Tina Beckett, Lucy Clark, Susanne Hampton
JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 117
IMPRESSUM
JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
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Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN
Band 117 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2014 by Tina Beckett
Originaltitel: „Her Hard to Resist Husband“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MEDICAL ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Susanne Albrecht
© 2016 by Anne Clark
Originaltitel: „English Rose in the Outback“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MEDICAL ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Susanne Albrecht
© 2014 by Susanne Panagaris
Originaltitel: „Falling for Dr December“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MEDICAL ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Christina Rodriguez
Abbildungen: Alija / iStock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733711498
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
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Schockiert gesteht Dr. Ben Almeida sich ein, dass Tracys strahlend grüne Augen immer noch die Macht haben, seinen Herzschlag zu beschleunigen. Dabei hat seine attraktive Noch-Ehefrau gleich klargestellt, dass sie ihn aus rein beruflichen Gründen besucht – nicht, um ihrer Beziehung eine neue Chance zu geben! Aber woher kommt dann dieses erotische Prickeln?
Bereits bei ihrem ersten Treffen fällt Lady Daisy ihrem gut aussehenden neuen Boss Dr. Oscar Price in die Arme. Natürlich nur, weil sie auf dem Weg zu seiner Klinik fast einen Sonnenstich bekommen hat! Trotzdem kann sie nicht widerstehen, Oscars überraschend leidenschaftliche Küsse zu erwidern. Ein Fehler? Jäh zeigt er ihr danach die kalte Schulter …
Um ihr Herz zu schützen, hält die berühmte Fotografin Laine Arbeit und Privatleben strikt getrennt und verlässt sich nur auf sich selbst! Bis sie bei einem Kalender-Shooting den attraktiven Dr. Pierce Beaumont fotografieren soll. Denn er erweist sich nicht nur als Retter in der Not, als sie bestohlen wird, sondern ist auch gefährlich sexy …
Tracy Hinton fiel nicht in Ohnmacht.
Zwar drehte sich ihr fast der Magen um, als ihr der Todesgeruch in die Nase stieg, aber sie riss sich zusammen.
Als Schutz legte sie eine Gesichtsmaske an. „Wie viele sind es?“
„Sechs Tote bisher, aber der größte Teil des Dorfes ist betroffen.“ Pedro, einer der Mitarbeiter ihrer mobilen Klinik, zeigte auf das schlichte Backsteinhaus links von ihm, wo eine gespenstisch reglose Gestalt zusammengekrümmt auf der Veranda lag. Ein paar Meter weiter sah man noch eine Leiche auf dem Erdboden. „Sie sind schon seit einigen Tagen tot. Was immer es gewesen ist, es hat sie schnell erwischt. Sie haben noch nicht mal versucht, ein Krankenhaus zu erreichen.“
„Wahrscheinlich waren sie zu schwach dafür. Außerdem ist das nächste Krankenhaus dreißig Kilometer entfernt.“
Piauí, einer der ärmsten Bundesstaaten Brasiliens, war anfälliger für verheerende Infektionskrankheiten als die wohlhabenderen Regionen. Vielen Bewohnern dieser abgelegenen Dörfer standen als Transportmittel lediglich Fahrräder oder ihre eigenen Beine zur Verfügung. Ein dreißig Kilometer langer Marsch war selbst für junge und gesunde Leute hart, und Autos stellten einen Luxus dar, den sich kaum jemand leisten konnte.
Erst nachdem Tracy die Leichen untersucht und ein paar Proben entnommen hätte, wäre sie dazu imstande gewesen, die Ursache für diese Todesfälle festzustellen. Das nächste diagnostische Krankenhaus lag fast hundertsiebzig Kilometer weit entfernt. Auf jeden Fall musste sie einen Bericht über eine mögliche Epidemie an die zuständigen Behörden schicken.
Und das bedeutete, sie würde es mit Ben zu tun haben.
Kopfschüttelnd fragte Pedro: „Glaubst du, dass es das Denguefieber ist?“
„Nein, diesmal nicht. Der Mann da drüben hat ein bisschen Blut auf seinem Hemd, aber ansonsten kann ich aus dieser Entfernung nichts weiter erkennen.“ Sie schaute hinüber zu dem grob gezimmerten Pferch, wo mehrere Schweine sich kreischend über den Futtermangel beschwerten. „Ich denke eher an eine Lepto.“
Pedro zog die Brauen zusammen. „Leptospirose? Aber die Regenzeit ist doch schon vorbei.“
Die dürren Zweige und der harte Lehmboden rund um das Haus bestätigten seine Aussage. Die glühende Hitze, die jede Luftfeuchtigkeit verdampfen ließ, war so drückend, dass sie Tracys Übelkeit noch verstärkte. Durch die Nähe zum Äquator sanken die Temperaturen in diesem Teil Brasiliens während der Trockenzeit nur selten unter achtunddreißig Grad. Die tödliche Hitze würde immer schlimmer werden, bis schließlich der Regen zurückkam.
„Sie haben Schweine.“ Mit dem Unterarm schob Tracy ihre feuchten Haarsträhnen aus der Stirn.
„Ja, aber Lepto verursacht normalerweise keine Blutungen.“
„In Bahia schon.“
Pedro hob die Brauen. „Du glaubst, es handelt sich um die Lungenvariante?“
„Vielleicht.“
„Willst du Proben nehmen oder erst mal zu einem der anderen Häuser gehen?“
Sie zog ihr Handy aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. Kein Empfang. „Funktioniert dein Handy?“
„Nein.“
Sie seufzte. „Dann müssen die Gewebeproben warten, bis wir zurückkommen. Ich möchte nicht riskieren, dass wir womöglich lebende Patienten infizieren. Und vielleicht kommen wir ja auch in Reichweite eines Mobilfunkmasts, sobald wir höhergelegenes Terrain erreichen.“
Benjamin Almeida drückte sein Auge an das Objektiv des Mikroskops und drehte an der Feineinstellung, bis das Bild scharf wurde und der rosafarbene Fleck deutlich zu sehen war. Gramnegative Bakterien. Er nahm den Objektträger heraus, ließ ihn durch das Digital-Mikroskop laufen und notierte die Ergebnisse.
„Ben?“, erklang plötzlich die zögernde Stimme seiner Assistentin von der Tür her.
Er hielt einen Finger hoch, während er auf das Computersignal wartete, dass der Bericht an den behandelnden Arzt im Tropeninstitut von Piauí gesendet worden war. Dessen Dienstzimmer befand sich zwar nur wenige Schritte entfernt im Hauptgebäude des Krankenhauses, aber Ben hatte keine Zeit, selbst hinzugehen. Er zog die Latexhandschuhe aus, warf sie in den Mülleimer und desinfizierte seine Hände.
„Ja, was gibt’s?“ Er blickte auf. Allmählich machte sich die Zwölf-Stunden-Schicht bemerkbar. Doch er musste noch zwei weitere Objektträger bearbeiten, bevor er für heute Schluss machen konnte.
„Hier ist jemand, der Sie sprechen möchte.“ Mandy trat von der Tür zurück. Der entschuldigende Tonfall in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Wenn es Dr. Mendosa ist, sag ihm, ich habe ihm den Bericht gerade gemailt. Es ist eine bakterielle Infektion, kein Parasit.“
Da erschien eine Frau neben Mandy, und Ben stockte unwillkürlich der Atem. Ein Schock durchzuckte ihn. Glücklicherweise saß er noch auf seinem Hocker.
Tiefschwarzes Haar, wie immer mit einer Spange zusammengehalten, hohe Wangenknochen und ein langer, schlanker Hals. Die grünen Augen, in denen ein besorgter Ausdruck lag, begegneten seinem Blick offen und direkt. Sie reckte das Kinn noch etwas höher, während sie einander ansahen.
Was, zum Teufel, macht sie denn hier?
Die Frau rückte den Riemen einer blauen Isoliertasche an ihrer Schulter zurecht und trat einen Schritt auf ihn zu. „Ben, ich brauche deine Hilfe.“
Sein Kiefer war angespannt. Fast genau dieselben Worte hatte sie vor vier Jahren zu ihm gesagt. Kurz bevor sie ihn verlassen hatte. Er schluckte rasch, in der Hoffnung, dass seine Stimme seine Gedanken nicht verraten würde. „Wobei?“
„Irgendwas passiert gerade in São João dos Rios.“ Sie klopfte auf ihre Tasche, und ihre Worte überschlugen sich. „Ich habe Proben mitgebracht, die du dringend analysieren musst. Je früher, desto besser. Ich muss unbedingt wissen, warum die Leute dort plötzlich …“
„Langsam. Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Tracy biss sich auf die Lippen. „Es gibt eine Epidemie in São João dos Rios. Bisher sind sechs Leute gestorben. Die Militärpolizei ist schon unterwegs, um das Dorf abzusperren.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“
Ben wusste, dass das stimmte. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie das Haus verlassen, um nie wieder zurückzukehren.
Eigentlich hätte es ihn nicht überraschen sollen, dass sie noch immer das Land durchstreifte, um Infektionsherde zu bekämpfen. Nichts hatte sie jemals davon abhalten können. Weder er noch der Gedanke an ein Zuhause und eine Familie. Nicht einmal das neue Leben, das sie in sich getragen hatte.
Wider besseres Wissen streifte er ein frisches Paar Handschuhe über. „Brauche ich eine Atemschutzmaske?“
„Ich glaube nicht. Wir haben OP-Gesichtsmasken benutzt, um die Proben zu entnehmen.“
Ben nickte, zog eine Gesichtsmaske über und reichte auch Tracy eine. Er war froh, dass die Maske die weichen roséfarbenen Lippen verbergen würde, die er so gern geküsst hatte. Er hob den Blick und schalt sich dafür, dass ihre strahlend grünen Augen noch immer die Macht besaßen, seinen Herzschlag zu beschleunigen.
Dann räusperte er sich. „Irgendwelche Symptome?“
„Die Gemeinsamkeit scheint eine Lungenblutung zu sein, vielleicht aufgrund einer Lungenentzündung.“ Sie gab ihm die Tasche. „Leider wurden die Toten bereits eingeäschert.“
„Ohne Autopsie?“ Ben beschlich ein ungutes Gefühl.
„Das Militär hat mir erlaubt, einige Proben zu entnehmen, bevor die Leichen weggeschafft wurden. Die Regierungsbeamten haben auch Proben genommen, um ihre eigene Analyse durchzuführen. Ich muss dokumentieren, dass ich alles zerstört habe, nachdem du mit deiner Arbeit fertig bist.“ Tracy senkte die Stimme. „In deinem Wartezimmer steht ein Wachposten, der dafür sorgen soll, dass der Befehl ausgeführt wird. Bitte, hilf mir bei dieser Sache. Du bist der beste Epidemiologe hier in der Gegend.“
Als er einen Blick zur Tür warf, sah er den bewaffneten Beamten der Polícia Militar, der in dem anderen Raum an der Wand lehnte. „Das war früher mal nicht das, was du an mir am meisten geschätzt hast.“
Wieder biss sie sich auf die Lippen. „Weil du deinen Job als Waffe gegen mich eingesetzt hast.“
Sie hatte recht, aber nicht einmal davon hatte sie sich zurückhalten lassen.
Bens Assistentin, die sie von der Tür her beobachtete, kam herein, zog sich ebenfalls eine Gesichtsmaske über und stellte sich neben ihn. Nervös schaute sie zu dem Wachposten hinüber.
„Lässt er uns hier wieder weg?“, fragte sie auf Portugiesisch.
Tracy wechselte von Englisch in die Landessprache. „Falls sich herausstellt, dass es sich um eine gewöhnliche Lungenentzündung handelt, wird das kein Problem sein.“
„Und wenn nicht?“
Ben presste den Mund zusammen bei dem Gedanken, zusammen mit Tracy für unbestimmte Zeit in seinem Labor eingesperrt zu sein. „Wenn nicht, werden wir wohl eine Weile hierbleiben müssen.“ Er ging zur Tür, um mit dem Wachposten zu sprechen. „Wir haben die Gewebeproben noch nicht geöffnet. Meine Assistentin hat eine Familie, und ich möchte, dass sie nach Hause gehen kann, bevor wir anfangen.“
Aus genau diesem Grund hatte er darauf bestanden, dass sein Arbeitsbereich getrennt vom Hauptgebäude untergebracht war. Dieses Nebengebäude war klein genug, um das Ganze im Fall einer durch Tröpfcheninfektion übertragenen Epidemie abschotten zu können. Alle Ergebnisse würden dann per Computer versendet.
Sicherheit war Bens oberste Priorität. Mandy kannte das Risiko, das mit der Arbeit bei ihm verbunden war. Allerdings war sie bis jetzt noch keiner Gefahr ausgesetzt gewesen. Anders als Tracy, die sich vor vier Jahren in eine Gelbfieber-Epidemie gestürzt hatte, sodass Ben sich gezwungen gesehen hatte, das Militär zu rufen.
Der Wachposten überlegte kurz, bevor er sich abwandte, um über sein Funkgerät mit jemandem zu sprechen. Danach erklärte er: „Jemand wird sie nach Hause begleiten, aber dort muss sie bleiben, bis wir wissen, mit welcher Krankheit wir es zu tun haben. Und Sie beide …“ Er machte eine Handbewegung in Richtung Ben und Tracy. „Sobald die Proben geöffnet sind, müssen Sie in diesem Gebäude bleiben, bis wir die Risiken abschätzen können.“
Mandy warf Ben einen ängstlichen Blick zu. „Glaubst du wirklich, dass es für mich sicher ist, wenn ich gehe? Mein Baby …“ Flüchtig schloss sie die Augen. „Ich muss meinen Mann anrufen.“
„Sag Sergio, er soll das Baby zu deiner Mutter bringen. Dort ist die Kleine sicher. Nur für alle Fälle. Ich ruf dich an, sobald ich was weiß, ja?“
Seine Assistentin nickte und ging hinaus, um ihr Telefonat zu führen.
„Es tut mir leid.“ Tracys Miene wurde sanft. „Ich dachte, du wärst allein im Labor. Ich wusste nicht, dass du eine Assistentin hast.“
„Du kannst ja nichts dafür. Sie macht sich Sorgen wegen möglicher Risiken für ihr Baby.“ Ben sah sie an. „Wie jede Frau es tun würde, die Kinder hat.“
Schlagartig schwand das Mitgefühl aus ihrem Blick. „Ich habe mir Gedanken gemacht. Aber das hat dir nie gereicht, oder?“, gab Tracy verärgert zurück. „Ich fahre nach São João dos Rios zurück, sobald ich ein paar Antworten von dir bekomme. Wenn ich schon unter Quarantäne gestellt werde, dann dort, wo ich helfen kann. Ich will nicht in einem Labor herumsitzen und auf Reagenzgläser starren.“
„Sagt die Frau, die in mein Labor gekommen ist, weil sie Hilfe braucht“, erwiderte er ruhig.
„So habe ich es nicht gemeint.“
„Doch, natürlich.“
Einen Moment lang starrten sie sich an, dann erschienen kleine Fältchen um Tracys Augenwinkel. Lächelnd zog sie die Maske herunter und ließ sie um den Hals baumeln. „Na schön, vielleicht ein bisschen. Aber ich habe wenigstens zugegeben, dass ich dich brauche. Das sollte doch auch was zählen.“
Trotzdem war es kein Vergleich zu dem, was sie früher einmal verbunden hatte. Diese Zeit war lange vorbei. Und egal, wie sehr Ben sich damals bemüht hatte, Tracy festzuhalten, sie hatte sich immer weiter von ihm entfernt. Bis die Kluft zwischen ihnen allzu tief geworden war.
Entschlossen schüttelte er die Gedanken an die Vergangenheit ab und stellte die Isoliertasche auf einen freien Metalltisch. Er wies auf den Handschuhspender an der Wand. „Zieh dir welche über, und fass im Labor nichts an. Zur Sicherheit.“
Tracy zog eine Schachtel mit Handschuhen aus ihrer Handtasche. „Ich bin vorbereitet.“
Wie immer. Diese Frau war ständig unterwegs, ohne sich je ein freies Wochenende zu gönnen. Mit aller Kraft hatte sie sich in ihre Arbeit gestürzt, bis davon nichts mehr übrig gewesen war. Weder für sie noch für ihn.
Er hatte geglaubt, sie würde damit aufhören, als sie schwanger wurde. Doch das stimmte nicht. Und Ben hatte nicht gewollt, dass sein Kind dasselbe Schicksal erleiden würde wie er selbst.
Frustriert biss er die Zähne zusammen, während er sich in seinem Labor umschaute und überlegte, welche Geräte für die Untersuchung notwendig waren. Er und Tracy würden in der kleinen gläsernen Kabine in der Ecke arbeiten müssen, die er für solche Fälle eingerichtet hatte.
Seinen alltäglichen Arbeitsbereich komplett von Tracys Proben getrennt zu halten hatte absolute Priorität. Wenn sie nicht aufpassten, könnte die Regierung am Ende noch das gesamte Labor unter Quarantäne stellen. Damit würde Bens jahrelange Arbeit in der Verbrennungsanlage landen.
„Da drüben habe ich einen Sterilraum“, sagte er zu Tracy. „Sobald wir die Sache mit Mandy geklärt haben, können wir anfangen.“
Tracy blickte zur Tür, wo das Telefonat zwischen Mandy und ihrem Mann immer hitziger wurde. „Ich habe sehr darauf geachtet, alles so steril wie möglich zu halten. Ich glaube nicht, dass sie irgendeinem Risiko ausgesetzt war.“
„Es ist sicher alles in Ordnung. Ich nehme deine Proben mit in die Kabine. Kannst du danach bitte den Tisch, auf dem sie standen, mit Desinfektionsmittel reinigen?“
Kaum griff Ben nach der Isoliertasche, erschien der Wachposten, eine Hand an seinem Gewehr. „Wo wollen Sie damit hin?“
Ben zeigte auf die gläserne Kabine. „Solange die Proben in einem abgeschlossenen Raum sind, können sie niemanden infizieren. Von der Tür zum Warteraum aus können Sie alles sehen, was wir tun. Allerdings ist es sicherer, wenn Sie genügend Abstand halten, wenn wir mit der Untersuchung beginnen.“
Sofort wich der Wachposten mehrere Schritte zurück. „Wie lange wird das dauern? Ich möchte hier nicht länger bleiben als unbedingt nötig.“
„Keine Ahnung. Kommt darauf an, was wir finden.“
Ben brachte die Tasche in die Kabine. Dann holte er alle Utensilien, die er benötigte, und legte sie auf dem Metallregal bereit, das über einem Edelstahltisch angebracht war. Er seufzte. In dem knapp drei mal drei Meter großen Raum würde es eng werden, sobald er und Tracy sich gemeinsam darin befanden.
Eine Luftversorgungseinheit filterte alle Partikel heraus, die in den oder aus dem Sterilraum kamen. Aber es gab keine Möglichkeit, kühle Luft in den Raum zu pumpen. Sie mussten sich mit der altersschwachen Fensterbelüftung im Hauptlabor begnügen, die sie hoffentlich davor bewahren würde, sich wie in einem glühenden Backofen zu fühlen.
Gerade als Ben den Luftfilter einschaltete und die Tür der Glaskabine hinter sich schloss, erschien Mandy an der Tür.
„Es ist alles organisiert. Sergio hat meine Mom angerufen und gefragt, ob sie das Baby über Nacht nimmt. Er findet es zwar nicht gut, dass er nicht zur Arbeit gehen kann, aber er will auch nicht, dass ich hierbleibe.“
„Kann ich ihm nicht verdenken. Doch die gute Nachricht ist, du darfst nach Hause gehen.“ Er lächelte. „Richte Sergio aus, er kann froh sein, dass ich dich ihm noch nicht abspenstig gemacht habe.“
Mandy lachte. „Das hast du ihm selbst schon oft genug gesagt.“
Tracy wandte sich ab und ging etwas steif zu dem Metalltisch, den sie bereits gesäubert hatte, und fing an, ihn erneut zu reinigen. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt und sah keinen der beiden anderen an.
„Bringt der Wachmann dich nach Hause?“, fragte Ben.
„Sie schicken noch einen zweiten Polizisten. Er müsste gleich hier sein.“
„Gut.“ Er ließ Mandy im Vorraum warten, damit sie nicht in die Nähe der Proben kam. Dann kehrte er in die Kabine zurück, wo er die Isoliertasche in einen kleinen Kühlschrank stellte. Die Luft wurde allmählich stickig, doch Ben hatte schon häufig unter noch wesentlich schlimmeren Bedingungen gearbeitet. Genau wie Tracy.
An eine Situation erinnerte er sich besonders gut – ihre erste Begegnung. Tracy war von dem Klinikboot des Projeto Vida in das Dorf marschiert, das er gerade überprüfte, und hatte zu wissen verlangt, was er denn gegen den Malaria-Ausbruch dreißig Kilometer weiter flussabwärts unternehmen wollte. Ben war erschöpft gewesen, und sie hatte wie ein hinreißender Racheengel ausgesehen, dessen seidig-schwarzes Haar im Wind flog.
Es hatte kaum zwei Tage gedauert, bis sie zusammen im Bett gelandet waren.
Doch daran wollte er im Augenblick lieber nicht denken. Vor allem, da er versuchte, jeden Körperkontakt mit ihr zu vermeiden. Sie mochte vielleicht immun sein, aber er nicht.
Tracy warf ihr Papierhandtuch in den Eimer für Sondermüll, bevor sie zu Ben hinüberging. „Danke für deine Bereitschaft, mir zu helfen. Du hättest auch sagen können, dass ich mich zum Teufel scheren soll, und ich hätte es dir nicht übel genommen.“
„Ich bin ja nicht immer ein Unmensch.“
Erneut biss sie sich auf die Lippen. „Ich weiß. Und es tut mir sehr leid, dich da mit reinzuziehen, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Das Militär wollte nicht einmal zulassen, dass ich die Proben aus São João dos Rios mit rausnehme. Sie haben nur deshalb zugestimmt, weil du schon mit ihnen zusammengearbeitet hast. Trotzdem musste ich einen Wachposten mitbringen. Ich habe wirklich nicht geglaubt, dass irgendjemand außer uns davon betroffen wäre.“
„Ist ja nicht deine Schuld, Tracy.“ Ben wollte ihre Wange berühren, hielt sich jedoch zurück. „Die Regierung hat vermutlich recht, wenn sie das hier auf so engen Raum wie möglich beschränken will. Falls ich der Meinung wäre, dass auch nur die geringste Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr besteht, wäre ich der Erste, der sagen würde, dass Mandy bei uns im Labor bleiben muss.“ Lächelnd setzte er hinzu: „Aber wie ich dich kenne, hat keine einzige Mikrobe auf dieser Tasche überlebt, bevor du sie aus dem Dorf getragen hast.“
„Ich hoffe nicht. Es gibt dort mehrere Kranke, die auf Antworten von uns warten. Ich habe einen Kollegen zurückgelassen, um sicherzugehen, dass das Militär nicht voreilig handelt. Allerdings ist er kein Arzt, und seine Gesundheit möchte ich auch nicht riskieren.“ Sie seufzte. „Die Leute dort brauchen Hilfe. Aber ich kann nichts machen, bevor ich weiß, womit wir es zu tun haben.“
Und danach wäre sie wieder unterwegs zur nächsten Krise, so wie früher auch.
Sein Lächeln schwand. „Also ran an die Arbeit!“
Der Wachposten steckte den Kopf zur Tür herein. „Sie schicken jemanden für Ihre Freundin her. Sie muss zu Hause bleiben, bis die Gefahr vorbei ist.“
Ben nickte. „Vielen Dank.“
Als er zur Tür ging, um sich von Mandy zu verabschieden, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn. In ihren Augen standen Tränen. „Ich bin dir ja so dankbar. Ich kann mir nicht vorstellen, meine kleine Jenny heute nicht selbst ins Bett zu bringen. Aber wenigstens bin ich zu Hause näher bei ihr als hier.“
Sein Herz zog sich zusammen. Dieser Frau bedeutete ihr Baby alles. Sie brauchte nicht in irgendwelche entlegenen Gebiete zu fliegen, um in ihrem Leben Erfüllung zu finden. Im Gegensatz zu Bens Eltern. Oder Tracy.
„Wir werden so schnell arbeiten, wie es geht. Sobald Entwarnung ist, gib der Kleinen einen dicken Kuss von ihrem Onkel Ben.“
„Mach ich.“ Mit dem Daumen wischte sie ihm etwas Lippenstift von der Wange. „Sei vorsichtig, ja? Ich habe mich gerade erst an deine verrückte Art gewöhnt. Ich will nicht schon wieder jemand Neues anlernen.“
Er lachte, streifte einen Latexhandschuh ab und legte ihr die Hand auf die Schulter. „So schnell wirst du mich nicht los. Also geh und genieß deinen Miniurlaub. Du wirst früher in die alte Tretmühle zurückkommen, als dir lieb ist.“
Mandys Begleiter traf ein, und nachdem sie das Gebäude verlassen hatte, drehte Ben sich zu Tracy um. Sie betrachtete ihn prüfend.
„Was ist?“
Sie zuckte die Achseln. „Nichts. Ich bin bloß überrascht, dass du keine Frau gefunden hast, die begeistert wäre, zu Hause zu sitzen und dir all die vielen Kinder zu schenken, die du so gerne haben wolltest.“
„Das wäre unter den jetzigen Umständen unmöglich.“
„Ach ja?“ Sie zog die Brauen hoch. „Wieso das denn?“
Er lachte freudlos auf. „Musst du da wirklich fragen?“
„Ja.“
Er nahm ihre Hand und hielt sie hoch, sodass ihr Blick auf den schlichten Goldring unter dem Handschuh fiel. „Aus demselben Grund, aus dem du den hier noch trägst.“ Eindringlich schaute er ihr in die Augen. „Hast du es wirklich vergessen, Mrs. Almeida? Auch wenn du vielleicht deinen Ehenamen nicht mehr benutzt, sind wir vor dem Gesetz immer noch verheiratet.“
Tracy hatte gar nichts vergessen.
Und sie hatte auch vorgehabt, sich um die Scheidung zu kümmern. Aber im Ausland tätig zu sein machte alles sehr viel komplizierter. Zwei brasilianische Rechtsanwälte, die sie konsultiert hatte, hatten ihr erklärt, dass sie als amerikanische Staatsbürgerin in die USA zurückkehren und die Scheidung dort einreichen sollte, da Ben und sie in New York geheiratet hatten. Doch sie wollte ihn unter keinen Umständen fragen, ob er sie begleiten würde. Damals hätte sie seine Nähe auch gar nicht ertragen, denn sie war noch zu aufgewühlt gewesen von allem, was in dem Monat geschehen war, bevor sie Teresina und damit Ben für immer verlassen hatte.
Danach hatte sie sich mit aller Kraft in ihre Arbeit gestürzt und war viel zu sehr mit dem Klinikboot ihrer Hilfsorganisation beschäftigt gewesen, um die Sache in die Wege zu leiten. Außerdem war der Ehering nützlich dafür, Männer abzuschrecken, die ihr zu nahekamen. Auch wenn es davon nicht gerade viele gab. Ihre Rühr-mich-nicht-an-Ausstrahlung war offensichtlich mehr als deutlich. Tracy hatte nicht die Absicht, je wieder zu heiraten, deshalb fand sie es leichter, es einfach dabei zu belassen. Nur zu dumm, dass sie vergessen hatte, ihren Ring abzunehmen, bevor sie Ben um Hilfe gebeten hatte.
In diesem Moment merkte sie, dass er noch immer auf eine Antwort von ihr wartete, und hob das Kinn. „Wir sind nicht mehr verheiratet, das kann man beim besten Willen nicht mehr behaupten. Dafür hast du schon gesorgt.“
„Klar.“ Er holte noch einige Utensilien zusammen, die er brauchte.
Unwillkürlich strich Tracy mit dem Daumen über den Ring. Irgendwie wirkte das beruhigend auf sie.
Während sie Ben beim Arbeiten beobachtete, war sie erstaunt über die feinen grauen Strähnen in seinem dichten braunen Haar. Aber schließlich war er achtunddreißig, und sie hatte ihn vier Jahre lang nicht gesehen. Da waren Veränderungen unvermeidlich. Was sich jedoch nicht verändert hatte, waren seine strahlend blauen Augen, die er von seiner amerikanischen Mutter geerbt hatte. Sie bildeten den perfekten Gegensatz zu seiner gebräunten Haut, den hohen Wangenknochen und der geraden, aristokratischen Nase, die er wiederum seinem brasilianischen Vater zu verdanken hatte. Außerdem hatte er nichts von seiner intensiven Konzentrationsfähigkeit verloren, die sie früher als so einschüchternd empfunden hatte.
Und unwiderstehlich.
Reiß dich zusammen, Tracy!
Sie zog die Schutzkleidung inklusive der Überschuhe an, die Ben für sie bereitgelegt hatte. Dann betrat sie die Glaskabine, wo er alles Nötige für die Untersuchung aufbaute.
„Mach bitte die Tür zu, damit ich sie versiegeln kann.“
„Versiegeln?“ Tracy musste schlucken, befolgte jedoch seine Bitte.
„Bloß hiermit.“ Er hielt eine Rolle transparentes Klebeband hoch. „Ist deine Klaustrophobie ein Problem?“
Das Gefühl, gefangen zu sein, löste bei ihr schnell Panik aus. Sie schaute zum Ausgang. „Solange ich weiß, dass dort gleich eine Tür ist, müsste das gehen. Die Glaswände sind eine große Hilfe.“
„Gut.“ Ben verklebte die Türränder, bevor er die Isoliertasche aus dem Kühlschrank holte und die Etiketten auf den Teströhrchen darin betrachtete. Er nahm zwei heraus und stellte den Rest wieder kühl.
„Was soll ich tun?“, fragte Tracy.
„Objektträger vorbereiten.“ Er drehte das eine Röhrchen zur Seite und las vor: „Daniel, männlich, zwölf Jahre.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Er lebt?“
„Ja.“ Es gab ihr einen Stich ins Herz, wenn sie an den Jungen dachte, der sie mit so großen, ängstlichen Augen angeschaut hatte. Doch zumindest lebte er. So wie seine kleine Schwester Cleo. Ihre Mutter hatte nicht so viel Glück gehabt. Deren Leiche war eine der ersten gewesen, die gefunden wurden. „Fiebrig. Keine sichtbaren Hautverletzungen.“
„Irgendwelche Anzeichen für eine Lungenentzündung?“
„Noch nicht. Deshalb erschien es uns auch so merkwürdig. Die meisten Toten hatten zuvor bei ihren Angehörigen über Husten in Verbindung mit Fieber und Abgeschlagenheit geklagt.“
„Eine vergrößerte Leber bei den Toten?“
„Keine Autopsien, schon vergessen? Das Militär hat alles vernichtet.“ Ihre Stimme klang brüchig.
Ben legte seine behandschuhte Hand auf ihre. Selbst durch zwei Latexschichten hindurch fühlte Tracy sich durch die vertraute Wärme seiner Berührung auf eine Weise getröstet, wie niemand anders es je konnte. „Bereite erst mal die Objektträger vor, ich kümmere mich um die Zentrifuge.“
Froh, sich von der Erinnerung an die schreckliche Szene ablenken zu können, in die sie und Pedro in São João dos Rios geraten waren, nahm sie mehrere saubere Objektträger aus einer Schachtel und verteilte sie auf dem Tisch. Nachdem sie vorsichtig ein Wattestäbchen von Ben entgegengenommen hatte, strich sie eine dünne Schicht der Probe auf die glatte Glasoberfläche. „Wonach suchst du?“
„Nach allem.“ Sein Kiefer wirkte angespannt, als hätte er bereits eine Theorie. „Du musst den Ausstrich auf dem Objektträger noch durch Wärme fixieren.“
Er zündete einen kleinen Brenner an und zeigte ihr, wie sie das Glasplättchen über die Flamme halten sollte, um die Probe darauf zu fixieren.
Als sich jemand an der äußeren Tür räusperte, blickten beide auf. Der Wachposten rief: „Ihre Assistentin ist gut zu Hause angekommen.“
Ben hielt einen Daumen hoch. „Danke.“
Bei der Erwähnung seiner Assistentin versteifte Tracy sich unwillkürlich, obwohl das vollkommen lächerlich war. Ja, die Frau hatte ihn geküsst, aber Brasilianer küssten jeden. Das gehörte einfach dazu. Außerdem hatte sie eine Familie. Ein kleines Kind.
Tracy hatte einen Kloß im Hals. Ben hatte sich sehnlichst Kinder gewünscht, genau wie sie auch. Als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, hatten sie sich beide wahnsinnig gefreut. Bis sie eine niederschmetternde Nachricht erhielt, die ihr einen Schock versetzte. Daraufhin hatte sie sich einmal mehr in die Arbeit gestürzt und Ben dadurch sehr verärgert. Sie hatte eben Zeit gebraucht, um zu überlegen, wie sie es ihm sagen sollte.
Doch das hatte sich mit einem Schlag geändert, nachdem er das Militär geschickt hatte, um sie aus einem Dorf mit einem Gelbfieber-Ausbruch herauszuholen. Sie hatte gewusst, dass er sie und das Baby schützen wollte. Allerdings nicht vor der Krankheit, da sie im Jahr zuvor bereits dagegen geimpft worden war. Vielmehr wollte er sie nicht außer Sichtweite lassen. Aber Tracy hatte keinen Schutz gebraucht. Die Arbeit diente ihr als Rettungsanker in einer Zeit voller Aufruhr und Verwirrung. Seine Einmischung hatte ihr Vertrauen zu ihm erschüttert, und eine Woche später hatte sie eine Fehlgeburt erlitten. Die Kluft, die sich aufgrund ihrer Meinungsverschiedenheiten über den Militäreinsatz zwischen ihnen gebildet hatte, war immer größer geworden. Wütend hatten sie einander nur noch Vorwürfe gemacht.
Also hatte Tracy schließlich beschlossen, ihr Geheimnis für sich zu behalten. Ben davon zu erzählen hätte ohnehin keinen Unterschied mehr gemacht, da sie sich schon dazu entschieden hatte, ihn zu verlassen.
Auch jetzt noch stand die Arbeit bei ihr an oberster Stelle, und sie ermahnte sich dazu, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
Sie steckte ein langes Wattestäbchen in ein weiteres Probenröhrchen, strich eine dünne Schicht auf den zweiten Objektträger und fixierte die Probe über der Flamme. „Soll ich es noch einfärben?“
„Lass uns erst mal schauen, was wir da haben.“
„Am Haus eines der Todesopfer waren Schweine in einem Pferch. Könnte es vielleicht Leptospirose sein?“
„Schon möglich.“ Ben schaltete das Mikroskoplicht ein. „Falls ich auf den Objektträgern nichts erkennen kann, müssen wir Kulturen anlegen. Dabei zeigt sich Lepto auf jeden Fall.“
Obwohl er es nicht aussprach, war ihnen beiden bewusst, dass Kulturen mehrere Tage benötigten, um zu wachsen.
Tracy warf einen nervösen Blick in den Vorraum, wo der Wachposten lässig und gut sichtbar auf einem weißen Plastikstuhl saß. Er schien einen Zahnstocher zwischen seinen Fingern hin und her zu drehen. Im Moment war seine Aufmerksamkeit nicht auf das Labor gerichtet. Und er war weit genug entfernt, dass er leise Stimmen wohl nicht durch die Glaswand hören konnte.
„Das könnte schwierig werden“, meinte Tracy.
Ben sah sie fragend an. „Inwiefern?“
„Ich habe der Militärpolizei gesagt, dass du heute noch ein Ergebnis vorlegen kannst.“
„Was?!“ Empört umklammerte er die Tischkante. „Das war unverantwortlich!“
„Ich weiß, ich weiß. Aber ich hatte keine andere Wahl. Entweder das, oder ich hätte São João dos Rios mit leeren Händen verlassen müssen.“
Flüchtig schloss er die Augen, bevor er sie wieder ansah. „Du schleppst also immer noch diesen Erlöser-Komplex mit dir herum, oder? Bist du es nicht allmählich satt, immer diejenige zu sein, die als Retterin auftaucht?“
„Ich dachte, das wäre deine Rolle. Die Kontrolle zu übernehmen, auch wenn es nicht deine Entscheidung ist.“ Tracy warf den Kopf zurück. „Wenn du ausnahmsweise mal nicht an dich selbst denken würdest …“ Sie unterbrach sich. „Entschuldige, das war unangebracht.“
„Allerdings.“ Er nahm ihr das Glasplättchen ab und legte es mit einem hörbaren Geräusch auf den Metalltisch.
Sofort sprang der Wachposten auf. „O que foi?“
Ben zeigte ihm den Objektträger. „Tut mir leid, ist mir aus der Hand gerutscht“, antwortete er ruhig.
Der Wachposten verdrehte die Augen und entspannte sich. „Ich gehe in die Cafeteria. Soll ich Ihnen was mitbringen?“
„Nein, danke“, erwiderte Tracy.
„Für mich auch nicht, vielen Dank“, sagte Ben.
Der Wachposten zuckte die Achseln, bevor er die Vordertür überprüfte. Er zog den altmodischen Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn an der Außenseite wieder hinein.
Er wollte sie einschließen!
„Nein, warten Sie!“, rief Tracy.
„Sorry, ich habe meine Befehle. Keiner von Ihnen verlässt das Labor, bevor diese Proben vernichtet sind.“
Sie wollte weiter protestieren, doch Ben berührte sie an der Schulter. „Nicht!“, warnte er gedämpft.
Hilflos sah sie, wie die Tür zugeschlagen und der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Das bekannte Panikgefühl kroch ihr den Rücken hinauf. „Was ist, wenn er nicht wieder zurückkommt und wir in der Falle sitzen?“
Ben streifte einen seiner Handschuhe ab und griff in seine Kitteltasche. „Ich habe einen Ersatzschlüssel. Ich weiß ja, dass du nicht gern eingesperrt bist.“
Erleichtert ließ Tracy die Schultern sinken, und ihr Lachen klang etwas zittrig. „Das hast du am eigenen Leib erfahren, stimmt’s?“
In ihr stieg das Bild von Ben auf, wie er ihr im Bett einmal spielerisch die Hände über dem Kopf festgehalten hatte. Zuerst hatte ihr dieses Liebesspiel noch Spaß gemacht, doch plötzlich war sie von Panik erfasst worden. Obwohl sie gewusst hatte, dass es sich um ein irrationales Gefühl handelte, hatte sie ernsthaft gegen ihn angekämpft.
Sie war nicht einmal mehr imstande gewesen, etwas zu sagen, weil sie sich vollkommen erstarrt fühlte. Erst als es ihr gelang, eine Hand aus seinem Griff zu befreien, und sie ihm mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte, hatte Ben begriffen, dass es für sie kein Spiel mehr war. Er fuhr zurück, während Tracy schwer atmend dalag und vor Erleichterung in Tränen ausbrach. Als er schließlich begriff, was los war, hatte er sie liebevoll in die Arme genommen und ihr gesagt, wie leid es ihm tat. Von diesem Moment an hatte er sorgfältig darauf geachtet, alles zu vermeiden, was in ihr ein Gefühl des Gefangenseins hätte auslösen können.
Vielleicht etwas zu sehr.
Der Sex war weniger intensiv und viel kontrollierter geworden. Dabei hatte Bens Art, das Kommando im Schlafzimmer zu übernehmen, Tracy immer sehr angetörnt. Auch wenn sie seine Rücksichtnahme zu schätzen wusste, fand sie es schade, dass dadurch die Leidenschaft zwischen ihnen verloren gegangen war.
Später, als Ben während ihrer Schwangerschaft versuchte, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, hatte sie ein ähnliches Gefühl gehabt, ersticken zu müssen. Damals hatte sie sich genauso gewehrt. Diese Verletzungen waren zwar unsichtbar gewesen, hatten ihrer Ehe jedoch großen Schaden zugefügt.
Lächelnd berührte er seine Wange. „Es sind keine dauerhaften Narben zurückgeblieben.“
„Ich habe mich deshalb immer schrecklich gefühlt“, gestand Tracy.
„Ich hätte merken sollen, dass du Angst hattest.“
„Das konntest du ja nicht wissen.“
Er zog einen frischen Handschuh an, um den Objektträger aufzuheben, den er auf die Tischplatte geknallt hatte, und ihn auf mögliche Risse hin zu untersuchen. Ohne Tracy anzusehen, meinte er: „Du siehst müde aus. Ich habe eine Klappliege in die Ecke gestellt, falls wir abwechselnd schlafen müssen. So wie ich dich kenne, hast du letzte Nacht vermutlich nicht viel Schlaf gekriegt.“
„Mir geht es gut.“ Tracy war tatsächlich erschöpft, aber das hätte sie ihm gegenüber nie zugegeben. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass ihr Herz bei seinem fürsorglichen Ton auf einmal höherschlug. „Mir ist bloß warm hier drin.“
„Ich weiß. Die Klimaanlage im Labor ist uralt, und der Filter lässt von der Kühlung kaum etwas durch.“
Ein kleines Rinnsal von Schweiß rieselte ihr den Rücken hinunter. „Ist schon okay.“
Ben legte den Objektträger unter das Mikroskop und betrachtete den Ausstrich. „Wie alt sind die Proben?“
„Nur etwa zwei Stunden.“
Während er durch das Objektiv blickte, stieß er einen leisen Fluch aus. Offenbar sah er dort etwas, was ihm nicht gefiel. Dann nahm er das zweite Glasplättchen und wiederholte den Vorgang. Dabei drehte er mehrmals an der Feineinstellung. Schließlich richtete er sich auf, wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß rund um die Augen ab und schaute noch einmal durch das Mikroskop.
„Was ist es denn?“, fragte Tracy besorgt.
Ben hob den Kopf und sah sie an. „Falls ich mich nicht täusche, ist es die Lungenpest.“ Mit einem Blick auf das Glasröhrchen in ihrer Hand fügte er hinzu: „Und wenn du die Proben entnommen hast, warst du dem Erreger ausgesetzt.“
Tracy musste schlucken. „Bist du sicher?“
„Hier.“ Ben rückte zur Seite, damit sie den Objektträger selbst betrachten konnte.
Sie blickte durch das Okular. „Wonach soll ich schauen?“
„Siehst du die kleinen Pünktchen, die Ketten bilden?“
„Ja.“ Davon gab es mehrere.
„Damit haben wir es zu tun. Ich will noch eine weitere Probe untersuchen und für alle Fälle eine Kultur anlegen, aber ich bin mir ziemlich sicher. Es handelt sich um Yersinia pestis, dasselbe Bakterium, das auch die Beulenpest verursacht. Ich erkenne die Form.“ Um sich zu entspannen, rollte er die Schultern hin und her. „Die Beulenpest wird normalerweise durch Flohbisse von infizierten Ratten verursacht. Aber wenn der Erreger in die Lunge eines Menschen vordringt, wird er noch tödlicher, da er sich sehr schnell über Tröpfcheninfektion durch Husten oder Körperflüssigkeiten ausbreitet. Wenn das geschieht, braucht die Krankheit keine Flöhe mehr. Du musst sofort eine starke Dosis Streptomycin einnehmen.“
„Und was ist mit dir?“
„Ich werde es auch nehmen, allerdings bloß als Vorsichtsmaßnahme.“ Er träufelte eine Farblösung auf einen weiteren Objektträger. „Die meisten Leute hier im Labor sind gegen die Pest geimpft. Auch Mandy. Aber du wahrscheinlich nicht, oder?“
„Nein. Und das heißt … Oh, Gott.“ Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, weil eine Welle der Übelkeit in ihr aufstieg. „Das Dorf. Ich muss sofort dahin zurück. Sie sind alle mit dem Erreger in Berührung gekommen. Genau wie Pedro.“
„Pedro?“
„Mein Assistent.“
In dem Augenblick, als Ben den Objektträger unters Mikroskop legte, wurde die äußere Tür geöffnet. Der Wachposten kam in den Laborraum und musterte Tracy eindringlich, sodass sie sich gerade hinsetzte.
„Problema?“ Statt eines Mittagessens hielt er lediglich eine Tasse Kaffee in der Hand.
Tracy spürte, wie Ben an ihrem Kittel zog. Die Warnung war unmissverständlich. Sag nichts, bevor ich es noch mal überprüft habe. Das überraschte sie, weil er immer ein gutes Verhältnis zum Militär gepflegt hatte.
Ben legte einen der Objektträger auf den Tisch. „Wir müssen erst noch ein paar Untersuchungen durchführen, bevor wir eine sichere Aussage machen können.“
„Nicht nötig. Unsere Ärzte haben die Infektion erkannt und werden entsprechende Maßnahmen ergreifen, um sie einzudämmen“, gab der Polizist zurück.
Herausfordernd hob Tracy die Brauen. „Und um welche Erkrankung handelt es sich?“
„Das darf ich nicht sagen. Aber mein Kommandeur möchte telefonisch mit Dr. Almeida sprechen.“ Er warf ihr einen betonten Blick zu. „Allein.“
Sie fröstelte.
Was wäre, wenn die Regierungsärzte zu einem anderen Schluss gekommen waren als Ben? Dann würden noch mehr Menschen sterben.
Tracy hatte ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Schwester verloren. Obwohl die Krankheit ihrer Schwester nicht durch einen Gendefekt verursacht worden war. Der schlimmste Verlust war jedoch ihr ungeborenes Baby gewesen.
Alle waren viel zu früh gestorben. Und sie hatte beschlossen, keine Sekunde ihres Daseins mehr zu verschwenden. Deshalb hatte sie sich mit einer Vehemenz in ihr Leben hineingestürzt, die andere nicht nachvollziehen konnten. Dazu gehörte auch Ben.
Ein genetischer Code war zwar nicht in Stein gemeißelt, doch die möglichen tödlichen Folgen stellten eine ständige Bedrohung dar. So wie die Entscheidung, die sie vermutlich eines Tages treffen musste. Aber bis dahin war Tracy wild entschlossen, den Menschen in ihrem Umfeld mit aller Kraft zu helfen.
Oder vielleicht rennst du ja auch einfach bloß weg.
Schnell schob sie den Gedanken beiseite. „Warum will er allein mit Dr. Almeida sprechen?“
„Das darf ich nicht sagen.“ Der Wachposten deutete auf die Isoliertasche. „Diese Proben da müssen vernichtet werden.“
„Wir kümmern uns darum.“ Bens Stimme klang ruhig und gelassen.
Seine Unerschütterlichkeit machte Tracy jetzt genauso verrückt wie bei ihrem letzten großen Krach.
Das war einfach seine Art. In Brasilien aufgewachsen, war er mehr Brasilianer als Amerikaner.
Als Ben das Klebeband von der Tür entfernte und seine Hände desinfizierte, bevor er mit dem Wachposten zusammen in den Vorraum ging, blieb Tracy im Labor zurück und stieß einen Seufzer aus. Sie wusste nie, was er dachte. Auch in ihrer Ehe war er in vielen Dingen sehr verschlossen gewesen. Dennoch hatte sie bei ihm eine Sehnsucht nach dem gespürt, was er als Kind nie gekannt hatte: den engen Zusammenhalt einer Familie.
Selbst jetzt noch schmerzte es sie, dass sie nicht imstande gewesen war, ihm das zu geben. Und weil sie sich sowohl durch den Verlust ihres Kindes als auch durch die Zeitbombe, die in ihr tickte, dazu getrieben fühlte, immer härter zu arbeiten, war sie mehr und mehr zu dem geworden, was Ben an seinen Eltern verachtete.
Tracys Schwester war gestorben, ohne zu wissen, ob sie den Gendefekt in sich trug oder nicht. Nicht der Krebs hatte Vickie das Leben gekostet, sondern das Denguefieber. Eine Krankheit, die in Brasilien häufig auftrat. Als sie starb, war sie schwanger gewesen. Ihr Mann war am Boden zerstört gewesen, weil er sie und das Baby verloren hatte. Aber wenigstens hatte Vickie sich nicht die quälende Frage stellen müssen, ob sie ihrem Kind ein Krebsgen vererbt hatte.
Trotz ihrer großen Angst während der Schwangerschaft hatte Tracy ihrem ungeborenen Kind niemals einen Schaden zufügen wollen. Dennoch hatte sie das Baby verloren.
Tränen schossen ihr in die Augen, und es dauerte einen Moment, bis sie diese schmerzlichen Gedanken abschütteln konnte. Dann merkte sie, dass Ben und der Polizist in den Laborraum zurückgekehrt waren und sie mit einem merkwürdigen Blick ansahen.
„Was ist?“, fragte sie.
Ben musterte sie prüfend. „Ich muss nach São João dos Rios fahren. Soll ich dich dann auch gleich zum Flughafen bringen?“
„Wie bitte?“ Auf gar keinen Fall! Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich fahre mit.“
Er und der Wachposten sprachen gleichzeitig, sodass Tracy nur die Hälfte mitbekam. Aber genug, um zu verstehen, dass man zwar Ben eingeladen hatte, in das Dorf zu fahren, sie jedoch nicht.
Sie war empört. „Ich habe die Proben genommen. Ich war schon dort.“
„Und hast dich damit dem Pesterreger ausgesetzt“, entgegnete er.
„Genau.“ Sie ließ die Arme sinken. „Ich bin bereits betroffen. Und außerdem bin ich Ärztin, Ben. Mein Leben lang habe ich solche Krankheitsausbrüche bekämpft. Ich sollte auch dort sein.“
Sein Tonfall wirkte kühl. „Diesmal liegt es nicht an mir.“
„Im Gegensatz zu damals, als du mir deine Handlanger auf den Hals geschickt hast, um mich aus dem Dorf wegzujagen?“, fauchte sie erbost. „Mein Assistent befindet sich noch in São João dos Rios. Ich werde ihn dort nicht allein lassen.“ Sie marschierte an ihm vorbei, um sich vor dem Wachposten aufzubauen. „Ich möchte mit Ihren Vorgesetzten reden.“
Ungläubig blinzelte der Mann. Er konnte es nicht fassen, dass sie sich über die Befehle hinwegsetzen wollte, die er erhalten hatte. „Ich fürchte, das ist nicht möglich …“
Ben packte ihren Oberarm und hielt sie fest. „Lassen Sie mich kurz mit ihr sprechen.“
Er schleppte sie mehr oder weniger in die gegenüberliegende Ecke des Raums, wo er sie mit versteinerter Miene ansah. „Was soll das?“
„Das habe ich doch schon gesagt. Ich mache nur meinen Job.“
„Die Leute vom Militär wollen die Sache auf ihre Weise erledigen. Sie werden hingehen, alle Leute behandeln, denen es noch nicht zu schlecht geht, und dann dafür sorgen, dass sich der Erreger von São João dos Rios nicht weiter ausbreitet.“
„Denen es noch nicht zu schlecht geht? Mein Gott, wie redest du denn? Hier geht es um Menschenleben. Um Kinder wie Daniel und Cleo, die jetzt Waisen sind. Sie haben es verdient, dass jemand um sie kämpft.“
„Denkst du etwa, mir sind diese Kinder gleichgültig? Ich war derjenige, der wollte, dass du dich während deiner Schwangerschaft mehr schonst.“ Er hielt kurz inne und fuhr dann mit gesenkter Stimme fort: „Mir liegen diese Dorfbewohner genauso am Herzen wie dir.“
Er hatte recht. Nachdem Tracy das Ergebnis ihres Gentests erhalten hatte, hatte sie sich so intensiv in die Arbeit gestürzt wie nie zuvor. Aber darüber wollte sie jetzt nicht weiter nachdenken.
„Lass mich mitfahren.“ Sie befreite sich aus seinem Griff. „Bitte! Auf dich hören diese Typen, das weiß ich. Ruf den Kommandeur an, und sag ihm, dass du mich brauchst.“
Ben strich sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte dann den Kopf. „Ich bitte dich darum zu gehen, Tracy. Nur dieses eine Mal. Du hast keine Ahnung, wie schlimm die Dinge noch werden können, bis die Sache vorbei ist.“