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Bärbel Mohr

Der Skeptiker
und der Guru

Auf dem Weg zur
eigenen Wahrheit

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Omega-Verlag ist ein Imprint der Verlag “Die Silberschnur” GmbH

Copyright der ersten Auflage © 1998 Omega-Verlag,

erschienen unter der ISBN: 978-3-930243-25-9

Copyright überarbeitete Auflage © 2017 Verlag “Die Silberschnur” GmbH

ISBN: 978-3-89845-544-2

eISBN: 978-3-89845-802-3

1. Auflage 2018

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung eines Motivs von © rickyovermind, www.fotolia.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim

www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

für

Jola und Amos

Inhalt

Vorbemerkung

Der Skeptiker und der Guru

Anhang

Über die Autorin

Vorbemerkung

Alle Personen in diesem Buch einschließlich des Gurus sind frei erfunden. Die Beschreibungen des Ashrams, des Gurus und seiner Anhänger basieren auf einer Mischung aus Fantasie und eigenen Erfahrungen mit einem ganzen Dutzend realer Ashrams, die für diese Geschichte bunt zusammengemischt und durch andere Erzählungen ergänzt wurden. Bitte daher NICHT erwarten, dass man irgendwo einen Ashram findet, in dem es genauso zugeht. Dies ist eine Art Märchen, okay?

Indienreisende sollten außerdem beachten, dass es IMMER von jedem selbst abhängt, was er in welchem Ashram erlebt oder nicht. Dass die Gurus einen eingebauten Radar für Skeptiker haben und deren Zweifel absichtlich bestätigen, gehört zu den Dingen, die hundertprozentig wahr sind! Aber auch wahr ist, dass viele von ihnen reihenweise “Beweise” für die Existenz übernatürlicher Kräfte abliefern, sobald man eine offene und dem Leben gegenüber dankbare Haltung einnehmen kann. Es ist quasi wie immer im Leben – die Wunder kommen zu dem, der offen, vorurteilsfrei und voller Vertrauen ist.

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Die letzten 30 Jahre habe ich ohne sentimentales Verliebtheitsgetue überlebt, und nach vulgärpsychologischer Einschätzung kann das nur an meiner versauten Kindheit liegen. Ich selbst hielt mich bisher einfach für nüchterner und weniger tüttelig romantisch als so manchen Zeitgenossen. Aber ich habe ihnen im Geiste bereits allen Abbitte geleistet, seit diese Frau in meinem Leben aufgetaucht ist und Samen in der “öden Wüste meines Geistes” gesät hat.

Elli, so heißt sie, hat mir Dimensionen in meinen Gefühlswelten eröffnet, von denen ich bisher noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Das geht so weit, dass ich mich gefragt habe, ob ich bisher so etwas wie eine “verlorene Seele” war und nun gerettet worden bin?! Das heißt, falls der Durchschnitt der Bevölkerung dieses Gefühl wirklich so viel besser kennt als ich, wie es zu sein scheint. Aber manchen Schlagertexten nach zu urteilen kennen sie es. Während ich mich die letzten 30 Jahre immer nur gefragt habe, wie ein Mensch es fertigbringt, einen derartigen sülzigen Schwachsinn zu verfassen, kann ich inzwischen mindestens die Hälfte davon verstehen. Es ist unglaublich, was einem alles für Gedanken kommen, wenn die Hormone verrücktspielen. Man erkennt sich selbst nicht wieder.

Man erkennt sich allerdings auch nicht wieder in dem, was man alles zu tun bereit ist, bloß um so einen Menschen nicht wieder zu verlieren. Die nüchterne Wahrheit ist die, dass Elli eine totale Esoterikerin ist und ich einer der letzten vernünftigen Menschen auf diesem Planeten, nämlich ein reiner Rationalist, wie sie solche Leute wie mich nennt.

Ganz zu Beginn unserer zunächst zufälligen Bekanntschaft habe ich den Esoteriker gespielt, um mich lustig über sie zu machen. Aber wie diese Esoteriker so sind, hat sie es nicht gemerkt, sondern war völlig entzückt über meine überzogenen spirituellen Märchen, an die ich angeblich alle glaube.

Es kam, wie es nach Meinung meines Freundes Udo kommen musste (auch so einer von diesen Esoterikern; ich glaube er tarnt sich mir gegenüber bisher zwar noch als schlimmstenfalls Halbesoteriker und halbwegs vernünftig, aber ich befürchte allmählich, dass er doch ein ganzer ist). Udo meinte, es sei eine Art universeller Strafe, dass ich mich so Hals über Kopf in Elli verliebt habe und mich nun nicht mehr traue, ihr die Wahrheit zu sagen, aus Angst, sie wieder zu verlieren.

Sie ist eine Anhängerin von irgend so einem indischen Guru, der sie ihrer Meinung nach “gerettet” hat, was immer das in diesem Fall heißen soll. Und natürlich wollte sie unbedingt, dass ich, als ihr neuer Freund, diesen ihren Lieblingsguru auch kennenlerne.

Und so sitze ich nun hier mitten in Indien in der Patsche. Die Anreise war heute Morgen. Einziger Trost: Morgen Abend kommt Udo nach. Ich werde ihm dafür ewig dankbar sein. Er meinte, in einem indischen Ashram wäre er noch nie gewesen, es würde ihn aber schon seit Jahren interessieren, zumindest mal einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Und so konnte ich ihn überreden mitzukommen, damit ich nicht ganz alleine unter lauter Irren bin.

Es ist bereits so grauenhaft, dass dieses Tagebuch bis morgen herhalten muss, bis Udo kommt und ich ihm alles erzählen kann. Aber was heißt eigentlich erzählen, er wird es ja dann sehen. Haha! Der Schlag wird ihn treffen. Wahrscheinlich zieht er sofort ins nächste Luxushotel. Aber ich, was mache ich? Wenn ich mich verrate, versage oder die Sache versaue, ist alles aus mit der Liebe meines Lebens!

Ich glaube inzwischen auch zu wissen, warum Elli überhaupt frei am Markt erhältlich war, sprich solo lebte. Sie ist auf mehr als eine Art weltfremd. Wahrscheinlich besteht der Deal darin, dass sie in unserer Beziehung meine Wüstenseele rettet, die bisher keine Liebe kannte, und ich muss den weltlichen Teil von ihr retten, der diesem Guru verfallen ist, was sie daran hindert, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Sehr lebenstüchtig ist sie nämlich nicht, und Geld verdient sie so gut wie keins – im Gegensatz zu mir. Das ist natürlich ein weiteres starkes Argument für einen Indienurlaub. Ein Tag Vollpension in so einem Ashram kostet genau 10 Euro. Allerdings fürchte ich zu ihren Ungunsten, dass das nicht der einzige Grund ist, warum sie unbedingt hierher wollte. Sie steht wirklich auf diesen Typen. Ich habe ihn zwar noch nicht gesehen, aber so wie alles andere hier ist, kann der Guru auch nur eine Katastrophe sein.

Es fängt damit an, dass er offenbar vollkommen launenhaft ist. Wir haben vom Flughafen aus angerufen, dass wir jetzt losfliegen und dass sie uns bitte einen Fahrer zur Abholung vom Flughafen schicken sollen, der uns in den richtigen Ashram bringt. Der Typ hat nämlich zwei davon, und sie liegen circa sechs Stunden Autofahrt auseinander. Da sollte man schon wissen, wo der Mann sich gerade aufhält.

Am Telefon hieß es dann: “Ja, alles klar, wir bleiben noch mindestens zwei Wochen hier, wo wir sind, Fahrer wird geschickt.”

Kaum kamen wir in Indien an, war der Fahrer auch schon da – immerhin. Allerdings hatte der Guru ein paar Stunden zuvor beschlossen, nun doch den Ashram zu wechseln. Es war allein unserem Glück zu verdanken, dass wir uns nun nicht auf eine stundenlange Fahrt in den falschen Ashram begaben, nur um dann gleich auf dem Absatz wieder kehrtzumachen, sondern dass der Fahrer gerade noch rechtzeitig von den neuen Plänen erfahren hatte.

Unser Glück auch, dass dieser Ashram, in den wir jetzt fuhren, größer ist als der andere. Denn obwohl wir ein Doppelzimmer reserviert hatten, hat uns der Typ am Telefon informiert – als wir wohlgemerkt schon am Abreiseflughafen waren –, dass nun leider doch kein Doppelzimmer mehr frei wäre, wir müssten in den Schlafsaal. Ich dachte, mich trifft gleich der Schlag. Umso weniger konnte ich es fassen, als meine Holde ganz gelassen meinte, so etwas könne vorkommen in Indien, die würden es da in vielen Dingen nicht so genau nehmen. Vom Doppelzimmer in den Schlafsaal umquartiert, und ihr macht es nichts aus! Ich habe ihre Ruhe bewundert, und in Gedanken sah ich zwei Wochen Zölibat vor mir. Wofür fahren wir denn eigentlich in Urlaub?

Aber das habe ich lieber nicht laut gefragt. Ich hatte da so ein warnendes Gefühl in der Magengegend. Sie wähnt mich schließlich als einen Verbündeten auf der spirituellen Suche, noch zumindest, aber in dem Punkt ist es an mir, sie vor diesem Quatsch zu retten.

Ich hatte mich also beruhigt und nahm es auch mit Gelassenheit, dass wir vor Ort nun doch in einen anderen Ashram gefahren wurden – immerhin verdankten wir dieser Tatsache, dass wir ein Doppelzimmer bekamen. Als ich das dachte, hatte ich allerdings die Zimmer noch nicht gesehen.

Laut Auskunft meiner Liebsten waren die Ashrams ihres Gurus viiiiel luxuriöser als die der meisten anderen Gurus. Es gebe richtige Zimmer, Duschen und Klos. Toll, ein zivilisierter Ashram also. Klang ungefährlich.

Als ich dann allerdings das Doppelzimmer sah, konnte ich es mal wieder nicht fassen: Es war ein vollkommen leeres Zimmer mit schmutzigem Steinboden, vereinzelten Bauschuttresten in den Ecken und fertig. Es war genau gar nichts in diesem Zimmer. Die Klos und Duschen gab es, all right, aber es waren Gemeinschaftsbadezimmer für alle (mit getrennten Kabinen, man ist hier schließlich in Indien, nicht dass womöglich wer wem was weggucken könnte). Und außerdem gab es nur kaltes Wasser. Allein wenn ich DAS gewusst hätte, wäre ich vermutlich nie mitgekommen.

Aber ich war vorhin – es ist ungefähr sieben Stunden her, seit ich das Zimmer zum ersten Mal sah – viel zu müde vom Flug und der langen Wartezeit am Umsteigeflughafen, als dass ich hätte protestieren können. In meinem Geiste stieg lediglich das Bild eines Luxushotels auf, das ich im Vorbeifahren gesehen hatte und in dem ich sicherlich früher oder später einchecken werde.

Zunächst begnügte ich mich damit, meine Koffer in die Ecke zu stellen, zwei hauchdünne Billigmatratzen aus dem Schlafsaal zu holen und mit meiner Liebsten einkaufen zu gehen. Schlafsack und Bettlaken hatten wir mit. Aber niemand hatte mir gesagt, dass es kein Kopfkissen geben würde. Also brauchte ich eins.

Mit Fassung habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Küche weder über Teller noch über Besteck oder Gläser verfügt. Vollpension bedeutet im indischen Ashram offenbar, dass jemand ein paar Tröge irgendwo auf den Boden stellt, denn es gibt weder Tische noch Stühle, und Geschirr eben auch nicht. Dafür hat man die hohe Ehre und Freude, sein Zimmer bei Ankunft selbst putzen zu dürfen (falls man seine Sachen nicht auf dem Dreck der Vorgänger ausbreiten will).

Putzzeug gibt es natürlich auch keins, aber das kann man ja mit dem Besteck gleich mitkaufen, genauso wie die Wäscheleinen, Handtücher, das Klopapier und die Plastiktüten.

Plastiktüten? Ja, Plastiktüten. Die Abwasserrohre in Indien sind nämlich ungefähr so dick wie anderswo der normale Wasserhahn. Das will heißen: Ein Fitzelchen Papier im Klo, und der Klempner muss kommen wegen Überschwemmung, verursacht durch Verstopfung.

Und da es ja hier gar nichts gibt, gibt es auch kein Klopapier und nichts, wo man das Klopapier hineintun könnte. Meine Freundin gedenkt offenbar die nächsten zwei Wochen jeweils mit einer Klopapierrolle und einer Plastiktüte unter dem Arm zur Toilette zu rennen, das gebrauchte Klopapier brav in die Tüte zu befördern und selbige dann als eine Art spezielles Beduftungssystem im Zimmer zu deponieren, bis die Tüte voll ist und in den großen Hausmüll geworfen werden kann.

Die Tüte auf dem Klo zu lassen ist leider nicht möglich, weil es aufgrund der Größe des Ashrams sehr viele Klos gibt und man ja nie weiß, welches frei sein wird, wenn man kommt. Und die anderen Ashram-Besucher benutzen seltsamerweise kein Toilettenpapier. Scheinbar betrachten sie das Senken des Reinlichkeitsstandards als eine Art Höflichkeit gegenüber dem Gastgeberland.

Ich bin immer noch vollkommen fertig mit den Nerven, aber vor lauter Müdigkeit zunehmend wurstiger. Ich werfe mich jetzt auf die Matratze, jene hauchdünne, und versuche eine Runde zu schlafen. Morgen früh um 6 Uhr findet die erste Meditation statt – und ach ja, hatte ich das schon erwähnt? Man ist ja hier nicht freiwillig zu Besuch, die Teilnahme an der nächtlichen Meditation ist daher Pflicht. Man wird ansonsten gebeten, den Ashram wieder zu verlassen. Aber wer wird denn überhaupt an so etwas denken, schließlich sind wir doch deswegen hier, nicht wahr?

Ich werfe noch einen kurzen Blick aus dem Fenster und winke schon mal rüber zum Luxushotel. Ich bin sicher, wenn ich wieder klar im Kopf bin, fällt mir ein sehr guter Grund ein, dort hinüber zu ziehen. Vielleicht ist meine Holde ja gar nicht so ärgerlich, wie ich im Moment befürchte. Sie hat einfach nicht das Geld, sich so einen Schuppen zu leisten. Wahrscheinlich ist sie mir sogar tierisch dankbar, wenn ich ihr mal ein echtes Luxushotel ermögliche – und sei es diesmal auch nur ein indisches. Mit einem deutschen wird es vermutlich nicht zu vergleichen sein.

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Liebes Tagebuch!

Wie glücklich bin ich, wieder hier in Sarajis Ashram zu sein. Und wie besonders dankbar bin ich, dem Guru diesmal meinen neuen Freund Ralf vorstellen zu können. Vor einem Jahr hatte ich Saraji beim Darshan um einen neuen Partner gebeten. Er hatte gesagt, zum richtigen Zeitpunkt werde sich alles fügen.

Vor drei Monaten war es soweit. Ich traf Ralf auf der Party meiner vollkommen rationalistischen Kollegin Renate. Zusammen mit meiner Freundin Ingrid geriet ich mit einigen Skeptikern in ein richtiges Streitgespräch. Zum Glück kam Ralf uns retten. Ich war wirklich erstaunt, wie klar er bei diesen spöttischen Kommentaren zu seinen spirituellen Interessen stand und die anderen durch sein überzeugendes Auftreten regelrecht zum Schweigen brachte.

Zufälligerweise – beziehungsweise ich bin mir sicher, dass in Wahrheit Saraji die Dinge so arrangiert hat – war ich danach diejenige, die einen Auftrag für Ralfs Firma nachbearbeiten musste, und so lernten wir uns näher kennen.

Ralf hat manchmal einen etwas trockenen Unterton, aber er muss sich auch sehr alleine fühlen als Esoteriker in einem Software-Unternehmen, auch wenn er derjenige ist, dem es gehört. Aber ich vermute ganz stark, seine Angestellten sagen ihm nicht immer ganz ehrlich, was sie von seinen spirituellen Interessen halten. Er glaubt sowieso, dass sie es gar nicht wissen, aber das bezweifle ich. Irgendwas sickert doch meistens durch.

Ich bin nur Teilzeitsekretärin bei einem Drucker, aber als Ralf unserem Haus neulich einen Druckauftrag erteilte, gab es Probleme, und ich musste die Reklamationen bearbeiten – zum Glück. Ralf war bei allen berechtigten Beschwerden, die er hatte, sehr, sehr höflich und unterhielt sich mit mir über spirituelle Dinge, anstatt sich über die Pannen in unserem Haus zu beklagen. Er war sehr verständnisvoll.

Der Funke sprang dann bei einem Ausflug an einen nahegelegenen See so richtig über. Es gab einen Moment, in dem Ralf und ich uns einfach nur ansahen. Ich hatte ein Gefühl von einer solchen Vertrautheit, dass es mir einfach die Sprache verschlug. Ihm ging es genauso, und wir sahen uns minutenlang einfach nur in die Augen.

Plötzlich waren seine Augen keine normalen Augen mehr, sondern es war, als wären sie Fenster ins Universum, die nur für mich gemacht sind. Es war, als würde ich durch ihn ins All und zum Anbeginn aller Schöpfung sehen können. Genaugenommen, das fällt mir gerade so auf, war es einer der spirituellsten Momente meines Lebens. Kein anderes Erlebnis reicht vom Gefühl an dieses heran.

Ralf ging es genauso, und seit diesem Moment ist einfach klar, dass wir einen gemeinsamen Weg gehen wollen. Wir haben nicht gleich darüber gesprochen. Wir waren einfach zu befangen und wollten diesen kosmischen Moment auch nicht mit Worten schmälern. Dieses Erlebnis in Worte zu kleiden wäre so gewesen, als wollte man die Rocky Mountains in ihrem schönsten Licht als Strichzeichnung mit zwei kurzen Zickzacklinien darstellen. So eine Darstellung hat mit dem Original einfach wenig zu tun. So ging es uns auch mit diesem Moment. Worte hätten ihn nur beleidigen können.

Aber ab diesem Tag wussten wir, was wir wussten, und jedem von uns war klar, dass der andere es auch gespürt und gesehen hatte. Ganz gemütlich und genüsslich ließen wir eine Beziehung daraus entstehen und taten nur so, als wäre es nicht sowieso schon klar.

Die Krönung unserer frischen Beziehung ist nun unsere gemeinsame Reise zu Saraji, denn ich bin sicher, er ist es, dem wir unser Zusammentreffen zu verdanken haben.

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Es ist immer noch unser Ankunftstag, und Saraji – so nennen sie ihn hier alle, und ich habe Grund zu der Annahme, dass dieser einfältig klingende Name ziemlich passend sein könnte – ist noch nicht auf der Bildfläche aufgetaucht. Da ist er zwar schon, aber er weilt im Heiligtum, wie man mich wissen ließ.

Oh cool, der Ashram hat einen eigenen Tempel, sagte ich gleich interessiert. Ich stellte mir vor, es könnte sich um ein architektonisch interessantes Bauwerk handeln.

Aber wie konnte ich bei aller bisher gesichteten Schlichtheit auch nur so naiv sein? Natürlich gibt es keinen Tempel. Saraji bewohnt zwei Zimmer in seinem Ashram, und weil er da wohnt, sind die Räume automatisch heilig. Dass er sich im Heiligtum befindet, heißt auf gut Deutsch, er hängt vermutlich mit Bier und indischen Sweets vor der Glotze.

Dass er einen für Indien außergewöhnlich modernen Satellitenempfänger hat, da bin ich mir ziemlich sicher. Elli, meine neue Freundin, wollte nämlich genauso wie alle anderen Anhänger Sarajis “in Stille um das Heiligtum schreiten”. Sie nennen es eine spirituelle Übung, aber die Wahrheit ist schlicht und ergreifend die, dass sie es alle nervlich überhaupt nicht packen, wenn sie ihrem Guru nicht die Füße küssen können, weil er seine Ruhe haben will und sich verschanzt. Meditieren und früh aufstehen lässt er sie nämlich alleine – man höre und staune. Er schläft geruhsam aus und lässt sich immer dann blicken, wenn ihm mal der Sinn danach stehen sollte.

Die Devotees ihrerseits, wie sie sich gerne nennen (zu Deutsch: abgedrehte Anhänger) marschieren brav zu allen Meditationen, denn sonst fliegen sie ja raus aus dem Ashram. Dann gibt es noch die Mahlzeiten, und den Rest des Tages wartet man darauf, ob der Guru sich blicken lässt und man die supergigantische Ehre hat, sein erhabenes Konterfei persönlich anschauen zu dürfen.

Wenn man nicht darf, so wie heute, dann wandert man ums Haus, in Stille selbstverständlich, um ihn nicht beim Fernsehen zu stören. Dadurch hat man die selige Gewissheit, zumindest nur ein paar Meter von seinem physischen Körper entfernt gewesen zu sein. Falls man dabei nicht gleich in Trance verfällt und Visionen hat -und ich mache hier keine Scherze, manch einer bildet sich das ein, der Glaube versetzt offensichtlich Berge –, geht man dann irgendwann gegen Mitternacht schlafen, damit man zur Morgenmeditation um 6 Uhr (!) wieder fit ist. Ich habe mich geweigert, gleich am ersten Tag so früh aufzustehen, nach der langen Reise habe ich ein Recht auf Ausschlafen, und als solches habe ich es Elli auch verkauft. Übermorgen sehen wir weiter.

Im Moment hält mich ein Lachkrampf wach, weshalb ich noch nicht schlafe, sondern diese Eindrücke auch noch kurz notiere: Saraji lebt nicht ganz so schlicht wie seine Anhänger. Was ich da nämlich gesehen habe, unter zwei Planen in einer Ecke des dunklen Hofes versteckt, ist ein fetter Mercedes. Ob man den zur Erleuchtung braucht?!

Damit habe ich Elli gegenüber schon einen Trumpf in der Hand. Sie hat ihn offenbar nicht registriert, als sie in heiliger Andacht ums Haus schlich. Ihr angebeteter Guru im supermodernen Mercedes! Oh, oh, ob du da nicht den Falschen anhimmelst, liebe Elli?!

Unklar ist mir bisher nur, woher er bei 10 Euro Vollpension pro Kopf und Nacht das Geld dafür nimmt, aber diese dunklen Kanäle werde ich sicherlich auch noch aufdecken.

Ach ja, bei einem dieser Rundgänge habe ich jedenfalls auch den Umriss von etwas Großem und Runden hinter dem Vorhang gesehen. Es hatte verdammt genau die Größe einer Satellitenschüssel, weshalb meine Wette die ist, dass Saraji das Fernsehprogramm heute spannender fand als die ganzen anhimmelnden alten Tanten.

Es sind zwar überraschenderweise auch ein paar Männer dabei, und nicht alle Tanten sind alt, aber die meisten. Wahrscheinlich seit Jahrzehnten solo, und nur noch Saraji tröstet sie. Aber vor diesem Schicksal werde ich meine Elli ja nun zum Glück bewahren.

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Gestern Abend gab es die Gelegenheit, den Ashram zu umschreiten. Ich liebe diese kleine Zeremonie, bei der ich die Atmosphäre des Ashrams ganz in mich aufnehmen kann. Es war wie eine Einstimmung und Vorbereitung auf die hohen Energien Sarajis.

Ralf schien erst etwas befangen zu sein, aber er kannte ja auch die Gepflogenheiten in einem Ashram noch nicht. Er ging dann aber doch gemeinsam mit mir und allen anderen um das Gebäude. Wenn man die Wohnräume Sarajis passiert, erfordert alleine schon der Respekt es, schweigend daran vorbeizugehen. Der zweite Grund ist natürlich der, dass man sich viel besser auf die Energien einstimmen kann, wenn man nicht so viel plappert.

Etwa bei der dritten Runde bekam ich einen kleinen Schock, als ich unter einer Plane im Hof versteckt etwas sah, das aussah wie eine Luxuslimousine. Mein Saraji kauft sich Luxusautos? Und ich hatte immer gedacht, er sei anders als die anderen Gurus und würde alles den Armen spenden.

Ralf schien nichts bemerkt zu haben, oder aber es bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Kurz überlegte ich, ob ich meinem Schrecken Luft machen und mich mit Ralf darüber unterhalten sollte, aber dann erinnerte ich mich an Sarajis Worte, dass man besser den Mund hält, wenn man nichts Gutes über jemanden zu berichten weiß. Man schafft sich damit nur schlechtes Karma. Das ist umso schlimmer, je reiner die Seele ist, über die man schlecht spricht. Es ist daher keine gute Idee, über einen Heiligen wie Saraji schlecht zu reden.

Also sagte ich nichts, aber in Gedanken bat ich Saraji um eine Erklärung. Bereits eine Runde später schämte ich mich wegen meines kleinlichen Misstrauens, denn Saraji erhörte meine Frage und schickte mir bereits die Antwort. Wenn wir unser Bestes geben und unsere Sünden unter Kontrolle halten, dann folgt darauf sofort eine positive Antwort von Gott, sagt Saraji. Im täglichen Leben dauern die Antworten natürlich meist länger, aber in der Gegenwart eines Heiligen verwirklichen sie sich sehr schnell.

Meine Antwort lief eine Runde später bereits hinter mir her. Es war eine Frau, die seit vier Jahren fest im Ashram lebt, und als wir an Sarajis Hof vorbeikamen, flüsterte sie mir stolz ins Ohr: “Siehst du da hinten den Wagen unter der Plane? Den hat Saraji letzte Woche von Bertram zum Geburtstag geschenkt bekommen. Bertram, das ist der mit der beigen Robe.”

Was war ich froh. Froh über die Antwort und darüber, dass Saraji meine Frage gehört und so lieb gleich eine Antwort geschickt hatte. Ganz gut auch, dass Ralf gerade etwas hinter mir zurückgeblieben war.

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Es gibt einen Buchladen hier. Allerdings ist es anscheinend ebenfalls eine Art Ehre, diesen betreten zu dürfen, denn von regelmäßigen Öffnungszeiten kann keine Rede sein. Wer ein Buch haben will, ist gezwungen, permanent aus dem Fenster zu schauen oder am Laden vorbeizugehen, in der Hoffnung, dass irgendwann zufällig mal einer da ist.

Ich war hartnäckig genug und konnte den Fuß gerade noch rechtzeitig in die Tür klemmen, bevor er nach fünfminütiger Öffnungszeit gerade wieder schließen wollte. Ich habe alle Bücher gekauft, die es von oder über Saraji gibt. Die Lage erfordert fundierte Grundkenntnisse, um die Gefahren besser einschätzen zu können. Auch brauche ich Argumentationsgrundlagen, wenn es darum geht, Elli die Augen zu öffnen.

Fast hätte ich ein schlechtes Gewissen bekommen, als ich ihre strahlenden Augen sah, weil ich all die Bücher gekauft habe. Sie hat es mir als rührseliges Interesse an ihrem Saraji ausgelegt.

Leider muss ich sagen, die Investition hat sich mehr als gelohnt, und die Situation ist offenbar noch schlimmer, als zunächst befürchtet. Die Bücher wären ein gefundenes Fressen für eine deutsche Sektenberatungsstelle. Der Typ hält sich für Gott! Ohne Witz und ganz im Ernst – er glaubt, er ist Gott. Und ich bin Napoleon. In Deutschland könnten wir uns vielleicht ein Zimmer in einer psychiatrischen Anstalt teilen. Hier hat er einen Ashram und wird angebetet. Halleluja. Wenn sich das in deutschen Klapsmühlen herumspräche, gäbe es mit Sicherheit bald eine Ashram-Schwemme in Indien – und der deutsche Staat könnte sich die Unterbringungskosten für einen Haufen “Götter” sparen.

Da Saraji ja Gott ist, lässt er seine Anhänger wissen, dass es eine große Sünde wäre, ihm nicht zuzuhören. Mir schwebt ein entsprechendes Schild in den Räumen der Anstalten in Deutschland vor: “Die Insassen dieser Klinik zahlen allesamt hohe Preise für ihren Aufenthalt hier. Es ist daher angemessen, ihnen niemals ins Wort zu fallen und sich alles bis zu Ende anzuhören.”

Unser Guru hier ist der Meinung, dass die Worte Gottes etwas Besonderes sind, und daher sei es eine Verschwendung der Energie Gottes, ihm nicht genau zuzuhören.

Der Mann ist eine echte Fundgrube für eine psychiatrische Studie. Er hebt jedes Gleichgewicht in zwischenmenschlichen Kommunikationen einfach auf, indem er verfügt, dass ihm alle bedingungslos zuzuhören haben, denn er ist ja Gott. Dumm ist er auf jeden Fall nicht, den Verdacht muss ich revidieren. Er empfiehlt nämlich obendrein, dass jeder seine Worte notieren solle, damit die Weisheiten Gottes nicht verloren gehen. Und wenn man sie nicht gleich verstehe – er ist wirklich ein ganz Schlauer – dann läge das daran, dass man sich noch nicht auf der entsprechenden Entwicklungsstufe befände. Man solle die Aufzeichnungen sorgfältig aufbewahren und in Ehren halten und alle Jahre wieder durchlesen. Zum richtigen Zeitpunkt würden sie dem Anhänger dann ihren wahren Sinn enthüllen. Na, bravo!

Hinweis Nummer zwei auf eine Sektentätigkeit: Er rät den Anhängern dringend davon ab, auch noch andere Gurus und Heilige aufzusuchen. Man solle sich einen Lehrer suchen, dem man voll vertraue, und dann bei diesem bleiben und sich ihm ganz hingeben.

Das kann ich mir vorstellen, dass ihm das schmecken würde, wenn keiner mehr vergleicht. Es könnte ja einer merken, dass er einen an der Waffel hat. Ohne Vergleich wird das sofort schwieriger.

Kritiklos alles nachplappern, denn er ist ja Gott, und alles selbstständige Denken einstellen – das ist die Botschaft seiner Bücher, na bitte, das zusammen mit dem teuren Auto, und die Beweiskette ist komplett. Der Typ ist ein ganz gewöhnlicher Hochstapler, noch nicht einmal ein besonders kreativer. Ich frage mich, wie Elli bloß auf so einen hereinfallen konnte.

Am besten, ich lasse die Bücher an den betreffenden Stellen aufgeschlagen im Zimmer herumliegen. Vielleicht wirft sie einen Blick hinein und merkt es selbst.

Das Nächste, was ansteht, ist, den Guru endlich einmal live in Aktion zu erleben. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn schon vor mir, wie er mit weihevoll schmachtender Stimme seine Fans einlullt, ihnen tief in die Augen blickt und irgendeinen Schmarren über ihre verlorenen Seelen erzählt, die nur er retten kann.

Udo hat angerufen, dass er noch einen Auftrag beenden und den Flug verschieben musste. Er kann daher leider heute noch nicht ankommen. Je kürzer er kommt, desto besser für ihn. Ich hielt es für meine Pflicht, ihn am Telefon zu warnen und nicht ins offene Messer rennen zu lassen. Aber er lachte nur und meinte, er wäre Campingurlaub gewöhnt, er wolle trotzdem kommen. Mir kann es nur recht sein, ich werde viel Trost aus seiner Anwesenheit ziehen.

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Ralf hat mir ein Buch geliehen, das er sich über Saraji gekauft hat. Er ist wirklich so süß! Er hat sich gleich alle Bücher gekauft, die es gab, und forstet sie nun in einem irren Tempo durch, total gierig auf alle Informationen über unseren Saraji. Dabei hat er ihn bisher noch gar nicht selbst erlebt und wollte trotzdem schon alle Bücher über ihn haben. Wahrscheinlich hat er gleich die besondere Energie im Ashram gespürt und wusste einfach, dass ihm die Bücher gefallen würden.

Saraji sagt so wunderbare Sachen. Es ist wirklich ein Geschenk, hier sein zu dürfen. Zwar sind die Dinge, die er sagt, meist auch nicht ganz neu für mich, aber man spürt einfach, dass er eine direkte Inkarnation Gottes ist, wie er uns immer sagt. Denn was auch immer er sagt, es hallt das ganze Jahr in mir nach. Es ist, als würden die Worte lebendig werden, alleine dadurch, dass Saraji sie ausspricht. Sie sind dann nicht nur bloße Worte, sondern wie Wesen, die mit mir kommunizieren und mich auf eine ganz eigene Art berühren.

In dem Buch, das ich mir von Ralf geliehen habe, erklärt Saraji, warum es keinen Sinn hat, Gotteserfahrungen über Drogen zu suchen. Ich habe für mich immer gewusst, dass mich das nicht anspricht, aber ich fand die Argumente der Anhänger von bewusstseinsverändernden Stoffen eigentlich auch nicht so falsch. Ich konnte sie schon nachvollziehen, sie fühlten sich nur nicht richtig für mich an.