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Sandra Todorovic

Wächter der Unterwelt 2

Das Erbe des Königs





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kirchenglocken

 

Sara

 

„Sara, kommst du endlich!", rief Granny aus dem Flur. „Wir müssen los, sonst verpassen wir die Trauung."

„Ich komme ja schon", antwortete ich genervt zurück und zog hastig meine Schuhe an. „Ohne uns fangen sie nicht an."

Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel. Die Frisur saß, das Kleid passte, ich war bereit.

Ungeduldig tippte Granny mit dem rechten Fuß. „Was hast du denn so lange getrieben?"

„Mich angezogen."

Sie öffnete die Tür und wir verließen die Wohnung.

„Granny, du solltest dringend einmal tief durchatmen", schlug ich im Aufzug vor.

Sie sah mich an, blinzelte drei-, viermal und lächelte dann. „Es ist die Hochzeit meines Sohnes, da ist es mir durchaus erlaubt, etwas nervös zu sein."

Ich lächelte zurück. „Ich weiß, aber du machst mich wahnsinnig."

„Dazu habe ich ebenso ein Recht", sagte sie, als sich die Türen im Erdgeschoss öffneten. „Ich bin deine Großmutter, deshalb darf ich dich so viel in den Wahnsinn treiben, wie mir beliebt."

„Ich wünsche eine schöne Hochzeitsfeier", sagte Mr. Garner freundlich.

Wir bedankten uns und verließen das Haus.

Granny küsste Alfred zur Begrüßung. Er war ihr Freund.

„Du siehst hinreißend aus." Er lächelte.

Und er hatte recht. Granny sah in ihrem blauen Kleid einfach umwerfend gut aus.

„Du natürlich auch, Sara."

„Danke Alfred."

Ich küsste ihn auf die Wange und stieg hinten in den Wagen, während Granny auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Alfred fuhr los.

Dad war mit Onkel Tim bereits in der Kirche. Er war sein Cousin und Trauzeuge. Da mein Vater keine Geschwister hatte, war Onkel Tim für ihn so etwas wie ein Bruder. Und zwar der verrückte, nicht für die Ehe geschaffene Bruder, der sich gerade von seiner dritten Frau Claudia scheiden ließ.

Ich sah zu, wie die Häuser an uns vorbeizogen. Die letzten Monate hatte ich mich oft gefragt, ob Dad wusste, dass Mom etwas vor ihm verbarg. So wie ich jetzt, etwas vor ihm versteckte. Ich hatte mir viele Fragen gestellt, während ich in meinem Zimmer saß, abgeschottet von der Welt.

Das vergangene Jahr hatte ich meiner Familie das Leben nicht gerade leicht gemacht. Dad hatte mich zu einer Therapie überreden wollen, was zu mehr Streit geführt hatte. Was aber das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war mein Wunsch die Schule zu wechseln. Er hatte es nicht verstanden.

Wie sollte er auch? Wie sollte ich meinem Vater erklären, dass all die Melodien in meinem Kopf einfach verstummt waren? Dass ich es nicht schaffte, meine Geige, in die Hand zu nehmen.

Nach ersten Protesten hatte er nachgegeben und mich mein Abschlussjahr auf einer anderen Schule beenden lassen. Was für mich alles umso schlimmer gemacht hatte, war Grannys Auszug. So hatte ich mich noch einsamer gefühlt, als ich ohnehin schon war. Aber ich hatte es verstanden. Sie und Alfred, ihr neuer Lebenspartner, waren nicht mehr die Jüngsten, auch wenn sie sich wie zwei verliebte Teenager benahmen, obwohl Alfred auf die 70 zuging und Großmutter auch keine 20 mehr war. Sie möchten Privatsphäre, genauso wie Dad und Lara. Wer will schon mit seiner Schwiegermutter zusammenleben.

Etwas erschrocken sah ich Granny an, als sie plötzlich vor meinem Gesicht auftauchte.

„Wir sind da, Sara."

„Oh, ja, natürlich." Vorsichtig stieg ich mit meinem Kleid aus Alfreds Wagen.

Meine Knie zitterten ein wenig, während ich die Stufen der Kirche hochlief. Ich konnte nicht sagen, weshalb ich derart nervös war, schließlich war es nicht meine Hochzeit. Nachdem wir sie betreten hatten, steuerte ich nach rechts, wo das Zimmer war, in dem sich Lara umzog. Ich war ich eine der Brautjungfern.

Granny und Alfred gingen direkt zur Tür, die zum Altar führte. Meine Großmutter lächelte, bevor sie hineinging und die Tür sich wieder schloss.

Wie ich sie vermissen würde, wenn ich im Herbst an die University of Southern California ging. Kalifornien war so weit weg und genau deswegen war es das Richtige für mich. Ich musste raus aus New York. Weg von den Erinnerungen an Dante. An alles, was geschehen war.

Und da war er wieder. Meine Gedanken drifteten in seine Richtung, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, wenigstens für diesen einen Tag nicht an ihn zu denken. Aber egal wie oft ich es mir auch vornahm, ich schaffte es nicht ein einziges Mal. Ich hoffte, dass mich das Literaturstudium davon ablenken würde, ständig mit den Gedanken bei ihm zu sein. Literatur war nicht meine erste Wahl gewesen, aber Musik, kam nicht mehr infrage.

Je näher der Tag rückte, umso klarere wurde mir, wie sehr ich meine Familie vermissen werde. Und wenn ich darüber nachdachte, dass ich vor einem Jahr, ohne zu zögern, mit Dante mitgegangen wäre, schien mir die Distanz zwischen New York und L.A nicht mehr so extrem.

Mit der Hand am Türgriff atmete ich noch einmal tief ein und wieder aus, dann trat ich ein.

„Sara." Lara lächelte. „Wir dachten schon, ihr seid im Verkehr stecken geblieben", scherzte sie.

Sie sah wunderschön aus in ihrem schlichten, trägerlosen weißen Kleid aus Seide. Es schmiegte sich elegant an ihren Körper.

Ich lächelte so gekonnt locker, wie ich es in dem Moment gerade vermochte. „Wie du siehst, haben wir es noch geschafft."

Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Ich weiß, das ist nicht leicht für dich", flüsterte sie mir ins Ohr. „Aber ich danke dir." Sie ließ mich los.

Ich mochte sie wirklich, weil sie meinem Vater guttat, weil sie aufrichtig und mir gegenüber immer ehrlich war.

„Hallo Sara, Kleines, begrüßte mich Laras Mutter und gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Hallo Susan."

Eigentlich hasste ich es, wenn sie mich ‚Kleines‘ nannte, aber ich ließ ihr die Freude daran.

Ich begrüßte Tamara, Laras ältere Schwester, und Erica, ihre beste Freundin, während Susan ihrer Tochter den Schleier aufsetzte, ihr einen Kuss gab und den Schleier über ihr Gesicht legte. Danach verließ Susan den Raum.

Draußen vor der Tür wartete Ralf, um seine Tochter zum Altar zu führen. Ich war die erste Brautjungfer, also kam mein Auftritt gleich nach dem Blumenmädchen. Die Musik ging an, die Türen öffneten sich und die Sängerin stimmte Ave Maria ein. Mein Herz klopfte unaufhaltsam gegen meinen Brustkorb, als ich hineinging und in all die lächelnden Gesichter blickte. Die paar Meter bis zum Altar kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Ich sah meinen Vater. Die Lachfalten um seinen Mund gruben sich in sein Gesicht. Die braunen Haare waren nach hinten gekämmt. Er sah gut aus in seinem Hochzeitsanzug. Vor Glück strahlend, nahm er Laras Hand, als Ralf sie ihm übergab.

Ich liebte meinen Vater und wollte, dass er glücklich war, also lächelte ich in meinem violetten Kleid, gleichzeitig versuchte ich, keinen Schweißausbruch zu kriegen.

„Wir haben uns hier versammelt", fing der Priester an, „um diesen Mann und diese Frau in den heiligen Bund der Ehe zu führen."

Ich starrte meinen Vater an, der vor Glück fast zu platzen schien. Der Priester sprach, sprach und sprach. Es schien einfach kein Ende zu nehmen.

„Ich frage Sie vor Gottes Angesicht, nehmen Sie die hier anwesende Lara Thomson als Ihre Frau an und versprechen Sie, ihr die Treue zu halten in guten und schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, sie zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod Sie scheidet?"

„Ja, ich will", antwortete er lächelnd.

„Nehmen Sie den Ring und sprechen Sie: Mit diesem Ring nehme ich dich zur Frau."

Dad hielt Laras Hand ganz zärtlich und steckte ihr langsam den Ring an den Finger. „Mit diesem Ring nehme ich dich zur Frau."

„Nun frage ich Sie, Lara, vor Gottes Angesicht, nehmen Sie den hier anwesenden Christopher Davis als Ihren Mann an und versprechen Sie, ihm die Treue zu halten in guten und schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, ihn zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod Sie scheidet?"

„Ja, ich will."

Ihre zierliche Hand zitterte ein wenig, während sie Dad den Ring ansteckte. „Mit diesem Ring nehme ich dich zum Mann."

„Wenn keiner der Anwesenden einen Grund sieht, weshalb diese zwei Menschen nicht den heiligen Bund der Ehe eingehen sollten, dann soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen."

Keiner gab einen Laut von sich.

„Ich hatte auch nichts anderes erwartet", sagte der Priester lächelnd. „Im Namen Gottes und seiner Kirche erkläre ich Sie zu Mann und Frau, Sie dürfen die Braut nun küssen."

Ich klatschte, so wie der Rest der Gäste.

Langsam verließen wir die Kirche. Über uns ertönten die Glocken. Es war ein wunderschöner, milder Spätsommertag. Solange der Fotograf Bilder von der Familie schoss, fuhren die Hochzeitsgäste ins Hotel, wo die Feier stattfand.

„Jetzt das Brautpaar mit der Tochter alleine", sagte der Fotograf.

Die anderen Familienmitglieder gingen zur Seite.

„Stellen Sie sich doch eine Stufe runter", sagte er zu mir. „Und Sie legen beide die Hand auf ihre Schulter. Das wird super aussehen."

Ihnen zuliebe lächelte ich, obwohl ich mich gerade so fühlte, als wäre ich weit weg. Und es hatte nichts mit Mom zu tun, dass ich mir verloren vorkam. Denn ich wusste, sie würde Dad wünschen, dass er wieder liebte, dass er Freude am Leben hatte. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, musste ich mir eingestehen, dass ich mir dieselbe Liebe wünschte, die sie haben. Für mich war sie aber unerreichbar.

Tausende von Malen hatte ich versucht ihn durch meine Gedanken zu erreichen. Irgendwann gab ich es einfach auf. Weil es entweder nicht funktionierte oder er es nicht wollte. Ich redete mir natürlich ein, dass es nicht funktionierte, weil er auf Atlantis war, und über die andere Eventualität wollte ich nicht nachdenken. Die andere Möglichkeit hieße, er hätte Kathlen nicht um meinetwillen geschickt, sondern um seinetwillen. Die Erinnerungen daran schmerzten mich immer noch.

 

„Dante, bitte rede mit mir. Antworte mir!", bat ich immer wieder.

Doch nichts geschah. Nur die Stille war noch in diesem Haus. Seit fünf Tagen saß ich weinend hier fest. Nach Hause konnte ich nicht. Erstens war ich eigentlich in den Ferien und zweitens schaffte ich es kaum aus dem Bett.

„Majestät?", hörte ich eine Stimme durchs Haus rufen.

Ruckartig sprang ich auf. Ich war kurz davor, wie eine Irre die Treppe hinunterzurennen, aber bevor ich um die Ecke des Flurs bog, besann ich mich wieder und lief in einem normalen Tempo. Meine Lungen zogen sich zusammen. Aufregung überkam mich. Ich holte tief Luft und trat dann einen Schritt vor.

Unten stand eine große, blonde, wunderschöne Frau in einem weißen Hosenanzug. Die schulterlangen Haare waren leicht gelockt. Als würde einem ein Engel entgegenblicken.

Ohne ein Wort ging ich die Stufen hinunter. Mein Herz hämmerte gnadenlos gegen meinen Brustkorb, als würde es gleich zerspringen. Ich hatte keine Ahnung, was ihr Besuch zu bedeuten hatte, aber sie wusste offensichtlich, wer ich war. Als ich unten ankam und in ihre kristallklaren, blauen Augen schaute, wusste ich, ihr Auftauchen hatte nichts Gutes zu bedeuten.

Ein Lächeln blitzte auf ihren Lippen auf, dann verbeugte sie sich. „Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit. Ich hätte nicht gedacht, diesen Tag zu erleben. Ich bin Kathlen", stellte sie sich vor.

Für einen kurzen Moment blieb mir die Luft weg. Es konnte bloß einen Grund geben, weshalb sie hier war, und das verpasste mir einen Stich ins Herz.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen", sagte ich möglichst höflich.

„Ihr fragt Euch bestimmt, weshalb ich hier bin", fuhr sie fort. „Dante hat mich um einen persönlichen Gefallen gebeten, den ich ihm bereit bin zu gewähren, falls Eure Majestät es wünscht."

„Er will, dass ich vergesse", stellte ich mit zitternder Stimme fest.

Kathlen nickte.

Ich sehnte mich danach, sie zu fragen, ob auch er mich aus seinen Erinnerungen tilgen wollte, doch ich ließ die Frage unbeantwortet. Wenigstens die Illusion wollte ich mir bewahren. Es wirklich zu wissen, hätte mich zerstört.

„Ihr kann Euch Freiheit geben. Der Rat ist damit einverstanden. Ihr müsst die Bürde der Krone nicht tragen."

„Nein." Meine Antwort kam ohne Zögern.

Zu wissen was wahre Liebe ist, wollte ich nicht vergessen. Den Schmerz, der damit verbunden war, nahm ich in Kauf. Denn ohne ihn, wie sollte ich da noch wissen, dass ich lebte? Ich war fassungslos, dass er wollte, dass ich ihn vergaß. Und ich war wütend auf ihn, weil er tatsächlich dachte, ich würde es in Betracht ziehen.

„Wie Ihr wünscht. Ich muss Euch nun verlassen, Prinzessin."

„Warte", bat ich. „Werde ich Atlantis je zu Gesicht bekommen?"

„Es liegt nicht in meiner Macht, Euch diese Frage zu beantworten. Ich hoffe sehr, dass Ihr irgendwann, wenn die Situation es möglich macht, nach Hause kommen könnt. Eure Mutter hätte es gewollt."

„Ihr habt meine Mutter gekannt?"

„Ja. Sie war meine Prinzessin und eine Freundin."

„Hatte sie ein schönes Leben auf Atlantis?"

„Sie hat es geliebt. Jeden Baum, jede Pflanze, jedes Sandkorn. Es war ihre Heimat und ich bin überzeugt sie hätte viel gegeben es wiederzusehen. Sie wäre stolz Euch als Frau sehen zu können, Prinzessin. Auf Wiedersehen." Vor meinen Augen verschwand sie.

Ein Heulkrampf bahnte sich an. Wut durchflutete jede einzelne meiner Adern. Ich schnappte mir das Nächstbeste und warf es mit voller Wucht gegen die Wand. Die Vase zersprang in tausend Stücke und verteilte sich auf dem Boden.

Der Schmerz stach wie die verrostete Klinge eines Messers, in meinem Herzen.

„Wie kannst du es nur wagen!", schrie ich vor Wut und ballte meine Hände zu Fäusten. „Wie kannst du das wollen, Dante?!" Ich stampfte im Haus umher. „Ist es nicht grausam genug, dass du gegangen bist? Musst du mich jetzt auch noch quälen?"

Ich warf mich aufs Sofa, griff nach einem Kissen und presste mein Gesicht hinein. Nachdem ich ausgiebig geschrien hatte, so sehr, wie meine Lungen es zuließen, gab ich den Tränen nach.

Ich wusste nicht, wie ich jetzt einfach mit meinem alten Leben weitermachen sollte. Es war nicht möglich, so zu tun, als hätte es Dante nie gegeben. Als hätte es uns nie gegeben. Ich lag eine Weile auf dem Sofa und starrte die Decke des Wohnzimmers an. Dann stand ich auf, holte einen Besen aus der kleinen Kammer im unteren Flur und kehrte die Scherben der Vase zusammen, die ich zerstört hatte.

 

„Sara, wo bleibst du?", rief Keira von der Tür auf die Terrasse des Hotels, wo ich wie gebannt von den Lichtern der Stadt vor mich hinstarrte. Sie legte die Hand auf meine Schulter.

Ich drehte mich zu ihr. „Tut mir leid." Entschuldigend lächelte ich. „Ich habe mich hier draußen völlig vergessen."

„Ist mir aufgefallen", sagte sie ebenfalls mit einem Lächeln. Sie nahm meine Hand. „Also, gehen wir."

Gemeinsam liefen wir zurück zu der Hochzeitsgesellschaft.

Keira sah bezaubernd aus in ihrem gelben, bodenlangen Seidenkleid, das sich perfekt an ihren zierlichen Körper schmiegte. Die Haare trug sie auf einer Seite hochgesteckt, während sie auf der anderen in fließenden Locken auf ihrer Schulter ruhten.

In drei Tagen würde sie nach London fliegen und wer wusste, wann ich sie wiedersehen würde. Keira hatte es geschafft, ins Royal Ballet aufgenommen zu werden. Ihr Traum wurde Wirklichkeit. Ich vermisste sie jetzt schon.

Als Dad uns erblickte, wank er uns zu sich.

„Wo warst du?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Nur ein wenig frische Luft schnappen."

Etwas angetrunken legte Onkel Tim den Arm um Dads Schulter. „Es ist Zeit für die Torte, Bräutigam", sagte er breit grinsend.

Und wie aufs Stichwort öffneten sich die Türen der Küche. Zwei Kellner fuhren die vierstöckige Hochzeitstorte auf einem Wagen heraus. Sie kämpften darum, wer die Hand oben hat, am Ende lag Laras Hand oben.

„Geht es dir gut?", fragte mich Keira, als wir uns mit unserem Stück Torte an den Tisch gesetzt hatten.

„Ja, warum sollte es nicht?"

„Ich kenne dich", sagte sie leise. „Ich habe dein Gesicht in der Kirche gesehen."

Ich sah auf meinen Teller und stocherte mit der Gabel in der Torte. „Ich freue mich für ihn, Keira. Ich wünsche ihm, dass er glücklich ist. Es ist bloß nicht ganz einfach."

Sie legte ihre Hand auf mein Knie. „Ich weiß."

Ich schaute hoch in ihr liebevolles Gesicht. „Du wirst mir ganz schön fehlen", sagte ich.

„Du mir auch, Sara." Sie umarmte mich herzlich. „Alles hier wird mir fehlen. Ich glaube, ich werde sogar Dad vermissen." Etwas betrübt sah sie zur Seite.

„Wenn du nicht gehst, wirst du es dein Leben lang bereuen. Und ein englischer Mann ist sicher eine Abwechslung zu deinem Ex."

Sie lachte. „Ein bisschen weniger Eifersucht wäre wirklich eine angenehme Abwechslung. Kannst du dich noch an seinen Ausraster bei Chris erinnern?"

„Und wie. Deswegen wurde er beinahe von der Schule verwiesen. Diese Aufführung werde ich bestimmt nie vergessen. Als Chris dich hochhob und Miguel wutentbrannt auf die Bühne stürmte, weil er dachte, Chris hätte dich an einem Ort berührt, der nur ihm zustand." Ich lachte.

„Dann klemmte der Vorhang", erinnerte sie mich. „Mr. Walter hätte fast einen Infarkt erlitten, als Miguel Chris eine Faust verpasste."

Wir konnten uns kaum halten vor Lachen.

Keira und ich hatten schon so viel gemeinsam erlebt, dass es mir fast unmöglich schien, sie nicht immer in meinem Leben zu haben. So viel, was mir erst im Nachhinein bewusst wurde. So viel, das ich zurückgelassen hätte, wenn ich nach Atlantis gegangen wäre.

„Darf ich um den Tanz bitten?", fragte Dad.

Ich drehte mich um. Lächelnd hielt er mir die Hand hin.

„Natürlich."

Ich legte meine linke Hand in seine und er führte mich auf die Tanzfläche.

„Liebe Tanzpaare, das nächste Lied ist für den Bräutigam und seine Tochter", kündigte der Sänger der Band an.

Automatisch verließen die Leute die Tanzfläche. Obwohl er mir das Tanzen beigebracht hatte, konnte ich mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal mit Dad getanzt hatte. Und plötzlich merkte ich, wie sich meine Brust zusammenzog. Mir war nach weinen zumute. Auf seiner Hochzeit zu heulen, konnte ich Dad nicht antun. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen, bis das Lied zu Ende war und ich mich wieder gefasst hatte.

„Danke, Sara", sagte Dad.

„Wofür?"

„Das weißt du. Ich werde dir nie vergessen, dass du für mich stark geblieben bist." Er küsste mich auf die Stirn. „Ich hab dich lieb, meine Kleine."

Es war Jahre her, dass er mich ‚seine Kleine‘ genannt hatte.

„Ich dich auch, Dad."

„Darf ich ablösen?", fragte Onkel Tim und klopfte Dad auf die Schulter.

Dad übergab mich an meinen Patenonkel.

„Mein Mädchen, gehst also bald auf die Uni?", fragte er breit grinsend, als er mit mir über das Parkett fegte.

„Sieht so aus, Onkel Tim."

„Dass du mir gut auf dich aufpasst. Du weißt, was ich meine? Die Jungs."

Ich musste lachen. „Keine Sorge, um die kann ich mich schon selbst kümmern."

„Und wenn nicht, komme ich sofort aus New York eingeflogen und versohle demjenigen den Hintern."

Wir lachten beide.

Onkel Tim war ein wirklich guter Tänzer, sogar in seinem angetrunkenen Zustand. Nach drei Tänzen ging ihm langsam die Puste aus. Und irgendwie sah er auch ein wenig grün aus.

„Ich glaub, ich brauche eine Pause", sagte er. „Und ein Glas Wasser."

Nachdem er mich zu meinem Tisch begleitet hatte, steuerte er direkt die Bar an.

Gerade hatte ich mich hingesetzt, als Granny auf mich zukam. „Na mein Schatz, amüsierst du dich gut?", fragte sie und streichelte meine Wange.

„Ja, habe es gerade geschafft, dass Onkel Tim schlecht wird." Ich zeigte auf die Bar, wo er mit einem Glas Wasser stand.

„Ich glaube, das liegt daran, dass er so viel getrunken hat. Er ist ganz seines Vaters Sohn. Ich sehe mal nach ihm." Granny ging zu Onkel Tim an die Bar.

Trotz meines anfänglichen Unbehagens, genoss ich den Abend mit meiner Familie.

 

Aufbruch ins Neuland

 

Sara

 

„Dad, ich darf den Flug nicht verpassen."

„Wir sind bereits in der Garage."

Meine Begeisterung über die Reise hielt sich in Grenzen. Gefangen in einem Stück Blech über dem Himmel. Ohne Ausstiegsmöglichkeit. Nichts davon war für mich mit Freude verbunden. Aber es war der schnellste Weg an die Westküste. Maria hatte meinen Vorschlag, einen Road Trip zu machen, abgelehnt. Sie wolle nicht überfallen, vergewaltigt oder ermordet werden, bevor sie nicht wenigstens einen Promi gesehen hätte. Was völlig absurd war. Schließlich hätten wir nicht in irgendwelchen Hinterhöfen oder in unserem Auto geschlafen. Keines dieser Dinge wäre je eingetreten. Alleine zu fahren war keine Option. Also würde ich jetzt fliegen. Zum Glück gab es Tabletten. Ein Hoch auf die Pharmaindustrie.

Dad stellte das Auto ab, nahm meine Koffer heraus und wir eilten zum Check-in, wo Maria bereits wartete.

„Hey Sara. Guten Tag, Mr. Davis." Zur Begrüßung reichte sie Dad die Hand.

„Hallo Maria. Bist du aufgeregt?"

„Ein wenig. Ein neuer Abschnitt in unserem Leben beginnt."

„Wo sind Frank und Nina?"

„Wir haben uns vorhin verabschiedet."

Während Dad und Maria sich unterhielten, ging ich zum Check-in und gab meine Koffer ab. Zurück bei ihnen war es an der Zeit.

„Also, Dad. Wir müssen unseren Flug erwischen."

„Ich warte da vorne. Bye Mr. Davis."

„Mach`s gut, Maria. Pass auf dich auf."

„Werde ich." Lächelnd ging sie.

Innig umarmte mich Dad. „Deine Mutter wäre stolz auf dich."

Ich war fest entschlossen gewesen, nicht zu heulen, aber nun konnte ich nicht anders. „Ich hab dich lieb, Dad."

„Ich dich auch, mein Kleines. Melde dich zwischendurch bei uns."

Ich löste die Umarmung. „Werde ich." Ich küsste ihn auf die Wange.

Mit meinem Handgepäck ging ich zu der wartenden Maria. Dad schaute uns so lange nach, bis wir nicht mehr zu sehen waren. Unser Verhältnis war schwierig, aber er war mein Vater. Und ich wusste, er liebte mich. Egal was ich tat oder wer ich im Leben sein würde. Er würde mich immer lieben. Denn ich war sein Kind.

Im Flugzeug war es eng. Geradezu erdrückend. Sobald wir unsere Plätze eingenommen hatten, kramte ich die Tablette aus meiner Handtasche und schluckte sie ohne Wasser.

„Keine Panik, Sara", beruhigte mich Maria. „Statistisch sterben mehr Menschen im Straßenverkehr als mit dem Flugzeug."

„Ganz toll. Und wir könnten die sein, welche in der nächsten Statistik als abgestürzt gelten", erwiderte ich gereizt und schnallte mich an, noch bevor alle Fluggäste saßen.

„Man kann es sich auch schlechtreden. Deine negative Einstellung macht deine Situation bloß schlimmer. Da solltest du einmal darüber nachdenken."

Obwohl sie weitersprach, ignorierte ich ihr Gebrabbel. Aus dem Fenster starrend, wartete ich auf den Start. Nach einigen Minuten ertönte das Anschnallzeichen. Die Triebwerke sprangen an. Die Maschine setzte sich in Bewegung.

 

Vom Flughafen in Los Angeles fuhren wir mit einem Taxi zu unserem gemieteten Haus, wo dessen Besitzer bereits auf uns wartete.

Nachdem der Taxifahrer unser Gepäck aus dem Kofferraum geholt hatte, bezahlte Maria den Mann und wir zogen unsere Sachen die Einfahrt hoch.

„Guten Tag, Mr. Baker. Schön, Sie zu sehen", begrüßten wir den Vermieter freundlich.

„Guten Tag, die Damen. Hatten Sie einen angenehmen Flug?" Höflich schüttelte er uns die Hände.

„Bestens", antwortete Maria. „Wir freuen uns hier zu sein."

Mr. Baker holte die Schlüssel aus seiner Tasche und übergab sie uns. „Dann wünsche ich noch einen schönen Tag."

Maria nahm sie. „Danke. Für Sie auch."

Er ging davon und wir öffneten die Tür. Stickige Luft kam uns entgegen.

„Kannst du das glauben, Sara? Unsere erste Wohnung." Maria trat ein.

Im Eingang ließ sie die Koffer stehen und bog nach links in das möblierte Wohnzimmer. Es war voll ausgestattet. Und wenn man bedachte, wie es um die Mieten in Los Angeles stand, hatten wir enormes Glück, dieses Haus für einen bezahlbaren Preis bewohnen zu dürfen. Natürlich unterstützten uns unsere Eltern. Aber keiner von ihnen würde 900 Dollar in der Woche finanzieren, wenn wir auf dem Campus hätten wohnen können. Deshalb war dies nur möglich durch das Geld, welches mir die Cravens hinterlassen hatten. Dad erzählte ich, ich hätte einen Aushilfsjob gefunden, in einem kleinen Supermarkt. Natürlich verschwieg ich ihm den genauen Betrag. Sowie Maria. Der Mietvertrag lief ohnehin auf mich. Dass ich neben dem Studium arbeitete, gefiel Dad gar nicht. Trotzdem hatte ich mich durchgesetzt. Ich hatte ihm eine Riesenszene gemacht, ihm sogar vorgeworfen, er würde meine Selbständigkeit untergraben. Nur, um meine Lügen zu vertuschen. Ich konnte ihm schlecht sagen, woher ich das Geld in Wirklichkeit hatte. Dass die Firma mich eingestellt hatte, ohne mich vorher kennenzulernen, fand er etwas seltsam, aber er vertraute mir. Ein Studentenwohnheim wäre bestimmt günstiger gewesen, aber darauf hatte ich keine Lust. So viele Personen auf einem Haufen. Irgendeiner wäre mir sicher auf die Nerven gegangen.

„Öffnen wir die Fenster. Es muss dringend gelüftet werden", bemerkte ich und schritt gleich zur Tat.

„Ich mache die in den Schlafzimmern auf." Maria verschwand in das obere Stockwerk.

Ich ließ mich auf das grüne Sofa nieder. Mein Körper war hier, aber mein Geist hatte den Umzug noch nicht verarbeitet. Ich war auf mich selbst gestellt. Alleine. Und das war beängstigender, als ich zunächst angenommen hatte. Für den Traum von Atlantis und Dante hätte ich alles und jeden aufgeben müssen, der mir etwas bedeutete. Nun kam ich kaum mit dem Umzug nach Kalifornien klar. Was sagte das wohl über mich aus? Ein naiver Teenager war ich, der um der Liebe willen keinen Gedanken an die Konsequenzen verschwendet hatte.

„Was tust du da?" Maria setzte sich neben mich.

„Ich denke nach."

„Worüber?"

„Über das Erwachsenwerden."

„Hiermit lassen wir unsere Kindheit hinter uns." Sie strahlte. „Wir sind offiziell frei."

Ich lachte. „Hoffen wir, dass wir den ersten Monat überstehen, ohne bei unseren Eltern zu jammern."

„Na klar bekommen wir das hin."

„Hast du keine Angst?"

„Scheiße, sicher habe ich die. Ich wär verrückt, wenn nicht. Aber wir sind nicht die Ersten, die von zu Hause ausziehen, um die Welt zu erobern. Deshalb bin ich verdammt zuversichtlich. Das solltest du auch sein. Ich geh jetzt meine Sachen auspacken." Sie stand auf und verließ den Raum.

Ich verweilte einige Minuten, bevor ich meinen Koffer die Treppe hochschleppte. Da ich den Großteil der Miete zahlte, hatte ich auch das geräumigere Schlafzimmer mit eigenem Bad. Sich eins mit Maria teilen zu müssen, wäre eine Zumutung.

Sie kam zu mir herein. Rückwärts warf sie sich auf mein Bett. „Ich freue mich schon auf unsere erste Studentenparty", sagte sie und setzte sich dann auf.

Herzhaft lachte ich. „Du bist unglaublich. Nicht eine Unterrichtsstunde absolviert und du denkst bereits an die Partys, die du feiern wirst."

„Weshalb gehen die Leute aufs College?"

„Um zu lernen."

„Um zu feiern, Schätzchen. Um der Freiheit zu frönen. Endlich nicht mehr unter der Kontrolle der Eltern zu sein. Lernen ist bloß zweitrangig."

Wieder lachte ich und setzte mich zu ihr. „Was auch sonst. Deine Eltern bezahlen, weil du ihnen erzählt hast, wie wild du Party machen wirst."

„Nein, weil ich ihr kleiner Liebling bin." Sie verzog das Gesicht zu einer Unschuldsmiene. „Und weil sie befürchten, auf dem Campus würden wir nicht ans Lernen denken, sondern uns nur vergnügen. Natürlich habe ich ein wenig nachgeholfen, damit sie mir das mit dem Haus erlauben." Sie grinste. „Sie müssen vergessen haben, wie das bei ihnen war. Hier werden legendäre Partys steigen."

„Lass uns erst einmal den morgigen Tag hinter uns bringen."

Sie stand auf. „Ich ruf jetzt meine Mom an. Sie wollte, dass ich mich melde, sobald wir hier sind. Wollen wir später an den Strand?"

„Klar, warum nicht?"

Maria verschwand durch die Tür. Ich holte mein Handy heraus und schrieb Dad eine Nachricht.

 

Eine Stunde später machten wir uns mit dem Bus auf den Weg zum Venice Beach. Dutzende von Menschen tummelten sich an der Promenade. Überall Souvenirshops, kleine Läden und Restaurants. Frauen in Bikinis auf Rollschuhen. Ehrlich gesagt, dachte ich, das gäbe es bloß im Film. Alles wirkte ein wenig aufgesetzt. New York war in vieler Hinsicht anders.

„Sieh mal, Sara. Ein Fotokasten. Lass uns ein paar Erinnerungen sammeln."

„Setzen wir uns hinein." Ich ging vor. Maria nahm auf meinem Schoß Platz. Die Bilder waren schnell gemacht. „Schau mal, wie du da guckst", wies ich Maria hin. „Du siehst aus wie ein Esel." Ich lachte.

„Geht’s noch?" Sie war empört. „Ich ein Esel? Hast du dich gesehen?" Mit dem Finger zeigte sie auf ein nicht sehr vorteilhaftes Bild. „Du könntest bei einem Kuriositätenzirkus eine Anstellung bekommen."

„Du hast recht", stimmte ich ihr zu.

Beide lachten wir wie kleine Kinder.

Nach einigen Metern kamen wir an einem großen Skateboardpark vorbei. Wir blieben stehen, um den Fahrern zuzuschauen.

„Na Mädels, auch mal probieren?", fragte uns ein blonder, blauäugiger Typ, der für Kalifornien nicht klischeehafter hätte aussehen können. „Surfer Boy" würden wir das nennen.

„Nein, danke", antwortete ich augenblicklich.

„Ich bin dabei." Maria lächelte. Er half ihr über die Mauer. „Ich bin Maria und das ist meine Freundin Sara", stellte sie uns vor.

„Ich bin Chris. Freut mich. Woher kommt ihr?"

„New York. Wir studieren ab morgen an der USC."

„Dann sehen wir uns womöglich öfter. Ich studiere dort Filmwissenschaften."

„Da bin ich sicher." Maria setzte ein hinreißendes Lächeln auf. Ihre weißen Zähne blitzten hervor. „Zeigst du mir, wie ich richtig darauf stehen muss?"

Sie tat, als hätte sie keine Ahnung. Dabei fuhr ihr Bruder seit Jahren. Sie hatte auch Erfahrung darin. Ich setzte mich auf die Mauer. Nach zwanzig Minuten hatte ich genug davon, Maria beim Flirten beobachten zu müssen.

„Ich geh an den Strand", rief ich ihr zu und sprang von der Mauer.

Sie winkte mir. „Alles klar."

Dort angekommen zog ich meine Sandalen aus. Die feinen Körner unter meinen Füßen waren warm, aber nicht heiß. Ich ging zum Wasser und blieb darin stehen. Kleine Wellen brachen sich an meinen Schienbeinen. Je länger ich dort verweilte, umso wärmer fühlte sich das Wasser an.

Der morgige Tag machte mich leicht nervös. Das Normalste der Welt, wenn man nicht ständig dem Vergangenen nachtrauern würde. Meine volle Konzentration musste dem Studium gelten. Dante hatte mich verlassen, damit musste ich mich abfinden und endlich abschließen. Die Atlanen wollten mich nicht und er offensichtlich auch nicht.

„Sara, Sara." Maria tauchte neben mir auf. „Bist du im Stehen eingeschlafen?"

„Nein, warum?"

„Weil ich nach dir rufe und du nicht reagierst."

„Ich habe bloß ein wenig in den Tag hinaus geträumt." Ich lächelte.

„Nächsten Samstag gehen wir zwei auf unsere erste Verbindungsparty", verkündete sie.

„Und wie hast du das hinbekommen?"

„Chris ist Mitglied. Er hat uns eingeladen."

„Er ist ein Fremder, dessen Nachname uns nicht einmal bekannt ist."

„Meine Güte, Sara, entspann dich mal. Dante hat dich echt zerstört."

Geschockt von ihrem unerwarteten Angriff, blieb mir der Mund offen stehen. „Du hast kein Recht, über mich zu urteilen", fuhr ich sie daraufhin scharf an. „Den Weg nach Hause finde ich alleine." Ich ließ sie stehen.

„Sara, warte. Ich wollte dich nicht verletzen."

Meine Reaktion darauf blieb aus. Ich lief einfach weiter.

 

Später am Abend las ich in meinem Zimmer. An der Tür klopfte es.

„Darf ich hereinkommen?"

Ich schloss das Buch und legte es zur Seite. „Ja, komm rein."

Zaghaft schaute Maria hinter der Tür hervor. „Bist du noch böse?"

„Vielleicht."

Sie betrat das Zimmer und setzte sich zu mir aufs Bett. „Es tut mir leid. War nicht meine Absicht, giftig zu sein."

„Ich weiß. Mir ist klar, ihr glaubt alle, ich sei verrückt. Aber ich hab ihn wirklich geliebt. So sehr, dass es wehtat."

„Und du wirst wieder lieben, Süße. Irgendwann. Umarmung?", fragte sie und streckte die Arme aus.

Zustimmend nickte ich, rutschte zu ihr und legte meine Arme um sie.

„Dachte schon, ich müsste mir eine neue Bleibe suchen", scherzte sie.

Ich lachte. Und die Welt war wieder in Ordnung.

„Am Samstag gehe ich auf die Party. Und du wirst mich begleiten. Weißt du auch, warum?"

„Weil du mich betäubst und im Kofferraum dahin mitnimmst?"

„Nein, weil keine Frau alleine auf eine Party geht." Frech lächelte sie.

 

Einige Tage danach befand ich mich auf dieser Party, zu der ich eigentlich keine Lust hatte. Die erste Woche als Studentin hatte mich ermüdet. Die Eingewöhnung dauerte noch an. Aber Maria hatte recht, alleine hätte ich sie nicht gehen lassen. Wir waren neu in der Stadt, kannten niemanden und es gab jede Menge Verrückte auf der Welt.

Das Haus war voll von Menschen, die ich zum ersten Mal sah. Maria amüsierte sich prächtig. Keine Ahnung, weshalb ich es nicht hinbekam locker zu sein. Früher hatte ich das gekonnt.

„Hey, ich bin Carl", sprach mich ein nett lächelnder Junge an, mit einem Drink in der Hand. „Bist du alleine hier?"

„Eine merkwürdige Frage", erwiderte ich. „Welches Mädchen geht allein auf eine Party?"

Zunächst schaute er verdutzt, aber dann lachte er. „Du hast recht. Eigentlich hätte ich fragen sollen, mit wem du hier bist."

Ein Lächeln huschte mir über die Lippen. Mit dem Zeigefinger deutete ich auf Maria, die vergnügt mich Chris tanzte, dem Studenten, den wir am Strand kennengelernt hatten.

„Ausgefallener Tanzstil."

Ich grinste „Kann man sagen. Ich denke, sie hat einen sitzen."

Bei näherer Betrachtung war Carl ganz süß. Schwarzes, kurzes Haar, dunkelbraune Augen, vielleicht 1.85, sportliche Figur. Sympathisches Lachen.

„Chris vermutlich auch."

„Du kennst ihn?"

„Wir sind in derselben Studentenverbindung. Woher kennt ihr ihn?"

„Vom Strand. Ich bin Sara", stellte ich mich schließlich vor.

„Wollen wir tanzen, Sara?" Er bot mir seine Hand an.

„Klar, warum nicht?" Ich ergriff sie.

Wir gesellten uns zu den anderen tanzenden Studenten.

Die Musik war laut, die Leute gut drauf. Und langsam hatte ich Gefallen daran gefunden.

Irgendwann während der letzten Monate hatte ich mich verloren. Der Liebeskummer hatte mich verändert. Mich selbst wiederzufinden, würde mein nächstes Ziel sein.

„Wollen wir uns auf die Veranda setzen?", fragte Carl mich ins Ohr.

„Draußen?"

„Hast du denn schon mal eine Veranda im Hausinneren gesehen?" Er grinste und ich musste über mich selbst schmunzeln.

Er nahm meine Hand und wir verließen das überfüllte Haus. Wir setzten uns auf eine Holzbank. Es standen mehrere andere Personen herum. Sie unterhielten sich, tranken und wippten zur Musik, die durch die offene Tür dröhnte.

„Was studierst du, Sara?"

„Journalismus. Du bestimmt Filmwissenschaften, oder?", riet ich.

Verstohlen lächelte er. „Du wirst eine hervorragende Journalistin."

„Ich weiß. Ich werde Imperien zum Einsturz bringen", witzelte ich.

„Und die Regierung verhöhnen", fuhr er fort.

Beide lachten wir.

„Ich mag dich, Sara."

„Du kennst mich gar nicht."

„Nein, aber du hast Humor, bist offensichtlich klug und wunderschön."

Meine Wangen erröteten. „Du übertreibst", spielte ich seine Komplimente herunter.

„Das glaub ich nicht. Wir kennen uns erst eine Stunde. Wie sehr wirst du mir nach dem ersten Date gefallen?"

Carl zog alle Register und ließ beim Flirten seinen Charme spielen.

„Date? Wer sagt, dass es ein Date geben wird?"

„Lass mir Zeit. Du wirst eins wollen."

Carl beugte sich vor und ich ließ es geschehen. Meine Augen schlossen sich, als sich unsere Lippen trafen. Es war schön. Ich genoss es, eine ganz normale Studentin zu sein. Und einen wildfremden Mann zu küssen, den ich sehr anziehend fand. Aber ich war nicht gewöhnlich.

Carl zog seinen Körper zurück. Und auf einmal fühlte ich mich schrecklich. Als hätte ich Dante betrogen. Dabei hatte vermutlich längst eine andere meinen Platz eingenommen.

„Ich muss jetzt gehen", stammelte ich.

Fluchtartig eilte ich davon. Er war perplex. Verwirrt blieb er sitzen. Im Haus suchte ich Maria. Sie unterhielt sich mit einigen Leuten.

„Ich muss nach Hause", informierte ich sie. „Das heißt, du gehst auch."

„Auf keinen Fall", widersprach sie angeheitert. „Ich habe gerade echt viel Spaß."

„Ich lasse dich sicher nicht alleine bei Fremden. Also, entweder kommst du mit, oder ich blamiere dich vor all deinen neuen Kollegen."

„Ja ja, beruhige dich wieder. Ich sag Chris auf Wiedersehen."

Einen kurzen Moment später kam sie zu mir zurück. Wir verließen die Party.

„Darf ich dich anrufen?", rief Carl von der Veranda herunter auf die Straße.

Ich drehte mich zu ihm. „Wenn du meine Nummer herausfindest, ja."

Wenn diese Stimme in meinem Kopf nicht wäre, würde sich das richtig gut anfühlen.

„Oh Sara", sprach Maria. „Du hast wohl einen sexy Verehrer." Sie kicherte. „Zumindest sieht er von hier unten heiß aus."

„Na komm. Gehen wir", trieb ich sie an. „Du bist betrunken, oder?"

„Scheiße, ja", antwortete sie breit grinsend. „Und vermutlich hätte ich etwas sehr Dummes getan, würdest du mich nicht nach Hause schleifen. Chris ist nämlich zum Anbeißen und Single."

„Lass dir bloß kein Kind machen", scherzte ich. „Deine Mutter enterbt dich auf der Stelle." Ich lachte.

„Du hast recht. Das würde sie tun, ohne mit der Wimper zu zucken."

Wir nahmen uns ein Taxi. Im Haus angekommen, warf sich Maria in ihrem Zimmer aufs Bett. Ich zog ihre Schuhe aus und ließ sie in ihren Kleidern liegen.

 

Eleanor

 

„Ich hasse es, Nath", jammerte ich. „Mir tun die Beine weh, ich muss alle dreißig Minuten pinkeln und das Sodbrennen ist das Schlimmste von allem. Ich halte das keine weiteren drei Monate aus. Keiner warnt einen davor. Alle sagen dir, wie schön es ist schwanger zu sein. Ich freue mich auf unser Baby, aber trotzdem ist der Weg dorthin einfach bloß anstrengend. Ich kann nicht schlafen. Ich habe seit fast sechs Monaten keine Nacht länger als vier Stunden geschlafen. Da würdest du auch langsam durchdrehen, oder nicht?"

„Ja, wahrscheinlich. Wenn es vorbei ist, wirst du dich umso mehr freuen."

Nath tat, als würde er mich verstehen. Aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung davon, was in mir vorging. Die pure Angst nämlich. Würde ich eine gute Mutter sein? Was für ein Leben könnte ich ihm hier unten bieten? Wie viel Zeit würde er als Bunkerkind verbringen müssen? Würde er gesund sein? So viele Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Mutter fehlte mir in diesen Momenten voller Panik am meisten. Sie hätte Worte gefunden, die mich beruhigten, die mir versichert hätten, dass alles seinen Lauf nehmen und wieder gut werden würde.

„Soll ich dir einen Tee machen?", fragte Nath liebevoll und legte sein Buch weg.

„Ja, bitte."

Er stand auf, ging zum Wasserkocher, goss Wasser hinein und stellte ihn an. Nach kurzer Zeit brodelte es. Mit einer Tasse Fruchttee kam er wieder zu mir. Wie ein gestrandeter Wal lag ich auf dem Sofa.

„Danke, Liebling", sagte ich und setzte mich auf.

Nath küsste mich sanft und lächelte. „Du machst dir immer zu viele Gedanken, Baby. Ich sehe, wie dein Kopf arbeitet. Ununterbrochen. Wahrscheinlich kannst du deswegen nicht schlafen."

„Machst du dir keine Sorgen? Hier ist kaum Platz für uns zwei. Wie soll sich ein Kind in diesem Raum entfalten können?"

„Ich weiß es nicht, aber irgendwie schaffen wir das. Bis jetzt haben wir jede Hürde gemeistert."

„Vielleicht hätten wir warten sollen." Ich schaute von ihm weg. „Es ist meine Schuld. Ich habe zu sehr Druck gemacht. Regelrecht besessen war ich davon, ein Kind zu bekommen. Jahrelang hatte ich mich danach gesehnt. Als die Chance da war, konnte ich an nichts anderes mehr denken."

„Sieh mich an", forderte er mich auf und legte seine Hand auf meinen Bauch. „Was auch geschieht, wir drei werden zusammen sein. Wir werden unserem Sohn das Beste bieten, was im Augenblick möglich ist."

Ich küsste ihn. „Ich liebe dich", hauchte ich an seinen Mund.

 

Dante

 

„Hallo Dante", grüßte mich eine vertraute Stimme, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte.

„Nissa", sagte ich, ohne zur Seite zu schauen.

Den Teller in meiner Hand legte ich hin. Der volle Speisesaal schien plötzlich leer, obwohl es laut war wie an einem Bahnhof.

„Lange her."

Ich spürte, wie sie näherkam, deshalb riss ich mich zusammen und schaute ihr entgegen.

Sie war so schön wie eh und je. Ihre schulterlangen Locken umspielten ihr zartes Gesicht. Ihre kastanienbraunen Augen leuchteten so wie damals, als ich sie zum ersten Mal getroffen hatte. Nissa war die Einzige vor Sara gewesen, mit der ich mir ein Für immer und ewig hätte vorstellen können. Doch ich war dafür nicht bereit gewesen. Bevor es Liebe wurde, bevor unser Bund sich geschlossen hatte, verließ ich sie. Egoistisch wie ich damals war, hatte ich nicht bedacht, wie es um ihre Gefühle stand. Und was das für sie zu bedeuten hatte, wenn ich ging. Ewige Sehnsucht.

„38 Jahre", ergänzte ich ihre Feststellung.

„Hast du Zeit für eine Unterhaltung?", fragte sie.

„Ja. Wir können gerne auf mein Zimmer."

„Ich folge dir."

Leicht ratlos schaute ich im Vorbeigehen zu Josh, der sehr hilfreich mit den Schultern zuckte. Schweigend liefen wir nebeneinander her. Das Wiedersehen löste diverse Gefühle bei mir aus. Das intensivste davon war Schuld.

Wie sollte ich mich für die letzten 38 Jahre entschuldigen, die sie ohne den Mann verbracht hatte, den sie liebte? Weil dieser sich kurzfristig umentschieden hatte.

„Wie geht es dir?", brach ich die Stille mit einer banalen Frage.

„Gut, denke ich. Es ist schön und gleichzeitig beängstigend, wieder hier zu sein."

„Seit wann bist du auf Atlantis?"

„Ein paar Wochen."

„Weshalb sehe ich dich erst jetzt?" Ich vermied jeglichen Augenkontakt.

„Ich ging dir aus dem Weg", antwortete sie ehrlich.

„Wir sind da." Ich zeigte auf die Tür und öffnete sie. „Setz dich, wohin du willst."

Sie blickte umher und ließ sich auf meinem kleinen, aber gemütlichen Sofa nieder.

„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, Nissa."

„Wie wäre es mit hinsetzen", schlug sie lächelnd vor.

Etwas verkrampft nahm ich neben ihr Platz. „Ich habe versucht dich zu finden. Um dich freizugeben."

„Ich weiß. Aber zu dieser Zeit war das nicht mein Wunsch." Sie ergriff meine Hand, die auf dem Sofa lag. „Ich habe dich vermisst."

Ihr Gesichtsausdruck war erwartungsvoll. Ihre Augen bohrten sich regelrecht in die meinen. Überraschend beugte sie sich zu einem Kuss vor.

„Nissa, nicht", bat ich. „Mach es dir nicht schwerer. Ich liebe eine andere."

„Es ist also wahr. Du und die Prinzessin."

„Ja."

Enttäuscht zog sie ihre Hand zurück. „Ich war naiv zu denken, dass es nicht der Wahrheit entspricht."

„Du hast verdient glücklich zu sein. Lass mich dich freigeben."

„Du könntest deine Kräfte verlieren", erinnerte sie mich nachdrücklich.

„Könnte ich, oder ich schlafe einfach für einige Wochen."

Sie schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht verlangen."

„Auch ohne meine Kräfte bleibe ich Soldat, ein Krieger. Verteidigen kann ich mich auch mit dem Schwert. Außerdem ist meine stärkste Gabe bloß mit direktem Körperkontakt einsetzbar."

Ich gab alles, um sie zu überzeugen. Meine Schuld musste wiedergutgemacht werden. Ihr Herz sollte frei sein. Unbelastet.

Sie stand auf. „Ich werde darüber nachdenken. Ich muss jetzt gehen." Sie verließ mein Zimmer, ohne sich umzudrehen.

Sitzend blieb ich zurück. Mit meinen Gedanken. Einige Zeit saß ich da, als es klopfte. Mir war klar, wer an der Tür war.

„Komm rein, Madison."

„Woher hast du gewusst, dass ich es bin?", fragte sie und schloss die Tür hinter sich.

„Weil du es immer bist. Du bist wie mein Schatten."

„Josh hat es mir erzählt, bevor er zum Dienst angetreten ist. Und wie war es?" Neugier spiegelte sich in ihren Augen.

„Äußerst unangenehm."

„Na komm schon." Mit dem Finger stupste sie mich in den Bauch. „Ich möchte dich nicht ausquetschen müssen. Was wollte Nissa?"

„Reden, denke ich. Ich bot ihr an, sie freizugeben."

„Du hast was?" Entsetzen schwang in ihrer Stimme mit. „Du könntest deine Kräfte verlieren."

„Ja, aber ich wäre immer noch ein Wächter."

„Ohne Kräfte", ergänzte Madi weiter.

„Schon vor Jahrzehnten hätte das stattfinden sollen. Aber sie wollte nicht."

„Sie hatte Hoffnung, Dante. Ich kann sie verstehen. Was außer der Liebe bleibt uns am Ende?"

„Nissa hat mich damals gerettet. Ich bin es ihr schuldig."

„Onkel Aaron wird keine Freude haben."

„Er muss es nicht wissen. Oder?" Intensiv blickte ich in ihr elfenhaftes Gesicht.

„Wenn du meinst. Aber ich werde dementieren, von diesem Plan gewusst zu haben."

Ich lachte. „Natürlich."

 

„Nikolas."

Er blieb stehen und drehte sich um. „Hallo Dante. Was kann ich für dich tun?"

„Ich muss dich um einen Gefallen bitten."

„Welchen?"

Erschrocken atmete er ein. „Was willst du tun?" Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Du weißt, welche Konsequenzen das mit sich bringen kann?"

„Deine Entscheidung. Wo und welche Zeit?"

„Ich werde da sein." Er schüttelte den Kopf. „Ich hoffe sehr, das ist es wert." Er drehte sich um und ging davon.

„Außer dir ein Beruhigungsmittel zu spritzen, kann ich nicht viel tun."

Nervosität kam langsam auf. Als es endlich klopfte, machte mein Herz einen Sprung. Nissa trat ein. Die Aufregung war ihr anzusehen.

„Fangen wir an", drängte Madi. „Bevor jemand herausfindet, was ihr zwei treibt."

„Bist du sicher, Dante?", fragte Nissa ein letztes Mal.

Nissas Augen wurden glasig. „Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben."

Eine elektrisierende Energie schoss mir durch den Körper. Nach Luft schnappend, schnellte mein Kopf nach hinten. Ich verlor die Kraft in meinen Beinen und sank zu Boden.

Nikolas kniete sich sofort zu mir. Er nahm mein rechtes Handgelenk und fühlte den Puls. Eine unerträgliche Hitze überkam mich. Ich konnte mich nicht bewegen. Immer wieder rang ich keuchend nach Luft. Dermaßen schrecklich hatte ich es mir nicht vorgestellt.

„Ich kann nichts tun. Diesen Kampf muss sein Inneres austragen."

„Das wird dich runterholen", sagte Nik.

 

„Hallo." Sie lächelte. „Wie geht es dir?"

Sie schaute auf ihre Uhr. „Knapp zwölf Stunden. Madison und ich haben uns abgewechselt, um auf dich achtzugeben."

Sie nickte. „Ja. Hat es. Es fühlt sich merkwürdig an. Aber in meinem Inneren weiß ich, ich liebe dich nicht mehr. Eine ungewohnte Leere, die aber trotzdem irgendwie befreiend ist."

„Soll ich Nikolas holen?"

„Willst du es ausprobieren?"

„Ob deine Kräfte vorhanden sind?"

Nissa holte ein kleines Messer hervor und schnitt sich in den Daumen. „Erst wenn du es versucht hast, weißt du es genau." Sie hielt mir ihre Hand hin.

Nissa lächelte, erhob sich und küsste mich auf die Stirn. Ihre Locken berührten mein Gesicht. „Ich bin froh, dass du deine Kräfte nicht opfern musstest. Ich werde jetzt gehen, Dante. Es ist an der Zeit, loszulassen. Ich wünsche dir, dass du die Prinzessin bald wiedersiehst."

Ihre Mundwinkel zuckten. Ein Hauch eines Lächelns huschte über ihre Lippen. „Nein. Kein Lebewohl."

Müde wollte ich bloß die Augen schließen und mich meinen Schmerzen ergeben. Denn mein ganzer Körper war davon erfüllt. Als hätte ich eine Schlacht hinter mir gehabt.

„War wohl zu schön, um wahr zu sein", sagte ich im Flüsterton zu mir selbst.

„Aua, pass doch auf", dröhnte ich. „Mir tut alles weh."

„Halt die Klappe, Giftzwerg."

„Ich habe sie noch", antwortete ich freudig lächelnd.

„Vorsichtig, Madi."

„Das hätte dir gefallen."

„Ja ja. Hol mir lieber ein Glas Wasser, anstatt zu fantasieren."

Madison setzte sich auf den Stuhl, auf dem zuvor Nissa gesessen hatte. „Hast du Sara von ihr erzählt?"

„Natürlich von Nissa. Von wem denn sonst?"

„Wie ist es, befreit von dieser Last zu sein?"

„Da musst du Nissa fragen." Sie blickte auf. „Du fragst wegen dir, oder?"

„Du solltest ihn loslassen. Wir sind wieder sterblich. Die Zeit läuft, somit verrinnt auch dir die Gelegenheit, wieder jemanden zu lieben."

„Und dich geht nichts an, was ich so tue, aber trotzdem steckst du deine Nase überall hinein", belehrte ich sie.

„Ich bin schon lange erwachsen, Cousine."

„Ach, halt die Klappe."