Das Mahl zu Heidelberg

Wolfgang Vater


ISBN: 978-3-95428-707-9
1. Auflage 2018
© 2018 Wellhöfer Verlag, Mannheim

Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
Lektorat: Eveline Seidel, Johannes Paesler
Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.
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Inhalt

Das Mahl zu Heidelberg

Alles hat eine Vorgeschichte

Von Württemberg und Baden

Die Herren zogen aus;

Von Metz des Bischofs Gnaden

Vergaß das Gotteshaus:

Sie zogen aus zu kriegen

Wohl in die Pfalz am Rhein;

Sie sahen da sie liegen

Im Sommersonnenschein.

 

(G. Schwab, s. Anhang)

Historische Personen

 

Adolf von Nassau (1423–1475), Domherr, Erzbischof von Mainz, seine Mutter Margarethe stammt aus dem Hause Baden.

 

Ludwig von Pfalz-Zweibrücken-Veldenz (1424–1489), genannt der Schwarze, zweiter Sohn des Pfalzgrafen Stefan, Vetter des Kurfürsten Friedrich I., verheiratet mit Prinzessin Johanna von Croy / Burgund.

 

Friedrich I. der Siegreiche (1425–1476), Kurfürst von der Pfalz.

 

Matthias Widman, gen. von Kemnath (1430–1476), Hofkaplan Heidelberg und Hofchronist.

 

Klara Dott (* um 1440, † um 1520), Hofdame und Sängerin am Münchner Hof aus Augsburg, in anderen Quellen auch Clara Dett, Tott oder Clara von Dettingen bzw. Tettingen, bürgerlicher Herkunft, Ehefrau des Pfälzer Kurfürsten Friedrich.

 

Kaiser Friedrich III. (1414–1493), aus dem Hause Habsburg, ab 1440 römisch-deutscher König, ab 1452 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er war der vorletzte Kaiser, der vom Papst gekrönt wurde, und der letzte, bei dem dies in Rom geschah.

 

Hans von Gemmingen, gen. Keckhans (1431–1487), aus dem Geschlecht der Herren von Gemmingen, stand in kurpfälzischen Diensten.

 

Graf Ulrich V. von Württemberg (1413–1480), von 1433 bis 1441 Graf von Württemberg und von 1441 bis 1480 Graf von Württemberg-Stuttgart.

 

Philipp (1448–1508), Kurprinz und Pfalzgraf, Kurfürst von der Pfalz von 1476 bis 1508; Beinamen: der Aufrichtige, der Edelmütige.

 

Diether von Isenburg (1412–1482), Domherr, war zweimal Erzbischof von Mainz, maßgeblich an der Mainzer Stiftsfehde beteiligt, als Erzbischof von Mainz auch Kurfürst des Bistums Mainz und Erzkanzler des Reichs.

 

Karl I. von Baden (1427–1475), Markgraf, Schwager Kaiser Friedrichs III., verheiratet mit Katharina von Lothringen.

 

Georg von Baden (1433–1484), Bischof von Metz, Bruder des badischen Markgrafen und des Erzbischofs von Trier.

 

Johann II. von Baden (1434–1503), badischer Prinz, Bruder des Markgrafen Karl, (Titular-)Markgraf und als Johann II. von Baden von 1456 bis zu seinem Tod 1503 Erzbischof und Kurfürst von Trier.

 

Merz, Martin (1425–1501), Büchsenmeister und Artillerie-Ballistiker in kurpfälzischen Diensten.

 

Papst Pius II. (1405–1464), bürgerlich Enea Silvio Piccolomini, Papst 1458–1464.

 

Wiprecht von Helmstadt; die Herren von Helmstatt waren ein Adelsgeschlecht, das im Kraichgau, Odenwald und Lothringen ansässig war.

 

Bligger, Landschad von Steinach; die Landschad von Steinach waren ein mittelalterliches niederes Adelsgeschlecht im Odenwald mit Stammsitz in Steinach und Gefolgsleute der Pfälzer Kurfürsten.

Fiktive Personen

 

Ambrosius, Abt des Franziskanerklosters in Heidelberg.

 

Bruno Stollberg, herzoglicher Jagdgehilfe am Hofe Herzog Ludwigs von Pfalz-Zweibrücken.

 

Ansgar von Waldeck, Oberhofkämmerer bei Herzog Ludwig von Pfalz-Zweibrücken. Der Vater, Luitgart von Waldeck, war als Domänenverwalter verantwortlich für Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Steuern, die Mutter, Theresa, war eine Nachfahrin derer von Strahlberg, den Erbauern der Strahlenburg bei Schriesheim.

 

Clemens bzw. Felix von Waldeck, jüngerer Bruder Ansgars, Klosterschüler, Vertrauter des Herzogs von Zweibrücken, Dienstmann des Kurfürsten Friedrich I.

 

Tabea von Waldeck, Gattin Ansgars, leibliche Halbschwester des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken.

 

Zacharias Bär, Dorfpfarrer.

 

Bartholomäus Maus, Köhler.

 

Lioba Maus, Frau des Köhlers.

 

Pauline Maus, Tochter des Köhler-Ehepaars.

 

Trautlind, Hausmagd im Stadthaus derer von Waldeck.

 

Eleonore von Steinfels, Erzieherin Kurprinz Philipps.

 

Thaddes bzw. Thaddäus, Sohn eines Hufbauern aus Altenbach im Odenwald, minderer Klosterschüler, Stallknecht, Fähnleinführer, Kammerherr des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken.

 

Warzenpeter, herzoglicher Waffenknecht.

 

Schiefauge, Stadtknecht in Meisenheim.

 

Moses vom Berg, Kuttenträger, kaiserlicher Gesandter.

 

Benedikt vom Berg, Kuttenträger, Bruder des Moses, Erzieher des Kurprinzen Philipp.

 

Simon Erlewein, Frau Klaras Hausknecht, Messdiener des Hofkaplans.

 

*

1.

 

Franziskanerkloster

 

Ob Thaddes, der mindere Klosterschüler, wirklich nur zufällig an der angelehnten Tür des Abtes der Franziskaner zu Heidelberg vorbeikam? Er blieb stehen und schob sein rechtes Ohr tief in den Türschlitz, um die verhaltene Stimme des Abtes besser hören zu können. »Ansgar von Waldeck, wir können offen miteinander sprechen, denn ich habe immer den Rat Eures leider allzu früh verstorbenen Vaters geschätzt. Ihr sollt wissen, dass es mir wehtat, als Ihr vor einem Jahr im Linksrheinischen das Amt des Kämmerers am Hof des Herzogs Ludwig von Zweibrücken angenommen habt. Er und unser Kurfürst sind zwar Vettern, aber sie vertragen sich noch schlechter als Hund und Katze. Hättet Ihr nicht auch ein Amt im Schloss erhalten können?«

»Werter Abt, Ihr wisst so gut wie ich, dass mein Vater im Dienste derer von Strahlenburg bei Schriesheim stand und dass der Zweibrücker Herzog Stadt und Burg vererbt bekam. Mein Dienstherr ist demnach der zweibrückische Vetter des hiesigen Kurfürsten. Wenn der herzogliche Hof in Meisenheim ruft, muss ich folgen.«

»Aber dass Ihr nun auch noch Euren jüngeren Bruder Clemens aus dem Kloster holt, ist bitter. Er zählt in der Klosterschule zu den Besten. In einem Jahr wollte er das Mönchsgelübde ablegen.«

Versonnen blickte der Abt aus dem Fenster. Oberhalb des Franziskanerklosters thronte das Schloss der Pfalzgrafen, das zu jener Zeit eher eine Feste mit dicken Mauern war denn ein königlicher Palast. »Dort oben lebten die Vorfahren unseres Landesherrn Friedrich.« Seine Stimme erhielt Glanz und sein leichtes Verneigen passte zu dem folgenden Satz. »Unser Kurfürst ist schon eine hochachtungsvolle Person und eine durch und durch ritterliche Erscheinung. Doch trotz seiner Tatkraft ist er ein milder und wohlwollender Herrscher, Schirmherr der Kirche und ein Freund der Witwen und Waisen. Seine Großmutter, Elisabeth von Namur, war die große Wohltäterin der Heidelberger Franziskaner. Wir haben ihr viel zu verdanken.«

Beim Gedanken an die Gönnerin verbreitete sich auf seinem Gesicht ein einzigartiges Leuchten. »Die Kurfürstin richtete ihr Leben bewusst an den Vorstellungen des Heiligen Franziskus aus: den Armen und Bedrängten dienen, mit ihnen teilen, keine irdischen Reichtümer anhäufen. Überdeutlich kam diese Gesinnung in ihrem Testament zum Ausdruck. Sie bedachte neben Klöstern und dergleichen ihre Dienerschaft mit Zuwendungen. Ängstlich war sie darauf bedacht, ja niemanden zu vergessen: 20 Gulden der alten Else, 10 Gulden klein Gredel, 10 Gulden Heintzel dem Kammerknaben, 20 Gulden Hensel dem Wagenknecht ...«

Der Abt hielt inne und blickte seinem Gegenüber tief in die Augen. »In dem Sinne wollte Euer Bruder Clemens ebenfalls wirken – für die Menschen da sein. Wenn Ihr ihn mitnehmt, wie und wo kann er dann seinem Ideal nacheifern?«

»Werter Ambrosius, ich habe unserem Vater auf dem Totenbett versprochen, mich um Clemens zu kümmern. Und im Sinne des heiligen Franziskus wirken kann man immer und überall – auch in Meisenheim. Außerdem bin ich, hochlöblicher Abt, seit einem Jahr mit einer sehr frommen Frau verheiratet und habe ein herrschaftliches Stadthaus erworben, sodass ich meinem Bruder ein würdiges Zuhause bieten kann. Genügt das als Antwort?«

Ein tiefer Seufzer, verbunden mit einem leichten Nicken, folgte.

 

Thaddes hatte genug gehört. Grinsend rieb er sich beim Wegschleichen die Hände. So war das also. Clemens, der hochgelobte und vielgeliebte Musterschüler, würde sie noch heute verlassen. Aber nicht, ehe sie ihm einen kräftigen Denkzettel verabreicht hätten. Na ja, eigentlich hatte er ihnen nichts getan, denn er verbrachte fast die ganze Zeit in der Bibliothek oder kniend vor dem Altar. Doch immer wurde er den anderen als Vorbild hingestellt, gar mit dem Erzengel Michael verglichen.

Diese Erhöhung war das eine, das Thaddes nickelte, dazu kam, dass der Niederadelige mit dem winzigen Lehen im Steinachtal einen Kopf größer war als er und aussah wie der leibhaftige Siegfried. Wegen seiner meerblauen Augen und dem hellen, gewellten Haar himmelten ihn die Jungfern geradezu an. Wenn er gewollt hätte, hätte er an jedem Finger zehn haben können. Gott sei Dank hatte der geschlechtslose Himmelgucker nur Augen für die handgemalten Inkunabeln in den dicken Lederschinken. Höhnisch lachte Thaddes auf. Mit dem Finger fuhr Clemens die feinen Linien der Buchstaben nach und ergötzte sich an Heiligenlegenden. Ein Sonderling fürwahr, dem aber das Lernen leichtfiel. Thaddes hätte Tag und Nacht pauken und büffeln müssen, um nur ansatzweise an den Schönling heranzureichen. Dafür grollte er ihm. Er, der Sohn eines verarmten Hufenbauers aus dem Odenwald, hatte geglaubt, in der Klosterschule die Beine auf die Bank legen zu können, aber seit der Betbruder und Streber hier war, wurde auch von den anderen mehr verlangt.

Seine Gedanken gingen eine Stunde zurück. Hinter einer Säule stehend hatte Thaddes voller Neid die Hände zusammengepresst, dass es nur so knackte. Bevor die Glocke zur Sext geläutet hatte, war der angesehene Ansgar von Waldeck in einer noblen Kutsche im Klosterhof vorgefahren. Sogleich sprangen drei Brüder herbei, stellten ein Schemelchen bereit und hoben den noblen Herrn fast aus dem Gefährt. Es hätte nur noch gefehlt, dass ein roter Teppich vor dem ungeliebten linksrheinischen Wittelsbacher Geldeintreiber ausgerollt worden wäre. Mit einem scheelen Blick schaute Thaddes an sich hinunter. Dort ein salonfähiger Rock, mit Goldtressen und Pelzen besetzt, und bequeme Hirschlederstiefel, bei ihm eine abgewetzte, zehnmal geflickte kratzige Kutte und ausgelatschte Sandalen. Bitterkeit kam auf. Für ihn wurde kein Schulgeld gezahlt, er war gnadenhalber im Kloster aufgenommen worden, weil seine verwitwete Mutter – Gott hab sie selig – sich hier als Waschmamsell verdingt hatte. Das musste er jeden Tag spüren. In den harten Holzpantinen und mit finsterer Miene lief er im Kreuzgang hin und her und grübelte über einen Denkzettel nach, an dem Clemens lebenslang zehren sollte. Ungerufen, aber zur rechten Zeit tauchten genau in diesem Moment von der anderen Seite seine Kumpane auf. Sie waren auf dem Weg zum Küchentrakt, um Rüben zu waschen. Am Abend zuvor hatten sie ihre Kerzen zu spät gelöscht. Schnell winkte Thaddes sie zu sich her. »Ihr wollt doch immer etwas erleben, oder?«

Eifriges Kopfnicken. »Heute verlässt uns Waldeck – er wird abgeholt. Doch bevor er verschwindet, erteilen wir ihm noch eine Lektion, die sich gewaschen hat.«

Sofort waren die Kumpane Feuer und Flamme, bis auf Norbert, der uneheliche Sohn eines Magistrates. »Er hat nichts getan. Warum sollten wir ihm Schaden zufügen?«

»Und ob er uns was getan hat«, ereiferte sich der flotte Franz, der Nachkomme eines unbedeutenden Nebenzweiges derer von Hausen. »Durch sein frommes Getue hat er sich nicht nur beim Abt Vorteile erschlichen, sondern auch von den Mägden in der Küche Extraportionen erhalten. Vielleicht waren sie ihm sogar willig. Wer weiß?«

»Ha, dass ich nicht lache«, mischte sich Amadeus ein, »der Waldeck weiß nicht einmal, dass es zweierlei Geschlechter gibt. Er betet höchstens mit den Mägden oder singt ihnen Choräle vor. Wir dagegen halten es wie die Studenten.« Er deutete in Richtung Stadt. Auf der anderen Straßenseite reihten sich die Kneipen mit den flotten Dirnen aneinander. Lautes Gelächter erschallte, dann stimmte die ganze Bande wie im Chor ein: »Ja so ein Burschenleben, das ist scheen, da kann man die Schenkel der Weiber von unten sehn.«

Thaddes legte den Finger über die Lippen. »Nicht so laut, sonst wird der Liebling des Abts auf uns aufmerksam. Amadeus, du hast mir das Stichwort gegeben. Aus dem Musterschüler machen wir einen Mädchengrabscher, einen Weiberhengst. Als Lustmolch stellen wir ihn hin.«

»Au fein«, klatschte Franz in die Hände, »und wie machen wir das?«

»Lasst das meine Sache sein! Verschwindet jetzt, ich muss mit Clemens allein sprechen.«

Lange brauchte er nicht nach ihm zu suchen, er fand ihn in der Schreibstube. Dort kritzelte er einen lateinischen Satz auf eine Schiefertafel. Noch wandte er ihm den Rücken zu, noch könnte Thaddes wieder umkehren, vielleicht war seine Idee zu gewagt. Dann betrachtete er Waldeck genauer und der Hader stieg mächtig in ihm hoch. Wie geschmeidig er sich von einem Schreibpult zum anderen bewegte – lange, schlanke Beine, aufrecht, fast tänzelnd. Und er? Seine Beine dicke Stempel, sein Bauch, als ob er ausgestopft wäre. Na ja, er wusste, warum. Er hatte bei seinen Streifgängen einen verschütteten Gang zum Weinkeller ausgegraben und nun freien Zugang dahin. Bruder Cellarius wunderte sich sehr, warum die Fässer so schnell leer wurden. Thaddes hätte es ihm sagen können. Er zapfte heimlich den begehrten Rebensaft in Flaschen ab und bot sein Diebesgut in den Studentenkneipen für reichliche Kupfermünzen an. In seinen Taschen klimperte es immer und so konnte er bei den willigen Schankdirnen seine ersten Erfahrungen in Liebesdingen sammeln. Großzügig lud er Mitschüler, sofern sie ihm genehm waren, zu den Bildungstouren ein. Kein Wunder, wenn er der heimliche Gebieter unter den Klosterschülern war. Es war diese Erkenntnis und das damit verbundene Machtgefühl, das ihn antrieb und ihm Befriedigung gab.

Er tippte Clemens auf die Schulter. »Ah, da bist du ja. Ich habe dich überall gesucht. Jemand braucht deine Hilfe!«

»So, wer soll das sein?«

»Berta, die dickliche, kurzbeinige Küchenmagd, klagt über ein schmerzhaftes Geschwür. Sie kann nicht mehr sitzen und muss die ganze Arbeit im Stehen tun. Das ermüdet sie sehr.«

»Und warum hilfst du ihr nicht?«

»Weil ich zu oft die Heilkunde des Pater Dominikus geschwänzt habe. Aber du warst doch immer dabei, hast eifrig mitgeschrieben und außerdem liegt es dir, den Bedrängten zu helfen. Beeil dich, sonst versalzt uns die Dicke vor lauter Schmerzen noch die Suppe heute Abend.«

 

*

 

Nicht dass Clemens sich über das Lob seines Mitschülers geschmeichelt gefühlt hätte, ihm tat die Magd wegen ihrer Verwachsenheit leid. Also holte er seinen Heilkräuterkasten und machte sich auf den Weg zum Küchentrakt. Die Tür war nur angelehnt. Berta stand auf einem Hocker am Spülbecken. Artig räusperte sich Clemens und als keine Reaktion erfolgte, sprach er die Magd an. »Sei gegrüßt, Berta. Ich habe von deinem Leiden gehört und möchte dir helfen. Wo tut’s denn weh?«

Wie auf Kommando stülpte die Magd ihre Schürze samt dem knöchellangen Rock bis über die Hüften hoch und streckte Clemens ihr blankes Hinterteil entgegen. »Zwischen den Beinen muss es sein.« Sie spreizte ihre Schenkel und fing auch sogleich an zu stöhnen und zu jammern. Clemens wich augenblicklich zwei Schritte zurück und hielt sich die Hände vors Gesicht. Niemals bisher hatte er diesen Körperteil einer Frau gesehen. Schon wollte er Reißaus nehmen, als Berta ihn barsch anfuhr. »Warum tut Ihr nichts? Soll ich ewig so stehen bleiben? Wahrscheinlich seid Ihr wie die anderen. Beten, in die Messe rennen, sich fromm geben, aber vor dem Leid der Mitmenschen die Augen verschließen. Jetzt stellt Euch nicht so an, untersucht die schmerzhaften Stellen. Es sind gewiss Geschwüre.« Sie streckte ihm ihren Hintern noch mehr entgegen. »Wenn Ihr Euch geniert, schließt eben die Tür!«

Rums, mit einem lauten Knall fiel die Küchentür ins Schloss. Der erste Schock wich. Zaghaft berührte er mit den Fingerspitzen zuerst die ihm dargereichten Schenkel. Prall und glatt waren sie, leicht gerötet, aber keine Spur von einem Geschwür. »Ich sehe nichts!«

»Ihr müsst die Innenseiten abtasten. Ja, so! Höher! Dort, wo die Beine zusammentreffen. Jetzt langt endlich hin!«

Nur widerwillig gehorchte Clemens. Berta entfuhr indes ein Wonneschrei. »Genau da! Macht weiter!«

Ein kühler Luftzug streifte ihn in der sonst sehr stickigen Küche. Clemens zuckte zusammen. Jemand musste die Tür geöffnet haben. Er wandte sich um und zog augenblicklich seine Hände zurück.

Mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund stand Abt Ambrosius im Türrahmen, hinter ihm war sein Bruder Ansgar zu sehen und zwei Pater, die im Kloster nur Tratschweiber genannt wurden. Es dauerte lange, bis jeder in der Lage war, sein Erstaunen in Worte zu fassen.

»Hochwürden«, stammelte Clemens und deutete auf die Heilsalbe in seiner Hand, »ich wollte die Küchenmagd von ihren Geschwüren befreien. Aber da sind gar keine.«

Nur ungläubiges Kopfschütteln und ein scharfer Ton. »Mir kommt die Situation aber ganz anders vor. Hast du dich von der Wollust leiten lassen? Sag die Wahrheit!«

»Beim Allerhöchsten und der Ehre meiner Eltern. Ich wollte nur Gutes tun.« Clemens sandte einen flehenden Blick zu seinem Bruder. Es wäre nicht nötig gewesen, denn der Oberhofkämmerer schob sich zwischen ihn und den Abt, fasste die Magd an beiden Armen und sprach mit nicht überhörbarem Zorn in der Stimme. »Wenn dir dein Seelenheil lieb ist und du nicht in der Hölle schmoren möchtest, dann sag, ob du jemals ein Geschwür zwischen den Beinen gehabt hast.«

Eingeschüchtert schüttelte Berta den Kopf und deutete auf die drei Münzen, die auf dem Tisch lagen. »Die habe ich gekriegt, damit ich mitmache. Es sollte doch nur ein Scherz sein.«

»Ein Scherz«, schrie Kämmerer von Waldeck. »Was um Gottes Willen geht in diesem Kloster vor? Herrscht hier Sodom und Gomorrah? Was ist denn noch alles ein Scherz?« Ein böser Blick traf den Abt.

Zornesröte färbte dessen Gesicht. Er war der Vorsteher, war für das gottesfürchtige Tun eines jeden hier verantwortlich. Er schnappte nach Luft. »Ich sehe schon, meine Gutmütigkeit wird ausgenutzt. Mit einem eisernen Besen werde ich auskehren. Und wehe, es kommen weitere Schandtaten ans Licht.« Er deutete auf das gegenüberliegende Gebäude und bat den Zweibrücker Dienstmann, ihm in die Amtsstube zu folgen.

»Erlaubt, hochwürdiger Abt, dass ich zuerst der Sache auf den Grund gehe. Seid gewiss, es wird eine plausible Erklärung geben.« Sanft schob er den Abt und sein Gefolge aus der Küche, dann wandte er sich erneut an die Küchenmagd. »Zuerst streif den Rock ganz herunter und dann sag mir, wer dich angestiftet hat? Sonst ...!«

»Hoher Herr, ich bin ein anständiges Mädchen!«

»Was ich sehe, ist die rote Farbe, die du dir zwischen die Beine geschmiert hast. Soll ich den Medikus holen, damit er dich untersucht?«

Ein erschütternder Aufschrei. »Nein, tut das nicht. Ich will alles sagen.«

»Also, wer hat dich angestiftet?«

Auf einmal sprudelte es aus Berta heraus. »Thaddes hat eine Handvoll Münzen auf den Tisch geworfen und sie in zwei Teile geteilt. Wenn ich mitmache, erhalte ich die ersten drei, danach die anderen. Das Ja hat mich viel Überwindung gekostet, denn ich bin sonst sehr schamhaft, aber mit sechs Kupfermünzen können sich die Meinen zu Hause satt essen.«

Dann hob sie die Fäuste. »Wenn der Fiesling noch einmal in die Küche kommt, hau ich ihm den Schürhaken über den Schädel.« Mit hochrotem Kopf und hängenden Mundwinkeln stieg sie vom Hocker herunter und warf sich vor dem Kämmerer auf die Knie. »Legt ein gutes Wort beim Abt für mich ein, sonst schickt er mich weg. Ich sage Euch auch, was die Bande sonst noch angestellt hat.« Ansgar von Waldeck lief ein Schauer über den Rücken, als er von den Schandtaten der Gruppe erfuhr. Er hielt sich die Ohren zu, zog seinen Bruder hinter sich her und verließ hastig die Küche.

»Clemens, was bin ich froh, dass ich auf meine Gemahlin gehört habe. Sie bestand darauf, dich in unser Stadthaus in Meisenheim zu holen. Ein Schutzengel muss bisher über dich gewacht haben, dass du nicht in diesen Sumpf mit hineingezogen worden bist. Warum hat Abt Ambrosius das unchristliche Treiben nicht bemerkt? Das sind keine Dummejungenstreiche mehr. Du gehst in deine Zelle, packst das Deinige zusammen, dann kommst du in die Amtsstube des Abtes, dort sehen wir uns wieder.«

Mit eiligen Schritten und einem kleinen Bündel auf dem Rücken überquerte Clemens den Klosterhof und wunderte sich, dass das halbe Kloster ihm entgegenkam. Was war geschehen? Aus dem Stimmengewirr konnte er heraushören, dass der Abt den minderen Klosterschüler Thaddes, nachdem Norbert und Amadeus die Schandtaten gebeichtet hatten, zu denen sie angestiftet worden waren, mit Schimpf und Schande aus dem Kloster gejagt hatte.

»Und der Franz, hat der ebenfalls gestanden?«, wollte er wissen.

»Na hör mal, die Edlen von Hausen lassen dem Kloster große Spenden zukommen, zudem haben sie erst letztens eine Madonna für die Kapelle gestiftet.«

 

Artig klopfte Clemens an die Tür der Amtsstube und wurde sofort hereingebeten. Abt Ambrosius war von dem Geschehen so mitgenommen, dass er leichenblass in seinem Sessel saß, die Hände vors Gesicht hielt und vor sich hin jammerte. Als er Clemens erblickte, erhob er sich. »Und nun verlässt uns nach neun Jahren der gottesfürchtigste, der gescheiteste aller meiner Schüler. Du kannst besser Latein sprechen und lesen als alle anderen Brüder. Ich habe beobachtet, wie du dein Brot mit den bettelnden Kindern an der Pforte geteilt hast. Dein Herz schlägt für die Armen und Schwachen. Im nächsten Jahr wolltest du das Gelübde ablegen. Gerne hätte ich dich als meinen Nachfolger gesehen. Aber der Wille des Herrn muss geschehen!«

Die tiefen Falten im Gesicht des Abtes glätteten sich wieder. »Auf der anderen Seite lasse ich dich gerne gehen, weil dein Bruder mir erzählt hat, dass du in einem gesitteten und tugendsamen Haushalt aufgenommen wirst. Deine Schwägerin wird, wie ihr Gatte meint, einen guten Einfluss auf dich ausüben.« Der Klostervorsteher bat Clemens niederzuknien und malte mit dem Daumen ein Kreuz auf seine Stirn. »Der Herr segne dich, leite deine Wege und halte alle Versuchung von dir fern. Clemens, führe auch außerhalb der Klostermauern ein gottesfürchtiges Leben, mache deinen verstorbenen Eltern keine Schande, eifere deinem pflichtbewussten Bruder nach, achte deine tugendhafte Schwägerin und vergiss deinen Abt nicht. Wenn der Herr es will, kreuzen sich unsere Wege wieder. Denk immer daran, deine geistige Heimat ist das Franziskanerkloster. Geh nun, mein Sohn!«

Der Oberhofkämmerer drückte dem Abt einen gefüllten Beutel in die Hand, dann stiegen die Brüder in die herzogliche Kutsche, lehnten sich in die weichen Polster und schauten wehmütig zurück.

 

*

 

An der alten Ulme, dort, wo die Straße nach Altrip zur Rheinfähre abbog, lehnte Thaddes in schäbigen Kleidern, ausgelatschten Sandalen und mit einem löchrigen Strohhut. Mit hasserfüllten Augen sah er der Kutsche nach. »Euch adeliger Bagage hefte ich mich an die Fersen. Egal, wie weit es sein wird.«

Seine Schwurhand reckte er gen Himmel. »So wahr ich Thaddes heiße, schwöre ich, dass ich nicht eher ruhen werde, bis sich meine Rache an den beiden Waldecks erfüllt hat.«

Er zog einen kleinen Dolch aus dem Gürtel und ritzte sich eine Wunde in den linken Unterarm. Die Narbe sollte ihn stets an seinen Schwur erinnern.

2.

 

Im Weinloch

 

Oft hatte Thaddes seinen Schwur brechen wollen. Immer hinter der Kutsche hergehechelt, kein Stück Brot mehr im Sack und die Schuhsohlen durchgelaufen, aber das Rachegefühl war stärker. Der Stallmeister am herzoglichen Hof in Meisenheim am Glan hatte ein Einsehen. Gnädigerweise durfte er die Pferdeställe ausmisten und den Säuen die Ringelschwänzchen geradebiegen. Seine ersten drei verdienten Kupferpfennige klimperten nicht lange im Beutel. Die ganze Zeit schielte er im Weinloch an der Stadtmauer zu dem Tisch in der Ecke, an dem zwei Einheimische einen Krug nach dem anderen leerten. Seine Zunge klebte am Gaumen, doch der Wirt wollte vor dem Nachschenken zuerst eine Kupfermünze auf dem Tresen liegen sehen. Schwerfällig erhob sich Thaddes und wandte sich der Tür zu, als er gerufen wurde. »He, du am Tresen, mach nicht solche Stielaugen. Komm, setz dich zu uns.«

Das ließ sich der Stallbursche nicht zweimal sagen. Ein Satz und er saß auf dem freien Stuhl. Wegen der grobschlächtigen Reden und fürchterlichen Flüche gefielen ihm die beiden Gestalten sofort. Dass jemand eingeladen wurde, schien in der windschiefen Kneipe mit dem Strohdach und den willigen Schankmägden üblich zu sein. Ganz gewiss verkehrten hier nicht der Herr Pfarrer und die Herren vom Magistrat und erst recht nicht der herzogliche Oberhofkämmerer. Dieser Name fiel tatsächlich während der weiteren Unterhaltung und der Stallbursche spitzte seine Ohren.

Der mit den haarigen Warzen an den Händen streckte dem Neuen diese entgegen. »Peter heiß ich, bin Stadtknecht. Und der neben mir, das ist Schiefauge, Waffenknecht im Schloss. Er schielt wie der Teufel. Ich habe aber noch nicht herausgefunden, ob er um die Ecke schauen oder alles doppelt sehen kann. Jedenfalls steht fest, dass er nur ein halbes Gehirn hat.«

»Warzenpeter, musst du mich immer vor den anderen schlechtmachen? Sind wir Freunde oder nicht? Was soll das Bürschlein von mir denken?«

»Ha!« Der Stadtknecht hieb dem Neuen mit den kurzen, dicken Beinen, aber schmalen Schultern und Händen, die an keine schwere Arbeit gewohnt waren, so derb auf den Rücken, dass er unter den Tisch sank. »Nichts für ungut! Sag deinen Namen, dann stoßen wir an.«

Etwas benommen stammelte der neue Trinkkumpan: »Thaddes vaus Altenbach.«

»Bürschchen, du krächzt nicht nur, du nuschelst auch. Das Wörtchen dazwischen habe ich nicht verstanden. War das ein von?« Der ehemalige Klosterschüler sprach das nicht ganz unwichtige Wörtchen mit den drei Buchstaben seit seinem Rauswurf immer etwas verwaschen aus. Es könnte schon als Adelsprädikat verstanden werden, doch im Moment musste er mit offenen Karten spielen. »Es war ein aus. Ich komme aus Altenbach im Odenwald, wie andere aus Lichtenberg oder Fichtenhausen kommen.«

»Also Thaddes aus Altenbach, dann lass uns den Krug leeren, denn Saufen ist das Wichtigste im Leben. Hiermit nehmen wir dich in unsere Runde auf!«

Ein Krug folgte auf den anderen. Nachdem der vierte auf dem Tisch stand, wollten die Saufkumpane wissen, warum er gerade in Meisenheim nach Arbeit gesucht hatte. »Wegen der Waldecks. Ich habe eine Rechnung mit ihnen offen. Wie ich vorhin gehört habe, scheint ihr die Herren auch nicht in euer Herz geschlossen zu haben, oder?« Er krempelte den linken Ärmel hoch: »Da seht ihr die Narbe, sie soll mich an das, was die beiden mir angetan haben, immer erinnern.«

Da hatten sich die Richtigen gefunden. Warzenpeter und Schiefauge wollten eigenartigerweise gar nicht den Grund für Thaddes Rachegelüste wissen. Sie waren wahrscheinlich froh, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Der Stallbursche erfuhr, dass sich der Kämmerer bisher quergestellt hatte, wenn Schiefauge um eine Solderhöhung bat. »Abblitzen hat er mich lassen wie einen bettelnden Lausejungen. Der feine Herr gönnt anderen nichts, aber selbst Geld scheffeln ...« Schiefauge zeigte mit dem Daumen nach rechts. »Dort, gleich am Ende der Untergasse, steht sein prächtiges zweistöckiges Stadthaus. Manche sagen, dass es früher einem Juden gehört habe, und als der seine Kredite nicht mehr zurückzahlen konnte, habe der Kämmerer es ihm für ein Butterbrot abgeluchst.«

»He, ihr Märchenerzähler.« Der Wirt mischte sich ein. »Hübsch bei der Wahrheit bleiben. So war das nicht. Das Haus hat der Herr Oberhofkämmerer für gutes Geld den Erben der Losersmühle abgekauft. Urkundlich verbrieft und vom Rat der Stadt abgesegnet. Der Herr von Waldeck ist eine honette Person, bei Hof geachtet und beim Magistrat gut angesehen. Lasst ihn gefälligst in Ruhe!«

Das hörten die drei nicht gerne. Mit schiefen Mundwinkeln zogen sie sich noch mehr in die Ecke zurück und dämpften ihre Stimmen. Der Wirt brauchte ja nicht alles zu hören.

»Also, wie stellen wir es an? Wie verpassen wir ihm einen Denkzettel?«, fragte Schiefauge in die Runde.

Thaddes kannte die örtlichen Verhältnisse nicht und ließ vorerst seinen neuen Saufkumpanen den Vortritt. Als von ihnen nichts kam, musste er die Sache in die Hand nehmen. »Eins nach dem anderen! Das ist mein Grundsatz. Es muss etwas sein, wodurch zuerst der Ruf der angesehenen Familie angekratzt wird. Wie steht es mit der Frau des Hauses?«

»Tabea ist die Halbschwester des Landesherrn. Sie kann im Schloss ein und aus gehen und wird von den Leuten wie eine Heilige verehrt. Außerdem haben wir beide für sie bereits dieses und jenes erledigt und wurden immer reichlich entlohnt. Stehen sozusagen in ihren Diensten. Und ...«, Warzenpeter deutete auf Schiefauge, »meinem Kompagnon gefallen halt ihre körperlichen Rundungen. Schön und begehrenswert ist das Weib und sicher würde so mancher der vornehmen Herrn gern sein Bett mit ihr teilen.«

»Aber nach dem Gottesdienst«, fiel Schiefauge ihm ins Wort, »ist sie es, die am meisten in den Opferstock wirft. Wenn wir ihr etwas antun, laden wir schwere Sünde auf uns.«

»Da schau sich einer den Heuchler an. Wer schraubt denn heimlich am Opferkasten in der Stadtkirche herum? Glaubst du, ich bin blind?«

»Lasst das!«, dämpfte Thaddes die aufgeheizte Stimmung. »Aber eure Streiterei hat mich auf einen Gedanken gebracht. Wir sollten bei der Frau ansetzen. Gerade ihre Frömmigkeit oder Heiligkeit könnte der Schlüssel sein, der uns die Tür öffnet.« Eindringlich fixierte Thaddes den Stadtknecht, der ihm als der Abgebrühtere vorkam. »Warzenpeter, erzähl, was sich sonst noch im Weinloch abspielt.«

»Psst, nicht so laut. Der Wirt spitzt wieder die Ohren.« Mit gedämpfter Stimme und einem scheelen Blick zum Wirt begann er. »Na ja, jeden Dienstag kommen die mehr oder minder jungen Hofpagen, die im Schloss gute Manieren lernen sollen, hierher und genehmigen sich den einen oder anderen Krug und gehen schon mal mit der zahnlückigen Schankdirne nach oben. Denen juckt es halt auch in der Hose. Das Alter der Lisbeth scheint ihnen egal zu sein. Hauptsache, sie macht die Beine recht breit.« Dabei grinste Warzenpeter Thaddes vielsagend an. »Kannst es ja auch einmal versuchen. Wenn sie dir zu hässlich ist, zieh halt das Betttuch über ihr Gesicht. Ha, ha, ha!«

»Verdirb das Jüngelchen nicht«, brauste Schiefauge auf.

»Ich glaube nicht, dass es da viel zu verderben gibt. Aber zurück zu den Prinzchen und Freiherrlein. Da ist einer mit langen blonden Haaren dabei, nicht mehr der Jüngste, aber gut im Saft. Auf Weiber ist er scharf wie ein Rettich. Lutz zu Rotenfeld nennt er sich. Dem könnten wir hinter vorgehaltener Hand erzählen, dass einige Häuser weiter eine Schöne wohnt, die immer rossig ist und auf Burschen steht, wie er einer ist. Wenn er sich nicht traue, sie anzusprechen, solle er sich eben Mut antrinken und wie nach alter Sitte der Begehrten unter ihrem Fenster ein Minnelied singen. Das komme bei Frauen gut an.«

Mit Wucht donnerte der Schlossknecht seine Faust auf den Tisch, dass alle aufschreckten und zu den dreien in der Ecke schauten. »Da stimme ich nie und nimmer zu. Wenn einer der Tabea mit einem Minnelied, vielleicht noch mit einem anstößigen Text huldigt, wird die ganze Stadt davon sprechen.«

»Soll sie doch!«

»Aber wir wollten dem Kämmerer eins auswischen.«

»Tun wir damit ja. – Anstatt auf seine Gemahlin achtzugeben, sitzt er Tag und Nacht in der Kanzlei, zählt Geld oder denkt nach, welche weitere Sondersteuer erhoben werden könnte. Die Leute sollen sehen, dass der Herr Gemahl ein Paragraphenreiter ist und in der Hose nur einen verdorrten Pinsel hat.«

Schiefauge duckte sich und Thaddes rieb sich zufrieden die Hände. Das war zumindest ein erster Schritt.

3.

 

Der Kirchgang

 

Tabea mit den sanften Augen, dem keuschen Blick und einem Anteil königlichen Blutes in ihren Adern zündete mit klopfendem Herzen zwei zusätzliche Wachskerzen an ihrem Hausaltar an. Sie ließ sich auf die Knie fallen und sprach inbrünstig ein Vaterunser nach dem anderen. Der Herr möge ihr beistehen, denn sie verspürte wieder dieses sündhafte Verlangen. Was hatte sie nicht schon alles dagegen getan: Gewallfahrt, sich gezüchtigt, stundenlang auf kaltem Steinboden gelegen, sich heißes Wachs auf die Haut geträufelt. Nichts hatte den lüsternen Drang besiegt.

Zu ihrem Schlafgemach hatte niemand Zutritt, selbst ihr Gemahl nicht. Das hatte sie sich vor der Eheschließung ausbedungen. Hier vor dem Altar wollte sie sich verzehren in der Liebe zum Herrn. Nur ihm allein wollte sie gehören. Doch seit der Bruder ihres Ehemanns die Kammer neben der ihren bezogen hatte, war er wieder da, der Traum. Verflucht hatte sie ihn und gleichzeitig herbeigesehnt. In der vergangen Nacht hatte sie sich im Bett von einer Seite auf die andere gewälzt und heißer, brennender Schweiß war aus allen Poren gequollen. Herr, diesmal nicht, hatte sie sich gewehrt.

Umsonst! Mit zitternden Händen holte sie das versteckte nussbraune Holzkästchen mit den Erinnerungen an sinnliche Stunden hervor und strich liebevoll darüber. Ihre Wangen röteten sich, wurden heißer, bis sie schließlich wie Feuer brannten. Das Verlangen ihres Körpers ließ sie beben. Ein lustvoller Schauer durchströmte sie. Ihr Atem raste, sie schloss die Augen und die Erinnerungen stiegen wieder hoch.

Ihre Mutter, die herzogliche Vorköchin, hatte sie schon vor der Geburt abgelehnt, weil Herzog Stephan, der Vater des jetzt Regierenden, sie, die Schwangere, wie einen verschlissenen Mantel abgelegt hatte. Gewiss, er stieß sie nicht in die Gosse, sondern versprach dem spielsüchtigen Stadtmedikus Volkmann einige Taler, wenn er die Schwangere ehelichen würde. Im Nu waren die wenigen Münzen aufgezehrt und die Mutter musste sich mit der Tochter so leidlich durchschlagen. Doch vor Übernahme der Regierungsgewalt bat er seinen Sohn Ludwig, auf seine Halbschwester ein brüderliches Auge zu haben. Das tat er auch.

Fürwahr, Tabea hatte keine schöne Kinderzeit gehabt. Bei jeder Unerlaubtheit, und war sie noch so winzig, wurde sie in den Keller gesperrt. Zuerst fürchtete sie sich in dem kalten, nassen und stickigen Loch und weinte bittere Tränen. Niemand schaute nach ihr. Dem Stiefvater war sie egal und der Mutter ohnehin. Um überhaupt zu spüren, dass sie lebte, fügte sie sich Nadelstiche zu. Es tat zwar weh und jedes Mal schrie sie laut auf, aber es stellte sich, wenn sie die Augen schloss, der köstliche Traum ein.

Ein wunderschöner Jüngling mit blonden, lockigen Haaren stieg von seinem Rappen, schloss die Kellertüre auf, reichte ihr die Hand, zog sie hoch und drückte sie so fest an sich, dass beider Leiber zu einem verschmolzen. Ein wohliges Gefühl bescherte ihr für kurze Weile eine unbeschreibliche Lust und verjagte die Angst. Das Verlangen nach dem Zustand machte sich wie eine Sucht breit und forderte, befriedigt zu werden.

 

Heute Nacht war ihr wieder der Traumprinz erschienen und diesmal hatte er sogar ein Gesicht. Eins, das sie kannte, das ihr lieb und wert war. Es war nicht nur ein Traumgebilde. Aber es durfte nicht sein! Sie wehrte sich, rang mit sich, doch die Sucht obsiegte. »Pah!« Mit einer wegwerfenden Handbewegung beruhigte sie ihr Gewissen. Ihre Vermählung war ja nur ein Geschäft gewesen. Ihr Halbbruder hatte auf ihre Frömmigkeit Rücksicht nehmen wollen und sie dem Oberhofkämmerer gegeben, weil der kein Interesse an Frauen hatte. Er bewegte sich in einer Welt von Zahlen. Wenn reichlich Abgaben und Steuern flossen, war er glücklich. Bei so einem Arrangement konnte jeder dem frönen, was ihm Erfüllung brachte. Auch wenn die Moral sich mit solcher Erklärung beruhigen ließ, blickte sie trotzdem schuldbewusst zum Kruzifix empor und hörte die andere Stimme in sich. »Tabea, du begehst wieder eine Todsünde. Du hast geschworen, der fleischlichen Lust zu entsagen und nie mehr einen Jüngling zu verführen. Diesmal musst du besonders standhaft bleiben, denn der Auserkorene ist der Bruder deines Gemahls, ein gottesfürchtiger junger Mann. Wenn du nicht standhaft bleibst, werden dich dereinst die Höllenflammen verzehren!«

Sich schüttelnd, gruselnd, vor Angst bebend senkte die schöne Tabea reumütig ihr Haupt und stierte mit starren, glasigen Augen auf den schwarzen, kalten Marmorboden. Kleine Teufelchen mit spitzen Zacken und glühenden Scheren sprangen darauf herum, balgten sich und wollten an ihr hochklettern.

Ein Ruck – Tabea sprang in die Höhe und warf trotzig den Kopf zurück. Was war denn das für ein Leben, das sie führen musste? Wenn schon der Gedanke an etwas Lustvolles eine Sünde war, dann sollten sie sie eben holen. Sollte sie leben wie eine ausgedorrte Betschwester? Ihr Leib brannte, ihr Verlangen verzehrte sie. Sollte sie ihren Körper an jeden Dahergelaufenen verschenken? Nein und nochmals nein! Sie wollte nur ihren Prinzgemahl!

Wieder strich sie über das Holzkästchen. Sie war nun achtunddreißig Jahre alt. Es würde nicht mehr lange dauern, dann welkte ihre Haut, Runzeln bildeten sich und ihre Brüste erschlafften. Dann würde sie kein Prinz mehr anschauen, niemand mehr sie begehren. Aber gut, heute würde sie widerstehen!

Sich stark fühlend stampfte sie mit dem Fuß beteuernd auf den Boden. Sie würde dem Klosterbübchen schon nichts tun.

Die Glocken der Stadtkirche läuteten. Unten pochte es an der Tür. Sie schreckte hoch. Nanu, ihr Gemahl konnte es nicht sein, die Hausmagd auch nicht. Sie hatte sie auf den Markt geschickt. Ein Fremder? Schnell träufelte sie ein wenig Rosenwasser in ihren Ausschnitt.

»Schwägerin«, schallte es vom Gang her, »es ist Vinzenz, der Sohn des Schneiders, mit meinem neuen Gewand. Prächtig sieht es aus. Schneidermeister Schnurr versteht sein Handwerk.«

Unmutig riss Tabea die Tür auf. »Warum wird das Wams erst im letzten Augenblick abgegeben? Sein Vater ...«, ihre Augen blitzten, »hatte doch genug Zeit. Ich werde mir mit dem Begleichen der Rechnung auch Zeit lassen. Richte Er das seinem Vater aus. Und im Übrigen werden wir uns das nächste Mal an einen Schneidermeister wenden, auf den man sich verlassen kann.«

»Ach liebe Schwägerin, sei nicht so streng!« Schnell schlüpfte Clemens in das neue Gewand. Unter den Armen zwickte es. Aber wenn er jetzt etwas zu bemängeln hätte, wäre der Teufel los. Er zwinkerte dem Schneidersohn zu und führte ihn mit den Augen zu den zu eng eingenähten Ärmeln. »Schwägerin, schau, wie akkurat das Wams sitzt. Eine hervorragende Arbeit, nicht wahr?«

Bei Tabea schien der Zorn verflogen zu sein, sie drehte sich zur Seite und wurstelte an ihrem Brusttuch herum. Clemens gab Vinzenz einen leichten Stoß und grinste in sich hinein. »Richte deinem Vater aus, dass die Waldecks mit seiner Arbeit sehr zufrieden sind, und ich werde nach dem Kirchgang bei ihm vorbeikommen und mich persönlich bedanken.«

Später, als sie wieder allein waren, sagte er zu ihr: »Schwägerin, wir sollten uns beeilen. Ich möchte nicht zu spät zum Gottesdienst kommen, das wäre dem Herrn gegenüber respektlos. Bist du fertig?«

Tabea warf den knöchellangen Umhang um sich, knöpfte ihn bis zum Hals zu und drückte ihre schwarze Haube tief ins Gesicht. So wurde es von einer ehrbaren Frau erwartet.

»Geht mein Bruder nicht mit, Schwägerin?«

»Nein, es gibt wieder einmal Verwicklungen, manche sagen auch Streitigkeiten dazu.«

»Mit wem?«

»Mit dem Heidelberger Vetter meines Halbbruders. Der böse Fritz, wie der Pfälzer Kurfürst hier genannt wird, glaubt, der Lehnsherr über das veldenzsche Erbgut meines Halbbruders zu sein, doch der weist dieses Ansinnen weit von sich.«

»Und wer hat recht?«

»Keiner! Der Kurpfälzer Vetter versteift sich auf Rechte aus der Urzeit, der Zweibrücker Vetter pocht auf die Unantastbarkeit seines mütterlichen Erbes.«

Züchtig raffte Tabea ihren Rock, damit der Saum nicht am Boden streifte, denn nicht alle Gassen waren gepflastert. Die Leute schütteten ihren Unrat aus den Fenstern. Manchmal stank es, dass einem die Luft wegblieb. Würdevoll schritt der hochgewachsene Clemens an der Seite seiner Schwägerin. In seinem neuen blausamtenen Wams mit den silbernen Litzen an Kragen, Ärmeln und den Perlmuttknöpfen sah er wahrlich wie ein Edelmann aus. Bevor sie auf den Marktplatz einbogen, stellte sich ihnen ein kleines Mädchen in den Weg und streute aus einem Körbchen Rosenblätter vor der Angetrauten des Oberhofkämmerers. »Der frommen Frau zum Gruße! So soll ich sagen, hat meine Mama gesagt.«

Tabea blieb stehen, lächelte sanft, griff in ihre Geldbörse und drückte der Kleinen eine Münze in die Hand. »Der Herr sei mit dir, liebes Kind. Schließ mich und alle, die du gern hast, in dein Abendgebet ein.«

Längst hatten sich die Kirchgänger um sie geschart und begleiteten das Ereignis mit wohlwollenden Blicken. Meine Schwägerin, dachte Clemens, ist wahrhaftig eine gütige Frau, deswegen wird sie von den Leuten so geliebt. Es kam schon ein wenig Stolz und noch mehr Ehrfurcht in ihm auf. Außerdem, aber diese Feststellung verbot sich der Klosterschüler sofort, ist sie eine schöne Frau. Wenn er den Gedanken freilich weitergesponnen hätte, wäre das eine Erklärung gewesen, warum gerade die Männer am Straßenrand sie mit glühenden, um nicht zu sagen, mit gierigen Blicken verschlangen. Artig zogen sie ihre Hüte oder Mützen und ließen kein Auge von ihr. Es wurden immer mehr und die Gassen immer enger. Energisch bahnte Clemens für Tabea einen Weg. Kein Wunder, dass er die eher missbilligenden Blicke der Frauen, die in der zweiten Reihe standen, nicht wahrnahm.

Als sie die Kirchgasse erreicht hatten, schob Tabea ihren Arm unter den von Clemens. »Komm, Schwager, erlaube mir, mich bei dir einzuhaken.« Augenblicklich schob der Klosterschüler den Arm der Dame wieder dorthin, wo er hingehörte. »Nein, Schwägerin, das gehört sich nicht. So eng vertraut zeigen sich nur Eheleute in der Öffentlichkeit. Ich möchte nicht, dass du ins Gerede kommst. Gewiss würde das meinem Bruder nicht gefallen.«

Tabea scherte sich weder um die Blicke noch um die Ansichten der Leute. »Jetzt stell dich nicht so an. Bist du nun mein Schwager oder bist du es nicht? Wenn ja, dann zeig es!«

Kleinlaut, wohl mit einem flauen Gefühl in der Magengrube, gab Clemens nach. Sie betraten die Stadtkirche und nahmen die Plätze ein, die für sie reserviert waren. Viele neugierige Blicke trafen das Paar. Endlich erschien der beliebte Pastor Meinhard. Bei seinen Predigten nannte er die Dinge beim Namen und mit den Beispielen konnte jeder Kirchgänger etwas anfangen. Keine salbungsvollen Sprüche, keine Vergleiche, die nur Gelehrte verstanden. Heute sprach er ihnen ins Gewissen. »Brüder und Schwestern, wenn ihr gesündigt habt, müsst ihr die Tat bereuen. Aber nicht nur im stillen Kämmerlein drei Vaterunser herunterleiern, sondern den Schaden wiedergutmachen. Wenn ihr aus dem Wald des Nachbarn einen Ster Holz in euren Schuppen getragen habt, ohne ihn zu fragen, dann geht zu ihm, entschuldigt euch, reicht ihm die Hand und gebt das Gestohlene zurück. Natürlich gehört zu diesem Schritt Selbstüberwindung und Mut, aber glaubt mir, danach könnt ihr freier atmen und den Leuten ohne Scham ins Gesicht sehen.«

 

Tabea hatte den Eindruck, dass Clemens jedes Wort förmlich in sich einsog. Ihre Gedanken waren jedoch ganz woanders. Wie von selbst suchten ihre Hände nach denen des schönen Schwagers. Sanft bettete sie diese in ihren heißen Schoß. Dabei rückte sie näher an ihn heran und wisperte: »Lieber Schwager, ich bin ja so froh, dass du das Angebot Ansgars, zu uns ins Stadthaus zu kommen, angenommen hast. Schon aus seinen Erzählungen konnte ich mir ein Bild von dir machen, allein wenn ich dich so ansehe, muss ich mich tausendfach korrigieren. Im Nu hast du mein Herz erobert.« Tabea hüstelte leicht, hielt sich ein Seidentüchlein vor den Mund und flüsterte Clemens ins Ohr: »Du musst es ja einmal erfahren. Ich bin es gewesen, die deinen Bruder dazu gedrängt hat, dich aus dem Kloster zu holen. Dort hättest du dich im Gebet, in der Buße oder in der Askese verzehrt. Nicht, dass das kein gottesfürchtiges Tun wäre, aber bei Hofe steht dir wegen deiner Fähigkeiten eine glänzende Karriere offen. Gewiss wirst du zuerst im Kabinett neben dem Oberhofkämmerer in der Kanzlei sitzen, doch wird es nicht lange dauern und du führst die Korrespondenz des Herzogs, gehst mit ihm auf Reisen und berätst ihn bei Verhandlungen. Mein Halbbruder braucht tüchtige Männer um sich. Solche, die erst denken und nicht gleich zuhauen.«

Sie zögerte erst, dann sprach sie noch leiser. »Die Hofdamen sollten dich nicht sonderlich interessieren. Gern geben sie gute Ratschläge, aber an und für sich wollen sie immer nur das eine.« Dabei kicherte sie und errötete. »Wenn dich etwas bedrückt, komm zu mir.«

Sie strich an seinem blausamtenen Wams entlang, drehte an den Knöpfen und glättete den verrutschten Aufschlag der Ärmel. »Bei Hofe wird seit der Heirat meines Halbbruders mit einer burgundischen Prinzessin auf korrekte Kleidung und ritterliches Verhalten großen Wert gelegt. Deine männliche Gestalt, dein aufrechter Gang, deine vornehme Haltung und deine klerikale Bildung werden durch gut sitzende Beinkleider und taillierte Röcke weiter unterstrichen.«

Zart streichelte sie über Clemens’ Handrücken und ergötzte sich an seinem verwirrten Ausdruck. Ihr Busen wogte. Züchtig fächelte sie sich Luft zu, schaute sich nach allen Seiten um, dann rückte sie den spitzenbesetzten Schal im Dekolleté ein wenig mehr zur Seite. Nur so zum Scherz!

 

*

 

»«

Oben angelangt, legte er sie behutsam in die weichen Kissen, zog ihr die Schuhe aus und deckte sie mit einem dünnen Leintuch zu – der nackten Beine und des verrutschten Dekolletés wegen. »Nein, nimm es wieder weg. Ich koche innerlich. Befreie mich lieber von dem Umhang, ich habe nicht die Kraft dazu. Schiebe das Brusttuch beiseite und fächle mir Kühlung zu.«

Clemens saß zum ersten Mal in seinem Leben am Bettrand einer Dame, und dann noch diese Handreichungen! Gewiss, sie waren notwendig. Er tat es ja gerne, aber er musste sich dazu überwinden.

»Als Pflegeperson bist du gut geeignet. Gleich werde ich mich besser fühlen!« Ihre Brüste hoben und senkten sich und sprengten fast das Mieder. Schamhaft drehte sich Clemens zur Seite und sprach ein Bittgebet, dass das Unwohlsein der Schwägerin schnell vorübergehen möge.

»Besser, ich rufe nach Trautlind. Die Hausmagd kann dir kalte Wickel machen. Derweil werde ich frisches Wasser aus dem Hofbrunnen holen.«

»Nein, nein, Lieber, das ist nicht nötig. Fühle lieber meinen Puls und wenn du ganz lieb sein willst, dann knöpfe mir das Mieder noch mehr auf. Du brauchst deswegen keinen roten Kopf zu bekommen. Ich bin deine Schwägerin und du hast dir doch vorgenommen, dankbar zu sein.«

Clemens wollte nicht unhöflich sein, aber es wurde ihm dabei nicht wohler – er allein in der Schlafkammer mit der Gemahlin seines Bruders. Das gehörte sich nicht. Behutsam schob er Tabeas Hände, die sich mittlerweile auf seinem Schoß befanden, wieder weg. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und krampfhaft suchte er nach einem Grund, die Kammer zu verlassen.

Plötzlich war Lärm auf der Treppe. Gleich darauf riss der Kämmerer die Tür auf und starrte auf seine Frau. »Tabea, was ist passiert? Wie geht’s dir? Die Leute haben gesagt, dass du dich krampfhaft nach Hause geschleppt hast. Soll ich den Hofmedikus rufen?«

Clemens erschrak. Wie umgewandelt war Tabea auf einmal. Ärgerlich schlug sie mit den flachen Händen auf die Bettdecke. »Was die Leute so alles sagen. Mir kann es doch auch einmal übel sein. Immer wird daraus ein großes Theater gemacht. Geht beide hinaus. Ich brauche jetzt Ruhe, sonst nichts!«

 

Der Kämmerer zog Clemens hinter sich her und verschloss lautlos die Tür. Kaum waren sie allein auf dem Gang, umarmte der ältere Bruder den jüngeren. »Clemens, hab Dank, dass du dich so fürsorglich um Tabea gekümmert hast. Sie ist manchmal etwas schwierig. Ein frommes Leben scheint nicht einfach zu sein. Übrigens, du musst morgen zur Sauhatz im Schlosshof erscheinen.«

»Erscheinen?«

»Der Herzog hat gehört, dass du nun bei uns im Stadthaus lebst, und dich zu diesem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen. Das ist eine große Ehre. Und weil du noch nie an einer Sauhatz teilgenommen hast, habe ich Stollberg, den Jagdgehilfen, gebeten, dich zuvor ein wenig in die Gepflogenheiten einzuführen. Morgen früh um fünf im Schlosshof. Sei pünktlich!«