DRITTES KAPITEL

DEMOKRATIEGRÜNDUNG IM SCHATTEN VON REVOLUTION UND FRIEDENSVERTRAG

In der Umbruchsituation des 9. November 1918 hatte Friedrich Ebert die Entscheidung über die künftige Staatsform des Reiches offenhalten wollen. Die Wendung der öffentlichen Meinung gegen Kaiser Wilhelm II. machte jedoch die Ausrufung der Republik unvermeidlich. Philipp Scheidemann vollzog sie, um Karl Liebknecht zuvorzukommen. Erwartungen von Zeitgenossen, daß dies zu Auflösungserscheinungen im Offizierskorps führen werde, erfüllten sich nicht. Der Sturz der Monarchie wurde von der politischen Rechten als einstweilen unabänderliche Tatsache hingenommen. Zwar hielten sowohl die Deutschnationale Volkspartei als auch die Deutsche Volkspartei am Prinzip der konstitutionellen Monarchie fest, doch eine unmittelbare Restauration der Hohenzollern, wie sie die zur DNVP stoßende frühere Deutschkonservative Partei und die »Preußische Kreuz-Zeitung« verfochten, wurde von ihnen nicht angestrebt. Im »Nationalen Manifest« der DNVP war nur von der Bildung eines »neuen Kaisertums im Wege gesetzlicher Entwicklung« die Rede.1 Man schloß nicht aus, daß zukünftig eine Konstellation eintreten könne, in der eine Mehrheit der Bevölkerung die Rückkehr zur Monarchie verlangte. Im übrigen blieb das Bekenntnis zur Monarchie bei den Parteien der bürgerlichen Rechten ein Mittel, die in der Tradition stehenden, antirepublikanisch gesinnten Wähler einzubinden.

Abgesehen davon, daß an eine Restauration auf absehbare Zeit aus außen- und innenpolitischen Gründen nicht gedacht werden konnte, stand sie auch deshalb außerhalb jeder realen Erwägung, weil eine Restitution der deutschen Dynastien den gerade überwundenen einzelstaatlichen Partikularismus erneuert hätte. Infolge der Haltung Wilhelms II., der die förmliche Abdankung nicht vor dem 28. November 1919 aussprach und beide Kronprinzen darauf festlegte, bestand Unklarheit darüber, welcher der in Frage kommenden Kronprätendenten nachfolgeberechtigt war. Zwar spielte der Monarchismus innerhalb der DNVP auch in den späteren Jahren der Republik eine Rolle, aber der Gedanke einer Restauration tauchte erst wieder im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtergreifung auf. An der republikanischen Staatsform konnte nach 1918 nicht mehr gezweifelt werden.

Der Weg der Verfassungsschöpfung nach dem 9. November war zugleich durch die Oktoberreformen und die Wilsonsche Politik weitgehend im liberalparlamentarischen Sinne vorgezeichnet. MSPD und USPD, denen die politische Führung in der revolutionären Umbruchsphase zufiel, sahen sich unerwartet vor die Notwendigkeit gestellt, dem Reich eine neue Verfassung zu geben. Seit den Tagen des Erfurter Programms hatte in der SPD keine inhaltliche Diskussion über die anzustrebende Staatsverfassung stattgefunden. Die politische Praxis söhnte die SPD mit dem parlamentarischen Prinzip aus, für dessen Verwirklichung sie im Kaiserreich am entschiedensten und nahezu auf sich allein gestellt eingetreten war. Ihre wichtigsten verfassungspolitischen Forderungen schienen mit den Oktoberreformen erfüllt zu sein. Die USPD stand der parlamentarischen Tätigkeit aufgrund der eigenen Erfahrungen nach 1916 mit innerer Reserve gegenüber. Im Rätesystem erblickte sie eine erstrebenswerte Ergänzung zur parlamentarischen Repräsentativverfassung, ohne zunächst klare Vorstellungen davon zu haben, wie sich beide Systeme miteinander verknüpfen ließen.2

Folgerichtig lag damit die demokratische Verfassungsgebung auf der Linie der Kompromisse des Interfraktionellen Ausschusses, der aus den Parteien der späteren Weimarer Koalition bestand. Die sozialistischen Parteien verzichteten darauf, den Verfassungsgebungsprozeß in eigene Hände zu nehmen. Er wurde dadurch gleichsam von der revolutionären Entwicklung abgekoppelt, wiewohl die USPD sich der Illusion hingab, durch umfassende revolutionäre Eingriffe in Verwaltung und Gesellschaft die Verfassung mit sozialistischem Inhalt füllen zu können. In der Haltung beider Parteien, insbesondere derjenigen der MSPD-Führung, verbarg sich ein formalistisches Verfassungsverständnis, das die Lassallesche Einsicht, daß Verfassungsfragen Machtfragen seien und nicht bloß den rechtlichen Rahmen politischer Inhalte betrafen, aus den Augen verloren hatte.

Schon am 15. November 1918 berief der Rat der Volksbeauftragten den Berliner Ordinarius für öffentliches Recht, Hugo Preuß, zum Staatssekretär des Innern und betraute ihn mit der Aufgabe, einen Verfassungsentwurf vorzulegen.3 Preuß war Schüler des für den Genossenschaftsgedanken eintretenden Otto von Gierke, näherte sich jedoch dem parlamentarischen Prinzip. In der »Nation«, die von dem Linksliberalen Theodor Barth, mit dem er freundschaftlich verbunden war, herausgegeben wurde, setzte er sich für die Parlamentarisierung der Reichsverfassung nachdrücklich ein. Anknüpfend an die demokratische Tradition von 1848/49, hatte er sich schon 1915 gegen den preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat und für einen demokratischen Volksstaat ausgesprochen. Ein Verfassungsvorschlag, den er der Obersten Heeresleitung im Juli 1917 unterbreitete, begründete die Fama, daß er bereits über ein abgeschlossenes Konzept verfüge. Das bewog Friedrich Ebert, der raschen pragmatischen Entscheidungen zuneigte, Hugo Preuß und nicht den ebenfalls zur Diskussion stehenden Heidelberger Soziologen Max Weber mit den Vorarbeiten für die Weimarer Reichsverfassung zu beauftragen.4

Weber war jedoch an den internen Beratungen im Reichsamt des Innern beteiligt, zu denen neben hohen Ressortbeamten nur zwei sozialdemokratische Unterstaatssekretäre hinzugezogen wurden. Der erste Entwurf, der dem Rat der Volksbeauftragten am 3. Januar 1919 übermittelt wurde, trug überwiegend die Handschrift von Preuß, der einen ausgeprägt unitarischen Standpunkt vertrat und die Bildung von sechzehn deutschen Freistaaten unter weitgehender Preisgabe der bisherigen Ländergliederung vorsah. Ebert, der den Entwurf grundsätzlich billigte, regte an, die Vorschriften zur territorialen Neugliederung auszuklammern und einen Grundrechtsteil anzufügen, um den auch innerhalb seiner Partei geäußerten Befürchtungen entgegenzutreten, daß an eine Rücknahme der »revolutionären Errungenschaften« gedacht sei. Preuß hatte auf Grundrechte verzichtet, um zu verhindern, daß die Beratungen der Nationalversammlung wie seinerzeit in der Paulskirche in Grundsatzfragen steckenblieben und der Verfassungsgebungsprozeß dadurch verzögert würde.

Eberts Strategie hatte zum Ziel, öffentliche Verfassungsdiskussionen bis zur Fertigstellung des Kabinettsentwurfs zu vermeiden. Dies gelang nicht ganz, da die Länderregierungen darauf drängten, an den Entwurfsarbeiten beteiligt zu werden, so daß sich das Reichsamt des Innern gezwungen sah, vor allem das künftige Verhältnis von Reich und Ländern mit dem im November gebildeten Staatenausschuß zu erörtern. Es war bezeichnend, daß Ebert den Zentralrat erst mit dem Entwurf bekannt machte, den die am 25. Januar 1919 zusammengetretene Länderkonferenz abgeändert hatte. Er hinderte den Zentralrat an einer gründlichen Beratung mit dem wenig einleuchtenden Argument, die Vorlage der Nationalversammlung, die am 6. Februar zusammentrat, unverzüglich zuleiten zu müssen. Die Kritik des Zentralrates, die auch Scheidemann teilte, der den Verfassungsentwurf »rückschrittlich« nannte, führte daher nur zu der Aufforderung, der Nationalversammlung einen sozialistisch geprägten Alternativentwurf vorzulegen, wovon die MSPD-Führung jedoch keinen Gebrauch machte.

010_Mommsen_Freiheit_9783549074992.tif

Massendemonstration gegen die Annahme des Betriebsrätegesetzes vor dem Berliner Reichstag am 13. Januar 1920. (© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Heinrich Hoffmann))

011_Mommsen_Freiheit_9783549074992.tif

Kapp-Putschisten im Regierungsviertel Berlins am 13. März 1920. (© Landesbildstelle Berlin (0058880))

012_Mommsen_Freiheit_9783549074992.tif

Reichspräsident Friedrich Ebert während der Berliner Stadtverordnetenwahlen 1921 beim Verlassen des Wahllokals. (© Bilderdienst Süddeutscher Verlag, München)

Hugo Preuß, der von seinem ursprünglichen Konzept schwerwiegende Abstriche hatte akzeptieren müssen, erklärte in der Sitzung mit dem Zentralrat, es sei notwendig, »möglichst schnell eine geordnete Regierung zu bilden, damit wir nach außen verhandeln können; das muß uns bewegen, auch einen schlechten Entwurf anzunehmen«.5 Dies deutete darauf hin, daß man hoffte, die Friedensverhandlungen durch eine verfassungsmäßig gebildete Regierung führen zu können. Aus dem gleichen Grund war Ebert darum bemüht, grundlegende verfassungspolitische Auseinandersetzungen in der Nationalversammlung zu unterbinden. Das erklärt seine Bereitschaft, den föderalistischen Länderinteressen in weitem Umfang nachzugeben. Diese mußten um so stärker ins Spiel kommen, als es der Rat der Volksbeauftragten vermied, den Vollzugsrat und den Zentralrat als vorläufige Repräsentanten der zentralstaatlichen Interessen einzuschalten. Äußerlich erwies sich diese Politik als bemerkenswert erfolgreich. Schon am 21. Februar konnte der Nationalversammlung ein ausgereifter Entwurf vorgelegt werden. Zwar tauchten in den zügig vorangetriebenen Arbeiten des Verfassungsausschusses vor allem hinsichtlich der Schul- und Kirchenfrage scharfe Kontroversen auf, aber es gelang, trotz der im Juni 1919 eintretenden Verzögerung, die durch den Konflikt über die Annahme des Friedensvertrags entstand, die Verfassung bereits am 14. August förmlich in Kraft zu setzen.

Die angesichts der krisenhaften innenpolitischen Lage bemerkenswert reibungslose parlamentarische Verabschiedung des Verfassungswerks hing mit dem starken Interesse der bürgerlichen Parteien und der Mehrheitssozialdemokratie zusammen, die durch die Revolution geschaffene offene Rechtslage zu überwinden und damit die konkurrierenden Räteinstitutionen zu beseitigen. Zum andern war der Entscheidungsspielraum der Nationalversammlung beträchtlich eingeengt. In dem mit den Länderregierungen vereinbarten »Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt«, das mit den Stimmen der Weimarer Koalition am 10. Februar 1919 beschlossen wurde, waren wesentliche Elemente des künftigen Verfassungsaufbaus vorweggenommen: die Stellung des Reichspräsidenten, des Reichstags und des Staatenhauses.6 Die Länder hatten in den vorausgegangenen Verhandlungen durchsetzen können, daß Vorlagen der Reichsregierung an die Nationalversammlung der vorherigen Zustimmung der Mehrheit der Länderregierungen bedurften. Um die Rechtsförmigkeit des Vorgehens zu sichern, stimmten die Parteien, ohne diese Vorentscheidungen materiell zu prüfen, der Übergangsverfassung zu. Die entstehende Verfassung war schließlich durch die Zusage des Rates der Volksbeauftragten, am Prinzip des Berufsbeamtentums festzuhalten, sowie durch die Bestimmungen über den vorläufigen Aufbau der Reichswehr präjudiziert.

Durch die Einschaltung der Länderkonferenz war das ursprüngliche Konzept von Hugo Preuß, die Länder auf die Stufe von Selbstverwaltungseinheiten zurückzudrängen, auf der ganzen Linie gescheitert, zumal die Länder die Klausel durchsetzten, daß eine territoriale Neuordnung der Zustimmung des betroffenen Einzelstaates bedürfe, womit der Weg zu unitarischer Neugestaltung versperrt war.7 Allerdings gelang es in den Beratungen des Verfassungsausschusses, den Länderpartikularismus einzuschränken, insbesondere die zunächst zäh beibehaltenen Reservatrechte der süddeutschen Staaten zu beseitigen, bei deren Verteidigung Bayern unter der Führung Kurt Eisners eine wenig rühmliche Rolle spielte. Infolge der Blockierung einer sinnvollen Neugliederung wurde lediglich der Zusammenschluß der thüringischen Kleinstaaten und die Mediatisierung von Coburg und Pyrmont erreicht.

Um zu einer vergleichbaren Größenordnung der Gliedstaaten zu gelangen, hatte Hugo Preuß vor allem die Auflösung Preußens ins Auge gefaßt. Hiergegen erhob sich jedoch erbitterter Widerstand, der trotz der ausgeprägt unitarischen Tradition der SPD von den preußischen Ressorts am massivsten vertreten wurde, aber auch von dem zum preußischen Kriegsminister avancierten Württemberger Oberst Reinhardt. Eduard David, der an der Durchsetzbarkeit einer unitarischen Lösung zweifelte, sprach sich dafür aus, Preußen zum reichsunmittelbaren Land zu machen, um auf diesem Umweg langfristig den Unitarismus durchzusetzen.

Er antizipierte damit die nationalsozialistische »Verreichlichung« Preußens, fand jedoch mit diesem Vorschlag keine Gegenliebe. Außenpolitische Motive und das Bestreben, territorialen Aufsplitterungstendenzen zu begegnen, traten hinzu. Eine Auflösung Preußens, wie sie das Reichsamt des Innern vorhatte, mußte den französischen Ambitionen einer Abtrennung des Rheinlandes vom Reich und den akuten separatistischen Bestrebungen entgegenkommen, eine autonome Rheinisch-Westfälische Republik zu bilden. Desgleichen gab es nicht erst nach dem Bekanntwerden der Friedensbedingungen Ansätze zur Verselbständigung Oberschlesiens, die polnische Expansionstendenzen mindestens indirekt begünstigten.

Wenn es schon nicht gelang, einen mit der überkommenen territorialen Gliederung brechenden, funktionsfähigen föderalistischen Staatsaufbau zu schaffen, dann stellte die Aufrechterhaltung des preußischen Staatsverbandes das kleinere Übel dar. Nur indem man in dieser Frage nachgab, konnte man vermeiden, daß die preußische Nationalversammlung gleichzeitig mit der des Reiches tagte und damit den Verfassungsgebungsprozeß, wie die Erfahrung von 1848 lehrte, zusätzlich behinderte. Schließlich verfiel man darauf, ein Übergewicht Preußens im Reichsrat dadurch zu verhindern, daß die Hälfte der preußischen Stimmen nicht durch die Regierung, sondern durch die Provinziallandtage instruiert werden sollte. Diese Notlösung begünstigte später die antirepublikanischen Kräfte.

Immerhin wurde der Reichsrat im Vergleich zum Bundesrat des Kaiserreiches in seinen Rechten erheblich beschnitten. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit von Reich und Ländern wirkte sich zugunsten des Reiches aus, das seine Kompetenzen in der Steuer-, Finanz-, Schul- und Verkehrspolitik grundlegend ausweiten konnte und trotz darüber anhaltender Konflikte nicht länger von der Finanzhoheit der Länder abhängig war, welche die innenpolitische Fortentwicklung des Kaiserreiches schwerwiegend beeinträchtigt hatte. Die von Matthias Erzberger als Reichsfinanzminister seit Ende 1919 mit großer Energie, Umsicht und Sachkunde durchgesetzte Reichsfinanzreform, welche die Reichsfinanzen auf die Grundlage einer modernen Einkommensteuer stellte und eine angemessene Verteilung der Steuerlasten in beträchtlichem Umfang bewerkstelligte, bedeutete einen Meilenstein auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Finanzverfassung; sie warf jedoch das Problem des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden in neuartiger Frontstellung auf, indem nun die Länder finanzielle Ansprüche an das Reich richteten.

013_Mommsen_Freiheit_9783549074992.tif

Mit Unterstützung durch die Parteien der Weimarer Koalition, die damit zum ersten Mal auf Reichsebene maßgeblichen Einfluß ausübten, konnte der Verfassungsentwurf der Regierung in seinen wesentlichen, ausgeprägt liberalen Grundzügen beibehalten werden. Dies stellte gewiß das Maximum dessen dar, was im Sommer 1919 angesichts der sich abzeichnenden Stärkung der antirepublikanischen Kräfte erreichbar gewesen ist. Die Reichsverfassung trug zunächst der liberalen Überzeugung Rechnung, daß das Parlament in freier Diskussion zwischen den Abgeordneten, die nicht an Weisungen ihrer Wähler gebunden waren, das Gemeinwohl zu ermitteln habe. Die herrschende Demokratietheorie ging von der Vorstellung aus, daß die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen in der Zusammensetzung des Parlaments möglichst korrekt zum Ausdruck kommen müßten. Demgegenüber trat die Auffassung zurück, daß die Volksvertretung in erster Linie die Aufgabe hatte, regierungsfähige Mehrheiten zu schaffen.

Der Gedanke, daß die Verfassungsordnung durch eine Manipulation der demokratischen Willensbildung zerstört werden könnte, lag den Mitgliedern der Nationalversammlung fern, zumal der aktive Verfassungsschutz durch die dem Präsidenten eingeräumten Befugnisse, den Ausnahmezustand auszurufen und die Reichsexekution durchzuführen, gewährleistet erschien. Verfassungsschutzvorschriften wie der Ausschluß von Angehörigen der Fürstenhäuser vom passiven Wahlrecht zum Präsidentenamt, der von sozialdemokratischer Seite gefordert wurde, waren wegen der unterschiedlichen Positionen der vertretenen Parteien nicht konsensfähig. Nur auf dem Boden eines formalistischen Verfassungsverständnisses konnte der grundlegende Gegensatz zwischen links und rechts überbrückt werden. Es ist daher eine Verkennung der politischen Ausgangslage der Weimarer Republik, wenn man ihr anlastet, kein Konzept der »streitbaren Demokratie« entwickelt zu haben.8

Die plebiszitäre Wahl des Reichspräsidenten, der neben den ihm als Staatsoberhaupt üblicherweise zustehenden Repräsentationsfunktionen das Auflösungsrecht des Reichstages, das Ernennungs- und Entlassungsrecht des Reichskanzlers, den Oberbefehl über die Reichswehr und die Befugnis erhielt, auf dem Weg des Referendums direkt an den Volkswillen zu appellieren, trug ein dem klassischen liberalen Parlamentarismus fremdes Moment in die Reichsverfassung. Preuß beabsichtigte, hiermit ein Gewicht gegen den von ihm befürchteten »Parlaments-Absolutismus« zu schaffen und zu verhindern, daß die Mehrheitsparteien ihre politischen Vorstellungen der Gesamtheit aufzwingen könnten.9 In Artikel 48 wurde dem Reichspräsidenten das Recht übertragen, bei »Gefahr im Verzuge« gesetzesvertretende Notverordnungen zu erlassen, die der Reichstag jedoch mit einfacher Mehrheit zu Fall bringen konnte.10

Hätte sich die DDP, die sich am stärksten den Vorstellungen Max Webers vom Reichspräsidenten als plebiszitär abgestützter, charismatischer Führerpersönlichkeit annäherte, mit der Forderung durchgesetzt, diesen nicht an die Gegenzeichnungspflicht des Reichskanzlers oder der zuständigen Reichsminister zu binden, wäre sehr wohl eine selbstherrliche Machtstellung des Staatsoberhaupts denkbar gewesen.11 Darauf zielte die Kritik der USPD, die der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten die Forderung nach einer Direktoriumslösung nach Schweizer Vorbild entgegenstellte. Doch die SPD votierte in der Gegenzeichnungsfrage im Sinne des ursprünglichen Entwurfs von Preuß, obwohl sie ihrerseits, infolge der wenig durchdachten Sympathie für das Prinzip der direkten Demokratie, durch die Einführung des Volksentscheids und des Volksbegehrens indirekt die Macht des Präsidenten stärkte.


Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.