Plötzlich Chef
Dank
Die Autorin und der Autor danken Rechtsanwältin Regina Jäggi für die kritische Durchsicht des rechtlichen Teils sowie der Lektorin Käthi Zeugin für die sorgfältige Betreuung.
Die Kurzinterviews mit prominenten Führungskräften führten Stefan Mair, Ressortleiter bei der «Handelszeitung», und Pascal Ihle, ehemaliger stellvertretender Chefredaktor der «Handelszeitung». Das Gespräch mit Jürg Eggenberger von der Schweizer Kader Organisation SKO führte Stefan Mair.
Beobachter-Edition
3., aktualisierte Auflage, 2018
© 2015 Ringier Axel Springer Schweiz AG
Alle Rechte vorbehalten
www.beobachter.ch
Herausgeber: Der schweizerische Beobachter in Zusammenarbeit mit
der Schweizer Kader Organisation SKO und der Handelszeitung
Lektorat: Käthi Zeugin, Zürich
Umschlaggestaltung: Cornelia Iten-Federer, fraufederer.ch
Fotos Umschlag, Seite 12 und 158: iStock
Porträtfotos auf Seite 25, 59,105, 131, 147, 171, 201, 219, 245: zVg, 83: parlament.ch
Reihenkonzept: buchundgrafik.ch
Satz: Bruno Bolliger, Gudo
Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe
e-Book: mbassador GmbH, Basel
ISBN 978-3-03875-126-7
eISBN 978-3-03875-143-4
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Inhalt
Vorwort
Teil 1: Souverän in Führung gehen
Chefin, Chef werden
Weshalb werden Sie Chef?
Motive und Wünsche: Weshalb wollen Sie führen?
Weshalb kommt es zum Wechsel?
Was für ein Chef wollen Sie sein?
Die persönliche (Führungs-)Geschichte
Nicole Loeb, VR-Präsidentin und Verwaltungsratsdelegierte der Loeb-Gruppe
Persönliche Werte
Erwartungen an sich selbst
Was für ein Chef können Sie sein?
Was macht Sie stark?
Persönliche Grenzen
Die neue Rolle
Was verändert sich?
Vom Ich zum Wir
Vom Auftragnehmer zum Auftraggeber
Spezialfall: vom Kollegen zum Chef
Erwartungen in Ihrem Umfeld
Ein Beispiel sein für andere
Die Erwartungen der Unterstellten
Die Erwartungen der Vorgesetzten
Die Erwartungen der Kollegen auf gleicher Stufe
Im Sandwich – Fluch oder Segen?
André Lüthi, Verwaltungsratspräsident und CEO der Globetrotter Group
Fallstricke beim Rollenwechsel
Phasen des Rollenwechsels
Nominierung
Der erste Kontakt
Der Start ins Neue
Die ersten 100 Tage
Gute Führung
Mythen der Führung
Der Chef muss es besser wissen und können
Die Chefin ist für alles verantwortlich
Der Chef behandelt alle gleich
Grundfunktionen der Führung
Richtung geben: wissen, wohin es geht
Energie generieren: bewegen und ausrichten
Energie und Richtung spielen zusammen
Karin Keller-Sutter, Ständerätin des Kantons St.Gallen
Am Anfang steht die Selbstführung
Selbstverantwortung wahrnehmen
Zu sich selber Sorge tragen: vom Umgang mit Stress und Druck
Führung als Beziehung
Beziehungen aufbauen und pflegen
Wiederherstellen von Beziehungen
Situative Führung: ein vielversprechender Ansatz
Führen über Position oder über Persönlichkeit?
Einfluss dank der Position – der Teammanager
Einfluss über die Persönlichkeit – Leadership
Drei Kernfragen zur Leadership
Jerun Vils, Associate Partner von gutundgut gmbh
Qualitäten anerkannter Leader
Haltungen, die beim Führen helfen
Lieben Sie Ihren neuen Führungsjob?
Was muss ein guter Chef können?
Grundlegende Führungsfähigkeiten
Führungskommunikation
Entscheidungsfähigkeit
Die Teamaufgaben erfüllen
Ziele und Rahmenbedingungen setzen
Andrea Schenker-Wicki, Rektorin der Universität Basel
Informations- und Kommunikationsfluss sicherstellen
Aufgaben koordinieren, Rollen verteilen
Umsetzung sicherstellen
Für Entscheidungen sorgen
Das Team und jeden Einzelnen stärken
Teamentwicklung – die Leistung fördern
Die Teaminteressen vertreten
Bernhard Heusler, Ex-Präsident des FC Basel
Konflikte und schwierige Situationen meistern
Mitarbeiterleistung fördern und anerkennen
Mitarbeiter weiterbringen
Sich von Mitarbeitern trennen
Teil 2: Arbeitsrecht für Führungskräfte
Besonderheiten des Kaderarbeitsvertrags
Chefin, Chef sein – was bedeutet das rechtlich?
Nicht obligatorisch, aber sinnvoll: der schriftliche Kadervertrag
Sonderregeln für «ganz oben»
Der Lohn
Die Lohnhöhe ist Verhandlungssache
Gratifikation und 13. Monatslohn
Monika Rühl, Direktorin des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse
Streit um den Bonus
Erfolgsbeteiligungen
Geschäftswagen, Handy und anderes: Fringe Benefits
Spesen: Auslagenersatz oder Lohnbestandteil?
Arbeitszeit
Arbeitszeiterfassung für Kader?
Überstunden und Überzeit
Wie werden Mehrstunden entschädigt?
Rund um die Uhr: allzeit bereit?
Treuepflicht von Kaderangestellten
Korrektes Verhalten im Bewerbungsverfahren
Kritik an Vorgesetzten und am Unternehmen
Konkurrenzierung des Arbeitgebers
Weitergabe von betriebsinternen Unterlagen
Verletzung von Kontrollpflichten
Verschärfte Haftpflicht
Das nachvertragliche Konkurrenzverbot
Alex Rübel, Direktor des Zoos Zürich
Wann ist ein Konkurrenzverbot gültig?
Konkurrenzverbot verletzt – was gilt?
Wann fällt das Konkurrenzverbot weg?
Rechtlich korrekter Umgang mit Untergebenen
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers
Grenzen des Weisungsrechts
Rückstufung und Zuweisung vertragsfremder Arbeit
Versetzung an einen anderen Arbeitsort
Anordnung von Überstunden, Änderung der Arbeitszeiten
Ferienzuteilung
Jemanden zum Vertrauensarzt schicken
Keine schikanösen Weisungen
Wenn Weisungen missachtet werden
Monika Walser, CEO von de Sede
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Gesundheitsschutz und Unfallverhütung
Schutz vor übermässigem Stress
Eingreifen bei Mobbing und anderen Konflikten
Diskriminierung und sexuelle Belästigung
Datenschutz und Überwachung
Rund um die Kündigung
Rechtlich korrekt kündigen
Kündigungsfristen und Formvorschriften
Beschränkungen der Kündigungsfreiheit
Kündigungssperrfristen: die Regeln
Missbräuchliche Kündigung
Diskriminierende Kündigung
Fristlose Entlassung
Die wichtigen Gründe
Zu Unrecht fristlos entlassen: die Konsequenzen
Auflösung von Kaderverträgen
Jean-Claude Biver, Präsident von Hublot, Leiter der Uhrensparte von LMVH
Was ist eine Aufhebungsvereinbarung?
Freistellung während der Kündigungsfrist
Arbeitszeugnis
Grundsätze der Zeugniserstellung
Unzufrieden mit dem Zeugnis – was tun?
«Ein Gärtner hat immer den ganzen Garten im Blick» – Interview mit Jürg Eggenberger, Geschäftsführer der Schweizer Kader Organisation SKO
Anhang
Nützliche Links und Adressen
Literatur
Stichwortverzeichnis
Es ist wie in den meisten Disziplinen. Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen und Sichtweisen. Dies gilt auch beim Thema Führen in der Wirtschaft. Längst gehört das Fördern von Frauen und Talenten zu den Kernaufgaben eines Vorgesetzten. Wer heute Mitarbeitende motivieren will, tut dies nicht im Kasernenton, sondern besinnt sich auf einen partizipativen Führungsstil mit klarer Zielvorgabe.
Monika Rühl, Pierin Vincenz oder Jean-Claude Biver erzählen in diesem Buch mit Witz und Esprit von ihren Erfahrungen im modernen Führen. Die zitierten Praktiker wissen aus ihrer täglichen Arbeit: Effizientes Führen ist heute anspruchsvoller als je zuvor. Die Vorgesetztenrolle muss bewusst wahrgenommen und mit vielfältigem Wissen umgesetzt werden. Führen ist zwar keine Kunst, aber es ist ein anspruchsvolles Handwerk, das eingeübt und beherrscht sein will. Wer den heutigen Qualitätsansprüchen an Führungskräfte beim Staat und in der Privatwirtschaft entsprechen möchte, tut also gut daran, sich noch intensiver in seine Cheffunktion hineinzudenken und auf seine Vorgesetztenrolle vorzubereiten. Das Sachbuch «Plötzlich Chef. Souverän in der neuen Führungsrolle» ist dabei überaus hilfreich, mithin eine Pflichtlektüre für künftige Führungskräfte. Es ist aber auch gestandenen Chefinnen und Chefs zu empfehlen, die sich noch intensiver mit ihrer Rolle auseinandersetzen wollen. Beispiele im Buch plus konkrete Tipps aus der Praxis bieten auch ihnen einen Mehrwert.
Dieses Sachbuch aus der Beobachter-Edition ist das Werk zweier überaus kompetenter Fachleute. Eingeflossen ist das praxiserprobte Wissen des Beobachter-Beratungszentrums, die Erfahrung der Schweizerischen Kaderorganisation SKO und der Redaktion der «Handelszeitung». Wir alle wüschen Ihnen eine nützliche und inspirierende Lektüre.
Stefan Barmettler,
Chefredaktor der «Handelszeitung»
im August 2018
Mit der Nominierung zum Chef, zur Vorgesetzten geht oft ein Traum in Erfüllung. Das wollte ich schon lange einmal, denken viele. Die heutige Realität zeigt jedoch: Viele Mitarbeitende kommen mit ihrem Chef nicht klar, stellen sich gegen ihn. Dann kann der Traum rasch zum Albtraum werden.
In verschiedenen Umfragen wurden Frischbeförderte nach ihren grössten Sorgen vor dem Rollenwechsel gefragt. Am häufigsten genannt wurde die Angst, zu versagen, an zweiter und dritter Stelle standen die Befürchtungen, nicht anerkannt zu werden respektive nicht genügend Autorität zu haben.
Fragt man gestandene Führungskräfte, weshalb zu Beginn ihrer Karriere einiges schiefgelaufen ist, sagen viele: «Richtig gelernt habe ich das ja nie.» Das können Sie besser handhaben: Dieses Buch hilft Ihnen, das Führen anderer Menschen bewusst anzugehen und den Rollenwechsel zu meistern. Sie lernen, über Ihre Wirkung nachzudenken und auf andere positiv Einfluss zu nehmen. So machen Sie Ihren neuen Job von Anfang an gut.
Ein erstes Mal Chef zu werden, hat besondere Bedeutung. Sie haben vielleicht Respekt oder gar etwas Angst vor der neuen Situation. Anderseits sind Sie voller Tatendrang, wollen sich beweisen, die neue Aufgabe gut erfüllen. Erfahren Sie in diesem Kapitel, wie Motive, die eigene Geschichte und persönliche Voraussetzungen einen beim Rollenwechsel beeinflussen. Darüber nachzudenken, bevor Sie in der neuen Rolle beginnen, kann sehr hilfreich sein.
Mehr Einfluss, mehr Geld, höheres Ansehen oder Spass am Führen anderer Menschen? Was motiviert Sie, Chef zu sein? Diese Frage ist zentral, Ihre Antwort auch.
Es ist wichtig, dass Sie sich im Klaren darüber sind, was Sie motiviert, Chefin, Vorgesetzter zu sein und eine Führungsrolle zu übernehmen. Berücksichtigen müssen Sie aber auch, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen Sie zum Chef gemacht werden. Werden Sie mit offenen Armen empfangen und unterstützt oder in eiskaltes Wasser geworfen? Die Ausgangssituation zu verstehen, ist entscheidend.
Motive und Wünsche: Weshalb wollen Sie führen?
Es ist durchaus sinnvoll, wenn Sie für Ihre erstmalige Rolle als Führungsperson Wünsche und Motive haben. Daraus entstehen Erwartungen, an denen Sie Ihre Aufmerksamkeit orientieren.
Was motiviert Sie, eine Führungsposition zu übernehmen? Ist es der gute Karriereschritt, die Beförderung mit angenehmen Folgen? Ist es die Möglichkeit, die eigenen Stärken noch besser einbringen, etwas bewegen zu können? Wollen Sie sich selber etwas beweisen?
Gründe und Motivationen für die Übernahme einer Chefrolle können ganz unterschiedlich sein, und es gibt dabei auch kein Richtig oder Falsch. Es kommt sogar vor, dass jemand gar nicht den Wunsch hat, eine Führungsposition zu übernehmen, und doch in diese Situation gerät.
In einer Umfrage bei Erstführenden wurden folgende Gründe oder Motivationen genannt (Reihenfolge nach Häufigkeit):
■Anerkennung
■Karriere, Erfolg
■Einfluss, Macht
■Selbstverwirklichung
■finanzielle Unabhängigkeit
Diese Aspekte sind alle auf die eigene Person bezogen. Wenn man jung ist – und das sind viele, wenn sie ein erstes Mal «in Führung gehen» –, stehen solche Motivationen vielleicht im Vordergrund. Das ist legitim. Die Erfahrung zeigt jedoch: Wer ausschliesslich von selbstbezogenen Kriterien getrieben ist, kann nur beschränkt über längere Zeit erfolgreich führen.
Ihre Motivation hat Einfluss auf Ihr Führungsverhalten, auf Ihre Art, Prioritäten zu setzen, und damit auf Ihre Wirkung auf andere. Wer zum Beispiel auf Anerkennung aus ist, wird alle zur Verfügung stehenden Mittel und sogar die Mitarbeitenden so einsetzen, dass er oder sie diese Anerkennung erhält.
TIPP Die höchste Chance, in der Führungsrolle erfolgreich zu sein, haben Sie dann, wenn Sie gern führen, wenn Sie gern mit anderen Menschen zusammen auf ein Ziel hin arbeiten.
MMMM – man muss Menschen mögen
Dieser alte Spruch hat es in sich. Wenn Sie mit dieser Aussage ganz ehrlich nichts anfangen können, sollten Sie sich nochmals gut überlegen, ob Sie für eine Führungsrolle wirklich geeignet und bereit sind. Wie wichtig diese Grundhaltung zu Menschen ist, zeigt folgendes reale Beispiel.
ALS CAROLA H. ihre erste Führungsrolle antritt, ist im Team neben zwei fast gleichaltrigen und einem jüngeren auch ein deutlich älterer Mitarbeiter. Dieser verfügt über viel mehr Berufserfahrung als seine neue Chefin, hat einen ganz anderen Arbeitsstil und ist auch etwas kompliziert. Frau H. lässt sich von diesem Mitarbeiter früh seine Geschichte samt all seinen Erfahrungen erzählen und hört interessiert zu. So kann sie vieles, was ihr etwas fremd vorkommt, immerhin nachvollziehen. Sie sucht nach Dingen, die sie an der besonderen Art dieses Mitarbeiters sogar mögen kann. Diese wertschätzende Haltung führt dazu, dass der Mitarbeiter seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllt, dass es kaum je ein Problem mit ihm gibt, obschon er deutlich mehr Führungserfahrung hat als die neue, jüngere Chefin.
Etwas bewegen wollen
Viele Menschen, die eine Führungsposition anstreben, wollen etwas bewegen, positiven Einfluss nehmen. Auch das ist eine berechtigte Motivation. Mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, ist ein guter Treiber. Solche Mitarbeiter wünscht sich jeder Betrieb.
Etwas bewegen zu wollen, sollte aber nicht bedeuten, Macht über andere auszuüben. Vielmehr geht es darum, selber voranzugehen, um mit anderen zusammen herausragende Ergebnisse zu erzielen.
Führen heisst dienen
Wollen Sie beruflichen Erfolg mit Zufriedenheit und Erfüllung verbinden? Diese Frage stellt sich jedem, der erstmals in die Chefrolle schlüpft. Lautet Ihre Antwort Ja, empfiehlt es sich, die Führungsaufgabe als Dienst an den Mitarbeitenden, am Unternehmen zu betrachten.
Empfinden Sie das als paradox? Es gibt dazu eine von Robert Greenleaf begründete Philosophie der Führung, einen heute etablierten Ansatz der Führungsforschung: Servant Leadership, die dienende Führung. Diese Philosophie beschreibt das Wirken von Führenden als Dienst am Geführten – im Gegensatz zum beherrschenden Führen. Und sie zeigt deutlich: Wer so führt, führt mit Freude sowie mit Klarheit zum Wozu und Wofür. Positive Kraft für die Erfüllung der Aufgaben ist die Folge. Die oben genannten äusseren Aspekte wie Karriere und Anerkennung werden sich ohne grosse Anstrengung auch einstellen.
REFLEXION
Folgende Fragen können Ihnen helfen, Klarheit über Ihre Motive zu gewinnen:
–Was interessiert mich besonders, was reizt mich an der Führungsaufgabe?
–Welche Erwartungen habe ich an die positiven Folgen der Führungsposition? Suche ich höheres Ansehen, Status, mehr Lohn, die Möglichkeit, etwas zu bewegen, etwas Neues zu lernen …?
–Wie gern arbeite ich mit Menschen und helfe ihnen, erfolgreich zu sein?
–Wie wichtig sind für mich Einfluss, Macht(mittel), Verantwortung? Was möchte ich bewegen?
–Wie zufrieden möchte ich in der Führungsarbeit sein?
Weshalb kommt es zum Wechsel?
Wissen und verstehen Sie, weshalb Ihr bisheriger oder ein neuer Betrieb Sie zum Chef, zur Vorgesetzten macht? Je nachdem sind die Herausforderungen, die Sie in Ihrer neuen Rolle zu meistern haben, unterschiedlicher Natur. In der Folge finden Sie die häufigsten Szenarien samt einigen Verhaltenstipps.
Natürliche Ablösung
Das ist der häufigste Fall: Die Vorgängerin übernimmt entweder selber eine neue Rolle oder scheidet altershalber aus dem Arbeitsprozess aus. Solche Wechsel sind meist vorhersehbar. Das Unternehmen hat eine gewisse Zeit, eine gute Nachfolgeregelung einzuleiten. Im besten Fall sind Sie bei Ihrer bisherigen Arbeit im Unternehmen durch Leistung und persönliche Qualitäten wiederholt positiv aufgefallen und geniessen den Respekt Ihrer Kollegen und Kolleginnen. Man setzt auf Sie, traut Ihnen die Führungsrolle zu und wählt Sie im Rahmen eines Auswahlverfahrens ganz gezielt aus. Trifft dies zu, starten Sie mit guten Voraussetzungen.
TIPPS Unterschätzen Sie die neue Situation nicht, trotz aller Vorschusslorbeeren. Klären Sie die Erwartungen an Sie mit den Vorgesetzten. Denn so positiv alles aussehen mag, diese Erwartungen könnten auch zu hoch sein.
——
Bringen Sie in Erfahrung, welche Spuren Ihr Vorgänger hinterlassen hat. Waren die Mitarbeiter von ihm so begeistert, dass sie sich gar nichts Besseres vorstellen können? Oder haben sie unter ihm gelitten und sind deshalb sehr froh über den Wechsel?
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Sprechen Sie mit Ihrem Vorgänger und lassen Sie sich auch seine Perspektive zeigen – ohne sich davon beeinflussen zu lassen.
——
Nehmen Sie sich Zeit und hören Sie Untergebenen wie Vorgesetzten aufmerksam zu.
——
Machen Sie sich ein eigenes Bild, klären Sie Ihre eigenen Vorstellungen und treffen Sie dann erste Entscheidungen.
DER ABTRETENDE TEAMLEITER pflegte einerseits einen relativ direktiven Führungsstil und berücksichtigte die Meinung anderer nur begrenzt. Anderseits war er aber wenig entscheidungsfreudig und änderte häufig seine Meinung, je nach Reaktion von oben. Die Mitarbeitenden erwarten nun von Ihnen als Nachfolger, dass Sie sie mehr miteinbeziehen. Zudem wünschen sie, dass Sie eine klare Richtung vorgeben, Entscheidungen treffen und bei diesen auch bleiben. Wie gehen Sie mit diesen anspruchsvollen Erwartungen um? Wie erreichen Sie, dass die Mitarbeiter lernen, selber mehr Verantwortung zu übernehmen?
Der Vorgänger wurde abgesetzt
Wurde Ihr Vorgänger wegen ungenügender Leistungen oder unerfüllter Erwartungen abgesetzt, ergibt sich für Sie eine besondere Konstellation. Für die Teammitglieder, die Sie führen werden, ist eine solche Absetzung ein Schock – selbst wenn sie absehbar war. Die meisten sind emotional betroffen. Selbst Mitarbeitende, die unter der früheren Situation gelitten haben und froh sind, dass sich etwas ändert, können irritiert sein, wenn es dann so weit ist. Sie können nun nämlich nicht mehr wie vorher den Chef für alles, was nicht funktioniert, verantwortlich machen. Andere, die dem Vorgänger nahestanden, sind möglicherweise sehr verärgert und protestieren, oder sie fühlen sich verletzt und ziehen sich zurück. Vorsicht ist also angesagt.
TIPPS Erklären Sie dem Team zusammen mit Ihren Vorgesetzten die Situation. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass die besonderen Umstände verarbeitet werden müssen. Emotionen sollten nicht verdrängt werden, sondern ihren Platz erhalten, allerdings in kontrolliertem Rahmen.
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Verletzen Sie nie zentrale Werte wie Respekt und Fairness gegenüber der abgesetzten Person. Dies deshalb, weil alle Beteiligten genau beobachten, wie Sie als neuer Verantwortlicher mit der Situation umgehen.
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Beziehen Sie das, was geschieht, gesagt oder empfunden wird, nicht auf sich selber, nehmen Sie es nicht persönlich. Vieles hängt mit der nicht von Ihnen zu verantwortenden Vergangenheit zusammen.
TIPP Waren Sie Teil dieser Vergangenheit, stehen Sie zu dem, was war. Machen Sie Ihre damaligen Überlegungen transparent. So reduzieren Sie die Gefahr, dass die Mitarbeitenden hinter Ihrem Rücken über nicht Geklärtes sprechen. Sie stärken Ihre Glaubwürdigkeit als neuer Vorgesetzter. Versuchen Sie, Dinge zu vertuschen, sind Sie von Anfang an angreifbar und können nur verlieren.
Kündigung des Vorgängers
Hat Ihre Vorgängerin selber gekündigt, sollten Sie alles daransetzen, die Hintergründe in Erfahrung zu bringen. Wenn sie anderswo einen guten Karriereschritt machen konnte, schafft das kaum Probleme für Sie. Hat sie die Kündigung hingegen aus Unzufriedenheit, Ärger oder anderen negativen Empfindungen eingereicht, dann ist genaueres Hinsehen sinnvoll.
MIRKO M., DER CHEF DES TEAMS, das Sie übernehmen sollen, hat gekündigt. Sie erfahren, dass er sich in seiner Führungsaufgabe stark eingeschränkt fühlte. Er hatte Probleme mit dem Vorgesetzten, fühlte sich zu oft kontrolliert. Die Mitarbeitenden bekamen die Differenzen mit; auch ihre Motivation litt unter der Situation. Sie sprechen mit Herrn M. vor seinem Abgang und versuchen, seine Sicht zu verstehen, ohne sofort Schlüsse zu ziehen. Dann überlegen Sie, welchen Anteil er selber an der Situation hatte und welchen möglicherweise der Vorgesetzte, Ihr neuer Chef. Gut vorbereitet gehen Sie in das wichtige Gespräch mit diesem. Zuerst lassen Sie ihn seine Sicht darlegen. Auch da versuchen Sie zu verstehen. Beim gemeinsamen Blick in die Zukunft kommunizieren Sie höflich, aber bestimmt, was Ihnen wichtig ist und wie Sie denken, gut zusammenarbeiten zu können.
TIPPS Klären Sie folgende Fragen: Was hat die Unzufriedenheit und die negativen Wahrnehmungen Ihres Vorgängers am stärksten beeinflusst? Welche Erwartungen wurden aus seiner Sicht nicht erfüllt? Welchen Anteil an der Situation sehen Sie aufseiten des Betriebs, welchen aufseiten Ihres Vorgängers? Wie denken die Mitarbeitenden über die Vergangenheit?
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Versuchen Sie, die Situation gut zu verstehen, und grenzen Sie sich dort ab, wo die Themen nichts mit Ihnen zu tun haben.
TIPP Machen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf aufmerksam, dass Vergleiche sich immer auf die Vergangenheit beziehen und deshalb die Offenheit für eine gemeinsame positive Zukunft beeinträchtigen.
Der Vorgänger fällt überraschend aus
Ihr Vorgänger fällt unerwartet aus, krankheitshalber oder weil er dringend für ein wichtiges Projekt abgezogen wird. Dann werden Sie in einer Notsituation ins kalte Wasser geworfen. Sie wissen nicht genau, ob dies nur vorübergehend oder definitiv ist. Sie haben jedenfalls weniger Anlaufzeit und müssen sofort in der neuen Rolle agieren. Was als Nachteil erscheint, kann für die Beziehung zu den Mitarbeitenden zum Vorteil werden. Diese wissen, dass es schwierig ist, so unvorbereitet einzuspringen; die Erwartungen bleiben oft realistischer.
TIPPS Lamentieren Sie nicht. Packen Sie die Aufgabe sofort an und geben Sie Ihr Bestes. Nutzen Sie die besondere Situation und besprechen Sie Schwierigkeiten offen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
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Holen Sie wenn nötig Hilfe, das ist ein Zeichen der Stärke. Diese Unterstützung erhalten Sie bei erfahrenen Führungskräften und auch aus Ihrem Familienkreis. Oder bei einem Führungscoach.
Reorganisation
Ihr Betrieb organisiert sich neu, es gibt eine angepasste oder stark veränderte Struktur und damit auch andere Führungspositionen. Das ist grundsätzlich eine positive Ausgangslage: Sie können im besten Fall Ihre neue Rolle, die Teamaufgabe mitgestalten und die Zusammenstellung Ihres Teams mit beeinflussen.
Oft wird diese Chance nicht genutzt, weil viele Fragen offen sind, weil Unsicherheiten über die Reorganisation bestehen. Man traut sich zu wenig, proaktiv Entscheidungen zu treffen oder Vorschläge zu machen. Das muss nicht sein. In der Regel haben die Verantwortlichen der Reorganisation selber noch keine allzu konkrete Vorstellung von den Details. Da sind Sie also gefragt und können gleich zeigen, dass Sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
TIPPS Seien Sie proaktiv und klären Sie so früh wie möglich, welchen Spielraum für eigene Ideen, Vorschläge und vor allem für Entscheidungen Sie haben.
——
Suchen Sie nach Unterstützern auf allen Ebenen des Unternehmens, bilden Sie ein Netz von Gleichgesinnten.
Von aussen kommen
Bisher war implizit die Rede davon, dass Sie innerhalb Ihres Betriebs zur Chefin, zum Vorgesetzten befördert werden. Alle beschriebenen Situationen treffen Sie natürlich auch an, wenn Sie von ausserhalb rekrutiert werden. Der wichtigste Unterschied: Sie haben keine gemeinsame Geschichte mit Ihrem Team, alles ist neu für Sie.
TIPPS Investieren Sie genug Zeit und Aufmerksamkeit, um die Geschichte Ihres neuen Umfelds gut zu verstehen. Neu und unbelastet zu sein, ist oft ein Vorteil.
——
Lassen Sie sich nicht zu stark von den Meinungen Einzelner beeinflussen. Respektieren Sie die Ihnen beschriebene Vergangenheit und die unterschiedlichen Sichtweisen dazu.
REFLEXION
Folgende Fragen helfen Ihnen, Klarheit zu gewinnen über die Ausgangslage und daraus Ihre Schlussfolgerungen abzuleiten:
–Weshalb werde ich als Chef eingesetzt, welche Ausgangssituation hat zum Rollenwechsel geführt?
–Welche Rolle habe ich in der Vergangenheit des Teams gespielt, das ich jetzt übernehme?
–Welche Voraussetzungen finde ich beim Antritt vor? Wo sehe ich besondere Chancen, wo Gefahren?
–Welche Einstellung zum Wechsel und zu mir, welche Empfindungen und Wahrnehmungen haben meine neuen Mitarbeitenden?
–Wo ist Klärung angesagt, wo muss Unausgesprochenes auf den Tisch gebracht werden?
Allen klar machen, wer nun das Sagen hat, befehlen und sich dann zurücklehnen. Oder alle motivieren, ihr Bestes zu geben, gemeinsam hohe Ziele erreichen und darauf stolz sein. Welches ist Ihr Chefkonzept?
Wenn Sie ein erstes Mal die Chefrolle übernehmen, ist es nützlich, sich zu überlegen, wie Sie führen wollen. Sie entscheiden, welchen Führungsstil, welche Art der Führung Sie anwenden. Die Frage ist, wie bewusst Sie das tun. Welche Vorstellungen prägen Ihre Art der Führung? Ihre bisherigen Erfahrungen mit Führung, vor allem auch als Geführter oder Geführte, spielen eine Rolle. Ihre eigene Geschichte, prägende Momente und Ereignisse haben fest verankerte Werte geschaffen und die Erwartungen geprägt, die Sie selber an sich haben.
Die persönliche (Führungs-)Geschichte
Sie denken vielleicht, dass Sie gar keine Führungsgeschichte haben, weil Sie ja zum ersten Mal selber führen werden. Denken Sie nach.
Gut möglich, dass Sie ausserhalb des Berufs schon formell oder informell geführt haben – zum Beispiel als Pfadiführer oder in einer ähnlichen Funktion. Vielleicht waren Sie in der Schule informell die Anführerin einer Gruppe. Welche Erfahrungen haben Sie da mit dem Beeinflussen anderer gemacht? Etwa dass das eigene Wort und Verhalten plötzlich als Beispiel genommen wird?
Zu Ihrer Geschichte gehören aber auch alle Ihre Erfahrungen als Geführter oder Geführte. Diese beginnen viel früher, als wir das manchmal wahrhaben wollen, nämlich mit den eigenen Eltern. Sie waren die ersten Autoritätspersonen. Als kleines Kind haben Sie die elterliche Autorität ohne Einschränkung akzeptiert, Sie waren in einem Abhängigkeitsverhältnis. Sie haben, ohne nachzudenken, «gelernt», dass das Verhalten von Mutter und Vater die einzige Wahrheit darstellt. Diese Wahrheit prägt unbemerkt bis weit ins Erwachsenenalter. Haben Sie da zum Beispiel gelernt, dass man Sie um Ihre Meinung fragt, oder waren die Ansichten des Vaters ohne Widerspruch zu übernehmen?
Als Jugendliche beginnen wir, die Welt objektiver zu sehen, die bisher einzige Realität mit anderem zu vergleichen und deshalb auch etwas Distanz dazu herzustellen. Doch die frühen Prägungen wirken unbemerkt weiter. Der Einfluss eines sehr autoritären Elternteils etwa kann sich so bemerkbar machen, dass direktives Verhalten später wegen der negativen Erlebnisse abgelehnt wird. Was hat das nun mit Ihrer aktuellen Führungsrolle zu tun?
VIKTOR B., MITARBEITER in einem grösseren Betrieb, wird Teamleiter. Er geht diese erste Führungsfunktion seriös an und bereitet sich gut auf die erste Zeit vor. Nach ein paar Monaten erhält er von seiner Chefin das Feedback, dass er seine Sache gut mache. Allerdings solle er etwas klarer führen und sich bei wichtigen Anliegen gegenüber den Mitarbeitenden durchsetzen. Herr B. denkt nach, und mit der Hilfe eines Coaches entdeckt er, dass er unbemerkt den «Führungsstil» seiner Mutter übernommen hat. Diese hätte gegenüber den Kindern nie ein böses Wort gesagt, obschon auch sie klare Werte hatte. Sie versuchte stets, die Kinder im Gespräch, über Vernunft zu beeinflussen, nie über die Ausübung von Macht. Dies ganz im Gegensatz zum autoritären Vater.
REFLEXION
Folgende Fragen ermöglichen Ihnen, unbewusste Prägungen zu entdecken, die Ihr Verhalten als Chef mitbestimmen:
–Welche Autoritätspersonen in meinem Leben hatten besondere Bedeutung für mich? Welchen Einfluss haben diese bis heute auf mein Denken, meine Werte, mein Verhalten?
–Welches Verhalten möchte ich als Chef unbedingt zeigen (können)? Weshalb finde ich das wichtig?
–Welche Verhaltensweisen will ich um jeden Preis vermeiden? Was steckt dahinter, weshalb ist das so?
–Was habe ich bisher von Führungs- und Autoritätspersonen im beruflichen und privaten Leben gelernt?
Herr B. hat die Art der Einflussnahme seiner Mutter übernommen. In vielen Situationen ist diese Art sinnvoll und ermöglicht ihm gute Beziehungen zu seinem Team. Wenn er allerdings eine Vorgabe machen oder eine wichtige Angelegenheit durchbringen muss, hat er Mühe. Erst als Viktor B. seine Prägung bewusst wird, kann er daran etwas ändern. Er muss Schritt für Schritt lernen, klar Position zu beziehen und anderen auch Grenzen zu setzen.
Auch spätere Prägungen können die eigenen Vorlieben in der Führung beeinflussen – zum Beispiel durch Lehrer, die für die Entwicklung sehr wichtig waren, oder durch Autoritätspersonen in Vereinen, etwa die Trainerin einer Sportmannschaft.
Persönliche Werte
Werte sind internalisierte Handlungsanleitungen, die Ihnen ermöglichen, Entscheidungen zu treffen in Situationen, in denen nicht unmittelbar klar ist, was getan werden sollte. Ein Beispiel:
Sie sitzen im Zug zusammen mit einer Gruppe von Menschen aus einer anderen Kultur, die sich merkwürdig benehmen. Alle reden laut und gestikulieren mit den Händen, als wäre irgendetwas passiert. Aber offenbar ist das normal für diese Menschen. Wenn Toleranz als Wert bei Ihnen fest verankert ist, werden Sie dieses Verhalten akzeptieren, auch wenn es Ihnen fremd erscheint. Wenn nicht, regen Sie sich möglicherweise mächtig auf und beschweren sich sogar. Sie brauchen dabei nicht alle Details der Situation zu kennen. Ihr innerer Wert gibt Ihnen Anleitung für Ihre Entscheidung.
Auch Herr B. im nebenstehenden Beispiel hat Werte gelernt; ein wichtiger für ihn ist Respekt. Das führt dazu, dass er sich stets zurückhält und nicht autoritär auftreten will. Weshalb? Weil er mit dem autoritären Vater erfahren hat, wie es ist, wenn man sich nicht respektiert fühlt. Auch bei Werten wirkt die persönliche Geschichte prägend.
Werte sind in der Führung ein ganz wichtiges Instrument, darauf wird im Kapitel «Gute Führung» noch eingegangen (siehe Seite 108). Hier geht es vor allem darum, dass Sie erkennen, wie Ihre gelernten Werte die Art, wie Sie führen, beeinflussen.
REFLEXION
Mithilfe der folgenden Fragen entdecken Sie, welche Werte Ihr Handeln leiten:
–Was ist mir besonders wichtig, wenn ich andere führe, mit anderen zusammenarbeite, wenn ich bei der Arbeit bin?
–Woher kommt das? Wer und welche Ereignisse haben meine Werthaltungen am stärksten geprägt? Welche Werte will ich weiter hochhalten, welche überdenken und eventuell loslassen?
Erwartungen an sich selbst
Ihre persönliche Geschichte und die Werte, die Sie hochhalten, beeinflussen die Erwartungen, die Sie an sich selber als Chef oder Chefin haben. Diese Selbsterwartungen sind nicht zu unterschätzen, sie haben eine positive, aber auch eine belastende Kraft. Oft denken Führungskräfte – wie auch Menschen generell –, dass Schwierigkeiten im (Berufs-)Alltag von den Erwartungen anderer herrühren. Tatsächlich sind es aber oft die nicht bewussten Erwartungen an einen selber, die sich belastend auswirken.
Positive Auswirkungen der Selbsterwartung
Wenn Sie ein möglichst guter Vorgesetzter, eine möglichst gute Chefin sein möchten, dann ist das grundsätzlich positiv. Sie wollen Ihr Bestes geben, Erfolg haben und zeigen, was Sie können. Eine gute Voraussetzung – Sie werden nicht so rasch mit sich selber zufrieden sein, werden stets darüber nachdenken, ob es noch eine bessere Art gibt, in Ihrer Führung den eigenen Erwartungen zu entsprechen. Sie sind bereit, zu lernen und an der Führungsaufgabe zu wachsen.
LINDA J. TRITT IHRE ERSTE FÜHRUNGSAUFGABE an. Sie hat sich aufgrund eigener Erfahrungen fest vorgenommen, die Mitarbeitenden wertschätzend zu behandeln und sie wo immer möglich in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Deshalb achtet sie bei jedem Meeting darauf, wie sie kommuniziert. Sie wählt ihre Worte bewusst und fragt stets nach, wie die Mitarbeitenden mit den Aufgaben klarkommen. Ihr Team reagiert positiv auf diese Art der Führung und unterstützt sie. Sobald Frau J. aber das Gefühl hat, jemand fühle sich nicht mehr ganz wohl, beschäftigt sie das sehr. Sie zerbricht sich den Kopf, wie sie diesem Teammitglied helfen könnte – getrieben von ihrer Selbsterwartung, stets zu unterstützen.
DAMIAN W., AUCH SOEBEN TEAMLEITER GEWORDEN, hat sich fest vorgenommen, klar zu zeigen, dass er der Chef ist. Er befürchtet, dass sonst die Exkollegen ihn als Vorgesetzten nicht respektieren. Diese Erwartung führt dazu, dass er etwas auf Distanz zum Team geht. Er kommuniziert klar und vermittelt den Mitarbeitenden seine Vorstellung von der nächsten Zukunft mit allen Verbesserungsmöglichkeiten. Diese Massnahme verfehlt ihre Wirkung nicht. Die Mitarbeitenden verstehen relativ schnell, dass er jetzt eine andere Rolle hat. Allerdings führt seine Entscheidung, in der Pause nicht mehr gemeinsam Kaffee zu trinken, auch zu Unstimmigkeiten. Einzelne glauben, dass er sich zu stark als Chef darstellen wolle, weil sie seine gute Absicht nicht verstehen.
In beiden Beispielen haben die Selbsterwartungen der neu Führenden tatsächlich positive Wirkungen.
Belastende Auswirkungen der Selbsterwartung
Die Beispiele zeigen aber auch, dass feste Selbsterwartungen Gefahren mit sich bringen. Die positiven Erwartungen – im ersten Beispiel Wertschätzung, im zweiten Abgrenzung – werden zur fixen Vorstellung, mögliche negative Auswirkungen werden ausgeblendet.
Frau J. im ersten Beispiel hat aufgrund ihrer Führungsgeschichte die Befürchtung, sie könnte jemandem auf die Füsse treten, sie könnte zu wenig wertschätzend sein. Ihre Erwartung wertschätzender Führung – grundsätzlich sehr positiv und unterstützungswürdig – wird zum festen Antreiber ihres Verhaltens. Jede Abweichung nimmt Frau J. als Irritation und als Gefühl des Versagens wahr, weil sie die eigene Erwartung nicht erfüllt. Das löst unnötige Zweifel aus und schwächt letztlich ihre Führungswirkung.
Die Erwartung von Herrn W., sich jederzeit Respekt zu verschaffen, führt dazu, dass er alles tut, um jede Erfahrung des fehlenden Respekts zu vermeiden. Er grenzt sich so übertrieben von seinen Exkollegen ab, dass diese sein Verhalten nicht nachvollziehen können. Reagieren dann Einzelne mit Unverständnis, nimmt Herr W. dies als mangenden Respekt wahr – und grenzt sich noch stärker ab. Ein Teufelskreis bahnt sich an.
INFO Die meisten Probleme in der Arbeitswelt entstehen aus festen Erwartungen, wie etwas sein sollte. Werden diese nicht erfüllt, stellt sich ein unangenehmes Gefühl ein. Man empfindet etwa Schuld, Scham, Ärger oder Ähnliches – alles weitverbreitete Emotionen. Die Folge ist oft ein reduziertes Selbstwertgefühl.
Seien Sie nicht zu streng mit sich selbst
Oft hört man von Führungskräften folgenden Satz: «Ich erwarte von mir, stets ein Vorbild für meine Mitarbeitenden zu sein, und erwarte von ihnen nur, was ich auch von mir erwarte.» Diese Absicht ist erstrebenswert, hat aber bei Übertreibung einen Haken. Das Denkmuster dahinter könnte sein: «Ich muss es allen recht machen.» Das Risiko dabei ist, dass man dann beim kleinsten Fehler bereits die eigene Qualität als Führungskraft hinterfragt. Die Lösung: Behalten Sie diesen Satz als Prinzip und ergänzen Sie ihn: «… und wenn es mir einmal nicht gelingt, dann stehe ich dazu, spreche darüber und bekräftige meine Absicht.»
REFLEXION
– Welche positiven Erwartungen habe ich an mich als Chef oder Chefin?
–Welche Absichten verfolge ich, die auf andere positive Wirkung haben können?
–Woher kommen diese Absichten?
–Wie sehr bin ich auf meine Erwartungen fixiert? Was ist, wenn ich sie nicht erfülle?
–Welches sind meine drei grössten Vorbilder als Führungskräfte (in meinem Umfeld, aus Geschichten, die ich gehört habe, aus den Medien)? Welche Qualitäten dieser Persönlichkeiten faszinieren mich?
TIPP Machen Sie sich Ihre Erwartungen an sich selbst bewusst und streben Sie ihnen nach, ohne sich darauf zu versteifen, ohne sie zur fixen Idee werden zu lassen.
Die Heldin sein, die immer richtig handelt und alles schafft, oder das Opfer der eigenen Schwächen sein, für die man eh nichts kann? Beides sind Trugbilder. Was können Sie wirklich?
Jeder und jede von uns hat einzigartige Talente und Stärken ebenso wie Begrenzungen. Wie können Sie in der Führung Ihre besonderen Stärken einbringen und anderseits Ihre Grenzen akzeptieren, Ihre Schwächen kompensieren? Das Wichtigste: Sie müssen sich selber gut kennen.
Was macht Sie stark?
Wie gut kennen Sie sich selber wirklich? Diese Frage können nur Sie für sich beantworten. Die Antwort hängt davon ab, wie oft Sie darüber schon nachgedacht haben. Neben den eigenen Gedanken sind aber immer auch Rückmeldungen – Feedback – von anderen wichtig. Alle Menschen haben ihre blinden Flecken, Aspekte, die sie gar nicht sehen. Dies gilt auch für Stärken, Qualitäten etwa, die Sie ganz natürlich einbringen und deshalb gar nicht mehr als etwas Besonderes betrachten. Andere Menschen aus Ihrem Umfeld können Ihnen solche Eigenschaften als Stärken bestätigen.
Klarheit über die eigenen Stärken ist wichtig, wenn Sie eine erste Führungsrolle übernehmen. Denn auf diese Stärken sollten Sie setzen. Ebenso wichtig ist es, dass Sie wissen, wie Sie mit Ihren Begrenzungen umgehen wollen. Sie müssen ja nicht alles selber können.
Können und Wollen
Eine Tätigkeit, die Sie sehr gut können, für die Sie aber keine besondere Leidenschaft empfinden, ist noch nicht eine wirkliche Stärke. Beispiel: Sie können sehr gut planen, haben aber selten wirklich Lust dazu.
Ebenso wenig ist es eine Stärke, wenn Sie etwas besonders gern tun. Dann handelt es sich vielmehr um eine Leidenschaft, die Sie mit mehr oder weniger Talent dazu ausüben. Beispiel: Sie zeichnen gern Folien, sind gern kreativ – wissen aber, dass andere dies deutlich besser und auch schneller können als Sie. Für eine echte Stärke braucht es beide Dimensionen, Können und Wollen (siehe Grafik).
WAS IST EINE STÄRKE?
Identifizieren Sie Ihre Stärken
Stärken können sowohl angeborene Fähigkeiten, sogenannte Talente, beinhalten wie auch gelernte Fertigkeiten, die darauf aufbauen. Hier eine Aufzählung möglicher Stärken, die sich in der Führung gewinnbringend einsetzen lassen:
■Aktiv und dynamisch: bringt sich und andere rasch vom Denken zum Tun.
■Inspirierend: kann andere motivieren und dazu bewegen, mitzumachen.
■Gut in der Planung: kann gut arrangieren und organisieren.
■Natürlich kommunikativ: kann gut sprechen und mit einfachen, verständlichen Botschaften andere erreichen.
■Besonnen in den Entscheidungen: kann auch mit heiklen Themen gut umgehen und dazu für alle tragbare Entscheidungen treffen.
■Selbstdiszipliniert: liebt Struktur und eine gewisse Routine (auch Regeln) sowie Verantwortungsbewusstsein.
■Gut im Setzen von Prioritäten: schafft einen klaren Fokus und bringt Aufgaben termingerecht zur Erfüllung.
■Begabt in der Entwicklung anderer: sieht das Potenzial in anderen und bringt dieses zum Einsatz.
■Empathisch: versteht unterschiedliche Sichtweisen und Empfindungen und kann anderen in schwierigen (emotionalen) Situationen durch Einfühlung helfen.
■Ehrgeizig: strebt Bestleistungen an und treibt andere zu solchen an.
■…: Ergänzen Sie, was Sie als (Führungs-)Stärke empfinden.
Oft bestehen Stärken auch aus einer Kombination von mehreren Aspekten. Seien Sie vor allem ehrlich mit sich selber, wenn Sie in der folgenden Reflexionsübung die zwei bis drei Punkte auswählen, die Ihre Stärken darstellen. Schauen Sie in einem zweiten Schritt, welche weiteren Aspekte Ihr Potenzial für morgen repräsentieren. Dann arbeiten Sie daran.
REFLEXION
Folgende Fragen helfen Ihnen, Klarheit zu gewinnen über Ihre in der Führung relevanten Stärken:
–Welche Eigenschaften/Qualitäten aus der obigen Liste – samt meinen eigenen Ergänzungen – zähle ich zu meinen Stärken?
–Welches sind die drei Topaspekte, zu denen ich auch regelmässig positives Feedback erhalte?
–Wie zeigen sich diese Stärken im Arbeitsalltag? Welche positive Wirkung können diese Stärken erzielen?
–Wie setze ich meine Stärken in der Führungsarbeit ein und wie kann ich dies noch mehr und gezielter tun?
Persönliche Grenzen
Ebenso wie jeder Mensch seine Stärken hat, gibt es für alle Grenzen und Begrenzungen. Man kann nicht überall stark sein, das macht den Menschen ja gerade aus. Die Frage ist aber, ob Sie Ihre Grenzen kennen und wie Sie damit umgehen. Versuchen Sie nicht, die zu Ihnen gehörenden Schwächen auszuschalten. Eine Schwäche ist kein Anlass, sich zu schämen. Freuen Sie sich vielmehr, dass dadurch die Unterstützung von anderen und die Zusammenarbeit mit ihnen gefragt ist. Ihre Mitarbeitenden können Stärken dort einbringen, wo Sie Ihre Schwächen haben.
Es gibt Führungskräfte, die sehr kreativ sind, stets gute Ideen, Visionen haben und in jeder Situation Möglichkeiten sehen. Solche Chefs sind selten auch genau. Sie verpassen die kleinen Details, was manchmal zu unangenehmen Situationen führen kann. Ebenso sind sie schlecht darin, Arbeiten routinemässig auf dieselbe Art und Weise zu erledigen. Es liegt ihnen nicht und sie tun es äusserst ungern. Ist das auch Ihre Ausprägung? Dann können Sie vernünftigerweise nur zwei Dinge tun:
■Methoden und Techniken identifizieren oder bei anderen abschauen, die die negativen Konsequenzen Ihrer Schwäche minimieren. Zum Beispiel lernen, mit Checklisten die Details einer Aufgabe in den Griff zu bekommen.
■Mitarbeitende oder Kollegen finden, die ihre Stärken dort haben, wo Sie schwach sind, und diese gezielt einsetzen.
Sie arbeiten nicht allein!
Lassen Sie sich nicht von Ihrem Ego bestimmen. Dieses wird Ihnen wahrscheinlich einreden, dass Sie keine Schwächen eingestehen sollten, erst recht nicht am Anfang. In der Praxis ist es gerade so, dass diejenigen Chefs als souverän und stark bewertet werden, die sowohl zu ihren Stärken wie auch zu ihren Schwächen stehen.
CARLO Z., DER NEUE KÜCHENCHEF, hat es gern flexibel. Er freut sich über tägliche Veränderungen bei den Wünschen der Gäste und kann sich sehr rasch darauf einstellen. Diese Flexibilität hilft ihm auch in der Zeit, als ein grosser Küchenumbau angesagt ist. Er kann gut mit den Veränderungen umgehen und hilft seinem Team, sich rasch zu adaptieren. Aber: Wichtige Dokumente von Umbauaufträgen gehen fast verloren, die Sitzungen mit dem Küchenteam finden meist zu spät statt – weil Herr Z. sich verspätet oder sie vergisst. Es gibt keine Struktur, keine festen Abläufe mehr. Herr Z. fühlt sich dabei wohl, sein Team aber gar nicht. Es kommt zu Unstimmigkeiten, das Klima verschlechtert sich immer mehr – bis der Chef erkennt, dass er etwas unternehmen muss. Er stärkt die Rolle seiner Stellvertreterin, einer hoch strukturierten, detailorientierten Person. Einmal pro Woche sitzt er mit ihr zusammen, bespricht Anstehendes und stellt sicher, dass sie die Sitzungen plant und in die Agenda einträgt. Stabilität und Verlässlichkeit kehren zurück. Die Stimmung im Team verbessert sich schnell.
TIPPS Lernen Sie Ihre Stärken kennen. Identifizieren Sie auch Ihre Begrenzungen, lernen Sie, damit umzugehen, und kompensieren Sie grössere Schwächen mithilfe Ihres Teams.
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Wenn Sie trotz Reflexion unsicher sind, wo Ihre Stärken und Begrenzungen liegen, nutzen Sie Rückmeldungen vertrauenswürdiger Quellen, beruflich (eine Kollegin) oder privat (den Partner).
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Fragen Sie bei der Personalabteilung nach, ob in Ihrer Firma ein Feedback-Instrument mit Fragebogen eingesetzt wird. Die Mitarbeitenden können dann direkt Rückmeldung geben, wie sie Ihre Führung wahrnehmen. Dies macht allerdings frühestens nach sechs Monaten in der neuen Rolle Sinn.