HIGHLIGHTS | GEHEIMTIPPS | WOHLFÜHLADRESSEN
»Oh ihr Menschen. Wir machten euch
zu Völkern und Stämmen,
damit ihr einander kennenlernt.«
(Sure 49,13)
Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen
Kennen Sie Marokko?
MITTELMEER UND RIFGEBIRGE
1 Tanger
2 Tétouan
3 Chefchaouen
WESTLICH VOM MITTLEREN ATLAS
4 Fès el Bali und Fès el Jedid
5 Fès el Bali
6 Meknès
7 Volubilis
8 Bhalil und Sefrou
9 Ifrane und Azrou
MARRAKESCH UND HOHER ATLAS
10 Marrakesch – von der Koutoubia-Moschee zum Souk Cheratine
11 Marrakesch – von der nördlichen Medina zum Bab Agnaou
12 Ouzoud-Tal und Imi n'Ifri
13 Aït-Bougoumez-Tal
14 Ourika-Tal und Setti Fatma
15 Von Tahanaoute nach Taroudant
16 Imlil und die Viertausender
17 Telouet und Aït Benhaddou
18 Ouarzazate
STRASSE DER KASBAHS UND TAFILALET
19 Skoura
20 El Kelaa M'Gouna und die Dadès-Schlucht
21 Tinerhir
22 Errachidia und Erfoud
23 Rissani
24 Merzouga und M'Hamid
DAS DRAA-TAL
25 Agdz
26 Nekob
27 Zagora
DER ANTI-ATLAS
28 Taroudant
29 Tafraoute
30 Taliouine
31 Taznakht
32 Guelmim
SÜDLICHE ATLANTIKKÜSTE
33 Agadir
34 Taghazout
35 Imouzzer und das Belle Vallée
36 Imsouane und Sidi Kaouki
37 Diabat
38 Essaouira
39 Safi
40 Tifnit
41 Parc National de Souss-Massa
42 Tiznit
43 Mirleft
44 Sidi Ifni
NÖRDLICHE ATLANTIKKÜSTE
45 Oualidia
46 El Jadida und Azemmour
47 Casablanca
48 Rabat und Salé
49 Larache
50 Asilah
REISEINFOS
Marokko von A bis Z
Glossar
Register
Impressum
MEHR WISSEN
Der Aufstieg Moulay Ismails
Eine Welt für sich der Souk
Die Straße der Kasbahs – eine Legende
Teppiche – Ein Kauf fürs Leben
Piraterie: »Keine Mauren an der Küste«
MEHR ERLEBEN
Entdeckungen auf eigene Faust
Marokko per Bike
Marokko für Kinder und Familien
Chefchaouen (S. 44)
Erst seit den 1960er-Jahren öffnet sich der Ort im Hinterland des Rifgebirges, die Heimat des legendären und oft verkannten Freiheitskämpfers Abd al-Karim, fremden Besuchern. Romantische und stille Gassen winden sich am Hang hinauf zu den höhergelegenen Quartieren. Blau und bisweilen violett getünchte Wände und Türen säumen die Wege, Treppen und kleinen Plätze. Vor den Toren der Berbersiedlung lädt eine faszinierende Bergwelt zum Erkunden und zu atemberaubenden Trekkingtouren ein.
Essaouira (S. 208)
Der Pascha Mohamed Ben Abdallah, einst verzückt von der Raffinesse seiner malerischen Befestigungsanlage, der Scala, könnte heute über Salto schlagende Kites, über das Gnaouia-Festival und die vielen windzerzausten Besucher staunen. Diese verlassen meist abends die Medina – und überlassen sie den vom Hafen heimkehrenden Fischern und den Kindern, die auf der Place Hassan Fußball spielen. Viele Gassen der zauberhaften Medina und die weite Strandpromenade erhielten in den letzten Jahren ein neues Antlitz; die Altstadt zählt zu Recht zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Fès (S. 56)
Die Medina der einstigen Hauptstadt besitzt ein beinahe undurchdringliches Gassengewirr, das immer noch Lastkarren, klopfende Handwerker und schreiende Händler aller Couleur beherrschen. Auch Flüchtlinge und Gelehrte aus Andalusien prägten Kultur und Religion von Fès. Bettler und Fremdenführer erwarten heute wie Hunderte kleiner Geschäfte einen Verdienst, während heilige Stätten und Medersen mit ihrer reichen Architektur die spirituelle Aura der Stadt bewahren.
Azrou (S. 80)
Die am Fuße des Mittleren Atlas gelegene Stadt besitzt das Flair südfranzösischer Bergorte und ist dennoch ganz eigen in Bezug auf die Medina, die Handwerkstraditionen und die Umgebung. Unendlich viele Möglichkeiten gibt es, die weiten und vielleicht letzten großen Atlas-Zedernwälder auf Wanderungen zu durchstreifen oder mit dem Bike oder dem Auto zu erkunden. Die überbordende Natur säumt kleine und wenig befahrene Nebenstrecken dieser Region der alten Baumriesen.
Marrakesch (S. 84)
Wie keine andere Stadt Marokkos scheint Marrakesch mit seinen chaotischen Souks und prächtigen Riads von Legenden geprägt und bis zum Rand gefüllt mit einer unüberschaubaren Vielfalt an Offerten. Jeder denkbare, handwerklich erfüllbare Wunsch von Haus und Garten, Fantasie und Spleen wird in Marrakesch Wirklichkeit, enchallah. Diese gelegentlich überhitzte Schnittstelle zwischen Traum und Realität, Nord und Süd, Handwerk und Handel hat einen Suchtfaktor. Vorsicht!
Route durch das Vallée du Draa (S. 160)
Bekannt und doch nicht bekannt: Eine Fahrt entlang dieser Route gleicht dem Besuch eines Schattentheaters, denn was sich tatsächlich hinter den Kulissen der alten Kasbahs abspielt, offenbart sich nur den ernsthaft Interessierten. Eine jahrhundertealte Kultur der Palmeraien, Handelswege und Karawansereien verbirgt sich dort, die Gedanken an mystische Begegnungen und konkrete Konflikte wachrufen. Die Spurensuche zu diesen Epochen führt nach Agdz und Nekob, zu den am Draa gelegenen Ksars und auf Pisten nach Zagora oder zur Burg des Glaoui-Paschas nach Telouet.
Trekking-Abenteuer (S. 50)
In Marokko, einem Land chronischer Geruhmsamkeit, sind die schnellsten Fortbewegungsmittel nicht die besten, nehmen sie doch dem Reisenden die Möglichkeit, die einmalig schöne Landschaft ausgiebig zu erfahren und dem Fremden zu begegnen. Die Wahl, das wenig bekannte Land abseits der beaten tracks zu Fuß zu entdecken, ist immer ein Gewinn, egal, ob in den Bergen Djebel Saghro, Toubkal, M'Goun oder auf den Hochplateaus des Djebel Yagour bzw. dem Plateau du Kik.
Biken offroad (S. 126)
Wie lassen sich weite Strecken bewältigen und unvergessliche Naturerfahrungen machen? Und wie können sich Reisende auf Augenhöhe mit der ländlichen Berberkultur bewegen? Auf dem Fahrrad! Biketouren funktionieren am besten auf den Routen und Pässen, die kein Verkehr beeinträchtigt: über den Tiz-n'Aït Imi von Demnate nach Ouarzazate; durch das herrliche Aït-Bougoumez-Tal von Demnate nach Tabant; über den Mittleren Atlas von Marrakesch nach Fès, von Midelt über Imilchil nach Tinerhir oder von Fès über Chefchaouen nach Tétouan.
Tanger (S. 32)
Bereits der Name der Stadt ist klangvoll und durch Literatur und Film mit einem Nimbus behaftet: Die prickelnde Gegenwart dieser wichtigen Hafenstadt, dem Tor nach Europa, lässt sich hervorragend aus den stillen Ecken bekannter und verborgener Cafés der Stadt betrachten. Und, ganz sicher, anhand der Schilderungen ihrer Verehrer und Bewohner. Tanger ist ein Magnet für vagabundierende Künstler und Dichter, behauptete der Reiseschriftsteller John Hopkins 1964 in seinem Tagebuch, den Tangier Diaries.
Tétouan (S. 38)
Rückblickend war das iberische Intermezzo der Araber in Spanien und ihre spätere Heimkehr eine kulturell sehr fruchtbare Begegnung, deren Einfluss bis in die Gegenwart des strahlend weißen Tétouan fortdauert. Wohl keine Stadt des Landes verströmt mehr andalusischen Esprit. Und diese Lebensart findet in der faszinierenden Architektur genauso ihren Ausdruck wie in den Souks, den köstlichen Speisen und auf rauschenden Festen.
Marokko ist ein landschaftlich und kulturell überaus vielseitiges Land. Es ist mit zahlreichen Zeugnissen der arabischen und der berberischen Kultur gesegnet. Immer wieder verwundern die maurisch geprägten Städte mit ihren märchenhaften Palästen, wuchtigen Stadtwällen, orientalischen Wohnvierteln, Brunnen und schönen Riads zum In-den-Tag-Träumen.
In den orientalischen Souks zwischen Tanger und Guelmim kann nicht nur alles Erdenkbare eingekauft und probiert werden – mit allen Sinnen lässt sich hier die vitale Andersartigkeit des marokkanischen Alltags bestaunen. Koranschule, Berbermedizin, Kräutersouk und vis-à-vis ein Café mit Orient-Pop. Wer nur wenig Zeit hat, sollte überlegen, was er sehen und erfahren will: Gebirge, Wüste oder Oasen, berberische Ursprünglichkeit oder modernes Freizeitambiente, Badeort oder Königsstädte.
Uralte Zedernwälder, abgelegene Berberdörfer, Nomadenzelte und Wochenmärkte unter den Gipfeln der Dreitausender: Der Süden Marokkos ist das Land der Kasbahs, wo die ersten Sanddünen der Wüste anbranden und die gewaltigen Lehmburgen in Palmenoasen einen Eindruck von der großen Vergangenheit geben. Dort schlägt das Herz des Landes fernab aller Modernität. Neben seinen wechselvollen und intensiven Naturszenarien ist in Marokko immer noch die Exotik einer Mischbevölkerung spürbar, die oft unbeirrt ihren Traditionen folgt. Die berberisch-islamische Bevölkerung hat ihre ganz eigenen Ausdrucksformen hervorgebracht. Ein Spaziergang durch das Gassenlabyrinth der Medina von Marrakesch, Rabat oder Fès birgt tausend Überraschungen. Die Medinas, Medresen (Koranschulen) und Fondouks (Warenlager) sind Zeugen einer außergewöhnlichen Geschichte, die sich inzwischen mit neuen Lebensformen zu einer faszinierenden Gegenwart vernetzt.
Seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. besiedelten vor allem Vieh züchtende Nomadenstämme den Süden Marokkos; sesshafte Gruppen hinterlassen künstlerisch wertvolle Felsbilder – etwa bei Oukaimeden, bei Ukas oder Tata. Ab dem 11. Jahrhundert v. Chr. bauten die Phönizier Handelsniederlassungen entlang der Nordküste Afrikas und knüpften erste Kontakte zu den Berbern. Der verwegene karthagische Seefahrer Hanno, Admiral, Geschichtsschreiber, Städtegründer und Kaufmann, umsegelt um 450 v. Chr. ganz Nordafrika und gründet entlang der marokkanischen Atlantikküste die Städte Tanger, Salé und Essaouira. Mit der Besetzung Karthagos gelingt es den Römern, das Gebiet des heutigen Marokko mit Teilen Algeriens 42 n. Chr. zur römischen Provinz Mauretania Tingitana zusammenzufügen. Nach dem Tod des Berberkönigs Juba I. holt Kaiser Augustus dessen Sohn Juba II. nach Rom. Das Kind wird am Kaiserhof erzogen, 25 v. Chr. vermählt Augustus ihn mit der Kleopatra-Tochter Selene und übergibt ihm als Hochzeitsgeschenk die Verwaltung von Mauretanien.
Im Süden sichert Juba II. sein Reich durch einen römischen Grenzwall vor den Überfällen der Sahara-Nomaden. Erste Elemente einer christlich-jüdischen Kultur lassen sich auf jene Zeit zurückführen. Ende des 7. Jahrhunderts beginnt die Vorherrschaft der Araber, schwertschwingend und missionierend. Ein Großteil der Berbervölker übernimmt den Islam als Religion, ohne jedoch die eigenen Kulturen und Gebräuche aufzugeben. Die Araber nennen dieses Gebiet Al-Maghrib – den Westen.
Die Aufstände nordafrikanischer Berber gegen die Araber haben Erfolg, auf marokkanischem Boden bilden sich unabhängige kleine Fürstentümer. Die Almoraviden (1062–1147) verlegen die Hauptstadt von Fès nach Marrakesch. Von hier aus werden Eroberungszüge auf das spanische Festland organisiert, und das einstige Nomadengeschlecht der Almoraviden übernimmt Züge der maurischen Kultur. Der nun vorherrschende andalusische Einfluss wirkt sich besonders auf geistigem und kulturellem Gebiet aus. Für Kunsthandwerk und Architektur ist es die Geburtsstunde des »maurischen Stils«, der sich bis in die Gegenwart überall entfaltet.
Marrakesch erstrahlt in prächtigem Glanz und die raffinierte, filigrane Architektur der iberischen Mauren erobert den Hof. Doch in der vierten Almoraviden-Generation unter Tachfin Ibn Ali (1142) erlahmt die alte Kraft des Geschlechts vollständig, der Unterhalt des großen Hofs ist ein kostspieliges Vergnügen. Dem Almohaden-Herrscher Ibn Toumert (gestorben 1130) gelingt es, die meisten Masmouda-Stämme im Hohen Atlas gegen die dekadenten Almoraviden zu mobilisieren. Von Tinmal ziehen Ibn Toumerts Schüler mordend in die Haouz-Ebene und vertreiben die Almoraviden aus ihren Palästen. Im Jahr 1147 fällt Marrakesch nach mehreren Belagerungen und wird größtenteils zerstört. In den folgenden Jahren kommt der maurische Stil in der Architektur zur vollen Entfaltung. Abd al Mu'min lässt Marrakesch wieder zur prachtvollen Königsstadt ausbauen und vereinigt Zug um Zug Marokko mit Algerien, Tunesien, Tripolitanien (Libyen) und »Al Andalus«, Andalusien. Unter seinem Enkel Abu Yusuf Yaqub El Mansur (1184–1199) erreicht das Königreich Marokko die größte Ausdehnung seiner Geschichte. Das Minarett der Koutoubia-Moschee in Marrakesch wird vollendet, Wissenschaften und schöne Künste geben sich in der Almohaden-Hochburg ein Stelldichein.
Doch mit dem Tod El Mansurs beginnt der langsame Verfall der Dynastie. Die Almohaden entfremden sich von den religiösen Idealen Ibn Toumerts so weit, dass sich ihre Statthalter in Tunesien und Algerien von ihnen lossagen und sie nicht mehr als Kalifen, als Nachfolger des Propheten Mohammed, anerkennen. Die Mauren fliehen vor der spanischen Reconquista, der Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel, nach Nordafrika. Die Fäden der Macht gehen in neue Hände über: Von Fès aus regiert schon das Meriniden-Geschlecht über einen Großteil des Reichs, 1269 ziehen Truppen unter Führung von Abu Yusuf Yaqub al-Mansur in Marrakesch ein. In einem letzten Gemetzel werden die Almohaden 1276 in ihrer Fluchtburg Tinmal niedergemacht – die Geschichte ihrer Dynastie endet dort, wo sie begonnen hatte.
Fès mit der neuen Herrscherstadt Fès el Jedid wird zur Residenzstadt des Meriniden-Reichs, Marokko steigt zur größten und stärksten Militärmacht im arabischen Westen auf. Die Herrscher gewinnen das Volk durch eine großzügige Baupolitik, sie spendieren Moscheen, Spitäler, Fondouks und vor allem Medresen – Fès wird zur religiös-geistigen Metropole des Islam. Spanier und Portugiesen setzen sich an den marokkanischen Küsten fest. Im Jahr 1399 zerstören die Spanier im Rahmen einer Strafexpedition Tétouan, 1415 wird Ceuta von den Portugiesen erobert. Bis die Herrschaft der Meriniden erlischt, werden etliche befestigte Handelsstützpunkte der europäischen Seemächte mit Gewalt eröffnet und wieder geschlossen.
Abdalhaqq II. herrscht als letzter Merinide sieben Jahre, bis er 1465 einen entscheidenden Fehler begeht: Er stellt die Besoldung und Steuerfreiheit der im Volk verehrten Marabouts ein und lädt sich den Ruf der Gottlosigkeit aufs Haupt. Während eines Aufstands der Fèser Stadtbevölkerung wird er ermordet, sein Reich zerfällt. Zwar regieren in den nächsten acht Jahrzehnten drei überlebende Quattasiden in Fès, doch die Macht des Makhzen, des Königs, ist gebrochen, die spanische Reconquista und portugiesische Kriegskaufleute gewinnen an Einfluss. Um an der Herrschaft zu bleiben, versuchen die letzten Quattasiden mit Portugal und Spanien zu kooperieren, sogar der deutsche Kaiser wird um Hilfe ersucht. Umsonst: 1492 fällt Granada an die Christen, die sich fortan an den marokkanischen Küsten festsetzen. In den Bergen herrschen Berberstämme oder religiöse Bruderschaften, die Städte führen ihr eigenes Leben.
Während sich die Quattasiden in Fès noch auf dem Thron halten, nützen die aus Arabien eingewanderten Banu Sa'ad, Abkömmlinge des Propheten Mohammed, die Gunst der Stunde und etablieren im Souss ein unabhängiges Fürstentum mit der Hauptstadt Taroudant. Bald kontrollieren sie die ergiebigen Handelswege für Gold und Sklaven und kämpfen im Namen Allahs erfolgreich gegen die Portugiesen. Im Jahr 1521 erobert der Saadier Ahmed el Araj Marrakesch und ruft es zur Hauptstadt aus. Sein Nachfolger Mohammed ech-Cheikh (1541–1557) kann 1554 den letzten Quattasiden aus Fès verjagen und den Kalifentitel annehmen, Marrakesch bleibt Königssitz.
Wieder macht sich ein Geschlecht an die Festigung seiner Herrschaft. Schutzmaßnahmen gegen die Reconquista werden vorangetrieben, die Türken gestoppt: Durch ein Bündnis ausgerechnet mit Spanien gelingt es, die von Konstantinopel bis Algier regierenden Osmanen in Schach zu halten. Der dritte Feind, Portugal, erfährt 1578 in der »Dreikönigsschlacht« eine vernichtende Niederlage. Innenpolitisch gelingt es den Saadiern, die weltlichen Machtgelüste der religiösen Bruderschaften durch eine Söldnertruppe im Zaum zu halten und ein verlässlich funktionierendes Steuersystem zu installieren. Mit Ahmed al-Mansur, dem Eroberer, ist der Höhepunkt saadischer Prachtentfaltung erreicht: Der Sieger der »Dreikönigsschlacht« bricht zum Feldzug in das Königreich Gao auf und erobert Timbuktu. Mit unermesslichen Schätzen und einer schwarzen Elitetruppe kehrt er nach Marrakesch zurück und macht sich an den Ausbau seiner Hauptstadt. Damit kehren 25 Jahre Frieden und relativer Wohlstand in Marokko ein.
Nach dem Tod al-Mansurs 1603 zerfällt das Saadier-Reich nach den üblichen Thronstreitigkeiten in zwei Teile, die von Marrakesch und seit 1610 auch von Fès aus regiert werden. Es ist die Zeit politischer Wirren, in der rebellierende Berberstämme, Bruderschaften und autonome Piratenrepubliken die Herrschaft der Saadier brechen. Bis 1659 folgt ein saadischer Sultan dem anderen. Marokko ist inzwischen in ein unüberschaubares Gewirr von halb religiösen, halb weltlichen Herrschaftsbereichen, Stammesfürstentümern und Stadtstaaten zerfallen. Ohne nennenswerte Hindernisse und dank geschickter Bündnispolitik übernehmen die Filalis, Alaouiten aus dem Tafilalet, die Regierungsgeschäfte. Aus diesem arabischen Stamm, der sich auf die Linie Mohammeds beruft, kommen auch die heutigen Vertreter des marokkanischen Königshauses. Sie wählen Fès als Königsstadt und herrschen seit 1666 über das Land. Unter dem legendären Herrscher Moulay Ismail (1672–1727) werden bis 1720 fast alle von Portugiesen und Spaniern besetzten Häfen zurückerobert, nur Melilla, Sidi Ifni und Ceuta bleiben in spanischer Hand.
Die internen Konflikte nach Moulay Ismails Tod kann Sidi Ben Abdallah, ein Förderer des Außenhandels und der Begründer Essaouiras (1760), kurzzeitig unter Kontrolle bringen, sie flammen nach seinem Tod unter Moulay Silmane aber wieder auf. Auch sein Nachfolger Moulay Abd ar-Rahman (1822–1859) hat kaum Erfolg bei der Schlichtung der Unruhen im Land, Marokko ist quasi unregierbar; seine Strategie der Abschottung gegen die europäischen Mächte stärkt lediglich die Kolonialpolitik Frankreichs und Spaniens: die Franzosen erobern Algerien, die von Marokko unterstützten aufständischen Algerier werden brutal niedergeschlagen. Gedemütigt muss Marokko den Friedensvertrag von Tanger unterzeichnen. Frankreich setzt seine wirtschaftlichen Interessen schonungslos durch, Moulay Hassan (1873 bis 1894) hat dem wenig entgegenzusetzen. Frankreichs Pläne, Marokko zu annektieren, werden aber vom starken Spanien zunächst blockiert, das 1880 Tétouan und Sidi Ifni besetzt.
Die Konferenz von Algeciras 1906 besiegelt den französischen Einfluss in Marokko, nachdem Deutschlands Ambitionen, Bergbaulizenzen für Mannesmann zu bekommen, abgewiesen wurden. Auch die Entsendung des Kanonenbootes Panther nach Agadir (1911) ändert daran nichts, Deutschland muss sich als Entschädigung mit Gebieten in Zentralafrika begnügen. Ein mächtiges französisches Expeditionskorps besetzt die Städte Casablanca, Rabat, Safi, Agadir und Essaouira. Im März 1912 wird Marokko zum französischen Protektorat, das Rifgebirge und die Provinz Ifni im Süden fallen an Spanien. Für die Marokkaner bedeutet das den Verkauf eines Teils der islamischen Welt an die Christen. Aufstände gegen die Eindringlinge erschüttern das Land. Im Ersten Weltkrieg sind die Militärkapazitäten Frankreichs erst einmal anderweitig gebunden, und so dauert die Befriedung ihrer »Schutzzone« über 20 Jahre.
Zwar schreitet die Kolonisierung der Städte und der westlichen Ebene zügig voran, doch in den unwegsamen Berggebieten und im Süden des Landes wird der Widerstand der Bevölkerung erst nach und nach durch Bomberstaffeln und einen in den Medien totgeschwiegenen Giftgaseinsatz gebrochen. Mehr als 27 000 französische Legionäre überleben die Militäraktionen nicht, die marokkanischen Toten werden auf etwa 500 000 geschätzt.
Im Norden Marokkos bekommen die Spanier 1920 enorme Probleme. Hier haben sich die Rifkabylen unter ihrem legendären Anführer Abd al-Karim (1882 bis 1963) zum Widerstand zusammengeschlossen und 1921 das 20 000 Mann starke spanische Afrikaheer vernichtet. Mit Ausnahme von Tétouan und den Küstenstädten befindet sich die spanische Zone fünf Jahre in der Hand der Rebellen, die im Februar 1922 die République Rifienne unter der Führung von Abd al-Karim ausrufen. Nach einem militärischen Triumphzug steht er mit seinen Berbertruppen 1926 plötzlich 20 Kilometer vor dem französischen Fès. Erst in dieser heiklen Situation arbeiten die Kolonialmächte zusammen. Unter der »Wucht der eisernen Zivilisation« – so bezeichnet Abd al-Karim den massiven Einsatz von Giftgas und 250 000 Kolonial-Söldnern, die nach dem Prinzip der verbrannten Erde arbeiten – bricht der Widerstand der Rifis noch im gleichen Jahr zusammen.
Im Jahr 1927 stirbt Sultan Moulay Youssef nach 15 Jahren Regentschaft. Sein Sohn Mohammed V. muss nun die Verträge mit den Franzosen unterzeichnen. Während Frankreichs Legionäre für Ruhe sorgen, geht der Aufbau der kolonial gelenkten Wirtschaft voran. Straßen, Häfen, Eisenbahnen und die Industrialisierung des Bergbaus schaffen erste Ansätze einer Infrastruktur zur besseren Ausbeutung der Ressourcen. Immer mehr französische Siedler kommen, die riesige Ländereien zu Spottpreisen aufkaufen. Sie bringen neue Agrartechniken und Kulturpflanzen mit und vertreiben die Kleinbauern in die Städte. Während die reiche europäische Bevölkerung meist neben den Medinas in gepflegten, neuen Quartieren wohnt, den Villes nouvelles, leben hinter den mittelalterlichen Mauern der überfüllten Altstädte und in den frisch entstehenden Slums viele unzufriedene Menschen, die Keimzellen des neuen politischen Widerstands bilden.
Nicht mehr vereinzelte Stämme, sondern landesweite Organisationen stehen bald hinter den Unruhen – die Marokkaner entdecken ihr Nationalgefühl. Das »Berberedikt« von 1930 (das durch die Einräumung großzügiger Stammesrechte Berber und Araber entzweien will) und eine wohlberechnete Politik der Verleihung von Privilegien an Kollaborateure wie Thami El Glaoui, den Pascha von Marrakesch, sollen helfen, die französische Herrschaft zu sichern. Die Opposition, die nur für eine gewissenhafte Auslegung des Protektoratsvertrags eintritt, wandert in die Gefängnisse. Bis zur Invasion der US-amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg (1942) kontrollieren die Franzosen und ihre marokkanischen Günstlinge den Maghreb. Als marokkanische Soldaten an der Seite der USA und des befreiten Frankreich gegen die Nazis kämpfen, werden die Stimmen lauter, die nicht nur Reformen, sondern eine Auflösung des Protektorats fordern.
Am 11. April 1947 hält Mohammed V. in Tanger eine historische Rede über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die landesweit auf Beifall stößt. Nach Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten wird die Unabhängigkeitspartei Istiqlal aus der Taufe gehoben. Doch die Bauern und Stämme wagen vorerst nicht, gegen die frankophilen Scheichs und Landesfürsten aufzubegehren. Erfolgreicher ist die Istiqlal in den Städten, dort gewinnt sie vor allem im fortschrittlichen, national gesinnten Bürgertum Anhänger. Mohammed V. wird zur Symbolfigur der nationalen Unabhängigkeit. Als Wortführer der marokkanischen Interessen widersetzt er sich immer häufiger den Anordnungen des französischen Generalresidenten. Die Franzosen reagieren mit Presseverboten, Masseninhaftierungen, Landesverweisen. 1952 gipfeln die Unruhen in einem Generalstreik. Frankreich mobilisiert all seine marokkanischen Verbündeten – neben dem Pascha von Marrakesch 270 weitere Kaids und Paschas – und schickt den »Sultan der Istiqlal« ins Exil nach Madagaskar.
Die folgenden drei Jahre regiert der von Frankreich eingesetzte Analphabet Ben Arafa, und es herrscht offener Bürgerkrieg. Attentate, Sabotage, Demonstrationen und Angriffe auf französische Siedler wechseln sich mit Gegenschlägen ab. Der Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzungen ist 1955 erreicht. In zwei Tagen sterben in der Gegend von Oued Zem über 1000 französische Siedler unter den Händen des aufgebrachten Mobs. Todesschwadronen und Terroristen im Auftrag Frankreichs ziehen neben der regulären Armee ihrerseits mordend durch Marokko. Doch Kriegsrecht, Einkerkerungen und Todesstrafen bleiben gegen den Aufruhr machtlos. Internationale Proteste und die liberal-sozialistische Opposition im eigenen Land, der verschärfte marokkanische Guerillakampf und der politische Druck der USA zwingen General de Gaulle Ende 1955 zum Einlenken.
Im November 1955 darf Mohammed V. aus dem Exil zurückkehren, seine Landsleute bereiten ihm in Rabat einen begeisterten Empfang. Zwei Wochen später ist die erste marokkanische Regierungsmannschaft komplett. Am 2. März 1956 unterschreibt Mohammed V. die Unabhängigkeitserklärung, und Marokko ist nach 44 Jahren wieder ein souveränes Königreich – am 16. Mai ertönt im Radio statt der Marseillaise zum ersten Mal die marokkanische Nationalhymne.
Außenpolitisch gerät Marokko bald in Konflikt mit Algerien: Beide Staaten stellen Gebietsansprüche an Mauretanien und große Teile der Sahara. 1970 erkennt Marokko die Islamische Republik Mauretanien offiziell an, fordert aber wenig später das Gebiet des ehemaligen Spanisch-Sahara, das durch Funde großer Phosphatvorkommen für spanische Unternehmen immer interessanter geworden ist. Ein Abkommen zwischen Marokko und Mauretanien regelt 1975 die verwaltungsmäßige Aufteilung, wobei die Bodenschätze von beiden Ländern genutzt werden sollen. Marokko gliedert die Sahara-Gebiete nach einem organisierten Volksmarsch, dem Marche verte, im Juni 1975 in sein Staatsgebiet ein und fördert die Arbeitsmigration in die Region. Zeitgleich wird jedoch von der Volksfront Polisario, die Algerien und Libyen unterstützt, die Demokratische Arabische Republik Sahara, die sogenannte Westsahara, ausgerufen. Dieser Konflikt zieht jahrelange blutige Auseinandersetzungen mit den marokkanischen Truppen nach sich. Erst Anfang der 1990er-Jahre kann durch internationale Vermittlung ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Die für 1997 vereinbarte Volksabstimmung über die Selbstbestimmung der Saharaouis hängt bis heute in der Luft.
Innenpolitisch musste sich der autoritäre Regent Hassan II. seit 1961 mit Forderungen nach einer Demokratisierung und mit sozialen Unruhen auseinandersetzen. Menschenrechtsorganisationen warfen dem marokkanischen König vor, er würde politisch Andersdenkende foltern und ermorden lassen. 1992 tritt eine neue Verfassung in Kraft, die dem Parlament mehr Vollmachten zugesteht, die Führungsrolle des Regenten jedoch unangetastet lässt. Die Wahlen in den 1990er-Jahren bringen der konservativen Regierungspartei wiederholt herbe Verluste. Seit 1996 besteht ein Zwei-Kammern-Parlament, 1997 werden Parlamentsabgeordnete erstmals direkt vom Volk gewählt. Im Juli 1999 stirbt Hassan II. Seitdem regiert sein Sohn Mohammed VI. in vergleichsweise moderater Manier.
Lage: Marokko liegt zwischen dem 23. und 36. Breitengrad, wird im Osten von Algerien und im Süden von Mauretanien begrenzt.
Fläche: mit der Westsahara 710 850 km2
Küste: etwa 3000 km Küste an Mittelmeer und Atlantik
Hauptstadt: Rabat
Flagge:
Amtssprache: Arabisch, Zweitsprache Französisch
Einwohner: ca. 35 Millionen
Währung: Dirham (DH)
Zeitzone: plus 2 Std. (Sommer), plus 1 Std. (Winter)
Bevölkerung: Die Bevölkerung Marokkos besteht aus Berbern und Arabern. Erstere bevölkerten lange vor den Römern das Land, während die Ausbreitung des Islam seit dem 7. Jahrhundert in mehreren Wellen stattfand. Beim Blick auf die Familienstruktur fällt ein deutlicher Unterschied zwischen Land- und Stadtbevölkerung auf. Während in den Städten die Kleinfamilie nach europäischem Muster im Kommen ist, so hat die Familie vor allem im ländlichen Südmarokko immer noch eine ungleich höhere Bedeutung als Grundlage allen sozialen Lebens.
Bildung: Erst 1963 wurde die Schulpflicht eingeführt, langsam steigt sie auf über 80 Prozent. Das Schulsystem ist nach französischem Vorbild strukturiert.
Der Islam in Marokko: Der marokkanische Alltag ist stark vom Islam geprägt – ohne seine Grundpfeiler ist Marokko nicht zu verstehen. Der gläubige Moslem akzeptiert Gottes Willen und unterwirft sich den Gesetzen Gottes. Daraus resultiert die Schicksalsergebenheit der Moslems: Kismet, Allah hat es so gewollt, da kann man nichts machen.
Staat: Marokko ist eine »konstitutionelle, demokratische und soziale Monarchie« (Artikel 1 der Verfassung). Staatsoberhaupt ist der König: Er steht als Oberbefehlshaber der Armee vor, ernennt den Premierminister und das Kabinett, bestimmt den Zeitpunkt der Parlamentswahlen und kann das Parlament auflösen.
Wirtschaft: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen lag laut Welthandelsorganisation WTO 2009 bei 2290 US-Dollar. Dabei sind von den 35 Millionen Marokkanern rund die Hälfte jünger als 30 Jahre. Der seit 1996 gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn von monatlich 3000 DH (etwa 300 €) wird selten erreicht, weshalb die Menschen besonders in den Städten versuchen, ihr spärliches Einkommen durch Nebenjobs aufzustocken. Der Tourismus ist nach der Phosphatwirtschaft und den Überweisungen marokkanischer Gastarbeiter inzwischen die drittwichtigste Devisenquelle des Landes, gefolgt von Fischfang und Landwirtschaft.
680 Erste Eroberung Marokkos durch die Araber, nachdem Phönizier und Karthager, Byzantiner und Römer das Land über Jahrhunderte geprägt hatten.
788 Dynastie des Idrisiden: Idris I. wird in Volubilis zum König ausgerufen – seit diesem Zeitpunkt gilt Marokko als Nation.
809 Idris II. gründet die Stadt Fès.
1062–1147 Almoravidische Dynastie
1061–1107 Herrschaft von Yusuf Ibn Tachfin, der Marrakesch gründet
1147–1269 Almohadische Dynastie
1184–1199 Herrschaft von Yaqub al-Mansur, der Rabat zur Hauptstadt macht und Marokko zur größten Ausdehnung verhilft: Algerien, Tunesien, Libyen und Andalusien gehören nun zum Reich.
1248 Fès ist Hauptstadt der Meriniden, die bis 1465 an der Macht sind.
1259–1286 Herrschaft von Abu Yusuf Yaqub, Bau von Fès el Jedid
1331–1351 Regierungszeit Abu l-Hasan
1415 Portugal erobert Ceuta.
1549–1664 Saadische Dynastie
1578 Die Dreikönigsschlacht beendet die Vorherrschaft Portugals.
1578–1603 Ahmad al-Mansur regiert.
1595 Bau der Saadier-Grabmäler in Marrakesch – heute das letzte Relikt des von Moulay Ismail zerstörten Dar el Badi, des »unvergleichlichen Königspalasts«.
1659 Beginn der Alaouitischen Dynastie
1672–1727 Moulay Ismail befestigt Meknès. Moulays 150 000 Mann starkes Heer erobert Tanger von den Briten zurück und hält die Türken an der Grenze nach Algerien auf.
Ab 1600 Spanier und Malteser bauen Besitzungen im Norden Marokkos.
1765 Mohamed Ben Abdallah gründet Essaouira, erweitert den Hafen von Casablanca und fördert den Außenhandel.
1792 Unter Sidi Ben Abdallahs Nachfolger, Moulay Silmane, flammen Berberaufstände und religiöse Konflikte auf.
1822 Moulay Abd ar-Rahman versucht, Marokko gegen den Einfluss der Europäer abzugrenzen.
1830 Mit der Eroberung Algeriens durch Frankreich wächst das Interesse Großbritanniens, Spaniens, Frankreichs und Deutschlands an Marokko.
1844 Krieg mit Frankreich nach der misslungenen Unterstützung der Aufstände in Algerien: Niederlage der Marokkaner und Frieden von Tanger (1845)
1880 Spanische Besetzung von Tétouan und Sidi Ifni
1894–1908 Auf der Konferenz von Madrid sichern die europäischen Mächte ihre Handelsinteressen ab. Heftige Unruhen destabilisieren das Land.
1905–1906 Spanien und Frankreich teilen in geheimen Verhandlungen ihre Interessensgebiete in Marokko auf. Kaiser Wilhelm II. besucht Tanger (1905) und fordert die Souveränität des Landes, um deutsche Wirtschaftsinteressen abzusichern. Auf der Konferenz von Algeciras (1906) erklären die europäischen Mächte und die USA Marokko zum wirtschaftlich »offenen Markt«.
1912 Marokko wird französisches Protektorat.
1927 Mohammed V. besteigt den Thron.
1956 Nationale Unabhängigkeit
1961 Hassan II. wird König.
1971 Volksentscheid über die neue Verfassung
1975 »Grüner Volksmarsch«, Marche Verte, in die Westsahara
1999 Mohammed VI. besteigt den Thron.
2000 Der neue König treibt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Liberalisierung voran. Erste Vorlagen zum Frauen- und Familienrecht
2001 Verhandlungen zwischen Marokko und der Unabhängigkeitsbewegung der Saharaouis scheitern, eine Teilautonomie wird als inakzeptabel bezeichnet, Weltklimaschutzkonferenz in Marrakesch
2002 Spannungen mit Spanien wegen der illegalen Einwanderung. Opposition kritisiert das neue Pressegesetz.
2004 Ein schweres Erdbeben verwüstet die Stadt Al Hoceima.
2005 Die ausländischen Investitionen übersteigen 200 Milliarden Euro, besonders im Tourismus geht der Staat zahlreiche neue Projekte an.
2006 Ausreichende Niederschläge in weiten Teilen des Landes führen zu einer Rekordernte.
2007 Im marokkanischen Abgeordnetenhaus wird die nationalkonservative Istiqlal mit 52 Sitzen die stärkste Partei.
2008 Jugendproteste gegen Arbeitslosigkeit
2011 Der »Arabische Frühling« erreicht das Land. Verfassungsreform. Abdelilah Benkirane (PDJ) wird Premierminister.
2015 Die weltweit größte Solaranlage bei Ouarzazate geht in Betrieb; in Marrakesch entsteht ein Verkehrssystem für Solarbusse.
2016 Die United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) findet in Marrakesch statt.
1Tanger
2Tétouan
3Chefchaouen
Lebhaft geht es an der Place Grand Socco zu, der Schnittstelle zur Medina. Auf dem Tagessouk mit frischem Obst und Gemüse am Bab el Fahs erledigen die Tangeri gern ihre Einkäufe. Einen Eindruck der geheimnisumwobenen Zeit als Internationale Zone gibt die Flaniermeile hin zur Place de France und der Avenue d'Espagne. Hier begegneten sich gewollt und ungewollt Diplomaten, Schieber und Spione.
Ein Spaziergang zu den historischen Cafés der Stadt weckt Erinnerungen an die Zeit, als Tanger Schauplatz (welt-)bewegender Vereinbarungen war. Das Café Hafa in der Avenue Tazi westlich der Kasbah, das Café de Paris an der Place de France, das Café La Colombe in der Rue Pasteur und das Café Baba in der Rue Sidi Hosni beim Bab el Assa haben nur wenig von ihrem Charme eingebüßt, auch wenn der Putz ein wenig bröckelt. Eindrucksvoll sind auch die Gebäude der belebten Nachbarschaft der Rue de Pasteur und der Nouvelle Ville im Artdecó. Die bis 1956 bestehende Zoll- und Steuerfreiheit bescherte der Stadt eine wirtschaftliche Blüte und regte die Bautätigkeit an. Dem folgte ein herber Abschwung, dessen Folgen sich erst in den 1990er-Jahren beheben ließen.
Jacaranda- und Drachenbäume sowie Bougainvillea-Hecken wuchern hinter den Mauern weißer Stadtvillen im vornehmen Quartier Marshan im Nordwesten der Stadt. Hier lebten Schauspieler, Künstler und Prominenz aus Europa und den USA. Das Café Hafa galt als das spätere Lieblingscafé des Schriftstellers und Komponisten Paul Bowles. Im aktuell leider geschlossenen Gran Teatro Cervantes in der Avenue Pasteur fand sich allabendlich die High Society ein. Auf dieser Straße wird immer noch, dem spanischen Lebensrhythmus folgend, nach Sonnenuntergang flaniert. Maler wie Henri Matisse taumelten in einen expressiven Bilderkosmos, während sie im Hotel Continental oder im El Muniria ihre Zimmer in Ateliers verwandelten. Von hier widmeten Paul Bowles, Samuel Beckett, Timothy Leary, William Burroughs oder Allen Ginsberg der Epoche ihre literarische Aufmerksamkeit.
Nicht die ersten Fremden! Für ein fast 200-jähriges Intermezzo beherrschten die Portugiesen Tanger, das bereits unter den Römern eine bedeutende strategische Position eingenommen hatte. Die Portugiesen verloren die Stadt 1662 durch eine Aristokratenhochzeit an den englischen Hof. Die Alaouiten wiederum vertrieben die Briten nach weiteren 20 Jahren – und mit dem Aufstieg der europäischen Großmächte um 1900 wuchs die Bedeutung der Stadt als Tor zu Afrika. Wilhelm II. bemühte sich erfolglos, mit einem Besuch deutsche Handelsinteressen durchzusetzen. Wie sehr die Fremden das Bild der Stadt prägten, zeigt die Statistik: Zur Zeit der Unabhängigkeit 1956 lebten über 50 000 Ausländer in Tanger.
Am Bab Kasbah aus dem 17. Jahrhundert beginnt die Kasbah an der Place du Méchouar mit altem Ficusbaum und einem harmonischen Ensemble von Gebäuden: das Dar ech Chera, als Gerichtshof der Sitz des Kadis, gesäumt von Marmorsäulen, der Palast Dar el Makhzen und die Moschee. Der Sultanspalast mit maurischem Arkadengang beherbergt heute das Musée d'Art Marocain. Ein kleiner andalusischer Garten schließt sich an. An der Nordseite liegt eine Aussichtsterrasse. Über das Bab el Assa führt der Weg hinunter über die Rue Ben Raisouli in die Medina. Deutlich ist hier an den Fassaden und Balkonen der spanische Einfluss auszumachen. Vom Petit Socco, dem Mittelpunkt der Medina, zweigt die Rue de la Marine zum Bab el Bahar ab, dem Tor zum Hafen, und den einstigen Spelunken an der Place de l'Arsenal. Die Gäste des nahen Hotel Continental liefen deshalb eher zum Bab el Fahs, vorbei an der Église Espagnole von 1880. Auffällig ist das benachbarte Dar Naiba, einst die Sultansrepräsentanz. Vom Petit Socco führen verwinkelte Gassen in den südlichsten Zipfel der Medina zur eleganten Amerikanischen Legation.
Einfach gut!
STILLE WINKEL
Kenner der Stadt loben, aller wehmütigen Erinnerung an die Grande Époque zum Trotz, den wachsenden Lebensstandard, eine fallende Kriminalitätsrate und die vielen angenehmen Orte, an denen sich sorglos die Zeit verbringen lässt. Das ca. 15 Kilometer westlich gelegene Cap Spartel lohnt dafür unbedingt einen Ausflug, am besten während der Woche. In Fußweite vom Kasbah-Quartier liegt das Café Hafa mit schöner Promenade und dem nahen Villenviertel Marshan. Deutlich näher an der Medina, gegenüber dem Grand Socco, liegt der schattige Parc de la Mendoubia unter alten Bäumen. Kinofreunde kommen seit einigen Jahren in Tanger wieder in den Genuss, das fantastische Cinéma Rif zu erleben. Ein Freundeskreis engagierter Spender um den Künstler Yto Barrada ließ es renovieren und zum Kulturzentrum ausbauen.
Nicht verpassen
DIE ORTE DER BEAT GENERATION
Wer kennt nicht die Erzählungen von Paul Bowles? Vielleicht brauchte sein Genius genau den Esprit Tangers der 1940er- und 1950er-Jahre, um jene lebhafte Fantasie zu entwickeln. In den legendären Cafés der Stadt sammelte der Schriftsteller und Komponist Kontakte und visuelle Eindrücke, ob das nun im Café Hafa war, im Café Central am Petit Socco, im Café de Paris, dem »Baba« oder in den Bars am Bab el Bahar, die für Messerstechereien und Alkoholexzesse bekannt waren. Den Spuren der keineswegs immer nüchternen Schriftsteller der Beat Generation Vidal, Burroughs, Ginsberg oder Kerouac lässt sich bis zu ihren Unterkünften folgen, die heute noch existieren. Sie dienten als kreative Rückzugsorte. Williams und Capote wohnten damals im Hotel Rembrandt, auch Bowles zeigte sich dort. Burroughs zog das Muniria vor. Fotos und Dokumente weisen in Lobby und Fluren auf die glorreichen Tage.
Beim Bab el Assa befindet sich die öffentlich zugängliche Kunstsammlung der Seglerin, Kunsthändlerin und Freundin von Barbara Hutton, Carmen Macein, mit Werken expressiver Maler. Sie war gut vertraut mit den Protagonisten der Beat Generation und hatte auch Picasso und Miró zu Gast.
Tanger ist reich mit Kunst und Kultur beschenkt, wie das gut besuchte Musée d'Art Marocain zeigt. Ganz der Gegenwart widmet sich die Cinémathèque.
Musée d'Art Marocain et Musée des Antiquités – Der frühere Sultanspalast Dar el Makhzen beherbergt heute das Museum für marokkanisches Kunsthandwerk und Archäologie mit der Schatzkammer Moulay Ismails. Schmuck, traditionelle Kleider, Keramik aus Fès, Fayence-Kacheln und alte Koranhandschriften im prunkvollen Rahmen. Place de la Kasbah, Mi–Mo 9–12.30 und 15–18 Uhr
Museé de Carmen-Macein – Französische Meisterwerke in einem persönlichen Ambiente. Oberhalb des Grand Socco, Mo–Sa 10–17 Uhr.
Petit Socco – Platz des Quartiers mit dem Café Tingis
Amerikanische Legation – Von 1822–1959 Haus des amerikanischen Diplomatencorps. Heute gibt es hier die Werke der immigrierten Künstlergemeinschaft zu sehen. Rue d'Amerique 8, Mo–Fr 10–13 und 15–17 (Fr 19) Uhr. www.legation.org
Parc de la Mendoubia – Zwischen altem Baumbestand thront die Mendoubia, Sitz des einstigen Sultansbeauftragten; im Park Kanonen mit historischen Inschriften.
Cinémathèque de Tanger – Tolles Programmkino am Grand Socco; übers jährliche Filmfestival und weitere Aktivitäten informiert www.cinemathequedetanger.com
Galerie Delacroix – In Sachen Zeitgenössischer Kunst die erste Adresse: Junge Kunst von Rita Alaoui, M'barek Bouhchichi und anderen, Rue de la Liberté 86
Hotel El-Minzah – Das berühmte Hotel öffnet seine ebenso berühmte Bar für jedermann.
Außerhalb:
Cap Spartel – Ca. 15 km westlich von Tanger treffen Atlantik und Mittelmeer aufeinander.
Cap Malabalata – Strand am östlichsten Ende der Bucht von Tanger, ca. 11 km. Im Park des Club Med liegt die Villa Harris; schöner Ausflug unter der Woche.
Grottes d'Hercule und Cotta – Fünf Kilometer vom Cap Spartel zur Grotte und weiter zur phönizischen Cotta mit römischen Mauerresten.
Für viele europäische Künstler seit Auguste Delacroix (1812–1868) war die Begegnung mit dem Land ein unvergleichliches Erlebnis. Delacroix reiste 1831/32 nach Marokko und zeichnete, wo und was er nur konnte. Auf Grundlage dieser Skizzensammlung entstanden viele seiner großen exotischen Ölgemälde mit Konkubinen, Paschas und Harems. Aber auch die Menschen auf den Märkten und Plätzen hielt er fest und bannte sie später auf die Leinwand. Ihn faszinierten das Fremdartige, die Kultur und die unbekannten Bräuche.
Die Wintermonate 1911/12 und 1912/13 verbrachte Henri Matisse in Nordmarokko und fühlte sich tief in diese Welt ein, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Die »Sprache der Dekoration«, wie Matisse sie nannte, sollte, ausgedrückt durch Arabesken, abstrakte Muster und stark zurückgenommene Inhalte, den geistigen Rhythmus von spiritueller Kunst widerspiegeln. »Die Erleuchtung kam für mich aus dem Orient«, fasste der Künstler seine Erkenntnisse 1947 im Interview mit dem Kritiker Gaston Diehl zusammen.
Nicht nur die ultramoderne Bürozeile Tangers weist auf eine neue Dynamik der Stadt – auch der Hafen, immer noch der wirtschaftliche Taktgeber der Stadt, deutet mit kontinuierlich wachsendem Aufkommen auf die neue Rolle Marokkos als Umschlagplatz für die südlicheren Länder Afrikas. Der 40 Kilometer östlich gelegene wichtigste Exporthafen des Landes bewältigt auch den Fährverkehr nach Europa. Viele Autobahnkilometer, Stress und Gebühren erspart Grandi Navi Veloci mit seiner Verbindung Genua–Barcelona–Tanger Med und Sète–Tanger Med (www.gnv.it).