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Gert Buchheit

Generaloberst Beck

Ein Patriot gegen Hitler

Biographie

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IMPRESSUM:

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Inhalt

Vorwort

Die ersten vierzig Jahre

Dienst in der Reichswehr

Machtergreifung und Röhm-»Putsch«

Die Berufung

Der Generalstabschef

Probleme der Aufrüstung

Das Ringen um die Spitzengliederung

Außenpolitische Sorgen

Rheinlandbesetzung - Parisreise

Hitlers Kriegspläne

Der Sturz des Generalobersten von Fritsch

Becks Kampf um die Erhaltung des Friedens

Die Sudetenkrise

Im Ruhestand

Die Verschwörung

Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges

Staatsstreichpläne 1939/40

Beck und die Mittwochgesellschaft

Der Weg nach Stalingrad

Der totale Krieg

Becks Erkrankung - Neue Pläne

Junge Offiziere im Widerstand

Die Vorbereitung des Umsturzes

Der letzte Monat

Die Tragödie des 20. Juli

Nekrolog

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Personen-Register

Vorwort

Leben und Wirken des Generalobersten Ludwig Beck sind unserem Volke und der Welt noch viel zu wenig bekannt. Beck war das militärische Haupt im deutschen Widerstand gegen Hitler; er war der Generalstabschef, der mit dem Staatsoberhaupt um den Frieden gerungen hat, zuerst mit Denkschriften und schließlich mit dem Appell an die Generalität, den Diktator durch einen gemeinsamen Schritt zum Verzicht auf seine Kriegspläne zu zwingen. Durch seinen in entscheidender Stunde selbst gewählten Rücktritt vom Amte des Generalstabschefs und später durch seinen Opfergang bis zum Tode hat Beck den Beweis erbracht, daß es für ihn einen Zwiespalt zwischen Worten und Handeln nicht gab.

In den Jahren seines »Ruhestandes« (1938-1944) widmete sich Beck neben seiner Aktivität innerhalb der Widerstandsbewegung vorwiegend militärwissenschaftlichen und militärpolitischen Studien. Er hielt Vorträge in der Berliner Mittwochgesellschaft und legte seine an der klassischen Kriegsphilosophie geschulten Gedanken in Aufsätzen nieder, die über ihre historisch-wissenschaftliche Bedeutung hinaus auch der modernen Wehrtheorie die entscheidende Richtung geben, nämlich ein Höchstmaß an Abwehrkraft und Verteidigungsbereitschaft in den freien Völkern zu erstreben und dadurch zur Erhaltung des Friedens in der Welt beizutragen.

Das Leben und Wirken Becks, das zugleich die Geschichte einer Epoche ist, ohne Halbwahrheiten und Mißdeutungen darzustellen, ist für den Historiker ein ernstes Unterfangen. Es setzt den unbedingten Willen zur Objektivität, aber auch den Mut zu persönlich-moralischer Stellungnahme voraus. Inwieweit es dem Verfasser gelungen ist, diesen Anforderungen gerecht zu werden, mögen Leser und Kritiker entscheiden.

Gert Buchheit

Die ersten vierzig Jahre

Als Ludwig August Theodor Beck am 29. Juni 1880 in Biebrich geboren wurde, stand das Signal der Zeit auf Welthandel und Weltmachtpolitik. Die Technik hatte ihren Siegeszug begonnen. Überall wuchsen neue Fabriken, Schachtanlagen und Hochöfen empor. Die Menschen berauschten sich an diesen Errungenschaften, übersahen aber, daß die technische Weiterentwicklung ihnen auch mehr Verantwortung aufbürdete. Zuerst unbemerkt, dann immer drängender änderte sich auch die gesellschaftliche Ordnung und leitete das Zeitalter der Wirtschaftskriege und Lohnkämpfe ein.

Becks Vater, Dr. phil. Ludwig Beck (1841-1918), war Leiter der Eisengießerei »Rheinhütte« in Biebrich, einem kleinen im Landkreis Wiesbaden gelegenen Städtchen, ehemals Residenz der Regenten von Nassau. Im Zuge der Industrialisierung gewann auch Biebrich größere Bedeutung. Die von dem Vater Becks geleitete Eisengießerei nahm dank seiner Tatkraft und Umsicht raschen Aufschwung. Auch als Wissenschaftler hatte der Direktor des Werkes sich einen Namen erworben, so vor allem durch eine fünfbändige »Geschichte des Eisens«1). Im Jahre 1905 erhielt er in Anerkennung seiner Verdienste den Titel Professor, 1909 die Carl-Lueg-Denkmünze, die höchste Auszeichnung des Vereins der Eisenhüttenleute, und 1910 wurde er von der Technischen Hochschule in Aachen zum Dr.-Ing. h. c. ernannt. Die Mutter Becks, Bertha geborene Draudt (1845-1909), war eine hochgebildete, sehr musikalische Frau von großem Charme.

Seine Kindheit verlebte der junge Beck zusammen mit seinem älteren Bruder Carl Friedrich und seinem jüngeren Bruder Wilhelm Friedrich im elterlichen Hause in Biebrich. Von dieser Zeit berichtet eine Schrift, welche die Söhne zum 100. Geburtstag des 1918 verstorbenen Vaters verfaßt haben2): »Die Erziehung der Söhne beeinflußte der Vater im Verein mit der Mutter weniger durch Lehrhaftigkeit als durch das Beispiel der eigenen Haltung, für die der Ausspruch Theodor Vischers zutraf: ›Das Moralische versteht sich immer von selbst‹, durch das enge Familienleben sowie durch das Vorbild an Arbeit, Pflicht – nicht zuletzt auch des Frühaufstehens – und steter wissenschaftlicher und innerer Fortbildung. Eine besondere Gabe von ihm war es, daß er immer Zeit für die Söhne hatte, trotz eigener vieler und vielseitiger Beanspruchung, und stets die Ruhe bewahrte. Beide Eltern waren einfach und bescheiden in ihrer Lebensführung und bemüht, in den Söhnen keine Überwertung des äußeren Besitzes hochkommen zu lassen, wozu der Verkehr mit einzelnen sehr wohlhabenden, gut bekannten Familien vielleicht hätte verleiten können. Sooft es die Zeit zuließ, fast stets an Sonntagen, unternahm der Vater mit den Söhnen Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung, öfters auch über mehrere Tage. Zu Hause las er gern aus den Dramen der deutschen Klassiker vor, aus Shakespeare, aus der Bibel, aber auch aus heiteren Lokaldichtern in Mundart. Beide Eltern, religiös tolerant, waren häufige Kirchengänger und hielten auch die Söhne zum Kirchenbesuch an. Unter den Lebensweisheiten, die der Vater den Söhnen gegenüber gern aussprach, seien außer der Mahnung, den Wert der Menschenkenntnis nicht zu unterschätzen, das ›Erkenne dich selbst‹ des Sokrates und von den Lehren, die Polonius seinem Sohne Laertes mitgab, die beiden genannt: ›Sei dir selber treu‹ und ›Kein Borger sei und auch Verleiher nicht. Sich und den Freund verliert das Darleh’n oft, und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.‹ Viel vortreffliche Hausmusik wurde gemacht. Die Mutter war eine hervorragende Klavierspielerin. Mit den Söhnen und mit anderen wurde vor allem die klassische Kammermusik gepflegt, was für alle, die daran teilnahmen, ein hoher Genuß war. Große Geselligkeit liebten beide Eltern dagegen wenig und zogen sich allmählich ganz von ihr zurück. Sehr liebten sie aber neben den musikalischen Veranstaltungen den einfachen, gastlichen Verkehr mit Verwandten und nahen Bekannten im eigenen Hause. … Unzählig viele schöne und unvergeßliche Erinnerungen haften für alle, welche diese Zeit miterlebt haben, an dem Heim in der Rheinhütte und von 1875 an in der Rheingaustraße, an dem ungebundenen Leben außerhalb der Stadt, an den großen und reichen Gärten, den Freuden des Wassersportes, den Ruder- und Dampferfahrten, den Ausflügen in die reizvolle Umgebung und vielem mehr. Die Schönheit des Heims und der Heimat war auch mit ein Grund, daß größere Ferienreisen mit den Söhnen im Sommer nur selten unternommen wurden und auch bei diesen gelegentlich nur auf geteilten Beifall stießen. … Auf die Berufswahl der Söhne hatte weder Vater noch Mutter einen besonderen Einfluß ausüben wollen. Als die Söhne aus dem Hause waren, blieben die Eltern in steter engster schriftlicher Verbindung mit ihnen.« Walter Görlitz vertrat die Ansicht, daß Beck »aus einer vollkommen anders gearteten Umwelt gekommen sei« als die früheren Generalstabschefs – »aus dem selbstbewußten und materiell unabhängigen Milieu der deutschen Industrie«3). Diese Ansicht ist nicht ganz richtig, denn bis auf den Vater waren Becks Vorfahren Generationen hindurch Offiziere gewesen, und »gerade die Abstammung Ludwigs aus einer alten Offiziersfamilie und der ständige Verkehr mit zwei Onkeln – der Bruder des Vaters und der Bruder der Mutter waren hessische Generale und hatten den Deutsch-Französischen Krieg mitgemacht – verstärkten seine angeborene Liebe zum soldatischen Beruf4). Der Entschluß Becks, nach Absolvierung des Humanistischen Gymnasiums in Wiesbaden die Offizierslaufbahn einzuschlagen, entsprach daher sowohl der Tradition wie seiner eigenen Neigung. Am 12. März 1898 trat er als Fahnenjunker in das Feldartillerieregiment 15 in Straßburg ein. Am 18. August 1899 wurde er zum Leutnant befördert. 1902 folgte ein Kommando zur vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule in Charlottenburg. Vom 1. Oktober 1903 bis 1. Mai 1907 war Beck Abteilungsadjutant in seinem Stammregiment. Ernste Arbeit und hervortretende Anlagen des Charakters und Geistes erschlossen ihm schon früh – im Oktober 1908 – den Weg in die Kriegsakademie. Sein frisches Wesen, seine Bescheidenheit und große Beliebtheit nicht nur bei seinen Altersgenossen, sondern auch im Kreis der Vorgesetzten fielen schon damals auf. Einer seiner Kameraden aus jener Zeit, der spätere Generalleutnant Demoll, gibt freimütig und mit einem gewissen Stolz zu, daß Beck »uns allen voraus war dank seiner sittlichen Reife, seiner hohen Intelligenz und seines eisernen Pflichtbewußtseins. Er arbeitete auch außerhalb des Dienstes, und nicht nur auf militärischem Gebiet. … Doch tat er es nicht etwa als Streber, um Karriere zu machen, oder aus ungewöhnlichem Ehrgeiz, sondern einfach, weil Arbeiten und der Wille, sich weiterzubilden, für ihn etwas Selbstverständliches waren5)

Während seiner Akademiezeit wurde Beck am 7. September 1909 zum Oberleutnant befördert. Nach Absolvierung der drei Lehrgänge im Sommer 1910 schloß sich die für die Anwartschaft auf Dienstleistung im Generalstab entscheidende dreiwöchige Übungsreise an. Nach dem Urteil seines Abteilungsleiters, des späteren Generals von Thaer, war Beck unter den zehn bis zwölf Offizieren »der bei weitem größte Könner, ja sogar aus dem ganzen Jahrgang«6). Anschließend machte Beck acht Monate Truppendienst bei seinem Regiment, das inzwischen nach Saarburg/Lothringen verlegt worden war. Am 1. 3. 1912 wurde er zur Dienstleistung in den Großen Generalstab nach Berlin kommandiert. Bereits eineinhalb Jahre später erfolgte unter Beförderung zum Hauptmann seine Versetzung in den Generalstab – in jene Institution, in der damals noch der Geist eines Moltke und Schlieffen lebendig war.

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Am ersten Weltkrieg nahm Beck in verschiedenen Generalstabsstellen, und zwar ausschließlich an der Westfront teil. Während der Marneschlacht war er 2. Generalstabsoffizier beim IV. Reservekorps, das beiderseits der Maas schwere Kämpfe zu bestehen hatte. Als 1. Generalstabsoffizier der 117. Infanteriedivision erlebte er dann im Herbst 1915 die verlustreichen Abwehrkämpfe der 6. Armee im Artois. Im Frühjahr 1916 machte Beck in gleicher Eigenschaft bei der 13. Reservedivision die lang andauernden und blutigen Angriffsund Abwehrkämpfe vor Verdun mit. In dieser Zeit – es war im Mai 1916 – vermählte sich Beck mit Amalie Pagenstecher aus Bremen. Doch wurde ihm die geliebte Frau, die Anfang 1917 einer Tochter Gertrud das Leben geschenkt hatte, bereits im November des gleichen Jahres durch einen jähen Tod entrissen. Es war ein unersetzlicher Verlust für den von Natur schon ernsten und stillen Mann.

Im Winter 1916/17 war Beck in den Generalstab des Oberkommandos der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz versetzt worden. In dieser Stellung, in der er am 18. April 1918 zum Major befördert wurde, trat er in ein besonders nahes und freundschaftliches Verhältnis zum Stabschef General Graf von der Schulenburg. Diese Beziehungen blieben nicht ohne Wirkung auf ihn und dauerten über den Krieg hinaus. Auch der Oberbefehlshaber, Kronprinz Wilhelm, erkannte und würdigte Haltung und Leistung des jungen Generalstabsoffiziers. Die militärischen Aufgaben, die an das Oberkommando und damit auch an Beck herantraten, waren bestimmt durch die großen Abwehrschlachten des Jahres 1917 an der Aisne, in der Champagne und bei Verdun. Im Frühjahr 1918 galt es, die deutschen Angriffsoperationen gegen Amiens und beiderseits Reims vorzubereiten und durchzuführen. Doch die Hoffnung auf einen Sieg im Westen und damit auf eine erfolgreiche Beendigung des Krieges sollte sich nicht erfüllen. Ende Juli begann die Rückzugsdefensive der deutschen Front. Bis zuletzt widmete Beck seine ganze Kraft den Erfordernissen der infolge der revolutionären Ereignisse in der Heimat erst recht kritisch gewordenen Lage. Nach seinen mustergültigen Weisungen konnten im Spätherbst 1918 die rund 90 Divisionen der Heeresgruppe unter schwierigsten militärischen und politischen Verhältnissen reibungslos in die Heimat zurückgeführt werden.

In der Niederlage, dem Umsturz und der Abdankung des Kaisers sah Beck das Ergebnis einer sich mit innerer Notwendigkeit vollziehenden Entwicklung. Wie jeder Deutsche, dem die militärische Niederlage nahezu gleichbedeutend war mit dem Zusammenbruch einer bisher selbstverständlichen Vorstellungswelt, versuchte auch Beck die Gründe und Zusammenhänge aufzuspüren, die zu diesem tragischen Kriegsabschluß geführt hatten. In einem Briefe, den er kurz nach dem Waffenstillstand am 28. November 1918 geschrieben hat, heißt es: » … Was wir alle ohne Ausnahme in den letzten Wochen erlebt, ist so ungeheuerlich, daß man oft noch glaubt zu träumen. Im schwersten Augenblick des Krieges ist uns die – wie ich jetzt auch keinen Moment mehr zweifle – von langer Hand her vorbereitete Revolution in den Rücken gefallen. Es geschah in einem Augenblick, wo das Heer, die Führung alles, auch das Äußerste, anspannen mußte, um den Durchbruch zu verhindern und damit die Gefahr einer Lage zu beschwören, die zu einer unerhörten militärischen Katastrophe geführt hätte. Wir waren also völlig wehrlos nach hinten, völlig! … Ich kenne keine Revolution in der Geschichte, die so feige unternommen wurde und die, und das ist noch viel schlimmer, mit absoluter Notwendigkeit die schwere Not, in der wir schon längst stecken, noch vervielfacht hat, vielleicht zu völligem Untergang führt. Es ist ein Wahnsinn, einen Staat, der nur noch mit höchster Anspannung aller Kraft und bei völliger Erhaltung seines komplizierten Organismus aus der Niederlage in einen erträglichen Frieden und eine gesunde Friedenswirtschaft hinüberzuleiten war, nebenher noch zu revolutionieren … Gewiß sind tausendfache Ursachen für den Stimmungsumschwung, die Ratlosigkeit und Verzweiflung vorhanden. Man muß darin milde denken und kann es einem schwergeprüften Volke nach vier Jahren Leid und Entbehrung nicht übelnehmen, wenn es vorübergehend die Haltung verliert. Aber daß diese Reaktion solche Erscheinungen zeitigen würde, haben wir nicht geahnt. Ich halte auch diese Erscheinungen nicht für die unmittelbare Folge des Zusammenbruchs, sondern für das Inkrafttreten längst gefaßter Entschlüsse, die nur auf den günstigsten Zeitpunkt ihrer Verwirklichung gewartet haben. Gewiß sind schwere Fehler gemacht worden. Mein Urteil über den möglichen Ausgang des Krieges hat sich, seitdem ich erst vor fast zwei Jahren näheren Einblick in die großen Zusammenhänge gewann, immer mehr bestärkt, es war mit geringen Schwankungen das, daß wir auf eine Verständigung hinaus mußten. Das ist auch die Ansicht des Chefs des Stabes und des Kronprinzen gewesen. … Aber gegen den ›Diktator‹ Ludendorff, und das war der eminent tüchtige, kluge und energische Mann, gab es kein Aufkommen. Er konnte nur über sich selbst stürzen. Wer ihn vorzeitig zu stürzen gewagt hätte, und wenn es der Kaiser gewesen wäre, der wäre dann vom Volk als Urheber der Niederlage, die kaum mehr aufzuhalten war, bezeichnet und gesteinigt worden. Zu tief saß gerade das Vertrauen in Ludendorff im Volk und in der Truppe. Nur wenige sahen mit furchtbarer Sorge in die Zukunft und sahen das Unheil kommen … Alles das, und es sind natürlich noch viel mehr Gründe, rechtfertigt aber nicht unsere jetzige Lage. Unser Heer ist in der Heimat seit Monaten systematisch revolutionär bearbeitet worden, daraus erklärt sich ein großer Teil unserer Mißerfolge seit dem 15. Juli. … Der Gesamtorganismus war nicht mehr gesund, es waren zuviel Bazillenträger durch den Nachersatz hereingekommen. Aber eines hätten wir noch gekonnt bei voller Mitarbeit der Heimat, uns auf einer kürzeren Linie – sei es Antwerpen-Metz oder Lüttich-Metz – erneut zum entscheidenden Widerstand stellen und erneut unseren Gegner vor die Wahl stellen, ob er gleich Frieden machen wolle oder den Krieg noch bis 1919 verlängern. Auch der Gegner war am Ende. Es ist eine Sage, wenn das Gegenteil behauptet wird, und bei aller Hochachtung für das französische Heer, ein großer Führer war Foch nicht7). Wäre er ein solcher gewesen, dann hätte er uns ganz andere entscheidende Niederlagen beibringen müssen, als er es tatsächlich fertiggebracht hat. Die Geschichte wird es einst lehren, daß wir wochenlang auf ungeheuren Fronten ohne ein Bataillon Reserve gefochten, nur noch ein Spinnwebennetz von Kämpfern hatten und trotzdem der Entente-Feldherr nicht durchbrach. Unsere Truppen, unsere Offiziere und unsere Führung haben bis zuletzt Übermenschliches geleistet, alle zusammen, jeder an seiner Stelle8)

Dieser Brief vom November 1918 enthält Becks damalige Beurteilung des deutschen Zusammenbruchs. Wie fast alle Militärs sah er in den revolutionären Ereignissen gewissermaßen einen Dolchstoß in den Rücken des Heeres, allerdings nicht eines siegreichen, sondern eines geschlagenen und aus tausend Wunden blutenden Heeres, das der Niederlage nahe war und nun seiner letzten Widerstandskräfte beraubt wurde. Diese Auffassung kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Beck selbst hat sich später nach seiner Verabschiedung in einer Studie eingehend mit dem 29. September 1918 befaßt, mit jenem Tag, an dem Ludendorff den Krieg für verloren erklärte und die sofortige Einleitung von Verhandlungen forderte. Der Generalquartiermeister hatte damals die Nerven verloren. Er erzwang den Regierungswechsel und nötigte der überstürzt gebildeten Reichsregierung ein Waffenstillstandsangebot ab. Der Weg lief also nicht von der Rebellion zur Niederlage, sondern umgekehrt von der Niederlage zur Rebellion. Die Vorgänge im Spätherbst 1918 – Unbotmäßigkeit und Meuterei in Kiel, Auflehnung und Revolten in den Hauptstädten des Reiches – waren die Folgen der bereits im September zugegebenen Niederlagen, aber nicht deren Ursache. Die ausweglose wirtschaftliche Lage, die unzulängliche Verpflegung und materielle Ausstattung der Front, die grauenhaften Blutverluste, das Fiasko des U-Boot-Krieges, die allmähliche Erschöpfung, die das Heer übermannte, und in Verbindung damit der Zerfall der Widerstandskraft der verbündeten Österreicher, Bulgaren und Türken führten schließlich zu einer tödlichen Krise, in der es nur noch die Alternative von Waffenstillstandsverhandlungen gab9).

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Nach Kriegsende entschloß sich Beck, dem Soldatenberuf treu zu bleiben und sich der Reichswehr – dem 100.000-Mann-Heer des Versailler Vertrages – zu verpflichten. Es war dies kein leichter Entschluß für einen deutschen Offizier.

Wer die Haltung des Offizierskorps in dem neuen zahlen- und waffenmäßig beschränkten Freiwilligenheer verstehen will, muß sich eingehender mit dem Verhältnis der Reichswehr zum Staate befassen. Die älteren Offiziere, die noch aus der kaiserlichen Armee stammten, trugen deren Berufsethos noch lebendig in sich; doch war das ganz persönliche Treueverhältnis zum Staatsoberhaupt durch die düster-tragischen Ereignisse von 1918 zerstört. Das geschlagene Heer war damals der neuen Regierung zur Verfügung gestellt worden, und nachdem der Vertrag von Versailles dem Deutschen Reich die Aufstellung einer militärischen Ordnungsmacht ohne Flugzeuge und Panzer in engbegrenztem Rahmen eingeräumt hatte, wurde die Reichswehr von den Offizieren der kaiserlichen Armee nach bestem Wissen und Können aufgebaut und geführt. Dieses sozial und politisch annähernd homogene Gefüge mußte indessen zwangsläufig – allein schon durch die lange Dienstzeit seiner Angehörigen von dem Volksganzen abgesondert – einen Fremdkörper in einer demokratischen Republik bilden, die ohne die Hilfe der Militärs den sie von links und rechts bedrohenden Gefahren nicht gewachsen gewesen wäre. Was Reichswehr und Republik miteinander verband, war »ein heterogenes Zweck- und Notbündnis, das nur mühsam unter beiderseits schwer tragbaren Verzichten funktionierte«10). Was früher Herzenssache gewesen war, galt jetzt nur mehr als dienstliche Pflicht. Gegenüber der Öffentlichkeit galt streng der Grundsatz unpolitischer oder überparteilicher Haltung – ein aus der monarchischen Zeit übernommenes Prinzip, das sich damals, auf der Grundlage einer einheitlichen positiven Staatsgesinnung beruhend, ohne Zweifel bewährt hatte; kam doch die unpolitische Haltung des Soldaten seinem Dienst am Volksganzen zugute. Dem neuen Staat stand die Masse der Reichswehroffiziere jedoch nicht positiv, sondern eher negativ gegenüber. Das weder von einer gemeinschaftlichen Grundauffassung noch von einer Gesamtverantwortung getragene Parteileben mit seinen undisziplinierten und vielfach demagogischen Auswüchsen wirkte befremdend, wenn nicht sogar abstoßend, auf alle jene Offiziere, die noch in traditionellen Vorstellungen lebten und den überkommenen Bindungen verhaftet waren. Was man die Weimarer Republik nannte, war in ihren Augen kaum mehr als eine Übergangserscheinung, die eines Tages zusammen mit dem Versailler Vertrag verschwinden würde11). Der demokratische Staat war ihnen, wie der Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, in einem vertraulichen Brief vom 5. 11. 1923 an den bayerischen Generalstaatskommissar von Kahr offen aussprach, »wesensfremd«12). Der General, den man gewissermaßen als die lebendige Verkörperung der inneren Haltung der Reichswehr betrachten kann, empfand sich – ebenso wie seine Nachfolger, die Generale Heye und Hammerstein – als eine Art »Treuhänder des wahren überdauernden Deutschland und seiner nationalen Interessen, wie man selbst sie verstand«13). Ähnlich urteilte später General Hoßbach in seinen Erinnerungen: »Als Hüter der Ordnung lebte das Heer auf einer Insel des Nationalbewußtseins ein Dasein der Eigengesetzlichkeit14)

Für die Masse der Offiziere war jedenfalls die unpolitische Haltung keine Scheinposition. Sie stand tatsächlich abseits, obwohl sie den Erfordernissen des Tages gewissenhaft nachkam und dem Staate diente. Selbst Vorgänge und Erscheinungen, die ihrem innersten Empfinden zuwiderliefen, wurden hingenommen. Der Eid, den man geleistet hatte, verpflichtete, auch wenn er nur eine Angelegenheit des Verstandes war. Unter diesen Verhältnissen konnte es einfach nicht zu einer »Integration der Reichswehr in die Weimarer Republik« kommen, und darin darf man »die Tragik des Weimarer Staates schlechthin« erblicken15). Richtunggebend für das Offizierskorps war der Organisator und Chef, General von Seeckt16). Er hatte es von Anfang an für seine Aufgabe gehalten, die Reichswehr zu einer Stütze der Autorität des Reiches, nicht einer bestimmten Regierung zu machen. Er sagte amtlich allen Extremen und damit allen politischen oder parteipolitischen Einflüssen, Anregungen, Verbindlichkeiten ab und proklamierte für die Reichswehr harte, nüchterne Arbeit17). Doch bei aller äußeren Distanz blieb Seeckt, die vielberufene Sphinx, in das politische Kräftespiel des Tages eingeschaltet. Denn es fehlte ihm keineswegs an persönlichem polititischem Ehrgeiz. Als Hitler im November 1923 seinen Putsch in Bayerns Hauptstadt unternahm und General von Seeckt auf Anordnung des Reichspräsidenten Ebert die vollziehende Gewalt im Reich übernahm, spielte der General eine Zeitlang mit dem weitreichenden Gedanken eigener »Machtergreifung« und einer halbdirektorialen Reichsreform18). Schließlich war er aber doch zu klug und zudem ernstlich besorgt um das Schicksal Deutschlands, um den Fortbestand seines Werkes durch ein politisches Abenteuer zu gefährden. Er stellte die Ruhe und Ordnung im Reich wieder her und gab seinen Auftrag an den Reichspräsidenten zurück. Damit hatte Seeckt dem Reich die Republik gerettet. An seiner Neutralität gegenüber der Demokratie und seinem Prinzip, die Reichswehr außerhalb aller politischen Probleme zu halten, änderte sich freilich nichts. »Im Grunde genommen interessierte ihn wohl nur die eine politische Frage, die jeden Soldaten bewegte, die nach der Möglichkeit für Deutschland, wieder ›aktive Macht‹ zu werden19)

Immerhin blieb Seeckt stets in den höheren Regionen der Politik und mehr im Hintergrund; auch wahrte er, wie es seiner Wesensart entsprach, nicht nur die soldatischen Formen mit vorbildlicher Korrektheit, sondern vor allem auch die Distanz zwischen seiner Person und den Politikern. Ganz anders verhielt sich General von Schleicher, der bereits als Major in dem neugebildeten Reichswehrministerium von 1919 politischer Referent gewesen war und vom 31. Mai 1932 an als Reichswehrminister dem Kabinett des Reichskanzlers von Papen angehörte20). Schleicher stand seit Jahren an dem heiklen Punkte, wo die Armee in das politische Leben hinübergriff oder wo – umgekehrt – die Politik in die Lebenssphäre des Heeres eingriff, und er wußte mit großem Geschick ernsthaftere Reibungen mit den Parteien zu vermeiden. Mit behutsamer Hand knüpfte er Beziehungen nach allen Seiten, zu den Rechts- und Linksparteien wie später zum Nationalsozialismus, zu den Gewerkschaften, zum russischen Volkskommissariat und zum französischen Generalstab, vertrat alljährlich als Verbindungsoffizier zum Reichstag, wo es Brauch geworden war, den Chef der Heeresleitung nicht zu zitieren, den Etat der Reichswehr im Haushaltsausschuß, machte sich durch seine Arbeitskraft und Geschicklichkeit selbst einer so eigenwilligen Persönlichkeit wie Seeckt unentbehrlich und wurde so allmählich, ohne daß es in der breiteren Öffentlichkeit besonders bemerkt wurde, die Seele der Wehrmachtsabteilung, der Motor der weitverzweigten Organisation in der Königin-Augusta-Straße.

Als in der Ära des zweiten Kabinetts des Reichskanzlers Müller die Einrichtung eines parlamentarischen Staatssekretärs beim Reichswehrministerium betrieben würde, erreichte es Schleicher durch eine alle Künste der Diplomatie nützende Taktik, daß dieses wichtige Amt als dauerndes Ergebnis für die Reichswehr in die militärische Organisation eingegliedert und damit dem parlamentarischen Einfluß entzogen wurde. Er selbst wurde dessen erster Inhaber, übersprang ein halbes Dutzend Vordermänner und erhielt seine Beförderung zum General. Selbstverständlich hatte Schleicher das neue Amt, mit dem die Beratung des Reichspräsidenten in wehrpolitischen Fragen verbunden war, für sich selbst angestrebt; denn in dieser wichtigen Stellung vermochte er – was die Vorgänge beim Sturz Groeners und Brünings bewiesen haben – seine politische Auffassung stärker in die Waagschale zu werfen: er konnte, ohne daß es aufgefallen wäre, seine Fühlungnahme mit den Nationalsozialisten, besonders mit der Gruppe Gregor Strasser, vertiefen, seine Verbindungen zu den Parlamentariern aller Richtungen erweitern und neue hinzugewinnen, wobei ihm staatssozialistische Gedankengänge, die er nicht aus Prinzip, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen ab und zu vertrat, sehr zustatten kamen. So geriet Schleicher, von einem gewissen Mythus umgeben, allmählich in den Ruf, so etwas wie eine »graue Eminenz«, ein verspätetes Gegenstück zu Fritz von Holstein, zu sein. Im Herbst 1932, auf dem Höhepunkt der innerpolitischen Krise, erreichte er es, die Nachfolge Papens als Reichskanzler anzutreten. Er galt als der »Vertraute« Hindenburgs, aber es war nur ein kurzes Debüt.

Diese unleugbare »Politisierung« der Reichswehr unter der Führung Schleichers hatte im Offizierskorps zwiespältige Empfindungen ausgelöst. Da man allgemein die »Politik« des Reichswehrministers mit der umstrittenen Staatsführung identifizierte, erschien die Reichswehr vielen Offizieren als das letzte Bollwerk des »Weimarer Staates« gegen die nationale Bewegung. Auch Ludwig Beck teilte damals das im Offizierskorps wachsende Unbehagen, zumal er befürchtete, die Reichswehr würde in die innerpolitischen Auseinandersetzungen hineingerissen werden und somit ihre überparteiliche Stellung im Staate gefährden.

Dienst in der Reichswehr

Nach der Rückführung des deutschen Heeres in die Heimat 1918 war Major Beck zunächst bei der Abwicklungsstelle des Großen Generalstabes und dann im Grenzschutzdienst des deutschen Ostens in Schlesien tätig. Von 1919 bis 1922 folgten Sonderaufträge des Generals von Seeckt im Rahmen der Reichswehr. Obwohl überzeugter Anhänger der Monarchie, fand Beck sich mit der neuen Staatsform ab und diente in vorbehaltloser Loyalität der Republik.

Am 1. Oktober 1922 wurde er unter Beförderung zum Oberstleutnant Abteilungskommandeur im Artillerieregiment 6 in Münster (Westfalen) und ein Jahr später mit der Leitung der Führergehilfenausbildung (ehemalige Kriegsakademie) beim Wehrkreiskommando VI, ebenfalls in Münster, beauftragt. Nachdem er in dieser Stellung zwei Jahre verbracht hatte, nicht ohne sich dabei in reichem Maße Vertrauen und Verehrung zu erwerben, wurde er im Spätherbst 1925 Chef des Generalstabes des Wehrkreiskommandos IV in Dresden. Dort blieb er vier Jahre. Die an Kunstdenkmälern und historischen Erinnerungen reiche Stadt kam seinen vielseitigen Interessen entgegen, und er fühlte sich in Dresden so wohl, daß er später ernsthaft erwog, ob er nicht dort seinen endgültigen Wohn- und Ruhesitz aufschlagen sollte. Von Herbst 1929 bis Herbst 1931 befehligte Beck, zum Oberst befördert, das Artillerieregiment 5 mit den Standorten Fulda, Ludwigsburg und Ulm. Die innerpolitischen Verhältnisse in Deutschland hatten inzwischen eine stürmische und höchst beunruhigende Entwicklung genommen: rasch steigende Arbeitslosenziffer im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise, drohender Staatsbankrott, zunehmende Radikalisierung des politischen Lebens. Mit der Regierung des vom Reichspräsidenten gestützten Reichskanzlers Heinrich Brüning, der bei tolerierender Mitwirkung des funktionell durch die Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung gelähmten Parlaments weitgehend autoritär regierte, war die Reichswehr in zunehmendem Maße selbst aktiver Träger der Reichspolitik geworden. Es hatte sich eine »Aktionseinheit Hindenburg-Brüning-Groener-Schleicher« herausgebildet, was zur Folge hatte, daß die Reichswehrführung immer mehr die ihr als Exekutivorgan gesetzten Grenzen überschritt und nicht nur die Wehrpolitik, sondern auch die innere und äußere Politik maßgeblich zu beeinflussen suchte. Die Haltung des Reichswehrministers Groener, der den demokratischen Staat bejahte und den Führern der nationalen Bewegung Hitler und Hugenberg mißtraute, erregte in der jüngeren Generation des Offizierskorps starkes Befremden und vielfach scharfen Widerwillen. Man unterschob der von Groener eingeleiteten »Politisierung« eine bewußte Linkstendenz und fragte sich, ob man nicht dadurch die bewährten Grundsätze des Generals von Seeckt verriet. Gerade der Ausbau der Reichswehr zu einem überparteilichen Instrument bot früher oder später die Möglichkeit, im Dienste einer von den Fesseln des Parlamentarismus befreiten und allein auf das Vertrauen des Reichspräsidenten gestützten nationalen Regierung das Vertragswerk von Versailles zu beseitigen und im Reich Ordnung und Frieden zu schaffen. Davon war wohl die Mehrheit der jüngeren Offiziere überzeugt, und es ist durchaus verständlich, daß sich in jenen Jahren in vielen Reichswehreinheiten Gruppen von jungen Leutnants und Oberleutnants usw. bildeten, die mehr oder weniger offen mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei Hitlers sympathisierten. Da sie weder die sogenannte Weltanschauung dieser Bewegung kannten noch um die persönlichen Mängel ihrer »Führer« wußten, ließen sie sich um so leichter von dem Anschein echter nationaler Energien blenden. Für sie war dieser Adolf Hitler, der Soldat des ersten Weltkrieges, einfach der Mann, der eines Tages, wenn er zur Macht gekommen war, die Beschränkungen des »nichtswürdigen« Versailler Vertrages abschütteln würde.

Oberst Beck verfolgte diese Entwicklung und ihre Symptome mit der sorgenden Anteilnahme eines von Vaterlandsliebe und Nationalgefühl erfüllten Herzens. Er empfand das Werben der NS-Bewegung um die Gunst der bewaffneten Macht als unvereinbar mit dem Grundsatz von deren »unantastbarer Stellung außerhalb der innerpolitischen Gegensätze und Wandlungen«21). In dieser Auffassung ließ er sich auch nicht beirren, als er selbst – unerwartet – mit dem damals so aktuellen Problem konfrontiert wurde. Zwei junge Leutnants seines Regiments, die der Ulmer Artillerieabteilung angehörten – es waren Scheringer und Ludin (letzterer später SA-Obergruppenführer und Gesandter in Preßburg) –, hatten in der Truppe nationalsozialistische Propaganda betrieben. Die beiden Offiziere wurden daraufhin vom Reichswehrministerium angeklagt und auf Befehl Groeners am hellichten Tag auf offener Straße bei der Rückkehr ihrer Einheit von einer Übung verhaftet, ohne daß der in Fulda befindliche Regimentskommandeur davon zuvor in Kenntnis gesetzt worden wäre. Beck zeigte für die Beweggründe der jungen Leute Verständnis; trotzdem mußte er ihre Handlungsweise verurteilen. Nicht weniger entschieden aber wandte er sich gegen die Art und Weise, wie man seine Leutnants in aller Öffentlichkeit verhaftet hatte. Beck reichte sofort seinen Abschied ein und konnte nur auf mehrmalige Vorstellungen seines Divisionskommandeurs dazu bewogen werden, sein Gesuch wieder zurückzuziehen. Auch während des Prozesses stellte er sich in freimütiger und kameradschaftlicher Unabhängigkeit vor seine jungen Offiziere, was ihm von dem Reichswehrminister verübelt wurde. Groener war damals nahe daran, den »widerspenstigen« Regimentskommandeur in die Wüste zu schicken. Dieser verdankte es vor allem der warmen Fürsprache des Chefs der Heeresleitung, des Generals von Hammerstein-Equord, und des ihm besonders wohlgesinnten Chefs des Truppenamtes, General Adam, daß man keine weiteren Schritte gegen ihn unternahm.

In jenen Wochen schrieb Beck an den ihm nahestehenden Major Friedrich Hoßbach: »Ich bin mir auf Grund der Kenntnis meiner Person bewußt, daß für mich das Fahrwasser nicht ohne Klippen sein wird. Aber ich werde ein neues Segel aufstecken und getrost bis zur nächsten Klippe weiterfahren. Die Sicherheit und das Vertrauen muß in einem selbst liegen22)

Mit solchen Gefühlen, hervorgerufen durch die Vehemenz einer bis zum Radikalismus drängenden politischen Entwicklung, hatte Beck sich nicht als einziger auseinanderzusetzen. Der Vorfall der Ulmer Offiziere hatte Aufsehen erregt. Selbst eine Zeitung der gemäßigten Rechten warf damals den zuständigen militärischen Stellen eine »bedenkliche Ferne vom Pulsschlag der jungen Generation auch in der Armee« vor und bescheinigte den verurteilten Leutnants die Reinheit ihrer »innen- und außenpolitisch bedingten Motive«23). Ein Blatt der Zentrumspartei bemerkte: »Deutschlands Jugend steht in einem Ring feindlicher Nachbarn und unter den nicht nur wirtschaftlich, sondern in erster Linie geistig niederbeugenden Auswirkungen eines verlorenen Krieges24).« Überaus aufschlußreich für die unter den jüngeren Offizieren herrschende Stimmung ist ein Brief, den der spätere Widerstandskämpfer Generalmajor Stieff, damals Oberleutnant, im Oktober 1930 an seine Frau schrieb. Darin heißt es: »Sind nicht ihre (gemeint waren die zu Festung Verurteilten) Nöte auch die unseren? Die Berechtigung dieser Nöte ist doch, weiß Gott, anzuerkennen. Wenn man es nicht tut, stellt man uns seelenlosen Landsknechten gleich. Das sind wir aber nicht und wollen es nicht sein. Unsere höchste Führung aber glaubt, es tun zu können, weil auch sie parlamentarisch verseucht ist und gar nicht mehr mit dem Herzen, sondern nur noch mit der Zahl und dem ›Verstand‹ jonglieren kann. Jeder Rationalismus hat einmal ein Ende. Und so muß auch eine politische und Heeresführung Rücksicht nehmen auf das Lebenselixier des Soldaten, seine uneigennützige Vaterlandsliebe25)

Es war freilich nicht immer »uneigennützige Vaterlandsliebe« oder Unzufriedenheit mit der angeblichen Schwäche des republikanischen Systems, was junge Offiziere der Reichswehr veranlaßte, für die NSDAP zu plädieren. Zweifellos sprachen auch berufliche Erwägungen mit; fühlten sich doch gerade die jüngeren Offiziere unter den Beschränkungen des 100.000-Mann-Heeres zeitlebens zu einer »Karriere im zweiten Glied« verurteilt. Die ältere Generation, die Stabsoffiziere und Generale, dagegen verhielten sich mit wenigen Ausnahmen der rasch wachsenden Partei des ehemaligen Gefreiten gegenüber teils reserviert abwartend, teils offen ablehnend. Obwohl sie sich von dem Staatsbegriff der Weimarer Republik distanziert hatten, obwohl sie die herrschenden parteipolitischen Zustände als zusätzliche Schwächung der schon ohnehin schwierigen Lage Deutschlands empfanden, erkannten sie andererseits – weil in einer festen Überlieferung wurzelnd – sowohl das gefährlich Revolutionäre als auch das unecht Soldatische der sogenannten nationalen Volksbewegung. Aber bei dieser Erkenntnis blieb es. Indem die Reichswehr als solche auch in den Jahren vor der »Machtergreifung« Hitlers als »Staat im Staate« gleichsam Gewehr bei Fuß stand, half sie unbewußt dem Führer der NSDAP, die Regierung auf legalem Wege zu übernehmen. Vielleicht wäre Beck in seiner ziemlich positiven Beurteilung des Nationalsozialismus zu anderen Schlußfolgerungen gekommen, wenn er die dem Oberreichsanwalt in Leipzig vom Reichsinnenminister zugegangene Denkschrift der preußischen Staatsregierung gelesen hätte, die »den Staats- und republikfeindlichen, hochverräterischen und damit illegalen Charakter« der NSDAP nachzuweisen suchte. In dieser Denkschrift war auch jene Rede Hitlers erwähnt, die er am 15. März 1929 – also eineinhalb Jahre vor dem Leipziger Prozeß – in einer Massenversammlung in München zum Thema »Wir und die Reichswehr« gehalten hatte. Ihr Wortlaut war in einer Reichswehr-Sondernummer des »Völkischen Beobachters« vom 26. März zum Abdruck gebracht und verbreitet worden26). Damals ging Hitler bei seiner Polemik von dem Grundsatz aus, daß ein Heer niemals Selbstzweck sein dürfe, sondern sein Zweck heiße »Dienst an der Nation«. Daraus schloß er (in Verkehrung von Prämisse und Folgerung): »Wenn eine solche Organisation in keinem lebendigen, inneren, sinngemäßen Zusammenhang mehr mit ihrem wirklichen Zweck steht, sondern sich als toter Mechanismus jeder Regierung zur Verfügung stellt, mag diese selbst aus einem Volke Riemen schneiden, sofern sie nur den Bestand dieses Mechanismus garantiert, dann haben wir vor uns eine Erscheinung, die wir begrifflich als ›Militarismus‹ bezeichnen dürfen27).« Mit dieser törichten Definition des Begriffes »Militarismus« verband Hitler nun den Appell an die Reichswehr, sich ihrer »wahren politischen Mission« zu erinnern, d. h. »nicht etwa parteipolitisch zu denken, sondern das parteipolitische Getriebe und Ungeziefer zu vernichten«28). Er sprach von der Gefahr einer »marxistischen Diktatur« und von dem künftigen Schicksal der Reichswehr, die zu einer »Truppe ähnlich der russischen Henkerarmee« werde, welche »nur die eine Aufgabe habe, das eigene Volk den Juden fügsam und willig zu machen«29). Den Generalen und Offizieren werde man dann rote Jakobinermützen über den Kopf stülpen zum Dank für ihr »geniales unpolitisches Verhalten«. »… Büttel des neuen Regiments können Sie dann sein und politische Kommissare, und wenn Sie nicht funktionieren, werden Weib und Kind hinter geschlossene Riegel gesetzt, und wenn Sie dann immer noch nicht funktionieren, fliegen Sie hinaus und werden vielleicht an die Wand gestellt, denn ein Menschenleben gilt wenig bei denen, die ein Volk vernichten wollen30)

Diese bezeichnende Prognose ist in vielen Stücken später Wirklichkeit geworden, nämlich als Hitler die totale Macht besaß. Aber wer wäre 1929 und noch in den folgenden Jahren auf den Gedanken gekommen, daß es der dämonischen Natur des Parteiführers Adolf Hitler zuzutrauen war, gerade das heraufzuführen, was er – freilich unbewußt – am 15. März prophezeit hatte? »Eine unpolitische Armee in der Hand ruchloser Parteipolitiker« – eine solche Vorstellung lag völlig außerhalb der Gedankenwelt, in der sich die Generale und Offiziere der Reichswehr bewegten.

Am 1. Februar 1931 wurde Beck zum Generalmajor befördert. Nach einer kurzen Zugehörigkeit zum Generalstab des Truppenkommandos I in Berlin kam er wieder nach Dresden, und zwar als Artillerieführer IV. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er Kommandeur der 1. Kavalleriedivision in Frankfurt an der Oder und am 1. Dezember Generalleutnant. Während dieser letzten Jahre verfaßte Beck zusammen mit Karl Heinrich von Stülpnagel, dem späteren Militärbefehlshaber in Frankreich, die grundlegende Heeresdienstvorschrift »Truppenführung« (HDv 300). Sie wurde im Herbst 1933 ausgegeben und weit über Deutschland hinaus bis in die USA, Sowjetrußland und die Türkei bekannt und in ihren grundlegenden Punkten in ähnliche Vorschriften übernommen.

Im Herbst 1932 nahm Beck als Beobachter an den italienischen Manövern teil. General Faber du Faur, der ihn begleitete, berichtet in seinen Erinnerungen von dem Eindruck, den er damals von Beck gewonnen hatte: » … Er war vollendet in seinem Äußeren und in der Form, jeder Zoll ein General, von olympischer Ruhe und trotzdem in erster Linie Mensch und gar nicht Gott, wie ich es bisher von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen gewöhnt war. Wir fanden uns auch sofort auf der rein menschlichen Basis … Ich hatte Zeit, in den Abendstunden mit Beck spazierenzugehen, und so kam ich ihm näher… Bald merkte ich, daß er auch politisch völlig über den Dingen stand und daß er nicht daran glaubte, daß irgendeine Regierungsform die Zustände und die Rolle Deutschlands in der Welt bessern könne, sondern nur die Pflege des Individuums bis zum Höchstmaß ethischen Empfindens und damit vollkommener Leistung. Leistung ohne Wissen und Können schien ihm undenkbar. Er hatte nur den einen Ehrgeiz, sein Wissen, wo er nur konnte, zu erweitern. Jedes Gebiet schien ihm dabei der Beachtung wert. Er entschloß sich sehr ungern, etwas abzulehnen, weil er das Gute, wenn es überhaupt vorhanden war, immer erkannte, auch wenn es von noch so viel Schatten, die er als Äußerlichkeiten ansah, verdeckt war. War er aber einmal entschlossen, abzulehnen, dann war er auch unerbittlich31)

Trotz seiner starken dienstlichen Inanspruchnahme fand Beck noch Zeit, sich nicht nur mit operativen und taktischen Fragen zu befassen, sondern auch Kriegsgeschichte und Wehrphilosophie, vor allem Clausewitz, zu studieren. Sowohl in Fragen der fachlichen Begriffsbildung wie hinsichtlich der Philosophie des Krieges, die natürlich überzeitliche Gesichtspunkte enthält, bezog sich Beck immer wieder auf Clausewitz und trachtete in unermüdlicher und systematischer Arbeit, die Probleme moderner Kriegführung zu erkennen und zu gestalten. Ja, der General mußte schon sehr bald eine so tiefe Wahlverwandtschaft mit dem genialen Verfasser des Buches »Vom Kriege« gespürt haben, daß er vollkommen in dessen Gedankenwelt eindrang und sie sogar schöpferisch weiterentwickelte. Dies zeigen vor allem die Denkschriften, die Beck später als Generalstabschef verfaßt hat, ebenso aber auch die zwischen 1938 und 1944 entstandenen »Studien« und Vorträge. Es handelt sich hierbei nicht um historische Abhandlungen, sondern um grundsätzliche politisch-militärische Lageanalysen, aus denen Lehren und Folgerungen für die Zukunft gezogen werden. »Sie sind buchstäblich Exerzitien am ›Modellfall‹, durch die die Mitdenkenden angeregt und angehalten werden sollen, sich im ›Gesamtüberblick aller Verhältnisse‹ (Clausewitz) zu üben, um nicht im rein militärischen Denken steckenzubleiben32)

Machtergreifung und Röhm-»Putsch«

Die Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 kam für Beck nicht überraschend. Er hatte den Führer der NSDAP zum erstenmal während des Leipziger Prozesses gesehen, wo Hitler als Zeuge aufgetreten war, um die »Legalität« seiner Bewegung zu bestätigen. Beck hatte damals einen relativ günstigen Eindruck von ihm gewonnen, und so ist es denn auch zu verstehen, daß Beck die neue Regierung als »verheißungsvolle Voraussetzung für die Wiederherstellung der militärischen Gleichberechtigung begrüßte«33). Diese Einstellung kann man weder Beck noch seinen Kameraden in hohen militärischen Stellen und noch weniger der Masse der Offiziere verübeln oder gar zum Vorwurf machen. Kein Geringerer als der von 1937 bis 1939 in Berlin tätige britische Botschafter Sir Neville Henderson hat in seinen Erinnerungen den Sachverhalt mit ebensoviel Einsicht wie Freimut dargelegt. »Von einem größeren Gesichtspunkt aus war es klar, daß Europa niemals Frieden und Stabilität erreichen konnte, solange Deutschland seinen Wohlstand nicht gesichert hatte… Die Ablehnung, Deutschland zu helfen und ihm ein wohlwollendes Verständnis zu bezeigen, hat allein bewirkt, das Volk zur Verzweiflung zu treiben, und es veranlaßt, sich an Hitler anzuklammern, der ihm als der einzige Verteidiger der deutschen Interessen erschien34).« Den Militärs erschien Hitler jedenfalls als der energische Mann, der – wenn er über den Parteien stehend die nationale Konzentration wirklich ernst nahm – mit seinem Streben nach Aufhebung der Versailler Bestimmungen früher oder später Erfolg haben konnte.

Eine andere Frage ist es, ob die Reichswehr im Januar 1933 überhaupt in der Lage gewesen wäre, die Regierungsübernahme Hitlers mit Gewalt zu verhindern. Zweifellos war sie den SA-Formationen Hitlers weit überlegen, so daß von einem ernsthaften Widerstand keine Rede sein konnte. Der Chef der Heeresleitung, General von Hammerstein, war auch bereit, jederzeit auf Befehl des Reichspräsidenten von Hindenburg gegen Hitler vorzugehen und die innere Ordnung wiederherzustellen. Aber in entscheidenden Fragen der inneren Politik, wie in diesem Fall der Berufung Hitlers zum Reichskanzler, eine eigene Autorität geltend zu machen, dazu fühlten die Befehlshaber der Reichswehr sich weder berechtigt noch berufen. Zudem befanden sie sich in jenen politisch ungemein spannungsgeladenen Wochen in einem Zustand der Verwirrung oder des Zwiespalts. Vereinzelten Gefühlen der Auflehnung gegen eine Regierung Hitler standen jene der Resignation und überwiegend die der Bereitschaft gegenüber, in dem Kanzlerwechsel eine Entscheidung Hindenburgs zu erblicken, des Generalfeldmarschalls, der den Staat repräsentierte und Oberster Befehlshaber der Armee war. Entscheidend blieb also auch in dieser Stunde das Prinzip, das General von Seeckt nach 1918 im Offizierskorps zur Geltung gebracht hatte und das auf dem Satz Generalfeldmarschalls von Roon beruhte: »Die bewaffnete Macht deliberiert nicht, sie führt bloß aus35).« Aber war diese Maxime nicht bereits durch die politische Aktivität des Generals von Schleicher fragwürdig geworden? Man wird einwenden, daß Schleicher als Reichskanzler wie vordem als Reichswehrminister einen politischen Posten innehatte, somit zu politischen Intentionen, Gesprächen und Abmachungen durchaus berechtigt, ja geradezu verpflichtet war. Inwieweit er sich bei seinen Plänen auf die Reichswehr stützen und diese in die Waagschale werfen wollte, wird man freilich wohl kaum jemals eindeutig beantworten können. Jedenfalls ist es gefährlich, die Armee, die ein Instrument des Staates ist, zum willkürlichen Richter über innerpolitische Auseinandersetzungen zu machen. Daß andererseits aber auch das Prinzip der politischen Abstinenz, wie übrigens jedes Prinzip, seine Grenzen hat, erkannten die Militärs erst, nachdem die sittlich entartete Staatsführung Hitlers Volk und Heer in eine Lage von extremem Ausnahmecharakter gebracht hatte.