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Der Wahlberliner Niko Rittenau ist Ernährungswissenschaftler mit dem Fokus auf pflanzliche Ernährung. Er kombiniert seine kulinarischen Fertigkeiten mit dem Ernährungswissen seiner akademischen Laufbahn, um Innovationen zu kreieren, bei denen guter Geschmack auf Gesundheitsbewusstsein und nachhaltigen Konsum trifft. In Vorträgen und Seminaren zeigt er seine Version von bedarfsgerechter Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung und fördert die Achtsamkeit gegenüber hochwertigen Lebensmitteln. Niko absolvierte einen Bachelorstudiengang der Ernährungsberatung sowie ein Masterstudium in Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin.

Niko Rittenau

Vegan-Klischee ade!

Wissenschaftliche Antworten
auf kritische Fragen
zu pflanzlicher Ernährung

Vorbemerkung

Im Sinne des Gleichstellungsgedankens mögen Personalbezeichnungen wie Veganer im weiteren Verlauf des Buches bitte im Sinne von Veganer*Innen verstanden werden, um neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht auch alle Menschen zu inkludieren, die sich nicht einem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen.

An einigen Stellen des Buches wird auf die Ergebnisse von Tierversuchen verwiesen. Dies soll zu keinem Zeitpunkt eine Rechtfertigung von Tierversuchen darstellen. Die Ärzte gegen Tierversuche e. V. informieren über tierversuchsfreie Forschungsmethoden.

Aus Rechtsgründen wird darauf hingewiesen, dass der Inhalt dieses Buches keinen Ersatz für einen ärztlichen Rat oder eine medizinische Behandlung darstellt. Sämtliche Aussagen in diesem Buch wurden sorgfältig recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen ausgewählt, um ein objektives Bild aller Sachverhalte zu liefern. Ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse können sich im Verlauf der Zeit allerdings ändern und trotz des aktiven Bemühens, alle Inhalte des Buches stets auf dem neuesten Stand zu halten, kann dafür keine Gewährleistung übernommen werden. Korrekturen und Updates der Buchinhalte auf dem aktuellsten Stand finden sich unter www.nikorittenau.com/vka-update

Die Informationen in diesem Buch bauen auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen einer Vielzahl von Pionieren der Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin auf und so gilt all diesen Personen der größte Dank und Respekt für ihre Arbeit. Es sind zu viele, um sie alle zu nennen, aber am Ende des Buches wird jenen gedankt, die den größten Einfluss auf das vorliegende Buch gehabt haben.

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2018
Edition Kochen ohne Knochen
Alle Rechte vorbehalten

print-ISBN 978-3-95453-189-9
e-ISBN 978-3-95575-108-1

Gestaltung: Oliver Schmitt
Cover unter Verwendung eines Fotos von Claudia Weingart
(Bildbearbeitung: Moritz Thau)

Ventil Verlag
Boppstraße 25, 55118 Mainz
www.ventil-verlag.de

Inhalt

Vorwort von Dr. Melanie Joy

Einleitung

Was Ernährungsgesellschaften über vegane Ernährung sagen

Vegane Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit

Darum empfiehlt die DGE eine vegane Ernährung (noch) nicht

Eine vegane Ernährung ≠ eine vollwertig pflanzliche Ernährung

Optimal versorgt mit veganer Ernährung

Protein

Grundlegendes zu Protein

Proteinbedarfsberechnung

Erhalten Veganer genügend Protein?

Pflanzliche Proteinlieferanten

Pflanzliches Protein vs. tierisches Protein

Proteinmangel heißt Kalorienmangel

Die optimale Proteinversorgung

Bewertung von Proteinen

Proteinkombinationen

Proteinempfehlungen für Veganer

Minimal- und Maximalzufuhr an Protein

Fazit

Omega-3-Fettsäuren

Am Beginn der Nahrungskette ansetzen

Langkettige Omega-3-Fettsäuren zum Schutz von Herz und Gehirn

Die richtige Dosierung von Omega-3-Fettsäuren

Das Zusammenspiel der Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren

Optimierte Eigensynthese der langkettigen Omega-3-Fettsäuren

Fazit

Vitamin B12

Der Wunsch nach Natürlichkeit

Grundlegendes zu Vitamin B12

Die tägliche Versorgung mit Vitamin B12

Ein kleiner Ausflug in die Anatomie des Menschen

Die Geschichte von Vitamin B12

Die Eigenversorgung mit Vitamin B12

Vitamin-B12-Anreicherung in Pflanzen

Mangelkandidaten

Auf Nummer sicher: Der richtige Test

Nahrungsergänzung: Was und wie viel?

Verschiedene Arten von B12

Die Höhe der täglichen B12-Zufuhr

Begünstigt Vitamin B12 unreine Haut?

Verursacht zu viel Vitamin B12 Krebs?

Fazit

Vitamin B2 (Riboflavin)

Der Vitamin-B2-Bedarf des Menschen

Vitamin-B2-haltige pflanzliche Lebensmittel

Fazit

Vitamin D

Die körpereigene Vitamin-D-Synthese des Menschen

Die optimale Vitamin-D-Versorgung

Supplementierung bei fehlender Eigensynthese

Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels

Minimal- und Maximalzufuhr

Vitamin D3 oder Vitamin D2?

Vitamin D3 und Vitamin K2 als optimale Kombination?

Fazit

Eisen

Der Eisenbedarf des Menschen

Zufuhrempfehlungen für vegan lebende Menschen

Eisenhaltige pflanzliche Lebensmittel

Die Eisenaufnahme optimieren

Zu viel des Guten?

Fazit

Kalzium

Kalzium und andere Stoffe für die Knochengesundheit

Der Kalziumbedarf des Menschen

Minimal- und Maximalzufuhr von Kalzium

Zufuhrempfehlungen für vegan lebende Menschen

Kalziumhaltige pflanzliche Lebensmittel

Die Kalziumaufnahme optimieren

Fazit

Zink

Der Zinkbedarf des Menschen

Zufuhrempfehlungen für vegan lebende Menschen

Zinkhaltige pflanzliche Lebensmittel

Die Zinkaufnahme optimieren

Fazit

Selen

Selen und die menschliche Gesundheit

Der Selenbedarf des Menschen

Minimal- und Maximalzufuhr an Selen

Zufuhrempfehlungen für vegan lebende Menschen

Selenhaltige pflanzliche Lebensmittel

Fazit

Jod

Jod und die Gesundheit der Schilddrüse

Der Jodbedarf des Menschen

Minimal- und Maximalzufuhr an Jod

Jodhaltige pflanzliche Lebensmittel

Jodsalz

Zufuhrempfehlungen für vegan lebende Menschen

Zu viel des Guten?

Fazit

Die fünf wichtigsten Lebensmittelgruppen der veganen Ernährung

Vollkorngetreide

Der Ackerbau – ein holpriger Start

Schlau wie Brot

Steinzeitgene und Neuzeiternährung

Durch Getreide geschrumpft?

Machen Kohlenhydrate dick und verursachen sie Diabetes?

Ist Gluten für alle Menschen schädlich?

Glutensensitivität und Weizenallergie

Entzündungsreaktionen durch Getreide bei gesunden Menschen

Fazit

Hülsenfrüchte

Der Second-Meal-Effekt

Antinutritiva – Freund oder Feind?

Böhnchen ohne Tönchen

Die richtige Zubereitung von Hülsenfrüchten

Fazit

Gemüse

Gemüse ist nicht gleich Gemüse

Die Auswahl und Zubereitung von Gemüse

Rohkost und die Evolution des Menschen

Die optimale Zubereitung von Kreuzblütlern und Zwiebelgewächsen

Kreuzblütler und die Gesundheit der Schilddrüse

Fazit

Obst

Fruchtzucker und Gewichtszunahme

Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung

Die Fruktosemalabsorption

Smoothie, Saft oder ganzes Obst?

Fazit

Nüsse und Samen

Sind Nüsse Dickmacher?

Die Mechanismen hinter den verschwundenen Kalorien

Nüsse als Superfood

Leinsamen: Ein kleiner Kern mit großer Wirkung

Muss man Nüsse und Samen einweichen?

Nüsse und Aflatoxine

Fazit

Die Sojakontroverse

Soja und die Zerstörung des Regenwaldes

Gentechnik im Sojaanbau

Wer auf Soja verzichten sollte

Vorurteile gegen Soja

»Soja verursacht Brustkrebs.«

»Soja verweiblicht Männer.«

»Soja stört die Schilddrüsenfunktion.«

»Soja beeinträchtigt die Entwicklung und Geschlechtsreife von Kindern.«

»Soja begünstigt das Auftreten von Alzheimer.«

Fazit

Tipps zur Umsetzung einer veganen Ernährung im Alltag

Anpassung der DGE-Richtlinien für eine vegane Ernährung

DGE-Ernährungskreis und Lebensmittelpyramide für Veganer

Bedarfsdeckung der kritischen Nährstoffe

Warum manche Veganer Vitamin A supplementieren sollten

Vegane Ernährung ist einfach umsetzbar – ein Beispiel

Fazit

Nachwort von Prof. Dr. Markus Keller

Anhang

Danksagung

Register

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Bildnachweise

Vorwort von Dr. Melanie Joy

Mit großer Freude schreibe ich dieses Vorwort zu »Vegan-Klischee ade!«, da es meiner Ansicht nach eine essenzielle Informationsquelle für alle Personen darstellt, die an veganer Ernährung interessiert sind. Das Buch gibt sowohl Veganern als auch Nicht-Veganern das nötige Wissen über die pflanzliche Ernährung, damit diese bessere Ernährungsentscheidungen treffen können. Es befähigt Veganer dazu, gesünder zu essen, und es lädt Nicht-Veganer ein, ihre eventuell vorhandenen Vorurteile zu den gesundheitlichen Aspekten einer vollwertigen veganen Ernährung auf Basis wissenschaftlicher Literatur zu hinterfragen.

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»Vegan-Klischee ade!« behandelt das Thema der pflanzlichen Ernährung evidenzbasiert und ist dadurch eine dringend notwendige Ergänzung zur existierenden Ernährungsfachliteratur. Diese neutrale Haltung zieht sich durch das gesamte Werk und ist gerade bei diesem Thema von besonderer Bedeutung. Mitunter wird Ernährungsfachkräften mit Fokus auf vegane Ernährung unterstellt, sie hätten Vorurteile gegenüber der existierenden Datenlage und würden diese zu einseitig beleuchten, damit diese ihren eigenen Vorurteilen gerecht wird. Dies ist selbstverständlich entschieden abzulehnen, jedoch wird dabei oft übersehen, dass auch viele der konventionellen Fachbücher zu mischköstlichen Ernährungsformen ebenfalls von Personen geschrieben wurden, die – wenngleich unwissentlich – auch in ihrer Wahrnehmung befangen sind.

Die Vorurteile vieler mischköstlicher Kolleginnen und Kollegen, von denen ich schreibe, leiten sich ab von dem, was ich in meiner Arbeit als Psychologin als »Karnismus« definiere. Karnismus beschreibt die zumeist nicht wahrgenommene Weltanschauung, dass der Konsum tierischer Produkte normal, natürlich und notwendig sei. Darüber hinaus konditioniert er Menschen darauf, nur gewisse Tiere als essbare Nutztiere zu klassifizieren. Im Grunde genommen ist der Karnismus das Gegenteil des Veganismus. Viele Menschen glauben irrtümlich, dass nur Veganer und Vegetarier einem bestimmten Wertesystem in Bezug auf ihre Ernährungsgewohnheiten folgen. Dies ist allerdings nicht korrekt. Der einzige Grund, warum wir von klein auf gelernt haben zu glauben, dass es in Ordnung sei, ein Schwein aber keinen Hund zu essen oder die Haut einer Kuh aber nicht die einer Katze zu tragen, ist, dass Menschen kulturell bedingt bestimmten karnistischen Glaubenssätzen folgen. Da allerdings die Bevölkerungsmehrheit der westlichen Welt diesem Wertesystem folgt, wird dies oft nicht erkannt und demnach auch nicht hinterfragt.

Unser gesellschaftliches System ist so gestrickt, dass wir in vielen Lebensbereichen davon abgehalten werden, die Frage zu stellen, warum wir gewisse Tiere essen und andere nicht – oder warum wir überhaupt Tiere essen und auf andere Weisen ausbeuten. Die meisten Menschen würden niemals willentlich unnötige Gewalt an Tieren unterstützen. Erst die Glaubenssätze des Karnismus ermöglichen dies auf gesellschaftlicher Ebene. Dadurch halten sich auch wissenschaftlich längst widerlegte Mythen hartnäckig in der öffentlichen Wahrnehmung, die eine objektive Auseinandersetzung mit unseren Essgewohnheiten erschweren. Wie erwähnt, lässt uns das Glaubenssystem des Karnismus in der Annahme, dass es normal, natürlich und notwendig sei, Tiere zu essen. Durch dieses Weltbild glauben wir ferner, dass es falsch wäre, keine Tiere zu essen – und dass Veganismus daher im Umkehrschluss unnormal, unnatürlich und unnötig sei.

Diese Weltanschauung ist institutionalisiert und dadurch fest in unserer Gesellschaft verankert. Sie wird von den allermeisten Bildungseinrichtungen akzeptiert und reproduziert. Wenn Menschen also Ernährungswissenschaft studieren, dann studieren sie eine karnistisch geprägte Form der Ernährungswissenschaft. Dies wird deutlich, wenn man einen Blick auf das Curriculum gängiger ernährungswissenschaftlicher Studiengänge und deren Lehrinhalte wirft. Gleiches gilt auch für andere Studiengänge und zieht sich ebenso durch die westliche Kochlehre und andere Berufe, die direkte oder indirekte Berührungspunkte mit Tieren oder tierischen Produkten haben.

Darüber hinaus neigen wir dazu, in erster Linie das wahrzunehmen und uns zu merken, was unsere bereits bestehenden Annahmen bestätigt. In der Psychologie bezeichnet man dieses Phänomen als den sogenannten Bestätigungsfehler (Confirmation Bias). Dieser beschreibt unsere Neigung, eigene Bewusstseinslücken durch die selektive Aufnahme von Informationen aufrechtzuerhalten und ungewollt Informationen zu verzerren, die diese Lücken schließen könnten. Dadurch werden die eigenen Glaubenssätze unbewusst bestätigt und weiter bestärkt. Es ist schwer möglich, sich gänzlich von dieser Voreingenommenheit zu lösen. Sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden, ist jedoch ein erster wichtiger Schritt hin zu einer objektiveren Auseinandersetzung mit der Datenlage.

Dankenswerterweise schafft Niko Rittenau genau dies und hat viel Zeit aufgewendet, die ernährungswissenschaftliche Literatur zu analysieren und alle relevanten Daten leicht verständlich in diesem ausführlichen Werk zugänglich zu machen. Statt seine persönlichen Überzeugungen Einfluss auf seine Darstellung nehmen zu lassen, arbeitet er besonders gewissenhaft und transparent, immer bereit, sich selbst und seine Thesen zu hinterfragen. Ich bin dankbar, dass dieses Buch existiert und optimistisch, dass es eine weitreichende Veränderung in der Außenwahrnehmung der veganen Ernährung bewirken wird.

Dr. Melanie Joy

Autorin u. a. von »Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen«, »Beyond Beliefs: A Guide to Improving Relationships and Communication Among Vegans, Vegetarians, and Meat Eaters« und »Powerarchy: Understanding the Psychology of Oppression for Social Transformation«

Einleitung

Obwohl mittlerweile sowohl eine Vielzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen als auch eine Reihe von Positionspapieren internationaler Ernährungsgesellschaften zeigen, dass eine gut geplante vegane Ernährung in jeder Phase des Lebenszyklus bedarfsdeckend ist, kursiert weiterhin eine Vielzahl an Klischees und Mythen rund um den gesundheitlichen Wert einer rein pflanzlichen Ernährung. Eine vegane Ernährung ist nicht die Lösung für alle Probleme dieser Welt und auch nicht das Wundermittel, zu dem es manchmal ernannt wird, aber sie ist eine sehr einfache und effiziente Möglichkeit, Umwelt- und Tierschutz mit gesunder Ernährung zu kombinieren. Das vorliegende Buch versucht keineswegs, auf Biegen und Brechen eine vegane Ernährung als das Optimum in allen ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten darzustellen. Es geht im Gegenteil darum, nicht nur die Vorbehalte gegenüber einer veganen Ernährung evidenzbasiert zu entkräften, sondern auch eine Reihe von falschen Vorstellungen zu korrigieren, die sich innerhalb der veganen Bewegung festgesetzt haben und zu Lasten der Gesundheit vegan lebender Menschen gehen können.

Das vorliegende Buch zeigt anhand der aktuellen wissenschaftlichen Literatur nicht nur, dass eine rein pflanzliche Ernährung bedarfsdeckend und gesundheitsförderlich ist. Es geht noch einen Schritt weiter und erläutert, aus welchen Quellen die Kritik an der veganen Ernährung stammt und erklärt, welche Fehlinterpretationen der ernährungswissenschaftlichen Daten dazu geführt haben, dass diese Mythen entstehen konnten. Geschrieben wurde dieses Buch einerseits für vegan lebende Menschen, die damit ein Handbuch erhalten, mit dessen Hilfe sie die bestmöglichen Ernährungsentscheidungen für sich und ihre Familie treffen können. Andererseits wurde es aber auch für alle an Ernährung interessierten Menschen geschrieben, die nachfolgend die Quintessenz der ernährungswissenschaftlichen Datenlage zu vielen Bereichen der veganen Ernährung erhalten. Nicht zuletzt soll es auch denen, die (noch) skeptisch gegenüber der veganen Ernährung sind, die Antworten auf ihre Vorbehalte liefern, um diese aufzulösen.

Im ersten Teil des Buches werden die bei veganer Ernährung tendenziell kritischen Nährstoffe beleuchtet und es wird gezeigt, wie diese im Rahmen einer veganen Ernährung optimal gedeckt werden können. Der zweite Teil des Buches widmet sich den fünf Hauptlebensmittelgruppen, aus denen eine vollwertige vegane Ernährung besteht. Zahlreiche Vorurteile, die diese Lebensmittel betreffen, werden erläutert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Abschließend widmet sich das Buch der Sojakontroverse. Die Ursprünge der zahlreichen Mythen über Soja werden diskutiert und anhand der aktuellen Datenlage und den Positionspapieren führender Ernährungs-, Gesundheits- und Krebsgesellschaften korrigiert.

Was Ernährungsgesellschaften über vegane Ernährung sagen

Wenngleich bei weitem noch nicht jede Ernährungsgesellschaft konkrete Positionspapiere zu veganer Ernährung herausgegeben hat, gibt es dennoch seit einigen Jahren bereits eine ganze Reihe an Veröffentlichungen aus vielen Teilen der Welt, die sich dem Thema widmen und positiv über eine vegane Ernährung in jeder Lebensphase schreiben. In Deutschland hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) im Jahr 2016 ebenfalls ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie allerdings über den ernährungsphysiologischen Wert einer veganen Ernährung kritisch resümiert:

»Bei einer rein pflanzlichen Ernährung ist eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich. Der kritischste Nährstoff ist Vitamin B12. Zu den potenziell kritischen Nährstoffen bei veganer Ernährung gehören außerdem Protein bzw. unentbehrliche Aminosäuren und langkettige Omega-3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine (Riboflavin, Vitamin D) und Mineralstoffe (Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Selen). Für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird eine vegane Ernährung von der DGE nicht empfohlen.«1

Auch die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) teilte in einer Pressemitteilung mit, dass sie eine vegane Ernährung nicht für die breite Bevölkerung empfiehlt und dass vor allem bei einer veganen Ernährung für Kinder, Schwangere oder Stillende ein besonderes Augenmerk auf die Nährstoffversorgung gelegt werden muss.2 Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) zitiert in ihrer Stellungnahme zu veganer Ernährung sowohl die kritische Position der DGE als auch das weitaus positivere Positionspapier der amerikanischen Academy of Nutrition and Dietetics (AND). Sie bleibt in ihrer Betrachtung der veganen Ernährung weitestgehend neutral und benennt sowohl potenzielle gesundheitliche Vor- als auch Nachteile.3

Da viele Menschen zu Informationszwecken oft nur die Zusammenfassung von Veröffentlichungen wie jener der DGE lesen, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn einige von ihnen in dieser Stellungnahme eine klare Ablehnung gegenüber einer veganen Ernährung lesen und dieser kritisch gegenüberstehen. Auf der anderen Seite nehmen viele vegan lebende Menschen diese Veröffentlichung zum Anlass, die Arbeit der DGE insgesamt abzulehnen. Beiden Seiten würde es gut tun, sich die Veröffentlichung in der Gänze durchzulesen, denn beide wären von der Gesamtheit der Inhalte vermutlich überrascht. Entgegen der etwas unglücklichen Formulierung der Zusammenfassung leisten die Autoren der Veröffentlichung nämlich grundsätzlich sehr gute Arbeit und liefern einen umfangreichen Bericht über die Datenlage zu veganer Ernährung, der insgesamt weitaus positiver ausfällt, als es die Zusammenfassung vermuten lässt.

So schreiben die DGE-Autoren: Es »[…] kann angenommen werden, dass eine pflanzenbetonte Ernährungsform (mit oder ohne einen geringen Fleischanteil) gegenüber der derzeitig in Deutschland üblichen Ernährung mit einer Risikosenkung für ernährungsmitbedingte Krankheiten verbunden ist.«4 Außerdem ergänzen sie: »[…] durch eine gezielte Lebensmittelauswahl und gute Planung ist es möglich, eine vegane Kost zusammenzustellen, bei der kein Nährstoffmangel auftritt.«5 Die Autoren schreiben, dass jede Ernährungsweise, die essenzielle Nährstoffe und Energie nicht bedarfsgerecht zuführt, ungünstig auf die Gesundheit wirken kann und empfehlen daher Anhängern jeder Ernährungsform, auf eine gut geplante Ernährung zu achten. Damit die DGE eine vegane Ernährung als bedarfsgerecht ansieht, müssen laut ihrem Positionspapier vor allem drei wichtige Punkte erfüllt werden, die für die meisten vegan lebenden Menschen keine große Schwierigkeit darstellen sollten:

Die dauerhafte Einnahme eines Vitamin-B12-Präparats sowie eine regelmäßige Kontrolle der B12-Werte

Eine gezielte Zufuhr nährstoffdichter und gegebenenfalls angereicherter Lebensmittel zur Vorbeugung von Mängeln an kritischen Nährstoffen

Eine gezielte Ernährungsberatung durch eine Fachkraft, um ein Grundverständnis über die eigene Ernährung zu erlangen

Die DGE nennt in ihrem Positionspapier die Studien, die die Möglichkeit aufzeigen, dass Vitamin B12 in gewissen Algenarten ebenso wie in mit den richtigen Bakterien fermentierten Produkten vorhanden sein kann. Sie rät jedoch strikt davon ab, diese unsicheren Quellen für die eigene Bedarfsdeckung zu verwenden. Dies steht im Einklang mit den Empfehlungen anderer Gesellschaften und Fachleute, die ebenfalls explizit zur Einnahme von B12-Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln raten, wie im Kapitel zu Vitamin B12 noch ausführlich dargestellt wird. Diese Empfehlung gilt aber nicht nur für Veganer, sondern wird in den USA außerdem von den National Institutes of Health (NIH) allen Menschen über 50 Jahren unabhängig von ihrer Ernährungsweise empfohlen, um die sinkende Aufnahmerate an B12 aus Lebensmitteln mit steigendem Alter zu kompensieren.6 Die zweite Voraussetzung der DGE zur gezielten Zufuhr nährstoffdichter Lebensmittel sowie die ein oder andere unterstützende Nahrungsergänzung hilft Menschen vieler Ernährungsformen, sich im Alltag bedarfsgerecht zu ernähren, und so kann diese Empfehlung auch für vegan lebende Menschen nur begrüßt werden. Neben der ausreichenden Mikronährstoffzufuhr sollte auch ein Fokus auf der Kalorienbedarfsdeckung insgesamt liegen.

Abb. 1: Vergleich zwischen dem DGE-Ernährungskreis und dem veganen Ernährungsteller (Vegan Plate)7,8

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Der vegane Ernährungsteller ist zu 75 % identisch mit dem DGE-Ernährungskreis. Fleisch, Wurst, Fisch, Eier, Milch und Käse werden in der veganen Ernährung durch Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen ersetzt und ein Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin B12 eingenommen.

Als dritte Voraussetzung für eine bedarfsgerechte vegane Ernährung wird von der DGE eine gezielte Beratung durch eine Fachperson genannt. Dieser Informationsbedarf war nicht nur einer der Gründe für die Entstehung dieses Buches, sondern auch für die Konzeption meiner Ernährungsseminarreihe, die mehrmals jährlich und in konzentrierter Form das benötigte Basiswissen vermittelt, um sich in jeder Phase des Lebenszyklus bedarfsdeckend zu ernähren.

Wie man sieht, sind die Einwände der DGE gegenüber einer veganen Ernährung für Erwachsene recht gering. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da eine vollwertige vegane Ernährung eine sehr hohe Deckungsgleichheit mit den Empfehlungen der DGE hat. Abb. 1 zeigt die prozentuale Verteilung der unterschiedlichen Lebensmittel im Ernährungskreis der DGE im Vergleich zu einem veganen Ernährungskreis und somit die hohe Übereinstimmung zwischen den beiden Ernährungsweisen.

Wie aus Abb. 1 ersichtlich wird, empfiehlt auch die DGE eine Ernährung, die zu etwa 75 % rein pflanzlich ist. Auch in ihrer Veröffentlichung »Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE« empfiehlt die DGE in Bezug auf die Menge an tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln in der Ernährung: »Wählen Sie überwiegend pflanzliche Lebensmittel.«9 Quantitativ empfiehlt die DGE in ihrem Kreis etwa 30 % Vollkorngetreide, 26 % Gemüse, 17 % Obst und 2 % zusätzliche Fette.10 Diese Fette können laut DGE sowohl tierischer als auch pflanzlicher Herkunft sein, aber die Empfehlung lautet auch hier: »Bevorzugen Sie pflanzliche Öle wie Rapsöl und daraus hergestellte Streichfette.«11 Was noch übrig bleibt, sind 7 % Fleisch, Wurst, Fisch und Eier sowie 18 % Milchprodukte.12 Die DGE schreibt zu den Ähnlichkeiten zwischen ihren offiziellen Empfehlungen und einer veganen Ernährung: »Ein Vergleich der vollwertigen Ernährung nach den Empfehlungen der DGE mit den Empfehlungen für eine vegane Ernährung nach der Gießener vegetarischen Lebensmittelpyramide zeigt, dass die Basis jeweils gleich ist und die entsprechenden lebensmittelbezogenen Empfehlungen sehr ähnlich sind«.13

Wie die Autoren des Positionspapiers erklären, können diese 25 % an tierischen Produkten auch durch pflanzliche Lebensmittel ersetzt werden, solange die pflanzlichen Alternativen ebenso in der Lage sind, jene kritischen Nährstoffe zu liefern, die ansonsten durch die tierischen Produkte zugeführt würden.

Vegane Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit

Die Vorbehalte der DGE gegenüber einer veganen Ernährungsweise beziehen sich also nicht auf die Gesamtbevölkerung, sondern in erster Linie auf Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Nährstoffbedarf wie Schwangere, Stillende und Kinder. Diese Schlussfolgerung begründen die Autoren unter anderem mit der unvollständigen Datenlage zu diesen Bevölkerungsgruppen. Trotz der eingeschränkten Studienlage kommt eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 allerdings zu dem Ergebnis, dass eine gut zusammengestellte vegane Kost in der Schwangerschaft als sicher und bedarfsdeckend angesehen werden kann.14

Unterschiedliche Lebensphasen gehen mit unterschiedlichen Nährstoffbedürfnissen einher und so sollte vor allem während der Schwangerschaft und der Stillzeit ein besonderer Fokus auf die adäquate Nährstoffzufuhr gelegt werden. Abb. 2 (siehe folgende Seite) zeigt die kritischen Nährstoffe der veganen Ernährung sowie deren Mehrbedarf in der Schwangerschaft und Stillzeit.

Wie in der Grafik zu sehen, ist der Bedarf an unterschiedlichen Nährstoffen in der Schwangerschaft und/oder Stillzeit erhöht und diesem erhöhten Bedarf ist durch nährstoffdichte Lebensmittel Folge zu leisten. Folat/Folsäure ist in erster Linie ein kritischer Nährstoff der westlichen Durchschnittskost und kann mit einer vollwertigen veganen Ernährung wesentlich besser zugeführt werden. Aufgrund der immensen Bedeutung von Folat während der Schwangerschaft wurde er dennoch in Abb. 2 mit aufgenommen. Alle anderen Nährstoffe beziehen sich explizit auf eine vegane Ernährung, wobei beispielsweise Jod auch in der Mischkost in vielen Fällen defizitär sein kann.

Abb. 2: Nährstoffbedarf von Frauen während der Schwangerschaft und Stillzeit15,16

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In Bezug auf die Ernährung des Säuglings sollte sich im ersten Halbjahr in der Regel die Frage nach der Ernährungsweise ohnehin nicht stellen, da während dieser Zeit Muttermilch das ideale Nahrungsmittel darstellt.17 Stillen ist die optimale Ernährungsform des Säuglings und deckt durch eine ausgewogen ernährte Mutter den Nährstoffbedarf eines gesunden Säuglings in den ersten sechs Lebensmonaten zur Gänze.18 Um eine optimale Versorgung des Säuglings bei veganer Ernährung während der ersten Lebensjahre zu gewährleisten, empfiehlt die portugiesische Ernährungsgesellschaft Direcção-Geral de Saúde (DGS) außerdem, dass die Stilldauer bei vegan ernährten Säuglingen nach den ersten sechs Monaten des Vollstillens zusätzlich zur anschließenden Beikost bis zum zweiten Lebensjahr fortgeführt wird.19 Obwohl die DGE also zum aktuellen Zeitpunkt (Stand September 2020) eine vegane Ernährung für Schwangere, Stillende und heranwachsende Kinder nicht empfiehlt, ist eine ganze Reihe internationaler Ernährungsgesellschaften aufgrund der verfügbaren ernährungswissenschaftlichen Daten der Ansicht, dass eine vegane Ernährung – vorausgesetzt, sie ist bedarfsdeckend zusammengestellt – für jeden Lebensabschnitt geeignet ist. Was Ernährungsgesellschaften aus den USA, Kanada, Australien, Großbritannien und Portugal in ihren Positionspapieren sagen, ist in Abb. 3 zusammengefasst.

Abb. 3: Positionen internationaler Ernährungsgesellschaften zu veganer Ernährung20,21,22,23,24

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Academy of Nutrition and Dietetics (AND), USA 2016

»Es ist die Position der Academy of Nutrition and Dietetics, dass eine gut geplante vegetarische Ernährung, inklusive einer veganen Ernährung, gesund und bedarfsgerecht ist und womöglich gesundheitliche Vorteile in der Prävention und Therapie einiger Erkrankungen bieten könnte. Diese Ernährungsweisen sind angemessen für alle Lebensabschnitte inklusive der Schwangerschaft, Stillzeit, dem Säuglings-, Kindes- und Jugendalter sowie für Senioren und Athleten.«

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Direcção-Geral de Saúde (DGS), Portugal 2015

»Wenn sie richtig geplant sind, können vegetarische Kostformen, inklusive lacto-ovo vegetarischer und veganer Ernährungweisen, gesund und bedarfsdeckend in jeder Phase des Lebenszyklus und außerdem effektiv in der Prävention und Therapie einiger chronischer Erkrankungen sein.«

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Dietitians of Canada (DC), Kanada 2014

»Eine gesunde vegane Ernährung bietet viele gesundheitliche Vorteile wie geringere Raten an Adipositas, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Typ-2-Diabetes und an einigen Krebsarten. […] Eine gesunde vegane Ernährung kann den menschlichen Nährstoffbedarf in jeder Phase des Lebens inklusive der Schwangerschaft, der Stillzeit und des Seniorenalters decken.«

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National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC), Australien 2013

»Adäquat geplante vegetarische Ernährungsformen, inklusive veganer Ernährungsweisen, sind gesund und bedarfsdeckend. Gut geplante vegetarische Kostformen sind für Menschen in jeder Lebensphase angemessen. Menschen, welche einer veganen Ernährung folgen, können ihren Nährstoffbedarf decken, so lange sie auch ihren Kalorienbedarf decken und eine angemessene Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln über den Tag verteilt konsumieren.«

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British Nutrition Foundation (BNF), Großbritannien 2005

»Eine gut geplante, ausgewogene, vegetarische oder vegane Ernährung kann ernährungsphysiologisch angemessen sein […]. Studien mit vegetarischen und veganen Kindern aus Großbritannien haben gezeigt, dass ihr Wachstum und ihre Entwicklung im Normbereich lagen.«

Wie die Positionen der Ernährungsgesellschaften zeigen, spricht sehr viel dafür, dass eine vegane Ernährung in jedem Lebensabschnitt bedarfsdeckend sein kann, sofern die Eltern einige Grundsätze in der Ernährung ihres Nachwuchses beachten. Diese Grundsätze zur Nährstoffbedarfsdeckung werden im Laufe dieses Buches allesamt angesprochen. Im Herbst 2017 ging die British Dietetic Association (BDA) sogar noch einen Schritt weiter und verkündete offiziell die Zusammenarbeit mit der Vegan Society in England, um »zu zeigen, dass es möglich ist, einer gut geplanten, pflanzlichen Ernährung zu folgen, die die Gesundheit von Personen in jedem Alter und während der Schwangerschaft gewährleistet.«25 Dieser Zusammenschluss einer anerkannten Ernährungsgesellschaft mit einer veganen Vereinigung und deren Schlussfolgerung unterstreicht, dass die wissenschaftlichen Fakten dafür sprechen, dass eine gut geplante vegane Ernährung alle Nährstoffbedürfnisse des Körpers erfüllen kann. Wie die Academy of Nutrition and Dietetics (AND) in ihrem Positionspapier darüber hinaus in Übereinstimmung mit anderen Gesellschaften schreibt, sind gut geplante vegane Ernährungsformen nicht nur sicher und bedarfsdeckend für jede Lebensphase, sondern reduzieren durch den hohen Konsum an Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen auch das Risiko für chronisch-degenerative Erkrankungen.26

Darum empfiehlt die DGE eine vegane Ernährung (noch) nicht

Da allen Ernährungsfachgesellschaften dieselbe ernährungswissenschaftliche Primärliteratur zur Verfügung steht, verwundert es bisweilen, weshalb die unterschiedlichen Institutionen der einzelnen Länder zu so konträren Schlussfolgerungen kommen. Der Grund hierfür ist allerdings keineswegs eine Uneinigkeit unter Fachleuten oder gar eine unzureichende Datenlage. Die zurückhaltenden Empfehlungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – ganz im Gegensatz zu Ländern wie den USA, Kanada oder Großbritannien – sind zum einen auf die unterschiedlich gute Verfügbarkeit mit angereicherten Lebensmitteln zur Deckung kritischer Nährstoffe und zum anderen auf den unterschiedlichen Mineralstoffgehalt der Böden in den einzelnen Ländern zurückzuführen. Folglich haben pflanzliche Agrarprodukte aus Deutschland gänzlich andere Mineralstoffgehalte im Vergleich zu beispielsweise kanadischen oder US-amerikanischen Produkten.

In den USA kommt eine Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen, die in einer veganen Ernährung kritisch sein können, wesentlich häufiger vor und somit erhalten vegan lebende Menschen dort durch den täglichen Konsum von angereicherter Pflanzenmilch (=Pflanzendrinks), angereicherten Pflanzenjoghurts und weiteren angereicherten pflanzlichen Produkten zum Beispiel genügend B12, sodass sie nicht auf eine spezielle Zufuhr achten müssen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wenn man sich nicht aktiv um die B12-Versorgung kümmert, hat man in Deutschland nämlich relativ wenig Quellen, die automatisch B12 liefern. Laut EU-Bioverordnung ist die Anreicherung von Bio-Produkten mit zugesetzten Vitaminen sogar gänzlich untersagt.27 Insofern findet man in Deutschland und in Österreich keine Bio-Produkte, also auch keine Bio-Pflanzenmilch, keine Bio-Pflanzenjoghurts etc., die mit B12 angereichert sind. Somit muss man sich in Deutschland im Gegensatz zu den USA aktiv um seine B12-Versorgung durch Nahrungsergänzungsmittel kümmern. Es gilt also, Ausnahmeregelungen anzudenken, um pflanzliche Milch- und Joghurtalternativen anreichern zu dürfen, und somit vegan lebenden Menschen beim Verzehr von Bio-Produkten eine ausreichende B12-Versorgung zu ermöglichen. Auch unter den Nicht-Bio-Produkten ist die Auswahl an angereicherten Lebensmitteln relativ dürftig. Dies ist einer der Punkte, der zumindest einen Teilaspekt der gegensätzlichen Empfehlungen zwischen den einzelnen Ländern erklärt.

Der zweite Grund für die unterschiedlichen Empfehlungen zu veganer Ernährung lässt sich wie bereits erwähnt auf die teils erheblichen Unterschiede im Mineralstoffgehalt der Böden in den verschiedenen Regionen zurückführen. In Deutschland und Österreich sowie in vielen anderen europäischen Ländern sind die Böden beispielsweise wesentlich selenärmer, als dies in den USA und in Kanada der Fall ist.28 Dort sind aufgrund selenreicherer Böden herkömmliche Vollkorngetreideprodukte und Hülsenfrüchte gute Selenquellen. Hierzulande tragen diese meist nicht nennenswert zur Selenversorgung bei. Getreide aus den USA hatte zum Beispiel in einer Untersuchung bis zu 100 Mikrogramm (μg) Selen pro 100 Gramm, während Getreide aus Deutschland in einer Studie weniger als fünf Mikrogramm (μg) pro 100 Gramm aufwies.29 Dementsprechend ist Selen in Deutschland für vegan lebende Menschen ein kritischerer Nährstoff, weil deutsche Böden im Durchschnitt sehr arm an diesem Mineralstoff sind.30

Die mischköstliche Bevölkerung in Deutschland hat außerdem den Vorteil, dass in der sogenannten Nutztierhaltung selenreiche Mineralstoffmischungen bei der Mast verwendet werden, um einen kontinuierlich hohen Selengehalt in Fleisch, Milchprodukten und Eiern zu garantieren. In der EU darf Tierfutter mit bis zu 500 Mikrogramm (μg) Selen pro Kilogramm Futtermittel angereichert werden.31

Es existiert also definitiv ein Unterschied in der Vitaminversorgung in Bezug auf beispielsweise Vitamin B12 und in der Mineralstoffversorgung bei Selen und anderen Mineralien. So erklären sich auch einige Unterschiede in den Empfehlungen. Daher gilt in selenarmen Gebieten die dringende Empfehlung, dem Vorbild Finnlands zu folgen und, anstatt die Tierfuttermittel mit Selen anzureichern, dafür Sorge zu tragen, dass die Böden durch selenhaltige Mineraldünger entsprechend aufgewertet werden. Finnland begann bereits 1984 mit der systematischen Selen-Anreicherung der Böden und ist bis heute das einzige europäische Land mit dieser Strategie.32 Durch diese systematische Anreicherung erhöhte sich der Selengehalt des finnischen Weizens um das Zehnfache und der Gehalt an Selen in manchen Gemüsesorten wie Zwiebeln, Knoblauch und Brokkoli sogar um mehr als das Einhundertfache.33 Es gilt auch in Deutschland zukünftig diesem Positivbeispiel zu folgen.

Wenn man auf die Summe der Positionspapiere und Veröffentlichungen in der ernährungswissenschaftlichen Literatur blickt, dann zeigt sich in der Mehrheit von ihnen, dass eine vegane Ernährung bei guter Planung in jeder Phase des Lebens bedarfsdeckend ist und darüber hinaus mit einigen gesundheitlichen Vorteilen im Vergleich zur westlichen Mischkost einhergehen kann.34 Der Hauptgrund, weshalb nicht in allen Ländern durchwegs eine vegane Ernährung für jede Bevölkerungsgruppe empfohlen wird, ist weniger die nicht mögliche Umsetzbarkeit. Die Sorge einiger Fachgesellschaften beruht vielmehr auf dem kaum vorhandenen Ernährungswissen der Durchschnittsbevölkerung aufgrund fehlender Ernährungslehre in der Schulbildung und mangelnder hochwertiger Berichterstattung über Ernährung in den Medien. Viele Menschen interessieren sich außerdem mehr für ihr Auto als für ihren Körper und widmen jenem auch meist mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass die deutsche Allgemeinbevölkerung heute mehr über ihr Handy als über ihren Nährstoffbedarf weiß, sollte aber nicht dazu verleiten, dies auch auf den Durchschnitt der vegan lebenden Menschen zu übertragen. Wie eine Befragung des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) zeigt, haben Veganer nämlich überdurchschnittlich gute Ernährungskenntnisse.35 Wie das BfR betont, wird im Rahmen der meisten veganen Ernährungsformen sehr viel Aufwand unternommen, um sich bestmöglich über die eigene Ernährung zu informieren. Die allermeisten vegan lebenden Menschen wissen über die Notwendigkeit einer zuverlässigen B12-Versorgung, die kritischen Nährstoffe einer pflanzlichen Ernährung und viele weitere ernährungsbezogene Themen bestens Bescheid.

Eine vegane Ernährung ≠ eine vollwertig pflanzliche Ernährung

Obwohl der Konsens der Ernährungsfachgesellschaften der zuvor genannten Länder lautet, dass Menschen wesentlich mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel verzehren sollten, ist die Gesamtheit der Datenlage zu rein pflanzlichen Ernährungsweisen dennoch gemischt und nicht in jeder Studie schnitten vegan lebende Menschen durchweg besser als Mischköstler ab. Um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können, wäre es ideal, auf eine große Reihe an Interventionsstudien mit genau festgelegten Speiseplänen zurückgreifen zu können, in denen es Kontrollgruppen gibt und deren Studiendesign keinen Spielraum für Spekulation in der Ernährungs- und Lebensweise der Probanden lässt. Leider sind derartige Studien schwer umsetzbar, da man in Ernährungsfragen unweigerlich lange Beobachtungszeiträume zur Beurteilung der mittel- und langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen benötigt und sehr viele Einflussfaktoren die gesundheitlichen Langzeitfolgen gewisser Ernährungsinterventionen beeinflussen. Selbst bei der Untersuchung eines einzelnen Nährstoffs oder eines einzelnen Nahrungsmittels und seiner gesundheitlichen Auswirkungen gibt es oft viele Widersprüche in der Summe der Daten und um ein noch Vielfaches höher ist die Anfälligkeit für Fehler und Ungenauigkeiten beim Vergleich der gesamten Ernährungsweise von verschiedenen Gruppen untereinander. Eine klare und abgegrenzte Definition zur wissenschaftlichen Untersuchung bietet die vegane Ernährung nicht, da das einzige verbindliche Kriterium der veganen Ernährung lautet, dass keine tierischen Produkte verzehrt werden. Dies lässt allerdings ein sehr weites Feld an unterschiedlichen Ernährungsweisen zu. Diese können entweder sehr gesund oder weniger gesund sein, weil es mittlerweile beinahe die gesamte Reihe an ungesundem Fast- und Junkfood sowie die meisten Süßigkeiten und Softdrinks auch in einer veganen Variante gibt. Dadurch kann ungesunde westliche Mischkost zu großen Teilen rein pflanzlich nachgestellt werden, was sie aber nicht wesentlich gesünder macht. Ebenso wichtig wie die Definition, was in einer veganen Ernährung nicht gegessen wird, wäre eine Definition, woraus eine gesunde vegane Ernährung zusammengestellt ist und welche Produkte zwar pflanzlich sind, aber gesundheitlich abträglich wirken.

Viele Menschen entscheiden sich in erster Linie aus tierethischen Motiven für eine vegane Ernährung und haben möglicherweise nicht immer den Anspruch, dass ihre Ernährung sonderlich vollwertig und gesund sein muss. In dieser Ernährungsweise spielen dann ebenso hoch verarbeitete Produkte, Weißmehl, Zucker und größere Mengen an Salz und versteckten (Trans-)Fetten eine Rolle. Andere Menschen entschließen sich hingegen überwiegend aus gesundheitlichen Motiven für eine vegane Ernährung und wählen vollwertige Getreide, Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse, Nüsse und Samen und achten auf kritische Nährstoffe.

Beide Gruppen werden in Studien zu einer Kategorie zusammengefasst, obwohl sich ihre Ernährungsweisen und oft auch die gesamte Lebensweise von Grund auf unterscheiden.36 Dies führt dazu, dass zum einen eventuell die negativen Effekte einer veganen Junkfood-Ernährung durch die gesundheitsmotivierten Veganer in der gleichen Gruppe relativiert werden, und zum anderen dazu, dass die Junkfood-Veganer in der Gruppe die gesundheitlichen Vorteile der vollwertigen Ernährung der gesundheitsbewussten Veganer relativieren. In zukünftigen Studien sollte also nicht nur zwischen vegan, vegetarisch und mischköstlich unterschieden werden, sondern auch differenziert werden, welche Qualität von veganer Ernährung die Teilnehmer praktizieren.37

Daher verwundert es auch nicht, dass eine vegane Ernährung nicht in jeder Studie so gut abschneidet, wie man es von einer vollwertigen pflanzlichen Ernährung erwarten würde. Vergleicht man beispielsweise die Ernährungsmuster der veganen Gruppe in der sogenannten Adventist Health Study 2 (AHS-2) mit jener aus der EPIC Oxford Study, so wird deutlich, dass letztere durchschnittlich eine wesentlich geringere Zufuhr an Ballaststoffen und Vitamin C aufwies, was wiederum auf eine geringere Zufuhr an ballaststoffreichen Vollkorngetreiden und Hülsenfrüchten sowie Vitamin-C-reichem Obst und Gemüse schließen lässt.38 Auch in der vegetarischen Ernährung spiegelt sich dieses Phänomen der motivbedingten Ernährungsgestaltung wider. So erklärt es sich auch, dass die gesundheitsbewussteren vegetarischen Adventisten im Vergleich zu den mischköstlichen Adventisten eine höhere Lebenserwartung sowie eine niedrigere Rate an Dickdarmkrebs aufwiesen, während dies bei den britischen Vegetariern der EPIC Oxford Study nicht gezeigt werden konnte.39

Außerdem ist es wichtig anzumerken, dass viele Menschen sich oft jahrzehntelang ungesund ernähren, bevor sie eine Ernährungsumstellung vornehmen. Chronische Erkrankungen entwickeln sich jedoch über viele Jahre und Jahrzehnte und einige können auch erst auftreten, nachdem man längst eine gesündere Ernährung adaptiert hat. Andererseits gibt eine Erkrankung einigen Menschen überhaupt erst den Anlass, ihre Ernährung und ihren Lebensstil zu reflektieren und diese zu ändern. Diese und weitere Limitierungen gilt es in der Bewertung der Daten zu veganer Ernährung zu beachten.

Um nicht nur eine vegane Ernährung, sondern eine vollwertige Art der pflanzlichen Ernährung zu beschreiben, wird im englischsprachigen Raum stattdessen von einer »Whole-Food, Plant-Based Diet« gesprochen.40 Selbst innerhalb dieser Kategorie können aber auch noch weitere Unterteilungen getroffen werden, da auch nicht jedes vollwertige pflanzliche Lebensmittel gleich nährstoffreich ist. Ein Beispiel dafür ist die »Nutritarian Diet« nach Dr. Joel Fuhrman, die nicht nur vollwertig pflanzlich ist, sondern einen besonderen Schwerpunkt auf Lebensmittel mit einem besonders guten Verhältnis von Kalorien zu Nährstoffen legt.41