Stichblatt Verlag
von Bitterweg
Eine Fantasy-Trilogie für Freigeister
Band 1: Das DuneburgDebakel
Band 2: Das Mächtweiler Mirakel (in Vorbereitung)
Band 3: Das BiegenwehrBekakel (in Vorbereitung)
Skurril ironische Phantastik mit trockenem Humor und einem unbekümmerten Hang zur Satire, das erwartet euch in den Geschichten von Platti Lorenz. Ihren Debütroman von Bitterweg. Das DuneburgDebakel veröffentlichte die Mecklenburgerin 2014 als unabhängige Autorin zunächst in der eBook-Ausgabe. Dies gilt auch für die auf dem Geschichten-Blog Tyrrin Hexenkater basierende Graphic Novel Dieses Hutmenschenkomplott im Herbst 2015. Im Januar 2017 machte die Autorin dann den nächsten Schritt und gründete den Stichblatt Verlag, wo ihre Geschichten nun auch in gedruckter Form erscheinen.
Von Bitterweg. Das DuneburgDebakel
Platti Lorenz
© Copyright 2014, Stichblatt Verlag – Katrin Lorenz, Rostock, Deutschland
www.stichblatt.de
Illustrationen: Platti Lorenz, Rostock
Korrektorat: Sandra Ehrlich, Banzkow bei Schwerin
ISBN: 978-3-947165-04-9
Schluss mit der Testphase! ^o^
Sage und schreibe zwei Jahre liegt es nun zurück, dass ich mich dazu entschlossen habe, meinen Weg als unabhängige Autorin einzuschlagen – alles völlig verlagsfrei und als einfacher Freiberufler im Rahmen der Kleinunternehmerregelung. ^_^ Gut, an dieser Grundkonstellation hat sich bis heute nicht allzu viel geändert. Dennoch bin ich fasziniert, wie sich seitdem alles entwickelt hat. Und entwickelt hat sich da wirklich so einiges. Um genau zu sein, war es sogar so viel, dass ich meine Testphase als freiberufliche Schriftstellerin hier und jetzt sowie guten Gewissens als für beendet erkläre. ^.~
Na schön ... Vielleicht gehe ich, für die zugestiegenen Leser unter euch, besser noch einmal näher auf die Sache mit dieser ominösen Testphase ein ... ^.^‘
Die Geschichte um Aiden Wirket und von Bitterweg habe ich Anfang 2011 zu schreiben begonnen. Natürlich hatte ich schon vorher ein paar Sachen geschrieben, hauptsächlich Fantasy, und das ein oder andere sogar gezeichnet. Aber bei von Bitterweg hatte ich zum ersten Mal die konkrete Absicht – auf welchem Weg auch immer – ein richtiges Buch daraus zu machen.
Damals hatte das Schreiben an dieser Geschichte für mich zwar nur so etwas wie Hobby-Charakter, aber ich schätze, auf diese Weise fangen die meisten mit dem Schreiben an. Ein bisschen heimlich und gerne mal im stillen Kämmerlein – während man sich in der Hauptsache auf das richtige Berufsleben oder – wie in meinem Fall – den richtigen und seriösen Berufseinstieg konzentriert ...
2013 hatte ich aufgrund einiger prägender Ereignisse von dieser Seriosität schließlich die Faxen dicke. Also beschloss ich, stur und dickköpfig wie ich bin (^_^), mal meinen schriftstellerischen Marktwert abzuchecken und die ersten dreißig Seiten von von Bitterweg bei fünf großen deutschen Verlagshäusern einzuschicken. Werbetexter und angehender Schriftsteller, wie ich damals war, bin ich natürlich mit größtmöglichem Elan und Auffälligkeitsbedürfnis an mein Exposé herangegangen, welches zwar bei den unterschiedlichen Verlagen eingegangen ist, aber – so meine heutige Vermutung – in Sachen innovativer Autor-Verlags-Kommunikation seiner Zeit vielleicht ein winziges bisschen voraus war ... ^.^‘ – Ja, man sollte die lieben Lektoren eines Verlages eben nicht in der unbekümmerten Manier eines Bloggers anschreiben und dann auch noch von Dingen wie einer humoristischen Phantastik mit Ironie und satirischen Elementen schreiben, die sich zu allem Überfluss auch noch von der klassischen Fantasy-Literatur unterscheidet ... (Das nur mal so als Hinweis und für den Fall, dass der ein oder andere von euch mit einem ähnlichen Gedanken spielt. ^_^)
Nachdem ich also die entsprechenden „Vielen Dank, für Ihr Exposé, aber wir können Sie in unser Verlagsprogramm nicht einordnen“-Rückmeldungen nacheinander und in jeweils unterschiedlichen Formulierungen erhalten habe, war für mich schon recht früh klar: Wer sich heutzutage als Autor ohne nennenswerte Beziehungen oder Agenten einen Namen machen will, braucht ein öffentliches Testgelände und offenes, ehrliches und konstruktives Feedback von echten Lesern. – Ja genau, damit meine ich solche Leser wie euch. ^.~
Tja, und damit wäre ich auch schon bei dem Startschuss für die bereits erwähnte Testphase meiner schriftstellerischen Qualitäten. ^.^
Anstelle weitere und kleinere Verlage anzuschreiben, zog ich es im Frühjahr 2014 vor, meinen unternehmerischen Status als Freiberufler auf mein Dasein als freie Schriftstellerin zu erweitern und mir Stück für Stück selbst ein Bild von der aufstrebenden Welt der Indie-Autoren zu machen. Erst einmal völlig unabhängig, unverbindlich und eben halt mal nur so zum Gucken. Wenn ich schon nicht in eine Schublade einzuordnen war, wollte ich wenigsten wissen warum – und ob das überhaupt etwas Schlechtes ist. Ich wollte – und das gilt bis zum heutigen Tage – von meinen Lesern erfahren, ob das, was ich schreibe, gern gelesen wird und ob es sie (bzw. euch) anspricht. Der Gedanke, dass eine Handvoll Lektoren über meine Arbeit und Idee als eine von ein paar Hundert oder Tausend Einsendungen im gleichmütigen Alltagsgeschäft anhand von Prognosen zum Verkaufspotenzial befindet, behagt mir nämlich bis heute nicht besonders. Ich kann es nachvollziehen, keine Frage – als freiberufliche Künstlerin und damit Unternehmerin sowieso. Ein Verlag ist ein Unternehmen, das an Umsatz denken muss, um seine Mitarbeiter und nicht zuletzt auch die Autoren zu bezahlen. Dennoch finde ich es schade, wie unpersönlich im Rahmen dieser Wirtschaftlichkeit mit dem Herzblut und den Hoffnungen so vieler Menschen umgegangen wird. Und ich frage mich manchmal, wo das Neue, das Innovative und die künstlerische Freiheit bleiben sollen, wenn sich die marktführenden Verlage nur auf den gewinnbringenden Mainstream einlassen ...
Jedenfalls bin ich froh, dass ich mich zu Beginn des digitalen Zeitalters als unabhängige Autorin auf einer Selbstverleger-Online-Plattform wie Neobooks ausprobieren kann. Und das sogar noch ausgesprochen einfach und mit einem sehr überschaubaren Budget. Vor nicht einmal zehn Jahren sahen die Möglichkeiten nämlich noch ganz anders aus. ^_^
So, aber nun wieder zurück zu der Sache mit der Testphase. Denn die Sache ist die: Nachdem ich von Bitterweg. Das DuneburgDebakel als den ersten Band einer Trilogie voller Aufregung, Ehrgeiz und dem Drang möglichst viel am Anfang unbedingt möglichst richtig zu machen im August 2014 veröffentlicht hatte, habe ich so viel über diesen Prozess des selbstständigen Veröffentlichens gelernt. Zum Beispiel auch, dass man stets auf so ziemlich alle nur denkbaren Pannen gefasst sein sollte. ^.^‘ Außerdem habe ich endlich Feedback von richtigen Lesern (vor allem aus der Buchblogger-Szene) erhalten – sowohl Lob als auch konstruktive Kritik und ein unterstützendes Engagement, mit dem ich im Vorfeld nie gerechnet hätte. Und ich habe von eben diesen Lesern auch erfahren, dass das, was ich schreibe, und die Art, wie ich schreibe, durchaus als für die Allgemeinheit lesbar betrachtet werden kann. ^.~
Aber neben all dieser dringend notwendigen Bestätigung habe ich auch viel über die Branche, ihre Abläufe sowie – ja, ihr lest richtig – über das Handwerk des kreativen Schreibens an sich gelernt. Letzteres ergab sich zum einen aus dem Leserfeedback, zum anderen aber vornehmlich aus meiner eigenen praktischen Arbeit an meinen anderen Projekten. Dabei geht es vor allem um Feinheiten. Zahlreiche Kleinigkeiten, die man als Schriftsteller erst mit zunehmender Erfahrung wahrnimmt und auch erst dann gezielt berücksichtigt und anwendet ...
Na ja, und genau das mit dem Anwenden habe ich nun auch bei meinem Debütroman von Bitterweg. Das DuneburgDebakel gemacht. Da ich es ohne das Hinzuziehen eines Lektorats oder ohne jedwede objektive Meinung überhaupt veröffentlicht habe, habe ich nun nach zwei Jahren des Feedback-Sammelns, Schreibens, Bloggens, Marketings und Unternehmerseins beschlossen, mein Erstlingswerk zu überarbeiten – und damit auch seiner Testphase ein angemessenes Ende zu bereiten. ^_^
Und was genau ich nun gemacht und verändert habe ... – Also, an der grundlegenden Idee, der Handlung sowie der allgemeinen Stimmung hat sich nichts verändert. Allerdings habe ich hier und da einige Begrifflichkeiten näher ausgeprägt und detaillierter nachgezeichnet, um der skurrilen Welt von Aiden Wirket und Duneburg eine besser nachvollziehbare Struktur zu verleihen. Auch Aidens ehrliche Gedankengänge habe ich für euch ein Stück weit mehr geöffnet, obwohl der Gute auch weiterhin nicht unbedingt weniger schwer von Begriff ist, aber ... Ach, besser ihr lest es selbst. ^.~
Darüber hinaus ist die zweite überarbeitete Auflage von von Bitterweg. Das DuneburgDebakel im Übrigen auch ein gutes Stück ansehnlicher geworden. Und damit meine ich nicht nur das neue farbenfrohe Titelbild, welches im Unterschied zu seinem Vorgänger den Charakter der Erzählung deutlicher widerspiegelt – und vielleicht auch ein bisschen mehr im eBook-Laden auffällt. *hüstel*
Zum Abschluss der jeweiligen Kapitel bzw. Capita – wie sie in diesem Buch ja heißen ^.^ – dürft ihr euch nämlich auf eine kleine grafische Ergänzung von meiner Seite freuen. ^_^
Nun, und falls ihr euch jetzt als vorbildlich hinterfragende Leser obendrein noch fragt, ob die Arbeit eines Schriftstellers überhaupt gut sein kann, wenn er diese denn noch einmal überarbeiten musste ... Tja, die letztendliche Meinungsbildung liegt da wohl oder übel ganz allein bei euch. ^.^‘
Für mich als freie Schriftstellerin und kreative Kleinunternehmerin ist die Angelegenheit ganz klar. Wer am Anfang steht, muss lernen, sein Lehrgeld bezahlen und Fehler – wenn es denn geht – natürlich korrigieren. Und da wir ja im eher flüchtigen digitalen Zeitalter leben: Nichts leichter als das! ^o^ (Und mal im Ernst. Bei den brandneuen Apps fürs Smartphone ist dieses Lernen aus Fehlern durchs Testen am lebendigen Endverbraucher sogar ein fester Bestandteil der Produktentwicklung. ^.~)
Andererseits ist es ja auch nicht so, dass ich eine unbändige Langeweile hätte ... ^.^‘ In der Überarbeitung von von Bitterweg. Das DuneburgDebakel stecken reichlich Zeit und Arbeit, die ich jedoch sehr gerne noch einmal in das Buch investiert habe. Mir liegt schließlich viel daran, dass meine Geschichten sowie die Ideen und Gedankengänge, die ich in meinem Buch verfolge, richtig zur Geltung gebracht werden und dass ihr im Idealfall zu einem interessanten und unterhaltsamen Leseerlebnis kommt. Dazu sind Bücher schließlich da. ^_^
Doch wie ich schon sagte, es steckt so einiger Aufwand in der Überarbeitung, welcher zu einem beachtlichen Teil nicht einmal auf meine Kappe geht ... ^.^‘ Aus diesem Grund möchte ich mich an dieser Stelle insbesondere noch einmal explizit bei den Bloggerinnen der Bücher-Blogs Prowling Books, Claudie liest, Magische Momente in der kleinen Bücherwelt, Buchstabensalat, Miss Foxy Reads, Jennys Bücherkiste, Little Miss Head in the Clouds, The amazing Bookblog und Natzes Leseecke für ihr sehr hilfreiches Feeback bedanken, welches mir sowohl Grundlage als auch Anreiz für die Überarbeitung gewesen ist. Und abseits jedweder Konkurrenz danke ich ebenso Antje (alias Alf) und Bianka sowie meiner Haupt-Beta-Leserin Mie aus meinen weniger objektiven Kreisen (^.~) für das Testlesen der allerersten noch nicht veröffentlichten Fassung überhaupt. Der wichtigste Beistand, der zur Veröffentlichung des Buches beigetragen hat, ist eben doch derjenige aus den engsten Kreisen. ^_^
Aber nun genug der vielen Vorworte. Es wird höchste Zeit, dass ihr endlich mit dem spannenden Teil dieses Buches anfangt. (Ein Wunder, dass ihr wirklich bis hier durchgehalten habt ... ^^‘) Ich wünsche euch also viel Spaß mit dem DuneburgDebakel und viele unterhaltsame Lesestunden. ^.~
Eure Platti
Rostock, d. 10. April 2016
PS: Liebsten Dank auch an meine Korrektorin Sandra Ehrlich für den letzten Feinschliff zugunsten meines Seelenfriedens (^^‘) und der gedruckten Erstausgabe, die noch im diesem Frühjahr und unter meiner eigenen Verlagsflagge das Licht der Welt der erblicken wird. ^_^
Eure Platti
Rostock, d. 17. Februar 2017
Für meine Freunde, meine Familie und alle, die ihren Weg mit Absicht suchen und finden wollen.
Es war kalt in Kentwest.
Nicht ganz so kalt, wie in meiner Heimat Dormizien, wo Winter mit Temperaturen um die zehn Grad minus als warm galten, aber hier war es immerhin nasskalt. Und somit war es speziell für diese Kälte ein Leichtes, ihr eigentlich geringes Ausmaß in voller Gänze zu entfalten. Die eisig feuchte Luft hatte nicht lange gebraucht, um meine Kleidung bis auf die Unterwäsche durchzuweichen – und so fror ich jetzt schon seit Stunden.
Bereits vor dem Morgengrauen war ich aus der kleinen Siedlung am Rande der Sotonsümpfe aufgebrochen. Zuvor hatte ich mir vom Herbergsvater allerdings noch den genauen Weg durch diese morastige Landschaft erklären lassen und steuerte nun die erste Zwischenstation auf dieser Route an – Kentwest.
Die Luft in den Sümpfen war dermaßen nass, dass man sie hätte trinken können. Jedoch wies der moderige Geruch dieser Gegend sehr deutlich darauf hin, dass das keine besonders gute Idee war.
Eigentlich hatte ich gehofft, das Dorf schon gegen Nachmittag zu erreichen ...
Inzwischen war es kurz nach Mitternacht.
Die stehende Feuchtigkeit und die Kälte hatten den Weg, der größtenteils aus verrottenden Holzplanken auf Stelzen bestand, in eine eisige Rutschbahn verwandelt. Schon wenige Meter nachdem ich diesen Sumpfweg betreten hatte, war es mir nicht mehr möglich gewesen, ganz normal einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Jetzt begriff ich auch, warum sich der Herbergsvater dermaßen gesträubt hatte, als ich trotz allem auf die Beschreibung des kürzesten Weges beharrte. Er hätte sich doch nur ein bisschen klarer ausdrücken brauchen ... Auf das lautstarke Anbrüllen und Drohen mit dem Messer hätte ich dann sicher gut und gerne verzichtet. Und das Trinkgeld für ihn wäre womöglich auch besser ausgefallen.
Aber letztendlich erreichte ich Kentwest – viel zu spät, frierend, triefend vor Schweiß und auf allen Vieren.
Zur Rettung meiner Ehre hielt es in diesem Dorf glücklicherweise niemand für nötig, sich zu dieser Tageszeit im Freien aufzuhalten. Und da es hier insgesamt nur vier Häuser, drei kleine und ein großes, gab, rechnete ich auch nicht damit, dass es hier in naher Zukunft vor Menschen nur so wimmeln würde.
In den drei kleineren Häusern – oder besser Hütten – war es stockfinster. Nur in der unteren Etage des großen Gebäudes, welches sich durch das ganze Dorf an der Straße – beziehungsweise diesem vereisten Steg – entlang zog, brannte noch Licht. Das musste das Gasthaus sein.
Ich rappelte mich auf und bewegte mich wacklig, wie auf rohen Eiern laufend, auf den zwielichtigen Eingang zu.
Trotz der späten Stunde drang aus dem Inneren der gedämpfte Lärm mehrerer angeregter Unterhaltungen, die bei näherem Hinhören in ein betrunkenes Gegröle umschlugen. Zu meiner Erleichterung war die Tür noch nicht verschlossen. Aber mal im Ernst, woher hätten unerwünschte Gäste bei diesem Wetter schon kommen sollen – wenn sie nicht bereits hier waren? Also trat ich ein.
Schweigen.
Ich sah mich um und sah auch so einiges. Zu hören war jedoch nicht das Geringste.
Was ich gemacht hatte? Gute Frage. Gerechnet hatte ich mit so einer Wirkung jedenfalls nicht. – Und Eitelkeit in allen Ehren, aber so hässlich war ich nun beim besten Willen nicht. Bis auf die Notwendigkeit eines mehr oder weniger ausgiebigen Bades, war ich mit mir selbst sogar recht zufrieden …
Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Jeder meiner Schritte hallte wie ein Donnern durch den Raum, bis ich mich schließlich an den Tresen setzte.
Der abgenutzte Hocker quietschte.
„Was zu trinken“, wandte ich mich an den Schankwirt.
Offensichtlich hatte er für heute Abend keine neuen Kunden mehr erwartet. Also glotzte er mich mit großen Augen an – genau wie die anderen drei Dutzend Mann, die sich wie Sardinen an den schmalen Gasthaustischen drängten. Zumindest nahm ich an, dass der Raum voller Menschen war. Immerhin konnte ich sie klar und deutlich sehen und riechen. Nur – und das machte mich stutzig – der Geräuschpegel entsprach so gar nicht meinen Erwartungen und Erfahrungswerten.
„Hier gibt es doch etwas zu trinken?“, fragte ich und beschloss, mich trotz der äußerst verdächtigen Ruhe möglichst unbeeindruckt zu geben.
Der Schankwirt zuckte leicht zusammen, blinzelte mich übermüdet an und nickte. Eilig, aber geübt hantierte er mit Bierkrug und Zapfhahn und setzte mir nur wenige Sekunden später einen mit Weizenbier gefüllten Humpen vor.
Ich nahm sofort einen großen Schluck. Die Mischung war nicht so stark, wie ich es gewöhnt war, aber es tat gut, endlich wieder etwas Richtiges zu trinken. Von Wasser allein kann ein Mann schließlich nicht leben.
Was die anderen Gäste dieser Wirtschaft anbelangte, so vertraten diese offenkundig eine vergleichbare Auffassung und wirkten dementsprechend wenig nüchtern. Dennoch rissen sie sich allesamt zusammen, starrten mich an und gaben keinen einzigen Laut von sich.
„Ich suche eine Unterkunft“, richtete ich mich ein weiteres Mal an den Schankwirt.
„Oh“, sagte er, „Wir haben noch ein Bett frei. – Soll es für nur eine Nacht sein?“
„So ist es doch üblich, oder?“, erkundigte ich mich, weil seine Frage mich etwas verwunderte.
„Nun“, meinte er, „in dieser Saison kommt es nicht häufig vor, dass sich Gäste nur für so kurze Zeit einquartieren. Für gewöhnlich liegt die Verweildauer bei sechs bis acht Wochen.“
„Wieso?“, fragte ich deutlich verständnisloser, als ich es beabsichtigt hatte, da mir die eher gewöhnungsbedürftige Schönheit der hiesigen Landschaft vor Augen schwebte.
Der Schankwirt musterte mich nicht weniger irritiert. Die Menschenmasse hinter mir geriet jedoch allmählich in Bewegung.
„Guter Mann“, fasste sich der Wirt ein Herz, „Wenn ich mir die Frage erlauben darf ... Wie genau sind Sie nach Kentwest gekommen?“
„Über den Pfad von Nordosten.“ Ich nahm noch einen Schluck.
Aus irgendeinem Grund schien diese Information in den anderen Gästen etwas auszulösen, denn ein aufgeregtes Raunen griff im Saal plötzlich um sich.
„Sie wollen also sagen, der Weg nach Hetfield sei wieder passierbar?“ Der Schankwirt musterte mich mit Skepsis.
„Keine Ahnung, ob das Dorf so heißt“, überlegte ich halblaut, „Wieso? War der Weg bis vor Kurzem ... nicht passierbar?“
„Es ist nur so“, leitete der Mann seine Erklärung ein, „wer Kentwest bei dieser Witterung verlässt oder zu erreichen versucht, neigt normalerweise dazu, irgendwo abzurutschen und sich den Hals zu brechen. Oder er wird einfach von dem Moor verschlungen ...“
„Oh“, bemerkte ich, „Das wusste ich nicht.“
„Sie müssen wissen, guter Herr“, fuhr er fort, „die meisten Herren, die Sie hier sehen, warten schon seit beinahe drei Wochen darauf, Kentwest verlassen zu können. Jemand, der sie von hier fort und aus den Sümpfen herausführen könnte, wäre für sie demnach ...“
„Ach so!“, unterbrach ich ihn einer eventuellen Bitte zuvorkommend und wechselte zu meinem Anliegen. „Aber das eine Bett ist trotzdem noch frei?“
Der Schankwirt nickte bedächtig. „Ja“, sagte er, „ein Bett in einem Acht-Mann-Zimmer.“
„Das macht nichts“, antwortete ich. „Für eine Nacht ist das in Ordnung.“
Die Verwunderung, die seit meiner Ankunft aus dem Gesicht des Wirtes sprach, wollte nicht weichen. Allerdings war es hinter mir wieder verdächtig ruhig geworden – zumindest bis auf die Schritte, die sich in meine Richtung bewegten.
Kurz bevor eine raue Hand nach meiner Schulter greifen konnte, wandte ich mich um. Ein gut zwei Meter großer Mann, der fast nur aus Muskeln zu bestehen schien, sah mich mit einem Ausdruck an, der in mir nicht das geringste Vertrauen weckte. Womöglich trugen sein ungepflegter Vollbart, die aufdringliche Bierfahne und andere Gerüche, die ich nicht näher bestimmen wollte, in gewisser Weise dazu bei.
„Heh, Junge“, sagte er mit einem kernigen Lachen auf den behaarten Lippen.
Er fürchtete sich vor mir, das spürte ich – auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum dies der Fall war, da der Mann mich locker um einen Kopf überragte. Also entschied ich mich, meine Hände schön dort zu lassen, wo sie waren, und nicht auf den Griff meines Schwertes zu legen, um eben dieses etwas deutlicher in sein Blickfeld zu rücken.
„Was ist?“, fragte ich kurz angebunden.
„Ganz ruhig“, versuchte er mich zu beschwichtigen. „Ich habe ebenfalls vor, morgen aufzubrechen. Was hältst du davon, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen?“
Da war sie. Die unterschwellige Bitte, die ich hatte vermeiden wollen ...
Ich sah dem Mann einen Moment lang in die von zu viel Bier und Müßiggang müden Augen.
„Nein, danke.“
Es war ihm anzusehen, dass er am liebsten seine Faust mit meinem Gesicht in Einklang gebracht hätte. Aber er behielt sich unter Kontrolle. Ich will nicht sagen, dass ich es genoss. Doch er hatte ohne Zweifel einen Respekt vor mir, den mir die Leute für gewöhnlich erst nach einer gewissen Zeit des Kennenlernens entgegenbrachten.
„Heh, Junge“, sagte er, „was soll schon dabei sein?“ Er machte eine einladende Geste, indem er seine Schultern hob und die Arme ausbreitete.
Ich drehte mich unbeeindruckt von ihm weg und damit meinem Bier zu. Das Einzige, was ich noch weniger gebrauchen konnte als eine Begleitung, war eine begriffsstutzige Begleitung.
Er griff erneut nach meiner Schulter.
„Heh.“ Er bemühte sich immer noch darum, freundlich zu klingen.
Auf mich traf das allerdings nicht zu. „Ich gebe dir einen gut gemeinten Rat: Lass los, setz dich hin und wage es nie wieder mich anzusprechen.“
Und es funktionierte tatsächlich! Er ließ mich los, wandte sich um und fluchte leise. Zwar war in seinem Gemurmel die eine oder andere Beleidigung gegen mich enthalten, aber ich war fürs Erste nur froh, dass er weg war. Schließlich nahm der Mann gehorsam in einer der hinteren Reihen des überfüllten Gastraums Platz und schwieg fleißig.
Zufrieden leerte ich meinen Humpen und schob ihn dem Wirt entgegen.
„Noch eins?“, fragte er.
„Das übernehme ich“, sagte eine Stimme, noch bevor ich diese Anfrage verneinen konnte.
Was war nur los mit diesen Leuten? Plötzlich saß wieder jemand neben mir. Ein hagerer Mann, der trotz seiner offensichtlich verwesenden Kleidung – einer gewagten Kombination aus den pelzigen Häuten vormals lebendiger Tiere – weitaus gepflegter wirkte als mein vorheriger Gesprächspartner. Die Verschlagenheit in seinen spaltgroßen Augen sprach jedoch Bände.
Ich beschloss also, ihn nicht zu mögen – was allerdings nicht hieß, dass ich vorhatte, seine Großzügigkeit einfach so auszuschlagen. Alkohol ist teuer, verdammt noch mal!
Ich gab dem Wirt durch ein Nicken zu verstehen, dass er der Bitte meines Gönners Folge leisten sollte.
„Ich brauche deine Hilfe“, sprach der Fremde mich nun direkt an. „Ich sitze hier schon viel zu lange fest und will einfach nur noch weg.“
„Wenigstens kommst du gleich zur Sache“, stellte ich fest und nippte an dem frischen Gerstensaft. „Und wie genau soll meine Hilfe aussehen?“
„Nimm mich mit“, sagte er und rutschte gierig auf mich zu, „Raus aus dem Sumpf, das reicht mir schon. Und keine Sorge, ich zahle gut.“
„Ich reise allein.“
„Ja, ja. Vermeiden von Schwierigkeiten und so.“ Der Fremde machte eine versöhnliche Handbewegung und gab sich gezwungen aufgeschlossen.
„Ich nehme auf Reisen keine Arbeit an“, verdeutlichte ich meinen Standpunkt. „Ist nichts Persönliches. Aber ja, es dient der Vermeidung von Schwierigkeiten.“
Die spaltgroßen Augen des hageren Mannes weiteten sich zu breiten Schlitzen. Ich konnte beinahe hören, wie die Gedanken hinter seiner Stirn auf der vergeblichen Suche nach einem Plan B miteinander kollidierten und sich wieder voneinander lösten. Es erinnerte mich an das Ticken einer Uhr – nur sehr, sehr viel langsamer.
„Obwohl“, räumte ich aus einer Laune heraus dann doch noch ein und bemerkte, wie sich im ganzen Raum die Ohren spitzten, „wenn das Kopfgeld stimmt, mache ich gelegentlich eine Ausnahme. – Ist auf dich ein Kopfgeld ausgesetzt?“
Natürlich hatte ich, bevor ich Dormizien vor einem guten halben Jahr verlassen hatte, ein nützliches Handwerk erlernt, das ich an und für sich sogar recht gut beherrschte. Und an und für sich war ich auch kein Mensch, der Meinungsverschiedenheiten mit dem Schwert löste. In Dormizien wurde man so erzogen, dass man Konflikte friedlich handhabte oder es besser gar nicht erst soweit kommen ließ.
Allerdings musste ich schon bald feststellen, dass andere Länder in dieser Hinsicht äußerst andere Sitten aufwiesen. Und ich habe mich wirklich ernsthaft bemüht, das Andenken an meine gute Erziehung aufrechtzuerhalten. Aber als gelernter Werkzeugschmied kommt man ohne Ausrüstung mit Hammer, Amboss und Feuerstelle nun einmal nicht besonders weit, wenn man von der Welt etwas Interessantes sehen will ...
Wie es sich zeigte, erwies ich mich viel anpassungsfähiger, als ich es je von mir erwartet hätte. Ich entdeckte mein natürliches Talent für die schlagfertige Durchsetzung meiner Interessen, ergänzte es mit meiner dormizianischen Vorliebe für Konfliktvermeidung und bemerkte, dass es sich auf dieser Grundlage als Gelegenheitskopfgeldjäger sehr lukrativ und flexibel leben ließ ...
Der Mund des Fremden öffnete sich ein Stück und schloss sich wieder. Dann schüttelte er langsam den Kopf, wobei er sehr behutsam darauf achtete, diesen auch auf seinen Schultern zu behalten.
„Sag mal“, ergriff ich erneut das Wort und gab mich überraschend verständig. Dieses Spielchen begann mir zu gefallen. „Du bist doch nicht der Einzige, der hier weg will. Warum einigst du dich nicht mit den anderen und ihr macht euch gemeinsam auf den Weg?“
Der finstere Blick des Schankwirtes traf mich von der Seite. Offenbar fürchtete er, dass seine Kundschaft durch meinen Scherz auf dumme Gedanken kam und ihm seine Saison ruinierte.
Der Mund des Fremden dagegen lächelte, seine Augen allerdings nicht.
„Sie sind Feiglinge und stinkende Nichtskönner“, postulierte er, sehr von seiner Selbstsicherheit überzeugt.
Ich spürte eine vage Erleichterung, als sich drei Dutzend Blicke von mir lösten. Allem Anschein nach hatten nun sämtliche Gäste nur noch Augen für den einen von ihnen, der sich unmittelbar neben mir befand.
Der Wirt hinter seinem Tresen wirkte stattdessen deutlich entspannter und machte den Eindruck, ein weiteres freies Bett für den morgigen Tag einzuplanen.
Ich für meinen Teil erinnerte mich daran, was ich eigentlich vorgehabt hatte, bevor ich von einem Freibier aufgehalten worden war. Also trank ich den Humpen in einem Zug leer, stand auf und beugte mich vor zu meinem Wohltäter.
„Es mag sein, dass du recht hast“, raunte ich ihm zu. „Aber du hättest das nicht so laut vor aller Ohren sagen sollen. Ach ja, und danke für die Einladung.“
Der Mann sah mich an, als hätte ich in einer fremden Sprache zu ihm gesprochen. Dabei wirkte er eigentlich nicht wie jemand von der naiven Sorte. Doch entweder ahnte er nicht im Geringsten, was ihm heute Nacht noch blühen würde, oder er verdrängte es.
„Wo ist das Zimmer?“, fragte ich schließlich, an den Wirt gewandt.
„Oben, Zimmer Nummer 4. Das untere Bett, links vorm Fenster, sollte noch frei sein.“
Ich legte etwas Geld auf den Tresen.
„Reicht das?“
Der Schankwirt warf einen kompetenten Blick auf den Stapel blassgelber Scheine.
„Alles zusammen macht zweihundertzwanzig“, sagte er nach einem Moment des Rechnens.
„Was denn? – Mark?“
Der Wirt zuckte mit den Schultern, „Inflation, Angebot und Nachfrage, Steuern ...“
„Jajaja“, unterbrach ich ihn, wühlte widerwillig in meiner Jackentasche und erhöhte die Summe auf dem Tresen um einen entsprechenden Betrag.
Ich wollte mich gerade auf den Weg zur Treppe machen, als sich in meinen Augenwinkeln etwas bewegte. Auch in der Nähe des Eingangs und den hinteren Ecken der Wirtschaft nahm ich Bewegung wahr. Trotz der dämlichen Bemerkung meines Gönners hatte ich es irgendwie geschafft, die gesamte Aufmerksamkeit erneut auf mich zu lenken.
Die unruhig wabernde Masse aus ungewaschenen Raufbolden und Wegelagerern machte sich in unsteten, aber rhythmischen Bewegungen daran, zu mir herüber zu schwappen. Schwermütig und träge erhoben sich die Männer von ihren Bänken und bewegten sich langsam, aber sicher auf mich zu. Das war gar nicht so einfach in der Enge dieses mit Menschen und Tischen überfüllten Gastraumes. Ich hatte mich ohnehin schon gefragt, wie so viele ausgewachsene Männer unter Einfluss von Bier und Wein hier verweilen konnten, ohne einen größeren Schaden an der Einrichtung oder aneinander zu hinterlassen. Meiner Ansicht nach, bestand die Antwort wohl alleine darin, dass sie sich einig waren. – Einig darin, es hier zu ertragen, bis das Wetter besser wurde. Oder eben einig darin, sich dem nächstbesten und lebendigen Durchreisenden – egal ob er es wollte oder nicht – anzuschließen. Aber nicht mit mir!
„Also gut“, sagte ich scharf. „Jeder bleibt genau da, wo er ist.“
Intuitiv war meine linke Hand längst zu meinem Schwert gewandert und umfasste es am Stichblatt. Kam es zum Angriff, konnte ich so die Waffe ungehindert mit der Rechten ziehen. Außerdem machte diese Geste einen Eindruck, der auf keinen Fall zu unterschätzen war.
„Wo auf dem Weg nach Süden findet man die nächste Ordnungsbasis?“, erkundigte ich mich, vom Tresen abgewandt, beim Schankwirt und auf die grobe Masse achtend.
„Em“, antwortete dieser, „etwa vier Tagesreisen von hier, in Duneburg.“
Ich nickte – und beschloss spaßeshalber den Versuch zu wagen ...
„Wer von euch hat Lust, dieses ... Dorf mit mir zu verlassen?“, fragte ich in mein Publikum. „Stehen bleiben! – Ja, so ist's besser. Meldet euch, wenn ihr euch angesprochen fühlt. – Aha. Das dachte ich mir. – Auf wen von euch ist ein Kopfgeld ausgesetzt? – Oh, das ist beachtlich. – Bei wem sind es mehr als zehntausend Mark? – Mehr als fünftausend? – Mehr als zweitausendfünfhundert ... ? – Gesundheit. – Mehr als eintausend? – ... – Fünfhundert? – Ja, bitte? – Nein, ich lege keinen Wert auf Mengenrabatt. – Zweihundertfünfzig? – Was für Straftaten werden bitte mit einem Kopfgeld von weniger als zweihundertfünfzig Mark geahndet?! – Wie, Inflation?“
War das zu fassen?! Jetzt wunderte ich mich nicht mehr, warum ausgerechnet diese Horde von Freizeitspitzbuben ihren Winter in diesem tiefgekühlten Sumpf verbrachte. Ich überlegte ernsthaft, ob ich danach Fragen sollte, wer von ihnen die Reise hierher „gewonnen“ hatte, und ob vielleicht ein geliebtes Familienmitglied vor der Abreise in höchsten Tönen von diesem Ort und seinen Sehenswürdigkeiten geschwärmt hatte.
Ein mitfühlender Zeigefinger tippte mir auf die Schulter. Es war der Schankwirt, der sich vorsichtig zu mir herüber gebeugt hatte.
„Wenn ich etwas sagen dürfte ...“, sagte er taktvoll, „Die ... dicken Fische ... sind schon lange nicht mehr hier. Die meisten waren schon fort, bevor die Temperaturen den Gefrierpunkt erreicht haben. Und jetzt, da es so kalt ist, nehmen sie lieber den befestigten Umweg im Westen. Ab und zu verirrt sich mal einer hierher. Bleiben tut jedoch keiner, wenn er alleine wieder wegkommt. – Nein, nicht zu dieser Jahreszeit.“ Er begann kleinlaut zu flüstern. „Ich habe das ungute Gefühl, dass sich diese – ertragreicheren – Leute ... von meiner übrigen Kundschaft etwas bedrängt fühlen ...“
„Ach, nein“, flüsterte ich kaum schockiert zurück.
Ich warf den erwartungsvollen Herren einen letzten Blick zu. Drei Dutzend flehende Blicke reagierten.
„Nein!“, beendete ich diese Unterhaltung und stapfte kopfschüttelnd die Treppe zu den Schlafräumen empor.
Ob ich – im Nachhinein betrachtet – doch lieber unten geblieben wäre, wenn ich gewusst hätte, wer und welche Konsequenzen mich dort oben erwarteten?
Ich denke nicht.
Eins ... Drei ... Fünf ..., tastete ich mich in der trägen Dunkelheit des oberen Stockwerks von Tür zu Tür und von Zimmernummer zu Zimmernummer. Die Vier hatte ich bisher noch nicht gefunden.
Aber, wer bitte hielt es für eine gute Idee, einen Haufen stockbesoffener Waldschrate einen finsteren Flur entlangzuschicken, in dem sich alle geraden Zimmernummern auf der einen und alle ungeraden auf der anderen Seite befanden?!
Ich wechselte zur gegenüberliegenden Wand.
Acht ... Sechs ... Ah ja, Vier! Aufschließen ... Hrgh!
Ich hechtete zum Fenster – dem winzigen, verglasten Loch mit Holzrahmen in der Wand – und riss es auf. Hier hatten eindeutig zu viele Menschen mit viel zu wenig Sinn für Hygiene viel zu viel Zeit miteinander verbracht.
Aber ich konnte von Glück reden, dass ich trotz der späten Stunde der Einzige in diesem Zimmer war. Ich verspürte nämlich nur ein sehr geringes Bedürfnis danach, die Nacht mit menschenähnlichen Wesen zu verbringen, denen es durch bloße Anwesenheit gelang, saubere Sumpfluft in eine todbringende Dunstwolke zu verwandeln.
Mit der Bewusstlosigkeit ringend, klemmte ich mich so dicht wie möglich ans Fenster, bis die beißenden Gase meinen Geruchssinn betäubt und für diese besondere Duftnote bis auf Weiteres unbrauchbar gemacht hatten. Schon nach wenigen Augenblicken nahm ich nur noch einen leichten Hauch menschlichen Lotterlebens mit moorigen Akzenten wahr.
Während ich nun so da hing und diese neue Atmosphäre zu ertragen lernte, ließ ich den Blick durch das Halbdunkel meiner Unterkunft schweifen. Und ich entdeckte eine weitere besondere Note, auf welche diese Gastwirtschaft großen Wert zu legen schien.
Neben meiner Wenigkeit befanden sich in diesem Raum vier ausgewachsene Doppelstockbetten, inklusive einer Ausstattung in Form von Federbetten und Kopfkissen – selbstverständlich alles mit der gängigen Mindestmenge an Bettwäsche überzogen. Das Markante an diesem Ensemble war für mich nur, dass über eben dieser Bettwäsche ein weiterer Bezug zu liegen schien, der mich unweigerlich an eine überalterte Kuchenglasur mit sehr kalorienreichen Inhaltsstoffen erinnerte.
Sicherlich war dieser ölige Glanz in gewisser Hinsicht überaus praktisch, wenn es darum ging, Geld für Leuchtmittel zu sparen. Denn er reflektierte das fahle Mondlicht, welches durch das winzige Fenster hereinfiel, vorzüglich und konnte es sogar um ein paar Millicandela verstärken. Allerdings hegte ich begründete Zweifel, dass in einem dieser Betten eine angenehme Nacht auf mich warten würde.
In Gedanken war ich schon kurz davor, mich auf eine halbwegs erholsame Ruhephase in unmittelbarer Bodennähe einzurichten, als mir auffiel, dass eines der Betten wesentlich weniger Strahlung von sich gab. Gleich neben mir, links vom Fenster. Eben wie es mir der Wirt ja auch beschrieben hatte ...
Zu meiner ernsthaften Überraschung – ja, zu meiner fassungslosen Verblüffung – stand in diesem Zimmer ein einwandfreies, frisch bezogenes Bett, das schon bei seinem bloßen Anblick den Geruch soeben gelüfteter Wäsche und starken Waschmittels in meiner Erinnerung hervorrief. In Gedanken zog ich meinen metaphorischen Hut vor dem Schankwirt oder demjenigen, der es geschafft hatte, in dieser Heimat menschlichen Unrats ein solch brillierendes Stück Sauberkeit zu bewahren.
Doch nicht nur der für mich bestimmte untere Bereich des Etagenbettes folgte einem anderen Hygienestandard als alles andere in diesem Zimmer. Auch die obere Liege wies deutliche Spuren von erst vor Kurzem gewechselter Bettwäsche auf. Jedenfalls, wenn man einmal davon absah, dass letztere sich unter einem Haufen Gerümpel versteckte ... Hätte man für diese Ansammlung eine Inventarliste anfertigen wollen, wäre diese wahrscheinlich mit ein paar harmlosen Schreibutensilien, wie Tinte und Pergament, losgegangen und – nach der Erfassung zahlreicher kleiner Lederbeutel unbekannten Inhalts – schließlich bei eher bedenklichen Dingen gelandet, die, wie Blutfleckweg oder Hämoschrubber, auf gewissenhafte Waffenpflege schließen ließen. Wer auch immer da oben nächtigte, hatte mit Sicherheit jede Menge Langeweile, einen üppigen Geldbeutel und des Öfteren Probleme mit Blutspuren an unerwünschten Stellen.
Von einem Funken Neugier ergriffen trat ich näher heran, um eine bessere Sicht auf diese offen dargelegten Persönlichkeitsstrukturen zu erhalten – und griff unbewusst mit einer Hand nach der Bettkante.
Ich schrie auf und riss eilig meine Hand zurück. Ein heißer pulsierender Schlag hatte mich gepackt und meine Hand beinahe von innen heraus zerrissen. Zumindest fühlte es sich so an. Wenige Sekunden nach dem ersten Schrecken war jeder Schmerz verflogen. Nur meine Hand blieb noch etwas taub und ich spürte, wie das Gefühl langsam in sie zurückschlich. Es kribbelte.
Wie durch den Schock gelähmt, klammerte sich mein Blick an dieses hölzerne Bett mit seiner von Natur aus gut gepolsterten Grundausstattung. Auf so eine Erfahrung war ich nicht vorbereitet gewesen. Aber wer erwartete ein solches Verhalten schon von einer Schlafgelegenheit, die einem für gewöhnlich friedliche Träume bescheren sollte?
Während ich so starrte, fiel mir auf, dass am oberen Bettrahmen eine Reihe silbrig schimmernder Symbole aufgetaucht war, deren Bedeutung mir nicht geläufig war. Derjenige, der hier sein Lager aufgeschlagen hatte, kannte sich mit Hexerei oder vergleichbaren Dingen aus und scheute sich nicht davor, dieses Wissen anzuwenden.
Aber was sollte ich machen? Bis jetzt hatte er – oder sie – mir weder etwas angetan noch um Hilfe für die Abreise aus diesem Kaff gebeten. Die Gelegenheit war also günstig, um einfach mal abzuwarten. Und wenn ich Glück hatte, passierte zur Abwechslung vielleicht sogar rein gar nichts.
Ich konnte jedenfalls eine Pause vertragen, bevor der Tag erneut beschloss, sich plötzlich und bis auf Weiteres in die Länge zu ziehen. Und um sicherzugehen, dass dies nicht so schnell passierte, entschied ich, mein Nachtlager vorsorglich nach unsichtbaren Barrieren und metaphysischen Grenzmarken abzusuchen.
Also kniete ich vorsichtig nieder und näherte mich mit den Fingerspitzen der unteren Bettkante ...
Nichts geschah.
Tief geduckt strich ich behutsam über die näher liegenden, dann die etwas weiter entfernten Bereiche meiner Liegefläche ...
Auch nichts.
Alles klar ... , stellte ich zu meiner Verwunderung und mit einem Hauch minimaler Enttäuschung fest. Ich zuckte mit den Achseln, stand auf, legte meinen Rucksack und die Waffen neben mich auf den Boden, schloss das Fenster, setzte mich aufs Bett, fühlte eine unerträgliche Hitze und einen schmerzhaften Stich direkt hinter meiner Stirn und kippte besinnungslos zur Seite. – Ich hatte doch etwas übersehen.
Langsame, schmatzende Schritte. In der Luft der Geruch von modernder Erde und faulen Eiern. Wo war ich?
Von allen Seiten umgab mich Dunkelheit, die nur an wenigen Stellen in meiner Umgebung nicht ganz so dunkel wie der Rest war.
Dann fiel es mir ein. Der Sumpf, die Herberge, die Gäste, das Bett – und diese Runen. Ich lag noch halb im Sitzen und zur Seite gekippt auf meinem Nachtlager und starrte in die unterschiedlichen Facetten eines lichtlosen Raumes. Ich konnte mir nicht erklären, wer oder was genau mich außer Gefecht gesetzt hatte. Aber ich wusste, dass ich, auch wenn ich niemanden sehen konnte, ohne Zweifel beobachtet wurde. Mein Gefühl sagte es mir und es war zu ruhig. Da blieb die Frage offen, wo diese Schritte ihren Ursprung hatten.
Behände schob ich mich von dem Bett herunter in die Hocke, griff nach den Waffen, zog mein Schwert, hörte, wie dieses lautstark auf Metall traf, und spürte plötzlich, wie die Kälte einer fremden Klinge meinen Hals berührte.
Konnte das sein? War das möglich? Ich war fassungslos, wie schnell sich diese schattenhafte Gestalt vor mir bewegte. Binnen Bruchteilen von Sekunden hatte sie mich mit einer reibungslos fließenden Bewegung einfach und ohne jeden Laut überwältigt.
Allmählich ließ ich meine Schwerthand sinken, jedoch nicht aus Resignation oder Angst vor meinem Gegner. Ich war ehrlich beeindruckt.
„Entschuldige“, hörte ich die klare Stimme eines jungen Mannes sagen.