Bis morgen Jenny", verabschiede mich, schlüpfe so schnell ich kann nach draußen und laufe zu meinem Auto.
Im Auto sitzend atme ich erleichtert auf, fühle mich aber nicht so. Was ist nur los mit mir? Normalerweise sind mir Männer total gleichgültig. Warum habe ich mich nur so provozieren lassen? Aber hat er mich überhaupt provoziert? Oder wollte er wirklich nur nett sein? Scheißegal, für so einen Mist habe ich keine Zeit. Ich hab einen Ehemann, der nicht da ist und zwei Kinder. Und warum mache ich mir solche Gedanken? Er ist nur mein Chef. Ich sehe ihn sowieso nicht mehr wieder.
Kopfschüttelnd halte ich am nächsten Supermarkt, erledige schnell meinen Einkauf und fahre nach Hause. Dort gibt es genug zu tun, was mich wieder perfekt ablenkt.
Erleichtert lasse ich mich vier weitere Stunden später auf das Sofa plumpsen. Das habe ich mir jetzt verdient. Dennis hat mir eine SMS geschickt, das er nach der Schule noch zu einem Freund geht. Das war okay für mich. Er soll Spaß haben. Er ist viel zu oft Zuhause und zieht sich in sein Zimmer zurück. David kam pünktlich nach der Schule nach Hause, dann haben wir gegessen. Er hat daraufhin seine Hausaufgaben gemacht und ich habe die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt. Schränke ausgemistet, Wäsche gewaschen, gebügelt und gefaltet, Staub gewischt, und die Böden ordentlich durch geschrubbt. Jetzt ist alles wieder blitzeblank sauber und ich konnte meine Wut auslassen. Stress abbauen. Aber auf wen habe ich nur solche Wut? Auf Jenny? Alexander? Nein nein, Sie beide sind nur mein Ventil zum Wut abbauen gewesen und mich packt das schlechte Gewissen. Das eigentliche Problem ist Michael. Ich hoffe, er kommt endlich bald wieder nach Hause. Was das auch ist, es muss endlich ein Ende nehmen. Ich halte das nicht mehr aus, ich gehe daran noch zugrunde. Wild zappe ich durch die Kanäle, aber ich kann mich sowieso nicht aufs Fernsehprogramm konzentrieren. In diesem Moment steht Dennis im Wohnzimmer. Ich habe ihn nicht mal kommen hören, so sehr war ich wieder in meinen Gedanken versunken. "Hi großer." Ich freue mich ihn zu sehen, zeige ihm das auch und schenke ihm ein strahlendes Lächeln. "Hast du Hunger?"
"Hab schon gegessen", murmelt er und geht in sein Zimmer. Ich seufze. Je länger sein Vater weg ist, desto schlimmer wird es mit ihm. Ich könnte ihm ja jetzt hinterher gehen, aber das würde nichts bringen. Ich bekäme keine Antwort. Er macht dicht. Und augenblicklich bin ich noch wütender. Wütender als jemals zuvor. Und jetzt kommen die Tränen. Hemmungslos weine ich in ein Sofakissen, schluchze und schniefe. Ich lasse mich total gehen, aber das ist mir jetzt egal. Ich brauche das jetzt.
Plötzlich streichelt eine Hand meinen Kopf. Ganz behutsam. Erschrocken fahre ich mit dem Kopf nach oben und sehe Dennis. Ausgerechnet Dennis tröstet mich jetzt? Er benötigt doch Trost und Verständnis, nicht ich.
Ich fühle mich erbärmlich, richte mich blitzschnell auf und wische mir die Tränen weg. Ich versuche ihn in den Arm zu nehmen, doch er blockt ab. "Du brauchst nicht so zu tun, als ob alles okay wäre. Ich bin doch nicht blöd. Ich weiß, das Papa ein Arschloch ist, der uns im Stich lässt", sagt er kalt und. Seine Augen funkeln hasserfüllt. Eigentlich sollte ich seinen Vater jetzt beschützen und meinen Sohn zurechtweisen, solche Worte nicht zu benutzen, aber hat er nicht recht? Aber klar hat er Recht. "Ich würde dich aber gerne in den Arm nehmen", antworte ich ihm leise mit ausgebreiteten Armen. Und er erwidert die Umarmung. Wow, wann haben wir uns das letzte Mal umarmt? Viel zu schnell löst er sich aber wieder von mir und sagt, "Du musst endlich aufhören so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Ich bin kein kleines Kind mehr Mama." Ich atme tief durch. Ob ich solch ein Gespräch heute noch durchstehe? Tapfer fange ich an: "Aber ich bin deine Mutter und habe die Pflicht, das es dir gut geht und ich muss für dich stark sein, und dafür sorgen, das du glücklich bist."
"Diese Pflichten hat mein scheiss Vater auch", schießt er wütend zurück. Hat er das grade wirklich gesagt?
Nervös fahre ich mir mit der Hand durch die spröden Haare. "Ich weiß mein Liebling. Aber ich gebe mir auch die Schuld, ich bin viel zu wenig für Dich und David da, und das tut mir sehr leid. Ich würde Dir gerne versprechen, das sich dass bald ändert, aber ich kann es nicht." Mir kommen wieder die Tränen. Scheisse, nicht schon wieder. Dennis soll mich nicht schon wieder weinen sehen. Es soll ihm nicht so zur Last werden. Verbissen unterdrücke ich die aufkommenden Tränen. "Du musst mit ihm reden, sonst werde ich es tun", bestimmt er hart und wütend. "Er ist doch sowieso nie da, also kann er doch gleich ganz weg bleiben!" Dennis wird immer wütender und ich kann ihn sogar verstehen. "Sobald er Zuhause ist, mein Liebling, werde ich Tacheles mit ihm reden, das kannst Du mir glauben", versuche ich ihn zu beschwichtigen. Verdutzt schaut er mich an. "Bitte Mama, versprich mir, das du dich nicht wieder einwickeln lässt. Ich will keinen Vater, der nie für mich da ist, und meine Mutter auch nicht mehr für mich da sein kann, weil sie nur arbeitet." Ich schlucke einen riesigen Kloß hinunter nach seinen klaren Worten.
Wenn es ihm hilft, verspreche ich ihm alles. Ich habe selbst den Entschluss gefasst, das es so nicht mehr weitergehen kann. "Okay, ich verspreche es dir mein Liebling. Ich habe selbst schon darüber nachgedacht. So geht es nicht mehr weiter. Und ich suche auch schon einen anderen Job mit flexibleren Arbeitszeiten." Er zuckt nur mit den Schultern. "Wir kommen schon klar Mama. Ich passe gut auf David auf, keine Sorge." Mein Gott, ich bin so stolz auf meine Jungs. Ich gebe ihm einen sanften Kuss auf die Stirn, und er zieht sich zurück. Mehr Worte bedarf es auch nicht mehr. Jetzt fällt mir auch gerade auf, das er dass erste mal seit langem wieder richtig mit mir gesprochen hat.
Wieder keimt Wut in mir auf. Morgen rufe ich diesen Mistkerl an, und bitte ihn zu einem Gespräch nach Hause. So leicht kommt er mir jetzt nicht mehr davon.
Am nächsten Morgen läuft alles wieder genauso ab, wie jeden Tag. Aufstehen, Duschen, Anziehen, Frühstücken, Pausenbrote schmieren, Wohnung verlassen, und arbeiten gehen. Als ich bei meiner Putzstelle ankomme, ist Jenny noch nicht da, was eigentlich untypisch ist. Sie ist sonst überpünktlich. Verwundert öffne ich den Raum wo unsere Putzwagen untergebracht sind, hole meinen Wagen schon mal heraus. Ich will nicht sinnlos herum stehen und auf Jenny warten. Je schneller ich fertig werde, desto schneller kann ich auch wieder gehen. Aber ich spüre etwas. Ich bin nicht allein. Ich spüre ihn. Und sofort steigt wieder Ärger in mir auf. Aber warum denn nur?
"Guten Morgen Mia", begrüßt er mich sanft und freundlich, als er aus einem der Büros kommt. Er sieht unglaublich gut aus. Das Haar wieder perfekt gestylt. Wow, darin würde ich gern mal meine Hände vergraben und dran ziehen. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und sieht unglaublich aus. Er ist Sex auf zwei Beinen. Äh was? Warum schon wieder dieses Kopfkino? Ich spinne ja komplett und ärgere mich dermaßen über mich selbst, das ich auf der Stelle kotzen könnte. "Morgen", grummle ich etwas unfreundlicher als tatsächlich beabsichtigt. Er grinst. Ja klar, ist das was neues? Er macht mich wahnsinnig!
"Ich habe Jenny gebeten, heute eine Stunde später zur Arbeit zu kommen", erklärt er mir freundlich, und läuft wie ein Hündchen hinter mir her, als ich mir meinen Putzwagen schnappe, und in Richtung Büro stolziere.
"Und warum?" fahre ich ihn bitterscharf an. Er schaut verdutzt. Fast schon verletzlich. Irgendwie tut es mir jetzt leid. Er hat mir ja wirklich nichts getan.
"Weil ich mit Ihnen in Ruhe über ihre berufliche Situation sprechen möchte", meint völlig neutral.
Erschrocken drehe ich mich um, blicke ihn skeptisch an.
"Und was gibt es da zu besprechen?" frage ich vorsichtig. Jetzt muss ich ruhig bleiben. Jetzt geht es um meinen Job, den ich brauche und auf das Geld dringend angewiesen bin.
Er geht ein paar Schritte auf mich zu, ehe er beginnt zu erklären. "Jenny hat mir gestern ein wenig von Ihnen erzählt." Als er mein schockiertes Gesicht bemerkt, fährt er fort:
"Sie hat mir lediglich gesagt, das sie im Moment mit zwei Kindern alleine sind und zwei Jobs haben. Ist das so richtig?" Ich kann nichts sagen, ich fühle mich überfordert in dieser Situation, weil mein Chef schon so viel über mich weiß, was ich gar nicht wollte. Ich werde Jenny ordentlich den Kopf waschen.
"Mia ich bin in einer italienischen Familie aufgewachsen. Bei uns ist Familie das höchste Gut. Nichts ist wertvoller oder wichtiger. Und Kinder bedeuten uns alles. Die Zeit, die wir mit Kindern verbringen, muss besonders und intensiv sein. Man verpasst sonst so vieles, was wichtig ist."
"Haben Sie denn Kinder?" Er atmet tief durch.
"Nein, leider nicht. Ich habe vor, erst Kinder zu Zeugen, wenn ich mir wirklich sicher bin, die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Bisher hatte ich da aber leider kein Glück." Er lächelt schwach.
Jetzt bin ich völlig von den Socken. Wie kann das sein, das so ein Mann noch Single ist? Die Frauen müssen ihm doch reihenweise zu Füßen liegen. Was natürlich nicht für mich gilt, versteht sich von selbst. Als hätte er meine Gedanken gelesen, grinst er frech.
"Oh nein Mia. Ich liebe Sex, aber nur mit einer Frau die ich liebe."
Oh, okay ich glaube, ich brauche einen Stuhl. Ich sollte mich mal dringend setzen. Dieser Mann haut mich um. Mir wird ganz schwindelig, aber ich bleibe tapfer und standhaft. Er hat mir ja noch etwas zu sagen.
"Auch auf die Gefahr hin, das Sie mich jetzt hassen werden", er lacht leise und sehr verführerisch. Oh, dieses lachen. Mir wird irgendwie ganz heiß. Reiß dich zusammen Mia, verdammt nochmal!
"Ich möchte Ihnen einen Job bei mir anbieten, im Hauptbüro. Als meine Assistentin. Nein, sie müssen mir keinen Kaffee holen, das kann ich selbst. Ich brauche jemanden, der meine Termine koordiniert, ab und zu mal Briefe abtippt und auf Rechtschreibfehler korrigiert. Sie müssen nicht sofort zusagen, aber ich biete Ihnen das doppelte Gehalt, als Sie in beiden Arbeitsstellen zusammen verdienen." Puh, das muss ich jetzt erst einmal verkraften. Er bietet mir einen Job an? Taumelnd lasse ich mich auf den Schreibtisch sinken. Ich kriege immer noch kein Wort heraus, und mein Mund ist staubtrocken. Aber ich muss etwas sagen, sonst kommt er sich sicher verarscht vor.