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ISBN 978 3 8006 5774-2
© 2018 Verlag Franz Vahlen GmbH,
Wilhelmstraße 9, 80801 München
Satz: PDF-Datei des Autors
E-Book‐Produktion: Datagroup int. SRL,
www.datagroup.ro
Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.
Vorwort
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Teil 1 OKRs in Aktion
1. Google trifft auf die OKRs
2. Der Vater der OKRs
Unsere Management by Objectives-Vorfahren
Messung des Outputs
Intels Lebenselixier
Andy Grove, die OKR-Verkörperung
Andy Groves Vermächtnis
3. „Operation Crush”: Eine Intel-Geschichte
Intels Dringlichkeit
Auf der Stelle kehrtmachen
Das übergeordnete Wohl
4. Erfolgsfaktor 1: Fokussieren und sich zu Prioritäten verpflichten
Zu Beginn . . .
Mit Klarheit kommunizieren
Key Results hegen und pflegen
Was, wie, wann
Key Results koppeln
Das Perfekte und das Gute
Weniger ist mehr
5. Fokussieren: Die Geschichte von Remind
Twitter für die Bildung
Wachstum mit knappen Mitteln
Ziele für das Wachstum
Ein OKR-Vermächtnis
86. Selbstverpflichtung: Die Nuna-Geschichte
7. Erfolgsfaktor 2: Ausrichten und verbinden für Teamarbeit
Gleicher Meinung
Der große Wasserfall
Die Sand Hill Unicorns: Fantasie-Football
Von unten herauf!
Funktionsübergreifende Koordination
8. Ausrichten: Die MyFitnessPal-Geschichte
Teamübergreifende Integration
Ungeklärte Abhängigkeiten, wie sie im Buche stehen
Ausrichtung
9. Verbinden: Die Intuit-Geschichte
Echtzeitdaten aus der Cloud
Ein Werkzeug für globale Zusammenarbeit
Horizontale Verbindungen
10. Erfolgsfaktor 3: Verfolgen der Verantwortlichkeit
Das Aufsetzen
Der OKR-Kümmerer
Statusüberprüfungen
Zusammenfassung: die Endlosschleife
11. Verfolgen: Die Gates Foundation-Geschichte
Ziele konkretisieren
12. Erfolgsfaktor 4: Nach den Sternen greifen
Unser Bedürfnis nach Herausforderung
Verzehnfachung
Anspruchsvolle Kennzahlen
13. (Sich) Fordern: Die Google Chrome-Geschichte
Die neue Anwendungsplattform
Einen Browser neu denken
Das Ziel steigern
Tiefer graben
Versuchen und scheitern, versuchen und gewinnen
Die nächste Grenze
914. (Sich) fordern: Die YouTube-Geschichte
Wenn man sie nicht schlagen kann ...
Große Steine
Eine geeignetere Messgröße
Achten Sie auf die Zeit und nur auf die Zeit
Eine große runde Zahl
Herausforderung als Prinzip
In Fahrt kommen
Gegenseitige Unterstützung
Größer Denken
Teil 2 Die neue Arbeitswelt
15. Kontinuierliches Performance Management: OKRs und CFRs
HR neu erfinden
Einvernehmliche Trennung
Einzelgespräche
Feedback
Anerkennung
16. Abschaffung von jährlichen Mitarbeitergesprächen: Die Adobe-Geschichte
17. Jeden Tag besser backen: Die Geschichte von Zume Pizza
Erreichen, was real ist
Bessere Disziplin
Stärkeres Engagement
Stärkere Transparenz
Stärkere Teamarbeit
Bessere Mitarbeitergespräche
Bessere Kultur
Bessere Führungskräfte
18. Kultur
19. Kulturwandel: Die Lumeris-Geschichte
HR-Transformation
Wiederauferstehung der OKRs
Transparenz ohne Urteile
Verfehlte Ziele verkaufen
1020. Kulturwandel: Bonos ONE-Kampagne
Die Wahl unserer Kämpfe
Mit OKRs aufwachsen
Der Wendepunkt
Leidenschaft messen
Ein OKR-Gerüst
21. Die nächsten Ziele
Widmung
Ressourcen
Ressource 1: Googles OKR-Leitbild
Ressource 2: Ein typischer OKR-Zyklus
Ressource 3: Mitarbeitergespräche
Ressource 4: Kurz zusammengefasst
Ressource 5: Literaturhinweise
Danksagungen
Quellenverzeichnis
Register
4„Dieses Buch führt Sie hinter die Kulissen,
um Intels leistungsstarkes OKR-System zu verstehen –
eines der größten Vermächtnisse von Andy Grove.“
Gordon Moore,
Mitbegründer und ehemaliger Chairman von Intel
5Für Ann, Mary und Esther
und dem Wunder ihrer bedingungslosen Liebe
"In diesem unverzichtbaren Buch gibt uns einer der bedeutendsten Risikokapitalgeber unserer Zeit einen Schlüssel für unternehmerische Innovation und Erfolg in die Hand. Es kombiniert faszinierende Fallstudien mit aufschlussreichen persönlichen Geschichten, um zu zeigen, wie OKRs Organisationen jeder Größe geradezu magisch machen können."
Walter Isaacson, Autor der Biografie "Steve Jobs"
1999 investierte John Doerr 12 Millionen Dollar in ein Start-up, das von einer faszinierenden Technologie, hoher Energie der Gründer und noch höheren Ambitionen angetrieben wurde - aber keinen strukturierten Steuerungsansatz hatte. Doerr machte damals die Gründer mit OKRs bekannt, die sie zum Fundament ihres Managements erklärten. Der Rest ist Geschichte - die von Google.
Dieses Buch stellt Ihnen das OKR-System vor, ein Musterbeispiel gelungener Managementinnovation, die hinter der Entwicklung von Intel, Google, Amazon, der Gates Foundation oder Adobe steht. Es geht um Zielsetzung, Priorisierung und konsequente Umsetzung im Alltag von Unternehmen oder Nonprofits.
OKRs definieren quantitative Ziele beim Sprung in eine andere Dimension. Sie stellen sicher, alle Aktivitäten auf die gleichen, wichtigsten Ziele innerhalb der gesamten Organisation zu fokussieren. Sie unterstützen Führungskräfte dabei, ihre Organisation konsequent auf die Zielerreichung auszurichten. Sie verbinden die Sorgfalt und den Rhythmus eines Konzerns mit einem einfachen, flexiblen Instrument. Und sie formalisieren Reflexion, denn mindestens einmal im Quartal zwingen sie die Mitarbeiter dazu, einen Schritt zurückzutreten und an einem ruhigen Ort zu überlegen, wie ihre Entscheidungen und Aktivitäten mit dem Unternehmen übereinstimmen. Die Menschen beginnen, in einer Makroperspektive zu denken. Sie werden pointierter und präziser.
Dieses Buch erklärt das Konzept der OKRs anhand von Geschichten. Zusammen zeigen sie die Bandbreite sowie das Potenzial der strukturierten Zielsetzung und des kontinuierlichen Performance Managements - und wie sie die Art unserer Arbeit transformieren können.
John Doerr kam 1980 zum Venture Capital-Unternehmen Kleiner Perkins Caufield & Byers und hat seitdem in einige der weltweit erfolgreichsten Unternehmen, wie Google, Zynga und Amazon, investiert. Es ist Mitglied im Board von Google, Zynga und Amyris und leitet auch das Investment von KPCB bei Twitter. John Doerr ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und war während der Präsidentschaft von Barack Obama Mitglied im Council on Jobs and Competitiveness.
Larry Page
Alphabet-CEO und
Mitgründer von Google
Ich wünschte, ich hätte dieses Buch vor 19 Jahren bei der Gründung von Google gehabt. Oder sogar noch früher, als ich nur mich selbst zu managen hatte! So sehr ich Prozesse auch hasse: Es ist die Verbindung von guten Ideen mit der konsequenten Umsetzung, die Großartiges entstehen lässt. Und genau da setzen OKRs an.
Eines Tages, irgendwann im Jahr 1999, erschien John Doerr bei uns und hielt einen Vortrag über Objectives & Key Results(OKRs) und darüber, wie wir das Unternehmen, basierend auf seinen Erfahrungen bei Intel, führen sollten. Wir wussten, dass Intel gut geführt wurde, und Johns Ausführungen ergaben auf Anhieb Sinn – daher entschlossen wir uns, dem Ganzen eine Chance zu geben. Ich denke, der Plan ist für uns ganz gut aufgegangen.
OKRs sind ein einfacher Ansatz, der dabei hilft, eine Organisation voranzutreiben. Wir haben das OKR-Konzept seit damals weiterentwickelt, bis es für uns 12gepasst hat und wie wir es nun seit Jahren bei Google einsetzen … Nehmen Sie es als einen Entwurf und passen Sie es auf Ihre Bedürfnisse an!
Larry Page und John Doerr, 2014.
OKRs geben Führungskräften einen tiefgreifenden Einblick in eine Organisation. Zudem ermöglichen sie den Beteiligten, einen Schritt zurückzutreten und die Herausforderung aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ein Beispiel: „Weshalb können Nutzer ein Video auf YouTube nicht unmittelbar hochladen? Ist das nicht viel wichtiger als dieses andere Ziel, das Sie im nächsten Quartal umzusetzen planen?“
Sehr gerne schließe ich mich Johns Würdigung des Lebenswerkes von Bill Campbell im Schlusswort dieses Buches an. Bill war ein fantastischer, warmherziger Mensch, der die Begabung hatte, so gut wie immer richtig zu liegen – vor allem was Menschen anbelangte. Er hat sich nie davor gescheut, jemandem zusagen, wie viel „Mist er laberte“, und dennoch mochten ihn irgendwie alle. Ich vermisse Bills wöchentliche Tiraden sehr. Mögen alle einen Bill Campbell in ihrem Leben haben – oder sogar bestrebt sein, selbst ein bisschen mehr wie der „Coach“ zu sein.
Ich schreibe nicht viele Vorwörter. Aber ich habe mich bereit erklärt, dieses eine zu schreiben, weil John Doerr Google vor all den Jahren ein enormes Geschenk gemacht hat. OKRs haben uns zu zehnfachem Wachstum verholfen – immer wieder. Sie haben uns dabei geholfen, die aberwitzige und mutige Mission, die „Informationen der Welt zu organisieren“, vielleicht sogar erreichbar zu machen. Sie haben mich und den Rest der Organisation zeitlich und inhaltlich auf Kurs gehalten, wenn es am wichtigsten war. Und ich möchte dazu beitragen, dass die Menschen davon erfahren.
Prof. Dr. Klaus Möller
Universität St. Gallen
Mit diesem Buch halten Sie die Anleitung für kennzahlengestützte Führung im 21. Jahrhundert in den Händen. Damit sind OKRs (Objectives & Key Results) die neue BSC (Balanced Scorecard) – eine mächtige Entwicklung und der Trend für die Unternehmenssteuerung der nächsten 25 Jahre (so alt ist die BSC gerade). Das sind kräftige Statements, die ich im Folgenden kurz begründen und Ihnen damit das Lesen dieses Buches empfehlen möchte:
Was zeichnet eine erfolgreiche Management-Innovation aus? Einfachheit, Anpassbarkeit, Aktualität! Die Idee muss so einfach sein, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit vermitteln lässt. Nur so kann man alle Ebenen im Unternehmen schnell und umfassend erreichen. Anpassbarkeit: Das Grundgerüst muss einfach sein und gleichzeitig Individualisierungen erlauben. Nur dann kann eine breite Nutzung und damit Skalierung der Neuerung erreicht werden. Aktualität: einerseits, indem das Konzept veraltete Paradigmen infrage stellt, und andererseits, indem es aktuelle Entwicklungen aufnimmt. Bei der BSC war alles erfüllt: Simples Konzept mit vier Perspektiven und einer überschaubaren Anzahl Kennzahlen („twenty is plenty“); hochflexibel; eine Gegenbewegung zur rein finanziellen Orientierung und eine Anregung für eine strukturierte Landkarte der Leistungsentfaltung (Strategy Map). Die Anforderungen sind für die OKRs genauso erfüllt, dazu später mehr. Gary Hamel schreibt in seinem Besteller „The Future of Management“, dass eine erfolgreiche Managementinnovation der stärkste Differenzierungs- und damit gleichzeitig Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ist. Stärker als Produkte oder Prozesse. Wenn für dieses Buch Larry Page von Alphabet/Google das Vorwort schreibt und die Beispiele ausnahmslos von extrem erfolgreichen Unternehmen stammen, könnte ein solcher Schluss auch für das disruptive Potenzial von OKRs naheliegen.
Als Forscher bin ich immer auf der Suche nach Neuem. Als Hochschullehrer bin ich immer auf der Suche nach guten, einfach vermittelbaren Konzepten. Als Berater bin ich immer auf der Suche nach wirksamer Veränderung. Mit OKRs 14kam ich in Berührung durch meine Forschungen darüber, was schnell wachsende Unternehmen wie Google, ebay oder Apple in ihren Steuerungssystemen anders machen. In Publikationen tauchten die drei Buchstaben OKR auf, und ich ging dem Thema nach. Ich las darüber, ich sprach mit Unternehmen, und ich war im Silicon Valley. Seit 2016 hielt ich regelmäßig Vorträge und Weiterbildungen zum Konzept, forschte und publizierte dazu. Gemeinsam mit Dr. Tobias Flinspach, Mitübersetzer dieses Buches und erfahrener Unternehmensberater, konnten wir auch in der Praxis immer mehr Unternehmen für den Einsatz von OKRs gewinnen und sammelten Erfahrungen und Expertise in der Anwendung – mit stetig wachsendem Erfolg. Die Übersetzung der „Betriebsanleitung“ von einem der profiliertesten Protagonisten der OKRs liegt damit nahe.
Vor etwa 20 Jahren war ich während meines Doktorats bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth an der Übersetzung der „Balanced Scorecard“ von Robert Kaplan beteiligt und konnte den Hype um diese große Managementinnovation miterleben und mitbegleiten. Für mich stehen OKRs auf der gleichen Stufe und am Beginn einer ähnlichen Erfolgsgeschichte.
Insofern nochmal kurz zurück zu den Erfolgsfaktoren für Managementinnovationen: OKRs sind einfach. Es ist ein strukturierter Prozess der Zielsetzung und -verfolgung, bei dem die Beantwortung von zwei Fragen im Mittelpunkt steht: „Was wollen wir erreichen?“ (Objectives) und „Wie können wir messen, dass wir das Ziel erreicht haben?“ (Key Results). Zentral sind dabei die Prinzipien Fokus, Ambition, vollständige Transparenz der OKRs vertikal und horizontal in der gesamten Organisation, partizipative Erarbeitung, konsequente Zuordnung von Verantwortlichkeit und Bewertung der Zielerreichung, Trennung von Vergütungssystemen und Fokus auf Lernen. OKRs sind anpassbar: Das System lässt sich je nach Bedarf von täglich zu quartalsweise, vom Start-up bis zum Weltkonzern, vom Whiteboard bis zur eigenen Software anpassen und skalieren. OKRs treffen den Nerv der Zeit: In einer VUCA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Uneindeutigkeit) versagt der klassische Command-and-Control-Ansatz immer mehr. Mitarbeiter aus der Generation Y wollen schnelles Feedback, Freiheiten bei der Umsetzung und sich einbringen. Diese umwelt- und mitarbeiterorientierten Veränderungen nehmen OKRs perfekt auf. In unserer Forschung haben wir dafür, in enger Kooperation mit dem Hilti Lab for Integrated Performance Management, das St. Galler Performance Management Modell (spmm.ch) entwickelt. Damit erforschen wir auch, warum OKRs so gut funktionieren. Fazit: OKRs sind ein Musterbeispiel für eine gelungene Managementinnovation. Sie haben das Potenzial, die Unternehmenssteuerung und damit das Management im 21. Jahrhundert fundamental zu verändern und die Leistung von Unternehmen nachhaltig zu steigern.
Den Großteil der Übersetzung konnte ich während eines Forschungsaufenthaltes in Singapur realisieren (herzlichen Dank an Stefano Saeger und Dr. Tobias 15Flinspach für Unterstützung und Austausch bei der Übersetzung!). Insofern kann ich inzwischen sagen, dass der Ansatz in den USA, Europa und Asien funktioniert, Sie also ein global einsetzbares, mächtiges Konzept vor sich haben. Gerade in Asien wird sehr deutlich, dass eine jährliche Top-down-Kommunikation von Zielen und Vorgaben im deutlichen Gegensatz zur dynamisch-digitalen Wirtschaft und der Mentalität der schnellen, partizipativen Gründer und Geschäftsmodelle steht. OKRs gehen hier einen bewusst anderen Weg und ermöglichen eine viel größere Flexibilität und Dynamik. In Europa konnten wir bei unseren Beratungsprojekten zu OKRs in ganz klassischen Unternehmen – von der Versicherung über die Lebensmittelindustrie bis zum Maschinenbau – die Erfahrung sammeln, dass OKRs nicht nur etwas für Start-ups in der Wachstumsphase sind. Gleichzeitig gilt es aber auch, gerade in Europa die Besonderheiten von Mitarbeitervertretungen und Mitbestimmung zu berücksichtigen. Volle Transparenz erzeugt vielfach erst einmal eine Abwehrhaltung, der man mit viel Überzeugungsarbeit begegnen muss. Lassen sich eine Organisation und die Führungskräfte auf das „Experiment OKR“ ein, gibt es in der Regel kein Zurück mehr. Gerade die Mitarbeiter wollen die offenere Kommunikationskultur und das Mitreden bei Zielsetzungs- und Entscheidungsprozessen nicht mehr missen – und das Management nicht die enorme Leistungssteigerung.
Anmerkung des Verlags:
Wenn wir in diesem Buch von Mitarbeitern, Führungskräften, Managern oder Geschäftsführern sprechen, so meinen wir gleichermaßen Frauen und Männer.
33
Es gibt so viele Menschen, die so hart arbeiten
und doch so wenig erreichen.
Andy Grove
Es begann alles mit einer Ex-Freundin, die ich zurückzugewinnen versuchte. Ann hatte mich verlassen und arbeitete im Silicon Valley, leider wusste ich aber nicht genau wo. Es war der Sommer 1975 zwischen zwei Semestern an der Harvard Business School. Ich fuhr durch den Yosemite Nationalpark und kam im Valley an – ohne Arbeit und ohne Schlafplatz. Und obschon meine Zukunft unbestimmt war, konnte ich programmieren.9 Während ich meinem Masterstudium in Elektrotechnik an der Rice University nachging, hatte ich ein Unternehmen, das eine Grafiksoftware für Burroughs – einer der „sieben Zwerge“, die gegen IBM um Marktanteile kämpften – programmierte, mitgegründet. Ich liebte jede Minute davon.
Ich hatte gehofft, ein Praktikum bei einem der Venture Capital-Unternehmen im Valley zu bekommen, jedoch lehnten sie mich alle ab. Eines davon schlug mir vor, es bei einem Chip-Hersteller, den sie in Santa Clara gegründet hatten, zu versuchen. Ein Unternehmen namens Intel. Ich rief die in der Hierarchie höchste Person an, die ich ans Telefon bekommen konnte: Bill Davidow, Leiter der Microcomputer-Abteilung. Als Bill hörte, dass ich Benchmarks schreiben konnte, lud er mich ein, vorbeizukommen und ihn zu treffen.
34Der Hauptsitz von Intel in Santa Clara war eine offene Fläche an Großraumbüro-Boxen mit niedrigen Trennwänden – weit von einem vorbildlichen Design entfernt. Nach einer kurzen Unterredung verwies mich Bill an seinen Marketingverantwortlichen, Jim Lally, der mich wiederum nach weiter unten verwies. Um 17 Uhr hatte ich ein Sommerpraktikum bei einem Paradebeispiel einer wachsenden Tech-Firma erbeutet. Wie der Zufall es wollte, fand ich dort auch meine Ex-Freundin wieder. Sie war wenig erfreut, als ich aufkreuzte (aber einige Wochen später waren wir wieder zusammen).
Während der Einführung nahm mich Bill beiseite und sagte: „John, sei dir über eines im Klaren. Es gibt hier einen, der den Laden schmeißt und das ist Andy Grove.“ Groves Titel war „Executive Vice President“, und er würde noch weitere zwölf Jahre warten, bis er Gordon Moore als CEO beerben würde. Aber Andy war Intels Kommunikator, der Antreiber par excellence, der oberste Zuchtmeister. Jeder wusste, dass er das Sagen hatte. Aufgrund seiner Herkunft war Grove der unwahrscheinlichste Kandidat der Intel-Dreifaltigkeit, der das Unternehmen über drei Jahrzehnte leiten würde. Gordon Moore war der scheue und allseits verehrte Denker, Autor des gleichnamigen Gesetzes, das die Skalierung von Technologie untermauert: die Computerprozessoren-Geschwindigkeit verdoppelt sich alle zwei Jahre. Robert Noyce, Miterfinder der integrierten Schaltung (alias Mikrochip), war der charmante Außenstehende; der Botschafter der Industrie, sowohl bei einer Kongressanhörung als auch beim Ausgeben an der Bar (die Halbleiter-Leute waren eine feierwütige Bande).
Und dann gab es noch András István Gróf, ein ungarischer Flüchtling, der knapp den Nazis entkam und die USA im Alter von 20 Jahren, ohne Geld, mit nur geringen Englischkenntnissen und einem ernsthaften Gehörverlust, erreichte. Er war ein steifer und massiver Mann mit lockigem Haar und einer mechanischen Art. Dank purer Willenskraft und Intelligenz stieg er an die Spitze eines der am meisten bewunderten Unternehmen im Silicon Valley auf und brachte es zu phänomenalem Erfolg. Während Groves elfjähriger Amtszeit als CEO, würde Intel jährlich mehr als vierzig Prozent an seine Aktionäre zurückgeben – was wieder dem Moore-Gesetz entspricht.
Intel war Groves Labor für Innovationen in der Unternehmensführung. Er liebte es zu unterrichten, und das Unternehmen profitierte davon.10 Ein paar Tage nach meiner Einstellung erhielt ich eine begehrte Einladung zu Intels Organisations-, Philosophie- und Volkswirtschaftskurs, bekannt als „iOPEC“, ein Seminar zu Intels Strategie und Betrieb. Präsentiert von Dr. Andy Grove.
Innerhalb von einer Stunde ging Grove die gesamte Unternehmensgeschichte durch. Er fasste Intels Kernerfolge zusammen: eine doppelt so hohe Gewinnmarge wie branchenüblich, Marktführerschaft in jeder Produktlinie, in der sie 35einstiegen, das Schaffen „herausfordernder Stellen“ und „Wachstumsmöglichkeiten“ für Mitarbeiter.11 In Ordnung, dachte ich, obwohl ich schon ähnliche Dinge an der Universität gehört hatte.
Andy Grove, 1983.
Dann sagte er etwas, das einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ. Er verwies auf sein früheres Unternehmen, Fairchild, wo er Noyce und Moore zum ersten Mal getroffen und Pionierarbeit in der Erforschung von Siliziumwafern geleistet hatte. Fairchild war der Industriestandard, aber es hatte einen großen Makel: fehlende „Leistungsorientierung“.
„Expertise wurde dort sehr wertgeschätzt“, erklärte Andy. „Das war der Grund, weshalb Leute engagiert wurden und weshalb sie aufgestiegen sind. Ihre Effektivität bei der Übersetzung dieses Wissens in tatsächliche Ergebnisse wurde irgendwie mit einem Achselzucken abgetan.“ Bei Intel, so fuhr er fort, „neigen wir dazu, das genaue Gegenteil zu machen. Es spielt kaum eine Rolle, was man weiß. Es ist das, was man tut mit seinem Wissen, was man erreicht, was hier geschätzt wird.“ Daher der Unternehmensslogan: „Intel liefert“.
Es spielt kaum eine Rolle, was man weiß … Zu behaupten, dass Wissen sekundär sei und Umsetzung am allerwichtigsten – naja, das würde ich nicht in Harvard lernen. Ich fand die Aussage spannend, ein Leistungsbekenntnis der echten Welt auch gegenüber Zeugnissen. Aber Grove war noch nicht fertig und bewahrte sich das Beste für den Schluss auf. Während ein paar abschließender 36Minuten umriss er ein System, dass er 1971 einzuführen begonnen hatte, als Intel drei Jahre alt war. Es war meine erste Begegnung mit der Kunst der formalen Zielsetzung. Ich war fasziniert.
Ein paar unveränderte Auszüge, unmittelbar vom Vater der OKRs:12
„Nun, die beiden Kernbegriffe … sind Objectives und Key Results. Und sie entsprechen den beiden Zwecken. Das Objective ist die Richtung: ,Wir möchten das Mittelklasse-Kleinrechner-Komponenten-Geschäft dominieren.‘ Das ist ein Objective. Das ist, wo wir hinwollen. Key Results für das laufende Quartal: `Zehn neue Entwürfe für den 8085 erreichen`, ist ein Key Result. Es ist ein Meilenstein. Das ist nicht dasselbe …
Das Key Result muss messbar sein. Am Ende kann man draufschauen und ohne Diskussion fragen: Habe ich das erreicht? Ja? Nein? Simpel und ohne Bewertungen.
Haben wir nun das Mittelklasse-Kleinrechner-Komponenten-Geschäft dominiert? Darüber können wir in uns in den nächsten Jahren streiten, aber im nächsten Quartal werden wir wissen, ob wir zehn neue Entwürfe erreicht haben, oder nicht.
Es ist ein „wirklich, wirklich simples System“, sagte er in dem Wissen, dass Einfachheit ein Leckerbissen für ein Publikum von Ingenieuren ist. Vordergründig schien die Vorstellung logisch, vernünftig und inspirierend. Grove hatte etwas Frisches und Originelles im Vergleich zu der tradierten Führungsorthodoxie der damaligen Zeit geschaffen. Streng genommen sind seine „Objectives and Key Results“ jedoch nicht aus dem Nichts entstanden. Der Prozess hatte einen Vorläufer. Auf seinem Weg verfolgte Grove die Spur eines legendären, in Wien geborenen Störenfrieds, des ersten großen „modernen“ Denkers in Unternehmensführung: Peter Drucker.
Die Urväter der Führungstheorien im frühen 20. Jahrhundert, insbesondere Frederick Winslow Taylor und Henry Ford, waren die ersten, die Produktionsleistung systematisch gemessen haben und eingehend analysiert haben, wie sie mehr davon erreichen können. Ihrer Auffassung nach waren die effizientesten und profitabelsten Organisationen autoritär.13 Wissenschaftliche Betriebsführung, 37so schrieb Taylor, bestünde aus „dem exakten Wissen, was Mitarbeiter tun sollen, um dann zu sehen, dass sie es auf die beste und günstigste Art und Weise erledigen.“ Die Ergebnisse, wie Grove feststellte, waren „klar und hierarchisch: es gab diejenigen, die Aufträge erteilten und diejenigen, die sie annahmen und ohne weitere Fragen erledigten.“
Ein halbes Jahrhundert später verwarf Peter Drucker – Professor, Journalist und Historiker – das Taylor-Ford-Modell. Er konzipierte ein neues Führungsideal, das zwar ergebnisgetrieben und dennoch humanistisch war. Ein Unternehmen, so schrieb er, sollte eine Gemeinschaft sein, die „auf Vertrauen und Respekt gegenüber den Mitarbeitern aufbaut und nicht nur eine Profitmaschine ist.“ Darüber hinaus forderte er, dass Mitarbeiter bei der Definition der Unternehmensziele herangezogen werden sollten. Anstelle von traditioneller Krisenbewältigung schlug er ein Gleichgewicht zwischen kurz- und langfristiger Planung vor, die von Daten geprägt und durch regelmäßige Gespräche unter Kollegen ergänzt wird.
Druckers Ziel war der Entwurf „eines Steuerungsmodells, das individueller Stärke und Verantwortlichkeit volle Entfaltungsmöglichkeit einräumt und gleichzeitig eine gemeinsame Richtung von Vision und Engagement vorgibt, Teamarbeit etabliert und die Einzelziele mit dem Allgemeinwohl in Einklang bringt.“ Damit berücksichtigt er ein wichtiges Merkmal der menschlichen Natur: Wenn Menschen dabei helfen, ein bestimmtes Vorgehen zu wählen, werden sie es selbst am ehesten durchziehen. In seinem wegweisenden Buch The Practice of Management (1954) schrieb er dieses Prinzip als „management by objectives and self-control“ fest. Es wurde zu Andy Groves Grundlage und dem Ursprung dessen, was wir heute OKR nennen.
Bis 1960 wurde Management by Objectives – oder MBO, wie der Prozess genannt wurde – von einer Vielzahl zukunftsorientierter Unternehmen übernommen. Das Bekannteste war Hewlett-Packard, wo es Teil des gefeierten „HP Way“ war. Und wenn Unternehmen ihren Fokus auf eine Handvoll zentraler Prioritäten legten, waren die Ergebnisse stets beeindruckend. In einer Metaanalyse von 70 Studien wurde festgestellt, dass eine intensive Bindung an MBOs zu einem Produktivitätszuwachs von 56 Prozent führt, während es nur sechs Prozent bei niedriger MBO-Bindung sind.
Schlussendlich holten die Einschränkungen der MBOs sie dennoch ein. Bei vielen Unternehmen wurden Ziele zentral gesteuert und sickerten träge durch die Hierarchieebenen nach unten. Bei anderen stagnierten sie aufgrund fehlender regelmäßiger Aktualisierung; oder waren im Silodenken gefangen und deshalb nicht zu erkennen; oder wurden auf Key Performance Indicators (KPIs), seelen- 38und kontextlose Zahlen, reduziert. Am tödlichsten war, dass MBOs häufig an Gehälter und Boni gebunden wurden. Wenn so Risikobereitschaft bestraft wird, warum sollte man dann Risiken eingehen? Bis zu den 1990ern war das System schließlich aus der Mode gekommen. Sogar Drucker mochte es nicht mehr. MBOs, so sagte er, waren „einfach ein weiteres Werkzeug“ und „nicht das großartige Heilmittel gegen Führungsineffizienz.“
Andy Groves Quantensprung bestand in der Anwendung der Produktionsprinzipien auf die „weichen Berufe“, die verwaltenden, fachlichen und führungsorientierten Tätigkeiten. Er strebte danach, „ein Umfeld zu schaffen, dass Leistung [im Original „output“] wertschätzt und gewichtet“ und wollte verhindern, was Drucker die „Aktivitätsfalle“ nannte: ´Leistung hervorzuheben ist der Schlüssel zu steigender Produktivität; während der Versuch, Aktivität zu erhöhen, gerade zum Gegenteil führen kann.“14 In einer Fertigungsstraße ist es vergleichsweise einfach, Leistung von Aktivität zu unterscheiden. Es wird jedoch wesentlich schwieriger, wenn Mitarbeiter für das Denken bezahlt werden. Grove kämpfte mit zwei Herausforderungen: Wie können wir Leistung bei Wissensarbeitern definieren und messen? Und wie kann man sie steigern?
Grove war eine wissenschafts-affine Führungskraft. Er las alles in den aufkeimenden Gebieten der Verhaltensforschung und der kognitiven Psychologie. Die neuesten Theorien über Führung und Motivation boten fraglos „einen angenehmeren Weg, Leute zum Arbeiten zu bringen“, als in Henry Fords Glanzzeit. Aber Andy wusste auch, dass kontrollierte Universitätsexperimente „schlicht nicht zeigen würden, dass eine Art der Führung besser sei als eine andere. Es war schwer, sich der Schlussfolgerung zu entziehen, dass kein optimaler Führungsstil existierte.“ Bei Intel hatte Andy nach seinem eigenen Bild „aggressiv Introvertierte“ eingestellt, die Probleme schnell, objektiv, systematisch und dauerhaft lösten. Seiner Führung entsprechend waren sie talentiert darin, ein Problem anzugehen, ohne die Person anzugreifen. Sie schoben die taktische Spielchen beiseite, um schnellere, vernünftigere und gemeinsame Entscheidungen zu treffen.
Intel verließ sich bei seinem Geschäftsbetrieb in jeder Hinsicht auf Systeme. In Anlehnung an Drucker nannte Grove sein Zielsetzungssystem „iMBOs“ (Intel Management by Objectives). In der Praxis war es jedoch stark abweichend vom 39klassischen MBO. Grove erwähnte Objectives nur sehr selten, ohne sie an „Key Results“, ein Begriff, den er offenbar selbst geprägt hatte, zu knüpfen. Um Verwirrung zu vermeiden, werde ich bei seinem Ansatz von „OKRs“ sprechen, dessen Akronym ich selbst aus dem Lexikon des Meisters zusammengestellt habe. In nahezu jeder Hinsicht macht die neue Methode die alte zunichte:
MBOs versus OKRs
MBOs |
OKRs von Intel |
„was“ |
„was“ und „wie“ |
jährlich |
vierteljährlich oder monatlich |
persönlich und isoliert |
öffentlich und transparent |
top-down |
bottom-up oder horizontal (~50%) |
an Entlohnung gekoppelt |
meistens getrennt von Entlohnung |
risikovermeidend |
aggressiv und ambitioniert |
Bis 1975, als ich zu Intel kam, war Groves OKR-System in vollem Gange. Jeder Wissensarbeiter im Unternehmen formulierte monatlich individuelle Objectives und Key Results. Innerhalb weniger Tage nach dem iOPEC-Seminar hatte mich mein Vorgesetzter angewiesen, dem Beispiel zu folgen. Ich wurde an die Arbeit geschickt, Benchmarks für den 8080, Intels neuestes und marktbeherrschendes Produkt im 8-Bit-Mikroprozessoren-Sektor, zu schreiben. Mein Ziel war es aufzuzeigen, dass unser Chip schneller war und überhaupt die Konkurrenz schlug.
Die meisten Intel-OKRs sind dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Ich werde aber nie die Kernaussage meines allerersten OKR vergessen:
Ich erinnere mich daran, dass OKR für einen IBM Selectric zu gestalten. (Der erste kommerzielle Laser-Drucker war nur noch ein Jahr entfernt.) Dann hing ich eine Kopie davon außen an meine Bürowand, damit die Kollegen im Vorbeigehen einen Blick darauf werfen konnten. Ich hatte nie zuvor an einem Ort gearbeitet, wo man seine Ziele niederschreibt, geschweige denn veröffentlicht – bis zum CEO. Ich fand es aufschlussreich, ein Fokuspunkt der Konzentration. Außerdem war es befreiend: Wenn Leute inmitten des laufenden Quartals vorbeikamen und mich baten, ein neues Datenblatt zu entwerfen, hatte ich das Gefühl, nein sagen zu können, ohne Angst vor negativen Auswirkungen haben zu müssen. Meine OKRs stärkten mir den Rücken. Sie verdeutlichten meine Prioritäten, und jeder konnte sie sehen.
Während der Ära von Andy Grove waren OKRs Intels Lebenselixier. Sie standen bei jedem wöchentlichen Einzelgespräch, jeder zweiwöchentlichen Mitarbeiterbesprechung und jedem monatlichen sowie vierteljährlichen Abteilungsmeeting im Mittelpunkt. So gelang es Intel, Zehntausende von Mitarbeitern dabei zu führen, eine Million Silizium- oder Kupferlinien auf einen Millionstel Meter genau zu ätzen. Die Herstellung von Halbleitern ist ein hartes Geschäft. Ohne Genauigkeit funktioniert nichts: Erträge sinken, Chips versagen. OKRs erinnerten ständig daran, was unser Team zu tun hatte. Sie sagten uns genau, was wir erreichten oder nicht.
Neben der Entwicklung meiner Benchmarks bildete ich Intels nationales Verkaufsteam aus. Die Wochen vergingen und Grove bekam Wind davon, dass irgendein Praktikant die meiste Ahnung vom 8080 zu haben schien. Eines Tages packte er mich und sagte: „Doerr, komm mit mir nach Europa.“ Es war eine aufregende Einladung: der Sommerpraktikant gewissermaßen mit dem Mitgründer.15 Ich begleitete Grove und seine Frau Eva auf eine Reise nach Paris, London und München. Wir bildeten die europäische Verkaufsmannschaft aus, besuchten drei große Interessenten und gewannen zwei Kunden. Ich trug bei, was ich konnte. Wir aßen zu Abend in Michelin-Sternerestaurants, wo Grove wusste, wie mit der Weinkarte umzugehen war. Er mochte mich, und ich war in seiner Gegenwart eingeschüchtert. Er war ein Mann, der sein Leben genoss.
Zurück in Kalifornien lies Andy Bill Davidow einen Brief schreiben, um zu bestätigen, dass eine Anstellung im darauffolgenden Jahr auf mich warten würde. Dieser Sommer war eine so augenöffnende, überwältigende Zeit, dass ich an einem Punkt Harvard beinahe verlassen hätte. Denn ich fand heraus, dass ich mehr über das Geschäftsleben lernen könnte, wenn ich bei Intel blieb. Ich ging 41einen Kompromiss ein, indem ich nach Massachusetts zurückkehrte und dank Intel in Teilzeit bei Digital Equipment Corporation arbeiten konnte und dabei half, das Unternehmen unter großem Protest in die Mikroprozessoren-Ära zu schleifen. Ich beendete mein letztes Semester, raste zurück nach Santa Clara und blieb bei Intel für die nächsten vier Jahre.
Die Mitte der 1970er-Jahre markierte die Geburtsstunde der PC-Industrie, eine turbulente Zeit für neue Ideen und aufsteigende Entrepreneure. Ich war weit unten in Intels Hierarchie als Produktverantwortlicher im ersten Jahr, aber Grove und ich hatten eine Verbindung. An einem Frühlingstag packte ich ihn und fuhr mit ihm hoch zur ersten West Coast Computer Faire im San Francisco Civic Auditorium. Wir sahen eine ehemalige Intel-Führungskraft bei der Präsentation des Apple II, die damalige Spitzentechnologie für grafische Darstellung. Ich sagte: „Andy, wir haben bereits das Betriebssystem, den Mikrochip und die Compiler. Und wir haben die Lizenz für BASIC. Intel sollte PCs herstellen.“ Aber als wir die Gänge entlanggingen, vorbei an Anbietern, die ganze Plastiktüten an Chips und Kleinteilen anboten, warf Grove einen langen Blick und sagte „Ach, das sind Bastler. Wir gehen nicht in dieses Geschäft rein.“ Mein großer Traum war zerstört. Intel trat nie in den PC-Markt ein.
Auch wenn er es selten zeigte, konnte Grove ein empathischer Chef sein. Wenn er eine Führungskraft scheitern sah, versuchte er, eine neue Rolle für sie zu finden. Vielleicht auf einem tieferen Level, wo die Person erfolgreich sein und Ansehen sowie Respekt zurückerlangen konnte. Grove war ein Problemlöser von ganzem Herzen, eine Art OKR-Verkörperung. Wie ein Intel-Veteran beobachtete, schien er „exakt zu wissen, was er wollte und wie er es erreichen würde.“16 Er war eine Art wandelndes OKR.
Intel wurde in der Ära der Meinungsfreiheit und der Blumenkinder geboren. Pünktlichkeit war aus der Mode zwischen jungen Leuten, selbst unter den jungen Ingenieuren, und das Unternehmen stand vor der Herausforderung, Neuangestellte pünktlich zur Arbeit zu bekommen. Groves Lösung war, eine Anmeldeliste am Empfang aufzuhängen, die jeder unterschreiben musste, der nach 8:05 Uhr eingetroffen war. Wir nannten sie „Andys Verspätungsliste“. Grove sammelte diese Liste jeden Morgen exakt um 9:00 Uhr ein. (In den Fällen, in denen ich zu spät war, versuchte ich das System zu schlagen, indem ich auf dem Parkplatz saß und bis fünf Minuten nach 9 wartete.) Niemand kannte jemanden, der je 42vorgeladen oder bestraft wurde. Dennoch bedeutete die Liste Selbstdisziplin in einem Unternehmen ohne Platz für Fehler. Grove war konsequent gegen alle, am meisten aber gegen sich selbst. Ein stolzer Selfmade-Mann, der durchaus hätte arrogant sein können. Dummköpfe, abschweifende Sitzungen oder schlecht vorbereitete Vorträge konnte er nicht ertragen. (Er hatte einen Satz Stempel auf seinem Schreibtisch stehen, darunter einen mit „Bullshit.“ Die beste Art, ein Führungsproblem zu lösen, so glaubte er, sei durch „kreative Konfrontation“, durch einen „unverblümten, direkten und nicht Rechtfertigung erzeugenden“ Dialog mit dem Betreffenden.17
Abgesehen von einem hitzigen Temperament war Andy bodenständig und nahbar, immer offen für jede gute Idee. Wie er einmal der The New York Times erzählte, würden Intel-Führungskräfte „jede Hierarchie draußen lassen, wenn sie in eine Sitzung gingen.“ Jede große Entscheidung sollte mit einer „freien Diskussion … ohne Rangordnungen“ beginnen. Der Weg, um sich seinen Respekt zu verdienen, bestand darin, zu widersprechen, sich zu behaupten und, im Idealfall, am Ende recht zu haben.
Nachdem ich achtzehn Monate als Produktverantwortlicher hinter mir hatte, sagte Jim Lally, in der Zwischenzeit Leiter des Systemmarketings und mein großer Mentor und Held, zu mir: „Doerr, wenn du eines Tages ein richtig guter Generalmanager sein möchtest, dann musst du raus aufs Schlachtfeld, verkaufen, zurückgewiesen werden und lernen, deinen Soll zu erfüllen. Du kannst jede technische Expertise auf dieser Welt haben, aber du wirst in diesem Geschäft nur erfolgreich sein oder scheitern, wenn dein Team die Zahlen erreicht hat oder nicht.“
Ich wählte Chicago. 1978, nachdem Ann und ich geheiratet hatten, wurde ich ein technischer Verkäufer in der Midwest-Region. Das war die beste Anstellung, die ich je hatte. Ich liebte es, unseren Kunden dabei zu helfen, eine bessere Dialyse-Maschine oder eine bessere Ampelsteuerung zu entwickeln. Ich liebte es, Intel-Mikroprozessoren, die Gehirne des Computers, zu verkaufen, und ich war ziemlich gut darin. (Ehrlicherweise wurde mir dieses Talent in die Wiege gelegt; mein Vater, Lou Doerr, war ein Maschinenbauingenieur, der Menschen liebte und es liebte, ihnen etwas zu verkaufen.) Und da ich all die Benchmarks geschrieben hatte, kannte ich die Programmierung blind. Meine Verkaufsvorgabe im ersten Jahr waren einschüchternde eine Million US-Dollar, aber ich übertraf sie.
Nach meinem Einsatz in Chicago kehrte ich als ein Marketingverantwortlicher nach Santa Clara zurück. Plötzlich musste ich ein kleines Team einstellen, die Arbeit meiner Leute führen und sie in Relation zu den Erwartungen messen. Meine Fähigkeiten waren am Anschlag und das war der Zeitpunkt, an dem ich Groves Zielsetzungssystem noch viel mehr zu schätzen lernte. Mit einer Intel-Führungskraft, die mich durch den Prozess begleitete, entwickelte ich mehr Disziplin und 43mehr Standhaftigkeit. Ich verließ mich auf OKRs, um klarer zu kommunizieren und meinem Team dabei zu helfen, unsere wichtigste Arbeit zu erledigen. Nichts davon fiel mir leicht. Es war eine zweite, tiefere Ebene der Aneignung von OKRs.
1980 tat sich bei Kleiner Perkins eine Möglichkeit auf, bei der ich mein technischen Know-how in die Zusammenarbeit mit neuen Unternehmen einbringen konnte. Andy konnte nicht begreifen, weshalb ich Intel verlassen wollte. (Er selbst stellte das Unternehmen allem voran, mit Ausnahme seiner Enkelkinder.) Er hatte die unglaubliche Fähigkeit, in deinen Brustkorb zu fassen, dein Herz rauszureißen und es vor dir in seinen Händen zu halten. In der Zwischenzeit war er der Präsident des Unternehmens und sagte: „Komm schon, Doerr, möchtest Du nicht mal Generalmanager werden und eine eigene Gewinn- und Verlustrechnung führen? Ich übergebe dir die Leitung von Intels Software-Abteilung.“ Sie existierte zwar noch nicht, könnte aber aufgebaut werden. Und dann brachte er noch einen Hammer: „John, Venture Capital ist keine richtige Arbeit. Das ist wie ein Immobilienmakler.“
Als Grove im Alter von 79, nach Jahren des stoischen Leidens an der Parkinson-Krankheit, starb, nannte ihn die New York Times „eine der anerkanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Computer- und Internet-Ära.“ Er war kein unsterblicher Theoretiker wie Gordon Moore oder eine öffentliche Kultfigur wie Bob Noyce. Auch hatte er nicht genug publiziert, um neben Peter Drucker in der Ruhmeshalle der Führungsphilosophie zu ruhen. Und dennoch veränderte Grove unsere Lebensweise. 1997, drei Jahrzehnte nach seinen Experimenten bei Fairchild, wurde er vom Time-Magazin zum „Man of the Year“ als „die Person, die am stärksten für das unglaubliche Wachstum des Leistungs- und Innovationspotenzials von Mikrochips verantwortlich war“, gewählt. Andy war eine seltene Mischung aus Cheftechnologen und größtem Geschäftsführer seiner Zeit.
Dr. Groves OKR-Grundlagen Der Kern einer gesunden OKR-Kultur – rücksichtslose intellektuelle Ehrlichkeit, das Zurückstellen von Eigeninteressen, Loyalität gegenüber dem Team – entsprang aus der Persönlichkeit von Andy Grove. Doch war es letztlich sein praxisbezogener, ingenieursgetriebener Ansatz, der das System zum Laufen brachte. Die OKRs sind sein Vermächtnis, seine wertvolle und nachhaltige Führungspraxis. Nachfolgend einige Lektionen, die ich bei Intel vom Meister selbst und von Jim Lally, Andys OKR-Schüler und meinem Mentor, gelernt habe. |
44Weniger ist mehr. Grove schrieb: „Ein paar sehr gut gewählte Objectives vermitteln eine klare Botschaft darüber, wozu wir Ja und Nein sagen.“ Ein Maximum von drei bis fünf OKRs pro Zyklus führt Unternehmen, Teams und Individuen zu der Entscheidung, was am wichtigsten ist. Im Allgemeinen sollte jedes Objective mit bis zu fünf Key Results versehen sein. (Siehe Kapitel 4 „Erfolgsfaktor 4: Nach den Sternen greifen“) Setze Ziele bottom-up. Um das Engagement zu fördern sollten Teams und Individuen dazu ermutigt werden, in Absprache mit ihren Vorgesetzten ungefähr die Hälfte ihrer OKRs selbst zu erstellen. Werden alle Ziele top-down bestimmt, schadet dies der Motivation. (Siehe Kapitel 7 „Erfolgsfaktor 2: Ausrichten und verbinden für Teamarbeit“) Kein Diktieren. Die OKRs sind ein kooperativer Gesellschaftsvertrag, um Prioritäten zu setzen und zu definieren, wie Fortschritt gemessen wird. Selbst nachdem die Unternehmens-Objectives nicht mehr zur Diskussion stehen, werden ihre Key Results weiterhin ausgehandelt. Das gemeinsame Einverständnis ist für eine maximale Zielerreichung unerlässlich. (Siehe Kapitel 7) Flexibel bleiben. Wenn sich die Umstände verändert haben und ein definiertes Objective nicht mehr praktisch oder relevant erscheint, können die Key Results auch innerhalb eines Zyklus angepasst oder gar verworfen werden. (Siehe Kapitel 10 „Erfolgsfaktor 3: Verfolgen der Verantwortlichkeit“) Sich trauen zu scheitern. Grove schrieb: „Das Ergebnis wird tendenziell besser sein, wenn jeder nach einem Leistungsniveau jenseits der eigenen Möglichkeiten strebt. Eine solche Zielsetzung ist extrem wichtig, wenn man von sich selbst und den eigenen Mitarbeitern Spitzenleistung erwartet. Während bestimmte operationelle Ziele vollständig erreicht werden müssen, sollten ambitionierte OKRs unbequem und möglicherweise unerreichbar sein. „Herausfordernde Ziele,“ wie Grove sie nennt, verhelfen Organisationen zu ungeahnten Erfolgen. (Siehe Kapitel 4) Ein Werkzeug, keine Waffe. Laut Grove ist das OKR-System „dazu da, einer Person das Tempo vorzugeben und ihr eine Stoppuhr in die Hand zu drücken, sodass sie ihre eigene Leistung messen kann. Es ist kein juristischer Vertrag, auf dessen Basis eine Leistung beurteilt werden soll.“ Zur Förderung von Risikobereitschaft und dem Verhindern von Tiefstapelei werden OKRs und Boni am besten getrennt voneinander behandelt. (Siehe Kapitel 15 „Kontinuierliches Performance Management: OKRs und CFRs“) Sei geduldig, sei entschlossen. Jeder Prozess erfordert Versuch und Irrtum. Wie Grove seinen Studenten erzählte, war Intel nach der Einführung der OKRs „oft gestolpert“: „Wir hatten den Hauptzweck nicht vollständig verstanden, wurden im Laufe der Zeit aber immer besser darin.“ Eine Organisation kann bis zu vier oder fünf vierteljährliche Zyklen benötigen, um sich das System vollständig anzueignen und sogar noch etwas länger, um voll entwickelte „Zielmuskeln“ aufzubauen. |
9 Ich hatte es auf dem PDP-11 gelernt, dem Minicomputer erster Wahl von Enthusiasten.
10 Genauso, wie es auch die Stanford University tat, wo er jedes Jahr 100 Stunden seiner Zeit 60 Master-Wirtschaftsstudenten widmete.
11 Ein Video von Andy Groves Seminar kann auf http://www.whatmatters.com/iopecangeschaut werden.
12 Stellen Sie sich einen ungarischen Akzent vor, den Grove nie wirklich ablegte.
13 Ein fortschrittlicheres Modell, das zu jener Zeit weitestgehend ignoriert wurde, wurde von einer Sozialarbeiterin namens Mary Parker Follett in Massachusetts weiterentwickelt. In ihrem Aufsatz „The Giving of Orders“ [dt. „Die Befehlserteilung“] (1926), merkt Follett an, dass Machtaufteilung und gemeinsame Entscheidungsfindungen zwischen Vorgesetzten und Angestellten zu besseren Geschäftslösungen führen. Wo Taylor und Ford Hierarchien sahen, sah Follett Netzwerke.
14 Hinter diesen Überlegungen steht das IPO- bzw. IPOOI-Modell, das Inputs (Ressourcen), Processes (Aktivitäten) und Outputs (Ergebnisse) unterscheidet. Dieses wurde später erweitert um die Dimensionen Outcome (finanziell bewertete Ergebnisse) und Impact (nicht-finanzielle Wirkungen, insbesondere auf das Umfeld) [Anmerkung des Übersetzer].
15 Nachdem Noyce und Moore Fairchild verlassen hatten, um Intel zu gründen, machten sie Grove zu ihrem ersten Mitarbeiter.
16 Hervorhebung hinzugefügt.
17 Wir können Groves Einfluss auf Steve Jobs sehen, zu dem er eine sehr enge und gleichzeitig komplizierte Beziehung pflegte.
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