Der Autor

Jonas Ems, Jahrgang 1996, ist ein echtes Multitalent. Auf seinem YouTube-Kanal begeistert er 2,2 Millionen Abonnenten. Sein erstes Buch Peinlich für die Welt wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Als Schauspieler überzeugt er im Kinofilm Das schönste Mädchen der Welt. Und sein Interview mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ihn schließlich auch bei den Eltern seiner Fans bekannt gemacht. Die andere Verbindung ist sein Romandebüt.

Das Buch

Auf YouTube wünschen sie sich nur das Schlechteste, doch jetzt müssen sie zusammenhalten: Elf reale YouTuber kämpfen in der Wildnis Schwedens ums Überleben. Und das nur, weil dieser merkwürdige Busfahrer, der sie ins Creator-Camp bringen sollte, plötzlich verschwunden ist. Ein dreitägiges Abenteuer beginnt: mit Bären und Wölfen, seltsamen Gestalten, dunklen Höhlen und einem Ende, das allen die Augen öf net. Passend zum Buchthema spendet der Autor sein komplettes Honorar an die Wildtierstiftung des Naturschutzbundes NABU.

Jonas Ems

Die andere Verbindung

Roman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein.de

Originalausgabe im Plötz & Betzholz Verlag
1. Auflage September 2018
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © Johner Images / getty images (Landschaft);
© Ryan Matthew Smith / Stocksy (Schulbus)
Titelfotos: Fotostudio Balsereit, Meisterbetrieb für Lichtbildnerei,
Köln; Robert Schönholz
E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-8437-2003-8

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Prolog
Berlin

9. August

Dr. Maria Lee war sichtlich begeistert. Die komplizierte Scheidung von ihrem Mann, der überraschende Tod ihrer Mutter und der unangenehme Grippevirus, der ihr seit mehreren Tagen jenes letzte Fünkchen Freude nahm, das ihr noch verblieben war, hatten ihr übel zugesetzt. Doch diese Probleme waren jetzt vergessen, zu großartig war Alexanders Idee, zu vielversprechend und lukrativ schienen die Folgen.

»Gut gemacht«, lobte sie Alexander Schwartz, den 34‑jährigen Programmierer, der noch immer bei seiner Mutter lebte. Teuflisch grinsend tätschelte sie seine linke Schulter und malte sich all die Dinge aus, die sich ab jetzt ändern würden.

Kapitel 1
Berlin

13. September

Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich schaute erst nach links und dann nach rechts, wollte sichergehen, dass ich alleine war. Keine Menschenseele zu sehen. Und dennoch wurde ich das bedrohliche Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Irgendwas schien anders als sonst – mir war nur noch nicht klar, was das war. Ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen, und setzte den ersten Fuß auf die mit Pfützen übersäte Straße, blieb jedoch gleich wieder wie angewurzelt stehen, als ich deutliche Laute hinter mir wahrnahm. Schritte! Irgendjemand folgte mir also doch …

Mit einem Satz drehte ich mich um, bereit, der Gefahr direkt ins Auge zu schauen, ohne Gewissheit darüber, ob ich anschließend überhaupt in der Lage gewesen wäre, mich zur Wehr zu setzen. Ich war ein Feigling, einer dieser Menschen, die man auf der Straße anrempeln konnte und die sich trotzdem höflichst entschuldigen würden.

Manchmal jedoch wünschte ich mir, weniger vernünftig zu sein, weniger erschrocken, dafür tapfer und mutig. Einer der Helden, über die man Comics schrieb und deren Geschichten verfilmt wurden. Aber ich war kein Held und Comics gab es von mir erst recht nicht. Ich bin Jonas Ems, hauptberuflich Angsthase, und mir ist an diesem Abend erst recht nicht zum Spaßen zumute, vor allem seit mir klar war, dass ich verfolgt wurde.


Wie gesagt: Ich drehte mich völlig panisch um.

Doch meine Furcht war umsonst gewesen. Ich konnte niemanden erkennen. Spielte mir mein verängstigter Geist nur einen Streich? Das dröhnende Rauschen der nächtlich befahrenen Autobahn, das heisere Krächzen einer Krähe auf einem entfernten Dachsims und das regelmäßige Ticken meiner Armbanduhr, die mir durch jene Lautstärke jeden Abend aufs Neue die Leichtigkeit nahm, in den Schlaf zu finden – all diese Geräusche waren deutlich wahrnehmbar, waren real. Waren es die Schritte jedoch auch?

Bevor ich mir weiter Gedanken darüber machen konnte, tippte mir plötzlich jemand auf die Schulter. Reflexartig, aber erschrocken zugleich drehte ich mich um und konnte nur noch eine Faust wahrnehmen, die in rasender Geschwindigkeit unabwendbar auf mich zu schoss. Ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden und schloss die Augen.

Das war es nun wohl …

»Und Schnitt«, rief eine vertraute Stimme aus dem provisorisch aufgebauten Regiezelt um die Ecke. Tobi, ein alter Schulfreund und gleichzeitig talentierter Kameramann, half mir hoch.

»Wahnsinn, man hatte fast das Gefühl, dass du wirklich Angst um dein Leben hast«, lobte er mich. Ich musste ihm recht geben, es hat sich wirklich sehr echt angefühlt. Beinahe hätte ich die unangenehmen Umstände vergessen, in denen ich mich gerade befand.

Normalerweise war ich ein großer Fan unserer Kurzfilmprojekte. Das kreative Entwickeln eines Drehbuchs, die Vororganisation, das Zusammenstellen einer dynamisch arbeitenden Filmcrew und natürlich jeder einzelne Produktionstag mit seinen Höhen und Tiefen – all das habe ich bisher immer zu schätzen gewusst.

Dieses Mal war das jedoch anders. Ich hatte mich deutlich übernommen, im gesamten Monat schon. Zu wenig Schlaf, dafür Stress gepaart mit Hektik und Unordnung, das zusammen hatte den bitteren Beigeschmack, dass man zwar einen großen Teil seiner Arbeit schaffte, dafür aber keine zufriedenstellenden Resultate hervorbrachte. Nun haben wir auch noch eine Woche an einem neuen Filmprojekt gearbeitet – mit durchaus komplexen Szenen.

In der heutigen Szene zum Beispiel wurde ich von einer psychopathischen Figur verfolgt – blondes, zerzaustes Haar, zwei angsteinflößend blinzelnde Augen über aufgedunsenen Hamsterwangen. Ein oscarreifes, mörderisches Grinsen, das einem durch Mark und Bein ging. Der theatralische Höhepunkt dieser Figur namens Niklas bestand darin, mich auf offener Straße niederzuschlagen und anschließend zu entführen. Spannend anzuschauen, aber schwierig zu spielen.

Das Material musste am heutigen Abend noch gesichtet und zusammengeschnitten werden, immerhin sollte der Film bereits übermorgen auf meinem YouTube-Kanal veröffentlicht werden, die Zuschauer warteten schon ungeduldig, die Deadline stand.

Zu allem Überfluss durfte ich morgen auch noch sechs Stunden Autogramme geben, weil ich mit ein paar Freunden ein »Meet & Greet«-Event in Berlin veranstalten wollte – zwar freiwillig, doch leider unangemeldet, also an der Grenze der Legalität. Rechtlich ist so etwas nämlich durchaus kritisch, vor allem dann, wenn viele schreiende Kids und Jugendliche, aber keinerlei Security vor Ort sind. Aber wir hatten ewig kein Zuschauertreffen mehr veranstaltet und keinen geeigneteren Ort gefunden als die Mall of Berlin, ein zentrales Einkaufszentrum in – wie der Name bereits verrät – Berlin. Blieb nur zu hoffen, dass es nicht zu voll werden würde. Wenn doch, würden wir wenigstens alle gemeinsam in der Scheiße stecken. Wir, das waren übrigens Moritz, Luki, Fitti und ich – ein seit Jahren eingespieltes Team aus Freunden.

Ursprünglich haben wir uns alle wegen eines gemeinsamen Hobbys kennen- und lieben gelernt: YouTube-Videos drehen.

Heute ging unsere Freundschaft weit über das hinaus. Moritz, ein talentierter Sänger und langjähriger Freund, kam, genau wie ich, aus Berlin, sodass er zu den wenigen Kandidaten meines Freundeskreises gehörte, mit denen ich mich noch regelmäßig traf, zwischen all den Drehbuchsessions, Videobearbeitungen und Momenten, in denen ich auf offener Straße entführt wurde.

Luki dagegen, ebenfalls einer meiner treuesten Freunde aus alten Zeiten, wohnte unglücklicherweise am anderen Ende von Deutschland, sodass man sich leider nur selten traf. Und der Dritte im Bunde, Fitti, war sowieso fast komplett von meinem Radar verschwunden. Nicht etwa, weil es irgendwelche Zwischenfälle oder Streitigkeiten gegeben hätte, keineswegs, sondern nur, weil wir uns menschlich auseinandergelebt hatten. Er ging seinen Träumen und Zielen nach und ich meinen. Umso besser, dass wir uns morgen endlich noch einmal treffen und Zeit miteinander verbringen konnten!


Zügig half ich unserem kleinen Drehteam das Kameraequipment einzupacken, verabschiedete mich flüchtig und sprintete zur nächstgelegenen U‑Bahn-Station. An diesem Abend hatte ich noch ein Date mit einem Mädchen namens Sarah, die ich über Swanity kennengelernt hatte – einer App zur Planung von Events und Treffen.

Persönlich hatte ich sie noch nie getroffen, aber auf ihrem Profil hatte sie sympathisch und offen gewirkt. Ich war ein großer Fan von Online-Dating, vor allem weil mir das »echte Leben« in Bezug auf Frauen noch nicht viel Glück geschenkt hatte.

Sarah dagegen behauptete, Online-Dating noch nie ernsthaft probiert zu haben und mich nur »ausnahmsweise« treffen zu wollen – in meinen Augen aber die typische Ausrede vieler Mädchen.

Trotzdem fand ich ihre langen, braunen Haare, die kleine Nase und die freche Brille mit Riesengläsern äußerst anziehend.


Umso enttäuschter war ich, als ich im Café Einstein am Ku’damm feststellen musste, dass Sarah eigentlich gar nicht wirklich Sarah war. Sicherlich, sie mochte den gleichen Namen tragen. Aber ihre langen, braunen Haare hatte sie sich zu einem seltsam unförmigen Dutt zusammengebunden, ihre Nase war in echt nicht ansatzweise so stupsig und niedlich, wie sie auf ihrem Profilbild fälschlicherweise wirkte, und die Brille hatte sie entweder durch Kontaktlinsen ersetzt oder war von vornherein nur ein modisches Accessoire aus der Verkleidungskiste gewesen.

In wenigen Sekunden machte ich bereits aus, auf welches Ende dieses Treffen hinauslaufen würde.

»Ich bezahle, schon gut«, würde ich sagen und anschließend alleine zu mir nach Hause fahren, um dort ihr Profil wieder zu entfreunden.

Das lag jedoch nicht daran, dass mich ihr Aussehen enttäuschte – sie konnte mich ja immer noch mit ihrem Charakter umhauen –, sondern schlichtweg daran, dass sie sich als unendlich großes Fangirl entpuppte.

Natürlich, ich hatte über zwei Millionen Abonnenten auf meinem YouTube-Kanal und ja, natürlich war es nicht unwahrscheinlich, dass ich mal einen von ihnen daten würde. Aber musste es ausgerechnet sie sein, eine siebzehnjährige Schülerin namens Sarah Hauer? Ich wollte doch nur ein nettes Date.

Stattdessen ließ sie mich wissen, dass bei ihr in einer Woche Herbstferien anstanden, was sie offenbar noch mehr darin bestärkte, unentwegt von sich und ihren Plänen zu brabbeln und mich anschließend über mich und meine Pläne auszufragen. Der Horror!

Wobei: Dass bald Herbstferien waren, erschreckte mich. Dieser Herbst fühlte sich wie ein Sommer an, lauter Sonnentage, Poolpartys und, nun gut, immer noch viele Menschen mit Socken in den Sandalen auf den Straßen.

Dass »Sasa«, wie sie ihrem spannenden Bericht zufolge liebevoll von ihrer Mutter genannt wurde, mich nun aber unentwegt über YouTube ausfragte, war noch erschreckender.

»Stimmt es, dass die Plattform wirklich so kaputt ist?«

Ich schüttelte fragend den Kopf. »Was meinst du denn mit kaputt

»Na, dass sich alle YouTuber gegenseitig voll hassen!« Sie trank einen Schluck von ihrem Ingwer-Zitrone-Tee und tropfte dabei etwas auf ihre weiße Bluse, was sie jedoch nicht weiter zu stören schien.

»Na ja, also hassen …«

»Okay, aber ihr mögt euch nicht, oder?!« Sasa war verdammt verbissen. Aber sie hatte nicht unrecht.

Die deutsche YouTuber-Szene war in den letzten Jahren den Bach runtergegangen.

Früher, ich erinnere mich gerne daran zurück, war es das Normalste der Welt, mit anderen YouTubern zusammen Videos zu drehen, sich gegenseitig zu unterstützen und Abonnenten zu teilen. Heute war das vollkommen anders. Viel zu groß schien der unsichtbare Konkurrenzkampf, ein von außen einwirkender Zahlendruck und Wettstreit um Aufrufe und Abonnenten, der jeden zu erdrücken drohte, der an dem Spiel teilnahm.

Zum Leidwesen der Zuschauer, die keine spannenden Videos mehr zu Gesicht bekamen.

Zum Leid der YouTuber, deren Aufrufe schlechter wurden.

Zum Leid der Plattform selbst, die durch weniger Aufrufe auch weniger Umsatz erzielte.

»Und was ist mir dir?« Sarah schreckte mich aus meinen Gedanken auf. »Hast du viele Feinde auf YouTube?«

Ich dachte gar nicht daran, ihr irgendetwas anzuvertrauen, also erzählte ich ihr einfach irgendetwas. Vermutlich hätte sie mit einem Schimpansen ein ehrlicheres Date gehabt.

Aber tatsächlich war auch ich nicht ganz unschuldig. Insgeheim hatte ich in den letzten Jahren selbst eine große Abneigung gegenüber vielen anderen YouTubern entwickelt, zum Teil aus Neid, manchmal aus Missachtung oder weil ich anhand von Oberflächlichkeiten meinte, sie beurteilen zu können.

Umso erfreulicher, dass ich mich morgen von all dem loslösen, vollkommen befreien konnte. Klar, meine Freunde waren ebenfalls YouTuber und damit nüchtern betrachtet von der Konkurrenz – aber es waren eben dennoch meine Freunde, schon seit vielen Jahren. Das musste einen höheren Stellenwert haben, da war ich mir sicher. Wie wichtig diese Erkenntnis wirklich war, sollte ich erst viel später erfahren …