Islam und Christentum:
der große Gegensatz
IMPRESSUM:
Wilfried Westphal, Heiliger Krieg und Frohe Botschaft
© 2015 Lindenbaum Verlag GmbH, 56290 Beltheim-Schnellbach
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E-Mail: lindenbaum-verlag@web.de
Druck: Eigendruck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-938176-55-9
eISBN: 978-3-938176-66-5
…gehet hin und lehret alle Völker
und taufet sie im Namen des Vaters
und des Sohnes und des heilgen Geistes
Jesus
Mir wurde aufgetragen, alle Männer
so lange zu bekämpfen, bis sie sagen:
„Es gibt keinen Gott außer Allah.“
Mohammed
Auf heiligem Boden
Erster Teil: Das Wort und das Schwert
Der Messias
Die Apostel
Die Missionare
Der Prophet
Die Eroberer
Die Herrscher
Zweiter Teil: Bibel und Koran
Gottesfriede
Sklavenstaat
Dritter Teil: Gläubige und Ungläubige
Reconquista
Jerusalem
An denkwürdigem Ort
Anhang
Nachweis der Zitate und Anmerkungen
Ergänzende Literatur
Glossar
Vergleichende Zeittafel
Personen- und Sachregister
Karten
Vorsatz: Verbreitung des Christentums am Vorabend der islamischen Expansion
Hintersatz: Verbreitung des Islam am Ende der Abbasidenherrschaft
Es war an einem Sonntag. Für diesen Tag hatte ich mir eine besondere Sehenswürdigkeit aufgehoben. Ich wußte freilich nicht, ob meine Erwartungen erfüllt werden würden. Aber allein schon der Weg stimmte mich auf ein besonderes Erlebnis ein. Denn er führte aus der Stadt heraus, vorbei an einem Hügel, auf dem – wie ich wußte – eine Kirche, eine Kathedrale, thronte. Man hatte sie nach dem heiligen Ludwig benannt, jenem französischen König, der das Kreuz genommen hatte und an diesem Ort, wo einst ein weiterer Heiliger, der Kirchenvater Augustinus gewirkt hatte, zu Tode gekommen war. Die Pest hatte den König hinweggerafft. Das war im Jahre 1270 gewesen.
Der Weg führte weiter, in eine unbewohnte Gegend. Bäume und Gestrüpp säumten den Weg; die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel herab. Der Boden war ausgedörrt und das Blätterwerk welk. Die Hitze der Tropen lastete auf der Landschaft, die verlassen und seltsam feierlich wirkte. Dabei war dies schon seit langer Zeit kein christliches Land mehr. Das Kloster, das einst zu der Kirche auf dem Hügel gehört hatte, war heute ein Museum.
Ich überquerte eine Straße und fand mich plötzlich von einem Hain umgeben. Dies, so hatte ich dem Reiseführer entnommen, war das Ziel meines Ausfluges. Vor mir öffnete sich eine schluchtartige Vertiefung. Als ich nähertrat, erkannte ich die Konturen einer Arena, eines Theaters, einer jener gewaltigen Anlagen, die einst das Wahrzeichen einer römischen Stadt gewesen waren. Die Anlage war stark beschädigt; die Ruinen der Antike, die sich in dieser Gegend häuften, hatten als willkommene Steinbrüche herhalten müssen. Die arabischen Eroberer hatten sich freimütig bedient.
Ich kletterte über Geröll in die Arena hinab und stand schließlich am Grund, wo ich Verliese und Gelasse gewahrte, die unverkennbar darauf verwiesen, was die eigentliche Bedeutung dieser Arena gewesen war. Ich schaute empor auf die Ränge, die Reihen von Steinblöcken, die noch erhalten waren, und vergegenwärtigte mir, daß hier einst 50 000 Schaulustige Platz gefunden hatten. Darüber hatte mich der Reiseführer aufgeklärt. Was er verschwiegen hatte, erahnte ich nur, erschaudernd und betroffen. Ich verweilte einen Augenblick, in Gedanken versunken, und obwohl Stille mich umgab – ich war, ein Glück, das einem eher selten widerfährt, der einzige Besucher –, vermeinte ich Stimmen zu hören. Gebrüll und Fauchen. Dann, Schreie der Angst und des Schrekkens, und das Gejohle der Menge.
Ich kletterte zum hinteren Rand der Arena hinauf, fand einen Platz, unter einem Baum, wo ich mich setzte und den Blick über das Amphitheater schweifen ließ. In solchen Theatern hatten einst Kampfspiele stattgefunden, waren Gladiatoren aufgetreten und wilde Tiere auf Menschen losgelassen worden. Zur Belustigung des Volkes.
Ich differenzierte nicht. Wenigstens dachte ich nicht unbedingt an Christen. Jene, die den Verfolgungen zum Opfer fielen. Ich erahnte es aber wohl doch, was ich dann später herausfand. An diesem Ort waren unzählige Christen gestorben. Besonders von einer jungen Frau wird berichtet. Perpetua war ihr Name. Sie entstammte einer aristokratischen Familie. Gegen den Willen ihres Vaters – wie auch ihres Ehemannes – bekannte sie sich zur neuen Lehre, die da von einem Heiland kündete, der die Welt erlösen würde. Sie wurde aufgegriffen und zusammen mit ihrem Söhnchen, das sie noch nährte, in die Arena getrieben, wie auch andere, die sich zu dem neuen Glauben bekannten, und dort erlitten alle einen gewaltsamen Tod. Perpetua wurde den Huftritten einer Kuh ausgesetzt, ehe man ihr einen tödlichen Stoß versetzte. Es war das Jahr 203 nach der Zeitenwende.
Noch in Gedanken versunken, trat ich schließlich den Rückweg an. Nach Karthago, das heute freilich „Carthage“ heißt. Denn inzwischen ist die Geschichte über diesen Ort hinweggegangen; Carthage ist heute ein Vorort von Tunis, berühmt zwar wegen seiner Ruinen, die vor allem aus römischer Zeit stammen, bis vor kurzem auch geschätzt als ein Refugium der Wohlhabenden und Mächtigen, die hier ihre Villen errichtet hatten, aber Karthago als eigenständige Stadt existiert nicht mehr. Es hat seine historische Bedeutung verloren.
Tunis ist an die Stelle Karthagos getreten und heute die Hauptstadt eines Landes, das zur islamischen Welt gehört. Die Altstadt von Tunis ist orientalisch geprägt, mit Moscheen, winkligen Gassen, den Souks, und vergitterten Fenstern, die an die Geschichten von „Tausendundeiner Nacht“ erinnern. Auch ein Sklavenmarkt ist zu besichtigen; wenigstens wird einem der Ort, wo einst Sklaven zum Kauf angeboten wurden, begierig gezeigt. Touristen lassen für so etwas besonders viel springen.
Es gibt auch in Tunis, in der Altstadt, ruhige, beschauliche Winkel, und wenn man das Glück hat, sie allein und ungestört zu durchwandern, dann findet man auch hier eine Welt, die den Betrachter verzaubert und in ferne Zeiten entführt. Und er erkennt auch hier, daß die Religion alles durchdringt, eine magische Kraft von ihr ausgeht, der man sich nur schwer entziehen kann. Denn sie manifestiert sich in allem, in jedem Lebensbereich, durchdringt die Kunst und den Alltag, in einer Weise, wie es einst auch das Christentum tat. Man fragt sich, wenn man das Geschaute und Erlebte zu ordnen versucht, was tatsächlich das Wesen dieser beiden Religionen ist, die sich immer wieder eng berührten und doch ihre eigenen, oft einander feindlich gesinnten Wege gingen. Geht man zu den Anfängen zurück, so zeigt sich zum einen das Verbindende, zum anderen aber auch der große Unterschied, der das Christentum und den Islam voneinander trennt. Jede der beiden Religionen für sich hat man bis in alle Einzelheiten erforscht. Sie jedoch gemeinsam zu betrachten, die Mühe macht man sich nicht. Christliche Theologie und Islamwissenschaft sind ein Paar verschiedener Schuhe; die einen kümmert nicht, was die anderen treiben und umgekehrt. Also redet man aneinander vorbei und leistet Mißverständnis und Antagonismus Vorschub. Dabei liegt es auf der Hand, sich einmal Gedanken zu machen, was die beiden großen Religionen – mit 2,2 beziehungsweise 1,3 Milliarden Anhängern stellen Christentum und Islam die beiden größten Religionen dar – gemein haben, aber auch trennt. Gemein ist ihnen ihre Herkunft, womit nicht nur ein geographischer Ort, der Orient, gemeint ist. Das Trennende wird gern übersehen, denn es betrifft etwas Essentielles: nicht nur die Botschaft, den Kern der Religion, sondern auch ihre Entstehung und Verbreitung. Das Christentum, immerhin in einer Pionierfunktion, ist seinem Wesen nach eine missionarische Religion. Der Islam ist in seinen Grundzügen imperialistisch ausgerichtet. Ohne die Eroberungen, die im Zeichen des Islam erfolgten, hätte der Islam nicht die Bedeutung erlangt, die ihm schließlich zuteil wurde. Der nomadische Charakter der Araber bedingte eine militante Expansion, die ebenso auf Beute wie auf die Verbreitung des Glaubens angelegt war. Wobei der Glaube – entgegen dem, was man gemeinhin als gesichert ansieht – durchaus nicht immer im Vordergrund stand.
Das war im Christentum gänzlich anders. Die Lehre, die Jesus verkündet hatte, wurde auf friedlichem Wege verbreitet. Ja, um des Glaubens willen wurden Christen zu Märtyrern. Vibia Perpetua, jene junge Karthagerin, die für ihren Glauben in den Tod ging, ist nur ein, wenn auch ein herausragendes Beispiel für die Bereitschaft der frühen Christen, ohne selbst die Hand zu erheben, Gewalt über sich ergehen zu lassen, um ihre innere Überzeugung nicht aufkündigen zu müssen. Ein vergleichbares Phänomen hat es im Islam nicht gegeben. Muslime starben für ihren Glauben, aber immer mit dem Schwert in der Hand. Als Eroberer oder – als die Christen, um der neuen Herausforderung zu begegnen, sich zur Wehr setzten – als Verteidiger eroberten Landes, das ihnen rechtmäßig gar nicht zustand. Wie in Spanien, aber auch in all den anderen Weltgegenden, bis hin nach Indien, die die Muslime mit Waffengewalt unter ihre Herrschaft gebracht hatten.
Entstehung und Ausbreitung der beiden Religionen, Christentum und Islam, gilt es zunächst zu untersuchen. Darauf folgt eine nähere Betrachtung von Botschaft und Wirkung. Schließlich wird darauf einzugehen sein, wie ein Wandel in der Ausrichtung der Religionen eintrat; hier, im Christentum, zur Militanz, dort, im Islam, zu einem eher defensiven Charakter. Auch wenn die Türken noch im 16. Jahrhundert vor Wien erschienen. Die Kreuzzüge stehen für das Ende einer Ära, die durch das Aufkommen und die Etablierung zweier Religionen gekennzeichnet ist, die ein Jahrtausend lang die Geschichte in einem Kerngebiet der Welt, das immerhin – neben Europa – auch große Teile Asiens und Afrikas umfaßte, geprägt haben. Für die Gegenwart hat eine Klärung der Vergangenheit immer dann Sinn, wenn Probleme, die anstehen, durch einen Blick zurück schärfere Konturen gewinnen. „Dschihad“, der Kampfruf der Muslime, ist – wie man weiß – auch heute wieder aktuell, und die einzigen Märtyrer, die der Islam je hervorgebracht hat, treten heute in der Gestalt von Selbstmordattentätern auf. Sie agieren im Zeichen der Religion. Das Christentum hingegen hat seine Militanz inzwischen längst wieder abgelegt. Den Feldzügen im Irak und in Afghanistan zum Trotz, die nicht im Zeichen des Glaubens geführt wurden. Dazu ist dem Westen das Christentum inzwischen zu sehr abhandengekommen. Da kann es nicht schaden, sich mal auf den Anfang zu besinnen, sich neu zu orientieren und dem Leben, das in Banalität abzugleiten droht, einen neuen Sinn abzugewinnen. Auf jeden Fall verspricht es, eine spannende, vielleicht sogar erhellende Reise zu werden, die mich ein wenig an den Ausflug zu jenem verschwiegenen Amphitheater in Karthago erinnert.
„Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan,
Auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, daß wir die Kindschaft empfingen.“
Mit diesen Worten versuchte Paulus, der es auf sich genommen hatte, den neuen Glauben, der da von Erlösung und Befreiung kündete, unter die Völker zu bringen, die Galater, die in der Gegend der heutigen Türkei ansässig waren, davon abzuhalten, in ihren alten Glauben zurückzufallen. „Nun ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet ihr euch denn wiederum zu den schwachen und dürftigen Satzungen, welchen ihr von neuem an dienen wollt?“1
Paulus hatte seine liebe Mühe, denn der neue Glaube hatte es anfangs schwer, sich durchzusetzen. Es sollte dreihundert Jahre dauern, bis er offiziell Anerkennung fand. Da hatte es der Glaube an Allah, den seine Anhänger wie im Sturmwind säten, einfacher. Und es kam auch niemand zu Schaden, der im Namen Allahs predigte. Das war bei der Verbreitung des Christentums entschieden anders, wie insbesondere auch Paulus erfahren sollte.
Allah trat gleich am Anfang als Sieger auf. Das half, Anhänger zu gewinnen; zumal auch die Aussicht auf Beute winkte. Das Hehre mit dem Profanen oder – um es genauer zu benennen – mit dem Profitablen zu verbinden, erwies sich als unwiderstehlich. Jedenfalls konnte sich Allah nicht über mangelnden Zulauf beklagen.
Das war bei einer Glaubensgemeinschaft wie den Christen, die anfangs eher als obskure Sekte angesehen wurde, entschieden anders. Da gab es keine Triumphe; eher das Gegenteil: Niederlagen und Demütigungen. Wie auch hätte es anders sein können, bei dem bescheidenen Anfang:
„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.
Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war.
Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war,
Auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.
Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte.
Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“
Joseph war ein einfacher Zimmermann, und der Ort, aus dem er stammte (sofern er tatsächlich in Nazareth wohnhaft war, was nicht allgemein anerkannt wird), war eher unbedeutend. Nicht zu vergleichen mit Jerusalem, das ein Zentrum der Macht, aber auch des Glaubens war. Bethlehem konnte sich immerhin illustrer Vergangenheit rühmen, an der auch Joseph Anteil hatte, denn er konnte sich zu den Nachkommen König Davids zählen. Aber das hatte ihn nicht davor bewahrt, in ärmlichen Verhältnissen zu leben.
Auch die Herberge, in der Joseph und Maria eine Unterkunft fanden, war eher bescheiden. Und selbst hier gab es nur noch Platz im Stall. Ein Palast war es jedenfalls nicht, wo das Kind zur Welt kam. Aber es hatte doch etwas Besonderes mit dieser Geburt auf sich:
„Und es waren Hirten derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
Ehre sei Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!“2
Die Geschichte klingt uns vertraut; wir hören sie alle Jahre wieder, dann, wenn wir uns dessen erinnern, daß wir uns Christen nennen, und wir lassen, geduldig und doch auch ungeduldig, weil wir es schon so oft gehört haben, die Geschichte über uns ergehen. Ohne uns viel dabei zu denken oder gar zu erfassen, was da tatsächlich geschah. Wir haken es ab unter „Glauben“, hinterfragen es nicht, behalten es in einem Winkel unseres Bewußtseins, ohne ihm besondere Beachtung zu schenken. Es rangiert irgendwo zwischen Märchen und Legende. Wir würden gern mehr daraus machen; aber es gelingt uns nicht. Die Zeit ist uns zu fern, das Wissen steht uns im Wege, und Ungereimtheiten wie Jungfrauengeburt und himmlische Chöre irritieren uns. Nüchtern, skeptisch und aufgeklärt, wie wir sind, hören wir uns das allenfalls zum Weihnachtsfest an. Es schafft einen feierlichen Rahmen, den wir in unserem Leben sonst vermissen. Aber mehr ist es nicht; nicht mehr und nie wieder.
Jesus hätte es schwer gehabt, wäre er in einer Zeit wie der unsrigen geboren worden. Niemand hätte das Ereignis beachtet und schon mal gar nicht jemand daran geglaubt. Es hätte kein Christentum gegeben; einfach weil die Menschen, die mit dem Ereignis konfrontiert worden wären, damit nichts mehr hätten anfangen können. Das bedeutet, daß es ein bestimmtes Umfeld gegeben haben muß, das Menschen für etwas empfänglich machte, das die Züge eines Wunders trägt. Und gerade weil es den Anschein eines Wunders hatte, machte es Eindruck. Man sah in ihm etwas Überirdisches, und Überirdisches war zwar nicht alltäglich. Aber es gehörte zum Dasein; es war ein integraler Bestandteil des Lebens. Götter wurden nicht angezweifelt; selbst Menschen umgaben sich mit göttlichem Nimbus. Etwa die römischen Kaiser; was gerade den Christen, die das Überirdische wiederum eingrenzten, in nicht geringem Maße zu schaffen machen sollte.
Die Umstände, die zur Geburt Jesu führten, sind uns heute suspekt. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, das voll im Trend liegt, was unsere eher kritische Sicht der Dinge anbelangt, verwies in einer Titelgeschichte, in der Jesus als „Guru“ bezeichnet wird, auf eine Mutmaßung, die schon in der Antike geäußert wurde. „Der griechische Philosoph Kelsos“, heißt es da lapidar, „berichtet, dass seine (Jesu) Mutter Maria ein Verhältnis mit einem Legionär hatte: Jesus sei nichtehelicher Herkunft.“3 Besagter Kelsos, der sich um 180 n. Chr. äußerte, spricht von „Ehebruch“ und insinuiert, daß Maria „von einem römischen Soldaten namens Panthera geschwängert“ wurde.
Es liegt im Wesen der Philosophie, Wunder zu entzaubern. Und wenn der Mensch heute gemeinhin auch nicht Philosoph ist, so kann ihn doch nichts so sehr begeistern wie, Verwunderliches auf das Niveau des allgemein Verständlichen und oft Banalen herabzuziehen. Womit das Außergewöhnliche seine Bedeutung verliert und zum Alltäglichen wird.
Jesus Christus: Produkt eines Ehebruchs? Das klingt wenigstens logisch, und schockieren tut es auch niemanden, schon lange nicht mehr. Aber erhebend, Ehrfurcht oder gar Glaube erweckend: das ist es nun auch wieder nicht. Ein Mensch, wie du und ich. Aber vielleicht hat er etwas Vernünftiges aus sich gemacht. Den Bonus seiner wundersamen Geburt, den man einst unwidersprochen (von einem gelegentlichen Philosophen einmal abgesehen) akzeptierte, hat Jesus heute nicht mehr.
Den Christen, ganz am Anfang und für lange Zeit, genügte, was die Bibel dazu sagte. Der Evangelist Matthäus, der als erster die Geschichte von der Geburt Jesu aufzeichnete, berichtet:
„Die Geburt Christi war aber also getan. Als Maria, seine Mutter, dem Joseph vertrauet war, fand sich’s, ehe er sie heimholte, daß sie schwanger war von dem heiligen Geist.
Joseph aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber sie heimlich zu verlassen.
Indem er aber also gedachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist.
Und sie wird einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen; denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.“4
Dem „heiligen Geist“ wurde also die Rolle des Vaters, des Erzeugers, zugesprochen. Diese Version wurde zwar erst nach den Ereignissen, die sich auf das Leben Christi beziehen, festgeschrieben, nämlich in der Zeit zwischen 70 und 80 n. Chr., aber sie bildete fortan einen festen Bestandteil des christlichen Glaubens. Glaube ist mehr als Wissen. Wissen beschränkt sich auf Rationales, der Glaube geht darüber hinaus. Er hinterfragt nicht, wie unwahrscheinlich oder unerklärlich die Dinge auch sein mögen. Je mehr sich der Ratio entzieht, desto fester ist der Glaube verankert.
Die Zeit um Christi Geburt war geprägt durch eine Religiosität, die allgegenwärtig war. Mochten Philosophen, in der griechischen Tradition, auch skeptisch sein, wiewohl selbst sie letztlich die Götter nicht in Frage stellten: Religion war ein fester Bestandteil des Lebens. Dabei ging es nicht logisch zu. Aphrodite zum Beispiel galt als die „Schaumgeborene“, und im fernen Indien verdankte Buddha seine Geburt dem Umstand, daß er als weißer Elefant in den Leib seiner Mutter einging, auf daß diese ihn dann als Menschen gebar. Der Verehrung Buddhas tat das keinen Abbruch. Wie auch Jesus seine wundersame Geburt eher zum Vorteil gereichte. Verhöhnungen und Verleumdungen zum Trotz.
Eine ganz andere Frage, die nicht übergangen werden darf, betrifft die Geschichtlichkeit Jesu. Hat er tatsächlich gelebt? Die Bibel ist ja kein historisches Zeugnis im engeren Sinne. Selbst den Evangelisten geht es um Verkündigung des Glaubens, nicht um historische Tatsachen.
Zunächst einmal ist festzustellen, daß es keinerlei Zeugnisse gibt, die Jesus direkt zugeordnet werden können. Er hat keine Aufzeichnungen hinterlassen, noch gibt es sonstige Funde, die man mit ihm unmittelbar in Verbindung bringen könnte. Also etwa eine Wohnstätte, wo er gelebt hat, oder gar Gegenstände, die zu seinem Leben gehörten. Ferner gibt es niemanden, der mit Jesus in Berührung gekommen ist, das heißt, ihn gesehen, gehört oder sonst mit ihm in Kontakt gestanden und darüber Aufzeichnungen hinterlassen hat. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß das Wirken Jesu zu seinen Lebzeiten nur wenig allgemeines Aufsehen erweckte. Das Auftreten eines Predigers, auch wenn er eine besondere Botschaft zu verkünden hatte, war nichts Außergewöhnliches, in einer Zeit, die durch politische Unruhen und religiöse Erneuerungsbewegungen gekennzeichnet war. Auch die Kreuzigung eines des Aufruhrs Bezichtigten erzeugte kein Aufsehen. Die Kreuzigung war eine Hinrichtungsart, die man gegen gemeine Verbrecher verhängte. Sie war Gesetzesbrechern vorbehalten, die auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Skala standen.
Auch die sterblichen Überreste Jesu verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Sofern man dies überhaupt für relevant hält und die Erklärung nicht in der Auferstehung und Himmelfahrt Christi sieht, wie es die christliche Überlieferung tradiert. Obwohl also ein direkter Nachweis für die Existenz Jesu nicht gegeben ist, kann dennoch an seinem tatsächlichen Leben und Wirken nicht gezweifelt werden. Wobei allerdings zu unterscheiden ist zwischen dem, was sich aus der christlichen Legendenbildung ergeben hat, und dem, was historische Quellen überliefern. Letztere sind zwar spärlich, aber es gibt sie immerhin. Sie reichen von den Aufzeichnungen des jüdischen Historikers Flavius Josephus bis zu Tacitus, der gleichfalls ein Chronist seiner Zeit war. Beide – wie auch die übrigen Gewährsleute, die ebenfalls zwar nur beiläufig, aber immerhin konkret auf Jesus beziehungsweise eine Gemeinschaft, die sich „Christen“ nennt, Bezug nehmen – verfaßten ihre relevanten Werke zwischen der Mitte des ersten und der des zweiten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung.
An der Historizität Jesu – wie ja auch der Mohammeds – ist also nicht zu zweifeln. Wobei sich übrigens eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen der Bibel, um darauf zurückzukommen, und dem Koran ergibt. Auch hier wird auf Jesu verschiedentlich Bezug genommen, freilich in der Weise, wie es sich aus den Glaubensvorstellungen des Islams ergibt. So heißt es in der 3. Sure:
„Gedenke, da die Engel sprachen: ‚O Maria, siehe, Allah verkündet dir ein Wort von Ihm; sein Name ist der Messias Jesus, der Sohn der Maria, angesehen hienieden und im Jenseits und einer der Allah Nahen.
Und reden wird er mit den Menschen in der Wiege und in der Vollkraft, und er wird einer der Rechtschaffenen sein.’
Sie sprach: ‚Mein Herr, woher soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührte?’ Er sprach: ‘Also schafft Allah, was Er will; wenn Er ein Ding beschlossen hat, spricht Er nur zu ihm: Sei! Und es ist.“5
Allah nimmt hier die Stelle des Christengottes ein, und Jesus wird zu einem bloßen Propheten herabgestuft. Zu einem Vorläufer Mohammeds. In der Bibel aber heißt es weiter, unter Bezug auf die Weisen aus dem Morgenland, die dem Neugeborenen gehuldigt haben:
„Da sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe nach Ägyptenland und bleib allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, daß Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen.
Und er stand auf und nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich bei der Nacht und entwich nach Ägyptenland;
Und blieb allda bis nach dem Tod des Herodes, auf daß erfüllet würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: ‘Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.’“6
Als Indiz für die Geschichtlichkeit Jesu kann auch die Angabe historischer Gegebenheiten in der christlichen Überlieferung gewertet werden. Auch wenn diese Angaben gelegentlich widersprüchlich sind. Herodes war, wie man weiß, eine historische Persönlichkeit. Die Nachwelt zollt ihm Anerkennung, indem sie ihn als „Herodes den Großen“ bezeichnet. Was aus der Sicht der christlichen Überlieferung paradox erscheint, immerhin aber erkennen läßt, daß die Bedeutung der Christen einstweilen noch gering war. Wobei sie zur Zeit des Herodes überhaupt noch nicht in Erscheinung getreten waren, denn er starb im Jahre 4 v. Chr.
Das Todesjahr des Herodes’ gibt einen Anhaltspunkt für die Zeit der Geburt Jesu: Sie kann also nicht später als im Jahre 4 v. Chr. erfolgt sein, was widersinnig erscheint. Denn die Zeitrechnung, die auf die Geburt Christi zurückgeführt wird und schließlich einen Siegeszug über die ganze Welt angetreten hat, basiert in Wahrheit auf einem Datum, das mindestens vier Jahre nach der Geburt Christi anzusetzen ist. Jesus wurde nicht im Jahre „Null“ geboren, wie die nach ihm benannte Zeitrechnung suggeriert, sondern im Jahre 6 v. Chr., obwohl dieses Datum nicht allgemein Anerkennung findet. Doch es weist am ehesten Übereinstimmungen mit den historischen Gegebenheiten wie auch bestimmten astronomischen Berechnungen auf. Anzumerken ist, daß die Einführung eines allgemeinverbindlichen Kalenders keine Selbstverständlichkeit ist. Bislang kochte sozusagen jeder seine eigene Suppe. Die Juden rechneten nach einem Kalender, der seinen Anfang im Jahre 3761 vor unserer Zeit nahm: In diesem Jahr war angeblich die Welt erschaffen worden. Die Griechen setzten den Beginn des Vorläufers der heutigen Olympischen Spiele an den Anfang ihrer Zeitrechnung, was dem Jahr 776 v. Chr. entsprach. Für die Christen begann ein neues Zeitalter mit der Geburt des Heilands; diese Zeitrechnung fand immer mehr Anerkennung, je weiter sich das Christentum ausbreitete. Bis ein früher Gelehrter des Kirchenrechts, der römische Abt Dionysius Exiguus, im sechsten Jahrhundert eine allgemeine Anerkennung der christlichen Zeitrechnung anregte. Bis sie sich endgültig durchsetzte, dauerte es zwar noch eine Weile – erst im 10. Jahrhundert war die christliche Zeitrechnung im Abendland allgemein gebräuchlich –, doch hatte bereits Karl der Große, der ja auch in anderer Weise einen Exponenten in der Entwicklung des Christentums darstellt, ein entsprechendes Zeichen gesetzt, indem auf seinem Grabstein vermerkt ist, daß er im Jahre 814 nach Christus starb. In Wahrheit also 820 nach Christi Geburt. Der gute Abt hat sich offenbar verrechnet.
Die Flucht nach Ägypten und die schließliche Rückkehr nach Galiläa, wo sich Joseph mit seiner Familie wieder in Nazareth niederließ, erinnert an die Überlieferung, derzufolge Moses einst das Volk Israel aus der Knechtschaft, der es in Ägypten unterworfen gewesen war, führte und, durch den Empfang der Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai, den Bund mit Jahwe begründete. Fortan betrachteten sich die Israeliten, für die schließlich der Begriff „Juden“ in Gebrauch kam, als das „erwählte Volk“ Gottes. Hier mag die Legendenbildung nachgeholfen haben, um eine Parallele zu schaffen, die den Nimbus Jesu aufwertete. Der Grund für die Flucht war die Furcht, daß Herodes das Neugeborene töten könnte, wie er dann ja auch in Bethlehem angeblich alle neugeborenen Knaben umbringen ließ. Einen Grund dafür könnte man in dem Umstand sehen, daß Herodes eigentlich ein Usurpator war, denn er war nicht jüdischer Abstammung und gelangte mit Hilfe der Römer, die den Juden – als Besatzungsmacht – verhaßt waren, an die Macht. Wie auch immer die Überlieferung zur Geburt und zu den frühen Jahren im Leben Jesu zu deuten ist, sie bleibt lückenhaft und wirft eine Reihe von Fragen auf, die wohl nie gänzlich eine Klärung finden werden. Deutlichere Konturen nimmt die Person Jesu in dem Moment an, wo er mit Johannes dem Täufer zusamentrifft. Denn dieses Zusammentreffen bewirkte einen Wandel im Leben Jesu: Fortan trat er als der auf, als den ihn die christliche Überlieferung preist – als Begründer jener neuen Religion, die nach ihm benannt ist. Wobei hier kurz angemerkt sei, was es mit dem Namen „Christus“ auf sich hat. „Christus“ ist die latinisierte Form für das griechische Wort christos mit der Bedeutung „Gesalbter“; dem entspricht der Begriff „Messias“, der aus dem Hebräischen, der Sprache der Israeliten, abgeleitet ist. Hebräisch ist auch das Wort Jeschua beziehungsweise Joschua, das soviel wie „Gott ist Rettung“ bedeutet und aus dem das griechische „Jesous“ beziehungsweise das lateinische „Jesus“ abgeleitet wurde. Der Name „Jesus Christus“ ist also in doppelter Weise bedeutungsvoll und setzt sich aus dem eigentlichen Namen, Jesus, und einem Ehrentitel, Christus, zusammen.
Über das Wirken Johannes des Täufers, das von so entscheidender Bedeutung für den eigentlichen Beginn des Christentums war, heißt es bei Lukas:
„In dem fünfzehnten Jahre des Kaisertums Kaisers Tiberius, da Pontius Pilatus Landpfleger in Judäa war, und Herodes ein Vierfürst in Galiläa, und sein Bruder Philippus ein Vierfürst in Ituräa und in der Gegend Trachonitis, und Lysanias ein Vierfürst zu Adilene,
Da Hannas und Kaiphas Hohepriester waren: da geschah der Befehl Gottes zu Johannes, des Zacharias Sohn, in der Wüste.
Und er kam in alle Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden […]“7
Nach dem Tode Herodes’ des Großen kam es zur Teilung seines Reiches: Galiläa, der nördliche Teil, wurde fortan von Herodes Antipas regiert, der – ähnlich wie sein Vater – in eher unrühmlicher Erinnerung blieb. Denn er war es, der Johannes den Täufer hinrichten ließ. Über diesen nun weiß der Evangelist Markus des weiteren zu berichten:
„Johannes, der war in der Wüste, taufte und predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.
Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und die von Jerusalem und ließen sich alle von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden.
Johannes aber war bekleidet mit Kamelhaaren und mit einem ledernen Gürtel um seine Lenden und aß Heuschrecken und wilden Honig;
Und er predigte und sprach: Es kommt einer nach mir, der ist stärker denn ich, dem ich nicht genügsam bin, daß ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse.
Ich taufe euch mit Wasser, aber er wird euch mit dem heiligen Geist taufen.“8
Die Erwartung eines Heilands, eines Messias, gehörte zu den Konstanten der jüdischen Überlieferung, denn das Volk war wiederholt schweren Prüfungen ausgesetzt, von denen die Pein in Ägypten nur die erste war, die überliefert ist. Fremde Herrscher bedrängten das Volk, und selbst diejenigen, die die Tradition hochhielten, ließen sich korrumpieren. Der Ruf nach einer Veränderung wurde laut; es bildeten sich Sekten, und ein Mann wie Johannes der Täufer fand von überall her Zulauf. So verwundert es nicht, daß auch Jesus, der bislang nicht in Erscheinung getreten war, aber wohl die allgemeine Unzufriedenheit teilte, den Weg zu dem Ort fand, wo Johannes der Täufer seiner Tätigkeit als Prediger nachging. In den Ohren von Herodes Antipas, der der Landesherr in diesem Teil Palästinas war, klang das wie Aufruhr; zumal Johannes auch ihn persönlich angriff, wegen einer Verfehlung, die er ihm vorwarf. Markus weiß zu berichten:
„Er aber, Herodes, hatte ausgesandt und Johannes gegriffen und ins Gefängnis gelegt um der Herodias willen, seines Bruders Philippus Weib; denn er hatte sie gefreit.
Johannes aber sprach zu Herodes: Es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib habest.“
Die weitere Geschichte ist bekannt: „Herodias aber stellte ihm nach und wollte ihn töten und konnte nicht.“ Schließlich fand sie aber doch Mittel und Wege, um den lästigen Moralapostel loszuwerden:
„Und es kam ein gelegener Tag, daß Herodes auf seinen Jahrestag ein Abendmahl gab den Obersten und Hauptleuten und Vornehmsten in Galiläa.
Da trat hinaus die Tochter der Herodias und tanzte und gefiel wohl dem Herodes und denen, die am Tisch saßen. Da sprach der König zum Mägdlein: Bitte von mir, was du willst, ich will dir’s geben.
Und schwur ihr einen Eid: Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königreichs.
Sie ging hinaus und sprach zu ihrer Mutter: was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannes des Täufers.“
Wie man weiß, war Herodes so sehr hinter dem „Mägdlein“ her, daß er ihr schließlich das Haupt des Täufers auf einem Tablett servierte, „und das Mägdlein gab’s ihrer Mutter“, die die Sache eingefädelt hatte. „Und da das seine Jünger hörten, kamen sie und nahmen seinen Leib und legten ihn in ein Grab.“9 So geschah es, daß Johannes der Täufer durch den Tanz der Salome sein Leben einbüßte und ein anderer in seine Fußstapfen trat, der sein Werk fortsetzen sollte und ihm schließlich die Bedeutung verschaffte, die es zur Grundlage einer neuen Religion werden ließ.
„Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und er sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herabfahren und über ihn kommen.
Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“10
Die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer war ein Schlüsselereignis. Durch diesen Akt – wie auch die Erscheinungen, die ihn verbrämten und erhöhten – wurde ein neuer Abschnitt im Leben Jesu besiegelt, der allerdings nur kurz währte. Das Wirken Johannes des Täufers ist auf die Zeit zwischen 27 und 29 n. Chr. zu datieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jesus bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten; er hatte also nicht nur seine Kindheit und Jugend hinter sich gelassen, er befand sich auch schon in einem Alter, das als Mitte des Lebens zu bezeichnen war. Somit hätte er eigentlich einen Beruf ausüben müssen, wie es auch der natürliche Gang der Dinge gewesen wäre, wenn er eine Familie gehabt hätte. Was eine berufliche Tätigkeit anbelangt, so entsprach es der Tradition der Zeit, daß der Sohn das Handwerk des Vaters übernahm. Demnach wird sich Jesus als Zimmermann betätigt wie auch in Nazareth gelebt haben. Von einer eigenen Familie ist nichts bekannt. Es sei aber erwähnt, daß gelegentlich darüber spekuliert wird, daß Maria Magdalena, eine Frau, der Jesus offenbar besonders zugetan war, denn es wird berichtet, daß sie ihm großes Mitgefühl entgegenbrachte, eine Rolle im Leben Jesu spielte, die der einer nicht nur Vertrauten, sondern auch Geliebten entsprach. In einem Text, der aus dem ägyptischen Fundort Nag Hammadi stammt, findet sich der Hinweis: „Der Erlöser liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger, und er küsste sie oftmals auf ihren Mund.“11 Auch die Bezeichnung koinonos, was als „Lebensgefährtin“ zu deuten ist, ist in diesem Zusammenhang überliefert. Inwieweit Hinweise dieser Art für bare Münze zu nehmen sind, sei dahingestellt: Handfeste Beweise gibt es nicht. Und was die kirchliche Tradition betrifft, so ist ein Jesusbild, das ein Leben der Entsagung und Askese suggeriert, natürlich angemessener, um den Nimbus eines quasi göttlichen Wesens zu wahren. Feststeht jedoch, daß Jesus sich im besonderen Maße für Frauen einsetzte, die – was zumindest die jüdische Tradition anbelangt – einen schweren Stand hatten.
„Und es begab sich danach, daß er reiste durch Städte und Märkte und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes, und die Zwölf mit ihm;
Dazu etliche Weiber, die er gesund hatte gemacht von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren,
Und Johanna, das Weib Chusas, des Pflegers des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihm Handreichung taten von ihrer Habe.“12
Die „sieben Teufel“ der Maria Magdalana verweisen auf den Umstand, daß sie ursprünglich zu denen gehörte, die nicht nur am Rande der Gesellschaft lebten, sondern auch einem Gewerbe nachgingen, das nach den strengen Sitten der Juden als verwerflich galt. Jesus nahm sich besonders der Ausgestoßenen an, derer, die im Leben zu kurz gekommen waren, der „Zöllner und Huren“, wie es dazu bezeichnenderweise bei Matthäus heißt.
Was immer Maria Magdalena und die anderen Frauen, die Jesus – neben seinen Jüngern, den „Zwölf“, von denen oben die Rede ist – um sich scharte, ihm bedeuteten, eines ist gewiß: Jesus zeigte sich dem weiblichen Geschlecht gegenüber verständnisvoller und humaner, als es nicht nur gemeinhin üblich war, sondern auch im Christentum schließlich die Regel werden sollte. Hier ergibt sich eine bemerkenswerte Parallele zu Mohammed und dem Islam, wie wir noch sehen werden.
Jesus stand also in der Mitte des Lebens, als er – in der Nachfolge Johannes des Täufers – seine eigentliche Berufung fand und mit seinem Wirken begann, das zur Grundlage des christlichen Ethos wurde. Dieses Wirken, obwohl es doch die eigentliche Bedeutung Jesu ausmacht, dauerte nur kurze Zeit: nicht einmal zwei Jahre. Es bestand im wesentlichen aus Predigen, der Verkündigung des Evangeliums, der „frohen Botschaft“, die da ein Reich Gottes auf Erden verhieß. Die Wirkungsstätte Jesu befand sich in der Gegend des Sees Genezareth, in Galiläa, wo er in dem Ort Kapernaum eine Art klösterlicher Gemeinschaft unterhielt. Er hatte eine Schar Jünger um sich versammelt, zumeist – wie Jesus selbst – aus der unteren Gesellschaftsschicht. Die Elite hatte sich – wie gewöhnlich – arrangiert.
„Als nun Jesus an dem Galiläischen Meer ging, sah er zwei Brüder, Simon, der da heißt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die warfen ihre Netze ins Meer; denn sie waren Fischer.
Und er sprach zu ihnen: Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen.
Alsbald verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.“13
Daß es am Ende angeblich zwölf Apostel waren, die zu den besonderen Vertrauten Jesu gehörten und die er deshalb aussandte, damit sie die neue Botschaft verkündeten, hat eher symbolischen Charakter, denn die Zahl entspricht den zwölf legendären Stämmen Israels. Jesus ging es ja nicht um die Bekehrung der Welt, nicht während der Zeit seines Wirkens; einen solchen Auftrag hinterließ er nur als Vermächtnis. Wohl auch in der Einsicht, daß ihn sein eigenes Volk verraten hatte.
„Und er berief die Zwölf und hob an und sandte sie, je zwei und zwei, und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister
Und gebot ihnen, daß sie nichts bei sich trügen auf dem Wege, denn allein einen Stab, keine Tasche, kein Brot, kein Geld im Gürtel,
Aber wären geschützt, und daß sie nicht zwei Röcke anzögen.“
Es war ein asketisches Leben, das die ersten Christen führten; doch gerade dies verfehlte nicht seine Wirkung.
„Und sie gingen aus und predigten, man sollte Buße tun,
Und trieben viele Teufel aus und salbten viele Siechen mit Öl und machten sie gesund.“14
Es half, wenn man sich nebenbei um die Kranken und Siechen kümmerte, die sich einen Arzt nicht leisten konnten; das erhöhte die Bereitschaft, der Botschaft, die die Apostel verkündeten, zuzuhören und – wenn tatsächlich eine Heilung eintrat – sich fortan zum neuen Glauben zu bekennen. Jesus selbst nahm Zuflucht zu Wundern, was seinen Ruhm beträchtlich mehrte. Der Glaube an Wunder war alltäglich; die Menschen waren abergläubisch, verfügten, zumal auf dem Lande, über keinerlei Bildung, da reichte es oft schon, genauere Beobachtungen angestellt und daraus Schlüsse gezogen zu haben, um Taten zu vollbringen, die die Allgemeinheit an Wunder gemahnten.
„Und Jesus ging umher im ganzen galiläischen Lande, lehrte in ihren Schulen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte allerlei Seuchen und Krankheiten im Volk.
Und sein Gerücht erscholl in das ganze Syrienland. Und sie brachten zu ihm allerlei Kranke, mit mancherlei Seuchen und Qual behaftet, die Besessenen, die Mondsüchtigen und die Gichtbrüchigen; und er machte sie alle gesund.
Und es folgte ihm nach viel Volks aus Galiläa, aus den Zehn-Städten, von Jerusalem, aus dem jüdischen Lande und von jenseits des Jordans.“15
Die Kunde von Jesu Botschaft und den wundersamen Werken, die er vollbrachte, verbreitete sich vom Land in die Städte, obwohl Jesus selbst die Städte eher mied. Erst gegen Ende seines Wirkens wandte er sich auch den Städten zu, zuerst an der Küste, wo Jesus sich in Tyros und Sidon aufhielt, dann in Caesarea Philippi, östlich des oberen Jordan, wo es zu einem bemerkenswerten Ereignis kam:
„Und Jesus ging aus mit seinen Jüngern in die Märkte der Stadt Cäsarea Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Wer sagen die Leute, daß ich sei?
Sie antworteten: Sie sagen, du seist Johannes der Täufer; etliche sagen, du seist Elia; etliche, du seist der Propheten einer.
Und er sprach zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist Christus.“16
Dieses Bekenntnis bedeutete die Anerkennung Jesu als Messias, als Heilsbringer und damit die Erfüllung jener Verheißung, die zur jüdischen Tradition gehörte. Jesus erlangte somit den Nimbus eines Erretters, eines Erlösers, an dem sich die Weissagung erfüllt hatte.
Noch aber bedurfte es eines weiteren Zeichens, um die Überhöhung Jesu zu vollenden. Sie wird gemeinhin als die „Verklärung Christi“ bezeichnet, eine Formulierung, die nicht sehr hilfreich ist. Handelt es sich doch um einen Vorgang, der sozusagen – wenn nicht die Göttlichkeit – so doch die Gottesverwandtschaft Jesu besiegelt. Das Ereignis, das dieses Siegel setzte, fand – im Beisein einiger Jünger – vor den Toren Caesarea Philippis, auf der Höhe eines Berges, statt.
„Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme fiel aus der Wolke und sprach: Das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören.“17
Als letzte Station des Wirkens Jesu wird Jerusalem überliefert. Wobei nicht geklärt ist, ob Jesus sich nur einmal, am Ende seines Lebens, in Jerusalem aufhielt oder ob er diese Stadt, die immerhin ein bedeutendes Zentrum von Religion und Gelehrsamkeit war, auch schon vorher aufgesucht hatte. Im Gegensatz zu den drei früheren Evangelisten, die darüber nichts berichten, führt Johannes, der zeitlich als letzter der Evangelisten einzuordnen ist, eine ganze Reihe von Begebenheiten an, die darauf hinweisen, daß Jesus Jerusalem durchaus auch in sein Wirkungsfeld miteinbezog. Neben den üblichen an Wunder gemahnenden Tätigkeiten wie Krankenheilungen, die ihm zugeschrieben werden, war es vor allem eine Begebenheit, die im Zusammenhang mit einem offenbar früheren Aufenthalt Jesu in Jerusalem Erwähnung verdient:
„Und der Juden Ostern war nahe, und Jesus zog hinauf gen Jerusalem.
Und er fand im Tempel sitzen, die da Ochsen, Schafe und Tauben feil hatten, und die Wechsler.
Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Ochsen und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um
Und sprach zu denen, die die Tauben feil hatten: Traget das von dannen und machet nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause.“18
Diese Überlieferung, so sie denn tatsächlich eine wirkliche Begebenheit wiedergibt, ist in mehrerer Hinsicht bedeutsam. Zum einen läßt sie einen Jesus erkennen, der mit einer Entschiedenheit auftritt, die durchaus nicht dem üblichen Bild der Sanftmut und Milde, das man sich gemeinhin von Jesus macht, entspricht. Kompromißlos und gewaltsam tritt er hier den Auswüchsen des Gottesdienstes, wie sie im Tempel von Jerusalem praktiziert wurden, entgegen. Zum andern offenbart sich in dieser Begebenheit der Gegensatz zwischen der überkommenen Religion, die noch der orientalischen Tradition verhaftet war, und dem neuen Glauben, der sich durch seine Schlichtheit und die Aufkündigung aller Praktiken, die schließlich als heidnisch verurteilt wurden, auszeichnete. Das betraf zwar weniger die Juden, deren Verwandtschaft im Glauben man immerhin anerkannte, doch dafür umso mehr Kulte, die der jüdisch-christlichen Tradition fremd waren. Ein Konflikt war vorgezeichnet, der die größte Prüfung für das erwachende Christentum darstellen sollte. Jesus stand am Anfang einer langen Reihe von Märtyrern, die für eine Reinheit des Glaubens, so wie sie ihn verkündeten, ihr Leben ließen.
Jerusalem war die Hochburg des traditionellen Judentums. Die Anfänge der Stadt reichen bis ins vierte Jahrtausend v. Chr. zurück. Zu der Zeit, da Jerusalem in die Geschichte des Volkes Israel eintritt, war es von einem Volk bewohnt, das als „Jebusiter“ überliefert wird. Der Name der Stadt leitet sich jedoch aus dem Assyrischen ab: Krusalim bedeutet „Stadt des Heils“. Dies verweist auf eine religiöse Bedeutung, die sich aus der Lage der Stadt auf einem Höhenrücken erklärt, traditionell ein Ort, der mit Religiösem in Verbindung gebracht wurde. Andererseits lag Krusalim strategisch günstig, denn es beherrschte einen Handelsweg, der in west-östlicher Richtung von der Küste des Mittelmeers über den nördlichen Endpunkt des Toten Meeres in Richtung Mesopotamien führte. Verständlich, daß sich begehrliche Blicke eines aufstrebenden Volkes, wie es die Israeliten nach ihrer Rückkehr aus der ägyptischen Gefangenschaft waren, auf den Ort in vielversprechender Lage richteten und daß König David, der die Grundlage zu einem geeinten Reich legte, zur Tat schritt und sich die Stadt der Jebusiter einverleibte. Zwar höhnten diese und wähnten sich in Sicherheit, doch am Ende trugen die Israeliten den Sieg davon:
„Und der König zog hin mit seinen Männern gen Jerusalem wider die Jebusiter, die im Lande wohnten. Sie aber sprachen zu David: Du wirst nicht hier hereinkommen, sondern Blinde und Lahme werden dich abtreiben. Damit meinten sie aber, daß David nicht würde dahinein kommen.“19
Wie David mit seinen Kriegern in die befestigte Stadt hineingelangte, ist nicht überliefert. Aber daß es ihm gelang, daran besteht kein Zweifel. Fortan war Jerusalem beziehungsweise Jeruschalajim, wie der hebräische Name lautete, das geistige und religiöse Zentrum des jüdischen Volkes. König Salomo, der David 965 v. Chr. auf den Thron folgte, ließ den nach ihm benannten Tempel errichten, ein Werk, das nach zehnjähriger Bauzeit vollendet war. Dieser Tempel wurde zum Sinnbild jüdischer Tradition; allerdings erlebte er zweimal einen Neuanfang. Denn zum einen zerstörten ihn die Babylonier, als sie 597 Jerusalem eroberten, ehe sie die jüdische Bevölkerung in die Babylonische Gefangenschaft entführten. Zum andern nutzte Herodes, als die Römer ihn auf den Schild gehoben hatten, die Gelegenheit, sich die Juden geneigt zu machen, indem er den Tempel, der inzwischen wieder errichtet worden war, prunkvoll ausbauen ließ. Flavius Josephus, der jüdische Geschichtsschreiber, vermittelt ein anschauliches Bild des Tempels, wie es sich zur Zeit Jesu dem Betrachter offenbarte: