Cover

FÜR COSIMA

Einführung

Prolog

Mehr Licht!

TEIL 1
DER TANZ DES LICHTS IN UNSEREM KÖRPER

Der Pinienzapfen

Die Reise des Lichts durch unser Gehirn

Die Substanz, die uns in den Schlaf wiegt

Der Melatoninzyklus

Unsere innere Uhr

Lichtschalter in den Augen

Licht - der große Taktgeber

Sind Sie eine Lerche oder eine Eule?

Eine kleine Geschichte des Lichts

Chronobiologie – Die Symphonie der Körperrhythmen

Nachts schlafen die Zahnärzte doch ...

Das Mekka der Chronobiologie

Nobelpreis für die Fruchtfliege?

Was kostet es uns, die Nacht zum Tag zu machen?

TEIL 2
DIE NATUR DES LICHTS UND DAS MULTITASKINGFÄHIGE VITAMIN D

Sichtbares und unsichtbares Licht

Sonnenbrand der Augen

Die Farben des Lichts

Blaues Licht – Segen oder Fluch?

Was macht eigentlich Hollywood zu Hollywood?

Interview mit Peter Lindbergh:
Es gibt kein schlechtes Licht

Wie gesund ist das Licht bei Ihnen zu Hause?

Blue Hazard: Das Blaulichtrisiko

Gefahrenanalyse Kunstlicht

Arbeiten Sie am Bildschirm bis tief in die Nacht?

Sonne – Lebensspenderin und Machtsymbol

Wie die Sonne das Leben geschaffen hat

Im Anfang war die Dunkelheit

Wie alt ist die Erde wirklich?

Einer von 100 Milliarden Sternen

Die Geburt der Sonne

Vitamin D – Der große Verwandlungskünstler

Das Sonnenhormon

Kann Vitamin D Multitasking?

Wie lange hält der Vitamin-D-Speicher?

Ihr persönlicher Hauttyp

Die optimale Vitamin-D-Versorgung

Vitamin-D-Defizit: Symptome und Therapie

TEIL 3
WIE BITTE? WIR ATMEN LICHT UND BEISSEN IN DIE SONNE?

Wie das Leben entstand

Die Geschichte der Erde

Sauerstoff – das häufigste Element auf der Welt

Wie die Fotosynthese aus Licht Sauerstoff zaubert

Bäume – Freunde des Menschen

Unsere Ernährung: Der Mensch ist, was er isst

Das hochintelligente Bauchhirn

Die Komposition unserer Nahrung

Das mächtige Mikrobiom

Intermittierendes Fasten

Wenn Stress toxisch wird

Vitalstoffe und Nahrungsergänzungen

Wenn alles grau wird: Winterdepression

Hoch mit der Stimmung

Wie viel Licht erreicht uns wirklich?

Kann man Glück essen?

Die Licht-Glück-Verbindung

Das Chefhormon

Tryptophan als Medikament

TEIL 4
VOM HELL-DUNKEL-SPIEL DES LEBENS UND DER ELEGANZ DES ALTERS

Die Sonne aus der Steckdose

Bright Light – künstlicher Lichtblick

Warum Winter nicht gleich Sommer ist

Schlaf: Wenn die Sonne ihr Licht ausschaltet

Nächtliche Gehirnwäsche

Die fünf Schlafphasen

Der Löffeltest: Haben Sie ein Schlafdefizit?

Braucht Schlaf einen Image-Schub?

Telomere – die Zündschnur der Vergänglichkeit

Souverän älter werden

Die Komplizen des Verfalls – freie Radikale

Sichtbare und unsichtbare Lichtalterung

Antioxidantien – Handschellen für biologische Terroristen

Zufrieden altern

Exkurs: Am Ende steht der Anfang

Dimethyltryptamin – das Bewusstseinsmolekül

„Ich badete im Licht“

Lichtduschen oder Lichtbaden?
Ein Plädoyer für Sonnenlicht

Danksagung

Register

Impressum

Prolog

„Eine Lösung, die ein Problem sucht“, so beschrieb der amerikanische Physiker Theodore Maiman die Erfindung, die er am 16. Mai 1960 fertiggestellt hatte: den ersten Laser. Zu jener Zeit gab es für seine bahnbrechende Entdeckung noch keine Anwendungsmöglichkeiten, dass sie folgten, ist längst Geschichte. Heute feiert die Menschheit am 16. Mai das Licht, denn die UNESCO hat ihn zum Tag des Lichts gekürt. Warum? Um das Bewusstsein für Licht zu schärfen. 80 Nationen beteiligen sich daran. Die UNESCO folgt mit diesem Aufruf den immer lauter werdenden Stimmen vieler internationaler Wissenschaftler, die darauf hinweisen, wie essentiell Licht für unser Wohlbefinden ist und wie hochsensibel der menschliche Organismus darauf reagiert. Gerade in den westlichen Industrienationen – den rund-um-die-Uhr-Gesellschaften – wird der seit Jahr Millionen eingefahrene Rhythmus der Natur, der Hell-dunkel-Zyklus, völlig aus dem Takt gebracht.

Die richtig eingesetzte Dosis Licht kann dazu beitragen, viele menschengemachte Probleme zu korrigieren. Das sehe ich täglich in meiner Praxis. Ab einem gewissen Zeitpunkt kam es mir so vor, als würde dieses Thema immer bedeutender werden. Deshalb habe ich mich mit meiner Frau Annelie dazu entschieden, es einmal umfassend zu recherchieren. Wir waren überrascht, wie vielschichtig, wie tiefgründig und darüber hinaus wie unverhandelbar vernetzt es mit unserer Gesundheit ist. Nicht medikamentös, einfach anwendbar, kostenlos und jederzeit verfügbar. Theodore Maiman hatte recht: Licht ist vor allem eines – eine Lösung.

Mehr Licht!

Das verlangte der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe am 22. März 1832 gegen 11:30 Uhr – so besagt es zumindest die Legende –, bevor er in einem Lehnstuhl sitzend im Alter von 82 Jahren sanft entschlief.

Goethes Zimmer war in diesen Tagen stets abgedunkelt und natürlich ranken sich um seine letzten Atemzüge viele Geschichten. Auffällig ist, dass die Zeitzeugen keine Mühe scheuten, diese Anekdote zu verbreiten. Licht – dieses universelle Elixier des Lebens – schien ihnen angemessen und gerade groß genug als letztes Wort eines Genies. Insbesondere da der Naturforscher Goethe sich in seiner Farbenlehre intensiv mit Licht und dessen Spektrum beschäftigt hat.

Doch nicht nur er. Die größten Wissenschaftler, vom Altertum bis zur Neuzeit, haben sich dem Phänomen Licht gewidmet. Die Geschichte des Universums ist wie die Geschichte unserer Erde letztlich auch eine Geschichte des Lichts. All die Technologien, die unsere Welt und unser Leben heute so entscheidend prägen, sind im Kern Technologien des Lichts – ob sichtbar oder unsichtbar.

Warum aber ist Licht für uns von so essenzieller Bedeutung? Warum zieht es uns magnetisch nach draußen, sobald die Sonne scheint? Warum lässt uns ein strahlend blauer, wolkenloser Himmel aufleben? Warum setzt Licht Energie frei und steigert spürbar unsere Vitalität? Warum assoziieren wir mit Helligkeit automatisch auch helle Gedanken, Gelingen und Glück?

Der Grund ist einfach: Licht ist Leben. Ohne Licht und ohne den passenden Abstand zur Sonne wäre die Erde eine Steinwüste. Jede Form der Lebensenergie ist letztlich Lichtenergie. Alles, was lebt, strebt nach dem Licht.

Gehen Sie beispielsweise in den Wald. Im Kronendach der Bäume wachsen und gedeihen Blätter und Tiere, eine eigene, faszinierende Welt. Doch wie sieht es in den unteren Stockwerken aus? Dort nimmt die Artenvielfalt mit dem schwindenden Lichteinfall dramatisch ab. Uns ergeht es ähnlich. Auch unsere Lebensgeister ebben merklich ab, wenn die dunklen Monate nicht enden wollen.

Licht ist weit mehr als nur Helligkeit, die uns das Sehen ermöglicht. In unserem Buch möchten wir Ihnen zeigen, wie Licht auf das Leben dieses Planeten und die Vitalfunktionen im menschlichen Körper wirkt. Wie viel Licht brauchen wir wann? Und was können wir konkret tun, um den langen Winter so gut wie möglich zu überstehen? Außerdem stellen wir Überlegungen zum gezielten Einsatz und zur therapeutischen Wirkung des Farbspektrums von Licht an. Welche Auswirkung hat Sonnenbaden auf unser Immunsystem? Wir bringen Sie auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu Vitamin D, bei dem es sich eher um ein Hormon als um ein Vitamin handelt, und Sie erfahren, wie stark Licht unsere Essgewohnheiten beeinflusst. Außerdem lernen Sie die Gesetze der Chronobiologie kennen, die unseren Schlaf-wach-Rhythmus regieren, und wir entschlüsseln das Geheimnis, wie unsere innere Uhr tickt.

Ihr Licht-Tagebuch

Wir würden Sie gerne dazu inspirieren, sich ganz bewusst jeden Tag Ihre Dosis Tageslicht zu verabreichen. Das kann im hektischen Arbeitsalltag manchmal in Vergessenheit geraten, deshalb haben wir dieses kleine Tagebuch für Sie entworfen. Am besten besorgen Sie sich ein Notizbuch und schreiben sich die Aufgaben 1 bis 10 auf oder Sie nutzen einen schon vorhandenen Kalender.

Aufgabe 1: Denken Sie bitte darüber nach, wie viele Minuten Sie letzte Woche im Tageslicht verbracht haben:

Montag __________________________ Minuten

Dienstag __________________________ Minuten

Mittwoch __________________________ Minuten

Donnerstag __________________________ Minuten

Freitag __________________________ Minuten

Samstag __________________________ Minuten

Sonntag __________________________ Minuten

Gesamt __________________________ Minuten

Notieren Sie bitte jeden Tag, solange Sie dieses Buch lesen, wie lange Sie natürliches Licht genossen haben.

Sie finden das komplette Licht-Tagebuch zum Ausdrucken auf unserer Internetseite:

www.suedwest-verlag.de/lichtbadenmaterial

Der Pinienzapfen

Unser beider Geburtsort ist Augsburg – eine der ältesten Städte Deutschlands, die Heimat von Mozarts Vater und Bertolt Brecht, berühmt durch ihre prächtigen Renaissancebauten. Sie entstand aus einem Feldlager, am Zusammenfluss von Lech und Wertach, das ein römisches Heer auf einem Eroberungszug nach Rätien – damals das nördliche Alpenvorland – 15 v. Chr. aufgeschlagen hatte. Das Feldlager trug den Namen Augusta Vindelicorum, und daraus entwickelte sich Augsburg. Haben Sie schon einmal das wunderschöne Augsburger Stadtwappen gesehen? Das Feldzeichen jener ersten römischen Legion? Bei den Römern galt die Zirbelnuss als ein Symbol für Unsterblichkeit. Der Pinienzapfen, wie die bekanntere Bezeichnung lautet, wird später auch im Christentum als Sinnbild des ewigen Lebens gedeutet. So finden wir noch heute eine Zirbelnuss im Aachener Dom und in dem Cortile della Pigna der Vatikanischen Museen. Und natürlich ziert sie den Dachfirst des Augsburger Rathauses aus der Spätrenaissance.

Das Augsburger Rathaus von Elias Holl

Nicht nur im städtebaulichen und religiösen Kontext taucht die Zirbelnuss immer wieder auf, sondern auch in der Historie der Medizin, wie wir kürzlich in einem Vortrag eines Professors für Medizingeschichte erfahren haben. Er berichtete über die Geschichte des Pinealorgans oder der Zirbeldrüse, die eine herausragende Bedeutung im Zusammenhang mit der Wirkung des Lichts auf unseren Körper hat.

Das Augsburger Wahrzeichen: Die Zirbelnuss

Der Professor erzählte, dass schon der belgische Mediziner Andreas Vesalius (1514–1564), Leibarzt von Kaiser Karl V. und von König Philipp II. von Spanien – er gilt als Begründer der neuzeitlichen Anatomie –, die bis heute geheimnisvolle Drüse des menschlichen Gehirns beschrieb und ihre Ähnlichkeit mit dem Pinienzapfen hervorhob. Diesen bildhaften Vergleich hatten bereits die griechischen Anatomen der Schule von Alexandria, Erasistratos von Keos (305–250 v. Chr.) und Herophilos von Chalkedon (344–280 v. Chr., manch anderen Quellen zufolge auch um 330–255 oder 280), benutzt. Der bedeutende griechische Arzt Galen (um 129–um 201 n. Chr.) vermutete, dass die kleine Drüse die Eintrittspforte der Gedanken sei. Galen übrigens verschrieb seinen Patienten aktiv Licht und Sonnenwärme.

René Descartes

Mehr als 1000 Jahre später ging René Descartes (1596–1650), der Begründer des Rationalismus, noch einen Schritt weiter und bezeichnete die Zirbeldrüse als Sitz der Seele. Er vermutete eine direkte Verbindung zwischen den Augen und dem Pinealorgan.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam dann aufgrund anatomischer Vergleiche mit anderen Wirbeltieren die Idee auf, diese Ausstülpung am Dach des Zwischenhirns könne Relikt eines sogenannten dritten Auges sein, des Pinealauges. Bei einigen Reptilien ist eine mit dem Pinealorgan zusammenhängende Zwischenhirnausstülpung – das Parietalorgan – in Form eines Auges ausgebildet, deshalb dort die Bezeichnung Parietalauge.

Eines steht jedoch fest: Die Zirbeldrüse wurde von der medizinischen Forschung stiefmütterlich behandelt. Zeitweise ging man sogar davon aus, dass es sich um ein eher funktionsloses Überbleibsel der Evolution handelt. Wie gravierend falsch man mit dieser Auffassung lag, stellte sich erst Mitte des letzten Jahrhunderts heraus, als einige der physiologischen Aufgaben der Zirbeldrüse aufgeklärt wurden.

Die Reise des Lichts durch unser Gehirn

Descartes hatte recht mit seiner Annahme, dass die Zirbeldrüse von den Augen aus gesteuert wird. Doch wie recht er hatte, war wissenschaftlich gar nicht so einfach nachzuweisen. Das Puzzle setzte sich erst nach und nach zusammen. Lichtsignale werden in der Netzhaut in Nervenimpulse umgewandelt und treten zunächst eine Reise durch den Kopf an, bevor sie in der Zirbeldrüse ankommen. Diese Impulse laufen direkt ins Zentrum unseres vegetativen Nervensystems, in den Hypothalamus. Von dort gleiten sie über Nervenbahnen und -knoten erst ins Rückenmark, um wieder zum Hypothalamus zurückzukehren. In ihm befindet sich der Nucleus suprachiasmaticus. Er ist ein Knotenpunkt von etwa 50.000 Nervenzellen, die direkt miteinander verbunden sind. Es gilt als gesichert, dass der stecknadelgroße Kern der Sitz der inneren Uhr ist, über die wir noch sehr viel hören werden. Die in Nervenimpulse umgewandelten Lichtsignale passieren den Nucleus suprachiasmaticus und strömen schließlich weiter zur ca. 5 bis 8 Millimeter großen Zirbeldrüse. Diese wird auch Epiphyse genannt, weil sie direkt am Epithalamus anliegt, einem Teil des Zwischenhirns.

Während der Nucleus suprachiasmaticus die bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Gesamtkoordination unserer Biorhythmik übernimmt, hat die Natur mit der Zirbeldrüse einen Taktgeber geschaffen, der den Körper über Lichtverhältnisse informiert. Neben den Nieren gehört sie zu jenen Organen, die am besten durchblutet sind. Bei schwindendem Tageslicht vergrößert sie sich, weil sie zu arbeiten beginnt. Sie besteht hauptsächlich aus Drüsenzellen, die das Hormon Melatonin ausschütten. Deshalb fühlen wir uns abends entspannt und müde und bereiten uns auf den Schlaf vor. Bei hellem Licht kehrt sich dieser Mechanismus um, die Melatoninausschüttung wird wieder gedrosselt, wir fühlen uns wach, energiereich und konzentriert. Man kann es also so ausdrücken: Die Zirbeldrüse steuert unseren Schlaf-wach-Rhythmus.

Der Sitz des Nucleus suprachiasmaticus und der Zirbeldrüse im Gehirn

Bisher ist es jedoch noch immer nicht gelungen, die Funktionen dieses Schlüsselorgans umfassend aufzuklären. Auch hat sie sich wohl im Laufe der Evolution stark zurückgebildet. Sie ist von ihrer ursprünglichen Größe von ca. 3 Zentimetern auf wenige Millimeter, etwa erbsengroß, geschrumpft. Gibt es dafür möglicherweise menschengemachte Gründe?

Die Substanz, die uns in den Schlaf wiegt

Das Haus Bauhofer war ein Mehrgenerationenhaus. Immer, wenn ein Familienmitglied nicht so gut schlafen konnte, kochte die Großmutter abends eine warme Milch mit Zimt, Kardamom und Honig. Dabei achtete sie penibel darauf, dass sie den Honig erst hinzufügte, wenn die Milch etwas abgekühlt war. Sie berief sich auf ein Sprichwort, das sie offenbar einmal von einem Imker gehört hatte: „Wenn man Honig erhitzt, wird aus Nektar Gift.“ Warum aber soll eine warme Gewürzmilch dafür sorgen, dass wir besser schlafen können?

Wie gesagt ist für unseren Schlaf das Hormon Melatonin verantwortlich. Die Zirbeldrüse schüttet es in die Blutbahn aus, wenn es dunkel wird. Melatonin hat lebensnotwendige Funktionen. Das konnte z. B. in einem Tierversuch mit Spatzen nachgewiesen werden. Man entnahm ihnen ihre winzige Zirbeldrüse, und die Auswirkungen waren verheerend. Die kleinen Vögel verloren jedes Zeitgefühl und flogen Tag und Nacht rastlos im Käfig hin und her, bis sie starben.

Melatonin wird aus dem Glückshormon Serotonin gebildet und das wiederum aus der Aminosäure Tryptophan. Insgesamt gibt es 20 verschiedene sogenannte Standard-Aminosäuren. Sie bilden die Bausteine der Eiweiße. Unter ihnen unterscheidet man sogenannte essenzielle, semi-essenzielle und nicht essenzielle Aminosäuren.

 Die essenziellen Aminosäuren kann der Körper nicht selbst herstellen, wir müssen sie also über die Nahrung zu uns nehmen.

 Die nicht essenziellen Aminosäuren können von unserem Organismus selbst produziert werden.

 Semi-essenzielle Aminosäuren sind bedingt lebensnotwendig und können vom Körper aus essenziellen Aminosäuren gebildet werden.

 Tryptophan gehört zu den essenziellen Aminosäuren.

Und nun kommen wir auf Großmutters Gewürzmilch zurück: In einer kohlenhydratreichen Umgebung kann der Verdauungstrakt mehr Tryptophan aufnehmen. Deshalb rühren wir den Honig unter. Die Gewürze wiederum helfen bei der Aufspaltung des Milcheiweißes, damit das Tryptophan leichter freigesetzt, von der Schleimhaut des Dünndarms aufgenommen und ins Blut abgegeben werden kann. Tryptophan wird zunächst in das Glückshormon Serotonin und dann in der Zirbeldrüse in das Schlafhormon Melatonin umgewandelt. Übrigens bilden auch die Netzhaut des Auges und der Darm in geringen Mengen Melatonin.

Melatonin: multitaskingfähiges Hormon

Das Hormon Melatonin, das auch als Neurotransmitter operiert, also als Botenstoff im Nervensystem, wurde 1958 von dem amerikanischen Dermatologen Aaron B. Lerner isoliert und in seiner Struktur aufgeklärt. Seitdem wird langsam, aber stetig immer klarer, wie groß die Wirkung der Zirbeldrüse auf viele Vorgänge und Organe im Körper ist.

 Über Melatonin werden etwa Nierenfunktion, Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur und der Hormonhaushalt reguliert.

 Es regt die Ausschüttung von FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) an. Beide stimulieren sowohl die Reifung der Eier in den Ovarien bei der Frau als auch die Spermienproduktion und Spermienreifung in den Hoden beim Mann.

Außerdem ist Melatonin eines der wirksamsten Antioxidantien. Es gilt als doppelt so effektiv wie Vitamin E, denn es neutralisiert freie Sauerstoffradikale, die nach aktuellem wissenschaftlichen Stand mit dem Alterungsprozess und bis zu 90 Prozent aller Krankheiten in Verbindung gebracht werden.

Der Melatoninzyklus

Werfen wir noch einen genaueren Blick auf das Schlafhormon, weil es so wichtig ist. Wann und wie bilden wir Melatonin? Es beginnt bereits, wenn wir drei Monate alt sind. Dann wird dieses multitaskingfähige Hormon im Mutterleib hergestellt. In der frühen Kindheit läuft die Produktion der Zirbeldrüse auf Hochtouren und verhindert damit die Geschlechtsreife, wie Prof. Richard Wurtman vom Massachusetts Institute of Technology in einer Studie mit Kindern nachwies.

Während der Pubertät nimmt die Melatoninkonzentration dann langsam, aber stetig ab. Sie erreicht nur noch etwa 20 Prozent der Menge der frühen Kindheit. Und im Blut eines 60-Jährigen findet sich im Vergleich zu einem 20-Jährigen nur noch etwa die Hälfte des Botenstoffes. Deshalb brauchen Kinder mit hoher Melatoninkonzentration im Blut so viel Schlaf und ältere Menschen deutlich weniger.

Wenn man sich diese periodischen Schwankungen klarmacht, wird auch verständlich, weshalb Licht auf das hormonelle Wechselspiel wirkt und damit natürlich auch auf die Psyche.

Doch nicht nur das Alter, auch die Tageszeit ist in diesem Zusammenhang entscheidend. Mit Einbruch der Dunkelheit nimmt der Melatoninspiegel kontinuierlich zu und erreicht zwischen 1 und 3 Uhr nachts seinen Höhepunkt. Das Dunkelhormon macht uns müde, da unter seinem Einfluss die periphere Durchblutung zunimmt – das Einschlafsignal für den Organismus. Melatonin dringt sehr leicht über die äußere Membranhülle in das Innere unserer Zellen ein und teilt ihnen mit, dass es dunkel ist und sie nun andere Aufgaben als tagsüber zu erledigen haben.

Menschen, die bei elektrischem Licht schlafen, erreichen nur 50 Prozent der üblichen nächtlichen Melatoninkonzentration. Auch abendliches Fernsehen und Computerarbeit sowie koffeinhaltige Getränke, Tabak, Alkohol, intensiver Sport nach 19 Uhr, Dauerstress und bestimmte Medikamente wie Kortison, Betablocker oder Acetylsalicylsäure (allgemein bekannt als Aspirin) senken den Melatoninspiegel und vermindern dadurch die Schlafqualität. Dieses Thema werden wir noch sehr intensiv beleuchten, es ist ein Schlüsselthema für die Regeneration in der Nacht und damit für kraftvolle Aktivität am Tag.

Denn sobald es bei Tagesanbruch zu einem Lichteinfall über die Augen kommt, wobei sogar die geschlossenen Augen das Licht wahrnehmen und an die Zirbeldrüse „melden“, nimmt die Melatoninproduktion rapide ab.

Ihr Licht-Tagebuch

Aufgabe 2: Checken Sie einmal in Gedanken die letzte Woche durch. Was genau tun Sie vor dem Schlafengehen? Helfen diese Aktivitäten Ihrer Zirbeldrüse, das System auf den Schlaf vorzubereiten? Oder senken Sie den Melatoninspiegel, statt ihn anzukurbeln? Notieren Sie sich in der kommenden Woche jeden Abend Ihre Aktivität, damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, ob Ihre Gewohnheiten und Ihr Organismus zusammenarbeiten.

Montag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Dienstag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Mittwoch: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Donnerstag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Freitag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Samstag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Sonntag: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Melatonin aus der Retorte

In den 1990er-Jahren, als Melatonin intensiver erforscht wurde, machte das Hormon regelrecht Karriere. Aaron B. Lerner nahm bereits 1958 100 Milligramm im Selbstversuch und protokollierte, dass er davon müde wurde.

Mitte der 1990er-Jahre schossen in den USA Hersteller des synthetischen Neurohormons wie Pilze aus dem Boden. Der neue Jungbrunnen war gefunden, die neue Wunderdroge. Die Werbeslogans lesen sich bis heute vielversprechend: Neben seinen schlaffördernden Qualitäten soll Melatonin das Immunsystem stärken, Depressionen lindern, Anti-Krebs-Eigenschaften besitzen, Tumorzellen zerstören und, wie oben erwähnt, freie Sauerstoffradikale. In Amerika ist es nicht als Medikament, sondern als Nahrungsergänzungsmittel deklariert und rezeptfrei im Drugstore erhältlich. So leicht zugänglich, wurde Melatonin von Vielfliegern und Flugpersonal gegen Jetlag entdeckt, weil es als Chronobiotikum den gestörten Tag-Nacht-Rhythmus schneller wieder ins Lot bringen kann.

Doch Vorsicht: Bis heute gibt es keine Langzeitstudien, die Effekte dieser Art verlässlich nachweisen konnten, und Nebenwirkungen sind nicht hinlänglich erforscht. Das liegt u. a. daran, dass die Wirkung von Melatonin im Körper sehr komplex ist.

Dass das Medikament unter der strengen Kontrolle eines Arztes und unter ganz bestimmten Umständen hilfreich sein kann, besprechen wir im Kapitel „Schlaf: Wenn die Sonne ihr Licht ausschaltet“ ausführlich. Auf jeden Fall sei vor jeder Selbstmedikation gewarnt. Sich das Hormonpräparat in zum Teil beträchtlicher Überdosis zuzuführen, ist riskant. Studien haben gezeigt, dass die Einnahme zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen kann.

Präparate, die man aus Amerika mitbringt oder ohne Rezept bei uns im Internet bestellt, sind aus mehreren Gründen bedenklich: Erstens könnte die Reinheit nicht gesichert sein, zweitens sind die Hinweise zu Einnahmezeitpunkt und Dosierung im Beipackzettel nicht verlässlich, drittens kann man die Nebenwirkungen nicht absehen.

Natürliches Melatonin

Es gibt nicht nur synthetisches Melatonin. Natürlich produzieren Tiere Melatonin und es findet sich auch im Pflanzenreich. Milch als Melatoninspender haben wir ja bereits angesprochen. Es gibt sogar Nachtmilch, also die Milch von Kühen, die nachts gemolken werden und damit eine zeitlich bedingte höhere Melatoninkonzentration aufweist. Auch in Bärlauch, der Ringelblume und Johanniskraut ist Melatonin nachgewiesen. Tomaten, Karotten, Sellerie und Nüsse enthalten kleine Mengen davon, besonders konzentriert kommt es in Pistazien vor.

Baldrian, nach der nordischen Gottheit Balder benannt, enthält viel Melatonin. Balder symbolisiert in der germanischen Mythologie Sonne und Licht, wird aber auch als „der Hilfsbereite“ übersetzt. Der Legende nach nimmt die Lichtgestalt Balder Schönheit und Glück mit ins Schattenreich, als sie stirbt.

Frischer Baldrian

Haben Sie Baldrian, das „hilfsbereite Kraut“, schon einmal bewusst wahrgenommen, beim Spazieren durch den Wald? Er wächst bis zu zwei Meter hoch und ist an seinen weißen, manchmal hellrosa-farbenen, sternförmigen Blüten zu erkennen. Traditionell wird er zu Tees, Tropfen oder Tabletten verarbeitet. Schon Hildegard von Bingen hat das Kraut eingesetzt. Baldrian löst Muskelverspannungen, wirkt entkrampfend, nervenberuhigend und schlaffördernd. Nicht zuletzt wegen seines Melatoninanteils. Um zu wachsen und ihre heilsamen Inhaltsstoffe wie auch das Melatonin bilden zu können, brauchen Pflanzen Licht. Der menschliche Körper aber benötigt die Dunkelheit, damit er Melatonin produzieren kann. Das Signal dafür erhält er von den Augen.

Ihr Licht-Tagebuch

AUFGABE 3: Haben Sie sich Ihre individuellen Lichtmomente pro Tag notiert? Dann wollen wir Sie jetzt bitten aufzuschreiben, wann Sie zu Bett gehen. Schreiben Sie sich eine Woche lang genau auf, um wieviel Uhr Sie abends eingeschlafen sind. War ein Tag dabei, an dem Sie bereits um 22 Uhr die Nachttischlampe ausgeknipst haben?

Montag __________________________ Uhr

Dienstag __________________________ Uhr

Mittwoch __________________________ Uhr

Donnerstag _______________________ Uhr

Freitag ___________________________ Uhr

Samstag __________________________ Uhr

Sonntag __________________________ Uhr

Unsere innere Uhr

Lichtschalter in den Augen




Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?

Johann Wolfgang von Goethe

René Descartes hatte also recht mit seiner Annahme, dass es eine Verbindung zwischen den Augen und der Zirbeldrüse gibt. Das letzte Puzzleteilchen, um die Richtigkeit dieser These nachzuweisen, fanden Forscher der Brown University in Providence, Rhode Island, genau 352 Jahre nach seinem Tod. Der Neurophysiologe David Berson machte die bahnbrechende Entdeckung, indem er sich einem lang ignorierten Thema zuwendete – so bahnbrechend, dass die medizinischen Fachbücher umgeschrieben werden mussten.

Bis 2002 herrschte die Ansicht vor, in der Netzhaut unserer Augen gäbe es nur zwei Typen lichtempfindlicher Sinneszellen:

 Etwa 120 Millionen Stäbchen, die dafür optimiert sind, dass wir im Dunkeln sehen können und die bei hellem Sonnenlicht inaktiv werden.

 Und etwa 7 Millionen Zapfen, die unser Farbsehen sicherstellen. Ohne sie würden wir die Welt wie einen Schwarz-Weiß-Film wahrnehmen. Sie befinden sich hauptsächlich in der Sehgrube, dem Zentrum der Macula lutea, lateinisch für Gelber Fleck. Das ist die schärfste Stelle unseres Sehens, ein eng umschriebener Bereich im Zentrum der Netzhaut, durch den die Sehachse verläuft.

 Bei menschlichen Zapfen unterscheidet man zwischen dem S-Typ (Blau-Rezeptor), dem M-Typ (Grün-Rezeptor) und dem L-Typ (Rot-Rezeptor).

Sehen wir uns diese Sinneszellen noch etwas genauer an. Sie beherbergen Sehpigmente: Stäbchen (das Rhodopsin) und Zapfen (das Iodopsin), hochempfindliche Eiweißmoleküle, die ihre chemische Beschaffenheit verändern, sobald sie Licht empfangen – genau der Moment, der eine faszinierende Reaktionskaskade auslöst. Durch die chemische Veränderung wird das optische Lichtsignal in einen elektrischen Impuls übersetzt und an eine dritte Art Sehzellen, die sogenannten retinalen Ganglienzellen (RGCs), weitergeleitet, die spinnennetzartig über die gesamte Netzhaut verteilt sind. Die Fasern dieser Ganglienzellen, von denen man bis 2002 annahm, sie seien blind, vereinen sich zum Sehnerv. Von hier aus bahnen sich die Lichtimpulse den Weg zum Gehirn.

Allerdings stellte man fest, dass blinde Mäuse, die keine Stäbchen und Zapfen besitzen, trotzdem auf Licht reagieren. Wie konnte das sein? Lange Zeit wurde diese Frage ignoriert, obwohl die ersten Studien mit blinden Mäusen bis ins Jahr 1923 zurückreichen. Erst in den 1990er-Jahren befassten sich mehrere wissenschaftliche Untersuchungen damit, dass sich auch blinde Mäuse an Licht anpassen – also einem klaren Hell-dunkel-Rhythmus folgen. Non-Image Forming (NIF) – „Sehen ohne Bilderkennung“ – wurde erst entschlüsselt, als die Wissenschaftler auch in den retinalen Ganglienzellen ein Sehpigment identifizierten: Melanopsin.

Das menschliche Auge und seine Sinneszellen

Die Forschergruppe um David Berson fand nämlich heraus, dass die dritten „blinden“ Ganglienzellen keineswegs blind sind. Sie geben uns zwar nicht die Fähigkeit, Formen zu erkennen, aber sie registrieren minutiös die Umgebungshelligkeit und senden dementsprechende Lichtsignale weiter. In diesen ca. 1000 bis 2000 Ganglienzellen wird das Eiweißmolekül oder Sehpigment Melanopsin gebildet, das diese Zellen selbst lichtsensitiv werden lässt. Man unterscheidet Zellen, die auf „Licht an“ reagieren, und andere, die sich bei „Licht aus“ entladen. Man könnte sie also vereinfacht ausgedrückt als Lichtschalter der inneren Uhr bezeichnen. Sie schicken ihre Impulse weiter zum Nucleus suprachiasmaticus und zur Zirbeldrüse und informieren so die innere Uhr.

Licht - der große Taktgeber

Aus der ärztlichen Praxis

Immer wieder ist im Alltag von der inneren Uhr die Rede. Doch wie funktioniert sie überhaupt? Vor einigen Jahren kam Claudia Holbein, eine erfolgreiche Autorin und Vortragsrednerin, wegen Gewichtsproblemen zu mir in die Praxis. Ihr Lebensrhythmus folgte nur einer einzigen Regel – nämlich keiner. Sie aß unregelmäßig, sie schlief unregelmäßig, sie trieb unregelmäßig Sport, ihre Beziehungen waren kurz und unregelmäßig. Und auch ihr Gewicht folgte diesem gleichen Rhythmus: Sie nahm in völlig unregelmäßigen Abständen ab und wieder zu. Claudia Holbein hasste Struktur. Sie stemmte sich vehement gegen ein Grundgesetz des Lebens. Denn das Leben verläuft immer in regelmäßigen Rhythmen – Tag und Nacht, Woche, Monat, Jahreszeiten. Unser Herz schlägt in einem Rhythmus, wir atmen rhythmisch, der weibliche Zyklus folgt dem Rhythmus des Mondes.

In der Charaka Samhita, einem über 3000 Jahre alten vedischen Klassiker, steht: „Krankheiten entstehen durch den übermäßigen, den mangelnden Gebrauch oder den Missbrauch der Zeit, des Geistes und der Sinne.“ Schon vor Jahrtausenden hat man den weisen Umgang mit den zeitlichen Rhythmen der Natur richtig eingeschätzt. Missbrauchen wir heute die Zeit?

Auf einem medizinischen Kongress in der Nähe von Boston lernte ich Mitte der 1980er-Jahre mit Franz Halberg einen herausragenden Wissenschaftler kennen. Er gilt als der Mitbegründer der Chronobiologie, der Biologie der Zeit (aus dem Griechischen chronos). Es war für mich sehr bereichernd, diesem bescheidenen, freundlichen Mann zu begegnen, der augenscheinlich für seine wissenschaftliche Arbeit lebte. Nach seinem Medizinstudium in Innsbruck, wo er insbesondere die Funktion der Nebenniere studiert hatte, bekam Franz Halberg ein Forschungsstipendium der WHO für klinische Endokrinologie an der Harvard Medical School. 1949 wechselte er an die Universität von Minnesota und gründete dort seine Chronobiology Laboratories. Hier prägte er in den späten 1960er-Jahren den Begriff „zirkadianer Rhythmus“. Das eingedeutschte Wort „zirkadian“ wird von den lateinischen Begriffen circa und dies abgeleitet und bedeutet „ungefähr einen Tag“. Der zirkadiane Rhythmus ist die Fähigkeit eines Körpers, innere Vorgänge auf eine Periode von etwa 24 Stunden zu synchronisieren. Maß nimmt der Organismus dabei am Tag-Nacht-Zyklus, der sich im 24-Stunden-Takt mit einer Erdumdrehung gleichschaltet.

Halberg forschte darüber hinaus an vielen anderen wiederkehrenden Mustern, z. B. an wöchentlichen, monatlichen, jährlichen Zyklen oder Solarrhythmen. Er konzentrierte sich dabei besonders auf den Zusammenhang zwischen zeitlichen Perioden und dem Auftreten bestimmter Krankheiten.

Die Chronobiologie ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts in den wissenschaftlichen Fokus rückte. Das Fesselnde an ihr ist die Entdeckung der inneren Uhr, die für das hochkomplexe Zeitmanagement unserer Vitalfunktionen verantwortlich ist. Neben Franz Halberg gelten besonders Colin Pittendrigh von der Princeton University und Jürgen Aschoff vom Max-Planck-Institut Seewiesen als „Väter“ der inneren Uhr.

Der große Dirigent Herbert von Karajan ist einmal gefragt worden, was das Geheimnis seines Erfolgs sei. Er antwortete, er störe die Musik nicht. Was unsere Rund-um-die-Uhr-Gesellschaften tagtäglich tun, entspricht diesem Bild: Wir stören die Musik der inneren Uhr.

Fassen wir also zusammen: Der Körper konstruiert sich selbst einen inneren Tag und eine innere Nacht.

Bereits in den 1960er-Jahren wiesen die Pioniere der Chronobiologie in ihren Studien nach, dass das biologische Zeitmanagement von ca. 24 Stunden endogen, d. h. innerlich festgeschrieben, ist und nicht durch Umweltreize ausgelöst wird. Trotzdem justiert sich die Master Clock jeden Tag am Hell-dunkel-Zyklus, d.h. sie gleicht sich mit der Natur ab.

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