Olympe de Gouges
Die Rechte der Frau / Déclaration des droits de la femme
Herausgegeben, übersetzt und mit einer Einführung von Gisela Bock
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Gisela Bock war 1985–1989 Professorin für Europäische Geschichte am Europäischen Hochschulinstitut (Florenz), 1989–1997 für Geschlechtergeschichte an der Universität Bielefeld; bis zu ihrer Emeritierung (2007) war sie dann Professorin für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und zugleich Mitglied des interdisziplinären Studiengangs Frankreichstudien. Gastprofessuren und Fellowships: an der Harvard University (1974/75), in Essen, Basel und Bern sowie an der Central European University in Budapest und am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Ihr bekanntestes Werk ist Frauen in der europäischen Geschichte (2000, in neun Sprachen), außerdem Geschlechtergeschichten der Neuzeit: Ideen, Politik, Praxis (2014). Sie ist Mitbegründerin der International Federation for Research in Women’s History (1987) und des Arbeitskreises für Historische Frauenforschung (1989/90).
Olympe de Gouges (1748–1793)
1789 hatte die französische Nationalversammlung die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verkündet, als Grundlage für eine freie Gesellschaft. Doch profitieren sollten davon nur die Männer. Von Frauen war nicht die Rede. Daher legte zwei Jahre später Olympe de Gouges zusammen mit einem Ehevertrag einen Gegenentwurf vor. Sie war aber nicht nur eine der ersten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, sondern auch eine große Humanistin. Dass sie die Terrorherrschaft unter Robespierre öffentlich kritisierte, bezahlte sie mit dem Leben. Am 3. November 1793 starb sie unter der Guillotine.
Diese von Gisela Bock zusammengestellte Ausgabe lädt dazu ein, die mutige und streitbare Feministin sowie das Schlüsselwerk der Frauenbewegung neu oder wieder zu entdecken.
Über die Reihe
Klassiker neu gelesen: In der Reihe dtv bibliothek erscheinen Werke und Werkauswahlbände von bedeutenden Autorinnen und Autoren, die zu ihrer Zeit und bis in die Gegenwart Maßstäbe gesetzt, viele Leserinnen und Leser bewegt und Einfluss auf das Denken der Menschen genommen haben. Die Bücher sind sorgfältig ediert und ausgestattet. Aktuelle Begleitworte erleichtern den ungezwungenen Zugang zu diesen klassischen Werken der Weltliteratur und des Weltwissens.
© 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: David Pearson, London, und Alexandra Bowien/dtv
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkungen nicht erkennbar.
eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43493-5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-28982-5
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423434935
Porträtbüste von Olympe de Gouges im Palais Bourbon, Sitz der Assemblée nationale
Die Paradoxie, die von Anfang an in dem Begriff der unveräußerbaren Menschenrechte lag, war, daß dieses Recht mit einem »Menschen überhaupt« rechnete, den es nirgends gab, […] da wir ja »Menschen« nur in der Form von Männern und Frauen kennen, also der Begriff des Menschen, wenn er politisch brauchbar gefaßt sein soll, die Pluralität der Menschen stets in sich einschließen muß.
Hannah Arendt, 1955[1]
Es war der 14. September 1791, als Olympe de Gouges in Paris ihr 24-seitiges Büchlein mit dem Titel Die Rechte der Frau (Les droits de la femme) in Druck gab, dessen Herzstück eine Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin ist (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne).[2] Es geschah also in jener aufregenden Zeit, als die Nationalversammlung (Assemblée nationale constituante) die Verfassung einer konstitutionellen Monarchie verabschiedete (am 3. September), die auch als »monarchie républicaine« oder »république monarchique« definiert wird.[3] An den Anfang der Verfassung stellte man die »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« (Déclaration des droits de l’homme et du citoyen), welche die Nationalversammlung schon zwei Jahre zuvor, am 26. August 1789, beschlossen hatte. Voll freudiger Erregung hielt de Gouges den schon laufenden Druck ihres Werks noch einmal an, um in einem Postscriptum ihre »reine Freude« darüber auszudrücken, dass der König der Verfassung zugestimmt hatte (am 13. September, am Tag darauf folgte sein Schwur vor der Nationalversammlung); zugleich hatte die Nationalversammlung eine Generalamnestie erlassen, und de Gouges hoffte – allerdings vergeblich –, dass nun »alle unsere Geflohenen« wieder zurückkehren könnten.[4] Ihre Frauenrechtserklärung wollte sie der Nationalversammlung vorlegen, damit diese sie verabschiede (sie tagte bis Ende September noch mehrmals, wurde aber am 1. Oktober von der neugewählten Assemblée nationale législative abgelöst). Doch so weit sollte es nicht kommen.
Hier soll zuerst der heutige Blick auf de Gouges’ Les droits de la femme beziehungsweise deren Hauptstück, die Déclaration, umrissen werden, dann das Schicksal dieser kleinen – und doch so großen – Schrift: vom Auslöschen der Erinnerung bis zu ihrer Wiederentdeckung, oder auch: der lange Weg von einer scheinbaren Exzentrizität zu einem Klassiker. Anschließend – und zur Einführung in diesen Klassiker – wird dessen Inhalt erläutert, und schließlich wird der Text mit seiner Verfasserin in die beiden wichtigsten Kontexte gestellt, die ihnen angemessen sind und für ganz Europa von Bedeutung waren: die Große Französische Revolution und die Debatten um Geschlechterbeziehungen.
Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M. 1955, S. 467 f.
Das Folgende knüpft an meine Ausführungen über Olympes Déclaration im Themenportal »Europäische Geschichte« an: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=410. Die Übersetzung (s. unten) ist ebenfalls eine erweiterte Fassung meiner früheren: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=411; hier ist auch das französische Original von 1791 einsehbar. Es findet sich auch im Anhang, in moderner Edition und (teilweise) als Faksimile. Wo im Folgenden Literatur abgekürzt zitiert wird, verweist dies auf die Listen im Anhang. Übersetzte Zitate stammen, wo nicht anders angegeben, von mir.
Vgl. François Furet/Ran Halévi, La monarchie républicaine: La Constitution de 1791, Paris 1996; Ran Halévi, La déconstitution de l’Ancien Régime: Le pouvoir constituant comme acte révolutionnaire, in: Ius Politicum – Autour de la notion de Constitution, Nr. 3 (2009), S. 1–22.
Zu dieser Zeit waren die meisten der Emigranten Anhänger der absoluten und Gegner der konstitutionellen Monarchie (also Adlige, Großbürger und Geistliche); ab 1792 waren es vor allem »Verdächtige« (suspects) aus allen sozialen Schichten als potentielle Opfer der terreur.
Olympe de Gouges, une femme du XXIème siècle.[5]
De Gouges’ Werk über die Rechte der Frau ist eine grundsätzliche Kritik an der Erklärung der Menschenrechte von 1789, außerdem eine Ergänzung und schließlich vor allem ein Gegenentwurf. Auf provokative Weise wird das Dokument von 1789 formal imitiert – im Pathos der Präambel und in den berühmten siebzehn Artikeln –, um diese inhaltlich in einer damals unerhörten Alternative aufzusprengen: als Herausforderung an die Männerwelt, aber auch an die Frauen, und als Forderung nach zivilen und politischen Rechten für das weibliche Geschlecht. Zu Recht gilt der Text als ein Schlüsseldokument in der Geschichte der Frauen, der Frauenbewegungen und des feministischen Denkens; darüber hinaus kann er auch als ein Schlüsseldokument des modernen politischen Denkens überhaupt gelten. Inzwischen wird er zu den Vorläufern der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen gezählt (1948, besonders Art. 2) und erst recht zu den Vorläufern der UN-Frauenrechtskonventionen, beginnend mit der »Convention on the Political Rights of Women« (1952/53) über das »Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen« (1979) bis zu den heutigen Theorien und Aktivitäten unter der Parole »Women’s Rights are Human Rights«, die in den 1990er Jahren begründet worden sind.[6] Neuerdings wurde vorgeschlagen, dass de Gouges im Sinn der UN-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger von 1998 anerkannt werde, und in Frankreich wird seit Jahrzehnten gefordert, dass sie, »eine Frau des 21. Jahrhunderts«, einen Platz im Pantheon erhalten solle. Im Jahr 2015 hat sich Präsident François Hollande dagegenentschieden, doch Ende 2016 wurde im Palais Bourbon, dem heutigen Sitz der Nationalversammlung, eine Büste von ihr aufgestellt.[7] Für viele ist Olympe de Gouges aufgrund ihrer Déclaration zu einer Art Ikone des Feminismus geworden.
Und doch ist ihre historische Bedeutung alles andere als selbstverständlich. Denn erstens waren im 19. Jahrhundert und bis Mitte des zwanzigsten die Déclaration und ihre Verfasserin nur in wenigen Kreisen bekannt, vor allem in Frankreich und in erster Linie in der Frauen- und Geschlechterforschung sowie in den frauengeschichtlich interessierten Teilen der Öffentlichkeit; weniger oder gar nicht bekannt sind sie bei Historikern der Menschenrechtsbewegungen, in der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und auch (mit seltenen Ausnahmen) in der etablierten französischen und deutschen Geschichtsschreibung über die Große Französische Revolution. Mit dem gefeierten Bicentenaire, also um 1989, begann sich das allerdings zu ändern.[8]
Zweitens hat Olympe zwar ein breites, aber nach wie vor kaum bekanntes Œuvre geschaffen, das weit über die Déclaration hinausgeht und auch viel zu deren Verständnis beiträgt. Teile davon wurden erst vor kurzem entdeckt – vor allem die Forschungen des verdienstvollen Historikers Olivier Blanc haben dazu beigetragen –, von anderen sind nur Titel überliefert. Olympes Gesamtwerk umfasst über 150 Titel: vor allem Theaterstücke und Romane, außerdem zahlreiche politische Denkschriften (wie eben die Déclaration), Broschüren, Flugschriften, Plakate (alle drei Textsorten waren um 1790 wichtige Formen der öffentlichen Debatte) und Briefe sowie Artikel in diversen Journalen. Erfreulicherweise ist mittlerweile eine ganze Reihe von ihnen zugänglich, vor allem auch im Original als Digitalisate der Bibliothèque nationale de France (Gallica) und auch in einigen deutschen Übersetzungen.
Drittens ist, wie daraus hervorgeht, Olympes Ruhm höchst rezent, und das gilt erst recht für den Status ihrer Déclaration als Klassiker. Allerdings war sie im vorrevolutionären Paris – geboren 1748 im südwestfranzösischen Montauban, zog sie nach dem frühen Tod ihres ungeliebten Ehemanns um 1770 mit ihrem Sohn in die Kapitale – durchaus bekannt, vor allem als Dramatikerin. Später dann, im revolutionären Paris, war sie ebenso berühmt wie berüchtigt: wegen ihres vielfältigen, ungewöhnlichen und streitbaren Engagements gegen Sklavenhandel und Sklaverei sowie für Freiheit, insbesondere Redefreiheit, gegen Armut und für eine »patriotische« Besteuerung von Luxus, für das Wohl außerehelich geborener Kinder sowie für die Befreiung und Wohlfahrt von Frauen im Allgemeinen. De Gouges gehörte keiner der politischen Faktionen der Revolution an, doch war sie um 1789/90 eine »monarchienne«, stand also auf der Seite der damaligen »Gemäßigten«. Für diese (im Gegensatz zu den »monarchistes«) bedeutete die Revolution primär die Schaffung und Umsetzung einer Verfassung, die – zusammen mit den Menschenrechten – auf der einen Seite die Macht des Monarchen präzise begrenzte, auf der anderen Seite die Unberechenbarkeit einer direkten Demokratie (à la Rousseau). Diese fundamental neue Staatsform, Produkt der »Ersten Revolution« – eine »monarchie républicaine« oder konstitutionelle Monarchie –, unterschied sich somit drastisch (und erst recht in den Augen der Revolutionäre von 1789/90) von der alten, feudalen oder absolutistischen Monarchie.[9] Später bewegte Olympe sich im Umkreis der Anhänger von Brissot (den Brissotins), die bald Girondisten genannt wurden und großenteils – als Einzige unter den Revolutionären – auch für die Rechte von Frauen und von Schwarzen eintraten. In zahlreichen Flugschriften und Plakaten nahm Olympe zu den politischen und sozialen Entwicklungen ihrer Zeit so enthusiastisch wie kritisch Stellung und wandte sich scharf gegen die Exzesse der Revolution: gegen die terreur – am 5. September 1793 setzte der Konvent »den Terror auf die Tagesordnung«, aber auch schon lange vorher begann eine Schreckensherrschaft – und besonders gegen Marat und Robespierre. Im Juli 1793 wurde sie verhaftet und in diversen Gefängnissen gefangen gehalten. Am 2. November 1793 entschied das neugegründete und berüchtigte Revolutionstribunal in einem kurzen Prozess: Wegen dreier ihrer Schriften – sie selbst protestierte gegen diese Verletzung der Menschenrechtserklärung, die in ihren Artikeln X und XI die Meinungsfreiheit garantierte – wurde sie zum Tode verurteilt, und schon am Tag darauf richtete man sie unter dem Fallbeil der Guillotine.
Nur von wenigen Zeitgenossen sind Aussagen über Olympe de Gouges überliefert, darunter einige zu ihrem Prozess und ihrer Hinrichtung. Die britische Schriftstellerin und Philosophin Mary Wollstonecraft (1759–1797), die – ähnlich wie Olympe de Gouges für Frankreich – heute als »Britain’s first feminist« gilt, die in den Jahren 1792 bis 1795 in Paris weilte, um die Revolution zu studieren, und ihre berühmten Schriften zur Verteidigung der Rights of Men (1790) sowie der Rights of Woman (1792) publizierte, scheint Olympes Leben und Sterben nicht wahrgenommen zu haben, ebenso wenig wie umgekehrt Olympe Wollstonecraft wahrnahm.[10] Und doch wurde Olympes Appell an die Nationalversammlung gelegentlich sogar außerhalb Frankreichs rezipiert und gerühmt, so von dem Königsberger Aufklärer Theodor Gottlieb von Hippel in seinem 1792 anonym erschienenen Traktat Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber: Sie habe moniert, »dass kein Wort in der Constitution von den Weibern vorkomme, obgleich die Mütter Bürgerinnen des Staates seyn müssten.«[11] Während um dieselbe Zeit Friedrich Schiller die »Weiber« der Revolution als »Hyänen« sah, die »mit Entsetzen Scherz« treiben (im Lied von der Glocke), der Brite Horace Walpole Wollstonecraft als »hyena in petticoats« denunzierte und Wollstonecraft selbst ein Jahrhundert lang nicht mehr wegen ihrer Werke berühmt, sondern wegen ihres Lebenswandels berüchtigt war, trat die Misogynie der Revolution und der Napoleon-Zeit immer schärfer hervor. Und Olympe de Gouges rückte ins Dunkel der Geschichte.
Cette femme, qui n’est plus que l’ombre d’un nom …
Léopold Lacour, 1900
Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Olympe de Gouges in einigen Geschichtsbüchern erwähnt; das geschah meist auf verständnislose, herablassende, verächtliche oder gar pathologisierende Weise (eine »heroische Verrückte« nannten sie die Brüder Goncourt), und unterschiedlich war das Verhältnis zwischen derartigen Urteilen (an erster Stelle standen »Kurtisane«, also Edelprostituierte, Phantastin oder Geistesgestörte) und der Präsentation neuer Quellenfunde. Bemerkenswert war gleichwohl die historische Studie eines bis heute so gut wie unbekannten Advokaten namens Lairtullier von 1840, die erste zum Thema der (»berühmten«) Frauen in der Revolution: Er widmete Olympe immerhin hundert Seiten. Die damalige Art von Historiographie kam allerdings weitgehend ohne die Nennung von Belegen aus und schuf damit ungestört Mythen und Gerüchte, für deren Widerlegung diverse Historikergenerationen nötig waren. Doch erfreulicherweise brachte Lairtullier in seinem zweiten Band Auszüge aus Olympes Déclaration, die bis weit ins 20. Jahrhundert fast die einzigen bleiben sollten.[12] Mythen über Olympe de Gouges schuf und verbreitete insbesondere der ebenso einflussreiche wie misogyne Historiker Jules Michelet, der in Les femmes de la révolution (1854, auf Deutsch 1855) viel Irriges über sie zu sagen hatte (obwohl er ein hoher Beamter der Archives Nationales war, kümmerte er sich nicht um solide Quellen). Immerhin hielt er sie für »das große Improvisationstalent aus dem Süden«.
Zur Jahrhundertwende verdichtete sich die einschlägige Forschung, und es gab nun seriöse quellenbezogene und quellenkritische Forschung. Die beiden Historiker Léopold Lacour und Édouard Forestié, die wenigstens mit einigen der vielen Legenden aufräumten, hatten anfänglich beabsichtigt zu kooperieren, gaben es aber wegen grundsätzlicher Divergenzen auf: Für Forestié, der selbst aus Olympes Heimat stammte, spielte ihr Engagement für Frauenrechte kaum eine Rolle; wichtiger war sie ihm als »Kind der Gascogne«, und ihr »Feminismus« war für ihn bloß eine Mode. Dieser stand hingegen für Lacour im Zentrum, zumal er primär über »die Anfänge des heutigen Feminismus« schrieb und Olympe ihm als »die große Urahnin des Feminismus« galt. Nicht zufällig waren dies die Jahre, in denen der Begriff »féminisme«, entstanden in den 1880er Jahren, von der französischen Frauenbewegung reklamiert wurde und sich rasch verbreitete, besonders (aber nicht nur) in Frankreich.[13] Überdies wurde der Begriff auch weit in die Geschichte zurückprojiziert, und »Urahninnen« fanden sich bald auch im Spätmittelalter und in der Renaissance. In denselben Jahren wird Olympe von französischen Historikern des Sozialismus erwähnt, so etwa von Alphonse Aulard, dem Republikaner, Dreyfusard und Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne; im Jahr 1898 schreibt auch er über »Le féminisme pendant la Révolution française«, wobei Olympe de Gouges allerdings nur eine Nebenrolle spielt, der Marquis de Condorcet die Hauptrolle und im Vordergrund der Marsch der »Oktoberfrauen« 1789 nach Versailles steht. Noch rätselt Aulard – und bittet Lacour um Rat – darüber, was denn der Begriff »féminisme« genau bedeute (etwa »une doctrine en vue d’égaler les droits de la femme à ceux de l’homme?«).[14] Bemerkenswert an dieser historiographischen Tradition ist nicht nur, wie viele Irrtümer sie mit sich führt (gemessen an den heutigen Erkenntnissen), die auch heutzutage noch kursieren; sondern es fällt auch zweierlei auf: zum einen wurde sie gänzlich von Männern – professionellen Historikern – geschaffen, und zum anderen präsentierte sie Olympes Déclaration der Öffentlichkeit, wenn überhaupt, nur in Bruchstücken. Zu diesen gehörte so gut wie immer das Schafott-Postulat: »Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen.« Spätestens seit Michelet es (in verfälschter Form) aus dem Kontext herausgelöst hatte, galt es – bis heute – beinahe als pars pro toto für Olympes Denken. In der Tat war es eines der ausdrucksstarken und zugespitzten paradoxes (oder antithèses), die sie liebte und die für ihren Stil kennzeichnend sind.
Auch auf Frauenseite dauerte es lange, bis man Olympe de Gouges wieder wahrnahm; professionelle Historikerinnen gab es damals ohnehin nicht.[15] Fast ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod taucht Olympe in Texten der französischen Frauenbewegung auf, die in den 1830er Jahren entstand und im Kontext der Februarrevolution 1848 außerordentlich aktiv war. Hier – zum Beispiel bei den Aktivistinnen Jeanne Deroin und Eugénie Niboyet, die erneut politische und zivile Rechte für Frauen forderten – wurde Olympe zum Symbol dafür, dass »die Geschichte unserer ersten Revolution von einer Aura großer Frauen umgeben ist, die ihrem Geschlecht und ihrem Vaterland zur Ehre gereichten«.[16] Die Pionierinnen der US-amerikanischen Frauenbewegung wussten nichts von Olympe, als sie 1848 auf dieselbe Weise vorgingen wie diese und ihr erstes großes Dokument, die Declaration of Sentiments, in Parallele zu der Declaration of Independence von 1776 formulierten.[17] Um dieselbe Zeit schrieb indessen Marie Comtesse d’Agoult, Schriftstellerin, Philosophin und Historikerin deutsch-französischer Herkunft (und überdies die Mutter von Cosima Bülow/Wagner), ihre Histoire de la Révolution de 1848, in der sie auch auf die Revolution von 1789 zurückblickte; möglicherweise weil sie selbst, zumal als Freundin von George Sand, viel von Frauenemanzipation hielt, zitierte sie ausführlich und wörtlich Olympes Déclaration.[18] Als Theodore Stanton, Frankreichkenner und Sohn von Elizabeth Cady Stanton, der großen Führungsfigur der US-amerikanischen Frauenbewegung, 1884The Woman Question in Europe[19]Ähnlich war es in der deutschsprachigen Frauenbewegung: In Gertrud Bäumers und Helene Langes () vermisst man Olympe besonders deshalb, weil zwar, so heißt es, in der Französischen Revolution »zum ersten Mal die Forderung des Menschenrechtes für die Frau erhoben« worden sei, aber kein Hinweis auf die Autorin dieser Forderung erfolgt; das rituelle Tribüne-Schafott-Zitat wird überdies nicht Olympes zugeschrieben, sondern irrigerweise Condorcet; tatsächlich stammt diese Version von dessen Frau. Doch Eliza Ichenhäuser rettete die Ehre der deutschen Feministinnen, als sie nicht nur (und früher als viele andere) ein eindrucksvolles Plädoyer für das Frauenwahlrecht publizierte, sondern darin auch eine bis dato unbekannte längere Passage aus der von »Olympia de Gouges« übersetzte; diese hatte sie dem soeben genannten Werk der Comtesse d’Agoult entnommen, und nach dem Hinweis von Theodor Gottlieb von Hippel war es vielleicht der erste weitere in der deutschsprachigen Literatur.
Die Frauenfrage 1901[22]190619[23]Déclaration1931[24]19