Ins Deutsche übertragen von
Ki-Hyang Lee und Dirk Grosser
Illustrationen von Lisk Feng
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Die amerikanische Ausgabe dieses Buches erschien 2018 unter dem Titel »Love for Imperfect Things« bei Penguin Books. Sie wurde von Haemin Sunim und Ki-Hyang Lee aus dem koreanischen Original (Suobooks) übersetzt. Die deutsche Übersetzung folgt dem englischen Text. Die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe wurde vermittelt von Penguin Books, an Imprint of Penguin Publishing Group, a divison of Penguin Random House LLC.
eBook-Ausgabe 2018
Copyright © Haemin Sunim, 2016
© der deutschen Ausgabe 2018 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagmotiv: Lisk Feng
Layout und Satz: Danai Afrati & Robert Gigler
Konvertierung: Bookwire
ePub: 978-3-95803-223-1
Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.
Alle Rechte vorbehalten.
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Freiheit bedeutet, keine Furcht
vor dem Unvollkommenen zu haben.
– ZEN-MEISTER SENGCHAN
VORWORT
Kapitel 1
SELBSTLIEBE
Sei nicht zu nett
Es genügt, dass es dich gibt
Kapitel 2
FAMILIE
»Bitte kümmere dich um meine Mama!«
Den eigenen Vater verstehen
Kapitel 3
MITGEFÜHL
Die Kraft von Umarmungen
Zuhören ist ein Ausdruck von Liebe
Kapitel 4
ZUSAMMENLEBEN
Zwischenmenschliche Beziehungen im Zen-Retreat
Umgang mit Enttäuschungen
Kapitel 5
MUT
Für meine jungen Freunde
Der erste Misserfolg
Kapitel 6
HEILUNG
Wenn Verzeihen unmöglich scheint
»Haemin Sunim, ich bin traurig!«
Kapitel 7
ERLEUCHTUNG
Der Sitz des Geistes
Meine spirituelle Reise
Kapitel 8
AKZEPTANZ
Die Kunst, loszulassen
Was wir aus einem Tiefpunkt im Leben lernen
ES GIBT FILME, die hinterlassen in uns dauerhaft einen tiefen Eindruck. In meinem Fall war das der Film Aus der Mitte entspringt ein Fluss. Der Film spielt Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts vor Montanas traumhafter Naturkulisse in einer beschaulichen Kleinstadt. Er erzählt die Geschichte der McLeans, deren Liebe gleichermaßen dem Fliegenfischen wie der Religion gilt. Der Vater ist Pastor und hat zwei Söhne von grundverschiedenem Charakter. Während Norman, der ältere, als Professor gemäß den Vorstellungen des Vaters lebt, verfällt der jüngere Sohn Paul, der Lokalreporter ist, immer mehr dem Alkoholismus und der Spielsucht, bis er zuletzt wegen seiner Spielschulden auf der Straße erschlagen wird. Bei seiner Sonntagspredigt trauert der Vater in tiefer Verzweiflung um den Verstorbenen. Vor der versammelten Gemeinde drückt er die Liebe zu seinem zweiten Sohn, seine Emotionen bewusst zurückhaltend, mit folgenden Worten aus: »Wir können sie vollkommen lieben, auch wenn wir sie nie vollkommen verstehen.«
Für den Vater ist schwer nachvollziehbar, warum Paul ein so ausschweifendes Leben geführt hat. Dennoch hat er nie aufgehört, seinen Sohn zu lieben, da für ihn Liebe das menschliche Fassungsvermögen, die menschliche Vernunft übersteigt.
Anstatt jemanden nur zu lieben, den man versteht und dessen Verhalten einem gefällt, wird hier von der tiefen Liebe eines Vaters erzählt, die auch dann nicht aufhört, wenn jemand sich in einer Weise verhält, mit der man nicht einverstanden ist. Wie ein Fluss fließt diese Liebe tief im Herzen beständig dahin.
WENN WIR unser Leben betrachten, sehen wir viele unvollkommene Dinge, so wie wir Staub auf einem alten Spiegel entdecken. Wenn wir in uns gehen, erkennen wir, dass wir nicht fehlerfrei sind: Unsere Worte und unser Handeln weichen voneinander ab, in den Beziehungen zu anderen knirscht es, unsere sorgsam ausgearbeiteten Pläne für die Zukunft gehen gründlich schief. Auch verletzen wir immer wieder bewusst und unbewusst Menschen und tun Dinge, die unser Gewissen belasten und die wir bereuen. Wenn wir aber unsere Familie, Freunde und Kollegen betrachten, erkennen wir, dass sie auch nicht anders sind als wir selbst. Deine Kinder, die nicht auf dich hören; deine Eltern, die dich nicht verstehen; dein Ehepartner, der sich nicht so verhält, wie du dir das eigentlich vorstellst; gute Freunde, deren Lebensgewohnheiten nicht gerade gesund sind und um die du dir Sorgen machst. Und jeden Morgen bringt das Fernsehen aus aller Welt unaufhörlich Nachrichten von Konflikten und Auseinandersetzungen, Unfällen und ungewöhnlichen Vorfällen. Die Liste scheint unendlich zu sein.
UND DOCH: Selbst wenn wir in einer Welt der Unvollkommenheit leben, können wir nicht aufhören, sie zu lieben. Unser Leben ist einfach zu wertvoll, um es mit Hass und Abneigung gegenüber Dingen anzufüllen, die uns nicht gefallen oder die wir nicht verstehen. Wenn wir auf spiritueller Ebene reifer werden, entwickeln wir mehr Mitgefühl und lernen die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Dies lehrt uns wiederum, der Unvollkommenheit, unserer und die der anderen, mit mehr Nachsicht und Großzügigkeit zu begegnen. Auf diese Weise können wir unser Leben so betrachten, wie eine Mutter liebevoll ihr Kind ansieht.
IN DIESEM BUCH habe ich meine Überlegungen zusammengetragen, wie wir lernen können, der Welt und uns selbst mitfühlender zu begegnen. Zudem haben mir Menschen, denen ich bei meinen Lesungen und Vorträgen begegnet bin, neue Horizonte eröffnet. Ihre Lebensgeschichten und Fragen haben mein Herz erwärmt und meine Weisheit vergrößert. Ich bete, dass dir dieses Buch in Zeiten von Hoffnungslosigkeit Mut machen und in schwierigen Zeiten Frieden bringen kann.
HAEMIN SUNIM
Schule der gebrochenen Herzen, Seoul
Wenn wir freundlicher
zu uns selbst werden,
können wir auch der Welt
freundlicher begegnen.
WARST DU FRÜHER eines jener Kinder, denen man oft sagte, sie seien brav? Hast du deinen Eltern, Lehrern und älteren Geschwistern selten widersprochen und dich stets zurückgenommen, anstatt dich zu beschweren? Gibst du auch jetzt als Erwachsener stets dein Bestes, um es anderen recht zu machen, und vermeidest es, anderen zu nahezutreten? Lässt du alles über dich ergehen, selbst wenn du auf Menschen triffst, die dich belästigen oder ungerecht behandeln? Und äußerst du ungern Worte, die anderen Menschen wehtun oder deine Beziehung zu diesen belasten könnten?
Ich habe viele solcher »braven« Menschen getroffen, die unter Depressionen, Angstzuständen oder Verbitterung leiden – innere Zustände, die ihren Ursprung in schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen haben. Solche Menschen sprechen stets in ruhigem Ton, sind sanftmütig und fürsorglich gegenüber ihren Mitmenschen. Sie opfern sich regelmäßig auf und verzichten auf eigene Vorhaben und Pläne, sobald andere Menschen sich das wünschen. Ich fragte mich, warum ausgerechnet so gutherzige Menschen oft Opfer mentalen und emotionalen Leids werden.
TATSÄCHLICH BIN AUCH ich von klein auf introvertiert und sanftmütig gewesen, weshalb man mich öfter als folgsames Kind gelobt hat. Ich war überzeugt, dass es richtig ist, ein braver Sohn zu sein, der seinen Eltern keinen Kummer bereitet, und ein guter Schüler, der den Lehrern gehorcht. Doch als ich in Amerika studierte, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass es Probleme mit sich bringt, immer nur gutmütig zu sein. Bei Gruppenarbeiten musste ich mit klugen und selbstbewussten Studenten zusammenarbeiten, wobei an mir meist die Aufgaben hängen blieben, die sonst niemand übernehmen wollte. Um Konflikte zu vermeiden, nahm ich das hin. Auf Dauer geriet ich deswegen enorm unter Stress. Als ich mein Herz öffnete und über meine Probleme mit einem älteren amerikanischen Kommilitonen sprach, gab er mir folgenden Rat:
»Sei zuerst gut zu dir selbst – und erst dann zu anderen!«
ICH WAR WIE vom Donner gerührt. Bis dahin hatte ich mich ständig darum gesorgt, was meine Mitmenschen über mich dachten. Nicht eine Sekunde hatte ich darauf verwendet, mir vorzustellen, was es hieße, mich selbst zu lieben.
Ich glaube, als »gut« oder »brav« bezeichnen wir im Allgemeinen Menschen, die ihre Meinung nicht stark vertreten und den Wünschen anderer schnell nachgeben. Mit anderen Worten: Menschen, die es gewohnt sind, ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zu unterdrücken. Wenn mir jemand immer zuhört und sich nach mir richtet, mag ich ihn oder sie und spreche von einem »guten Menschen«. Es scheint, dass »gut« damit zusammenhängt, zu viel an andere zu denken und sich selbst wenig Ausdruck zu verschaffen.
Natürlich trifft es nicht immer zu, aber bei diesen Menschen kann man häufig das gleiche Muster in der Erziehung entdecken. Viele sind in einem Elternhaus mit einem besonders strengen Vater oder einer dominanten Mutter aufgewachsen. Anderen wurde inmitten mehrerer Geschwister zu wenig elterliche Aufmerksamkeit zuteil, weshalb sie ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung entwickelten. Um diese zu erhalten, versuchten sie, den Eltern alles recht zu machen. In anderen Fällen hatten Mutter und Vater keine gute Beziehung miteinander, oder die finanzielle Situation der Familie war angespannt, wodurch die Betroffenen sich besonders bemühten, ihren Eltern keine zusätzlichen Sorgen zu bereiten.
Das Problem dabei ist, dass wir unsere Interessen und unsere Emotionen vernachlässigen, wenn wir uns allzu sehr auf das Leben und die Wünsche anderer fokussieren. Wer seine Gefühle von klein auf für nicht wichtig erachtet, verdrängt und ignoriert, hat auch später als Erwachsener kein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und für das eigene Selbst. Dann begegnen uns vielleicht Menschen, die uns ungerecht behandeln oder uns das Leben schwer machen, doch anstatt unser Gegenüber damit zu konfrontieren, fressen wir unseren gerechten Zorn in uns hinein und machen uns schließlich selbst Vorwürfe: »Warum bin ich so ein Idiot, dass ich nicht anspreche, was mich ärgert?«
NIMM DIR diesen Punkt bitte unbedingt zu Herzen: Die eigenen Emotionen sind zu keiner Zeit gering zu achten. Niemand sollte sie leichtfertig übergehen, vielmehr sind sie etwas Wertvolles, das die volle Aufmerksamkeit verdient. Führe dir vor Augen, dass Gefühle nicht verschwinden, nur weil du sie verleugnest. Viele psychische Probleme entstehen dadurch, dass die Energie unterdrückter Emotionen keinen gesunden Weg findet, aus dem Herzen hinauszufließen, während das Verdrängen zur Gewohnheit wird. Wasser, das gestaut wird, anstatt zu fließen, wird faulig. Diese Aussage lässt sich auch auf Gefühle übertragen.
Es ist nie zu spät. Versuche von nun an, zuerst auf deine innere Stimme zu hören und darauf, was du dir wünschst, bevor du die Erwartungen anderer erfüllst. Du wirst es auf Dauer nicht aushalten, den Bitten deiner Mitmenschen zu entsprechen, obwohl du es eigentlich nicht tun willst. Überwinde dich stattdessen dazu, offen zu sagen, was du fühlst, damit dein Gegenüber dich verstehen kann. Mache dir zuvor keine Gedanken darüber, ob dir der andere das verübeln könnte oder ob es eure Beziehung belasten würde. Vielleicht hätte derjenige den Wunsch nicht geäußert, wenn er deine Abneigung gekannt hätte.
Wenn andere einen Kaffee trinken möchten, du aber Lust auf einen Chai Latte hast, dann sage: »Ich will lieber einen Chai Latte«, ohne dich dabei schlecht zu fühlen. Du darfst das sagen. Natürlich ist es begrüßenswert, wenn wir uns gegenüber unseren Mitmenschen rücksichtsvoll verhalten, aber wir haben auch die Pflicht, uns selbst wertzuschätzen.
Die eigenen Wünsche formulieren zu können,
ohne dass man sich dazu durchringen muss,
ist eine Fähigkeit, die so unverzichtbar ist,
wie lesen zu können.
Haben wir diese nicht, staut sich unser Groll an,
bis er eines Tages aus uns herausbricht wie ein Vulkan
und letztendlich dafür sorgt, dass unsere Beziehungen
zu Freunden, Bekannten oder gar der Familie
in die Brüche gehen.
Bedrückt dich zunehmend der Gedanke,
dass du die zu erledigende Arbeit immer
alleine schultern musst?
Dann sage offen, ohne mit dir zu hadern:
»Allein schaffe ich das nicht. Könntest du mir helfen?«
Nach und nach wird es leichter werden,
deine Emotionen zu zeigen.
Wenn jemand dich um etwas bittet, vergiss nicht,
dass es stets völlig in Ordnung ist zu sagen:
»Es tut mir leid, das geht leider nicht.«
Wir sind nicht verpflichtet,
bedingungslos einer Bitte nachzukommen,
die uns überfordern oder über die Maßen anstrengen würde.
Wenn du fürchten musst, durch eine Ablehnung
den anderen als Freund zu verlieren, war die Beziehung
von Anfang an im Ungleichgewicht.
Im Flugzeug werden Eltern angewiesen, im Notfall
zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske anzulegen,
bevor sie ihren Kindern helfen.
Genauso solltest du dich zuerst um dich kümmern.
Das ist keineswegs eine selbstsüchtige Haltung.
Nur wenn du dich selbst glücklich fühlst, kannst du auch
die Menschen um dich herum glücklich machen.
Erst wenn du dich selbst wertschätzt,
wird auch die Welt dich wertschätzen.
Sei gut zu dir selbst. So wie man
mit lieben Menschen Zeit verbringen möchte,
nimm dir heute einmal Zeit für dich selbst.
Gönne dir etwas Leckeres,
lies ein gutes Buch, mache einen Ausflug
und genieße eine schöne Aussicht.
Kümmere dich mit der gleichen Sorgfalt um dich selbst,
wie du es bei denjenigen tust, die du liebst.
Mein lieber Freund, meine liebe Freundin:
Der Anteil deiner selbst, der vielleicht
unvollkommen ist oder zerbrochen,
kann dich motivieren, an dir zu arbeiten,
und dich letztlich zu einem gelungenen Leben führen.
Er kann dir auch helfen, andere Menschen
zu verstehen und mehr Mitgefühl zu entwickeln.
Hadere also nicht mit deinen Makeln,
sondern betrachte sie mit Dankbarkeit.
Es ist keine Schande, Schwächen zu haben.
Wie kann ein Menschenleben so rein und weiß
wie das Federkleid eines Kranichs sein?
Im Laufe unseres Lebens können wir
an Körper und Geist Schaden nehmen,
genauso wie in unseren Beziehungen.
Anstatt zu versuchen, ohne die kleinste Schramme
durchs Leben zu kommen, indem du aus Angst vor
Fehlern nichts wagst, solltest du lieber
Misserfolge und Verletzungen in Kauf nehmen,
damit du dein Leben um neue Erfahrungen bereicherst.
Es ist Zeit für eine Liebeserklärung an dein Leben,
für das du täglich kämpfst.
Wir alle verschließen Dinge in unseren Herzen,
die uns belasten, aber die wir anderen
nicht offenbaren möchten.
So machen wir ein Geheimnis aus Krankheiten,
unseren Geldangelegenheiten, unserer Sexualität,
unseren Beziehungen oder unserer Familiengeschichte.
All dies kann ein tief sitzendes Gefühl der Minderwertigkeit,
der Scham, der Angst oder der Schuld hervorrufen.
Doch dieser Ballast lehrt uns auch Demut
und schärft unser Verständnis für andere.
Menschen sind nicht nur das,
was sie nach außen hin scheinen.
Beurteile sie also nicht danach, wie sie
nach außen hin auftreten, denn sie werden Schwierigkeiten
meistern müssen, von denen niemand weiß.
Warst du schon einmal neidisch auf deine Freunde,
als du in einem der sozialen Netzwerke Bilder von
einer Party gesehen hast, auf der sie ausgelassen feiern?
Einer unserer größten Fehler besteht darin, permanent das,
was wir von unseren Freunden wahrnehmen,
mit der eigenen Gemütsverfassung abzugleichen.
Dabei wissen wir häufig nicht,
wie unglücklich sie sich im Innersten fühlen.
Vielleicht beneiden deine Freunde dich, weil sie dich
nach dem beurteilen, was du ihnen von dir zeigst.
Hast du gleichaltrige Verwandte,
auf die du manchmal eifersüchtig bist?
Vielleicht eine Cousine, die bessere Schulleistungen erzielt,
eine bessere Universität besucht
oder einen besseren Job hat als du selbst?
Bedenke, dass niemand von uns weiß, wie sein Leben
verlaufen ist, bevor er nicht unter der Erde liegt.
Wenn wir jung sind, drehen sich unsere Gedanken um Noten,
Ausbildung und Karriere. Je älter wir aber werden,
desto mehr verlieren diese Dinge an Bedeutung.
Die großen Gewinner werden am Ende diejenigen sein,
die zeitlebens zufrieden waren.
Nicht wegen deiner körperlichen Unzulänglichkeiten
finden Menschen dich unattraktiv, sondern weil du
dich minderwertig fühlst und deshalb immer so wirkst,
als fühltest du dich unwohl. Sogar, wenn es tatsächlich
etwas Unattraktives an dir geben sollte, wirst du kein
großes Problem damit haben, wenn du zufrieden mit
dir selbst bist und dich in deiner Haut wohlfühlst.
Erinnere dich stets daran, dass die größte Anziehungskraft
von deinem Selbstbewusstsein ausgeht.
Es ist völlig in Ordnung, nicht auf dem ersten,
zweiten oder dritten Platz zu landen.
Vergleiche dich nicht mit anderen,
sondern nur mit deinen früheren Leistungen.
Achte dich selbst dafür, eine echte Anstrengung
unternommen zu haben.
Und mache voller Vertrauen zu dir weiter!
Wer sich das Urteil anderer Menschen zu sehr
zu Herzen nimmt, wird immer mehr in sich
zusammensinken, bis er sich kaum mehr rühren kann.
Aber genau darauf zielen die Kritiker ab.
Überlasse nicht gerade denjenigen den Schlüssel
zu deinem Schicksal, die dich kritisieren.
Wann immer sie ihre Stimme erheben, rufe ihnen entgegen:
»Wer zuletzt lacht, lacht am besten!
Ihr spornt mich doch nur an!«
»Warum sollte ich mir durch leichtfertig geäußerte
Vorwürfe von Menschen, die mich nicht kennen,
mein Leben kaputt machen lassen?«
SEOK-CHEON HONG, ERSTER KOREANISCHER
PROMINENTER, DER SICH ÖFFENTLICH
ZUR HOMOSEXUALITÄT BEKANNT HAT
Sobald du dich damit beschäftigst,
was andere über dich sagen, und anfängst,
ihnen zu glauben, wird das Gerede
deinen Geist beherrschen.
Nur weil es dir ständig durch den Kopf geht,
ist es noch lange nicht wahr.
Lass die Meinung anderer nicht dein Leben bestimmen.
»Wenn du eine innere Stimme hörst,
die dir sagt, ›du kannst nicht malen‹,
dann male mit allen Mitteln drauflos!
Damit wird diese Stimme zum Schweigen gebracht.«
VINCENT VAN GOGH
Wir sind nicht deswegen wert, geliebt zu werden,
weil wir irgendetwas gut gemacht haben,
sondern weil wir grundsätzlich wertvolle Wesen sind.
Auch wenn wir den Erwartungen der Welt
in puncto Vollkommenheit nicht gerecht werden,
hat unser Dasein an sich bereits einen Wert,
um dessentwillen man es lieben soll.
In Indien begrüßt man sich mit dem Wort »Namaste«,
wie man bei uns »Hallo« sagt.
Doch darin steckt eine tiefere und wunderbare Bedeutung.
Es heißt nämlich: »Das Göttliche in mir
grüßt das Göttliche, in dir.«
Unser Dasein ist etwas viel Größeres
und Heiligeres, als wir glauben.
Nein, du bist nicht dadurch wertvoll,
dass du die Forderungen erfüllst,
die die Welt an dich stellt,
sondern du bist liebenswürdig und wertvoll –
allein, weil es dich gibt.
ALS ICH von Buddhisten in Neuseeland und Australien zu Dharma-Vorträgen eingeladen wurde, überquerte ich zum ersten Mal in meinem Leben den Äquator, um nach Auckland und anschließend nach Sydney zu fliegen. Trotz der langen Flugstrecke von Seoul dorthin freute ich mich darauf, denn die Reise gab mir die Gelegenheit, ein altes Versprechen einzulösen: ein Besuch bei meinem besten Freund aus meiner Studienzeit in Amerika. Er war nach dem Abschluss an eine australische Universität gegangen, an der er nun als Professor arbeitete. Das war zehn Jahre her. Jedes Jahr, wenn ich seine Weihnachtskarte bekam, gemahnte sie mich an mein nicht eingelöstes Versprechen. Allein der Gedanke, dieses Versäumnis endlich nachholen zu können, versetzte mich in Hochstimmung.
Kaum hatte ich den Boden auf der anderen Erdhalbkugel betreten, merkte ich sofort, dass das Wetter ganz anders war als in Seoul. Am ersten Tag stieg die Temperatur während meines ersten Dharma-Vortrags auf über 35 Grad. Und ich lernte, dass man südlich des Äquators eine Wohnung auf der Nordseite wählt, wenn man viel Sonne haben möchte. Die meisten Flüsse fließen nach Norden, und am Nachthimmel sucht man vergebens die Plejaden. Dafür erstrahlt das Kreuz des Südens. Doch obwohl sich vieles genau gegensätzlich zu dem zeigte, wie ich es gewohnt war, erschienen mir Australien und Neuseeland nicht völlig fremd – vor allem wegen der Menschen dort. Sie führten das gleiche hektische und manchmal einsame Leben, wie es in modernen Großstädten überall auf der Welt der Fall ist. Mir war es daher eine tiefe Befriedigung, dass ich mit meinen bescheidenen Worten etwas Trost und Weisheit anbieten konnte.
ERST NACH ABSCHLUSS