1. Auflage September 2018
© 2018 OCM GmbH, Dortmund
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OCM GmbH, Dortmund
Verlag:
OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de
ISBN 978-3-942672-62-7
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Nach all den Jahren des Angelns
nehmen die Fische jetzt Rache.
Queen Elizabeth
Mani Kempinski hatte zwei Überstunden genommen. An diesem Freitag wollte er der Erste am Teich sein. Früh morgens vor der Arbeit hatte er seinen Wagen mit den nötigen Utensilien bepackt. Die Ruten lagen bis aufs kleinste Detail vorbereitet und geschützt im Kofferraum. Er kannte den Teich wie kein anderer und wusste Wetter und Jahreszeit in die Waagschale zu werfen, um einen guten Fang zu landen. Der würde ihm Auftrieb geben für das große Abangeln am Samstag, das bedeutendste Ereignis im Verein. Diesmal wollte er sich besonders ins Zeug legen, denn es stand eine Prämie von 500 Euro für denjenigen aus, der den schwersten Karpfen fangen würde. Seine Spezialität waren eigentlich Zander, da hätte er entspannt am Samstag ausgeschlafen und sich siegessicher erst nach Sonnenaufgang an seinen reservierten Uferplatz begeben.
Er hatte noch in der Kantine zu Mittag gegessen und freute sich nun auf sein erstes Bier am Angelteich. Kempinski griff von außen an die Tasche seines Parkers und versicherte sich, dass er die Zigaretten nicht vergessen hatte. Missmutig warf er einen Blick auf die Bespannung seines Klappstuhls, den er unter den Arm geklemmt hatte. Die Angeln hatten gestern Vorrang gehabt, keine Zeit, den Stuhl neu zu bespannen. Er ging zielstrebig zu seinem Angelplatz am Vereinsteich in Dülmen-Börnste. Ein Blick nach oben verriet ihm, dass es trocken bleiben würde. Die Carbonruten klimperten beim Gehen aneinander wie feine, trockene Stöcke, mit denen Kinder zuweilen fochten, oder auch wie zwei Gardinenstangen, die aneinander schepperten. Nur vorsichtig. Das Material war sehr empfindlich und er wollte kein Gehampel mit den Posen und Schnüren.
Kempinski hatte bei der Jahreshauptversammlung nicht zugestimmt, im Herbst die Prämie auf Karpfen auszusetzen. Er hatte für Hecht plädiert, aber Dietmar Pörschke, der Vorstandsvorsitzende, hatte auf Karpfen bestanden. Die müssten raus, hatte er argumentiert, damit sich die Schleienpopulation besser entwickeln konnte. Kempinski hatte sich daraufhin mit einem Zwischenruf, dass es im benachbarten Halterner Verein demokratischer zugehe, keine Freunde gemacht. Mit dem Halterner Angelverein führten die Dülmener seit kurzer Zeit einen verbissenen Kampf um die Angelrechte am neuen Baggersee in der Nähe von Sythen. Sythen gehörte zu Haltern und der Baggersee lag auf Sythener Gebiet.
Die Mitglieder im Dülmener Sportfischerverein reagierten mittlerweile sehr empfindlich auf alles, was aus Haltern kam, denn es stand weit mehr auf dem Spiel als nur ein Zugewinn an Angelarealen. Es ging ums Ganze. Nur derjenige, der den Zuschlag für den Baggersee bekommen würde, hätte eine reelle Chance, als Angelverein auf Dauer überleben zu können. Der neue Baggersee versprach wegen seiner idyllischen Lage und seiner einzigartigen Möglichkeit, ein Habitat auch für Fische wie Forelle und Lachs anzulegen, eine absolute Attraktion. Angler würden sich dem Verein anschließen, der den Baggersee befischte, und der Verein, der das Rennen um den Baggersee verlor, müsste um seine Mitglieder bangen.
Mani Kempinski wusste bereits, dass er sich auf jeden Fall auf die Seite des Siegers schlagen würde. Er wollte angeln und da das seine einzige Leidenschaft war, gab es kein Pardon. Moral und Treue, Worte, die er von seinen Vorstandskollegen immer häufiger in letzter Zeit gehört hatte, gingen ihm am Arsch vorbei. Er erinnerte sich nur widerwillig an den späten Ausgang der Versammlung, als Pörschke ihn draußen beiseitegenommen hatte. Das Gespräch ging ihm nicht aus dem Kopf.
„Unter vier Augen, Mani. Die Sandwerke liebäugeln mit Haltern. Die Chefin der Personalabteilung führt die Verhandlungen für die Vergabe der Angelrechte. Sie kommt aus Lavesum und ist mit einem Halteraner verheiratet. Die werden ihre Pfründe schützen. Du weißt ja, wie das ist. Man hält zusammen, hier und dort. Ich hab das alles kommen sehen und vorgesorgt, aber das muss streng vertraulich unter uns bleiben.“
„Spuck’s aus. Ich bin das Säbelrasseln leid“, motzte Kempinski.
„Ein bisschen Stolz könntest du schon für den Verein aufbringen. Du hast immerhin die Hälfte der Pokale beim Wettangeln an Land gezogen. Du bist unser Champ. Wir setzen auf dich. Ich sag dir was: Du kannst dem Hickhack um den neuen Baggersee ein Ende machen. Wir verpassen denen aus Haltern einen Denkzettel, der sie am eigenen Leibe krepieren lässt, nur das muss schnell gehen, sehr schnell. Und du bist unser Mann.“
„Was hast du vor?“
Pörschke holte eine Plastiktüte aus dem Kofferraum seines Wagens hervor und fasste hinein.
„Hier! Dieses Teufelskraut raubt der Konkurrenz die Luft zum Atmen. Ich hab noch mehr davon. Das laden wir um in deinen Wagen. Dann fährst du zum Halterner Vereinsgewässer und –“
„Was ist das?“, unterbrach Kempinski und schielte in die Tüte.
„Eine besonders aggressive Form der Wasserpest, breitet sich rapide aus. Das Sauzeug hab ich vom Hechtangeln aus Irland mitgebracht. Ist dort eine Seuche, wuchert ohne Ende. Damit boxen wir Haltern aus dem Ring.“
„Versteh nicht.“
„Wir hängen denen die Wasserpest an den Hals. Die Pflanzen vermehren sich in Windeseile, quasi über Nacht. Erst schwimmen sie oben, dann sinken sie und schon bald ist das gesamte Gewässer voll davon. Angeln ist dann vorbei.“
„Mensch Pörschke, das ist doch ein Schuss nach hinten. Du weißt doch, dass durch den Vogelflug, Enten und das andere Gefieder, die Sporen übertragen werden. Und in wenigen Jahren haben wir die Seuche bei uns im Teich.“
„So weit kommt es nicht. Sobald bei denen die ersten Pflanzen gesichtet werden, wird die Wasserschutzbehörde mit Alarmglocken auf der Matte stehen. Und rate mal, wer dafür sorgt, dass die das Kraut schnell finden und wieder entfernen? Ich steck denen das. Und? Fällt der Groschen?“
„Du schiebst den Halternern mangelnde Pflege unter. Die sollen ihr Image verlieren.“
„Bingo! Das Zeug ist eine Gefahr für alle Gewässer, auch für den Stausee. Die werden keine Mühe scheuen, radikal alles zu entfernen. Was bleibt, ist der angeschlagene Ruf des Angelvereins. Heute Nacht schüttest du die Pflanzen bei denen in die Vereinsgewässer. Dann ist uns der Baggersee sicher und du kannst da deine Zander fangen. Die eignen sich ideal für den Besatz.“
Mani Kempinski war das Gespräch mit Pörschke auf die Leber geschlagen. Die Sache rotierte in seinen Gedanken, sodass er erst jetzt realisierte, dass er längst an seinem Angelplatz am Teich angekommen war. Die Art, wie Pörschke ihn überzeugen wollte, verdarb ihm immer noch die Laune. Warum sollte er allein die ganze Last tragen? Da hatte sich Pörschke geschnitten, denn er hatte seinen Vorschlag abgelehnt. Sollte Pörschke das Ding doch selbst durchziehen! Patriotismus hin oder her. Das war doch billige Hetze. Mani gab einen Scheiß auf Pörschke und die Kollegen im Vorstand. Denen ging es doch nur um die eigene Nase, die wollten ihren Posten im Verein sichern. Er wollte nur in Ruhe angeln. Da durfte ihm niemand an den Karren fahren. Da war er wie ein ungezogenes Kind, das jähzornig zum Tafelbesteck griff.
Der Klappstuhl grätschte sich bedenklich weit nach unten, als er sich setzte und eine Zigarette aus der Schachtel zog. Eine Pause war fällig, bevor er die Ruten setzte. Gemächlich sah er über das Wasser, einzelne Kringel an der Oberfläche verrieten ihm, dass die Rotaugen nach aufsteigenden Larven suchten und der Sommer noch nicht vorbei war.
Seine Absicht an diesem Freitagnachmittag bestand darin, die richtigen Köder für das morgige Abangeln auszuprobieren. Alle Mitglieder würden kommen und für den Abend war eine große Party im Vereinshaus geplant.
Kempinski warf seinen Köder aus – genau an eine Stelle, die man nur mit einer langen Rute erreichen konnte. Die Anschaffung der Carbonrute hatte sich bereits bezahlt gemacht, so zielsicher, wie sie den Köder an den richtigen Platz positionierte. Erwartungsvoll setzte er sich zurück in den Klappstuhl, hielt aber dann in der Bewegung inne, als hätte ihn der Schlag getroffen. Die Pose hatte sich nicht einmal richtig aufgestellt, da zog sie auch schon seitwärts, tauchte weiter ein und verschwand unter der Wasseroberfläche. Seine rechte Hand langte zur Rute und umfasste den Griff. Er gab der Schnurspannung nach. Wieg dich in Sicherheit, mein Guter, ging es ihm wie ein gewetzter Spruch durch den Kopf. Lass es dir schmecken und nun schluck. Mani Kempinski spannte alle Muskeln seines Körpers an, auch die, die er für die anstehende Aktion nicht brauchte. Mit einem Ruck zog er an der Angelrute, um den Haken tief ins fleischige Maul des Karpfens zu jagen. Dann fühlte er mit Herzrasen, wie sich die Schnur ohne sein Beitun spannte. Der Haken saß und das Opfer war auf der Flucht.
Nun ging es darum, den Cypriniden mit Fingerspitzengefühl Meter um Meter näher ans Ufer zu holen. Die geflochtene Schnur würde den Fluchtversuchen widerstehen, aber er wusste nicht, wie der Karpfen gebissen hatte. Saß der Haken nur in einer oberen Hautschicht oder hatte sich die Spitze ins knorpelige Gewebe vorgeschoben? Er hatte sich so manches Mal gefragt, warum sein Herz immer so aufbrauste, wenn er einen Fisch an der Angel hatte. Mit Blick auf vierzig Jahre Angelsport dürfte sich sein Organismus angepasst haben, aber eben das war nicht passiert. Sein Puls schoss aus unerklärlichen Gründen hoch, als ginge es um sein Leben. Alles, was schlimmstenfalls passieren konnte, war der Verlust des Karpfens, den er ja eigentlich gar nicht haben wollte. Ihm ging es heute doch bloß darum, verschiedene Köder auszutesten.
Dort im dunklen Wasser kämpfte ein Wesen um sein Leben. War es das? War es die Angst des Fisches vor dem Tod? War es, diese Angst in den Fingern zu spüren? Animierte ihn der Todeskampf? War er nur ein normaler Angler oder ein Handlanger des Sensenmannes? Der Tod, das war er. Es lag in seinem Ermessen, ob der Fisch sterben würde. Diese Gewalt hatte er nicht über Menschen, jedenfalls übte er sie nicht aus. Und vielleicht genau deswegen erregte ihn die Komplizenschaft mit dem Tod und genau deswegen hatte er sie zu seinem Hobby gemacht, einem Hobby, das so harmlos aussah, dass es einen Bund mit dem Bösen außer Frage stellte.
Kempinski stapfte vorsichtig bis an die Wasserkante. In seiner linken Hand hielt er den Kescher. Die Rute bog sich wie der Ast einer Trauerweide. Die Spannung der Schnur ließ das Wasser, in das sie eintauchte, erzittern. Plötzlich kam der Fisch hoch und schlupfte seinen goldenen Bauch durch das sprudelnde Nass, um gleich wieder abzutauchen. Ein Karpfen, wie er es erwartet hatte. Kein Rekordmaß, aber ein guter Vorbote auf den großen Vetter am Samstag.
Der Fisch zappelte, als Kempinski ihn aus dem Kescher nahm und auf den Boden legte. Für gewöhnlich würde er seinen Fang nun mit einem Schlag betäuben und dann abstechen, indem er eine Messerklinge so zwischen die Brustflossen schob, dass das Herz getroffen wurde. Er könnte die armselige Kreatur aber auch einfach zappeln lassen, bis sie erstickt war. Einen Fisch zu töten, das hatte ihm nie etwas ausgemacht und das mit Recht, pflegte er Andersdenkenden mit einem Anflug von Stolz zu sagen. Alle Fleischesser ließen Tiere töten, Tiere, die eigentlich ein Scheißleben hatten. Er war ein Jäger, aber einer, der seine Beute achtete. Der Fisch hatte um sein Leben gekämpft und das flößte ihm Respekt ein. Er war in gewisser Weise ein ebenbürtiger Gegner, einer auf Augenhöhe, denn er hätte ja auch nicht anbeißen können.
Einen Moment später lag der Fisch still im Gras und schluckte Luft. Kempinski sah sich die Bissstelle an. Wunderbar im Maul gehakt. Hatte er doch im richtigen Augenblick angeschlagen. Diese Kunst beherrschte er. Er beugte sich über seine Beute, nahm eine spitze Zange und wollte gerade den Haken entfernen, als ihm ein rötlicher Schimmer in die Augen stieß. In der Rückenflosse des Karpfens steckte ein Ohrring mit einem dunklen Rubin. Sein Atem stockte. Der Anblick des funkelnden Edelsteins erinnerte ihn kurz an seine verstorbene Mutter, die auch solche Ohrstecker getragen hatte. Er zwinkerte mit den Augen, um sicherzugehen, keiner visuellen Täuschung aufzusitzen.
Das konnte nur ein blöder Scherz sein, aber niemand im Verein würde auf eine solch absurde Idee kommen. Waren es etwa die aus Haltern, die versuchten, die Dülmener Konkurrenz lächerlich zu machen, so wie Pörschke den Halterner Verein mit seiner Wasserpest in Verruf bringen wollte? Lief da unterschwellig bereits ein hässliches Schmierentheater? Ausschließen konnte er das nicht, also musst er jetzt handeln. Das konnte sein Verein nicht auf sich sitzen lassen. Er zog sein Finnenmesser aus dem Lederetui, stach zu und schlitzte dem Karpfen den Bauch zwischen den Kiemen auf. Blut ergoss sich auf das nasse, schleimige Gras.
Walter Haverkamp, Vorstandsvorsitzender des Halterner Angelvereins, und sein Kassenwart Udo Teltrup saßen in der Kajüte, einer Kneipe am Stausee. Der Wirt Peter Beckmann hatte ihnen zwei frisch gezapfte Pils gebracht.
„Zum Wohlsein“, sagte Beckmann, schob einen Stuhl beiseite, stellte seinen rechten Fuß auf die Sitzfläche und beugte sich vor. „Wie steh’n die Aktien? Kriegt ihr den Sythener Baggersee? Da wärt ihr ganz unter euch, so mit neuem Vereinsheim, Grillen und alles mitten im Wald. Das zieht. Holt euch die Jugend ran, die aus der Mittelschicht. Die haben später Geld und dann baut ihr neue Teiche und eine eigene Zuchtanstalt für den Besatz. Wie wär das, Jungs?“
„Komm, hör du auf zu reden. Guck dir deinen Schuppen an. 1-a-Lage und was haste draus gemacht: ’ne Baracke“, stänkerte Haverkamp.
„Hab den Zug verpasst, bin nicht der Einzige. Die alte Gastronomie von Haltern hat sich längst verabschiedet. Seestern, die alte Stadtmühle, Haus Niemen – bis auf den Heimingshof ist nichts mehr vom alten Charme übrig geblieben. Was hatten wir Spaß am Alten Garten, sind die Stever hoch bis zum Strandbad am Heimingshof geschwommen. Und dann die Mädchen.“ Beckmann warf einen melancholischen Blick durch die verschmierten Fensterscheiben seiner Kneipe hinaus auf die Stege am See. „Was soll’s, trinken wir einen auf die guten alten Zeiten.“
Die klapprige Eingangstür zur Schenke öffnete sich und eine Frau in dezent grün-brauner Freizeitkleidung mit dazu passenden Trekkingschuhen trat ein. Beckmann nahm seinen Fuß vom Stuhl, stieß leise ein paar stöhnende Lacher aus und flüsterte:
„Pastevka, die Vogelscheuche aus dem Rathaus. Die würde euch Angler gerne zum Mond schießen.“
Die grüne Politikerin hatte sich für die Errichtung eines Naturschutzparks als zukünftige Nutzung des Baggersees stark gemacht und dabei deftig gegen die Pläne des Halterner Angelvereins gewettert. Ein persönlicher Diskurs von Angesicht zu Angesicht hatte bisher nicht stattgefunden.
Beckmann schlenderte zu seinem Tresen und Haverkamp und Teltrup rückten näher zusammen, als machten sie sich auf eine Attacke gefasst. Gundula Pastevka nahm am Nebentisch Platz und ließ es sich nicht nehmen, den beiden Männern mit einem herabwürdigenden Gesichtsausdruck mitzuteilen, was sie von ihnen hielt.
Haverkamp nahm einen Schluck von seinem Pils und wischte sich aus Gewohnheit über den Schnäuzer, obwohl das Pils keine Krone mehr hatte und somit auch kein Schaum in seinem Oberlippenbart hängen bleiben konnte. Er räusperte sich und erschrak förmlich, als ihn Pastevka plötzlich ansprach.
„Herr Haverkamp, ich hoffe Ihre gemütliche Runde nicht zu stören. Sie können sich sicher denken, in welcher Angelegenheit ich Sie anspreche. Sie würden uns viel Arbeit ersparen, wenn Sie uns über den Ausgang der Videokonferenz von letzter Woche mit dem Vorstand der Sandwerke Nord-Süd GmbH unterrichten. Wenn Sie den Zuschlag für den Erwerb der Nutzungsrechte am neuen Baggersee bereits erhalten haben, sind Sie für uns weiterhin der primäre Gesprächspartner, wenn es der Dülmener Angelverein war, dann werden wir denen unsere Pläne für eine biologisch und tierschutzrechtlich angemessene Nutzung der Anlage unterbreiten.“
Haverkamp warf ihr ein gespreiztes Lächeln zu.
„Frau Pastevka, wir wissen nichts Konkretes.“
„Richtig“, pflichtete ihm Teltrup bei. „Wir haben keine Ahnung.“
Haverkamp und Teltrup hatten das Gespräch nicht gesucht und zeigten auch kein Interesse, ihre Haltung zu ändern.
„Also“, begann Pastevka mit einem tiefen Atemzug, „leider hat sich die Mehrheit des Rates dagegen ausgesprochen, das Gebiet um den Baggersee selbst zu erwerben. Ich sag Ihnen da mal was unter der Hand. Wir im Rat wissen, dass der Halterner Angelverein finanziell gut aufgestellt ist. Die Stadt hofft, dass Sie dort ordentlich investieren und zwar auch im öffentlichen Interesse.“
„Heißt?“, fragte Haverkamp, als wäre ihm die Antwort egal.
„Das Gebiet um Haltern herum wird immer wichtiger für den lokalen Tourismus. Da will man nicht ein so wertvolles Erholungsgebiet wie den Baggersee nur an einen Angelverein verscherbeln. Die Stadt drückt Ihnen Auflagen aufs Auge: öffentliche Spazierwege, Parkplätze, Joggingparkour und Gastronomie. Die wollen Gewerbesteuer, argumentieren, dass es schon genug geschützte Biotope um Haltern herum gibt. Wenn Sie nun gemeinsam mit uns für ein Naturschutzgebiet eintreten, in dem der Angelverein auf bestimmte Gebiete verzichtet, dann könnten wir eventuell eine Mehrheit im Rat gewinnen. Unter diesen Umständen kann die Stadt Ihnen dann keine einschneidenden Auflagen mehr machen, ist ja dann Naturschutzgebiet.“
Bevor Haverkamp zu einer Stellungnahme ausholen konnte, betrat ein Mann mit Hut den Schankraum, knöpfte sich den Mantel auf, während er zur Theke ging und einen halben Liter Bier bestellte. Haverkamp wurde plötzlich nervös, zögerte und sah Teltrup aus dem Augenwinkel an. Auch bei Frau Pastevka hinterließ der neue Gast eine angespannte Reaktion. Sie straffte ihre Sitzhaltung. Ihre Stimme klang gereizt.
„Wissen Sie was, Herr Haverkamp, wir müssen uns alle anpassen, auch die Angelvereine, deren Praktiken mit modernen ethischen Gesichtspunkten nicht mehr vereinbar sind. Es ist biologisch längst erwiesen, dass Fische Schmerzen haben, wenn sie am Haken baumeln, und Sie nennen das ganze auch noch Sport.“
Haverkamp runzelte die Stirn und drehte sein Pilsglas gemächlich auf dem Bierdeckel. Als hätte er es geahnt, durchschnitt eine herrische Männerstimme die angespannte Stille.
„Man kann über alles reden, aber nicht mit jedem“, betonte der stämmige Gast und hängte seinen Mantel an den frei stehenden Kleiderständer, holte sich den gefüllten Bierkrug von der Theke ab und ging auf Pastevka zu.
„Sie haben nichts in der Tasche, was uns hier vom Hocker holt. Sie reißen Ihr Maul weit auf, zu weit, so wie früher. Was anderes kenne ich von Ihnen nicht.“
Egon Michalzek setzte sich neben Teltrup an den Tisch der Angler. Obwohl der Mann bereits 77 Jahre alt war, imponierte er durch eine athletisch strenge Körperpositur. Sein Hut machte ihn größer, als er eh schon war, und verlieh ihm eine Distanziertheit, die man lieber nicht antastete. Michalzeks Rhetorik war gefürchtet und nicht zuletzt deswegen legte sich in der Regel niemand mit ihm an. Er war für viele Jahre Vorsitzender des Halterner Angelvereins gewesen und hatte erst im Vorjahr sein Amt an Haverkamp abgetreten, allerdings nicht ohne einen Deal. Michalzek wurde bei der letzten Hauptversammlung zum Ehrenmitglied des Vereins gewählt. Nicht alle im Verein konnten ihn leiden, sodass Haverkamp bei der Wahl zum Ehrenmitglied hier und da mit ein paar Scheinchen nachgeholfen hatte. Er wollte Michalzek loswerden und hatte gehofft, der würde sein Ehrenamt vor allem passiv ausüben.
In Sachen Baggersee ging es Haverkamp um seine persönliche Ehre. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass Michalzek ihm bei den Verhandlungen ins Handwerk pfuschte. Haverkamp wollte sich als neuer Vorsitzender profilieren und nicht im Schatten von Michalzek eine Nebenrolle spielen.
Die Anwesenheit Michalzeks aufseiten der Männer schmälerte in gewisser Hinsicht Pastevkas Position, aber das nur augenscheinlich, denn sie war eine gestandene Frau Mitte sechzig und hungerte noch immer wie ein Teenager nach Konfrontation. Pastevka stand zu ihren grauen Haaren, trug nie Kleider oder Röcke, hatte etwas Merkelhaftes, war aber seit ihrer Jugend rebellisch geblieben. Michalzeks provokante Machotour bediente sie mit einem abfälligen Lächeln.
„Sie sind ein billiger Aufschneider, Herr Michalzek. Blieben Sie bei den Fakten, würde Ihnen so manches Wort im Halse steckenbleiben. Mit Ihrer radikalen Haltung verderben Sie dem Verein einen guten Kompromiss.“
„Dummes Zeug! Radikale Haltung! Wer ist denn mit Dutschke vorne weg durch West-Berlin marschiert? Kommunenflittchen! APO-Arschlöcher! Und nun kommen Sie als Tofutante und wollen uns erzählen, wie wir unseren Verein zu leiten haben.“
Haverkamp und Teltrup tauschten mürrische Blicke aus. Michalzeks unkontrollierte Cholerik gefährdete ihre Absicht, die Grünen auf diplomatische Art für sich arbeiten zu lassen, ohne ihnen feste Versprechungen zu machen. Die Pläne der Stadt, den Baggersee als Erholungsgebiet ausweisen zu wollen, war dem Verein bekannt. Die Grünen waren das Zünglein an der Waage, um die Mehrheit im Rat zu kippen. Mit ein bisschen mehr Naturschutz hätte sich der Vorstand des Vereins anfreunden können, aber auch das wollten Haverkamp und Teltrup geschickt vermeiden. Nun machte Michalzek ihnen gerade einen Strich durch die Rechnung. Haverkamp traute sich nicht, ihn außer Gefecht zu setzen, denn in der Konferenzschaltung mit Dr. Ritter, dem Vorsitzenden der Sandwerke Nord-Süd GmbH, ging es um alles oder nichts. Bei der Gelegenheit war Michalzek als Sprecher aufgetreten und hatte Halterns Position wortgewaltig vertreten. Man schuldete ihm etwas und wagte nun nicht, ihn einfach hier öffentlich abzuservieren.
Für Pastevka waren Michalzeks Bemerkungen über ihre frühe politische Vergangenheit überraschend gekommen. Woher wusste er das? Sie hatte nie über ihre Bekanntschaft mit Rudi Dutschke gesprochen, allerdings gab es eine alte Tagesschau Reportage, wo sie in der vordersten Reihe neben Dutschke eine Demonstration anführte.
„Herr Michalzek, wie man hört, sind Sie Mitglied der SPD. Ihr Schröder hat mit Joschka Fischer gemeinsame Sache gemacht und Weggefährte Cohn-Bendit langweilt heute Talkshowgäste. Kommen auch Sie in 2018 an! Es war alles halb so schlimm.“
„Papperlapapp. Sie haben die Sinnlosigkeit Ihrer Aktionen von damals nicht verdaut und moralisieren stattdessen heute an traditionellen Gepflogenheiten herum. Das Aushängeschild ‚Tierschützerin‘ steht Ihnen nicht, denn sonst würden Sie Hühner aus Käfigen befreien. Wir fischen nach den Regeln des Deutschen Tierschutzbundes und lehnen Ihren Vorschlag ab. Und wenn wir mal einen Pokal verteilen, dann heißt das nicht, dass wir um die Wette fischen, sondern ein Mitglied für seinen Sportsgeist ehren.“
Haverkamp verzog das Gesicht und drehte seinen Kopf zur Seite, damit Michalzek nicht sehen konnte, wie ihn die Situation ankotzte. Der Verein musste in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten. Das verdonnerte ihn jetzt zum Schweigen, aber er würde Michalzek nicht verzeihen, wie er ihn hier übergangen hatte. Er musste ihm unbedingt einen Denkzettel verpassen, sonst würde der Alte weiter den Vorstand manipulieren wollen.
Pastevka verdrehte die Augen, blieb stoisch in ihrer Haltung und gab sich keineswegs geschlagen.
„Ich werde mich persönlich für eine Lösung einsetzen, die dem Angelverein Steine in den Weg legen wird. Politisch wie menschlich hat mich dieses Gespräch enttäuscht.“
Sie stand abrupt auf, wobei sie den Stuhl mit den Kniekehlen nach hinten über den Holzfußboden schob, knöpfte sich den Mantel zu und verließ mit energischen Schritten den Schankraum. Ein Sturm im Wasserglas. Im Grunde war nichts passiert, aber man wollte die Zahl der Widersacher im Rat möglichst klein halten. Schlimmer war, dass die Machtverteilung unter den Männern eindeutig zu Gunsten von Michalzek ausgefallen war. Das hinterließ einen faden Beigeschmack. Der Wirt kam mit zwei frisch gezapften Pils und stellte die Gläser vor Haverkamp und Teltrup auf den Tisch. Michalzek leerte seinen Krug mit kräftigen Schlucken und bestellte einen neuen. Wirt Beckmann hatte eine Frage.
„Was war denn nun mit dieser Konferenzschaltung? Das hab ich nicht verstanden.“
Haverkamp brauchte ein Ventil, um seine Aggression gegen Michalzek im Zaum zu halten und übernahm das Wort.
„Die vom Dülmener Verein befanden sich in ihrem Klubhaus und wir in unserem. Dann war da die Chefin der Sandwerke Haltern zugeschaltet und ein Herr Dr. Ritter, der Vorstandsvorsitzende der Sandwerke Nord-Süd GmbH. Der hatte seine Kamera in seiner Villa in der Schweiz stehen. Alle vier Parteien konnten miteinander reden und sahen sich auf den Bildschirmen.“ Beckmann grinste.
„Das bringt mich auf eine ganz andere Idee. Was haltet ihr davon, wenn ihr eine Kamera an eurem Vereinsteich installiert und wir übertragen hier auf dem Fernseher, was ihr fangt? Angeln live. Sagt bloß nicht, ich ginge nicht mit der Zeit.“
Haverkamp ging nicht auf Beckmanns Vorschlag ein, stattdessen wurde er immer ungeduldiger. Er wollte Michalzek keine Gelegenheit bieten, in Sachen Baggersee erneut das Wort zu führen.
„Du wolltest wissen, wie das Gespräch lief. Wir hatten Dr. Ritter bereits schriftlich unsere Pläne eingereicht. Ich denke, dass wir einen guten Eindruck gemacht haben. Natürlich kenne ich den Plan der Dülmener nicht. Es bleibt also weiter spannend.“
„Was ist mit meinem Bier?“, brummte Michalzek. Beckmann schlurfte davon und Michalzek kommentierte die Konferenzschaltung auf seine Weise.
„Der Dülmener Vorsitzende war ziemlich nervös, hatte Schiss vor der Kamera. Die waren viel zu kleinlaut. Du musst durch Allwissenheit bestechen. Nach vorne preschen und die anderen abhängen. Es kommt nicht darauf an, was, sondern wie du es verkaufst.“
Haverkamp wusste, dass es einige gestandene Kollegen im Verein gab, die Michalzek nach dem Mund redeten, die seinen arroganten Führungsstil mochten. Haverkamp wollte den Verein dagegen demokratisch führen. Michalzek würde ihm das als Schwäche auslegen und einen Keil zwischen die Mitglieder treiben. Er musste jetzt handeln und ihm das Maul stopfen.
Beckmann kam mit dem Bier zurück und reichte Haverkamp ein schnurloses Telefon.
„Da ist jemand von eurem Klubhaus. Keine Ahnung, warum die bei mir anrufen.“
„Ich hab mein Handy vergessen“, sagte Haverkamp gereizt und nahm das Gespräch an. Er stellte ein paar Fragen, wurde immer hektischer und beendete den Anruf mit der Ankündigung, in wenigen Minuten am Vereinshaus zu erscheinen. Teltrup war neugierig.
„Was ist passiert? Soll ich mitkommen?“
„Ja, besser du kommst mit. Einer aus der Jugend hat einen Karpfen gefangen und der hatte etwas um den Bauch gewickelt. Ein feinmaschiges Netzteil. Darin befand sich ein Plastiktütchen mit langen schwarzen Haaren.“
Mani Kempinski vom Dülmener Angelsportverein stand ratlos vor seinem Fang. Er hatte einen Karpfen mit Schmuck in der Flosse aus dem See geholt und nun setzte sich langsam der Gedanke durch, dass es nicht der einzige Fisch sein würde. Warum sollte er ausgerechnet den einen gefangen haben? Kempinski argwöhnte, ob sich jemand einen bösen Scherz erlaubt hatte, aber kam zu dem Schluss, dass es sich auch um eine Verschwörung handeln könnte. Feindliche Artgenossen fuhren eine Attacke gegen den Verein. Würde das öffentlich, wäre das die größte Lachnummer. Er musste Pörschke von seinem Fund unterrichten und rief ihn an.
Minuten später rauschte Pörschke mit seinem Land Rover an und eilte zu Mani Kempinski an den Teich. Noch Schritte entfernt rief er ihm zu: „Du hast mich hoffentlich nicht verarscht!“ Kempinski saß breitbeinig auf seinem Klappstuhl, im Mund eine Zigarette und in der Hand die Bierflasche. Dann sah Pörschke den Rubin in der Rückenflosse des toten Karpfens stecken.
„Und den hast du so gefangen, wie er da liegt?“ Pörschke wechselte Blicke zwischen Kempinski und dem Fisch. „Hör zu, Mani! Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wenn du mich hier täuschen willst, werde ich auf der nächsten Versammlung deinen Ausschluss aus dem Verein beantragen. Und glaube nicht, dass die von Haltern einen solch hinterfotzigen Kandidaten in ihren Reihen haben wollen.“
Kempinski blieb gelassen.
„Begreifst du nicht, was hier los ist? Beim Abangeln morgen werden wir noch mehr davon fangen. Das war nicht der Einzige. Da draußen schwimmen mindestens vierhundert Karpfen rum, warum sollte ich ausgerechnet den mit dem Schmuck gefangen haben? Wir sollten das Abangeln absagen und die Sache –“
„Du spinnst“, fiel Pörschke ihm ins Wort. „Absagen! Kommt überhaupt nicht infrage. Wir müssen uns was einfallen lassen, um den Schaden zu begrenzen. Das darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit. Wenn wir es im Verein geheim halten, wäre das okay. Mit der Zeit wächst Gras darüber.“
„Ach, und den Urheber lassen wir laufen?“
„Mani, eins nach dem anderen. Wir haben keinen blassen Schimmer, wer dahinter steckt. Es muss jemand sein, der was von Fischen versteht. Schließlich hat er eine Badewanne voller Karpfen organisiert und hier bei uns ausgesetzt.“
„Traust du denen aus Haltern das zu?“
„Michalzek. Du hast ihn bei der Konferenzschaltung erlebt. Ein kaltschnäuziger Brocken. Er wollte uns mit seiner lächerlichen Polemik aus dem Ring werfen, aber ich denke, dass Dr. Ritter ihn durchschaut hat. Wie auch immer, zutrauen würde ich dem alles.“
„Sollten wir besser die Polizei einschalten?“
„Damit die den Teich sperren? Bist du bekloppt.“
Kempinski ließ nicht locker.
„Aber vielleicht ist ein Mord passiert. Der Ohrring könnte ein Beweisstück sein.“
„Quatsch! Da will uns einer ans Bein pinkeln! Es bleibt dabei. Wir halten den Vorfall in den eigenen Reihen. Ich zähl auf dich. Morgen beim Abangeln, da gehst du hin und wieder zu den Kollegen und schaust, ob bei denen alles glattläuft. Wenn wir Glück haben, geht der Spuk ohne großes Aufsehen an uns vorbei.“
Pörschke löste den Ohrring von der Flosse, steckte ihn in seine Jackentasche und verschwand.
Haverkamp und Teltrup betraten das Halterner Vereinshaus und sprachen mit dem Jungen, der den Karpfen mit dem Plastiktütchen gefangen hatte.
„Zeig mal her. Wo sind die Sachen?“, fuhr ihn Haverkamp launisch an. Der Junge deutete auf den Tisch neben ihnen. Teltrup nahm die kleine Plastikhülle auf, hielt sie gegen das Licht und suchte nach den Haaren.
„Ich denk, da sind Haare drin.“
Der Junge zog einen Bierdeckel heran, auf dem ein schwarzes Knäul lag. Teltrup nahm es und entwirrte das Geflecht. Einige lange Haare konnte er trennen, andere zerrissen.
„Tatsächlich! Und die waren in dem Tütchen?“
„Ja, und das war mit diesem Band um den Bauch des Karpfens gewickelt.“
Der Junge streckte seine Hand aus. Darin lag ein Fetzen elastischer Stoff, der einem Stück von einem Stützstrumpf sehr ähnelte. Teltrup untersuchte das Material, dehnte es, formte es und wollte es über sein angewinkeltes Knie stülpen.
„Passt nicht, aber für einen Karpfen würde es reichen.“ Teltrup sah sich um. „Wo ist der Fisch?“
„Hab ich wieder reingesetzt“, sagte der Junge kleinlaut.
„Scheiße. Hätte gerne gesehen, wie sich das Ding über den Karpfen stülpen lässt. Ich würde es zwischen Rückenflosse und Brustflossen schieben. Da kann es nicht weg, die Kiemen verhindern das Abrutschen.“
Haverkamp nahm Teltrup beiseite.
„Schick den Jungen nach Hause. Der darf nichts sagen. Mach Druck, dass er die Klappe hält.“
Teltrup sprach mit dem Jungen, der daraufhin seine Sachen packte und ging.
„Wir stehen hier vor einem Scheißproblem“, stöhnte Haverkamp. „Das sind Haare von einem Menschen, wahrscheinlich von einer Frau.“
„Kann doch auch ein Scherz sein“, wiegelte Teltrup ab.
„Da macht sich keiner so viel Arbeit für einen so schlechten Scherz. Was, wenn da noch mehr Fische schwimmen, die Post um den Bauch gewickelt haben, mit Fingernägeln, Zähnen oder Ohrläppchen drin?“
Teltrup behielt die Ruhe.
„Vielleicht haben die Älteren aus der Jugend den Jungen an der Nase herumgeführt und wir sind nachher die Doofen, weil wir die Nerven verloren haben. Machen wir uns nicht lächerlich.“
„Ne, ne! Da ist was im Busch. Wir kämpfen gegen Dülmen um die Existenz des Vereins. Hier geht es um alles oder nichts. Dülmen will uns ausstechen und dazu sind denen alle Mittel recht.“
„Ach was. Ich kenn den Theo Buttgereit aus Dülmen, der würde nie solche Methoden befürworten. Mach die nicht alle schlecht. Wir warten ab und ich mobilisiere einige Kollegen, dass sie morgen am Teich auf Karpfen gehen. Wenn die keinen Zombiefisch mehr fangen, ist die Sache erledigt.“
„Okay, verschließ die Sachen im Kassenschrank. Falls tatsächlich ein krimineller Akt dahintersteckt, haben wir zumindest unsere Pflicht getan und die Indizien für die Polizei sichergestellt.“
Samstag am Vereinsteich in Börnste. Der Morgen dieses frühen Herbsttages kündigte schönes Wetter an. Die Nacht war kalt gewesen, fast frostig. Vereinzelt lagen Nebelbänke über den Feldern. Knorrige Eichenstämme ragten mit ihren Kronen aus dem milchigen Dunst heraus. Mani Kempinski versuchte möglichst nah am Tor zur Teichanlage eine Parklücke zu erwischen. Vergebens. Er ärgerte sich über die müßigen Kollegen. Die Büsche und Sträucher links und rechts vom Tor hätten längst gestutzt werden müssen. Frustriert kramte er seine sperrige Ausrüstung aus dem Kofferraum und stiefelte los. Das Abangeln sollte ein Erfolg werden. In ein paar Stunden würde das Vereinsgelände bevölkert sein und später wurden Frauen und Kinder zum Grillen erwartet.
Plötzlich blieb er erschrocken stehen und tastete seine Parkertaschen ab. Ein Glück, sein Handy hatte er eingesteckt. Das beruhigte ihn, denn er wollte Pörschke jederzeit erreichen können. Die Sache mit dem Ohrring machte ihm zu schaffen. Niemand anderes als er hatte den Ohrring ans Licht befördert. War er vielleicht sogar selber gemeint, eine Geste aus dunkler Vergangenheit, ein schwarzes Loch, von dem er hin und wieder träumte und aus dessen Tiefe seine Mutter nach ihm rief? Die Ohrringe kamen ihm bekannt vor, aber nein, er hatte nichts damit zu tun.