Stormy Daniels
mit Kevin Carr O’Leary
In aller Offenheit
Eine Frau gegen Trump
Aus dem Englischen von Pieke Biermann,
Elisabeth Liebl, Stephan Kleiner, Eva Schestag
und Karsten Singelmann
Knaur e-books
Stormy Daniels wurde 1979 in Baton Rouge Louisiana geboren. Sie ist witzig, widerspenstig, warmherzig und scharfsinnig, ihr Leben begann wie das vieler Mädchen: Sie mochte Pferde und las gerne, aber sehr früh schon war sie gezwungen, für sich zu denken und zu handeln. Später gewann sie als Regisseurin und als Darstellerin in zahlreichen Pornofilmen die wichtigsten Preise der Branche. Daniels lebt mit ihrer Tochter in Texas.
Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel
»Full Disclosure«
bei St. Martin’s Press, New York.
© 2018 der eBook-Ausgabe Droemer eBook
© 2018 Stephanie Clifford, note copyright © Michael Avenatti Esq.
© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe Droemer Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Lektorat: Gisela Fichtl
Redaktion: Christiane Bernhardt
Covergestaltung: Daniela Meyer, München
Coverabbildung: Keith Munyan;
Shutterstock.com/PhotoStockImage
ISBN 978-3-426-45568-5
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Wir freuen uns auf Sie!
Meiner klugen, tapferen, bildschönen Tochter.
Du erinnerst mich Tag für Tag daran, was wirklich wichtig ist.
Mein Handy surrte und surrte, Nachrichten von Freunden, alle mit dem gleichen Text: »Happy Stormy Daniels Day!« Es war zwei Uhr, nur noch zwei Stunden, bis ich bei einer kleinen Open-Air-Feier auf dem Santa Monica Boulevard den Stadtschlüssel für West Hollywood überreicht bekommen sollte. John Duran, der Bürgermeister des Bezirks, hatte den 23. Mai zum Stormy-Daniels-Tag ausgerufen, und ich fand das mindestens so surreal wie alle anderen.
Ich schrieb allen zurück und trank eine Dose Red Bull leer. Keith und JD, meine schwulen Daddys, sorgen immer dafür, wenn ich bei ihnen in L.A. wohne, dass die Bude voll mit Energy-Drinks ist. Und mit Knabberzeug. Wer mit mir befreundet sein will, dem muss eins ganz klar sein: Knabberkram gehört dazu. Ein SUV mit meinen beiden Bodyguards hielt vor dem Haus. Brandon und Travis sind seit Anfang April, als die Morddrohungen gegen mich und meine Familie heftiger wurden, immer um mich herum, aber so nervös, wie sie jetzt mit einer Tasche auf die Tür zukamen, habe ich sie noch nie erlebt. Ich hatte sie in einen äußerst wichtigen Einsatz geschickt: »Fahrt zu Marciano und kauft mir was zum Anziehen für die Feier. Größe S, zurzeit«, hatte ich sie instruiert, »und nicht vergessen, ich hab Riesentitten.«
Brandon und Travis waren auf Nummer sicher gegangen und mit zwei Kleidern zurückgekommen, eins pfirsichfarben, das andere schwarz. Sie gaben sie mir zur Begutachtung. Ich kniff die Augen zusammen – Leute, die ich mag, ein bisschen zu triezen ist mein Lieblingszeitvertreib –, dann sagte ich leise: »Habt ihr klasse gemacht, Jungs! Seid ihr jetzt auch noch Stylisten?« Ich nahm das kleine Schwarze von Capella, ein Bandage-Kleid mit tiefem Ausschnitt, das perfekt saß und Donner und Blitz – meine Spitznamen für meine Brüste – in Schach hielt.
Ich glaube, ich hatte die Kleiderfrage vor lauter Aufregung über die Rede, die ich halten sollte, so lange vor mir hergeschoben. Ich bin es als Schauspielerin und Regisseurin in der Erotikfilmbranche und als Stripperin gewohnt, dass mich Leute, die ich treffe, mit der Frage löchern, wieso ich dies und jenes tue. Wie komme ich eigentlich dazu, Pornos zu drehen oder mich in Clubs auf der Bühne auszuziehen? Oder mich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten anzulegen? Das Erstaunlichste für mich an diesem ganzen vergangenen Jahr dagegen ist die Entdeckung, dass ich vor Leuten reden kann. Auf der Scotlandville Magnet Highschool in meiner Heimatstadt Baton Rouge hatte ich zwar lauter Einsen, aber ich nahm lieber eine Sechs in Kauf, als mich vor die Klasse zu stellen und etwas vorzutragen. Ich war starr vor Angst, meine Stimme bebte, ich kam einfach nicht vom Stuhl hoch. Das erste Mal passierte das in der neunten Klasse – bei einem Referat über Louisa May Alcotts Roman Little Women. Natürlich hatte ich ihn gelesen – ich las damals alles, was ich kriegen konnte. Und die Figur der Jo March wäre das ideale Thema für mich gewesen, weil sie Schriftstellerin werden wollte, genau wie ich. Vor allem mit ihrer Frustration über das wenige, was die Welt jungen Frauen zuzugestehen bereit war, konnte ich mich identifizieren. Außerdem fand ich nicht, dass sie den alten Professor Bhaer heiraten sollte. (Entschuldigung, wenn das jetzt ein Spoiler ist, aber wenn Ihre nächste Lektüre auf dieses Buch oder Little Women zusammenschnurrt, sollten Sie sowieso mal Ihre Lebensentscheidungen überdenken.)
Aber ich bekam keinen Ton heraus. Ich kassierte eine Fünf minus, und zwar jedes Mal, wenn ich die Aufgabe hatte, vor anderen Menschen zu reden. Ich mochte es nicht, angestarrt zu werden. Beurteilt. Aber genau das passiert jetzt ständig, nachdem ich im März dem CBS-Politmagazin 60 Minutes ein Gratisinterview gegeben habe, das Millionen wert war. Ich wollte unbedingt als Erstes in einem seriösen, unparteiischen Sender gewisse Dinge richtigstellen, über Donald Trumps persönlichen Anwalt, über seine wiederholten Bitten, die Wahrheit über eine sexuelle Begegnung, die ich 2007 mit dem zurzeit amtierenden Präsidenten hatte, zu verschleiern. In 60 Minutes habe ich berichtet, was in dem Hotelzimmer gelaufen und wie ich später auf einem Parkplatz bedroht worden war. Aber das war nicht die ganze Geschichte – ich habe damals nicht erzählt, warum ich mich zum Reden entschlossen hatte und welchen Preis ich persönlich dafür bezahle. Noch immer schrieb und drehte ich Filme mit mir selbst als Star in L.A. und fuhr dann heim nach Texas, zurück in mein Vorstadtleben mit meinem Mann und meiner siebenjährigen Tochter. Das war mein Leben, so hatte ich es mir erträumt und hart dafür gearbeitet. Aber dieses Leben ist vorbei, das muss ich mir immer wieder klarmachen. Angesichts all dessen, was ich verloren habe, steht es mir doch wohl zu, mich zu verteidigen und sämtliche Fakten offenzulegen. Deshalb habe ich beschlossen, all das aufzuschreiben, was Sie gleich lesen werden.
Ich tue es auch für die vielen Menschen, die zu meinen Stripshows kommen und geduldig immer länger Schlange stehen, um ein Foto mit mir machen zu können und mir einen Augenblick nahe zu sein. Ich tanze in Clubs, seit ich 17 bin. In den zwei Jahrzehnten Film- und Bühnenarbeit ist meine Fangemeinde stetig gewachsen, demographisch gesprochen waren es meist weiße Männer in den mittleren Jahren, also zwischen 45 und 65 – vorwiegend Republikaner. Von denen habe ich etliche verloren. Okay, jeder hat die freie Wahl. Wir sind hier schließlich in Amerika.
Statt ihrer kamen jetzt Leute, die nicht weiß waren, Schwule, auch jede Menge weiße Frauen in den Vierzigern. Solche Leute waren bisher nie in Stripclubs gegangen, auch das will nämlich gelernt sein. Mein angestammtes Publikum hatte beste Manieren, vielen Dank noch mal. Wer in meine Shows kam, zeigte, dass er sich in der nicht jugendfreien Unterhaltungsbranche auskannte, wahrscheinlich schon auf Erotikmessen gewesen war oder zumindest einen anderen Pornostar in einem Stripclub gesehen hatte. Solche Leute wissen, wie man sich benimmt. Die knipsen nicht während der Show, die grapschen auch definitiv nicht nach mir, um mir Liebeserklärungen zu machen. Ich tanze nämlich auf sehr hohen Stöckelschuhen, und wenn jemand an mir herumzerrt, falle ich hin. Und er wird achtkantig vom Türsteher rausgeschmissen.
Wenn Ihnen der Begriff neues Geld etwas sagt, dann wissen Sie in etwa, wer die neuen Stripclub-Stammgäste sind. Die kommen jetzt in Massen in meine Shows.
Die schwulen Männer kann man in zwei Kategorien einteilen: Die einen wollen sich einfach amüsieren, die anderen Zeitgeschichte erleben – ich mag sie beide. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich von den Ersteren höre: »Das ist das erste Mal, dass wir Eintritt für einen Stripclub bezahlen – wo’s eine Vagina zu sehen gibt.« Viele haben extra Requisiten dabei für die Fotos hinterher, Chipstüten oder Hüte mit dem Spruch Make America Gay Again.
Die Schwulen der zweiten Gruppe sind emotionaler, sie erzählen mir nach der Show, wie sie sich gemobbt fühlen von einer Regierung, die ihre Ehen und ihre Freiheit offenbar nicht schützen will. Was sie mir anvertrauen, sind reale Ängste, sie beruhen auf echten Erfahrungen. Denselben, die auch meine schwulen Daddys immer wieder machen, meine Wahlfamilie, seit ich mit Mitte zwanzig meine biologischen Eltern für mich abgemeldet habe. Keith und JD gehören zu den ganz wenigen Menschen, die von meinem Geheimnis in Sachen Trump-Vorwahl wussten, und es gab einen Moment Ende 2016, in dem sie mir vor lauter Panik wegen ihrer bevorstehenden Heirat übelnahmen, dass ich nicht reinen Tisch machte und mein Leben auf den Kopf stellte, um ihrs zu retten.
Die Frauen, stellte ich fest, kamen in die Clubs, als es losging mit den verletzenden Facebook-Posts, die irgendwelche Leute morgens nach einer Show schickten. »Wir wollten dich eigentlich unterstützen, aber wir durften nicht rein!« Sie standen zu viert oder fünft vor dem Club, lauter Frauen, aber die Türsteher ließen sie nicht durch. Als heterosexuelle Frau kommt man normalerweise nur in männlicher Begleitung in einen Club. Wenn eine ohne Mann kommt, wird angenommen, dass sie nach Heiratskandidaten Ausschau hält oder anschafft. Bei mir weiß inzwischen jeder Clubbesitzer, dass er auch Frauen reinzulassen hat.
Die Frauen, denen ich während der Tourneen begegne, sind ziemlich wütend. Nicht auf mich, wie ich zuerst dachte. Ich hatte anfangs sogar ein bisschen Angst um meine Sicherheit in den Clubs. Aber nein, sie sind wütend auf Trump, anscheinend nehmen sie ihn als Stellvertreter für jeden Mann, der sie je schlecht behandelt hat. In Nashville, Shreveport, Baltimore … überall hieß es: »Du musst ihn drankriegen. Schnapp dir diesen Haufen orangene Scheiße.« Ganz oft warten sie eher still in der Schlange, um mit mir zu reden, und dann legen sie mir die Hand auf den Arm und erzählen von irgendeiner Frau, für die sie sich nicht eingesetzt haben. Oder einer Freundin, die sich umgebracht hat, nachdem sie vergewaltigt worden war. Oder von sich selbst, von dem Gefühl, keine Stimme zu haben, schutzlos zu sein. Und ich stehe da, eine junge Frau in schicken Klamotten, die vor ein paar Minuten noch auf einer Bühne Striptease gemacht hat. Sie übertragen ihre Energie komplett auf mich und gehen nach Hause, befreit von einer Last, die jetzt ich auf den Schultern habe.
Zum Abschied sagen sie: »Du wirst die Welt retten.« Im April gab es noch ein Upgrade, da hat mir eine Frau bei einem solchen Gespräch gleich den Job verpasst, das ganze Universum zu retten. Soll aber kein Druck sein. Das geht an die Nieren, diese Frauen, nicht der Twitter-Troll, der mich Schlampe nennt, oder der Typ, der aus einer Menge heraus »Hure« brüllt. Auf so was, denke ich manchmal, hat mich meine Arbeit im Pornobusiness vorbereitet, da darf man mich beschimpfen, wie es einem gerade einfällt, so was höre ich seit eh und je von Losern aller Art. Aber nichts im Leben hat mich vorbereitet auf die Vertrauensbeweise und die Hoffnungen von Menschen, die in meine Shows kommen. Das ist lauter positive Energie, und trotzdem nimmt es mich mit. Ich will es mal so beschreiben: Man liegt den ganzen Tag am Strand in der Sonne. Das ist toll, aber wenn man danach in sein Zimmer kommt, ist einem übel. Soll heißen, ich zieh mir das alles rein, aber irgendwann ist eine Grenze erreicht, die ich nicht vorhergesehen habe, und plötzlich liege ich in meinem Hotelzimmer auf dem Boden, wo mich niemand sieht, und heule. Ich durchlebe den Zustand noch mal, geballt, und dann stehe ich wieder auf. Bei mir heißt das Schwammausdrücken.
Ach richtig, es war ja Stormy-Daniels-Tag, die Heldin muss auftreten und eine Rede halten. Bevor ich mich aufmachte, telefonierte ich via Skype mit meiner Tochter. Sie war zu Hause in Texas mit der Privatlehrerin, die wir engagieren mussten, weil sie nicht mehr zur Schule gehen kann. Sie gegen den Mist, den alle Welt über ihre Mutter erzählt, abzuschirmen ist unmöglich. Die beiden waren gerade im Zoo, und ich vergaß die nächsten zehn Minuten alles andere und hing an jedem brillanten Wort meiner siebenjährigen Tochter, die von den Abenteuern ihres Tages berichtete.
»Ich kann es kaum erwarten, dich wieder in echt zu sehen«, sagte sie.
»Wir sehen uns Freitag, Kleines«, sagte ich. »Wievielmal schlafen ist das?«
»Zwei.«
Wir müssen inzwischen Treffen in anderen Städten organisieren, um den Paparazzi auf der Jagd nach Familienfotos aus dem Weg zu gehen. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich immer, wenn ich mal zwei Tage Pause bei der Tournee habe, zu Hause in Texas bei meiner Kleinen bin. Die Presseleute campieren vor unserem Haus und dem Gestüt, in dem wir reiten. Diesmal wollten wir uns in Miami treffen, da konnte sie wenigstens mit Delfinen schwimmen.
»Mommy liebt dich«, sagte ich.
Und dann brach mein kleiner Wanderzirkus auf zur Schlüsselübergabefeier im Erotica-Shop ChiChiLaRue’s auf dem Santa Monica Boulevard. Der Laden hatte einen Raum für Privatveranstaltungen, in dem Keith und JD schon standen, alle begrüßten und an diesem Ehrentag für ihre Tochter ganz in der Gastgeberrolle aufgingen. Dann kamen Bürgermeister John Duran, Vizebürgermeister John D’Amico und mein Anwalt Michael Avenatti. Ich musste dauernd grinsen, wer alles mit ihm fotografiert werden wollte und wer irgendeinen Vorwand fand, ihn am Arm zu berühren. Jemand vom Bürgermeisteramt fragte Michael, ob er auch etwas sagen wollte, aber es ist ja bekannt, wie schüchtern er ist. Scherz beiseite – natürlich wollte er. Er hatte auch wie immer angeboten, meine Rede zu schreiben, und ich hatte wie immer abgelehnt. Zum einen, weil ich weiß, dass er Angst davor hat, aber vor allem, weil es meine eigenen Worte sein sollen.
Die Menge war inzwischen ziemlich groß, der Laden mit der komplett verglasten Front hatte etwas von einem Aquarium, draußen an den Absperrseilen zu der kleinen »Bühne« drängelten sich Fotografen und Fans. Brandon und Travis gingen auf und ab und hielten Ausschau nach möglichem Störpotenzial.
»Bist du so weit?«, fragte Michael.
Ich nickte. Der Bürgermeister, sein Vize, meine schwulen Daddys, Michael und meine Bodyguard-Drachen quetschten sich auf die winzige Bühne. »Eins kann ich Ihnen versprechen«, fing Michael an, »Stormy Daniels wird nicht ihre Sachen packen, sie wird nicht nach Hause gehen, sie wird einen langen Kampf ausfechten, jeden einzelnen Tag, so lange, bis er zu Ende ist.«
Dann überreichte mir John D’Amico den Stadtschlüssel, und das Mädchen, das einst lieber eine Sechs kassiert hatte, als sich beurteilen zu lassen, fing an zu reden. »Also ich weiß nicht genau, was man mit diesem Schlüssel aufkriegt. Ich hoffe, es ist der Weinkeller. Aber im Ernst, West Hollywood ist ein wahrhaft besonderer Ort und liegt mir sehr am Herzen.«
Jemand in der Menge brüllte: »Hat Trump ’n Großen?« Und ich dachte nur: Red einfach weiter, Stormy.
»Als Frau mit zwei wunderbaren schwulen Vätern, Keith und JD, fühle ich mich hier besonders zu Hause. Die Gemeinde West Hollywood wurde vor mehr als drei Jahrzehnten mit dem Leitsatz gegründet, dass jeder Mensch würdig, fair und anständig behandelt werden sollte.«
»Der hat ’n Kleinen, was?«
»In West Hollywood steht man traditionell auf gegen Scheißkerle und sagt den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht. Ich empfinde es als großes, großes Glück, dazugehören zu dürfen.«
Wieder drinnen, las ich, wie der Bürgermeister den Stormy-Daniels-Tag begründet hatte, und wieder war ich sprachlos, wie aberwitzig mein Leben verlaufen war. Ich gehörte doch eigentlich in einen Trailer in Louisiana, mit sechs Kindern und ohne Zähne. Ich war aufgewachsen in einer Umgebung, der zu entkommen gar nicht vorgesehen war, unter Erwachsenen, die mich nie in irgendetwas gefördert haben. Ich fing noch in der Highschool mit Striptease an und ging trotzdem mit einem super Zeugnis ab, weil ich für die Schulzeitung geschrieben hatte. Ich habe mir in einer männerdominierten Branche Respekt erarbeitet, als Drehbuchautorin und Regisseurin. Und jetzt stecke ich, obwohl ich alles getan habe, mich da rauszuhalten, mittendrin in einem der größten Skandale der amerikanischen Geschichte.
Ich weiß genau, ich hatte von Anfang an schlechte Karten, und eigentlich gibt es absolut keinen Grund, dass ich es so weit geschafft habe, bis hierher, wo ich Ihnen dies alles erzähle. Aber es könnte ja sein, dass das Universum Underdogs ebenso liebt wie ich. Meine Geschichte und die Entscheidungen, die ich getroffen habe, gehören mir. Ich stehe dazu, auch wenn Sie vielleicht manches anders gemacht hätten.
Dies ist meine Geschichte, und sie hat einen entscheidenden Vorteil – sie ist wahr.
Ein Tornado schraubte sich durch das Sonnenblumenfeld.
Er war klein und schmal und meilenweit entfernt, Mom und ich saßen auf der Treppe vor unserem Haus und sahen ihm zu. North Dakota war ausgedehntes Flachland, man konnte in aller Ruhe in der Sonne sitzen und einem Sturm in der Ferne beim Wirbeln zuschauen wie im Kino. Es war Ende Juli. In dem Sommer lebten wir in einem Wohnblock in Bismarck, der für mich mit meinen zwei Jahren aussah wie aus der Sesamstraße. Unser Haus lag gegenüber einer Sonnenblumenfarm, eine schwarz-goldene Fläche Richtung Osten, soweit man sehen konnte.
»Schau mal, der Twister«, sagte Mom immer wieder. »Schau, der Twister.«
Ich hatte keine Angst. Die Sorte kleines Mädchen war ich nie. Ich war mit zwei Jahren allein von der Little-People-Academy-Vorschule nach Hause gelaufen. Ich war mittags während der Schlafenszeit einfach ausgebüxt. »Ich mache keinen Mittagsschlaf«, erklärte ich meiner Mutter, als ich wieder vor der Tür stand. Sie seufzte. Seit meiner Geburt brachte ich sie durcheinander, ich war nicht der geplante Junge, für den sie schon das Kinderzimmer dekoriert hatte, sondern ein Mädchen. Eine Woche lang war sie tief betrübt. Ich hätte ein Stephan Andrew werden sollen, benannt nach einem verstorbenen Verwandten, und jetzt saß sie da mit einer Stephanie Ann. Falls wir uns je begegnen, nennen Sie mich Stormy.
In dem Tornadosommer kaufte mir Mom schwarze Rollschuhe mit roten Schnürbändern und roten Rädern. Ich fand sie einfach nur bildschön, aber Mom war wild entschlossen, mir Rollschuhlaufen beizubringen. Sie stellte mich auf den Betonboden und breitete die Arme aus. »Komm zu mir«, sagte sie.
Sheila Gregory war damals eine Schönheit, eine 27-jährige Ausgabe von Julianne Moore mit Sommersprossen, blauen Augen und langen rotblonden Haaren. Die trug sie offen mit Mittelscheitel, im Look der 1970er-Jahre, den sie erfolgreich in die 80er hinübergerettet hatte. Sie war klein und mager und bekam oft zu hören: »So ein Winzling.«
Neben meinem Dad wirkte sie noch kleiner. Bill Gregory ist ein stattlicher Mann, eins fünfundneunzig mit brauner Haut, er hat ein paar Tropfen Cherokee-Blut in den Adern. Ich bin eine perfekte Mischung aus Sheila und Bill, was allerdings auch grauenhaft hätte danebengehen können. Ich hatte dicke blonde Locken und die Intelligenz von meinem Dad. Seinetwegen zogen wir andauernd um, er war Bauingenieur und dafür zuständig, die Stromleitungen für neue Anlagen zur Wasserwiederaufbereitung zu planen. Mom hatte es nicht so mit Denken. Sie war auch nie berufstätig, und ich kann mich nicht erinnern, sie je mit einem Buch in der Hand gesehen zu haben.
Das Einzige, was Mom interessierte, war mein Vater. Die beiden hatten eine leidenschaftliche Beziehung, und Mom war ein eifersüchtiger Hitzkopf. Sie warf gern mit Sachen um sich, allerdings nie in meine Richtung. Es waren Warnschüsse für ihn. Früher hatte sie sich die Männer aussuchen können, mit 17 war sie sogar ein paarmal mit Kurt Russell ausgegangen. Sie hatte ihn im Louisiana State Capitol kennengelernt, meine Großmutter war gerade Geschworene und hatte sie mitgenommen. Kurt drehte dort gerade Turm des Schreckens, ein Blick auf meine Mutter, und er war hin und weg. Er führte sie aus. Meine Großeltern erlaubten es, hielten sie aber unter Beobachtung. Meine Großmutter erzählte immer gern von dem Abend, an dem Mom von Kurt Russell mit einer Limousine abgeholt und in ein schickes Restaurant ausgeführt worden war. Weiter kam er nicht, sie war noch minderjährig. Sie hielten Händchen, und das war’s.
Bismarck war nur ein kurzes Intermezzo. Wir behielten unser Haus in Baton Rouge, in dem ich geboren bin. Die Eltern meines Vaters wohnten nebenan und konnten es im Auge behalten. Aber da waren wir nur selten. Wir hatten einen Chevrolet Suburban mit Bootsanhänger, immer vollgepackt. Dads Boot kam überallhin mit, selbst wenn der neue Ort die reinste Felswüste war. Er nutzte jede Gelegenheit, um Wasserski zu fahren. Ansonsten zogen wir es einfach hinterher, wir stopften unsere Sachen hinein, breiteten die Plane drüber und fuhren weiter zum nächsten Ort.
Ich habe ein fotografisches Gedächtnis und kann mich an jeden Ort zurückversetzen, an dem wir lebten. Zum Beispiel Kissimmee, Florida oder Kalamazoo im Winter, was Mom hasste. Dort saß sie den ganzen Tag jammernd und rauchend im Haus, in Michigan war es zu kalt, um vor die Tür zu gehen. Nach Bismarck kam Idaho Falls. Dort mieteten wir ein Haus in der Amy Lane, einer winzigen Straße mit vielen Fichten, die aussahen wie Weihnachtsbäume. Wir hatten einen schönen großen Garten hinter dem Haus, mit einem betonierten Weg zu einer Scheune, in der noch Pferdeställe waren. Irgendein früherer Bewohner hatte Pferde gehabt, und ich saß oft in der kühlen Scheune und versuchte, die Geister der Pferde heraufzubeschwören.
Mom freundete sich mit Nicky Fontenot an. Ich nannte sie Miss Nicky, sie besaß ein Pferd namens Prissy Puddin’ und konnte Tonnenreiten. Einmal war ich im Stall, als Miss Nicky die Stute nach einem Parcours trocken ritt. Prissy war müde und verschwitzt, und irgendjemand hob mich, hoppla-hopp, hoch und setzte mich vor Miss Nicky. Ich weiß noch genau, wie der Sattel und der Pferdeschweiß rochen, ich sehe das rotbraune Fell und die schwarze Mähne vor mir. Es war magisch, und ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben erinnern, in der ich nicht reiten wollte.
Ich war ein Einzelkind, und meine Mutter hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass mein Vater überhaupt keine Kinder wollte. Ich wusste schon früh, dass sie mit Absicht schwanger geworden war und er das eine Kind dann eben toleriert hatte. Er war nie schlecht zu mir, ihm fehlte einfach jeglicher Vaterinstinkt. Er nahm hin, dass ich da war, und ich betete ihn an.
Natürlich stand auch nie zur Debatte, als ich vier wurde und allmählich die Schulpflicht drohte, dass mein Vater seinen Lebensstil änderte. Das hätte er nie. Und so zog Mom mit mir in unser Haus in Baton Rouge, und er nahm einen Job in Alaska an. Eine Zeit lang schickte er mir ausgestopfte Tiere aus der Gegend. Mein Liebling war ein kleiner Husky. Er fotografierte auch seine Baustelle und schickte 20x30er Abzüge von der endlosen platten Einöde und von den Polarfüchsen, die er zutraulich zu machen versuchte, indem er sie mit Brathähnchen fütterte. »Ich habe sie fast so weit, dass sie mir aus der Hand fressen«, erzählte er mir am Telefon.
Wenn ich fragte, wann er nach Hause käme oder ich ihn besuchen könnte, gab er keine Antwort.
Unser Haus im McClelland Court war klein, der Vorgarten bestand aus zwei gleichgroßen Rechtecken, eins asphaltiert für die Auffahrt und eins aus räudigem Rasen. Die Straße gehörte zu einer hufeisenförmigen Siedlung, in der alle Häuser gleich aussahen und die gleiche Ausstattung hatten. Wir wohnten in einem Flachbau, Bungalow Ranch-Style, mit drei Schlafzimmern, die diese Bezeichnung allerdings kaum verdienten. Ich hatte ein Wasserbett mit vinylbespanntem Rahmen, das immerhin war cool. Die Nachbarhäuser lagen nur ein paar Meter voneinander entfernt – falls Sie eins kaufen wollen, der Preis müsste heute bei 24000 Dollar liegen.
Mom schickte mich zum Ballettunterricht, weil ich Ballerina werden wollte. Die Lehrerin hieß Miss Vicki, ihrer schrulligen alten Mutter Miss Donna gehörte die Tanzschule. In dem Jahr wurde ein Stück geprobt, das eine Art Disney-Verschnitt war, ich sehe mein Kostüm noch vor mir: babyblau, paillettenbesetzt, mit einer Rüsche über dem Po. Dazu eine weiße Strumpfhose, weiße Steppschuhe und ein weißer Hut, auch paillettenbesetzt. Witzig, wenn ich heute auf meinen Stripshow-Tourneen die Zaubernummer tanze, habe ich den gleichen Hut in Schwarz auf. Und wenn ich den Zauberzylinder aufsetze, fällt mir jedes Mal das Disney-Ballett von damals wieder ein.
Hinter der Bühne war Toddlers & Tiaras live, Krabbelkinder, Krönchen und Baton-Rouge-Mamas, die ihren Töchterchen in den Haaren herumfuhrwerkten, alle rauchend. Meine Mutter versuchte, mir den Hut mit Haarklammern direkt auf der Kopfhaut festzutackern. Ich muss mit dem ganzen Haarspray und Polyester ein wandelndes Brandrisiko in Kleinformat gewesen sein.
»Aua!«, rief ich immer wieder. »Das tut weh!«
Miss Donna kam angehumpelt, stieß eine Qualmwolke aus und wackelte drohend mit dem Finger. »Wer schön sein will, muss leiden«, krächzte sie. »Schönheit ist Schmerz.«
Dann humpelte sie davon, und ich war sprachlos. Ein wahrer’ Wort ward nie verkündet. Nur hatte ich damals noch keine Ahnung, wie viel Zupfen und Wachsen meine Zukunft bereithalten würde. Neben hohen Stöckeln, Korsetts und BH-Bügeln.
Etwa zu der Zeit hatte ich meinen ersten Freund. Jason Beau Morgan wohnte gleich neben meiner Großmutter mütterlicherseits, ich nannte sie Mawmaw Red. Jason und ich gingen miteinander, weil ich das so verfügt hatte. Ich hatte ihm vor dem Haus meiner Großmutter erklärt: »Du bist jetzt mein Freund.« Jason hatte blaue Augen und sandfarbene Locken. Ich habe sogar sein Gesicht aus einem Foto geschnitten und in ein Medaillon geklebt, das ich noch habe. Nach der Grundschule verloren wir uns aus den Augen, später in der Sekundarschule erfuhr ich, dass er an einem Hirnaneurysma gestorben war. Jason war der erste Junge, mit dem ich Händchen hielt.
Mawmaw Red war mir besonders lieb, ich ging sehr gern zu ihr, nicht nur, um mit Jason Fangen zu spielen. Sie machte mir immer Café au Lait – mit extra viel Milch und Zucker in einer schmalen hohen braunen Plastiktasse – und hatte Blöckchen, die sie vor ihren anderen Enkelkindern versteckte. Nur ich durfte darauf malen. »Du bist etwas Besonderes, Stephanie«, sagte sie oft, mit ihrem Louisiana-Akzent.
Mawmaw Red hatte ein Emphysem, und in den letzten Monaten ihres Lebens trug sie eine Sauerstoffmaske, wenn ich zu Besuch kam, und zog den großen grünen Tank durch die ganze Wohnung hinter sich her. Irgendwann kam sie dann gar nicht mehr aus ihrem Zimmer. Ich kann mich noch an den Sauerstoffgeruch erinnern und dass mir dabei Erinnerungen an die Zeit in Idaho hochkamen, als ich ganz schlimmes Asthma hatte und ins Krankenhaus musste. Ich lag unter einem Sauerstoffzelt und spielte Fisch im Glas, aber irgendwann langweilte ich mich und beschloss abzuhauen.
In dem August, in dem Dad nach Alaska zog, ging es mit Mawmaw Red bergab, und Mom nahm mich mit ins Krankenhaus, ich sollte mich von ihr verabschieden. Sie konnte nicht mehr sprechen und war dem Tod schon ganz nah. Ich weiß noch, dass ich dachte, sie sieht ja aus wie in der Szene in E.T., wo Elliott zu E.T. sagt: »Aber du musst tot sein, weil ich nicht mehr weiß, was ich fühlen soll. … Du wirst jetzt woanders hingehen.«
Ich blieb über Nacht bei meinen Großeltern väterlicherseits im Nachbarhaus. Am nächsten Tag war ich wieder zu Hause, und Mom kam in ihr Zimmer, wo ich gerade spielte. Ich stand neben dem Bett, sie sank auf die Knie und schloss mich in die Arme.
»Ich muss dir etwas sagen«, schluchzte sie, »Mawmaw Red ist gestorben.« Sie war völlig aufgelöst, aber ich fand es nicht traurig. Ich war erleichtert. Ich dachte, Mawmaw wird jetzt einfach woanders hingehen. Mom war tagelang außer sich.
Dad kam zur Beerdigung aus Alaska. Er hielt das für den richtigen Zeitpunkt, Mom mitzuteilen, dass er sie verlassen würde. Er hatte eine andere Frau kennengelernt. Eine Susan, wie ich alsbald erfuhr, weil meine Mutter schrie: »Susan, diese Hure.« Ich wurde wieder nach nebenan zu den Großeltern geschickt, konnte aber alles mit anhören, die Schreierei, die Teller, die klirrend an der Wand zerschellten. Meine Mutter drehte total durch. Zu allem Übel hatte Dad Susan auch noch mit nach Baton Rouge gebracht. Einmal sah Mom die beiden zusammen in der Stadt, ging auf Susan los und wollte sie verprügeln.
Die Trauer hielt meine Mutter ganz und gar gefangen, was man ja verstehen kann. Allerdings schien sie darüber vergessen zu haben, dass ich auch noch da war. Sie war fremd geworden, antriebslos, hatte keine Lust, etwas mit mir zu unternehmen. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist unser Suburban, rückwärts in der Einfahrt, die Plane abgedeckt. Dad lud Sachen ein, so wie immer, wenn ein Familienumzug anstand, aber diesmal nur seine. Mir war völlig bewusst, dass er uns verließ, aber ich spielte weiter still auf der kleinen Wiese vorm Haus, während Mom zeterte, dass es die ganze Siedlung hören konnte.
Als er noch ein letztes Mal etwas holen gehen wollte, schubste meine Mutter ihn ins Haus und schrie drinnen weiter auf ihn ein. Das war meine Chance. Ich kletterte in den Suburban und versteckte mich hinter ein paar Kisten. Niemand merkte, dass ich nicht mehr da war, und erst jetzt, wo ich das schreibe, fällt mir auf, dass mein Vater mich nicht einmal gesucht hatte, um sich zu verabschieden. Er war einfach eingestiegen, hatte die Tür zugeknallt und war in sein neues Leben gebraust.
Als er ein paar Kilometer hinter sich hatte, hielt ich die Luft für rein genug, um ihn zu überraschen.
»Hi, Dad!« Ich dachte, er würde sich freuen. Er und ich gemeinsam auf der Flucht. Aber er guckte nur traurig und hielt am Straßenrand.
»Du kannst nicht mit, Kleines«, sagte er. »Ich muss dich zurückbringen.«
»Ich will aber nicht nach Hause«, sagte ich. Trotzdem drehte er auf der Stelle um, und ich heulte und brüllte und schlug auf die Kisten ein. Irgendwie wusste ich, dass mein Zuhause nicht mehr sicher war. Ich hatte schon immer einen guten siebten Sinn, und alles in mir schrie: weg hier.
Dad musste mich aus dem Wagen zerren, während Mom uns beide anschrie. Sie musste mich mit aller Kraft packen und ins Haus schleifen, sonst wäre ich hinter dem Suburban hergerannt. Dad heiratete Susan und begann sein neues Leben ohne mich.
Ich sah meinen Vater fast drei Jahre lang nicht wieder.
Meine Mutter war schlagartig ein anderer Mensch geworden, als hätte der Abgang meines Vaters einen Ausknopf betätigt. Sie trank den ganzen Tag lang Coca-Cola und zündete sich eine Zigarette an der anderen an. Dann drückte sie die fast ausgerauchte Kippe aus, in einem Aschenbecher oder irgendetwas anderem, das gerade herumstand. Wie sie aussah, war ihr völlig egal, ihre rotblonden Haare wurden fast über Nacht grau und krisselig. Sie war 30 und musste zum ersten Mal im Leben arbeiten gehen. Sie kellnerte in einem Restaurant namens Café Lagrange und hatte einen Zweitjob bei Tigator, einer Spedition in Port Allen, Louisiana, auf der anderen Seite des Mississippi. Als das Restaurant dichtmachte, übernahm sie mehr Arbeit bei Tigator. Die Firma hatte eine Flotte grell orangeroter 18-Wheeler-Sattelzüge, auf allen prangte ein zweiköpfiges Tier als Logo, halb Tiger, halb Alligator.
Sie war eine tolle Mom gewesen, aber jetzt interessierte sie sich immer weniger für mich. Zum einen, weil sie inzwischen in diesen Mindestlohn-Jobs schuften musste, aber ich glaube vor allem, weil mein Vater ihr das Herz gebrochen hatte. Sie baute rapide ab, bestimmt dachten viele Leute, dass sie Drogen nahm oder trank. Hätte sie doch bloß, denn dann wäre verständlicher gewesen, wie sie sich aufführte. Aber betrunken habe ich meine Mom vielleicht fünfmal erlebt. Und zwar von Weinschorle, bei Grillpartys in entspannter Atmosphäre, wo das einfach dazugehörte.
Mein Vater war weg, und meine Mutter hat nie wieder geputzt, nicht mal Geschirr gespült. Es war ekelerregend, aber so bin ich aufgewachsen. Ich bin kein Sauberkeitsapostel, ich habe auch keinen Putzzwang. Ich kann in zwei Tagen ein Hotelzimmer so zumüllen, das können Sie sich nicht vorstellen – den Koffer auf den Boden kippen, um das eine Ding zu finden, das ich partout nicht finden kann. Aber ein unaufgeräumtes Chaos ist etwas anderes als Dreck. Und das hier war verdammter Dreck.
Immerhin konnte ich zwischendurch nach nebenan zu meinen Großeltern, etwas Normalität schnuppern, aber nicht lange, denn meine Großmutter starb, als ich sechs war. Mein Großvater verkaufte das Haus so schnell er konnte und ging nach Mississippi. Nebenan zog ein junges Paar mit einem Sohn ein. Travis war ein halbes Jahr jünger als ich, und wir wurden beste Freunde.
Großvater hatte gerade noch rechtzeitig verkauft. Meine Mutter und die Siedlung wetteiferten darum, mit wem es schneller bergab ging. Die Nachbarschaft veränderte sich als die Crack-Epidemie Baton Rouge erreichte. Das einstmals solide Arbeiterviertel sah inzwischen aus wie die aus COPS, nur in echt und als Endlosschleife. Selbst die Vorgärten gaben auf. Die Bäume, der Rasen, alles starb, Autos wurden einfach im Vorgarten abgestellt.
Bei uns zogen Ratten ein und verteilten ihre Kötel im ganzen Haus. Sie liebten das dritte Zimmer und verwandelten es buchstäblich in einen Müllraum. Aber das konnten sie gern haben. Wirklich widerlich waren die Küchenschaben. Die waren überall, vor denen war kein Zimmer sicher. Sogar in meinem Wasserbett – ich glaube nicht, dass meine Mutter, seit mein Vater weg war, die Bettwäsche auch nur einmal gewaschen hat – versteckten sie sich und lauerten mir auf. Ich habe heute noch Narben an den Beinen von den Bissen.
Wir hatten einen Zahnbürstenhalter, einen Plastikteddy mit Löchern in den Tatzen für zwei Kinderzahnbürsten. Als er neu war, konnte man an einer Schnur ziehen, und der Teddy blinkte und bewegte alle vier Tatzen. Inzwischen war meine Zahnbürste da herausgewachsen, und so hing der Teddy leer an der Wand und wurde zu einem weiteren Küchenschabennest. Ich guckte immer in die Löcher, und da saßen sie und winkten mit ihren Antennen, als wollten sie sagen: »Fuck you.« Ich fand das schlimm, ich konnte mich ja gut an die Zeit erinnern, als der Teddy neu und sauber war, da war Dad noch bei uns, und ich hatte eine richtige Mom.
Ich kam oft aus der Schule, und der Strom war weg. Er wurde dauernd abgestellt, wegen unbezahlter Rechnungen. Ich war allein in einem Haus, in dem es immer dunkler wurde, sobald die Sonne unterging. Angst hatte ich nicht, nur Langeweile und Hunger. Also ging ich nach draußen und fuhr mit dem Rad herum, was in unserer Gegend nicht gerade sicher war, oder ich ging zu Freunden nach Hause. Ich hatte viele Freunde, in der Schule und in der Nachbarschaft, aber ich ließ nie jemanden zu mir nach Hause. »Ich komme zu dir«, sagte ich, »bei euch gibt’s die besseren Snacks.« Mit Travis nebenan zu spielen machte immer Spaß. Er hat mir das Radfahren beigebracht, wir wechselten uns ab auf seinem. Wer sonst wollte mir etwas beibringen?
Travis war klasse, aber nicht mein Schwarm oder so was. Ich hatte damals nur Augen für Tanya Roberts in dem Film Sheena – Königin des Dschungels von 1984. Ich hatte sie im Fernsehen gesehen – eine Art weibliche Version von Tarzan – und ich werde nie vergessen, was für einen Kick ich spürte, wenn ich sie nur ansah. Sie war die Perfektion selbst, eine Blondine mit einem phänomenalen Busen in einem fetzigen Bikini-Provisorium. Tanya spielte das Waisenmädchen Sheena, das von einem afrikanischen Stamm aufgezogen wird und mit Tieren kommunizieren kann. Sheena ist genauso stark wie schön, das fand ich faszinierend. Sie erledigt den Filmschurken, indem sie ihm einen Pfeil ins Herz schießt, dann rettet sie den Freund, schickt ihn aber zurück nach Amerika und reitet davon, auf einem Zebra.
Die scharfe Braut, die alles rettet. Wer würde ihr nicht verfallen?
Mein Vater war also zum zweiten Mal verheiratet. Ich kannte Susan noch nicht, aber es wird wohl eher sie gewesen sein, die fand, er sollte seine Tochter mal wiedersehen. Sie waren irgendwann in den drei Jahren, nachdem ich mit ihm abhauen wollte, nach Philadelphia gezogen. Ich war sechs und sollte auf Dads Wunsch allein dorthin fliegen. Wieder gab es Schreierei am Telefon. Meine Mutter war der festen Ansicht, wenn er mich sehen wolle, solle er mich gefälligst abholen, und das ist einer der seltenen Fälle, wo ich auf ihrer Seite stand. Ich war kein sehr kontaktfreudiges Kind, ich hätte mich, wenn ich verloren gegangen oder irgendwas passiert wäre, eher im Flughafen einquartiert, als einen Erwachsenen um Hilfe zu bitten.
Also flog Susan nach Baton Rouge, und wenn ich jetzt darüber nachdenke, hatte mein Vater Mom womöglich zugesagt zu kommen, dann aber Susan geschickt. Bei der letzten Begegnung wollte Mom Susan noch an den Haaren durch die Gegend schleifen, jetzt sollte sie der Frau, die ihr den Mann ausgespannt hatte, ihre Tochter anvertrauen. Für sie war Susan die böse Stiefmutter, und ich glaube, es machte sie nur noch gereizter, dass Susan sie am Flughafen so höflich behandelte. Wir flogen nach Philadelphia, und ich sagte nicht viel, bis sie mich bei meinem Vater ablieferte. Ich war schrecklich aufgeregt, ihn wiederzusehen.
Er war genau wie immer, leicht distanziert und ziemlich ungeschickt. Nett war er schon, ich glaube, er hatte einfach keine Ahnung, was er mit mir anfangen sollte. Die beiden wohnten in einem bescheidenen Reihenhaus, aber mir kam es vor wie eine Villa. Es war sauber und stank nicht nach Rauch.
»Erst mal waschen wir deine ganzen Kleider.« Susan prallte zurück, als ihr die Nikotinschwaden aus meiner Tasche entgegenkamen. Sie kaufte mir auch zentnerweise neue Sachen und schien sich über meinen Besuch viel mehr zu freuen als Dad. Mit ihm verbrachte ich tatsächlich wenig Zeit, nur einmal in der ganzen Woche fuhr er mit mir zur Freiheitsglocke. Damals durfte man sie noch anfassen. Er hob mich hoch, damit meine Hand an den berühmten Sprung reichte. Ich habe die Szene noch lebhaft in Erinnerung: Ich, mit Zöpfen und pinkfarbener Jacke, berühre Geschichte.
Ich schlief auf dem Fußboden im Wohnzimmer, gleich neben einer Wand mit Fenstern bis zum Boden und einer Tür, die zur hinteren Terrasse führte, in eine Art Minigarten. Davor war eine riesige Jalousie mit senkrechten Lamellen, und eines Morgens gegen fünf sah ich einen Schatten durchs Zimmer wandern. Ich krabbelte zum Fenster und linste nach draußen. Das hätten Sie sehen sollen! Lauter Hasen, bestimmt zwanzig, und alle beim Balztanz. Sie hüpften in die Luft und kugelten untereinander durch, als wären sie ein gottverdammtes Häschenballett. Ich dachte: Träum ich?
Das musste ich Dad zeigen. Ich sauste ins Schlafzimmer und weckte ihn und Susan, aber sie waren beide völlig unbeeindruckt. »Geh wieder schlafen«, sagte Dad nur.
Am Ende der Woche wurde ein Besuchsplan aufgestellt – ich vermute von Susan. Ich sollte jeden Sommer für ein paar Wochen zu ihnen kommen und dann noch einmal kurz, über Weihnachten oder Ostern. Susan schickte auch alle Geburtstags- und Weihnachtskarten und unterschrieb für ihn mit. Wenn ich zu Besuch kam, war es jedes Mal wie eine Reise nach Narnia. Es ging los mit Wäschewaschen. Susan war lieb, sie dachte sich Kunstprojekte aus, die wir zusammen machen könnten, setzte mich aber nie unter Druck. Sie wollte nicht eine Woche lang Mama spielen, und ich war nicht scharf auf eine. Von meinem Vater wollte ich auch nichts. Ich war in seinen Wagen gekrochen, er hatte mich wieder nach Hause gefahren. Ich verstehe einen Wink mit dem Zaunpfahl.
Nein, meine Besuche hatten nichts mit ihm zu tun. Sie waren einfach die Chance für eine kleine Weile Schlafen in einem sauberen Bett, regelmäßiges Essen und keine Asthmaanfälle wegen Moms Kettenraucherei.
Danach fuhr ich wieder nach Hause.
Nach Dad hatte Mom serienweise Affären mit grässlichen Typen. Es war, als ob sie, sobald irgendjemand einen Mann erwähnte, nur eins wissen wollte: »Ist er ein Loser? Ja? Her damit.« Keiner von denen hat sich je an mich rangemacht, obwohl die meisten Leute ja denken, dass Pornodarstellerinnen schon als kleine Mädchen von Angehörigen »verdorben« worden sein müssen. Nein, die Typen waren einfach Luschen.
Als ich acht war, verschwand Mom immer mal wieder für ein paar Tage, vermutlich mit einem dieser Typen. Dann gab es nichts zu essen, und ich wusste nicht, wie lange ich die Salzcracker oder was immer noch im Haus war, rationieren musste.
Wenn sie weg war, saß ich bis nachts vor dem Fernseher. Ich liebte Late-Night-Shows, Johnny Carson in den letzten Jahren seiner Tonight Show war mein vertrauter Begleiter. Die Samstagabende waren am besten, da lief Saturday Night Life. Mit Dana Carvey, Phil Hartman, Jan Hooks, Kevin Nealon – das waren meine Helden. Zu der Art Humor hatte ich sofort einen Draht, und dazu noch als Kick – ich hockte allein in Baton Rouge, und sie rissen in New York ihre Witze, live, in derselben Sekunde. Das war unser gemeinsamer Moment.
Meine Mutter gab nie eine Erklärung oder Entschuldigung ab, wenn sie wiederkam. Ich glaube, sie war zu beidem nicht fähig. Das waren auch keine romantischen Fluchten. Sie hatte wahrscheinlich einfach in irgendeiner Autowerkstatt rumgehangen, wo ein Typ arbeitete, war mit ihm nach Hause gefahren, und am nächsten Morgen hatte der sie zu ihrer Arbeit gebracht. Dann brauchte sie wieder jemanden, damit sie ihr eigenes Auto abholen konnte … und alles auf Anfang. Oft saß sie stundenlang in einer Bar namens Gold Dust Lounge. Ich stand einfach nicht auf ihrer Prioritätenliste, und als ich acht war, war sie längst daran gewöhnt, sich weniger um mich zu kümmern als andere Leute um ihren Hund.
Einer der Männer war furchtbar verliebt in sie. Wade war groß und wuchtig, ein netter Kerl mit einem ordentlichen Job, also eigentlich nichts für Mom. Aber sie konnte ihn gut gebrauchen. Er kam oft nach der Arbeit mit Lebensmitteln. Er saß immer im Sessel neben dem Panoramafenster. Ich begriff nicht, wie irgendjemand freiwillig zu uns nach Hause kommen konnte. Aber ihn störte weder Rattenkot, noch schien er sich vor Küchenschaben zu ekeln. Er fragte mich, wie es in der Schule so lief, was sonst kein Mensch tat.
»Gut«, sagte ich, und das war ernst gemeint. Ich hatte festgestellt, dass ich ziemlich schlau bin, mit Klassenarbeiten war ich immer schneller fertig als die anderen. Meine Freunde beschwerten sich über die vielen Tests, ich hatte Angst, etwas zu verpassen. Ich war auch eine Anführerin. Nicht à la Girls Club – Vorsicht bissig! Aber bei Spielen oder wenn wir taten, als wären wir Wildpferde beim Galopp, hatte ich das Sagen, und niemand stellte das infrage. Niemand meckerte: »Heute will ich aber mal der Bestimmer sein …« Es war völlig selbstverständlich, dass ich das war.
Auch ich empfand es als selbstverständlich. Ich hatte immer das Gefühl, irgendetwas Magisches an mir zu haben. Sie können das gern als Einbildung eines Kindes mit extrem viel Fantasie verbuchen, aber das erklärt nicht alles. Es gab da irgendwelche Schwingungen, auf die die Leute ansprangen. Als hätte das Universum etwas mit mir vor.
Am Ende der Grundschulzeit lernte ich meinen ersten bösen Buben kennen. Damien MacMorris ging in meine Klasse, seine Mutter Sharon war mit meiner befreundet. Sie lebten im Trailerpark, in einem Wohnwagen. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen und ständig, einfach ständig Ärger. Er war mein Freund, auch wenn wir uns nie küssten.
Seine Eltern waren geschieden, und er sollte am letzten Schultag zu seinem Vater ziehen. Meine Mutter und ich waren im Wohnwagen zu Besuch, Sheila und Sharon rauchten Kette, wahrscheinlich redeten sie über Männer und wie die nerven. Ich wusste nicht, ob Damien nur den Sommer über wegfuhr oder für immer, aber ich hatte so ein Gefühl, als würde ich ihn nie wiedersehen.
Der Trailerpark hatte einen Betonboden, und der Stellplatz neben Damiens Wohnwagen war leer. Wir spitzten kleine Stöcke an und kratzten Bildchen in die Betonplatten.
»Du wirst mir fehlen«, sagte ich.
Er starrte auf den Boden und fing zerstreut an zu singen: »You Give Love a Bad Name« von Bon Jovi. Damals lief das noch dauernd im Radio.
»Warum singst du das?«, fragte ich.
»Es erinnert mich an dich«, sagte Damien. »Ich werde immer, wenn ich es höre, an dich denken.«
Sharon steckte den Kopf aus der Tür. »Dein Vater holt dich in einer halbe Stunde ab«, rief sie herüber, »hast du deine Sachen alle gepackt?«
»Jaaa«, gellte er zurück.
Mich erfasste eine schreckliche Angst, eben dieses Gefühl, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Ich ließ mein Stöckchen fallen, packte ihn am Arm, zog ihn hinter einen Baum und küsste ihn. Mein allererstes Mal. Ich glaube, ich habe vor lauter Hektik das Ziel verfehlt und vor allem die Mundwinkel getroffen, aber das war egal. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch wie bei einem Orgasmus. Weil das doch was Böses war – »wenn unsere Mütter uns sehen«.
Wir lächelten uns an, beide noch immer verblüfft über das, was ich getan hatte. Dann hörte ich Autoreifen, sie kamen näher, sein Dad war da. Damien stieg ein, und ich sah ihn nie wieder.
Jahre später erfuhr ich, dass er gestorben war – erschossen, wurde gemunkelt. Er war wirklich ein böser Bube. Wenn Sie mitzählen möchten: Nummer eins und Nummer zwei sind tot. Ich verdammte schwarze Witwe.
20 Jahre später saß ich im Auto, und im Radio kam »You Give Love a Bad Name«. Ich hatte früher nie auf den Text geachtet, jetzt tat ich es, und meine Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, als ich Damien geküsst hatte. Ich wäre fast von der Straße abgekommen bei der Zeile: »Your very first kiss was your first kiss goodbye.« Danke für die Erinnerung, Damien.
Damien war weggezogen – ich zog bald weiter zur nächsten großen Liebe, die ich küssen konnte, Patrick Swayze. Ich fand ihn so toll in Dirty Dancing, dass ich ein Loch in das Poster küsste, das ich von ihm in meinem Zimmer hatte. Dirty Dancing ist immer noch mein Lieblingsfilm, ich kann heute noch alle Tanzschritte. Als kleines Mädchen ging ich drei Jahre hintereinander an Halloween als »Baby«. Aber der echte Hit war, dass Patrick Pferde züchtete. In einem Interview stand, dass er in Kalifornien zwei Vollblutaraber hatte, Egyptian Straight, und weitere vier Pferde »zum Spaß«.
Bei meinem nächsten Besuch in Cincinnati, im neuen Haus von Dad und Susan, habe ich wahrscheinlich von Patrick Swayze und seinen Pferden erzählt.
Susan unterbrach mich: »Du, ich bin mit Pferden aufgewachsen.«
»Was?« Es war, als wollte sie mir erzählen, sie sei eine halbe Märchenfee.
Sie holte ein Fotoalbum aus ihrer Kinderzeit in Palos Verdes, Kalifornien. Sie hatte eine Stute gehabt. Das Tollste im Album waren ein paar Strähnen von ihrer Mähne. Ich betastete sie und dachte an Prissy Puddin’, die Stute, auf der ich mit Miss Nicky saß, als ich zwei war. Die Haare waren noch immer seidig und kräftig zugleich.
»Sie hieß Tasine«, erzählte Susan. »Ihre Mutter Taffy war auch bei uns, und ihr Vater hieß Jacine.« Sie zeigte mir Fotos von sich beim Englischreiten, formvollendet im flachen Sattel, die Zügel in beiden Händen. Sie trug Reithosen und Reitstiefel und lächelte strahlend unter ihrem Reiterhelm hervor. Als ich sie so sah, wurde mir klar, dass ich nicht nur Pferde liebte, sondern auch diesen Stil.
Susan war der erste Mensch, der meine Reitlust teilte. Pferdenarren erkennen einander auf Anhieb. Im nächsten Jahr, ich war neun, fuhr sie mit mir zu den Derbyshire Stables Cincinnati, zu meiner ersten offiziellen Stunde Englischreiten. Ich durfte auf einem Pferd namens Kiowa reiten, und Susan kaufte mir mein erstes Paar Reitstiefel.
Es war ein Aschenputtel-Moment, als ich sie anzog. Ich fühlte mich so geil und mächtig. Dabei waren die Stiefel nicht einmal schön und sahen billig aus, aber das war mir egal. Ich war jetzt Reiterin. Ab da drängelte ich, öfter nach Cincinnati zu dürfen, ich wusste, sie würde mich zu Reitstunden mitnehmen.