Die Freiheit des Wortes darf nicht durch
die Macht
der diktatorischen Systeme beschränkt werden
Die Freiheit ist ein wichtiges Fundament
des
menschlichen Lebens,
dass
sie weder von politischen
noch
von religiösen Kräften
kontrolliert oder beschränkt
werden darf !
© 2018 Abdel Rahman Al Machtouly
Verlag & Druck: tredition GmbH, Hamburg
Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der
deutschen Nationalbibliothek erhältlich.
Titelgestaltung: Abdel Rahman Al Machtouly
Alle Rechte am Text liegen beim Autor.
Covermotiv: © depositphotos.com
In dieser Arbeit werde ich mich mit der fundamentalistischen Bewegung in Ägypten auseinandersetzen. Nicht nur, weil ich aus Ägypten stamme, sondern auch, weil ich die sozialen, ökonomischen, religiösen und politischen Verhältnisse in der ägyptischen Gesellschaft kenne.
Ich habe diese Kenntnisse einerseits dadurch erworben, daß ich in Ägypten aufgewachsen bin und mich mit der Materie dieser Thematik auseinandergesetzt habe und andererseits durch mein Studium in Österreich, das mir ermöglicht hat, wissenschaftliche Literatur über den Islam, den Fundamentalismus und die sozialen, ökonomischen Verhältnisse in Ägypten ausführlicher aus der Sicht der europäischen Wissenschaftler kennenzulernen.
Im Laufe meiner Arbeit werde ich versuchen zu zeigen, inwieweit soziale Probleme und politische Repressionen zur Radikalisierung bestimmter Bevölkerungsschichten in Ägypten geführt haben. Gleichzeitig habe ich die folgende Frage für meine Arbeit gestellt, warum und wie können die ägyptischen Fundamentalisten eine beachtliche Machtstellung in der ägyptischen Gesellschaft einnehmen und inwieweit werden die Quellen des Islams von ihnen benutzt, um ihre politischen Ziele zu realisieren?
Das Phänomen des Fundamentalismus wird in den Medien in Europa oft fälschlicherweise mit dem Islam gleichgesetzt. Sicher ist es schwierig zu verstehen, wie die verschiedenen Formen der Glaubensbekenntnisse, Auffassungen von rechtlichen Regelungen, Interpretationen über die Art der Lebensweise, die sich aus dem Koran ergeben, alle gleichermaßen unter „Islam“ subsumiert werden können.
So gibt es z.B. Staaten und Regionen in der islamischen Welt, in denen die Mystik eine viel stärkere Rolle spielt als die offizielle Theologie, aber auch andere, in denen die Mystik verboten ist. Wenn im folgenden von „dem Islam“ gesprochen wird, so wird dies auch nur unter Anerkennung der Differenzen innerhalb des Islams geschehen, die sich nicht nur in verschiedenen Ländern zeigen, sondern auch in unterschiedlichen Schichten der Bevölkerungen.
Die Gleichsetzung des Islams mit dem „Fundamentalismus“ stellt klarerweise eine „Erklärung“ dieser zu analysierenden Phänomene dar, die aus der europäischen und orientalischen Sicht erklärungsbedürftig sind. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß der Ausdruck „Fundamentalismus“ in den europäischen Medien eine andere Bedeutung hat als in der islamischen Welt. So sind z.B. in weiten Teilen der islamischen Welt die blutigen Aktionen gegen Touristen in Ägypten als bloßer „Terrorismus“ bezeichnet worden, während in der europäischen Presse dieser Terrorismus als Resultat des Islams kommentiert worden ist und damit eine besonders direkte Verbindung von Islam und Terrorismus behauptet worden ist.
Solche Pauschalurteile erscheinen schon prima vista als Ausdruck von Ignoranz. Denn keine Religion ist davor gefeit, daß ihre normativen Fundamente die Grundlage für militantes Verhalten bilden. Und umgekehrt ist bei einigen militanten Fundamentalisten zu bemerken, daß sie keineswegs immer aus religiöser Überzeugung heraus handeln. Demgegenüber ist aber auch festzuhalten, daß die Fundamentalisten mit ihrer Propaganda „Die Lösung ist im Islam“ ihre Aktionen mit der Forderung zur Rückbesinnung auf den wahren, ursprünglichen Islam zu legitimieren versucht haben. Es steht aber in Frage, ob diese Praxis der Legitimation auch eine solche Rückkehr zu den Ursprüngen des Islams ist.
Daher ist es wichtig auf die Bedeutung des Islams einzugehen. Denn „Islam“ bedeutet Frieden finden indem man sich Gott unterwirft, also die Hingabe an Gott, Ergebung in seinen Willen.1 Mit diesem Frieden sollen die Muslime dafür sorgen, daß dieser Friede für alle Menschen zu realisieren ist. Die Muslime müssen beachten, daß mit Haß, Feindschaft und ungerechtem Krieg jede Form von Frieden zerstört werden kann und damit auch das Gottesgesetz nicht befolgt wird.2 Dazu äußert sich der QURAN auf folgende Weise „Wehre das Böse ab mit dem, was das Beste ist.“ (41,35)3
Die islamisch fundamentalistische Bewegung in Ägypten hat aber durch ihre Terroranschläge und der Ermordung unschuldiger Menschen gezeigt, daß sie sich nicht an die Gesetze und Prinzipien des Islams gehalten hat.
Diese Bewegung versuchte seit der iranischen Revolution im Jahre 1979 und seit der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar Al Sadat im Jahre 1981 ihre Entschlossenheit und ihre Stärke zu demonstrieren. Die politische Korruption, die soziale Ungerechtigkeit und die steigende Arbeitslosigkeit und somit die steigende Unzufriedenheit war für einen großen Teil der ägyptischen Bevölkerung ausschlaggebend sich dieser Bewegung anzuschliessen und dadurch war die beste Möglichkeit für die Fundamentalisten gegeben, um einen starken Einfluß auf viele Gesellschaftsschichten auszuüben. Gleichzeitig hat diese Bewegung an großer Attraktivität gewonnen, vor allem in den verarmten Schichten der städtischen Zentren bis in die unteren Ränge der sozial aufstrebenden Mittelschicht mit traditionellem Hintergrund.
Als weitere Argumente zur Verstärkung und Etablierung der fundamentalistischen Bewegung in der ägyptischen Gesellschaft wurde auch die katastrophale militärische Niederlage der ägyptischen Armee im Sechs-Tage-Krieg von 1967 benutzt. Sie hat zum Verlust der ägyptischen Führungsrolle in der arabischen Welt und zur Verelendung der breiten Masse des ägyptischen Volkes geführt, z.B. wurde ein großer Teil der Staatsausgaben für Kriegsmaterial verwendet und es kam zu einer Verteuerung der wichtigsten Lebensmittelprodukte, welches für einen großen Teil des ägyptischen Volkes zu einer starken Herabsetzung ihres Lebensstandards zur Folge hatte. Gleichzeitig war dieser Krieg ein wichtiger Anlaß für die Fundamentalisten, zahlreiche Aussagen zu formulieren, mit denen sie einen großen Teil der Bevölkerung manipulieren konnten.
Zu diesen Aussagen gehören folgende Äußerungen des Fundamentalisten Yusuf Al-Qaradawi mit dem Titel „Al hall al-Islame wa al-aulul a Mustawrada“.4 Die islamische Lösung und die „importierten Lösungen“, mit dem Hinweis darauf, daß die Israelis nicht nur religiös, sondern auch politisch zu ihrer Religion stehen. Die Muslime hätten versagt, weil sie die politische Seite des Islams nicht beachtet hätten. Die Muslime müssen durch die Rückkehr zum Islam bewirken, daß der Islam nicht nur als Religion betrachtet und beachtet, sondern auch als politisches System praktiziert wird.5
Weiters betrachten die Fundamentalisten die sozialen Veränderungen der Sadat-Ära im Zeichen der Politik der wirtschaftlichen Öffnung (Infitah) als wichtiges Argument für ihre Propaganda gegen das ägyptische Regime. Denn im Jahre 1975 hat sich eine neue Schicht von Industriellen, Händlern und Dienstleistungsanbietern als INFITAH-Klasse gebildet. Durch diese Klasse hat sich auch das Problem der Korruption verschärft und die Unterschiede in Einkommen und Lebensstandard bei einem großen Teil der ägyptischen Bevölkerung drastisch und generell verstärkt.6
Auch der Golfkrieg im Jahre 1991 und seine negativen Auswirkungen auf die islamische Welt wurde zur Verstärkung der Argumentation der Fundamentalisten in Ägypten benutzt. Ebenfalls hat die Kritik durch viele islamische Intellektuelle in Ägypten und die Tatsache, daß mehr als 150.000 Menschen dem Krieg zum Opfer fielen sowie das offenkundige Interesse des Westens an einer Sicherung der Stabilität der Fürstenhäuser am Golf zur Absicherung der dortigen Erdölreserven eine klare antiwestliche Stimmung aufkommen lassen.7
Dazu kam der amerikanische Einfluß in der ägyptischen Politik sehr deutlich zum Ausdruck, sodaß sich viele gemäßigte Muslime in Ägypten von der westlichen Politik distanzieren wollten. Der ägyptische Präsident MUBARAK und seine Regierung haben jede Form der Auseinandersetzung über die Ereignisse im Golfkrieg wegen dem freundschaftlichen Verhältnis des Präsidenten zum Westen und besonders zu den Amerikanern verhindert. MUBARAK als ehemaliger General der Luftwaffe, zugleich Präsident und Vorsitzender der National-Demokratischen Partei konnte während der 80er und 90er Jahre die Präsidentschaftswahlen ohne Gegenkandidat immer wieder gewinnen.8
Infolge dieser Ereignisse versuchte der Fundamentalismus seine Botschaft des vereinfachenden, optimistischen und zukunftssicheren Weltbildes zu verkünden, welches alle Probleme lösen sollte.
Dieser Fundamentalismus ist ein Bestandteil dieses Entwicklungsprozeßes in Ägypten geworden, der sich aus unterschiedlichen Defiziten im politischen, sozialen und kulturellen Bereich ergeben hat.
Es gibt in Ägypten drei fundamentalistische Gruppierungen, die unterschiedliche Ziele haben. Die erste Gruppe ist AL JAMAAT AL ISLAMIA (Islamische Vereinigung), deren Anführer Scheich OMAR ABD AL RAHMAN ist, welcher ca. 20.000 Anhänger zu seinem Kreis zählt. Ihr Hauptziel ist Gewalt und Anschläge gegen Touristen auszuüben, um die Wirtschaftslage des Landes und somit die Regierungsposition in Ägypten zu destabilisieren.9
Die zweite Gruppe AL JIHAD (Heiliger Kampf) wird von AIMAN AS SAWAHRI mit ca. 20.000 Anhängern geführt, mit dem Ziel Gewalt in der ägyptischen Gesellschaft anzuwenden, um die Errichtung eines islamischen Gottesstaates zu erreichen.10Die dritte Gruppe IKHWAN AL MUSLIMIN (Muslimbruderschaft) wird geführt von MAHMUN AL HUDAIBI, die ca. 200.000 Anhänger hat. Deren Ziel ist die Anwendung des islamischen Rechtes (die Scharia) und die Errichtung von sozialen Organisationen zur Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten durchzusetzen.11
Das wesentliche Ziel dieser Arbeit ist es, einerseits die Ursache für die Entstehung der Fundamentalisten in Ägypten im Laufe meiner Arbeit zu analysieren und andererseits das Bild des Islams, das vor allem in europäischen Ländern gegenwärtig ist, richtigzustellen.
Indem die Unterschiede innerhalb der „islamischen Welt“ aufgezeigt werden, kann von einer vorurteilsfreien Grundlage heraus das Verhältnis von Islam und Fundamentalismus verdeutlicht werden. Die Auseinandersetzung mit dieser komplexen Thematik erfordert eine gewisse Sensibilität und ist infolgedessen kein leichtes Vorhaben.
Jedoch ist es meine Überzeugung, daß die aus verkehrten Bildern resultierenden Vorurteile und Mißverständnisse zwischen den unterschiedlichen Weltanschauungen zu beseitigen sind und damit nicht nur einen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung zu leisten, sondern auch die Möglichkeit zu schaffen, zwischen der islamischen und europäischen Kultur mehr Toleranz und Verständnis zu erreichen.
Der Begriff „Fundamentalismus“ bedeutet im allgemeinen ein Zurückgreifen auf die Fundamente, die bei vielen Menschen durch unterschiedliche Lebensstile und Entwürfe, eigene Ideen, weltanschauliche, politische oder religiöse Systeme erprobt und auf ihre Brauchbarkeit für das eigene Leben überprüft worden sind.
Das zeigt uns, wie wichtig es ist, ein Fundament zu haben, etwas Festes, an das man sich halten, auf das man bauen kann. Die Suche nach alten Fundamenten, die nicht menschenfeindlich sind, ist etwas Positives, denn solange ich suche, bin ich offen für Neues.12 Dieses Suchen ist für die Menschen sinnvoll, weil es zu einer Erweiterung ihrer Lebensanschauung und Vertiefung ihres Bewußtseins führt.
Der Fundamentalismus im engeren Sinn beginnt dann, wenn man vorschnell bei einer Einsicht, einer Überzeugung oder einem Weltbild stehenbleibt und dieses für ewig unerschütterlich und unveränderlich hält.13
Der Begriff Fundamentalismus stammt aus der innerchristlichen Auseinandersetzung in den USA im 19. und 20. Jahrhundert.14 Am Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in den protestantischen Kirchen der USA zu einer evangeliaren Erweck- ungsbewegung, mit dem Versuch, eine Theologie und Lebensführung zu praktizieren, die sich streng an die empfundenen Fundamente der christlich-protestantischen Religion halten wollte, ebenfalls in der Hoffnung und subjektiven Gewißheit, daß eine solche Lebensführung das Heil für den einzelnen und seine Gemeinschaft bringe.15
Der Fundamentalismus existiert in allen monotheistischen Religionen, wie z.B. die Heile-Welt-Ideologie der neuen christlichen Fundamentalisten der USA, welche den Patriotismus, die strenge Moral, den Antikommunismus, das Schulgebet, die Ablehnung von Verfassungsbestimmungen über die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die Abschaffung der sexuellen Aufklärung in der Schule propagieren.16
Die Ähnlichkeit zwischen dem christlichen und islamischen Fundamentalismus liegt darin, daß beide ihre Ideologie darauf aufbauen, daß sie sich an die als solche verstandenen Fundamente ihrer Religion halten wollen und den Glauben hegen, die genaue Befolgung der in diesen Fundamenten enthaltenen Vorschriften sowie der wortwörtlich exakte Glaube an die in ihnen gegebenen Glaubenssätze würden das Heil bringen.17
Genauso agieren die jüdisch-fundamentalistischen Gruppen wie z.B. die „Gush Emunim – Aktivisten“ und „Rabbi Kahane“, der bei einer Beerdigung von Opfern eines palästinensischen Terroranschlages öffentliche Rache predigte. Er sagte dabei wörtlich, daß „alle Nicht-Juden in Israel mit dem berühmten biblischen Feind, den Amalekiten, gleichzusetzen und durch die von Gott Erwählten zu dezimieren seien“.18
Weiters möchte ich den Begriff Fundamentalismus aus den unterschiedlichen islamischen und europäischen Perspektiven darstellen, wie etwa aus der Sicht des ägyptischen Politologen Refat el Said der meint, daß jede Art von Fundamentalismus eine radikale Antwort auf eine als bedrohlich empfundene, existentielle Verunsicherung ist.19 Diese resultiert aus der Unfähigkeit eines bestehenden sozialpolitischen Systems, Sinn, Identität, Motivation, Orientierung, Geborgenheit, Lebenswärme und Heimat zu vermitteln. Deshalb ist die Fundamentalismusfrage primär eine Systemfrage.20 Und jeder Fundamentalismus ist radikal, insofern er sich vermeintlich zu den Wurzeln hinabgräbt, zu einem theoretischen Anfang, den er verabsolutiert und als einzig tragfähiges Fundament menschlicher Existenz anbietet. Diese Verabsolutierung, die von einer Erlösungshoffnung geleitet ist und die Condition humaine aufheben möchte, hat auch die Funktion einer Immunisierung des Ursprung-Fundaments gegen jedes kritische Denken.21
Aus der Sicht des Politologen Tibi ist der islamische Fundamentalismus nicht homo religiosus, sondern politische Ideologie und eine Aktivität, der durch den Rückgriff auf die Religion Millionen von verzweifelten Menschen in einer desperaten Situation mobilisieren kann.22
Tibi meint, daß der Islam die Zivilisation einer monotheistischen Religion und zugleich das kulturelle System von 1,2 Milliarden Menschen ist. Es besteht kein Widerspruch darin, für einen Dialog mit dem Islam einzutreten und gleichzeitig vor den Bestrebungen der Fundamentalisten zu warnen. Denn es sind unterschiedliche Gegenstände, die nicht miteinander identisch sind.
In der arabischen Literatur wird der Begriff „Alusuliyya“ mit dem westlichen Begriff Fundamentalismus gleichgesetzt. Alusuliyya ist für die Muslime im allgemeinen die Sprache des Islam, damit ist gemeint, daß die islamischen Vorschriften beachtet und angewendet werden, aber die spezifische Bedeutung dieses Wortes im Islam wird als „din wa daula“ (Religion und Staat) definiert. Damit ist gemeint, daß alle Lebensbereiche politisch, sozial und wirtschaftlich für die Muslime im absoluten Einklang mit den religiösen Vorschriften des Islam stehen.23
In der vorliegenden Arbeit wird sehr häufig der Begriff Islamischer Fundamentalismus verwendet und an wenigen Stellen der Ausdruck Islamismus eingesetzt. Obwohl in der Realität Islamischer Fundamentalismus oder Islamismus das gleiche Ziel haben, nämlich die Umwandlung der Religion in eine Ideologie nur mit dem Unterschied, daß der Fundamentalismus bei der Umsetzung seiner Ziele Gewalt und Terrorismus anwendet.
Denn Religion betrifft in erster Linie das Verhältnis des Einzelnen oder der Gemeinschaft zu Gott.24 Eine Ideologie ist ein Ideengebäude, von dem seine Propagatoren erwarten, daß ihre Anhänger glauben, daß diese Ideologie ihrer Gemeinschaft zum besseren und erfolgreicheren Leben auf dieser Erde verhelfe.25 ABDEL HADI BOUTALEB meint, Moslems of course are conscious of their religion´s tolerance. They know that certain negative manifestations are not imputable to Islam but only to certain Moslems.26
Ist der Fundamentalismus nun der Glaube an die absolute Autorität eines Textes? Das ist eine plausible Definition, da die Muslime an die absolute Wahrheit ihrer Schriftenoffenbarung glauben.27
Das ist kein Hindernis, das Problem liegt vielmehr darin, daß die Vertreter der fundamentalistischen Bewegung eigene Interpretationen der islamischen Offenbarung dahin entwickelt haben, daß sie ihre politischen Forderungen und persönlichen Machtziele erreichen können.
Eine dieser politischen Forderungen ist die Entwicklung des al- Nizam al islami (islamisches System). Das zeigt uns, daß die politische Entwicklung der fundamentalistischen Bewegung seit den 70er Jahren eine völlig neue Erscheinung ist, nämlich das aus der islamischen Religion versucht wird, ein islamisches System zu entwickeln. Somit ist ein Charakteristikum des Fundamentalismus im Islam deutlich geworden. Ich kann dieses Charakteristikum durch die Gedanken und Äußerungen bestimmter Gruppierungen auf folgende Weise verdeutlichen. Die Gruppe „Takfir wa Hidjra“ in Ägypten versucht die Menschen in Schrecken zu versetzen, um ihre latenten Machtziele und ihr eigenes, angeblich islamisches, System zu realisieren. Dieser Typus von Menschen versucht durch eigene Interpretationen aus dem heiligen Text ihre Forderungen und ihre Ziele glaubwürdig zu machen, damit sie sich politisch effizient durchsetzen können. Es ist ihnen wahrscheinlich nicht klar, daß sie damit das Bild des Islams verzerren. Die Gefahr von Radikalismus und Politisierung wird durch diese Gruppierungen ständig wachsen und eine ständige Drohung für die ägyptische Gesellschaft sein. Aus allen diesen Beispielen sehe ich, daß die Fundamentalisten in allen Religionen ein gemeinsames Ziel haben, nämlich Macht und Gewalt zu gewinnen.
In Ägypten hat die Muslimbruderschaft (erste islamistische Organisation in Ägypten) eine wesentliche Rolle zur Entwicklung der Ideologie der Islamisten beigetragen.
Die Organisation der Muslimbrüder wurde im Jahre 1928 im ägyptischen Ismailiya von Hassan al Banna gegründet und konnte sich rasch zu einer breiten Volksbewegung mit Hunderttausenden von Mitgliedern überall in der arabischen Welt entwickeln. Ihr Ziel war es, die Muslime auf den rechten Weg des Glaubens zurückzuführen.
Dem britischen Kolonialismus stand sie unversöhnlich gegenüber, sie trat für die Rechte der Palästinenser ein und kämpfte 1948/49 im arabisch israelischen Krieg.28
Bis Mitte der 90iger Jahre war der Kampf für die Verbreitung ihrer Ideologie ihr wichtigstes Anliegen. Heute wird aber eine radikale Änderung im Verhalten und in der Strategie der Muslimbruderschaft beobachtet und zwar heißt ihre Parole: Reform anstatt Revolution.29
Was meint die Muslimbruderschaft tatsächlich mit dieser Reform? Laut Yusuf al-Qaradawi, dem ägyptischen Islamwissenschaftler wird mit der angestrebten Reform der Muslimbruderschaft die Anwendung der Scharia (islamisches Recht) in der Islamischen Gesellschaft angestrebt. Diese Scharia beinhaltet, daß jeder Muslim bekennen muß, daß es nur einen einzigen Gott gibt, der alles erschaffen hat und die Schöpfung erhält, leitet und entwickelt.30
Der Mensch nimmt in dieser Schöpfung eine besondere Stellung ein, die als Statthalterschaft Gottes auf Erden bezeichnet wird (Sura 2:31), da der Mensch von Allah mit besonderen Fähigkeiten ausgezeichnet worden ist, die es ihm ermöglichen, Macht über andere Teile der Schöpfung auszuüben.31
Um jede Form von Mißbrauch dieser Macht zu vermeiden, benötigt der Mensch bestimmte Richtlinien, die die Verhältnisse zwischen den Menschen innerhalb der islamischen Gesellschaft regeln. Die Quelle dieser Richtlinien wird im Islam als Scharia bezeichnet. Die Scharia ist hier die Gesetzmäßigkeit für die Muslime und die Grundlage für alle Lebensbereiche im islamischen Glauben, die im Koran ihren Ursprung hat.32
Aus der Scharia werden praktische Rechtsnormen abgeleitet, die im Prinzip die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Normen einer Gesellschaft regeln.33 Das heißt im Mittelpunkt der Scharia steht die Beurteilung aller Sachverhalte in der islamischen Gesellschaft. Es ist ein großer Verlust, daß der Islam nach der Auffassung der Islamisten nur auf die Scharia minimiert wird und die wichtigen Bereiche im Islam wie Toleranz und die umfangreichen sozialen Aspekte als auch die Förderung der Entwickung der islamischen Gesellschaft durch wissenschaftliche Forschung vernachlässigt wird.
Weiters wird aus der Beobachtung erkannt, dass die Fundamentalisten scharfsinnge und aufmerksame Beobachter der Moderne sind. Sie eignen sich deren nützliche Errungenschaften an, indem sie wesentliche Prozesse der Moderne nachahmen.34 Zu diesen Prozessen gehören allerdings auch Manipulation und eine neue Darstellung komplexer Argumentationen und Traditionen gemäß politischer oder rein ökonomischer Beweggründe 35
Es läßt sich feststellen, daß Fundamentalismus eine distinkte Richtung – eine Art Denkhabitus und Verhaltensmuster bezeichnet, die sich innerhalb moderner religiöser Gemeinschaften findet und in bestimmten repräsentativen Persönlichkeiten und Bewegungen verkörpert ist. Der Fundamentalismus ist, mit anderen Worten nach Martin E. Marty, eine religiöse Weise des Daseins, die sich als Strategie manifestiert, und sich als Belagerungszustand befindlich ansieht und deshalb versucht seine unverwechselbare Identität als Volk oder Gruppe zu bewahren.36
Die Fundamentalisten beobachteten die schwierige soziale Lage der Menschen in der ägyptischen Gesellschaft, was sie veranlaßt hat neue effiziente Wege zur Gewinnung neuer Anhänger zu finden. In der ägyptischen Gesellschaft existieren vorwiegend zwei Klassen von Menschen, eine elitäre, reiche, teilweise korrupte kaum aufgeschlossene Oberschicht, die ihr Geld möglichst ins Ausland transferiert, weil ihr eine Kapitalanlage im Inland als zu riskant erscheint.37 Die zweite Klasse stellt die Masse der schwer arbeitenden armen Bevölkerungsschichte dar. Weiters hat die Mittelschicht, welche aus einer kleinen Gruppe der ägyptischen Bevölkerung besteht (hauptsächlich Beamte), auch durch ihr geringes Einkommen und die soziale Benachteiligung, eine ergänzende Rolle zur Verstärkung der Position der Fundamentalisten. Die Behauptung mit der Rückkehr zum Islam wird als Allheilmittel für die Überwindung der sozialen und politischen Repressionen von breiten Bevölkerungsschichten bestätigt und somit die Stellung der Fundamentalisten in der ägyptischen Gesellschaft weiter verstärkt. Die Reaktion der Studenten auf diese Behauptung war positiv und akzeptabel. Denn die Studenten haben einerseits keine Aussicht auf eine berufliche Karriere wegen der hohen Arbeitslosigkeit und andererseits kein Patentrezept gegen das Bevölkerungswachstum und die Verarmung des Volkes anzubieten.38
Die Fundamentalisten wußten, daß sie mit ihren Ideen viele Menschen aus der breiteren Bevölkerungsschicht vor allem Arbeiter und Beamte gewinnen werden. Sie begannen ihre Aktivitäten mit der Errichtung ihres Zentrums in der Stadt FAYUM 100 km südwestlich von Kairo gelegen, dem Wohnort von Scheich RAHMAN, der aus Mangel an Beweisen im Oktober 1984 von der Anklage der Mitgliedschaft in einer Geheimorganisation freigesprochen wurde, die den Sturz der Regierung und die Errichtung einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild bezweckt hat.39 In dieser Stadt FAYUM kam es am 7. April 1989 nach der Freitagspredigt zu regierungsfeindlichen Kundgebungen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, bei denen ein Polizist ums Leben kam.40 MUBARAK reagierte darauf mit der Entlassung seines Innenministers ZAKI BADR am 12. Januar 1990, der sich durch sein hartes Durchgreifen sowohl bei den Fundamentalisten als auch bei der Linksopposition und den Intellektuellen höchst unbeliebt gemacht hatte.41 Der Gouverneur der Provinz Assiut, einer Hochburg der Fundamentalisten, wurde als Nachfolger für das Amt des Innenministers ernannt. Der neue Innenminister Mohammed ABDEL Halim Musa hat versprochen das Sicherheitsgesetz zu reformieren, und dem ägyptischen Volk verständlich gemacht, daß es keinen Unterschied gibt, zwischen einem Anhänger und einem Gegner der Regierung, solange sich beide an das Gesetz, die Legalität und die Verfassung halten.42 Obwohl der neue Innenminister versprochen hat, daß die Demokratie und die Freiheit des einzelnen gewährleistet wird, hatte er bestimmte Gewalt in seiner Sprache gezeigt, indem er gedroht hat, die Fundamentalisten auszurotten, wenn sie in irgendeiner Weise die Sicherheit der Gesellschaft zu beeinträchtigen versuchen.43 Er versprach weiters die Freilassung von 2.411 Anhängern der fundamentalistischen Gruppierungen, die durch die Verhängung der Notstandsgesetze seit der Ermordung des Präsidenten SADAT im Jahre 1981 bis jetzt ihre Gültigkeit haben, inhaftiert waren. Im Rahmen der Notstandsgesetze gingen die Sicherheitskräfte mit unverminderter Härte gegen die Opposition vor, und verfolgten die ganze Familie eines mutmaßlichen Regierungsgegners.44 Es kam oft zu Folterungen durch die Sicherheitskräfte, wenn die inhaftierten Personen nicht das gewünschte Geständnis gegeben haben. Die Kompetenzen der Gerichte waren eingeschränkt, die Behörden haben oftmals die unerwünschten Freisprüche ignoriert.45 Es war klar zu erwarten, daß es zu einer explosionsartigen Situation kommen wird. Im Gebiet der Stadt FAYUM kam es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und den Anhängern der Gruppe AL JIHAD, es wurden 15 Fanatiker von der Polizei erschossen und dabei acht Polizisten verletzt. Genauso gab es Konfrontationen mit den Fundamentalisten in den oberägyptischen Städten Assiut, MINJA und BANI SUWAIF.46
Die Reaktion des Innenmininsters war wieder eine Art Gewalt in seiner Sprache zu demonstrieren, indem er sagte, daß die Sicherheitskräfte in der Lage sind, jederzeit diese extremen Gruppierungen vollständig zu vernichten (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 130).
Ich sehe, daß die politische Unterdrückung und der ständige Einsatz von Gewalt, den Extremgruppierungen mehr gedient hat als ihnen geschadet. Dazu war die Dialoglosigkeit und die extremen Verhaltensweisen der Politiker und der Sicherheitskräfte ein nicht geringer Beitrag zur Etablierung der Fundamentalisten in der ägyptischen Gesellschaft.
Als zweiter wichtiger Beitrag zur weiteren Entwicklung dieser radikalen Gruppierungen in Ägypten war der Golfkrieg. Dieser Krieg hatte mit all seiner verursachten Problematik zu einer Verstärkung der Position der Fundamentalisten in Ägypten beigetragen.47 Die Konflikte, die durch diesen Krieg entstanden sind, waren laut Tibi eine Vertiefung und eine weitere Politisierung des bestehenden Grabens zwischen der Welt des Islam und dem Westen. Die Fundamentalisten haben dadurch eine klare Stellung gewonnen, daß eine Neuordnung des Nahen Ostens nur durch Bekämpfung der bestehenden Weltordnung, die sie als eine westlich dominierte Ordnung darstellen, zu realisieren ist.48 Eine weitere Ursache der Stärkung der ägyptischen Fundamentalisten, die ebenfalls durch den Golfkrieg zu beklagen ist, war die steigende Arbeitslosigkeit in Ägypten und somit die Milliarden Dollar Verluste, die durch die Rückkehr von rund 700.000 Arbeitskräften, die bisher in Kuwait und im Irak gelebt und ihre Löhne in die Heimat überwiesen hatten (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 131). Weiters waren die Wirtschaftsreformen im Jahre 1991 des IWF für die ägyptische Bevölkerung schmerzhaft und trugen somit zur Erhöhung der sozialen Spannung innerhalb der ägyptischen Gesellschaft bei(Weltgeschehen II/93; S. 133).
Präsident Mubarak versuchte die gespannte soziale Lage durch eine Amtsansprache an die ägyptische Bevölkerung zu beruhigen, indem er die Notwendigkeit dieser schmerzhaften Sparmaßnahmen rechtfertigte. Er setzte sich in dieser Ansprache mit der Bedeutung des Islam auseinander, da er geglaubt hat, daß er mit der Diskussion auf Grundlage der islamischen Religion bessere Chancen hat, die Aufmerksamkeit der Mehrheit des ägyptischen Volkes zu gewinnen. Er sagte, daß die Muslime für Frieden und Fortschritt in ihren Ländern sorgen sollten, und somit einen ehrenvollen und würdigen Status der islamischen Nation wiederherstellen müßten, und das kann nur in einer Atmosphäre der Stabilität realisiert werden (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 134).
Die Rede des Präsidenten hat in keinerweise die Situation entspannt, sondern es kam danach zu einem Zusammenstoß zwischen der Bevölkerung und der Polizei in der Provinz Assiut. Dabei wurden 14 Personen getötet. Der ägyptische Großmufti (Der oberste islamische Rechtsgelehrte) betonte, daß jene, die gegen den Frieden und die Stabilität des Landes mit Gewalt vorgehen, sind keine Muslime.(Weltgeschehen II/93; S. 136-137).
In diesem Zusammenhang schrieb die FAZ: Das Zusammenwirken vom wiedererwachenden Islam und sich verschlechternder Wirtschaftslage verschafft den Fundamentalisten in Ägypten seit einigen Jahren Auftrieb. Bei einer Geburtenrate von 2,7 % wächst die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam. Die Durchschnittseinkommen verharren auf niedrigem Niveau, wegen der Rezession und der fehlenden Investitionspolitik seitens der Regierung (ebenda).
Die Eskalation erweiterte sich auf andere Teile des Landes und die Anschläge waren gezielt gegen Touristen gerichtet, um die politische Lage des Regimes zu schwächen. Diese Anschlagsserie hat in der Reisesaison 1993/1994 rund eine Milliarde Dollar eingebüßt. Der Fremdenverkehr war um 45 Prozent zurückgegangen (Vgl. Standard 29.9.1994; S. 4).
Schriftsteller und Intellektuelle wurden nicht davon verschont. Dem Literatur-Nobelpreisträger NAGIB MACHFUS wurde mit einem Messer in den Nacken gestochen und dabei schwer verletzt, weil er immer wieder seine Ablehnung gegen den religiösen Fanatismus betont hat (Vgl. FAZ 15.10.1994; S. 6).