Manfred Spitzer
Die Smartphone-Epidemie
Gefahren für Gesundheit, Bildung
und Gesellschaft
Klett-Cotta
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Klett-Cotta
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Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock / Chones
Datenkonvertierung: C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
Printausgabe: ISBN 978-3-608-98560-3
E-Book: ISBN 978-3-608-11505-5
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
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Allen Menschen,
die Kinder haben
oder für Kinder und Jugendliche
Verantwortung tragen.
Dies ist mein viertes Buch zu den Auswirkungen der neuen elektronischen Medien auf Menschen und vor allem auf Kinder und Jugendliche. Das erste, Vorsicht Bildschirm!, erschien im Jahr 2005, ebenfalls in der Klett-Gruppe. Es ging im wesentlichem um die Gefahren des Fernsehkonsums, die bereits damals recht gut erforscht waren, weil es das Fernsehen schon mehr als 50 Jahre gab.
Das zweite, bei Droemer im Jahr 2012 erschienene Buch Digitale Demenz wurde sehr kontrovers diskutiert, was jedoch insgesamt dazu führte, dass man über digitale Informationstechnik seither – zunächst nur gelegentlich und dann immer öfter – auch kritisch nachdenkt. Denn ungeachtet der gebetsmühlenhaften Wiederholung der immer gleichen Unwahrheiten durch die Medien selbst – »digital genial«, »digital macht schlau«, »das Ende der Kreidezeit« etc. – lässt sich beobachten, dass in den Jahren seit dem Erscheinen von Digitale Demenz eine zunehmende Zahl von Menschen den einlullenden Digital-Hype nicht mehr glaubt und beim Stichwort »Digitalisierung« nachdenklich reagiert. Ohnehin wird dieses Wort für unglaublich viele sehr unterschiedliche Sachverhalte verwendet: Von der Automatisierung von Produktionsabläufen, der papierlosen Verwaltung und dem schnellen Internetanschluss für Privathaushalte bis hin zu WLAN und digitalen Endgeräten in Schulen. Zudem hat sich herumgesprochen, dass immer dann, wenn es Wirkungen gibt, auch Risiken und Nebenwirkungen vorhanden sind. (Falls Ihnen Ihr Arzt irgendwann einmal ein Medikament mit den Worten empfehlen sollte: »Können Sie bedenkenlos nehmen, hat keinerlei Nebenwirkungen«, dann kann ich Ihnen versichern, dass Sie das Medikament auch bedenkenlos nicht nehmen können, denn es hat dann eben auch keine Wirkung!).
Mittlerweile erschienen Dutzende kritische Bücher zur Digitalisierung, zunächst in den USA und mit etwas Verspätung auch hierzulande. Versuche meiner Kritiker, mich in eine radikale Ecke zu stellen, um sich nicht mit den Problemen auseinandersetzen zu müssen (»der hat eine Einzelmeinung, die von niemandem geteilt wird«; »das nimmt niemand ernst«) scheitern daher schon länger.
Wenige Wochen nach dem Erscheinen meines dritten Buchs Cyberkrank! im Herbst 2015 (erschienen bei Droemer) wurde zu meiner großen Überraschung und Freude das Jugendwort des Jahres 2015, Smombie (Smartphone Zombie), gekürt: Junge Menschen hatten also den Zusammenhang zwischen übermäßiger Smartphonenutzung einerseits und Willen- bzw. Seelenlosigkeit andererseits begriffen – und sogar ein Wort dafür gefunden! Als dann im Januar 2018 auch noch zwei große Investoren der Firma Apple einen Brief an die Firma schrieben, um auf die Gefahren des Smartphones hinzuweisen (die zum Bankrott von Apple und damit für die Investoren zu Verlusten führen könnten), dachte ich bei mir: Jetzt kannst du dich entspannt zurücklehnen …
Warum also nun noch dieses vierte Buch, nur zum Smartphone und dessen ungünstigen Auswirkungen auf die Gesundheit und Bildung junger Menschen und die Gesellschaft insgesamt?
Der erste und wichtigste Grund dafür lautet ganz einfach: Weil in den vergangenen etwa drei Jahren sehr viele neue Erkenntnisse gewonnen wurden und weil nicht zuletzt weitere Enthüllungen uns das Ausmaß der Schäden, die das Smartphone bringt, erst so richtig vor Augen geführt haben: Der Anstieg der Kurzsichtigkeit in Südkorea (von normalerweise 1–5%) auf über 90% bei den unter 20-Jährigen, die Verdopplung der Selbstmordrate US-amerikanischer Mädchen innerhalb von sieben Jahren und die weltweite Beeinflussung von 200 Wahlen (einschließlich »Trump« und »Brexit«) sind ernst zu nehmende Sachverhalte, auf die man wirklich nicht mehr bagatellisierend reagieren kann und darf. Digitale Informationstechnik hat jede Menge »Nebenwirkungen«, von gesundheitlichen Schäden über die Beeinträchtigung von Bildungsprozessen bis zum Verlust von Arbeitsplätzen samt den Grundlagen unseres Zusammenlebens. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist schlicht nicht mehr möglich und zudem verantwortungslos.
Es geht also in diesem Buch nicht um Angstmacherei, sondern darum, die in Fachblättern wie Science und Nature publizierten Erkenntnisse vieler unabhängiger Wissenschaftler zusammenfassend darzustellen und die Wahrheit über die Auswirkungen von Smartphones für jedermann verständlich auf den Punkt zu bringen.
Wie bereits erwähnt, informieren uns auch die Qualitätsmedien – Print und öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten – nicht wirklich über Risiken und Gefahren. Als beispielsweise die Neue Züricher Zeitung am 20. Januar 2018 über einen Cyberangriff auf das Norwegische Gesundheitssystem, von dem Daten von der Hälfte der norwegischen Bevölkerung betroffen waren,1 in einem großen Artikel ausführlich berichtete, suchte man entsprechende Berichte in großen deutschen Zeitungen vergebens. Man wollte offenbar den politisch gewollten Bemühungen um die Digitalisierung des Gesundheitswesens (wieder steckt viel Geld dahinter, aber eben auch hohe Risiken für die Privatheit des Einzelnen) durch die Meldung unschöner Fakten nicht schaden.
Völlig unangemessen sind die Berichte in den großen Zeitungen und Zeitschriften über den Bereich der Bildung. Unsere Bildungseinrichtungen – vom Kindergarten über die Schulen bis zu den Hochschulen – müssten unbedingt »digitalisiert« werden. Vor allem Smartphones sollen dort »stärker berücksichtigt« werden. Fakt ist hingegen, dass sie Bildungsprozesse stark beeinträchtigen. Das französische Parlament verbietet sie genau deswegen an Schulen ab August 2018 vollständig.
Die »Digitalisierung« von Klassenzimmern beeinträchtigt nachweislich das Lernen von Schülern – aber über die vielen Studien hierzu wird einfach nicht berichtet. Stattdessen wird – z. B. in der NZZ2 und der FAZ3 im Januar 2018 – über eine vermeintlich positive Studie der TU München berichtet, die es noch gar nicht gibt, weil sie noch nicht publiziert ist (Stand: Juli 2018). Sie wurde jedoch bereits im Dezember 2017 öffentlich vorgestellt und medial verbreitet. Dies entspricht definitiv nicht der üblichen wissenschaftlichen Praxis.
Die Arme der digitalen Lobby reichten weit und tief, und die Hände an diesen Armen verteilten sehr viel Geld an willige Marktschreier. Und so wurden und werden noch immer permanent Falschmeldungen verbreitet und die Probleme nicht beim Namen genannt, sondern unter den Teppich gekehrt. Selbst Studien, die negative Effekte zeigen, werden so interpretiert, dass diese Effekte ja nur »ganz klein« seien.4 Mit diesem Buch möchte ich daher ein weiteres Mal aufklären und aufzeigen, dass wir uns und unsere Kinder noch immer großen Risiken aussetzen, obwohl wir uns aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse längst den Gefahren stellen und sie in unser Handeln einbeziehen müssten.
Als letztes sei ein äußerlicher, formaler Grund genannt, warum das vorliegende Buch existiert: Es hatte sich in den letzten etwa 18 Monaten selbst geschrieben! Das kam so: Seit knapp 20 Jahren bin ich Herausgeber der Zeitschrift für Nervenheilkunde, einem Fachblatt für Neurologen und Psychiater, das monatlich erscheint. Seither schreibe ich für jede Ausgabe zwei Beiträge, die jährlich in Form eines kleinen Büchleins publiziert wurden. Weil nun der Schattauer-Verlag, bei dem diese Zeitschrift erschien, seit dem 1. Januar 2018 in seiner alten Form nicht mehr existiert und ein Teil seiner Buch-Sparte an Klett-Cotta überging, wurden die Nervenheilkunde-Beiträge zum Thema Auswirkungen von Smartphones aus dem vergangenen und diesem Jahr im vorliegenden Buch zusammengefasst. Sie wurden hierfür überarbeitet, und zudem wurden einige Kapitel ganz neu geschrieben. Man kann aus diesem Grund die folgenden 15 Kapitel in beliebiger Reihenfolge lesen, denn jedes beinhaltet einen bestimmten Gesichtspunkt und steht für sich. Daher habe ich manche Dopplungen im Text belassen, nicht zuletzt, weil ich als (Hochschul-)Lehrer weiß, dass Wiederholung die Mutter allen Lernens ist.
Schon lange habe ich mit meinen Büchern und Artikeln einen noch größeren Leserkreis erreichen wollen. Denn seit meiner Zeit in den USA habe ich mir angewöhnt, verständlich zu schreiben. »Manfred, if you mean it, say it!« So hatte eine gute Freundin – die Frau meines damaligen Mentors – meine Texte gelegentlich kommentiert und mir jegliche im Deutschen so »gebildet« klingende sprachliche Schnörkel (»würde vielleicht vermeinen wollen« etc.) abgewöhnt. Hierzulande gilt leider noch immer Unverständlichkeit als untrügliches Zeichen von Tiefsinn!
Für meine verständlich formulierten Gedanken haben sich schon sehr viele Leser bei mir bedankt: Täglich erreichen mich Ermunterungen per Email, etwa mit Aussagen wie »machen Sie weiter«, »lassen Sie sich nicht unterkriegen« oder »was Sie tun ist sehr wichtig«. Und so wird es Zeit, dass ich mich bei all denen, die sich die Zeit genommen haben mir zu schreiben, meinerseits bedanke. Gerade wenn man immer wieder öffentliche Zielscheibe von vielerlei unschönen, erniedrigenden oder gar beleidigenden Aussagen ist, ist es aufbauend zu wissen, dass es nicht wenige Menschen gibt, die meine Gedanken schätzen, weil sie zu ihren Erlebnissen und Gedanken passen.
An diesem Buch waren hilfreiche und gute Geister gleich dreier Verlage beteiligt, denen ich danken möchte: Beim Schattauer-Verlag Frau Dr. Anja Borchers, Frau Dr. Andrea Schürg und Herrn Dr. Wulf Bertram; beim Thieme-Verlag Herrn Martin Spencker, Herrn Oliver Fock und Frau Dr. Borchers (hier muss ich sie einfach nochmals nennen, denn sie kümmert sich unter dem neuen Dach weiter um die Zeitschrift so wunderbar und erträgt vor allem den Chef-Herausgeber schon so lange) und beim Klett-Cotta Verlag Herrn Tom Kraushaar, Herrn Dr. Heinz Beyer und Frau Sandra Aichele. Sie alle haben sich dieses Buchprojekts so wunderbar und mit großer Kraft und positiver Energie angenommen.
Anfang Juni 2018 feierte die Ulmer Psychiatrie – noch immer eine der kleinsten Uni-Psychiatrien Deutschlands – ihren 20. Geburtstag. Und wenn ich schon beim Danken bin, so möchte ich mich aufs Herzlichste bei meinen Mitarbeitern bedanken, die dazu beitragen, dass uns allen die Arbeit Freude macht und unser Leben mit Sinn erfüllt: Dies sind alle hier arbeitenden Ärzte und Psychologen, die Pflege-Teams auf den Stationen, die Sozialarbeiter und Co-Therapeuten sowie allen anderen, die helfen, die Klinik am Laufen zu halten. Nicht selten diskutieren wir in unterschiedlichsten größeren oder kleineren Kreisen neue Erkenntnisse und Überlegungen, oft ganz nebenbei und immer ohne jegliche Angst, etwas Falsches zu sagen. Nur so sprudelt der Geist, und dass man hinterher kritisch bewertet und 99 Prozent des Gesprudelten wegwirft, ist völlig normal. Aber wenn genug sprudelt, bleibt auch genug kreatives Neues übrig! Und wenn die gesamte Crew das Boot so gut steuert, dann kann sich der Kapitän auch gelegentlich für ein paar Wochen zurückziehen und über den Sinn und Zweck der Seefahrt oder über die Wahrheit und Falschheit an sich nachdenken. Oder wieder mal eben die Welt retten.
Ulm, am Schwörmontag 2018
Manfred Spitzer
1.
Smartphones beeinträchtigen die Gesundheit und die Bildung junger Menschen und stellen zudem eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft dar. Betrachten wir einige Beispiele.
Eine Mutter beklagt mir gegenüber: Ihr Sohn habe sie beim Versuch, ihm das Handy abzunehmen, in die Hand gebissen. Ein klares Zeichen von Sucht! In Südkorea liegt der Anteil der Smartphone-süchtigen jungen Menschen bei über 30 Prozent. Eine im Oktober 2015 publizierte deutsche Studie zur Smartphone-Nutzung bei fünfhundert 8- bis 14-Jährigen berichtet von 8 Prozent Suchtgefährdung.
Krankenkassen warnen vor Social-Media-Sucht: 12- bis 17-Jährige in Deutschland verbringen täglich im Schnitt fast drei Stunden in sozialen Netzwerken. Laut einer DAK-Umfrage sind 2,6 Prozent der Jugendlichen süchtig nach WhatsApp, Instagram, Snapchat, Facebook und Twitter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mit dem Erscheinen der neuen internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) am 18. Juni 2018 die Computer- und Online-Spielsucht als Krankheit anerkannt.
Ein 17-jähriger Schüler spielt während des Unterrichts ein Musikvideo auf seinem Smartphone ab und wird von seiner 54-jährigen Mathematik- und Deutschlehrerin mehrfach aufgefordert, dies sein zu lassen. Der Schüler kommt dieser Aufforderung nicht nach. »Sie können mich nicht zwingen«, habe er stattdessen gesagt und die Lehrerin mit unflätigen Wörtern (»f***«) beschimpft. Daraufhin wirft die Lehrerin das Smartphone des Schülers aus dem Fenster. Sie wird in erster Instanz wegen Fehlverhaltens verurteilt, in zweiter Instanz jedoch wieder freigesprochen.
Die Anzahl der Selbstmorde von Mädchen und jungen Frauen hat sich in den USA innerhalb weniger Jahre verdoppelt. Man ging den Ursachen nach und fand, dass die Suizidalität, also die mittels psychologisch-psychiatrischer Untersuchungsverfahren bestimmte Neigung, einen Selbstmord zu begehen, mit jeder zusätzlichen Stunde der Verwendung digitaler Medien zunahm. Eine britische Studie an über tausend Mädchen fand: Wer im Alter von 13 Jahren mehr als drei Stunden täglich in Facebook ist, leidet mit 18 Jahren doppelt so häufig an einer Depression.
Schon das Fernsehen führte zu Übergewicht; Videos, DVDs und Computerspiele verschärften das Problem; Smartphones machen es nicht besser. Der Aktionsradius von Kindern und Jugendlichen hat sich innerhalb von 30 Jahren um 90 Prozent verringert. Bewegungsmangel und Übergewicht gehören weltweit zu den am besten nachgewiesenen Nebenwirkungen von Bildschirmmedien.
Computer und Smartphones schaden der Bildung: Weder deutsche noch internationale Studien konnten bislang einen positiven Einfluss von Computern oder Internetanschluss auf das Lernen an Schulen nachweisen.
Negative Auswirkungen sind hingegen klar nachgewiesen: Eine Analyse der PISA-Daten von mehr als 50 Ländern über zehn Jahre hinweg beispielsweise ergab: je mehr Geld in einem Land in digitale Infrastruktur (Computer, WLAN im Klassenzimmer) investiert wurde, desto eher haben sich die Leistungen der Schüler in diesem Land verschlechtert.
Das Smartphone auf dem Schreibtisch reduziert das Denkvermögen und den Intelligenzquotienten – einfach nur dadurch, dass es da liegt, also selbst dann, wenn es nicht verwendet wird. Es lenkt offenbar allein durch seine Präsenz ab, denn man könnte es ja verwenden.
Smartphones unterminieren das gegenseitige Vertrauen der Menschen in einer Gesellschaft und die Grundfesten unserer Demokratie.
»Die Falschheit ist schon um die halbe Welt, wenn sich die Wahrheit noch die Schuhe anzieht«. So lautete ein Kommentar zu einer im Fachblatt Science im März 2018 publizierten Untersuchung von 126 000 Twitter-Nachrichten, die insgesamt 4,5 Millionen Mal weitergeleitet wurden.
YouTube radikalisiert die Weltbevölkerung in einem nie dagewesenem Ausmaß; und Facebook spioniert uns aus, obwohl es dies nach der europäischen Datenschutz-Grundverordnung definitiv nicht darf.
Digitale Informationstechnik (IT), d. h. weltweit vernetzte Computer mit immer größerer Leistungsfähigkeit, hat seit Anfang der 80er Jahre zunächst langsam und dann mit immer schnellerer Geschwindigkeit Einzug in unser berufliches und privates Leben gehalten – von morgens früh bis spät in die Nacht hinein und von der Wiege bis zur Bahre. Nicht nur in den entwickelten Ländern, sondern mittlerweile oft auch in Ländern der »zweiten Welt« oder gar den Entwicklungsländern (»Dritte Welt«), werden schon Säuglinge vor den Fernsehapparat oder den Tablet-Computer gesetzt noch bevor sie laufen oder sprechen können. Ihre Eltern sind stolz, wenn sie als 2- bis 4-Jährige über Bildschirme wischen, das TV-Programm auswählen, oder YouTube-Videos und Spiele selbständig aufrufen – oft mehrere Stunden am Tag. Das Durchschnittsalter, in dem kleine Kinder mit der Nutzung digitaler Medien beginnen, hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verringert, während sich die tägliche Zeit der Nutzung ebenso dramatisch erhöht hat.
Nach einer im Februar/März 2015 durchgeführten repräsentativen Untersuchung aus den USA an 2658 Personen zwischen 8 und 18 Jahren lag die Nutzung von Bildschirmmedien der 8- bis 12-jährigen Kinder bei sechs Stunden und bei 13- bis 18-Jährigen waren es neun Stunden – pro Tag![1] Bei Erwachsenen ist die Lage nicht besser: Nach einer ebenfalls repräsentativen Studie aus den USA an 1786 Eltern von Kindern im Alter von acht bis 18 Jahren verbringen diese täglich im Mittel neun Stunden und 22 Minuten mit Medien, davon eine Stunde und 39 Minuten bei der Arbeit und sieben Stunden 43 Minuten in der Freizeit. 51% geben an, mehr als acht Stunden täglich mit Medien zu verbringen, nur 19% der Eltern geben dagegen weniger als vier Stunden tägliche Medienzeit an.[2]
Noch vor etwa 25 Jahren war das anders: Die Menschen sahen zwei bis drei Stunden täglich fern – und das war’s. Dennoch hatte dies – wie wir heute aus sehr sorgfältig durchgeführten Langzeitstudien wissen – bereits deutliche negative Auswirkungen: Je mehr Stunden pro Tag Kinder und Jugendliche vor dem Fernseher verbringen, desto eher leiden sie als Erwachsene später an Übergewicht,[3] desto geringer ist ihre Bildung[4] und desto aggressiver wird ihr Verhalten.[5], [6] Dass das Fernsehen dick, dumm und aggressiv macht, wird zwar bis heute oft bestritten, ist jedoch nach dem Stand der wissenschaftlichen Forschung etwa ebenso klar und eindeutig nachgewiesen wie der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs.[7]
Mit der weiten Verbreitung von Videorekordern und später dem Aufkommen von Videospielen stieg der Konsum von Bildschirm-Medien stetig an. Hinzu kam ab etwa 1982 der Personal Computer (PC), der aber erst nach fallenden Preisen in den 90er Jahren eine weitere Verbreitung fand. PCs kosteten während der ersten zehn Jahre am Markt etwa so viel wie ein Auto. Sie zogen erst dann in nahezu jeden Haushalt ein, als ihr Preis eher dem von Stereoanlagen vergleichbar wurde. Vor etwa zehn Jahren lag die tägliche Bildschirm-Medien-Nutzung junger Leute im Alter von acht bis 18 Jahren bei etwa fünf bis sechs Stunden.[8] Bereits damals machte man sich in der medizinischen Fachliteratur öfters Gedanken zu den längerfristigen Auswirkungen dieser Tatsache auf das Verhalten und die Gesundheit junger Menschen.[9]
Die Dosis macht das Gift. Diese auf den Schweizer Mediziner Paracelsus (1493–1541) zurückgehende Weisheit wurde immer deutlicher, ebenso die langfristigen ungünstigen Auswirkungen digitaler Informationstechnik auf den Menschen: Haltungsschäden und Übergewicht, Depressionen und Ängste, vermehrte Ablenkung und vermindertes Lernen. Durch den Umgang mit Bildschirmen und digitaler Informationstechnik lernt man weder Handschrift noch Rechtschreibung, Kopfrechnen oder Kartenlesen, etwas wollen und in die Tat umsetzen oder sich in andere einzufühlen und die Dinge aus deren Sicht zu betrachten. Besonders wichtig ist die schon lange vorhandene Erkenntnis, dass das in Kindheit und Jugend erreichte Bildungsniveau eines Menschen den größten Schutzfaktor vor Demenz im Alter darstellt. Und wenn das so ist, dann braucht man die Ergebnisse von Langzeitstudien nicht abzuwarten, die es frühestens in etwa 50 Jahren geben kann, um sich entsprechende Sorgen zu machen.[10]
Die gesamte Entwicklung der digitalen Informationstechnik hat sich seit dem Jahr 2007 nochmals radikal verändert und beschleunigt: Die Firma Apple hatte als erste ein völlig neues Gerät entwickelt, bei dem es sich nur vordergründig um ein Telefon handelte. Es war ein kleiner transportabler, mit einer wiederaufladbaren Batterie betriebener Computer mit mehreren drahtlosen Schnittstellen (»Funk«), die den Zugang zum Internet ermöglichen. Zudem verfügte dieser Computer über einen berührungsempfindlichen Bildschirm, eine Kamera, ein Mikrophon und eine Reihe von Sensoren (Beschleunigung, Luftdruck, Kompass) sowie über einen Lautsprecher und einen Generator von Vibrationen. So richtig interessant wurde das Ding jedoch im Laufe der Zeit erst dadurch, dass Hunderttausende von Programmen (genannt »Apps«) von sehr vielen Menschen entwickelt wurden, die auf ihm laufen und dabei die Schnittstellen zum Funknetz, Internet, dem globalen Satelliten-Navigationssystem (GPS), zu anderen Geräten in der nahen Umgebung (mittels Bluetooth) und zu anderen Smartphones verwenden. Hierdurch kann man viele kleine Probleme des Alltags lösen, die mit der Besorgung, der Speicherung oder dem Austausch von Informationen in Form von Text, Bild und Ton zu tun haben. Man kann mit dem Gerät fotografieren, filmen, diktieren, verwalten, terminieren, Mails oder Kurznachrichten versenden und empfangen oder beispielsweise auf Reisen sich nach dem Wetter erkundigen, Hotels buchen, ein Taxi rufen oder feststellen, ob Flugzeug oder Zug Verspätung haben. Mittels geeigneter Software kann man sich orientieren, sein Bankkonto führen, die Produktion in der Firma, sein Ferienhaus oder auch nur seinen Kühlschrank überwachen, einkaufen, und – ach ja – telefonieren.
Kurz: Dieses Schweizermesser des digitalen Zeitalters[11] ist unglaublich praktisch! Es ist so klein, dass man es immer und überall dabei haben kann, braucht die Steckdose nur gelegentlich, und es verbindet uns, wann wir wollen mit dem Rest der Welt. Weil es über das GPS über die ganz genaue Uhrzeit verfügt, spart es einem die Armbanduhr und den Wecker, die eingebaute Kamera reicht vielen Nutzern für den Hausgebrauch und spart ihnen Fotoapparat und Camcorder. Für viele Geräte ist das Smartphone mittlerweile als Fernbedienung zu gebrauchen, in Autos könnte es das Armaturenbrett ersetzen und zwei Smartphones – von Papa und Mama – ergeben zusammen ein Babyphone (was man sich also auch sparen kann). Sehr rasch entdeckten Mama und Papa dann, dass man das Ding auch als Babysitter verwenden kann, denn es zeigt bewegte bunte Bilder und kann dabei auch noch quietschen! Schon kleine Kinder starren wie gebannt auf das Ding, dessen dargestellte Inhalte sich sogar ändern, wenn man über den Bildschirm wischt.
Vor allem aber stellte sich heraus, dass man mit dem Ding immer mit anderen Menschen in Kontakt sein kann. Hierzu gab es zwar schon wenige Jahre vor dem Smartphone die sogenannten sozialen Online-Medien (Facebook im Jahr 2004, Twitter im Jahr 2006), aber erst deren Nutzung mit dem Smartphone verhalf ihnen – und dem Smartphone – zu einem beispiellosen Siegeszug über den gesamten Globus: Kein technisches Gerät hat sich jemals so rasch weltweit ausgebreitet wie das Smartphone. Mittlerweile wurden mehr Smartphones produziert als es Menschen auf der Welt gibt, und die Zahl der Nutzer liegt bei über vier Milliarden Menschen.[12] Etwa die Hälfte aller Smartphone-Nutzer verbringt mehr als fünf Stunden pro Tag mit ihnen.[13] Die große Mehrheit der Nutzer verwendet ein oder mehrere soziale Online-Medien, deren größtes – Facebook – bereits allein zwei Milliarden Nutzer hat (zwei Drittel davon nutzen Facebook täglich). Drei der nächsten fünf meistgenutzten sozialen Online-Medien sind WhatsApp (seit 2009; derzeit 1,2 Milliarden Nutzer), Messenger (seit 2008; derzeit 1,2 Milliarden Nutzer) und Instagram (seit 2011; derzeit 0,7 Milliarden Nutzer) und gehören ebenfalls Facebook. Diese Firma hält damit Daten zu mehr als fünf Milliarden Nutzern.[14]
Vielen jungen Menschen dient das Smartphone mittlerweile als Spielekonsole und Fernsehapparat, weswegen YouTube ja auch das herkömmliche Fernsehen als Leitmedium des passiven Konsums von bewegten Bildern mit Ton abgelöst hat: Weltweit schauen alle Nutzer zusammen täglich eine Milliarde Stunden YouTube-Videos.
Ein ziemlich großer Teil der Menschheit verbringt also insgesamt einen wesentlichen Anteil – etwa ein Drittel – seiner im Wachzustand verbrachten Zeit mit einem kleinen Gerät, das es erst seit zehn Jahren gibt! Wir stellen alles Mögliche damit an, machen während dieser Zeit viele virtuelle Erfahrungen und wickeln einen wesentlichen Teil unserer täglichen Kontakte mit realen Menschen über dieses Gerät ab. Diese Veränderungen der Art, wie wir unsere Lebenszeit verbringen, wirken sich vor allem in dem Zeitraum auf uns aus, in dem sich unsere Gehirne (noch) entwickeln und ganz besonders lernfähig sind: von der Geburt bis ins dritte Lebensjahrzehnt hinein. Wenn sich das Erleben und Verhalten eines Großteils der Menschen durch ein einziges kleines neues Produkt in diesem noch nie dagewesenem Ausmaß ändert, dann kann dies eines nicht haben: keine Konsequenzen!
Es ist daher schwer verständlich, warum es bislang keinerlei offizielle Technologiefolgenabschätzung für diese neue Technik mit solch gravierendem Einfluss auf unsere Lebensgestaltung und unsere Lebenserfahrung gibt. Niemand anderes als zwei große Investoren der Firma Apple haben dies zu Anfang des Jahres 2018 angemahnt: In einem Brief an Apple schrieben sie, dass das iPhone ja durchaus Risiken und Nebenwirkungen habe, und dass die Firma gut daran täte, diese in Betracht zu ziehen. Denn sonst könnte es geschehen, dass Milliarden von Nutzern wegen des Auftretens solcher unerwünschter Konsequenzen die Firma auf Schadensersatz verklagen, was angesichts der riesigen Zahl der potentiellen Kläger selbst für Apple – die reichste Firma der Welt – die Pleite bedeuten könnte.[15]
Aufgrund ihrer großen Bedeutung sei die Quelle hier ausführlich zitiert: »Ein führender Investor und ein Pensionsfond sagen, dass der Smartphone-Hersteller auf das Problem der Smartphone-Sucht reagieren müsse, da es sich nach Meinung mancher Menschen hierbei um eine zunehmende Krise der Volksgesundheit handele. [Die Investoren] Jana Partners LLC und California State Teachers’ Retirement System, auch Calstrs genannt, die zusammen etwa zwei Milliarden US-Dollar Apple-Aktien halten, schrieben am Samstag [dem 6.1.2018] einen Brief an Apple, in dem sie den Konzern dringend aufforderten, neue Programme zu entwickeln, um es den Eltern einfacher zu machen, die Smartphone-Nutzung [ihrer Kinder] zu kontrollieren und zu begrenzen und den Einfluss von deren übermäßiger Nutzung auf die seelische Gesundheit zu erforschen« (Wall Street Journal, 7.1.2018, Übersetzung durch den Autor). Der Konzern hat auf seiner letzten Entwicklerkonferenz reagiert: Dort war weniger von neuen Geräten die Rede als vielmehr von Software zur eigenen Einschränkung bzw. zur Begrenzung der Nutzung des iPhones durch Kinder.[16]
Es geht bei den negativen Auswirkungen von Smartphones allerdings um weit mehr als »nur« um Suchtverhalten. Smartphones verursachen nachweislich eine ganze Reihe gesundheitlicher Schäden, deren Schwere und Ausmaß den wenigsten Menschen bewusst sind: Kurzsichtigkeit (Kapitel 2), Angst, Depression (Kapitel 7), Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Haltungsschäden, Diabetes, Bluthochdruck und ein erhöhtes Risikoverhalten beim Geschlechts- und Straßenverkehr. Wie man mittlerweile herausgefunden hat, fördert die Nutzung von sogenannten Geo-social Networking Apps täglich millionenfachen Gelegenheitssex und damit eben auch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Was den Straßenverkehr anbelangt, so wissen die Wenigsten, dass Smartphones mittlerweile bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer eins abgelöst haben. Darüber hinaus wird durch die Beeinträchtigung von Bildungsprozessen das Auftreten dementieller Erkrankungen begünstigt, wie im Abschnitt Bildung weiter unten dargelegt wird. Zuvor seien noch beispielhaft einige der gerade genannten Nebenwirkungen näher dargestellt.
Die Nutzung von Bildschirmmedien führt zu Übergewicht und Adipositas,5 wie eine ganze Reihe von Studien nachweisen konnte.[17], [18], [19] Die beteiligten Mechanismen reichen vom Ausbleiben kleinster, aber dennoch Energie verbrauchender Bewegungen über Werbung für stark kalorienhaltige Nahrungsmittel bis hin zur Verdrängung von anderen Freizeitbeschäftigungen.[20], [21], [22], [23], [24], [25], [26] Smartphones vermindern die Zeit für sportliche Aktivitäten,[27] verlangsamen das Gehen um 33 Prozent,[28] führen zu körperlicher Inaktivität (»time on couch«), vermindern das Interesse an der Natur und die in und mit ihr verbrachte Zeit (Radfahren, Wandern).[29] Übergewicht in Kindheit und Jugend führt oft zu lebenslangem Übergewicht und ist mit dem Auftreten chronischer Krankheiten, einem ungesunden Lebensstil und geringerer Bildung sowie Verhaltensproblemen verbunden.[30], [31], [32], [33] Für das Jahr 2014 wurde die weltweit durch Übergewicht entstandene wirtschaftliche Belastung auf 2000 Milliarden US-Dollar geschätzt.[34]
Eine große norwegische Studie an knapp zehntausend Jugendlichen zeigte ein hohes Maß der Nutzung digitaler Medien in der Stunde vor dem Schlafengehen, wobei das Smartphone am häufigsten Verwendung fand.[35] Studien konnten nachweisen, dass Smartphones auf dreifache Weise Schlafstörungen verursachen:[36], [37], [38] Sie verdrängen die Schlafenszeit, führen zu Erregung und Unruhe durch die dargebotenen Inhalte und das blaue Licht der Bildschirme führt zu einer beeinträchtigten Freisetzung des Schlafhormons Melatonin.[39] Der Konsum digitaler Medien am Tag führt dosisabhängig zu einer Beeinträchtigung des Nachtschlafs, wie Untersuchungen im Schlaflabor zeigen konnten.[40], [41]
Schlafstörungen gehen mit Stoffwechselstörungen (Übergewicht, Zuckerkrankheit vom Typ-II) sowie Bluthochdruck einher.[42], [43], [44], [45] Zudem wurde der Zusammenhang von Smartphone-Verwendung und erhöhtem Blutdruck direkt untersucht. Eine Untersuchung an 331 Schülern im Alter von 14 bis 17 Jahren zeigte einen erhöhten Blutdruck bei mehr Zeit der wöchentlichen Internet-Nutzung.[46] Dies ist im hier diskutierten Zusammenhang von Bedeutung, da der Internet-Zugang von jungen Menschen – ebenso wie Social Media und viele andere früher am Computer erledigte Tätigkeiten – heute vor allem über ihr Smartphone erfolgt.
Dass ein klingelndes Smartphone zu einem Anstieg von Blutdruck und Puls führt, konnte ebenfalls experimentell bei am Computer arbeitenden Probanden nachgewiesen werden.[47] Kritische Stimmen weisen manchmal darauf hin, dass keine einzige Studie bislang mit absoluter Sicherheit hätte zeigen können, dass dieser Zusammenhang gilt. Dies ist einerseits trivial, denn experimentelle Studien lassen sich immer dahingehend kritisieren, dass die Bedingungen im Labor von denen in der realen Welt abweichen und daher Laborergebnisse nicht auf die Lebensverhältnisse übertragbar sind. Im Hinblick auf Untersuchungen in der realen Welt (beispielsweise in der Schule) wird dagegen argumentiert, dass man durch Beobachtungen lediglich statistische Zusammenhänge aber keine Kausalität nachweisen könne. Beides stimmt und ist, wie schon gesagt, trivial, denn eine Beobachtung ist eine Beobachtung und ein Experiment ist ein Experiment. Wenn jedoch sowohl Experimente im Labor (mit ihnen kann man Ursache und Wirkung nachweisen) als auch Studien in der realen Welt zum gleichen Ergebnis kommen, kann der Einwand nicht aufrechterhalten werden, denn die Studien stützen sich gegenseitig. Ein großer Teil des medizinischen Fortschritts der letzten 150 Jahre beruht gerade auf dieser Zusammenarbeit von Labor (Experiment) und Klinik (Beobachtung)! Und wer würde leugnen, dass wir alle von diesem Fortschritt in hohem Maße profitieren, wenn wir krank sind?
Als Psychiater muss ich darauf hinweisen, dass viele Risiken und Nebenwirkungen von Smartphones mein Fachgebiet betreffen, vor allem im Hinblick auf Aufmerksamkeitsstörungen, Angst, Sucht, Demenz und Depressionen.[48], [49]
Eine britische Studie zeigte eine Verdopplung der Häufigkeit von Depressionen bei 18-jährigen Mädchen, wenn sie im Alter von 13 Jahren mehr als drei Stunden täglich mit Facebook zubrachten.[50] Eine große Studie aus den USA hat gezeigt, dass die Suizidalität von Mädchen und jungen Frauen mit jeder Stunde Mediennutzung deutlich steigt[51] und sich die Anzahl der Suizide in den Jahren von 2007 bis 2015 verdoppelt hat.[52]
Smartphones führen zu verschiedenen Typen von Ängsten: Die Angst davor, irgendetwas zu verpassen (englisch: Fear of missing out, abgekürzt: Fomo) besteht bei über 60 Prozent aller Smartphone-Nutzer. Die Nomophobie (englisch: no more phone phobia) ist ein ebenfalls sehr verbreitetes Phänomen. Beides ist vielfach untersucht und bekannt. Mobbing und die damit verbundenen Ängste stellen heute ein an Schulen weit verbreitetes Problem dar, dessen Aufarbeitung im konkreten Fall alle Beteiligten sehr viel Zeit und Kraft kostet.
Die Existenz von nicht-stoffgebundenen Suchterkrankungen wie Spielsucht (d. h. Glücksspiel-Sucht) und mittlerweile auch Computer- und Online-Spielsucht wird nach wie vor von manchen »Experten« bestritten. Dabei sind die Zweifel längst ausgeräumt und die Konsequenzen daraus auch weltweit gezogen, nämlich – wie oben bereits erwähnt – durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der Anerkennung der Computer- und Online-Spielsucht als Krankheit. Man kennt den Mechanismus der Entstehung und Aufrechterhaltung dieser Sucht sowie deren Folgen. Auch die Diagnostik ist beispielsweise ganz ähnlich wie bei der Alkoholsucht, geht es doch nicht darum, wie viele Bier eine bestimmte Person an einem bestimmten Abend getrunken hat, sondern darum, ob der Person die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum entgleitet, ob für sie Alkohol immer wichtiger wird und ob sie trotz negativer Konsequenzen weiter trinkt. Zudem wird bei den nicht-stoffgebundenen Suchterkrankungen auch therapeutisch letztlich nicht anders vorgegangen als bei den stoffgebundenen Süchten: Die wichtigsten Maßnahmen sind:
Der Sucht nicht mehr nachgehen (Abstinenz),
Lernen, in den verschiedensten Situationen ohne das Suchtverhalten auszukommen,
bestimmte, den Suchtdruck dämpfende Medikamente können helfen.
Schließlich geht es darum, andere Verhaltensweisen zu entwickeln (Alternativen) und
zu lernen, sich vor allem besser zu kontrollieren.
sie
Der Zusammenhang von Bildschirmmedien und Aufmerksamkeitsstörungen ist mittlerweile gut belegt und nicht mehr bezweifelbar. Besonders im Bereich der Bildung wirken sich Smartphones unter anderem aus diesem Grund verheerend aus, wie im Folgenden kurz diskutiert wird (siehe auch Kapitel 6).