Cover

Warrior Cats. Die Macht der drei. Bände 1-6

WARRIOR CATS

Staffel I

In die Wildnis (Bd. 1)

Feuer und Eis (Bd. 2)

Geheimnis des Waldes (Bd. 3)

Vor dem Sturm (Bd. 4)

Gefährliche Spuren (Bd. 5)

Stunde der Finsternis (Bd. 6)

Staffel II – Die neue Prophezeiung

Mitternacht (Bd. 1)

Mondschein (Bd. 2)

Morgenröte (Bd. 3)

Sternenglanz (Bd. 4)

Dämmerung (Bd. 5)

Sonnenuntergang (Bd. 6)

Staffel III – Die Macht der drei

Der geheime Blick (Bd. 1)

Fluss der Finsternis (Bd. 2)

Verbannt (Bd. 3)

Zeit der Dunkelheit (Bd. 4)

Lange Schatten (Bd. 5)

Sonnenaufgang (Bd. 6)

Staffel IV – Zeichen der Sterne

Der vierte Schüler (Bd. 1)

Fernes Echo (Bd. 2)

Stimmen der Nacht (Bd. 3)

Spur des Mondes (Bd. 4)

Der verschollene Krieger (Bd. 5)

Die letzte Hoffnung (Bd. 6)

Staffel V – Der Ursprung der Clans

Der Sonnenpfad (Bd. 1)

Donnerschlag (Bd. 2)

Der erste Kampf (Bd. 3)

Der Leuchtende Stern (Bd. 4)

Der geteilte Wald (Bd. 5)

Der Sternenpfad (Bd. 6)

Staffel VI – Vision von Schatten

Die Mission des Schülers (Bd. 1)

Donner und Schatten (Bd. 2)

Zerrissene Wolken (Bd. 3)

Dunkelste Nacht (Bd. 4)

Fluss aus Feuer (Bd.5)

Wütender Sturm (Bd. 6)

Special Adventure

Feuersterns Mission

Das Schicksal des WolkenClans

Blausterns Prophezeiung

Streifensterns Bestimmung

Gelbzahns Geheimnis

Riesensterns Rache

Brombeersterns Aufstieg

Mottenflugs Vision

Habichtschwinges Reise

Short Adventure

Wolkensterns Reise

Distelblatts Geschichte

Nebelsterns Omen

Taubenflugs Schicksal

Ahornschattens Vergeltung

Die Welt der Clans

Das Gesetz der Krieger

Die letzten Geheimnisse

Von Helden und Verrätern

Alle Abenteuer auch als Printausgaben bei Beltz & Gelberg

www.warriorcats.de

Hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt sich ein ganzes Team von Autorinnen. Gemeinsam konzipieren und schreiben sie die erfolgreichen Tierfantasy-Reihen WARRIOR CATS, SEEKERS, SURVIVOR DOGS und BRAVELANDS.

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BAND 1: DER GEHEIME BLICK

TITEL

DIE HIERARCHIE DER KATZEN

DONNERCLAN

SCHATTENCLAN

WINDCLAN

FLUSSCLAN

KATZEN AUSSERHALB DER CLANS

PROLOG

Die schlammverkrusteten Wurzeln eines Baumes stützten einen kleinen Durchgang. In den Schatten dahinter hielt ein Gewirr aus Tentakeln die Erde am Boden der Höhle zusammen, die Wind und Wasser über viele Monde ausgewaschen hatten.

Ein Kater kam den steilen Pfad hinaufgetappt und näherte sich dem Eingang. Sein flammenfarbener Pelz leuchtete im Mondschein. Seine Ohren zuckten und sein gesträubter Pelz ließ keinen Zweifel daran, wie unbehaglich er sich fühlte, als er sich vor der Höhle setzte und den Schwanz um die Pfoten legte. »Du hast mich gebeten zu kommen.«

Ein Augenpaar blinzelte ihm aus der Finsternis entgegen – Augen, die so blau waren wie ein See in der Sommersonne. Im Eingang wartete ein grauer Kater, vom Alter und von zahlreichen Kämpfen gezeichnet.

»Feuerstern.« Der Krieger trat vor und streifte die Wange des DonnerClan-Anführers mit seiner weiß gefleckten Schnauze. »Ich will dir danken.« Seine Greisenstimme klang rau. »Du hast den verlorenen Clan wieder aufgebaut. Keine Katze hätte das geschafft.«

»Es besteht kein Grund für Dankbarkeit.« Feuerstern neigte den Kopf. »Ich habe nur getan, was ich tun musste.«

Der alte Krieger nickte nachdenklich. »Glaubst du, dass du dem DonnerClan ein guter Anführer gewesen bist?«

Feuerstern zuckte zusammen. »Ich weiß es nicht«, miaute er. »Es ist nicht leicht gewesen, aber ich habe immer versucht zu tun, was für meinen Clan richtig war.«

»Keine Katze würde an deiner Treue zweifeln«, krächzte der Alte. »Aber wie weit würde sie gehen?«

Mit einem unsicheren Flackern in den Augen suchte Feuerstern nach einer Antwort.

»Schwere Zeiten stehen bevor«, fuhr der Krieger fort, bevor Feuerstern antworten konnte. »Und deine Treue wird auf die äußerste Probe gestellt werden. Manchmal ist die Bestimmung einer Katze nicht die Bestimmung des ganzen Clans.«

Plötzlich erhob sich der Kater mit steifen Pfoten und ließ den Blick an Feuerstern vorbei in die Ferne schweifen. Er schien den Anführer des DonnerClans nicht mehr wahrzunehmen, weil er weit hinter ihm etwas sah, was für Feuerstern im Verborgenen blieb.

Dann sprach er weiter und seine raue Stimme wurde weich, als ob sich eine fremde Katze seiner Zunge bemächtigt hätte.

»Drei werden es sein, Blut von deinem Blut. Sie halten die Macht der Sterne in ihren Pfoten.«

»Ich verstehe nicht«, miaute Feuerstern. »Blut von meinem Blut? Warum erzählst du mir das?«

Der alte Krieger blinzelte, dann ruhten seine Augen wieder auf Feuerstern.

»Du musst mir mehr sagen!«, protestierte Feuerstern. »Wie kann ich entscheiden, was ich tun soll, wenn du es mir nicht erklärst?«

Der Greis holte tief Luft, sagte dann aber nur: »Leb wohl, Feuerstern. Blattwechsel werden kommen, in denen du dich an mich erinnern wirst.«

Erschrocken wachte Feuerstern auf, die Angst saß wie ein fester Knoten in seinem Bauch. Er atmete erleichtert aus, als er die vertrauten Steinwände des Anführerbaus im Felsenkessel beim See erkannte. Durch den Eingangsspalt strömte die Morgensonne herein. Ihre Wärme auf seinem Pelz tröstete ihn.

Mühsam erhob er sich auf die Pfoten und schüttelte den Kopf, um den Traum zu verscheuchen. Aber das war kein gewöhnlicher Traum, denn er sah die Höhle so deutlich vor sich, als ob er erst vor einem Mond dort gewesen wäre und alles, was sich in den vielen, vielen Blattwechseln ereignet hatte, die seither vergangen waren, nicht geschehen wäre. Als der alte Krieger seine Prophezeiung verkündet hatte, waren Feuersterns Töchter noch nicht geboren und die vier Clans hatten noch in ihrem alten Wald gelebt. Die Prophezeiung war ihm auf der großen Reise durch die Berge gefolgt und hatte sich mit ihm in seinem neuen Zuhause am See niedergelassen. Jeden Vollmond kehrte die Erinnerung zurück und bemächtigte sich seiner Träume. Nicht einmal Sandsturm, die neben ihm schlief, wusste davon.

Er steckte den Kopf aus seinem Bau und spähte auf das erwachende Lager hinab. Sein Zweiter Anführer Brombeerkralle streckte sich auf der Lichtung. Eichhornschweif kam zu ihrem Gefährten getappt und begrüßte ihn schnurrend.

Ich will beten, dass ich mich geirrt habe, dachte Feuerstern. Und doch fühlte er eine Leere in seinem Herzen, weil er fürchtete, dass sich die Prophezeiung jetzt erfüllen könnte.

Die drei waren gekommen …

1. KAPITEL

Blätter streiften Häherjunges’ Pelz wie fallender Schnee. Laub raschelte unter seinen Pfoten, steif gefroren bedeckte es den Boden so hoch, dass er sich Pfotenschritt für Pfotenschritt vorwärts kämpfen musste. Ein eisiger Wind kroch ihm unter seinen kinderstubenweichen Pelz und er zitterte.

»Warte auf mich!«, maunzte er. Er hörte die Stimme seiner Mutter, die mit ihrem warmen Körper stets ein paar Pfotenschritte vor ihm unerreichbar blieb.

»Die kriegst du nie!«

Ein hohes Miauen riss ihn aus seinem Traum und Häherjunges schreckte auf. Mit gespitzten Ohren lauschte er auf die vertrauten Geräusche in der Brombeer-Kinderstube. Schwester und Bruder krabbelten verspielt herum. Rauchfell leckte ihre dösenden Jungen. Es gab hier keinen Schnee, er war im Lager, warm und sicher. Der Geruch seiner Mutter wehte aus ihrem Nest zu ihm herüber, immer noch frisch, obwohl sie es längst verlassen hatte.

»Autsch!«, rief er erschrocken, als seine Schwester Disteljunges mit einem Plumps auf ihm landete. »Pass doch auf!«

»Endlich bist du wach!« Sie ließ sich von ihm herunterrollen und stürzte sich auf etwas ganz in der Nähe.

Maus! Häherjunges konnte sie riechen. Sein Bruder und seine Schwester hatten vermutlich Fangen gespielt, mit der Frischbeute, die gerade ins Lager gebracht worden war. Er sprang auf die Pfoten und streckte sich ausgiebig, bis sein kleiner Körper zitterte.

»Fang, Häherjunges!«, miaute Disteljunges. Pfeifend sauste die Maus an seinem Ohr vorbei.

»Lahme Schnecke!«, foppte sie ihn, als er sich zu spät umdrehte, um danach auszuholen.

»Ich hab sie!«, rief Löwenjunges. Pfoten plumpsten auf den festgetretenen Boden, als er mit der Frischbeute landete.

So einfach würde sich Häherjunges die Beute nicht von seinem Bruder wegschnappen lassen. Er war vielleicht der Kleinste im Wurf, aber er war schnell. Mit einem Satz in Löwenjunges’ Richtung schubste er ihn aus dem Weg und streckte eine Vorderpfote nach der Maus aus.

Er rutschte aus und landete ungelenk am Boden, überschlug sich und zuckte vor Schreck zusammen, als er merkte, dass das kein Moos war, was er da unter sich spürte, sondern eins von Rauchfells winzigen Jungen. Rauchfell stieß ihn mit den Hinterläufen beiseite.

Häherjunges schnappte nach Luft. »Habe ich ihr wehgetan?«

»Natürlich nicht«, antwortete Rauchfell schroff. »Du bist so klein, dass du nicht einmal eine Fliege zerquetschen könntest!« Fuchsjunges und Eisjunges maunzten, ihre Mutter schob sie dichter an ihren Bauch. »Aber ihr drei werdet allmählich zu wild für die Kinderstube!«

»Entschuldige, Rauchfell«, miaute Disteljunges.

»Entschuldige, Rauchfell«, echote Häherjunges verzagt, obwohl ihn Rauchfells Bemerkung über seine Größe gekränkt hatte. Doch der Ärger der Königin würde schnell verfliegen. Jungen, die sie selbst aufgezogen hatte, konnte sie nie lange böse sein – Rauchfell war es gewesen, die Häherjunges, Disteljunges und Löwenjunges in den Monden vor Fuchsjunges’ und Eisjunges’ Geburt gesäugt hatte, als bei Eichhornschweif der Milchfluss ausblieb.

»Es wird Zeit, dass euch Feuerstern zu Schülern ernennt, damit ihr in den Bau der Schüler umzieht«, miaute Rauchfell.

»Das wäre schön«, seufzte Löwenjunges.

»Wird nicht mehr lange dauern«, verkündete Disteljunges. »Wir sind schon fast sechs Monde alt.«

Wie immer, wenn er an sein künftiges Schülerdasein dachte, begann Häherjunges’ Bauch vor Aufregung zu rumoren. Er konnte es kaum erwarten, mit dem Training zu beginnen. Aber auch ohne Rauchfells Miene zu sehen, spürte er den leisen Zweifel, der sich unter dem Pelz der Königin regte, und wusste, dass sie ihn mitfühlend ansah. Sein Fell sträubte sich vor Enttäuschung – er war für seine Ernennung zum Schüler bereit, genau wie Disteljunges und Löwenjunges!

Ohne zu merken, dass Häherjunges ihr Zögern mitbekommen hatte, antwortete Rauchfell an Disteljunges gewandt: »Noch seid ihr keine sechs Monde alt! Und deshalb müsst ihr vorerst draußen weiterspielen!«

»Wir gehen schon, Rauchfell«, antwortete Löwenjunges kleinlaut.

»Komm, Häherjunges«, rief Disteljunges. »Und nimm die Maus mit.« Der raschelnde Brombeerstrauch sagte ihm, dass sie durch den Eingang der Kinderstube schlüpfte.

Häherjunges packte die Maus vorsichtig mit den Zähnen. Sie war frisch gefangen und noch weich, er wollte nicht, dass sie zu bluten anfing – noch konnten sie hübsch mit ihr spielen. Gefolgt von Löwenjunges, kroch er hinter seiner Schwester her. Die Ranken vor dem Ausgangstunnel kratzten ihn im Pelz. Sie waren spitz genug, um sich in seinem Fell zu verhaken, aber nicht so scharf, dass sie ihm wehgetan hätten.

Draußen roch die Luft frisch und frostig. Feuerstern gab sich mit Sandsturm unter der Hochnase Zungen. Borkenpelz saß auch bei ihnen. »Wir sollten darüber nachdenken, wie wir den Bau der Krieger erweitern können«, riet der Krieger mit dem dunklen Pelz seinem Anführer. »Er ist jetzt schon überfüllt und die Jungen von Minka und Ampferschweif werden nicht ewig Schüler bleiben.«

Wir erst recht nicht!, dachte Häherjunges.

Lichtherz und Wolkenschweif putzten sich gegenseitig bei einem Sonnenbad auf der anderen Seite der Lichtung. Häherjunges hörte ihre Zungen stetig lecken. Sie hatten dicke Pelze wie alle DonnerClan-Katzen in der Blattleere, aber darunter waren die Muskeln wegen der spärlichen Beute und der anstrengenden Jagd sehnig geworden.

Außer Hunger hatte die Blattleere noch anderes Unheil mitgebracht. Maulwurfpfote, eines von Ampferschweifs Jungen, war an einem Husten gestorben, auf den Blattsees Kräuter nicht angesprochen hatten. Und Regenpelz war in einem Sturm von einem abgebrochenen Ast getötet worden.

Lichtherz hielt im Putzen inne. »Wie fühlst du dich heute, Häherjunges?«

Häherjunges legte die Maus zwischen seinen Pfoten ab, wo sie vor Disteljunges sicher war. »Gut geht es mir, was sonst?«, miaute er. Warum musste Lichtherz immer so viel Getue um ihn machen? Er hatte schließlich nur eine Nacht in der Kinderstube hinter sich und keine wilde Jagd! Ständig schien sie ihn mit ihrem einen gesunden Auge zu überwachen. Um zu zeigen, dass er genauso stark war wie sein Bruder und seine Schwester, schleuderte Häherjunges die Maus hoch über Disteljunges’ Kopf hinweg.

Als Löwenjunges’ Pfoten an ihm vorbeitrommelten, der sie sich vor Disteljunges schnappen wollte, ertönte Eichhornschweifs Stimme von einer Seite der Kinderstube. »Ihr solltet eurer Beute mehr Respekt erweisen!« Ihre Mutter war damit beschäftigt, Blätter in die stacheligen Löcher an der Außenwand des Baus zu stopfen. Minka half ihr dabei. »Junge sind und bleiben eben Junge«, schnurrte die Kätzin besänftigend.

Häherjunges’ Nasenflügel bebten, wenn ihm Minkas seltsamer Geruch entgegenwehte. Sie roch anders als die im Clan geborenen Katzen und einige Katzen sagten immer noch Hauskätzchen zu ihr, weil sie früher am Pferdeort gelebt und Zweibeinerfraß gegessen hatte. Minka war keine Kriegerin, denn sie hatte nicht vor, die Kinderstube zu verlassen, aber ihre Jungen Mauspfote, Haselpfote und Beerenpfote waren jetzt Schüler und Häherjunges konnte keinen Unterschied zwischen ihnen und seinen übrigen Clan-Gefährten erkennen.

»Sie werden nicht mehr lange Junge bleiben«, sagte Eichhornschweif zu Minka, während sie ihr mit ihrem langen Schwanz mehr Blätter hinschob. Das harsche Rascheln erinnerte Häherjunges an seinen Traum.

Häherjunges mochte die cremeweiße Kätzin sehr. Minka war zwar nicht seine Mutter, hatte ihn aber zusammen mit Rauchfell gewärmt und gewaschen, wenn Eichhornschweif wegen ihrer Pflichten für den Clan von der Kinderstube ferngehalten wurde. Seine Mutter hatte sehr bald nach der Geburt ihrer Jungen ihre Kriegerpflichten wieder aufgenommen. In der Kinderstube lag zwar noch ein Nest für sie bereit, aber sie benutzte es immer seltener und zog es vor, im Bau der Krieger zu übernachten, wo sie die Jungen und die säugenden Königinnen nicht störte, wenn sie früh aufstand, um auf Morgenpatrouille zu gehen.

»Zieht es jetzt immer noch, Rauchfell?«, rief Eichhornschweif durch den Außenwall der Kinderstube.

»Nein«, ertönte Rauchfells Stimme hinter dem Gewirr aus Ranken. »Wir haben es hier drinnen warm wie Fuchsjunge.«

»Gut«, miaute Eichhornschweif. »Würdest du hier aufräumen, Minka? Ich habe Brombeerkralle meine Hilfe angeboten, wenn er rund um den Felsenkessel nach losen Steinen Ausschau hält.«

»Lose Steine?«, fragte Minka entsetzt.

»Ein solider Schutzwall wie unserer ist sehr nützlich.« Eichhornschweifs Stimme hallte, während sie den Blick über die kahlen Felswände schweifen ließ, die das Lager fast überall umgaben. »Aber bei diesem Frost könnten sich hier und da Steine gelockert haben und wir wollen verhindern, dass sie ins Lager fallen.«

Häherjunges wurde abgelenkt, weil der bittere Gestank nach Mäusegalle vom Bau der Ältesten herüberwehte. Vermutlich befreite Blattsee Langschweif und Mausefell gerade von Zecken. Ein wesentlich angenehmerer Duft kündigte die Rückkehr von Mauspfote und Haselpfote an – Minkas Junge brachten Frischbeute von ihrer Jagdpatrouille mit. Aufgeregt kamen sie ins Lager gerannt, Mauspfote mit zwei Mäusen und Haselpfote mit einer riesigen Drossel zwischen den Zähnen. Sie ließen ihren Fang auf den Frischbeutehaufen fallen.

Plötzlich kam eine pelzige Kugel angesaust und riss Häherjunges von den Pfoten.

»Spielst du jetzt mit uns oder nicht?«, wollte Disteljunges wissen.

Häherjunges sprang auf und schüttelte sich. »Na klar!«

»Löwenjunges hat sich die Maus geschnappt und will sie nicht mehr hergeben!«, beschwerte sich Disteljunges.

»Dann holen wir sie uns eben!« Häherjunges flitzte über die Lichtung zu seinem Bruder. Er stürzte sich auf Löwenjunges und hielt ihn auf dem hart gefrorenen Boden fest, während ihm Disteljunges die Maus aus den Krallen riss.

»Das ist unfair!«, protestierte Löwenjunges.

»Wozu fair sein«, piepste Disteljunges triumphierend. »Wir sind hier doch nicht beim SternenClan!«

»Und da werdet ihr auch nicht hinkommen, wenn ihr nicht aufhört, mit Beute zu spielen!« Sturmpelz war auf seinem Weg zum Bau der Krieger bei ihnen stehen geblieben. Seine Worte klangen streng, aber seine Stimme blieb freundlich. »Es ist Blattleere. Wir sollten dem SternenClan für jedes Bröckchen dankbar sein.«

Löwenjunges schüttelte Häherjunges ab. »Wir üben bloß unsere Jagdtechniken!«

»Und das müssen wir unbedingt«, fügte Häherjunges hinzu, der sich aufgesetzt hatte. »Schließlich werden wir bald zu Schülern ernannt.«

Sturmpelz schwieg einen Moment. Dann streckte er den Kopf vor und leckte Häherjunges kurz zwischen den Ohren. »Natürlich«, murmelte er. »Das hatte ich vergessen.«

Enttäuschung loderte in Häherjunges’ Bauch. Warum behandelte ihn der ganze Clan wie ein neugeborenes Junges, obwohl er schon fast sechs Monde alt war? Verärgert schüttelte er den Kopf. Dabei war Sturmpelz gar keine richtige DonnerClan-Katze! Sein Vater Graustreif war früher Zweiter Anführer des DonnerClans gewesen, aber Sturmpelz war bei den Clan-Gefährten seiner Mutter im FlussClan aufgewachsen und seine Gefährtin Bach kam von weit her aus den Bergen. Wer gab ihm das Recht, sich so aufzuspielen?

Disteljunges knurrte der Magen. »Wie wäre es, wenn wir die Maus essen würden, statt mit ihr zu spielen?«

»Ihr beiden könnt sie euch teilen«, bot Löwenjunges an. »Ich hole mir was vom Frischbeutehaufen.«

Häherjunges wandte sich dem Haufen mit der Beute zu, die von den Kriegern am Morgen gefangen worden war. Ein schwacher Geruch irritierte ihn. Er holte tiefer Luft, öffnete das Maul und inhalierte die Gerüche: Er erkannte Haselpfotes frisch getötete Drossel und Mauspfotes Mäuse an ihrem warmen Blut. Aber weiter unten lag ein saurer Gestank, bei dem sich seine Zunge einrollte. Mit steil aufgestelltem Schwanz trottete er an seinem Bruder vorbei.

»Was hast du vor?«, wollte Löwenjunges wissen.

Häherjunges antwortete nicht. Er schnupperte sich durch die kleinen toten Körper bis zu einem Zaunkönig. »Sieh dir das an!«, miaute er, während er den Vogel mit der Pfote herumrollte. Der Bauch des Tieres war voller Maden.

»Igitt!«, quiekte Disteljunges.

Blattsee tauchte aus dem Bau der Ältesten auf. Im Maul trug sie ein Bündel Moos, das so sehr nach Mäusegalle stank, dass es den Gestank des verwesten Zaunkönigs überdeckte. Bei den drei Jungen hielt sie inne. »Gut aufgepasst«, lobte sie und ließ dabei das Moosbündel vor ihre Pfoten fallen. »Ich weiß, dass es im Moment nur wenig Beute gibt, aber bevor wir uns den Magen verderben, essen wir lieber nichts.«

»Häherjunges hat ihn gefunden«, berichtete Disteljunges.

»Nun, da hat er mir einen Patienten erspart«, miaute Blattsee. »Ich habe auch so genug zu tun. Farnpelz und Birkenfall haben Weißen Husten.«

»Brauchst du Hilfe beim Kräutersammeln?«, bot sich Häherjunges an. Er hatte das Lager noch nie verlassen und sehnte sich danach, den Wald zu erkunden. Er wollte Grenzmarkierungen riechen. Bis jetzt hatte er nur die schwachen Gerüche des SchattenClans und des WindClans entdeckt, wenn sie bei der Rückkehr ins Lager in den Pelzen der DonnerClan-Patrouillen hingen. Er wollte sich die frische Brise vom See um die Nase wehen lassen, bevor sich die Gerüche des Waldes darunter mischten. Er wollte wissen, wo an den jeweiligen Grenzen die Markierungen waren, um jeden Pfotenschritt seines Clan-Territoriums zu verteidigen.

»Du könntest viel mehr Kräuter sammeln, wenn wir dir helfen, sie ins Lager zurückzutragen!«, warf Löwenjunges ein.

»Ihr wisst doch, dass ihr das Lager erst verlassen dürft, wenn ihr Schüler seid«, erinnerte Blattsee.

»Aber wenn Katzen krank werden, wirst du Hilfe brauchen …«, beharrte Häherjunges.

Blattsee fuhr ihm mit der Schwanzspitze über die Schnauze. »Tut mir leid, Häherjunges. Es wird nicht mehr lange dauern, bis euch Feuerstern zu Schülern ernennt. Aber genau wie alle anderen Jungen werdet ihr so lange warten müssen.«

Häherjunges wusste, was sie meinte. Ihr Vater war Zweiter Anführer des Clans und ihre Mutter Feuersterns Tochter. Blattsee erinnerte sie wieder einmal daran, dass ihnen deshalb keine Sonderbehandlung zustand. Seine Schwanzspitze zuckte ungeduldig. Manchmal kam es ihm so vor, als ob ihnen der übrige Clan aus dem Weg gehen würde, nur um sicher zu sein, dass er und seine Wurfgefährten niemals eine Sonderbehandlung bekamen. Das war auch nicht fair!

»Tut mir leid«, miaute Blattsee noch einmal. »Aber so ist das eben.« Sie nahm ihr übel riechendes Moos wieder auf und trottete zum Heilerbau zurück.

»Netter Versuch«, flüsterte Löwenjunges Häherjunges ins Ohr. »Trotzdem sieht es so aus, als würden wir noch eine Weile im Lager festsitzen.«

»Blattsee glaubt immer, sie könnte alles mit uns machen, bloß weil sie uns Wolle für unsere Nester vom Moorland mitbringt«, fauchte Häherjunges. »Oder Honigwaben, die wir dann auslecken dürfen. Dabei würden wir viel lieber das Territorium rund um das Lager auskundschaften, aber das erlaubt sie uns nicht!«

Disteljunges peitschte mit dem Schwanz über den gefrorenen Boden. Häherjunges wusste, dass sie sich genau wie er und Löwenjunges hinter den Wällen um das Lager umsehen wollte. »Aber sie hat recht«, miaute sie missmutig. »Wir müssen dem Gesetz der Krieger gehorchen.«

Sie teilten sich eine Maus und einen Wühler. Als sich Häherjunges anschließend das Gesicht wusch und mit den Pfoten über die Ohren fuhr, um sie gründlich zu reinigen, bemerkte er, wie Bach aus dem Bau der Krieger trat und sich zu Wolkenschweif und Lichtherz in die Sonne setzte. Auch sie trug einen anderen Geruch als die übrigen Krieger, den Geruch nach Bergen und rauschendem Wasser. Das war der seltsamste Geruch von allen nicht im Clan geborenen Katzen. Oder war da noch mehr, was ihm an der Kätzin aus den Bergen auffiel, fragte sich Häherjunges – spürte er eine Müdigkeit, die sie nie überwunden hatte? Irgendwie bekam er das Gefühl nie richtig an die Schnurrhaare, trotzdem wusste er ganz sicher, dass sich Bach hier im Wald fremd fühlte.

Ein Rascheln im Dornentunnel, der den Eingang ins Lager schützte, kündigte Beerenpfotes Rückkehr an. Minkas drittes Junges lief zielstrebig zum Frischbeutehaufen und warf seine Beute ab – eine fette Waldtaube.

»Wo ist Brombeerkralle?«, rief Beerenpfote den Jungen zu. Brombeerkralle war Beerenpfotes Mentor, und wieder einmal spürte Häherjunges, wie ihn insgeheim die Eifersucht plagte, weil Beerenpfote so viel Zeit beim Training mit Brombeerkralle verbrachte, während es ihm in den Pfoten juckte, mit seinem Vater im Wald zu jagen.

»Er ist mit Eichhornschweif unterwegs«, antwortete Häherjunges. »Sie sehen nach, ob sich Steine gelockert haben.« Mit gespitzten Ohren hielt er Ausschau nach den Stimmen von Mutter und Vater. Hören konnte er sie nicht, aber eine Brise wehte ihren Geruch von der Klippe hinter dem Bau der Heiler herunter.

»Da oben«, erklärte er Beerenpfote und streckte die Nase in ihre Richtung.

»Wie schlau du heute wieder bist, Häherjunges!«, miaute Beerenpfote. »Ich wollte ihm meine Taube zeigen und ihn fragen, ob er nach Sonnenhoch mit mir Kampftraining macht.«

Die Eifersucht rumorte hartnäckiger in Häherjunges’ Bauch. Warum kann ich nicht jetzt schon Schüler sein?

»Du bist bestimmt ein richtig guter Jäger«, seufzte Löwenjunges, der eindeutig dasselbe gedacht hatte.

»Das ist bloß Übung«, erklärte Beerenpfote. »Sieh her.« Er kauerte nieder. »So fängt man an.«

Löwenjunges streifte mit dem Bauch über den Boden, als er Beerenpfote zu imitieren versuchte.

»Nimm den Schwanz runter!«, befahl Beerenpfote. »Er guckt wie eine Glockenblume raus!«

Löwenjunges’ Schwanz klatschte auf den Boden.

»Jetzt schiebst du dich wie eine Schlange vorwärts«, kommandierte Beerenpfote.

»Du siehst aus, als hättest du Bauchweh!«, krähte Disteljunges.

Löwenjunges fauchte entrüstet auf, stürzte sich auf sie und warf sie zu Boden. Sie wehrte sich, vor Vergnügen schnurrend, während Löwenjunges mit den Hinterpfoten auf ihrem Bauch herumtrommelte.

Sie waren so sehr in ihr Spiel vertieft, dass sie den Lärm nicht bemerkten, der sich plötzlich vor dem Lager erhob.

Häherjunges war er nicht entgangen.

Katzenpfoten donnerten auf den Lagereingang zu. Häherjunges erkannte die Gerüche von Spinnenbein und Dornenkralle. Die Patrouille kehrte zurück. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die Pfoten der Krieger donnerten in panischer Eile über den Waldboden, Angstgeruch wehte vor ihnen her.

Häherjunges stand der Pelz zu Berge, als Spinnenbein und Dornenkralle aus dem Tunnel gesaust kamen.

Feuerstern und Sandsturm standen sofort auf den Pfoten.

»Was ist passiert?«, miaute Feuerstern.

Spinnenbein holte tief Luft, dann verkündete er: »Da liegt ein toter Fuchs in unserem Territorium!«

2. KAPITEL

»Wo Feuersterns Stimme klang angespannt.

»Bei der Himmelseiche«, miaute Dornenkralle keuchend. »Er ist in einer Falle umgekommen.« Häherjunges hörte, wie lose Steinchen die Felswand hinunterprasselten. Brombeerkralle kam ins Lager geklettert, gefolgt von Eichhornschweif.

»Was ist passiert?«, rief er.

»Dornenkralle und Spinnenbein haben einen toten Fuchs gefunden«, erklärte Feuerstern. »In einer Falle umgekommen.«

»Männlich oder weiblich?«

»Weiblich«, antwortete Spinnenbein.

»Dann könnte es Junge geben«, knurrte Brombeerkralle.

Häherjunges war irritiert. »Was können ein paar Fuchsjunge schon anrichten?«, flüsterte er Disteljunges zu.

»Junge Füchse werden erwachsen, Mäusehirn«, fauchte sie leise zurück. »Ein ausgewachsener Fuchs kann eine Katze umbringen.«

»Die Füchsin hatte Milchgeruch im Pelz«, berichtete Dornenkralle.

»Dann gibt es also eindeutig Junge«, folgerte Feuerstern.

Im Kriegerbau raschelte es, als Aschenpelz hervorgekrochen kam.

»Wo war diese Falle?«, fragte Brombeerkralle. War das Furcht, die Häherjunges in seiner Stimme hörte? Sein Vater kannte sich doch gewiss so gut mit Zweibeinerfallen aus, dass er sie nicht zu fürchten brauchte. Nein, beschloss Häherjunges, das war keine Angst, sondern etwas anderes, ein dunkleres Gefühl, das Häherjunges nicht einordnen konnte.

Dornenkralles Antwort riss ihn aus seinen Gedanken. »Die Falle liegt seewärts vom Lager, nicht weit von der Himmelseiche.«

»Die Jungen müssen dort in der Nähe sein«, vermutete Brombeerkralle. »Ihre Mutter wird sich nicht so weit von ihnen entfernt haben.«

»Was sollen wir tun?« Rauchfell war aus der Kinderstube gekommen. »Wir dürfen nicht zulassen, dass der Wald von Füchsen überschwemmt wird! Denkt an unsere Jungen!«

»Wir müssen den Bau finden«, rief Brombeerkralle.

»Wenn die Jungen noch sehr klein sind, werden sie ohne ihre Mutter verhungern«, miaute Feuerstern. »Das Beste wäre, wenn sie schnell zu Tode kommen.« Da war kein boshafter Unterton in der Stimme des DonnerClan-Anführers. Feuerstern musste tun, was für den Clan am besten war.

»Und wenn sie alt genug sind, um allein zu überleben?«, fragte Disteljunges neugierig.

»Dann müssen wir sie verjagen«, erklärte ihr Feuerstern. »Sie dürfen sich nicht in unserem Territorium niederlassen.«