Franjo Terhart
Der Magus Maximus von Rom
Franjo Terhart, 1954 in Essen geboren, unterrichtete einige Jahre Latein und Philosophie, war zwischen 1985 und 1990 für den WDR und verschiedene Zeitungen tätig und arbeitete von 1990 bis 2016 als freiberuflicher Kulturbeauftragter für die Stadt Neukirchen-Vluyn. Insgesamt sind mehr als 70 Romane, Sachbücher, Jugendbücher und 25 Hörspiele u. a. für die ZEIT von ihm erschienen. Mehrere seiner Werke wurden in insgesamt zwanzig Sprachen übersetzt. Viele seiner Bücher handeln von antiken oder mittelalterlichen Themen. Von seinen Kinderkrimis im Alten Rom um „Spürnase Cornelia“ sind bislang drei Romane erschienen. Weitere Infos unter: www.franjo-terhart.de
Mele Brink, geboren 1968 in Ostwestfalen, lebt seit Ende der 80er Jahre in Aachen. Nach einem Architekturstudium (Diplom 1998) hat sie sich völlig der Zeichnerei verschrieben und produziert seitdem heitere Bilder in Form von Comics (Rucky Reiselustig), Cartoons, Wimmelbildern, Schul- und Kinderbuchillustrationen. Seit 2014 betreibt sie zusammen mit Bernd Held zusätzlich den Kinderbuchverlag Edition Pastorplatz. Für den Kinderkrimi im alten Rom musste sie doch tatsächlich ihre Baugeschichtskenntnisse auffrischen …
www.editionpastorplatz.de
www.melebrink.de
Ammianus Verlag
Erste Auflage August 2018
© 2018 Ammianus GbR Aachen
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Umschlaggestaltung: Mele Brink und Thomas Kuhn
Lektorat: Dr. Jörg Fündling
Zeichnungen im Innenteil: Mele Brink
Satz: Susanne Richter
Druck und Bindung: tz-Verlag
Printausgabe-ISBN: 978-3-945025-91-8
Ebook-ISBN:978-3-945025-92-5
www.ammianus.eu
www.facebook.com/AmmianusVerlag
Printed in Germany
Gaius Titus Publius Cornelia
vier Freunde und Spürnasen aus Rom,
Titus ist der Bruder von Cornelia
Marcus Statilius: Vater von Titus und Cornelia, Imker
Lucretia: seine Frau
Onkel Scaevus: älterer Bruder des Vaters
Phyllis: Dienerin im Haus des Imkers
Marcus Antonius: Lehrer
Demetrios: betagter Diener im Haus des Lehrers
Lucius, Sestius, Clodia, Cato, Bella, Plautus, Creticus:
Schüler und Schülerinnen von Marcus Antonius
Helladius: der Magus Maximus
Decimus „Flinkefinger“: sein wichtigster Sklave
Magnotaurus: ein hünenhaftes, bärenstarkes Wesen
Kleopatra: Königin von Ägypten
Gaius Julius Cäsar: Erster Konsul Roms
Marcus Claudius Marcellus: Senator
Gaius Claudius Marcellus: Senator
Lampronius: stadtbekannter Feuerwehrmann und Helfer in der Not
Gravius, Valerius, Aulus, Nevio: seine Freunde
Alexis: Künstler, Bildhauer
Ihr Schlaf war alles andere als gut. Unruhig wälzte sich Cornelia auf ihrer Matratze hin und her. Das Mädchen träumte. Es träumte Unheimliches. Im diesem Traum war sie mit einem furchtbar dicken Mann konfrontiert, der ständig grinste und seinen Mund unnatürlich weit aufriss, als wolle er sie fressen. Er trug eine bunte, weite Tunika und hatte einen seltsamen Kopfschmuck auf seinem kahlen Schädel. Dieser Kopfschmuck war lebendig: zwei Schlangen wanden sich um einen roten Pilleus, eine Art Filzkappe, wie sie Menschen im Winter an den ausgelassenen Tagen der Saturnalien trugen. Dann waren diese Kappen der freigelassenen Sklaven ein Zeichen für die Gleichheit aller.
Im Traum blickte der unheimliche Mann Cornelia drohend in die Augen. Nun stand er dicht vor ihr. Sie roch seinen fauligen Atem. Ängstlich wich das Mädchen zurück, aber der Mann kam näher und näher. Sein Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen: Hab’ ich dich endlich! Aus seinen dunklen Nasenlöchern stieg Rauch empor und aus seinen Augen zuckten rötliche Feuerstrahlen. Cornelia schrie entsetzt auf und wurde endlich wach. Helles Sonnenlicht fiel in ihr Zimmer.
Dank allen Göttern! Nur ein blöder Traum, dachte das Mädchen erleichtert. Zugleich erfasste Cornelias Nase, dass es im Haus komisch roch. Nicht nur komisch, sondern …? Nach Verbranntem! Die Götter zu Hilfe! Da hörte sie auf dem Gang auch schon ihren Bruder Titus aufgeregt schreien: „Feuer! Es brennt in der Küche. Schnell!“
Im Nu war Cornelia aus dem Bett. Hastig warf sie sich einen leichten, wollenen Umhang über die Schultern und eilte aus dem Zimmer hinaus Richtung Küche. Hektisches Rufen, lautes Hin- und Hergelaufe und ängstliches Gekreische von Phyllis drang an ihre Ohren. Wie schlimm mochte es sein? Feuer in Rom war alltäglich. Nicht selten brannten mehrstöckige Wohngebäude ab, vor allem durch Unachtsamkeit oder durch Dummheit. Cornelia konnte sich jedoch nicht daran erinnern, dass es jemals Feueralarm im Haus ihres Vaters, bei dem stadtbekannten Imker, gegeben hatte.
Eilig bog Cornelia um eine Ecke des Flures und erblickte zuerst Phyllis, die wie ein angeschossenes Reh herumirrte. Ihre ohnehin hohe Stimme kippte und die Tonlage, die sie zum Besten gab, hätte selbst den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus in den Wahnsinn getrieben. Vermutlich war Phyllis die Schuldige für den Brand, durchfuhr es Cornelia. Nun, Phyllis, die Sklavin, war im Grunde ein nettes Mädchen, vielleicht fünf Jahre älter als Cornelia. Sie arbeitete gut, wie Cornelias Mutter Lucretia gerne herausstellte, aber Phyllis galt auch als chaotisches Trottelchen. Häufig genug hantierte sie ungeschickt im Haushalt. Eine Amphore, zwei Teller und Vaters griechischen Lieblingskrug hatte sie bereits auf dem Gewissen. Beim anschließenden Zusammenfegen der Scherben hatte sie sich auch noch geschnitten und konnte mit ihrem Verband am Arm eine Woche lang nicht richtig arbeiten. Trotz ihrer offensichtlichen Ungeschicklichkeit mochten Phyllis alle in der Familie, weil sie so herzlich lachen konnte. Wenn sie anfing, war es einem unmöglich, nicht selbst in lautes Lachen auszubrechen. Ihr Lachen steckte jeden an.
Nun stand die in Tränen aufgelöste Sklavin vor Marcus Statilius und versuchte diesem mit sich überschlagender Stimme zu erklären, was vorgefallen war. Offenbar war in der Küche ein Öllämpchen aus Ton umgestürzt und hatte dabei Stroh auf einem Holztischchen entzündet. Phyllis war mal wieder zu linkisch gewesen. Die Sklavin zitterte vor Angst am ganzen Körper. Mit bebenden Lippen flehte sie den Hausherrn an, er möge sie bitte nicht schlagen.
Cornelia musste schmunzeln. Ihr Vater würde niemandem etwas zuleide tun – nicht mal einem bissigen Hund. Der Imker war der ruhigste und friedliebendste Mensch der Welt, fand jedenfalls seine Tochter. Aber dennoch war die Gefahr in der Küche längst nicht gebannt.
„Ich habe mir vorhin, als fast alle noch schliefen, Stroh aus dem Lagerraum geholt, um es in meine Matratze zu stopfen. Das Stroh habe ich auf dem Tisch in der Küche dafür vorbereitet. Dabei muss ich das Öllämpchen…“
Phyllis schluchzte auf und ihre Stimme versagte. In der Küche brannte der Tisch lichterloh, und wenn nicht rasch was getan wurde, würde sehr schnell der ganze Raum in Brand geraten. Doch der Imker, seine Frau, Phyllis und auch die Geschwister Titus und Cornelia standen da wie gelähmt. Ängstlich starrten sie auf die Flammen, so wie das Kaninchen auf die gefährliche Schlange.
Da wurde auf einmal die Haustür weit aufgerissen und wie aus heiterem Himmel stürmten drei Männer in den Flur. Einer von ihnen trug eine Matte bei sich, über die er im Laufen aus einer kleinen Metallflasche eine Flüssigkeit kippte. Damit eilte er in die Küche hinein. Die anderen folgten ihm. Sie trugen Äxte in ihren Händen und hatten Stiefel an den Beinen wie Soldaten. Mit der durchtränkten Matte rannte der Fremde auf den brennenden Tisch zu und schlug damit auf die Flammen ein. Die anderen zwei füllten rasch einen mitgebrachten Feuereimer mit dem Wasser, das in einem großen Krug neben dem Herd stand. Alle, die zuschauten, trauten ihren Augen kaum, wie das Ganze ablief. Blitzschnell löschten die drei Männer den Brand, auch wenn die Küche danach aussah, als ob eine Herde wilder Stiere durch sie gestürmt wäre.
Der Imker, seine Frau, ihre Kinder und die noch immer verschreckte Sklavin blickten die Fremden mit erstaunten Augen an. Wer waren diese und wo kamen sie so schnell her? Da trat der größte und kräftigste von ihnen, der mit seiner Matte das Feuer bekämpft hatte, an die Bewohner heran.
„Entschuldigt unser rasches Eingreifen, Herr dieses Hauses. Wir gingen an eurem Anwesen vorbei und sahen dichten Rauch aufsteigen. Wir haben sofort gehandelt, denn wir sind Feuerwehrleute. Rein zufällig kamen wir hier vorbei. Es hätte, bei Vulcanus, böse für euch ausgehen können.“
Marcus Statilius hatte sich wieder gefasst und bedankte sich aufrichtig bei seinen Rettern. „Wir waren über die Flammen derart erschrocken, dass wir wie betäubt dastanden. So rasch hätten wir auch nichts zum Löschen gefunden. Die Götter mögen euch ein langes Leben schenken, denn ohne eure Hilfe hätte mein schönes Haus bis auf die Grundmauern abbrennen können.“
Zu seiner Frau sagte er eilig: „Lauf und hole etwas von meinem besten Honig für die drei tapferen Kerle. Sie sollen einen guten Lohn erhalten.“
Lucretia und Phyllis eilten davon, um den Wunsch des Hausherrn zu erfüllen. Der Honig von Cornelia und Titus’ Vater war eine Köstlichkeit, von der fast alle in Rom sprachen. Und dieser leckere Honig war teuer. Die Feuerwehrmänner strahlten vor Glück. Damit hatten sie nicht gerechnet.
„Ich bin Lampronius“, stellte sich der Großgewachsene von ihnen vor. „Die beiden hier sind meine besten Freunde: Nevio und Aulus. Gegen das kleine Feuer auf dem Tisch hat meine essiggetränkte Matte sofort geholfen. War gar nicht der Rede wert. Aber wir sagen euch herzlich Dank für eure Großzügigkeit.“
Sie nahmen die Honigkrüge in Empfang, grüßten und verließen danach so schnell das Haus, wie sie gekommen waren. Cornelia, die sich ebenfalls wieder gefangen hatte, hätte Lampronius gern das Eine oder das Andere gefragt. Aber dazu kam es leider nicht, weil die drei Männer auf der Stelle zurück zu ihrem stadtbekannten Herrn Crassus mussten. Vielleicht gab es ja ein andermal eine Möglichkeit, Genaueres über ihre Arbeit als Feuerwehrleute zu erfahren, dachte sie. Titus kniff seine Schwester in die Seite.
„Komm, wir müssen los. Der Lehrer wartet auf uns. Puh! Das war vielleicht ein Schreck in der Frühe!“
Hastig aßen sie noch vom Brei wie jeden Morgen. Dann machten sich die beiden Kinder auf den Weg zum Unterricht.
Dieser sollte heute in einer schattenspendenden Porticus (Säulenhalle) in der Nähe des Forum Romanum stattfinden. Das war nicht allzu weit von ihrem Haus entfernt. Nach einigem Laufen durch die belebte Stadt erreichten sie die offene Halle und der Unterricht begann. Marcus Antonius war wie immer gut gelaunt. Cornelia wusste von anderen Kindern, wie übel manche Lehrer ihre Schüler behandelten. Sehr oft schlugen Lehrer ihre unaufmerksamen Zuhörer mit der Ferula, einer Peitsche, gefertigt aus einem Pflanzenstängel, die sie entweder auf den Allerwertesten ihrer Schüler oder die ausgestreckten Hände niedersausen ließen. Manche Lehrer unterrichteten in schäbigen, engen Bretterverhauen, in denen die Schüler vom nahen Lärm und Gedränge der Menschen nur durch einen dünnen Vorhang getrennt waren. Wehe denjenigen, die sich dann vom Lärm der Stadt ablenken ließen! Ihnen drohten einmal mehr Prügel und Erniedrigungen. Cornelia, die nichts mehr liebte, als zur Schule zu gehen, war dankbar, dass Marcus Antonius sich so ganz anders verhielt als die meisten Lehrer. Seine Stimme war sanft und blieb immer unaufgeregt.
Das Mädchen kauerte auf dem angenehm temperierten Marmorboden. Marcus Antonius erzählte ihnen heute von einem Bauwerk, dessen Anfänge bereits Jahrhunderte alt waren: der Cloaca Maxima. Cornelia verspürte an diesem Morgen wenig Lust, sich mit dem großen Abwasserkanal der Stadt zu beschäftigen. Der Lehrer beschrieb das lange unterirdische Bauwerk als eine dunkle, geheimnisvolle, steinerne Röhre. Auch die nachfolgenden Tage hatte er für dieses Thema eingeplant. Cornelia war sich noch nicht darüber im Klaren, ob ihr das wirklich Spaß machen würde. Vor allem, als Marcus Antonius folgende Frage stellte: „Was meint ihr, Kinder, welche netten pelzigen Tierchen gibt es in der großen Cloaca in rauen Mengen?“
Bella meldete sich zu Wort: „Ratten! Riesengroße Viecher mit solchen Zähnen, scharf wie eine Schwertspitze.“ Sie deutete mit ihren Händen eine Größe an, die einem Löwen alle Ehre gemacht hätte.
Alle Schüler, auch Cornelia, machten entsetzt „Iih“, als das Mädchen dabei ihr Gesicht gekonnt zu dem eines Nagers verzog.