Cover

Über dieses Buch:

Rosige Aussichten sehen anders aus: Im Job stehen Elisas Aufstiegschancen gleich null und ihr dauernörgelnder Freund gibt ihr kurzerhand den Laufpass. Ablenkung muss her … und die steht ihr in Form eines charmanten Fremden eines Nachts unter der Diskokugel gegenüber. Mit ihm scheinen die Sterne zum Greifen nah – doch das Schicksal zieht ihr eiskalt den Boden unter den Füßen weg: Ihre beste Freundin hat sich ausgerechnet in denselben Mann verliebt! Elisa gibt ihr Bestes, um ihren Traumprinzen schnell zu vergessen, doch die Liebe bleibt ihr dicht auf den Fersen …

Spritzig, charmant und hoffnungslos romantisch – als wären die »2 Broke Girls« bei »Bridget Jones« eingezogen!

Über die Autorin:

Simone Bauer, geboren 1990 in der Nähe von Regensburg, lebt heute im Herzen Münchens und arbeitet als Spezialistin für Öffentlichkeitsarbeit in einem großen DAX-Unternehmen. Seit fast zehn Jahren ist sie als Journalistin für Print und Online, TV und Radio tätig, unter anderem für den Bayerischen Radiosender egoFM, das Missy Magazin, MyFanbase, die Süddeutsche Zeitung und das Anime- und Cosplay-Magazin Koneko.

Die Autorin bei Twitter: www.twitter.com/teaserette

Die Autorin bei Instagram: www.instagram.com/howmanyheartaches

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Aktualisierte Originalausgabe August 2018

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel Es ist kompliziert, du aber auch bei dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Birgit Förster

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Fears, Visual Generation, Nikolaeva

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-151-4

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Simone Bauer

Kopfsprung ins Leben

Roman

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Prolog

René besaß keine CDs. Seine Musik – Bands aus Brooklyn, alle absolute Geheimtipps – befand sich auf seinem MacBook, das auf seinem Schreibtisch thronte wie eine schimmernde Gottheit, blank poliert, nicht wie mein verschmierter Laptop, den ich oft als Tablett für mein Abendessen missbrauchte, während ich Serien guckte. Er war mehr so der Homeland-Typ, der Mad Men vor allen anderen entdeckt hatte und die Serie hatte fallenlassen, sobald der Mainstream sie für sich vereinnahmte. Ich schaute mit ihm Sons of Anarchy, während ich mir wünschte, auf 2 Broke Girls umschalten zu können.

In seiner Wohnung voller antiker Gameboys und Filmplakate war ich ihm ausgeliefert. Nicht wie in meiner WG, in meinem castle, wo ich es geschafft hätte, mich zur Wehr zu setzen. René malte immer auf seinem Bett. Deswegen lagen dort auch immer Wachsmalkreiden, Bleistifte jeder Farbe und Dicke, Tonnen von weißem, festem Papier, manchmal auch angemischte Acrylfarben. Allzu spontaner Geschlechtsverkehr artete daher meistens in unfreiwilligem Bodypainting aus, in karierter IKEA-Bettwäsche. Heute fand ich keinen Platz darin oder darauf. Ich saß auf dem Boden, er auf seinem Schreibtischstuhl. Er hatte einen Skizzenblock in den Händen, als ginge ihn das ganze Gespräch gar nichts an.

»Du bist zu nett«, hatte er angefangen, nachdem ich mich über die Chefredakteurin der Auszeit beschwert hatte. Wir arbeiteten beide nicht mehr für das Magazin, jedenfalls nicht mehr als Praktikanten, ich verdiente mir dort aber immer noch nebenbei als freie Autorin Geld dazu. Gutes Geld. Schmerzensgeld.

»Wieso? Weil ich Sybille nicht sage, dass sie völlig geisteskrank ist, wenn sie nur an die Reichweite eines Artikels denkt und nicht an die Qualität?«, hatte ich noch gewitzelt.

René hatte diesen Blick draufgehabt, diesen Blick, den er schon seit einigen Wochen perfektionierte, dessen Sinn mir aber noch nicht ganz klar war. »Nein. Der Text war einfach scheiße.«

»Wenn er das war, warum druckt sie ihn dann? Um ihn anschließend in der Blattkritik in der Luft zu zerreißen, weil die Onlinehits nicht stimmen? Wäre es nicht besser gewesen, ihn vorher mit mir neu zu erarbeiten, wenn er schon so scheiße ist?« Ich war gekränkt. Sicher, ich hatte schon bessere Arbeiten abgeliefert als diesen Artikel über einen 18-jährigen Yogi, aber wie in aller Welt hätte ich den Jungen auch im Porträt kritisieren können? Er war 18! Er war Yogi! Es hatte Rindenmulch-Tee gegeben, der zum Kotzen geschmeckt hatte, den er aber mit Liebe und eigenen Händen zubereitet hatte. Das Gespräch hatte in seinem Baumhaus stattgefunden!

René wusste, dass ich recht hatte, aber er verteidigte dennoch Sybille. »Er war gesetzt. Du musst es eben lernen, bis zu deiner Deadline auch gute Arbeit abzuliefern. Du setzt dir selbst einfach keine Ziele, die hoch genug sind!«

»Hm, okay«, sagte ich unbestimmt.

»Nein, das ist nicht okay. Boah, Elisa, genau das ist es, was ich meine.«

Vermutlich war es ein Fehler gewesen, mich ihm überhaupt anvertrauen zu wollen. Seit einigen Wochen schon war der Wurm bei uns drin. Ich wusste selbst schon nicht mehr, wie ich mich zu verhalten hatte. Aber ich trug eben auch mein Herz auf der Zunge – und in diesem Fall hatte ich halt mit meinem Freund über das sprechen wollen, was mich bedrückte.

Seine Stimme klang hart, ein Grollen, das mich schon seit Nächten im Schlaf verfolgte.

»Du bist oft wie ein Fähnchen im Wind – jetzt zum Beispiel akzeptierst du meine Meinung einfach, ohne dich zu verteidigen!«

»Was soll ich denn verteidigen? Ich habe doch schon gesagt, dass ich Sybille nicht verstehe!«, rechtfertigte ich mich dann doch kleinlaut.

»Du machst dich andauernd selbst unglücklich und dann jammerst du!«, setzte er nach, die Worte wie ein Kopfschuss.

Eigentlich hatte René mir auch dazu geraten, den journalistischen Pfad weiterzuverfolgen, stattdessen hatte ich mich bei einer PR-Agentur beworben. Nach der Zusage hatte ich dort dann auch angefangen zu arbeiten. Das war eben ein Zweig, der mich ebenfalls sehr interessierte, doch bisher war es nun mal nur das: großes Interesse an der PR-Arbeit, ohne sie selbst großartig aktiv selbst zu verrichten. Ich machte viel Orga-Kram, wenig PR-Strategien, wenig Schreibarbeit für PR-Aktionen, wenig anderes als Samples einzupacken und an Magazine zu schicken. Und dass ich jetzt mit meiner Entscheidung haderte, nervte meinen Freund ziemlich an.

»Ich muss mich halt erst ein bisschen hocharbeiten«, versuchte ich es mit einer lahmen Ausrede, doch mir war selbst nicht klar, wie ich meine angestrebte Position erreichen sollte. Es schien, als wäre meine Hilfe beim Verfassen von Pressemeldungen einfach nicht vonnöten, man brauchte mich eher, um Flüge zu buchen.

»Dann mach das auch. Dieses ewige Plappern darüber, dass du dort einfach noch ein bisschen lernen musst, hilft dir nicht automatisch dabei, genau das zu lernen, was es braucht, um dort glücklich zu werden!«

Bei aller Unterstützung hatte er nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn er meine Arbeit unausgegoren gefunden hatte. Und er hatte sie verdammt oft unausgegoren gefunden. So hatte mich immer ein letzter Zweifel davon abgehalten, meinen Traum zu verfolgen. Wobei, ihm konnte man es nie recht machen, und mit Luftschlössern brauchte man ihm auch gar nicht erst zu kommen; wie mit meinem Wunsch, mal für eine Reportagereihe Nächte mit Rockstars durchzuzechen.

Am liebsten wäre mir dafür eine Musikzeitschrift – oder mein Lieblingsmagazin, Durchblick. Aber die Stellen waren nicht gerade großzügig gesät, die Schulplätze für die Journalistenausbildung hart umkämpft. Eigentlich blieb einem ja fast nichts anderes übrig, als ein unbezahltes Praktikum an das andere zu reihen, was ich aber partout nicht gewollt hatte. Ich hatte endlich auf eigenen Beinen stehen wollen.

René hätte das verstehen sollen, er war immer sehr kompromisslos in allem, was er tat. Er sprach oft von sich als Künstler, er redete häufig von Ausverkauf – vieles, was ich ohne Widerworte hinnahm, weil ich fand, man sollte nicht über solche festgemauerten Ansichten streiten. Änderte ja eh nichts. Das nervte ihn noch mehr.

Es war wie ein Achterlooping: Wir fuhren mit unserem Achterbahnwagen hoch auf den höchsten Punkt mit der schönsten Aussicht – das waren die Tage, an denen wir händchenhaltend an der Isar entlangschlenderten und alles gut war –, dann neigte sich der Wagen langsam – der Thrill, unser guter Sex – und dann kamen wir am Tiefpunkt an. Der Kopf implodierte. Und heute, nach acht Loopings, konnte ich nicht mehr.

Ich fing an zu weinen, aber das war René egal, er hatte ja eh seinen dämlichen Skizzenblock. Außerdem waren zermürbende Streite seine Spezialität, er war der große Redner, der ausgefeilte Monologe führen konnte wie kein anderer. Ich hatte das oft an ihm bewundert, weil ich ihn so sehr liebte. Immerhin diskutierte er meistens in Bars nach dem fünften Bier mit Freunden über Politik – oder auch nüchtern in Cafés über Kunst. Mir sagte er oft nur knapp, was ihn an mir störte, und dann achtete ich mal darauf, beim Essen nicht zu laut zu kauen, mein Gott. Das war doch normal. Ich hatte nur im Gegenzug nichts an ihm auszusetzen. Und so wurde es immer mehr, was ihn an mir störte, und mich störte nur, dass ihn überhaupt etwas störte.

Und nun kritisierte er, dass ich zurücksteckte. Aus Liebe. Sagte, dass er mit jemandem wie mir nicht zusammen sein könnte, dass ich kein Rückgrat hätte. Dass es jetzt reichte. Dass es wohl besser sei, wenn wir uns nicht mehr sehen würden. Es kam plötzlich. Trotz der langen Anlaufzeit der immer häufiger werdenden Auseinandersetzungen. Ich war, gelinde gesagt, geplättet.

Ich fand mich zu Hause auf dem Boden wieder, weinend. In meinem Schlafzimmer, meiner comfort zone. Es war zu spät. Es war vorbei.

Am nächsten Tag stand ich vom Boden auf und ging zur Arbeit.

1. Teil

Kapitel 1

»Ich habe gestern einen Typen kennengelernt, der an dieser total fancy Journalistenschule in der Masterclass ist.«

»Und?«

»Du, ich glaube nicht, dass Matthi Interesse an mir hatte.«

»Wieso denn nicht?«

»Weil er zu sehr damit beschäftigt war, sich selbst zu bemitleiden, da er nicht wusste, wie es mit seinem Leben weitergehen sollte. Und weil er den Platz an seiner Schule hasst, obwohl hunderttausend andere dafür morden würden.« Inklusive mir, aber das sagte ich nicht.

In diesem Moment ertönte Bonnies Stimme: »Elisa, Essen ist fertig!«

»Mama, ich muss auflegen. Kuss!« Und schwups hatte ich auf den roten Hörer gedrückt. Ich wusste, dass meine Mutter nicht lockergelassen hätte wegen des Typen, ob man ihn nicht zu einer festen Beziehung hätte überreden können, oder wegen der Zukunft, was ja auch irgendwie dasselbe war. Mamas Credo lautete: »Jetzt gib dem Bub doch eine Chance!« Begleitete ich sie zum Metzger und wurde von einem über und über mit Schweineblut beträufelten jungen Herrn bedient – »Jetzt gib dem Bub doch eine Chance!« Erzählte ich von einem Arbeitskontakt, der wie das Liebeskind von Frankensteins Monster und der bösen Hexe des Ostens aussah – »Jetzt gib dem Bub doch eine Chance!« Begegnete mir in einem Club jemand, der mir im Nachgang eine SMS ohne jegliche Interpunktion sendete – »Jetzt gib dem Bub doch eine Chance!«

Mein Vater hatte so ein Mantra nicht auf Lager. Außer dass vermutlich ohnehin kein Typ gut genug für mich war – er hatte an jedem etwas auszusetzen und behauptete, seine imaginäre Schrotflinte hervorzuholen, sollte auch nur einer es wagen, um meine Hand anzuhalten.

Ach, weit gefehlt, so etwas würde so schnell wohl nicht passieren. Und daher konnte er sich auch beruhigt aus solchen Gesprächen zwischen meiner Mutter und mir raushalten und sich um seine Berufung kümmern. Papa konnte nämlich, egal, wo auf der Welt er gerade war, die Sternbilder erklären. Das hatte Mama, die Finanzbeamtin, damals stark beeindruckt. Früher hatte ich gedacht, er würde sich diese leuchtenden Konstellationen nur effekthascherisch ausdenken, mittlerweile wusste ich natürlich, dass es sein Job war. Er war Astronom. Mich interessierten die Planeten unseres Weltalls immer nur dann, wenn ich Sailor Moon guckte. Die männliche Hauptfigur darin – der rosenschmeißende Tuxedo Mask – war im Grunde auch nichts anderes als ein frühzeitiger Bachelor, nur wollte keiner mit ihm zusammenkommen.

Kopfschüttelnd gesellte ich mich zu Bonnie, die ihre berühmte Bolognese gekocht hatte. Ich ließ mich auf das Sofa fallen, das in unserer Küche stand, und schnappte mir einen der Teller mit Hackfleischsoße und Spaghetti.

Während ich mir die erste Nudel aus Hartweizen reinzog, fragte Bonnie: »Gestern was Anständiges dabei gewesen?«

»So ‘n Journalistenschüler. Ganz süß. Er fand ein paar meiner Sprüche gut, aber anscheinend nicht überzeugend genug.« Die Soße hatte mein Kinn besprenkelt, ich wischte es mir umständlich ab, während ich kaute.

»Hättest du ihn mit heimgenommen?«

»Schon, aber … ich habe mich nicht besonders angestrengt, denn er war in Gedanken woanders. Und außerdem ist er nicht René.«

»Elisa, du musst diesen Kerl endlich mal vergessen!«

»Ich weiß, aber warum musste er auch ausgerechnet gestern ein neues Profilbild anlegen? Es ist schwarz-weiß gehalten, verdammt! Natürlich, ich hasse seine Augenbrauen, die durch diese Fototechnik noch markanter werden, aber ich liebe ihn.«

»Ich hasse nicht nur seine Augenbrauen, Liebes …« Bonnie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass René nicht ihr bevorzugter Typ war. Aber das war mir egal, denn René musste ja mir gefallen. Das hatte er zumindest früher gemusst. Dieser herrliche Literaturwissenschaftsstudentenlook. Mmh, Cardigan und oft getragene Jeans.

Inzwischen hatte ich mir Salat aus der Schüssel auf dem Sofatisch gefischt und ihn mit der braunen Soße in meinem Teller vermischt. Unterdes meinte Bonnie: »Es wäre doof gewesen, hätte es mit dir und René geklappt. Dann wärst du aus der WG ausgezogen.«

Ich mischte und mischte und mischte. Und schon wieder wurden meine Augen feucht.

Es hätte klappen sollen. Ich hätte ausziehen sollen. Bei ihm einziehen, zum ersten Mal mit einem Mann zusammenleben. Doch nichts dergleichen, jetzt stalkte ich meinen Ex auf Facebook.

Bonnie setzte ihre Gabel ab und fixierte mich mit ihren karamellfarbenen Augen. »Hey, wir haben doch uns.«

Das war ein Gedanke, der nur für einen Moment glaubhaft war. Er tröstete mich dennoch.

Kapitel 2

»Elisa, weißt du, was ich mich seit jeher frage?«

»Nein, Fräulein Kyewski, das weiß ich nicht.«

»Warum sich in amerikanischen Sitcoms Mann und Frau nach dem Sex immer nebeneinander in die Kissen werfen und schnaufen, als hätten sie gerade einen Marathon hinter sich gebracht. So funktioniert das doch gar nicht.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Hattest du noch nie die Art von Sex, nach der man sich einfach nur ein Schnitzel wünscht?«

Bonnie war mit meiner Antwort unzufrieden, das merkte ich sofort, denn sie presste ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie eine dünne Linie bildeten. Ich mochte es nicht, wenn sie so guckte, das verhieß meistens nichts Gutes, also legte ich schnell nach: »Ich finde es eher unrealistisch, dass die Frauen dabei fast ausschließlich ihre BHs tragen, so als ob das das Normalste auf der Welt wäre.«

»Da lobe ich mir doch den Sex aus Berlin – Tag & Nacht. Stets auf dem Herd in der Küche.« Bonnie hielt kurz inne und begann zu lachen.

Ich hingegen war nicht in der Verfassung zum Loskichern, meine Laune war immer noch unverändert im Keller, schon seit ich heute Morgen aufgestanden war. Völlig lustlos schleppte ich mich hinter meiner Mitbewohnerin her über die Hinterhofflohmärkte meines Viertels. Es war ein sonniger Samstag, doch auch dem konnte ich nichts abgewinnen. Der Aufenthalt auf diesen speziellen Flohmis bedeutete, im letzten Ramsch der Nachbarschaft zu kramen, und auch wenn man sein ganzes Kleingeld ausgab, kam man immer mit einer Wagenladung Blödsinn nach Hause, den man dann selbst nie wieder loswurde. Zumal man sich hier in der Theresienstraße nur durch die abgegriffenen Bücher von Studenten wühlen konnte, die gerade zum fünften Mal ihr Fach gewechselt hatten und aus diesem Grund ihre alten Arbeitsmaterialien abstoßen wollten.

Das hatte ich ja gerade hinter mir. Ich musste erst einmal eine Verwendung für mein Vergangenes finden. Und Bonnie war, trotz ihrer Vorliebe für intellektuell weniger anspruchsvolle Soaps, Serien und Scripted-Reality-Shows, sehr glücklich mit ihrem Medizinstudium. Vermutlich, weil sie unterscheiden konnte zwischen Fiktion und Realität. Die Anfänge im Krankenhaus bestanden manchmal aus Pflaster verteilen, EKG, Blutabnehmen und dem Test der Lungenfunktion, nicht darin, den heißen Assistenzarzt im Aufenthaltsraum zu knallen.

Ich drehte ein paar Plastikfiguren unschlüssig in meinen Fingern herum, die auf einer Bierbank aufgereiht waren.

Während ich mit Kindern herzlich wenig anfangen kann, verhält es sich mit ihrem Spielzeug genau umgekehrt. Bonnie betonte manchmal, wenn sie Cartoons guckte – noch ein guilty pleasure ihrerseits –, Kind geblieben zu sein. Ich dagegen war mir ziemlich sicher, dass mein inneres Kind gerade eine Rentenversicherung abgeschlossen und einen Kombi erworben hatte. Nur bei Spielzeug wurde ich noch immer schwach. Zum Beispiel jetzt, oh, Karla Kolumna!

Die Farben, gelb und petrol, waren schon etwas abgenutzt, aber ich konnte das Idol meiner Kindheit noch gut wiedererkennen. Wegen ihr hatte ich in der fünften Klasse eine Schülerzeitung gegründet. Bonnie war damals eine wirklich große Hilfe gewesen, die Lehrer in prekäre Situationen zu bringen und deren Zitate aufzuschreiben, während ich Dieter-Bohlen-mäßig das Schulorchester in Grund und Boden kritisierte.

In den Jahren darauf war für mich klar gewesen: Ich würde Journalistin werden. Doch irgendwie bekam ich kein großartiges Feedback auf mein Editorial über fehlende Parkplätze an der Schule und außerdem waren meine Eltern sehr resolut bezüglich der Konditionen, wann sie meine Uni bezahlen würden, nämlich nur, wenn ich etwas Ordentliches studieren würde. Meine Mutter war beim Finanzamt und mein Vater Uniprofessor, sie wollten nicht das unstete Reporterleben für ihre Tochter, sondern einen festen Arbeitsplatz für den einzigen Sprössling der Familie Barwasser. Und diese sichere Anstellung fand ich nach meinem anständigeren Studium ja auch, sehr zu ihrer Freude. Statt die Journalistenlaufbahn einzuschlagen und dann von einer PR-Agentur Mails zu bekommen, arbeitete ich also bei der PR-Agentur, die diese Mails verschickte.

Mit einem Seufzer legte ich die Spielzeugfigur zurück und wandte mich einer Bananenkiste voller alter Platten zu, die auf einem der Tapeziertische neben anderem Gerümpel stand. Musik war mein Ein und Alles. Und auch, wenn ich meinen Traum, Journalistin zu werden, an den Nagel gehängt hatte, über Musik schrieb ich noch immer. Ich rezensierte ab und an Platten und Konzerte für verschiedene Münchner Onlinemagazine. So konnte ich mit meinem alten Ich immer in Verbindung bleiben.

Hätte ich für meinen Traum mehr kämpfen können? Sicher. Vielleicht manövrierte ich mich auch allzu gerne in mein eigenes Unglück. Als ginge es mir nicht gut ohne ein paar Fragezeichen. Wie geht es weiter nach dem Abitur? Wie geht es weiter nach dem Bachelor? Keine Zeit zum Verschnaufen. Nur Zeit zum Hyperventilieren.

Sicherlich war 22 nicht wirklich ein gutes Alter, um zum ersten Mal die Gefühle zu bekommen, die 50-jährige Männer zum Kauf eines Cabrios verleiteten, aber was sollte ich denn bitte tun? Der Genuss von Eulenbabyvideos auf YouTube und das Anstarren von Zac Efron in verschiedenen Klatschblättern konnten meinen Frust auch nur für einen kurzen Zeitraum unterdrücken. Bonnie merkte nichts von meiner Stimmung. Sie philosophierte sich seelenruhig durch die letzten, gefühlt tausend Folgen von Berlin – Tag & Nacht, während sie mit ihrem 24-jährigen Hintern über den Schwabinger Hinterhof wackelte und sich die Strähnen ihrer langen, haselnussbraunen Haare hinters Ohr schob.

Klar, sie war noch ein Weilchen mit ihrer Ausbildung beschäftigt. Aber ich? Uni abgeschlossen, Bachelorette der Kommunikationswissenschaften geworden, und doch dieser ständige Wunsch, mehr zu sein. Ich fragte mich andauernd, was wohl als Nächstes kommen würde, doch keiner konnte mir das so richtig beantworten. Mama meinte: Was soll schon sein? Wenn sie das sagte, hatte ich das Gefühl, kurz davor zu sein, die Schwelle zur Spaßlosigkeit überschreiten zu müssen. Die Schwelle zu einem endlos langen Tunnel, den ich ohne weitere Vorkommnisse durchwandern sollte bis zum Licht an seinem Ende.

Zugegeben, die PR-Agentur, in der ich einen Job bekommen hatte, war ganz cool. Dennoch haderte ich mit mir. Ich war nicht wie die Karrieremenschen dort. Weil ich gar nicht genau wusste, was meine Karriere eigentlich war. War es mein Hobby? Ich stand ja irgendwie schon mitten im Berufsleben, und war es das, womit ich die kommenden 40 Jahre meine Stullen verdienen würde? Vermutlich war eben die Schwierigkeit, meinen genauen Wunsch nicht in Worte fassen zu können.

René hatte das ja immer bemängelt. Ach, René.

Er hatte die blauesten Augen der Welt und ich hatte sofort das Gefühl gehabt, mich ihm anvertrauen zu können. Bei René konnte ich mich komplett fallen lassen. Er war die Person, die jeden meiner Sätze hatte vollenden können.

Er war vermutlich diese eine große Liebe, von der sie immer in den Filmen schwärmten. Über die bedeutende Romane geschrieben wurden und Popsongs. Rein, wahr, groß.

Meine Mutter, in ihren Wechseljahren schnell gereizt, war schon ziemlich genervt, wenn ich mal wieder Trübsal blies wegen René. Dann rutschte ihr auch schon mal raus: »Elisa, du weißt es nicht besser, er könnte auch nur irgendwer gewesen sein.«

Und selbst Bonnie ertrug langsam nicht mehr, dass ich immer wieder diesen einen Satz wiederholte: »Er hatte das Gefühl, ich würde mich in unserer Beziehung zu sehr verbiegen!«

»Das wissen wir langsam alle schon, Elis’«, knurrte sie dann nur. Aber verdammt. Ich hatte ihn vergöttert. Und ich kam genau darüber nicht hinweg.

Wahrscheinlich hatte ich mich aus lauter Liebe selbst nicht mehr gekannt.

Jetzt erst dämmerte mir, dass ich immer noch auf dem Flohmarkt stand, vor dem Stapel Schallplatten, und ein Cover von Phil Collins anstarrte. Take a look at me now.

Schnell begann ich, die Langspieler durchzublättern.

Bonnie war neben mich getreten. »Na ja, aber bevor du wieder sagst, keine Serie kann Gossip Girl das Wasser reichen – du hast recht!«

Sie hatte erst kürzlich auf mein vehementes Drängeln hin alle Staffeln durchgeguckt.

»Und ich habe mir etwas überlegt – als Dan in einer der letzten Folgen gerade wieder mit Serena zusammenkommt und im Bett ins Handy spricht: ›I’m writing a Serena chapter!‹ – vielleicht sollte das der neue Code werden!«

»Für was?«

»Für Sex natürlich! Das klingt doch wie eine verdammt gute Anmache. ›Willst du mit mir ein Buch schreiben?‹ als Aufforderung, in die Kiste zu steigen. Fantastisch«, führte Bonnie ihren Gedanken fort, während sie ein Werk von Sonny und Cher betrachtete. »Ich meine, du als Journalistin solltest das doch toll finden – einen Typen anquatschen mit den Worten ›Willst du mein Co-Autor werden?‹«

»Und wo willst du die anbringen? Du gehst so gut wie nie weg.«

»Beim Mediziner-Stammtisch?«

»Bei den Nerds?«

»Nerds sind die neuen Adonisse. Das weiß jeder.«

»Mag sein«, gab ich ihr recht. »Dennoch versteht diese Anspielung niemand außer … ziemlich sicher uns zweien.«

»Weil du ja die Flirtexpertin bist, musst du es wohl wissen.«

Verletzt sah ich meine brünette Freundin an.

»‘Tschuldigung.« Sie konnte sich aber nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen. Klar, sie war ja nicht die Einzige, die mir sagte, ich sollte über René hinwegkommen, doch ich fand, dass die Zeit noch nicht reif dafür war. Momentan schrie alles nach Schokoeis und Wolldecken, und so würde das auch bleiben, solange nicht wenigstens ein Aspekt meines Lebens als positiv ausgelegt werden konnte. Oder es Sommer wurde und Wolldecken dadurch hinfällig. Bonnie wandte sich einer angeranzten Umzugskiste mit Schundromanen zu. In diesem Moment trat die alte Dame, die diesen Verkauf veranstaltete, naserümpfend näher an uns heran. Wäre unser Gespräch über Buch-Release-Partys nicht durch Bonnies taktlose Anmerkung versiegt, wäre spätestens jetzt Schluss gewesen.

Nun jauchzte mein Brownie, als sie einen alten Roman zu Gute Zeiten, schlechte Zeiten gefunden hatte: »Da ist ja Tim Sander vorne drauf! Das Buch nehme ich!«

Ich wandte mich gelöst lachend wieder den Schallplatten zu. Eine ganz hinten im Karton schien mich magisch anzuziehen: Schwermut der Stadt. Eine Sammlung von Bluesliedern, eingespielt von Münchner Liedermachern, Barpianisten und Straßenmusikanten.

Vielleicht war es die Schwarz-Weiß-Fotografie als Titelbild – ein junger Mann mit schönen Wangenknochen, der eine Zigarette rauchte. Im Kontrast zu dieser Schönheit stand eine Narbe auf seiner Wange, die ihn aber nur noch interessanter machte. Schon allein dieser Fotostil beeindruckte mich ja bekannterweise. Nicht nur bei Facebookbildern meines Exfreundes. Die Welt sah dadurch immer so aus wie ein Tour-Tagebuch der Siebziger oder Partybilder aus Münchner Clubs der Achtziger. Irgendetwas ließ mich an dem Überbleibsel vergangener Zeiten nicht mehr los. Ich sah zu der Seniorin hinüber. »Wie viel?«

Kapitel 3

»Stör ich gerade?«, fragte mich Lola, als ich viel zu spät mein Handy aus meiner Tasche hervorgekramt hatte.

»Nein, ich bin bloß gerade zur Tür rein … wir waren Schätze suchen auf dem Flohmarkt«, erklärte ich ihr, warum ich sie so lange hatte warten lassen.

»Und, was gefunden?«, fragte sie nonchalant.

»Ich hätte beinahe eine Figur von Karla Kolumna gekauft.«

»Du wolltest schon immer Journalistin werden, nicht wahr?« Es klang wie ein unausgesprochenes »Warum bist du’s dann nicht?«, doch Lola fuhr fort: »Ich weiß noch, als wir als Kinder mit unseren Eltern aufs Oktoberfest gingen, da wolltest du beim Karussell immer nur den Roller nehmen …« Meine Cousine kicherte.

»Und später, als ich alt genug zum Rollerfahren war, hatte ich dann Schiss davor.«

Nicht mal der Gedanke, mich bei voller Fahrt an einen der Halbstarken aus der Oberstufe zu kuscheln, hatte mich auf so ein motorisiertes Zweirad bringen können. Eine tolle rasende Reporterin war ich.

»Aber hey, wie war’s in Zagreb?« Zumindest vermutete ich, dass sie dort gerade herkam.

Lola war eine Weltenbummlerin – ihre stets gebräunte Haut zeugte davon – und ihr Ethnologiestudium unterstützte diese Leidenschaft durch allerlei Exkurse. So war ihre Lösung für meinen René-Herzschmerz gewesen, dass ich ihr nach Israel folgen sollte, was ich dankend abgelehnt hatte. Anders als sie war ich nicht der Meinung, dass eine Reise auch gleich eine Reise zu mir selbst sein musste.

»Spannend!«, rief sie schwärmerisch aus. »Du weißt ja, eines Tages bin ich ganz weg aus Deutschland.«

Ich nickte, obwohl sie das nicht sehen konnte. Und auch wenn ich es nicht ganz verstehen konnte. Natürlich wollte ich meinem Kopf zuliebe längerfristig ebenfalls weg. Meinem Lebenslauf zuliebe auch. Theoretisch. Denn einfach all das verlassen, was ich so gut kannte und mochte? Freiwillig in die Fremde gehen? Der Sinn des Lebens kann doch nicht für jeden in der Fremde liegen. Der Sinn konnte sich doch auch in uns drin verstecken. Hoffte ich.

»Gehen wir heute Abend weg, zur Feier meiner Rückkehr?«

»Eher nicht. Ich fühle mich echt erledigt.« Inzwischen hatte ich mich auf mein Bett fallen lassen.

Lola seufzte. »Du solltest echt mal wieder rausgehen.«

»Draußen kann ich aber schlecht Serien binge-watchen«, witzelte ich.

Lola konnte darüber nicht lachen.

»Hey, sorry, irgendwann komme ich bestimmt wieder mit. Du brauchst mich doch eh nur als Wingwoman, bis du die Beute des Abends erlegt hast. Und glaub mir, das schaffst du ganz bestimmt auch ohne mich.« Erschöpft legte ich meinen Kopf gegen die Schlafzimmerwand. Mit Lola war es immer spaßig, aber so eine Girls’ Night Out konnte auch ziemlich anstrengend werden. Das letzte Mal war ich ihr kurz nach der Trennung in einen Schuppen gefolgt, der so platziert war, dass er knapp nicht mehr zur Feierbanane gehörte, der bekannten Partymeile im Münchner Stadtzentrum. Und auch sonst war dort einiges falsch: Den gelegentlichen Schlagersong bekam Lola vielleicht nicht mit, weil sie zu viel getrunken hatte und vehement einen Lehramtsstudenten anbaggerte, dafür erlebte ich umso klarer, wie mich ein Klotz von jungem Kerl im derbsten Niederbayerisch anmachte. Seine Gefühle kleidete er in poetische Worte: »Oiso … wennst mi frogst … i mechat scho!«

»Hm … ich kann dich wirklich nicht überzeugen? Auch nicht mit deinem liebsten Resident-DJ?«, versuchte Lola es noch mal.

»Nicht mal mit dem.« So hübsch er auch war. Aber ich dachte eher an einen anderen.

Kapitel 4

»Gehst du mit in den Biergarten?«, fragte Bonnie dann am Abend. Vermutlich, weil das da draußen wie eine laue Sommernacht anmutete, und das im April. Mond und Sterne und kein Lüftchen, das einen Daunenmantel erforderlich machte.

»Ich habe Migräne«, brummte ich. Und das war keine Ausrede. Mit dem Gesicht voraus lag ich in meinem Bett, die Nase in mein Kissen gegraben. Die Kopfschmerzen waren vor etwa einer halben Stunde wie ein Wolkenbruch aufgezogen.

Eigentlich würde ich gerne woanders leben, ausnahmsweise einmal. Nicht in einer Stadt, in der ein Hochdruckgebiet gleich Kopfkirmes auslöste. Aua.

»Sag mal, wo du so oft Migräne hast … hattest du trotzdem dabei schon Sex?« Bonnie war mal wieder ganz die Medizinerin. Oder einfach nur neugierig. Aber das war okay. Wenn man mit seinen Freundinnen nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit offen über alles reden konnte, sondern nur, wenn die betrunken waren, war die ganze Freundschaft etwas unspannend.

»Weil sich die klischeehafte Ausrede im Fall des Chronischen relativiert?« Ich hob kurz den Kopf, um ihn sofort wieder zu senken. »Ja. Hatte ich. Und einen fantastischen Orgasmus, aber dabei hatte ich das Gefühl, aus dem Ohr zu bluten.«

»Hm«, machte Bonnie und blieb weiter im Türrahmen stehen.

»Ich gehe mit Flori ein Bier trinken.«

Flori war Bonnies bester Freund. Ein auffallend schöner Mann. Allerdings auch ein auffallend schwuler Mann.

»Viel Spaß.« Ich wusste, dass Bonnies letzter Satz eine wiederholte Einladung war, mit ihr zu kommen, doch ich fühlte mich körperlich nicht fähig, und überhaupt.

Etwas zweifelnd guckte sie schon, ob man mich allein lassen konnte – ich spürte diesen bohrenden Blick auf mir. Doch dann murmelte sie nur zärtlich »Gute Nacht« und ließ mich allein.

*

»Warum wirkt man eigentlich gleich viel reifer und weiser, wenn man beim Kochen ein Weinglas schwenkt?«, fragte ich in philosophischer Stimmung.

»Sagst du gleich auch noch, Essen wäre der Sex des Alters?« Bonnie zog eine Augenbraue hoch.

Ich nippte an meinem Glas, bevor ich einem weiteren Champy die Haut abzog. »Du kennst mich einfach zu gut.«

Franz Ferdinand erschütterte unsere Küche, während Bonnie das Fleisch in der Pfanne schwenkte, dass es nur so auf die Röhrenjeans spritzte. Sie war diejenige im Kochstudio, die alle riskanten Sachen mit Fett, Öl und Crème fraîche veranstalten durfte. Ich war zum Gemüseschnippeln und Weintrinken abkommandiert. Gleich wollten wir uns eine Folge 90210 reinziehen, da wir aus Mangel an Sexualpartnern gerade die vierte Staffel wiederholten. Wir waren stehen geblieben bei unserer Göttin Naomi, die von ihrer Chefin gefragt wurde, ob sie lieber eine starke Frau sein wolle oder das Mädchen, das den Jungen kriegt. Ganz ehrlich? Stark zu sein war schon echt cool, aber ich hätte nichts dagegen, bald noch mal den Jungen zu bekommen. Ich wollte beides.

Bonnie und ich veranstalteten mal wieder eine neue Runde von »Indies am Herd«. Gleichzeitig war das auch eines der Fernsehformate, die in mir schlummerten und die ich wohl nie konzipieren würde – die Kulisse stellte ich mir vor wie die Schulküche, in der wir immer Partys vorbereitet hatten und in der Bonnie mir auch damals gestanden hatte, dass sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatte. Ich hatte ihr wiederum von meinem ersten Mal im Freibad erzählt. Und unsere beiden Geschichten waren ganz sicher nicht so spektakulär gewesen wie Ceces erstes Mal in New Girl (Also, mit Mick Jagger. Nicht, dass wir es nicht versucht hätten, uns für einen Rockstar aufzuheben, aber gereicht hat es dann doch nur für Mitschüler).

Bonnie war im Alter von acht Jahren nach München gezogen. An ihrem ersten Tag an meiner Grundschule war sie höchst verwirrt gewesen, was das ganze Tamtam sollte. Diese große fremde Stadt war zu viel für ein Kind, das ausgesehen hatte, als könnte es für Zwieback oder Schokolade Werbung machen. Der Münchner Norden hatte Bonnie eingeschüchtert. Im Nachhinein kann ich nicht mehr sagen, ob es ihr ALF-Rucksack gewesen war, der es mir irgendwie angetan hatte, oder wirklich sie, denn trotz unseres Altersunterschieds hatte mir die Ältere leidgetan. Ich hatte sie angesprochen und es zu meiner Angelegenheit gemacht, etwas mit ihr zu erleben.

Zusammengezogen waren wir vor einem Jahr, sobald eine anständige Wohnung für unsere Bedürfnisse gefunden war. Unsere Eltern unterstützten uns bei der Miete. Bonnie und ich waren sehr harmonisch. Vermutlich lag das hauptsächlich daran, dass wir einander so wahnsinnig gut kannten. Die Marotten, die man sich so im Laufe der Jahre zusammenlebte, konnte man leicht übersehen, ebenso, wie die Sticheleien des anderen an einem abprallten.

»Ich war doch am Samstag mit Flori unterwegs«, begann Bonnie in die Hitze der Herdplatten zu sprechen. »Und wir haben über ein paar Profs gelästert und Bier getrunken und es war eigentlich keine große Sache. Und dann kam da auf einmal dieser Typ auf uns zu und fragte, ob wir Feuer hätten.«

»Ah ja? Feuer?«

Bonnie zeigte mir kurz, wie gut sie mit den Augen rollen konnte. »Ja, die lahmste Anmache der Welt. Auf jeden Fall dachte Flori erst, dieser Spruch wäre ihm geschuldet. Der Kerl war auch zu heiß, um wahr zu sein: blaue Augen, superattraktive Lippen, ein echt beeindruckender Körper … nicht besonders groß, aber auf jeden Fall größer als so mancher Bayernspieler. Die Hose eng, aber am Hintern doch noch weit genug.«

»Klingt gut.«

»Eben. Dachte Flori auch, doch der Typ hat ihm gleich die kalte Schulter gezeigt. Er hat sich dann nur mit mir unterhalten. Wollte wissen, was ich so studiere, ohne anschließend eine doofe Doktorspielchenbemerkung loszuwerden, fragte, warum ich am Samstag im Biergarten hocke, anstatt auf einer nicen Party zu sein. Und so weiter. Und dann hat er mir erzählt, dass er Sportwissenschaften studiert …«

»Also wirklich ein Fußballer?« Ich pfiff mehr schlecht als recht und verfehlte damit den Klang von Bauarbeitern um Längen.

»Es war wirklich angenehm, aber ich habe mir einfach nichts weiter dabei gedacht. Mal ehrlich, man wird doch heutzutage nicht mehr angesprochen, einfach so, und dann ist es Liebe und eine Traumbeziehung. So funktioniert das eigentlich gar nicht mehr, denke ich mir. Auf jeden Fall hat er mich gleich noch in der Nacht auf Facebook geaddet und wir haben hin und her geschrieben. Und ich dachte mir wieder nichts. Und dann meinte er, ob wir heute Mittag ganz spontan ein paar Kohlenhydrate zu uns nehmen wollen.«

»Uuuh!«, kommentierte ich, während ich mich daranmachte, die Pilze zu zerkleinern. Bonnie hatte recht, das Ganze klang schon sehr unwirklich nach Kismet und nicht wirklich nach Realität. Unsere Generation fand doch eher beim Online-Dating oder am Arbeitsplatz einen Seelenverwandten als wirklich auf den ersten Blick auf der Straße! René hatte ich ja zum Beispiel auch während eines Redaktionspraktikums kennengelernt. Die von unserer Generation, die Kinder bekamen, würden denen sicherlich nicht so etwas Romantisches erzählen können. Von wegen How I Met Your Mother

»Ich hab ihn also getroffen und es war auch wirklich wieder schön. Ich dachte, es könnte blöd werden, weil er schon echt total viele Sportarten macht. Surfen und Skaten interessiert mich nicht die Bohne. Weißt du, ich gucke Sport, ja, aber ich mache ihn eben nicht. Aber dieser Sportwissenschaftsstudent hat überhaupt nicht darüber geredet, unfassbar! Wir haben uns über Musik unterhalten und über Filme und Kochen und es war toll!«

Bonnie sprach immer schneller. Wie euphorisch sie auf einmal war. Solange ich Bonnie kannte – und das war wirklich mehr als ein halbes Leben lang –, war sie nie verliebt gewesen. Natürlich schmachtete sie mehr als nur gelegentlich einen Kerl im Fernsehen an. Manchmal schwärmte sie auch für Typen in unserem Umfeld. Hingegen hatten alle ihre kurzlebigen Beziehungen eigentlich nur darauf gebaut, dass sie sehr gut mit einem Jungen befreundet gewesen war und es dann irgendwie mehr wurde. Bonnie weigerte sich, die drei magischen Wörter auszusprechen, die die Welt bedeuten – einfach, weil sie sie angeblich noch nie gefühlt hatte.